MM 23.09.2013 Moleküldynamik Michael Meyer Vorlesung VII Michael Meyer Molecular Modelling Allgemeines zu MD-Simulationen • Berechnung zeitabhängiger Eigenschaften von Molekülen • Struktur, Dynamik und Thermodynamik (biologischer) Moleküle und deren Komplexe • Detaillierte Informationen über Konformationsänderungen und Fluktuationen • Anwendung in der Strukturbestimmung von Proteinen und Nukleinsäuren mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse und NMRSpektroskopie Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 1 MM 23.09.2013 Einsatzbereich von MD-Simulationen • Proteinstabilität und Fluktuationen • Konformationsänderungen • Proteinfaltung und –solvatation • Molekulare Erkennung Komplexe von Proteinen oder DNA mit Liganden • Ionentransport in biologischen Systemen • Strukturbestimmung (NMR, Röntgenstrukturanalyse) • Wirkstoffdesign Michael Meyer Molecular Modelling Grobe Klassifizierung von Molekülbewegungen • Lokale Bewegungen (0,01 bis 5 Å, 10-15 bis 0,1 s) Fluktuation einzelner Atome Reorientierung von Wasser Ringflips aromatischer Systeme Bewegung von Seitenketten und Schleifen • Bewegungen starrer Körper in Makromolekülen (1 bis 10 Å, 10-9 bis 1 s ) Bewegung von Helices, Domänen • großräumige Bewegungen (> 5 Å, 10-7 bis 104 s ) Faltungsprozesse in Biopolymeren Übergänge zwischen Helices und irregulären Strukturen Assoziation / Dissoziation von Proteinkomplexen Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 2 MM 23.09.2013 Statistische Mechanik • MD-Simulationen generieren Daten auf einem mikroskopischen Niveau: Atomkoordinaten und -geschwindigkeiten in bestimmten Zeitintervallen • Statistische Mechanik ermöglicht daraus die Berechnung makroskopischer Eigenschaften, die auch experimentell zugänglich sind (Observable): Druck, Energie, Wärmekapazität, ... • Die Lösung der Bewegungsgleichungen ermöglicht mit Hilfe der statistischen Mechanik eine Berechnung thermodynamischer und kinetischer Daten Michael Meyer Molecular Modelling Ergodenhypothese MD-Simulationen ermöglichen die Berechnung zeitlicher Mittelwerte, experimentell beobachtbare Observable entsprechen Ensemblemittelwerten. Die Ergodenhypothese besagt dass beide Mittelwerte Identisch sind: <A>Ensemble = <A>Zeit Wenn ein System über einen unendlichen Zeitraum simuliert Wird, können alle möglichen Zustände durchlaufen werden. MD-Simulationen sollten genügend repräsentative Konformationen generieren, damit diese Forderung näherungsweise erfüllt ist. Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 3 MM 23.09.2013 Chemische Prozesse Thermodynamik ∆G „Triebkraft“ t Kinetik ∆G Mechanismus Zeitlicher Verlauf T= Zeit, ∆ G freie Enthalpie t Michael Meyer Molecular Modelling Prinzipielle Vorgehensweise • Lösung der Newtonschen Bewegungsgleichungen unter Verwendung von Kraftfeldern (oder quantenchemischen Verfahren) zur Berechnung der potentiellen Energie und der Gradienten der Energie eines molekularen Systems • Trajektorie Koordinaten und Geschwindigkeiten aller Atome in regelmäßigen Zeitintervallen δt • Thermodynamisches Ensemble Statistisch repräsentative Sammlung von Konformationen des molekularen Systems zur Berechnung thermodynamischer Eigenschaften Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 4 MM 23.09.2013 Statistische Ensembles Gesamtheit der gleichartig präparierten Teilchen (Atome, Moleküle) eines Systems (Summe aller Teilchen) • Mikrokanonisches Ensemble (NVU) geschlossenes System konstant: Anzahl der Atome N, Volumen V, innere Energie U • Kanonisches Ensemble (NVT) geschlossenes System im Wärmebad konstant: Anzahl der Atome N, Volumen V, Temperatur T • Isobar-isothermales Ensemble (NPT) konstant: Anzahl der Atome N, Druck P, Temperatur T • Großkanonisches Ensemble (µVT) offenes System (Teilchenaustausch mit dem Wärmebad) konstant: Chemisches Potential µ, Volumen V, Temperatur T Michael Meyer Molecular Modelling Newtonsche Bewegungsgleichungen d 2r Fi = mi ai = mi 2i dt Fi Kraft auf das Teilchens i mi Masse des Teilchens i ai Beschleunigung des Teilchens ii Kraft ist der Gradient der potentiellen Energie Fi = mi ai = − ai = − dU i dri 1 dU i mi dri Die Newtonschen Bewegungsgleichungen liefern eine Beziehung zwischen dem Gradienten der potentiellen Energie und der zweiten Ableitung der Koordinaten der nach der Zeit Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 5 MM 23.09.2013 Integration der Newtonschen Bewegungsgleichung d 2 ri Fi = dt 2 mi dri Fi = t + ci dt mi Differenzialgleichung 2. Ordnung Integration mit vi 0 = ci dri = aí t + vi 0 dt 1 ri = vi 0t + ai t 2 + rí 0 2 vi = dri = vi dt vi Geschwindigkeit des Teilchens i für t=0: Die Integrationskonstante ist die Anfangsgeschwindigkeit Integration für t=0: Die Integrationskonstante ist die Anfangskoordinate Damit kann die Position eines jeden Teilchens aus der Anfangskoordinate, der Anfangsgeschwindigkeit und der Beschleunigung berechnet werden Michael Meyer Molecular Modelling Berechnung einer Trajektorie Benötigt werden Startkoordinaten der Atome ri0 Verteilung der Anfangsgeschwindigkeiten vi0 Beschleunigung ai 1 ri = vi 0t + ai t 2 + rí 0 2 Die Beschleunigung erhält man mit Hilfe des Gradienten der Potenzialenergiefunktion ai = − 1 dU i mi dri Die Bewegungsgleichungen sind im Prinzip deterministisch: Die Startkoordinaten und –geschwindigkeiten bestimmen die Koordinaten und Geschwindigkeiten zu allen anderen Zeitpunkten t Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 6 MM 23.09.2013 Finite Differenzen Üblicherweise werden die Newtonschen Bewegungsgleichungen mit numerische Methoden gelöst Anforderungen an die numerische Integration große Zeitschritte δt kleine Rundungsfehler wenig Rechenaufwand Taylor Entwicklung 1 r (t + δt ) = r (t ) + v(t )δt + a (t )δt 2 + ... 2 1 v(t + δt ) = v(t ) + a (t )δt + b(t )δt 2 + ... 2 a (t + δt ) = a (t ) + b(t )δt + ... Koordinaten Geschwindigkeiten Beschleunigung v 1. Ableitung der Koordinaten nach der Zeit a 2. Ableitung der Koordinaten nach der Zeit Michael Meyer Molecular Modelling Verlet Algorithmus Die neuen Koordinaten r(t+δt) zum Zeitpunkt t+δt werden aus den Koordinaten r(t-δt) zum vorherigen Zeitpunkt t-δt und der aktuellen Beschleunigung a(t) berechnet, v(t) geht nicht direkt ein. 1 r (t + δt ) = r (t ) + v(t )δt + a (t )δt 2 2 1 r (t − δt ) = r (t ) − v(t )δt + a(t )δt 2 2 Koordinaten bei t+δt Koordinaten bei t-δt r (t + δt ) + r (t − δt ) = 2r (t ) + v(t )δt − v(t )δt + a(t )δt 2 Summe r (t + δt ) = 2r (t ) − r (t − δt ) + a(t )δt 2 Umformung Geschwindigkeit v(t ) = [r (t + δt ) − r (t − δt )] / 2δt Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 7 MM 23.09.2013 Parameter und Phasen einer MD-Simulation • Präparierte Startgeometrie aus NMR- oder Röntgenstrukturanalyse, Lösungsmittelmodell (ohne Spannungen zur Vermeidung großer Gradienten) • Temperatur bestimmt Anfangsgeschwindigkeiten der Teilchen und kinetische Energie • Zeitschritt kleiner als die schnellste Bewegung im System (größenordnungsmäßig 1 fs) • Phasen Aufheizen auf Zieltemperatur, Äquilibrierung, Produktionsphase Michael Meyer Molecular Modelling Energie und Temperatur Die Gesamtenergie ist die Summe aus kinetischer und potentieller Energie Etot = Ekin + E pot N 1 Etot = ∑ mi vi2 + U (ri ) i =1 2 In einem isolierten (adiabatischen )System ist die Gesamtenergie konstant. Solche Systeme werden z. B. für Konformationsanalysen verwendet. In einem System mit N Atomen sind die kinetische Energie, die Geschwindigkeit und die Temperatur verknüpft N 1 3 Ekin = ∑ mi vi2 = Nk BT 2 i =1 2 Michael Meyer Moleküldynamik Molecular Modelling 8 MM 23.09.2013 Externes Wärmebad Simulationen bei konstanter Temperatur werden durch Kopplung An ein externes Wärmebad durchgeführt. Bei Abweichungen von Zieltemperatur werden die Geschwindigkeiten mit einem Faktor λ skaliert. λ = 1+ δt T0 − 1 τ T δt Zeitschritt T aktuelle Temperatur T0 Zieltemperatur τ Relaxationszeit λ Skalierungsfaktor für Geschwindigkeiten Michael Meyer Molecular Modelling Analyse von Trajektorien • Mittlere Energie 〈 E〉 = 1 M M ∑E M Anzahl der „Schnappschüsse“ i i =1 • RMS-Differenz zwischen 2 Schnappschüssen A und B RMSD = 1 N N ∑ (r − ri B ) 2 A i N Anzahl der Atome i =1 • RMS-Fluktuation eines einzelne Atoms j RMSF j = 1 M M ∑ (r i, j − ri ,av ) 2 i =1 • Trägheitsradius für einen einzelnen Schnappschuss RG = Michael Meyer Moleküldynamik 1 N N ∑ (r − r ) i S 2 S Schwerpunkt i =1 Molecular Modelling 9 MM 23.09.2013 Zeitabhängige Eigenschaften MD-Simulationen ermöglichen im Gegensatz zu Monte-Carlo Simulationen Analysen von zeitabhängigen Effekten • Kreuzkorrelation Cab = 1 M Cab Korrelation der Parameter a und b während der gesamten Simulation -1 ≤ Cab ≤ 1 M Anzahl der „Schnappschüsse“ M 1 M ∑a b i i i =1 1 a ∑ i =1 M N 2 i = b ∑ i =1 N 2 i 〈 ai bi 〉 〈 ai 〉〈 bi 〉 • Autokorrelation MD-Simulation liefert Daten (z. B. Geschwindigkeiten vi(t)für alle Atome i) zu bestimmten Zeitpunkten t Cvv = 1 N 1 N Michael Meyer Moleküldynamik N ∑ v (t )v (0) i N ∑v 2 i i =1 i i =1 1 (0) N N ∑v 2 i i =1 ( 0) = 〈 vi (t )vi (0)〉 〈 vi (0)〉〈 vi (0) 〉 Cvv Korrelation der Geschwindigkeit zum Zeitpunkt 0 und t N Anzahl der Teilchen Molecular Modelling 10