6. Anisotrope Wechselwirkungen: Thermotrope Flüssigkristalle In Abhängigkeit von der Molekülform können sich selbstorganisierte Strukturen bilden, die eine höhere Ordnung als die einer Flüssigkeit, aber eine niedrigere Ordnung als im Kristall ausbilden, die Flüssigkristalle. Sie zeichnen sich durch eine exisitierende Orientierungsordnung bei fehlender Positionsfernordnung aus. Bei den thermotropen Flüssigkristallen treten entsprechende Phasen (Mesophasen) im Phasendiagramm des Reinstoffs zwischen Kristallmodifikationen und isotroper Flüssigkeit auf. Mesophasen können wie alle fluiden Phasen auch glasartig erstarren (Glasübergang), man erhält dann anisotrope Gläser. Lyotrope Flüssigkristalle treten in einem Zweikomponenten-Mischsystem auf (siehe nächstes Kapitel). Einteilung der flüssigkristallinen Phasen: Stäbchenförmige Mesogene (z.B.MBBA 4-Methoxybenzyliden-4’-butylanilin): Nematische Phase (Parallelorientierung in Richtung des Direktor-Vektors n) Smektische Phasen (zusätzliche Schichtanordnung) Cholesterische Phasen (chirale Moleküle, Helixanordnung) Scheibchenförmige Mesogene (z.B. substituierte Triphenylene): Nematisch diskotische Phase Columnare diskotische Phasen (geordnete Kolumnen) R R CN R 5CB R OMe N R Triphenylen R MBBA O O Cholesterylbenzoat N SA Ch (N*) Dho Maier-Saupe-Theorie der nematischen Phase Die nematische Phase hat eine höhere Ordnung als die isotrope Flüssigkeit. Man kann sie daher durch einen Ordnungsparameter definieren. Da die Richtungen n und –n ununterscheidbar sind, kommt erst das Quadrat des Richtungskosinus der Molekülorientierungen in Frage, S= 1 3cos 2 θ − 1 2 In der isotropen Phase ist S = 0, bei vollständiger Orientierung wird S = 1. Die Maier-Saupe-Theorie ist eine mean-field-Theorie, d.h. sie beschreibt die Orientierungsenergie eines Dipols im Feld der anderen ui = − A 1 S ( 3cos θ i −1) V2 2 (A Wechselwirkungsparameter, V spezifisches Volumen) Die Boltzmann-Statistik ergibt Innere Energie und Ordnungsparameter durch selbstkonsistente Lösungen 1 ui u exp − d cos θ N∫ kT i U= i 0 2 1 ui ∫ exp − kT d cos θ i 0 Am Phasenübergang nematisch-isotrop (Klärpunkt) sinkt S sprunghaft von 0.43 auf 0. Die freie Enthalpie G(S) hat hier zwei Minima. Die Beschreibung kann auf statistischthermodynamischem Wege über die Zustandssumme erfolgen oder durch eine direkte Reihenentwicklung 1 1 1 G = G0 + aS 2 + bS 3 + cS 4 + ... 2 3 4 (Landau-de Gennes). Krümmungselastizität Die Eigenschaften der Flüssigkristalle ist wesentlich durch ihr elastisches Verhalten bestimmt. Es gibt drei Grundtypen der Verbiegung des Direktorfeldes mit jeweils einer zugehörigen elastischen Konstanten: • Spreizung (splay) F= 1 r 2 K11 ( div n ) 2 • Verdrillung (twist) F= 1 r r 2 K 22 ( n ⋅ rot n ) 2 • Biegung (bend) F= 1 r r 2 K33 ( n × rot n ) 2 Alle elastischen Konstanten sind klein (0.1 J/m3) und von ähnlicher Größe, so daß oft eine Einkonstanten-Näherung verwendet werden kann. Die krümmungselastischen Eigenschaften sind auch verantwortlich für das Ausbilden von Domänengrenzen (boundaries), die im Polarisationsmikroskop charakteristische Texturen ergeben. Elektrooptische Effekte und Displayanwendungen Flüssigkristalle sind optisch und elektrisch anisotrop, z.B. bei Nematen (uniaxiale Orientierung) gilt für die Komponenten des Dielektrizitätstensors ε P > ε⊥ Bei Anlegen eines äußeren elektrischen Feldes ist die Energie 1 r r 1 W = − E ⋅ D = − (ε ⊥ E12 + ε ⊥E 22 + ε PE23 ) 2 2 (im Koordinatensystem des Moleküls). Dies ist energetisch am günstigsten für ein Feld in Richtung der Moleküllängsachse E = { 0,0, E3 } . Flüssigkristalle orientieren sich also im elektrischen Feld. Achtung: Dies ist keine Dipolorientierung, da beide Feldpolungen die gleiche Orientierung ergeben. Im Gegenteil, oft koppeln sich Mesogene mit permanentem Dipolmoment antiparallel. Eine wichtige Anwendung sind Flüssigkristalldisplays. In der Schadt-Helfrich-Zelle (Twisted Nematic-Zelle) befindet sich der Flüssigkristall zwischen zwei Indium-ZinnOxid-(ITO-)beschichteten Substraten, die durch Beschichtung z.B. mit Polyimid und Reiben eine Vorzugsrichtung vorgeben. Durch Verdrehen der Orientierungsschichten um 90° wird eine Verdrillung vorgegeben. Durch zwei gekreuzte Polarisatoren erscheint die Zelle hell, da die Polarisationsebene des Lichtes durch die Helixanordnung gedreht wird. Wird jetzt eine Spannung angelegt, so orientieren sich die Moleküle senkrecht zu den Elektrodenflächen (homöotrop). Das Display erscheint jetzt optisch isotrop und es wird kein Licht mehr durchgelassen. Die Einschaltzeit hängt von den elastischen Konstanten und der angelegten Spannung ab, die Ausschaltzeit nur von den elastischen Konstanten. 7. Amphiphile Moleküle, lyotrope Mesophasen Eine wichtige Gruppe, die lyotrope Mesophasen ausbildet, sind die amphiphilen Moleküle (Tenside, Detergentien). Sie bestehen aus einer hydrophilen Kopfgruppe und einer hydrophoben Schwanzgruppe (z.B. SDS, Natriumdodecylsulfat). An Grenzflächen bilden sie geordnete Adsorptionschichten und in Volumenphasen können sie zu Kolloiden (Mizellen) aggregieren. O S SDS O Na+ O Monomolekulare Grenzflächenschichten An der Oberfläche einer wäßrigen Tensidlösung (gegenüber Gas oder einem Festkörper) ordnen sich die amphiphilen Moleküle so, daß ihr hydrophiler Kopf ins Wasser zeigt, während die hydrophoben Alkylketten dem zweiten Medium zugerichtet sind. Die Belegung von Gas-Flüssig-Grenzflächen kann mit einer Langmuir-Waage gemessen werden. Dabei wird der Oberflächendruck als Differenz der Oberflächenspannungen der Lösung und des Lösungsmittels gegen die Fläche gemessen. Verkleinert man die Fläche, bis der Druck sprunghaft steigt, erhält man eine Monoschicht. Diese Monoschichten lassen sich auf feste Substrate aufziehen (Langmuir-Blodgett-Technik). Solche Schichten können Phasenübergänge wie in Festkörpern aufweisen. Mizellbildung Werden ionische Tenside in Wasser gelöst und die elektrische Leitfähigkeit der Elektolytlösung gemessen, so beobachtet man ab einer bestimmten Konzentration ein drastisches Sinken der Leitfähigkeit (bei niedrigeren Konzentrationen gilt das Kohlrausch-Gesetz: Die Äquivalentleitfähigkeit in Ω-1 cm-1 mol-1 nimmt linear mit √c ab). Man hat die kritische Mizellbildungskonzentration CMC erreicht. Ab hier ändert sich die Beweglichkeit der Ionen durch Aggregation zu Mizellen. Die Einzelmoleküle sind im Gleichgewicht mit den Assoziaten j A1 ƒ A j mit einer Gleichgewichtskonstanten (Assoziationskonstante) Aj ∆G K j = j = exp − , kT [ A1 ] wobei µ0 jeweils für das chemische Standardpotential steht. Gewöhnlich stehen Mizellen unterschiedlicher Größen miteinander im Gleichgewicht. Betrachten wir jedoch nur eine Mizellengröße und beachten die Randbedingung, daß die Gesamtanzahl der Monomere sich bei der Mizellbildung sich nicht ändert j Aj + [ A1 ] = c , ergibt sich K= c − [ A1 ] j [ A1 ] j c − [ A1 ] ⇒ [ A1 ] = jK 1 j Da der Zähler auch bei hohen Konzentrationen nicht größer als 1 werden kann, ergibt sich als kritische Mizellbildungskonzentration: CMC = ( jK ) −1/ j Die Mizellbildungsenthalpie ergibt sich aus der Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten (nach van’t Hoff) zu ∂ ln CMC = − ∆H ∂T nRT 2 mit 1< n ≤ 2 Die Entropieänderung ist trotz der Zusammenlagerung mehrerer Moleküle positiv, da die Lösungsmittelmoleküle, die sonst die einzelnen Tensidmoleküle solvatisieren müßten, mehr Freiraum bekommen. Mizellen können kugelförmig sein, aber auch stäbchen- oder scheibchenförmig. Entsprechend können sich die Mizellen zu analogen Mesophasen ordnen wie thermotrope Flüssigkristalle. Doppelschichten Eine besondere Bedeutung haben Strukturen, bei denen sich großflächig zwei Schichten zusammenlagern, so daß die Kopfgruppen jeder Seite nach außen zeigen und die Schwanzgruppen nach innen. Diese Doppelschichten sind der Grundbaustein von lamellaren Mesophasen, Schäumen (Seifenblasen) und biologischen Membranen.