Mit FS POLARSTERN auf Winterexpedition in die Antarktis

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Peter Lemke
Stephanie von Neuhoff
Der
gefrorene
Ozean
Mit FS P
auf Winterexpedition
olarstern
in die Antarktis
Bildnachweis Umschlag: Titel – Matthias Krüger,
Rückseite – Stefan Hendricks, Mario Hoppmann, SvN
Prolog..................................................................................................................................... 6
Bilder, Karten und Grafiken siehe Bildnachweis S. 240
Kurs 210 Grad – Von Kapstadt aus ins Eis.................................................................. 8
Ein Navigare-Buch mit Unterstützung des Alfred-Wegener-Instituts,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und der Reederei F. Laeisz GmbH
Pfannkucheneis – soweit das Auge reicht................................................................ 32
Gefangen im Eis............................................................................................................... 50
Hilfe, unsere Messfelder brechen auseinander....................................................... 66
Arbeiten auf dem Eis und im Labor........................................................................... 84
Notfall mitten im Weddellmeer...................................................................................110
Zurück ins Eis...................................................................................................................122
Aufbruch in die Heimat................................................................................................ 142
Ein Gesamtverzeichnis der lieferbaren Titel schicken wir Ihnen gerne zu.
Bitte senden Sie eine E-Mail mit Ihrer Adresse an: [email protected]
Sie finden uns auch im Internet unter: www.koehler-books.de
Polarmeere – Wissen kompakt
Einführung – Warum all das?................................................................................................... 160
Das Klima der Erde................................................................................................................. 163
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Polarmeere..............................................................................................................................182
Meereis – »Wolken des Ozeans«.............................................................................................. 202
Eisdrift....................................................................................................................................219
Zukunft der Polarmeere........................................................................................................... 227
ISBN 978-3-7822-1210-6
Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg
© 2014 by Maximilian Verlag, Hamburg
Ein Unternehmen der Tamm Media
Layout und Produktion: Inge Mellenthin
Druck und Bindung: Reálszisztéma Dabas Druckerei AG, Ungarn
Anhang
Forschungsinstitute................................................................................................................ 232
Dank...................................................................................................................................... 236
Bildnachweis......................................................................................................................... 240
Prolog
schneller fließen und mehr Eisberge ins Meer schicken.
Dadurch steigt der Meeresspiegel zusätzlich an. Die
Westantarktis verliert gegenwärtig deutlich mehr Eis
durch Gletscherabflüsse als früher, während der große
Eisschild über der Ostantarktis noch stabil erscheint.
D
er gefrorene Ozean – er ist nur schwer zugänglich,
vor allem im Winter. Das Weddellmeer ist zu dieser
Jahreszeit fast vollständig mit Eis bedeckt, und auch
ein Forschungseisbrecher wie POLARSTERN muss dann
manchmal der Natur Respekt erweisen und still mit
den Eisschollen driften. Eine Winterexpedition
in die Antarktis ist selten und immer eine
besondere Herausforderung, dennoch
brauchen wir gerade aus der stürmischen, eisigen
und dunklen Jahreszeit Daten und Proben, um die
vielfältigen Prozesse in diesem Teil des Weltozeans und
ihre Auswirkungen auf unser Klima besser zu verstehen,
denn die Polarmeere spielen eine Schlüsselrolle im weltweiten Klimageschehen.
6
Das Klima der Erde wird ganz entscheidend vom
Temperaturgegensatz zwischen den Polargebieten und
den Tropen gestaltet, weil diese Temperaturunterschiede die globalen Windsysteme und Ozeanströmungen
steuern. Gegenwärtig ist die Arktis eine der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen. Die Temperaturen steigen doppelt so schnell wie im globalen
Mittel, und das Meereis zieht sich deutlich zurück, mit
drastischen Konsequenzen für das Ökosystem und die
Küstenbewohner am Nordpolarmeer. Auch die Antarktische Halbinsel hat sich stark erwärmt. Als Folge sind
große Schelfeisgebiete zerfallen, sodass einige Gletscher, die diese Schelfeisgebiete gespeist haben, nun
Als ich 1989 das erste Mal in die Antarktis fuhr, war
von diesen Veränderungen noch wenig zu spüren. Ich
hatte als Theoretiker stochastische Energiebilanzmodelle für das Klimasystem entwickelt, Beobachtungen der
Meereisausdehnung analysiert, die Wechselwirkung von
Atmosphäre, Meereis und Ozean untersucht und Modelle für das Wachstum und die Bewegung des Meereises
verbessert. Ich wusste daher einiges über die Rolle, die
das Meereis im Klimasystem spielt. Physikalisch war
das Meereis kein Geheimnis mehr für mich, aber ich
hatte es nie in natura erlebt, hatte nie seine physikalischen Eigenschaften gesehen, gehört oder gefühlt.
Was mich auf der ersten Expedition ins Weddellmeer am
stärksten beeindruckt hat, war die komplexe Struktur
der Meereisdecke: Schollen unterschiedlicher Größe,
Form und Dicke, mit sehr variabler Schneeauflage und
durchzogen von Presseisrücken, die auch die Lebensgeschichte einer jeden Eisscholle dokumentieren. Ich
dachte, so etwas wird man nie in ein Modell packen
können. Ich war überwältigt von der Vielfalt und Schönheit der Natur. Was ich sah und wahrnahm – unsere
Wahrnehmung geht ja immer über das reine Sehen hinaus –, war mehr, als wir je verstehen können. Inzwischen
haben wir auf unseren Expeditionen wichtige Daten
und Proben gewonnen, mit denen wir unsere Modelle
laufend optimiert und das Wissen über die Polarmeere
deutlich erweitert haben.
Für unsere Fahrt 2013 von Kapstadt zum antarktischen Kontinent, dann nach Nordwesten zur Spitze der Antarktischen Halbinsel und weiter Richtung
Punta Arenas, wählten wir eine Route, die wir zuletzt
vor 21 Jahren im antarktischen Winter gefahren sind.
Heftige Schneestürme, schwere Eisfahrt, die Dunkel-
heit der Polarnacht und Temperaturen von bis zu –30 °C
erwarteten uns auf der Südhalbkugel, während bei uns
daheim der schönste Sommer war. 49 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 13 Ländern machten
sich am 8. Juni 2013 gemeinsam mit den 44 Männern
und Frauen der Schiffsbesatzung auf den Weg ins Eis. Es
war keine leichte Fahrt, sie hat aber unsere Erkenntnis
um ein Vielfaches erweitert.
Über neun Wochen waren wir auf der POLARSTERN
unterwegs, um dem gefrorenen Ozean seine Geheimnisse zu entlocken. Dieses Schiff, während unserer Fahrt
unter der versierten Führung von Kapitän Uwe Pahl,
hat uns einmal mehr von seiner Einzigartigkeit, seinen
hervorragenden Eigenschaften auch in dicken und
dicht gepackten Treibeisfeldern sowie seinem ausgesprochen guten Seegangsverhalten im Sturm mehr als
überzeugt. Eine Winterexpedition im Südpolarmeer wird
durch einen Forschungseisbrecher wie POLARSTERN
erst möglich. Auch der aufwendige Geräteeinsatz für
die wissenschaftlichen Arbeiten sowie die Forschung
auf den Eisschollen ist nur im Zusammenspiel mit den
hoch spezialisierten Seeleuten der Reederei F. Laeisz
erfolgreich zu bewältigen.
Mit diesem Buch möchten wir einen Einblick in die
Polarforschung geben, aber auch die Schönheit des gefrorenen Ozeans zeigen. Im Reportageteil des Buches
nehmen wir die Leser mit auf eine der seltenen Winterexpeditionen in die Antarktis. Rückblicke erinnern
an frühere Expeditionen. Wer noch tiefer in das Thema
einsteigen möchte, findet im Wissensteil »Polarmeere –
Wissen kompakt« grundlegende Informationen über das
Klimasystem unseres Planeten und die Rolle, die die
Ozeane darin spielen, insbesondere die Polarmeere.
Peter Lemke
August 2014
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Gefangen im Eis
Wir driften mit der Scholle +++ Kurs Südsüdwest +++
Ein heftiger Schneesturm tobt rund ums Schiff
+++ Die Sicht ist gleich Null +++ Kursänderung +++
Wir kommen nicht weiter nach Süden
A
m Horizont zeichnen sich die Silhouetten einiger Eisberge gegen den orange bis glutrot leuchtenden Himmel ab. Im Gegensatz zum Meereis bestehen Eisberge aus
gefrorenem Süßwasser. Sie waren vor langer Zeit Teil des
antarktischen Eisschildes, das sich als mehrere Hundert
Meter dickes Schelfeis in einigen Buchten weit über den
Ozean schiebt. Am Rand wird dieses Schelfeis instabil,
und in regelmäßigen Abständen lösen sich Tafeleisberge
ab und driften mit Wind und Ozeanströmung nach Norden,
wo sie endgültig schmelzen und Teil des Ozeans werden.
50
Gedränge beim Frühstück. Die zweite zehnstündige
Eisstation beginnt um 8 Uhr. Nebelfelder ziehen an uns
vorüber. Die Hubschrauber müssen im Hangar bleiben.
Kräftiger Wind bei –12 °C. Tiefer Schnee auf der Scholle. Der Gang zu den Messstationen ist mühsam. Die
Schneeoberfläche ist rau und hart, obwohl sie pulv­rig
weich verschneit aussieht. An der Schollenseite, an der
Polarstern festgemacht hat, ist das Eis recht dünn, und
der Schnee lässt sich mit dem Handschuh wegfegen.
Zart schimmert blaues Eis hervor, die feste Haut des
Polarmeeres. Wir berühren sie mit den bloßen Händen –
ein vorsichtiger Kontakt mit dem Eismeer. Die tiefe Ruhe
des gefrorenen Ozeans lässt uns einen Moment innehalten, bevor wir uns von der ausgelassenen Stimmung
und Betriebsamkeit auf Scholle Nr. 2 anstecken lassen.
Noch ahnen wir nicht, dass uns dieses gewaltige Meer
schon bald Einhalt gebieten wird. Alle Arbeitsgruppen
untersuchen verschiedene physikalische, biologische
und chemische Aspekte des Meereises und der Atmosphäre. Außerdem ziehen sie eine große Anzahl von Eiskernen für die spätere Analyse im Labor.
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noch Eis. Es geht nicht mehr weiter, wir stecken fest.
»Südwind wäre jetzt gut, der brächte zwar kalte Luft,
würde aber das Eis auflockern«, sagt Kapitän Uwe Pahl.
Die Maschinen werden heruntergefahren. Wir driften
mit der Scholle, glücklicherweise in die richtige Richtung, Kurs Südsüdwest. »Jetzt mit Gewalt durch dieses kompakte Eisfeld zu brechen würde nur unnötig
viel Treibstoff kosten«, sagt Pahl. Während der Nacht
schaffen wir mit der Drift etwa eine Meile pro Stunde,
manchmal sehr viel weniger. Da könnte man auch zu
Fuß gehen, aber Temperaturen von –20 °C, im eisigen
Wind gefühlt wie –45 °C, laden nicht gerade zu einer
Nachtwanderung ein.
Auf der Eisscholle wird
es stürmisch. Heftiges
Schneetreiben erschwert
die Arbeiten auf dem Eis.
Eine der letzten freien
Wasserrinnen vor uns:
In kürzester Zeit ist dort,
wo gerade noch Wasser
war, nur noch Eis.
Polarstern gefangen
im Eis. Die Maschinen
werden heruntergefahren.
Wir driften durch die
Polarnacht.
Durchhalten:
Die Wissenschaftler
arbeiten auch bei
extremen Minusgraden
im Schneesturm.
Es wird stürmisch, nur mit Mühe können alle Arbeitsgeräte und Proben an Bord gebracht werden. Abends
lädt der Bordelektroniker Werner Dimmler zu einem PinkFloyd-Abend in den Kinosaal. Entspannte Stimmung
unter den Wissenschaftlern, aber besorgte Blicke auf
der Brücke. Nebel und starker Schneefall behindern die
Sicht. Nur das Eisradar bleibt zur Orientierung. Schwere
Eisfahrt steht uns bevor.
Vorwärts, rückwärts, rauf auf die Scholle, krach –
mühsam kämpft sich Polarstern Meter für Meter vor.
Rammfahrt ist nichts für zarte Gemüter. Das Schiff setzt
zurück, nimmt Anlauf und schiebt sich mit seinem mächtigen Bug und voller Wucht auf das Eis. 15.000 Tonnen
Stahl lassen die Scholle zerbersten.
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Auf der zerklüfteten Eislandschaft sehen wir zwei
Krabbenfresserrobben. In einer der letzten kleinen Wasserrinnen vor uns tauchen sie munter unter. Kurze Zeit
später ist dort, wo gerade noch Wasser war, auch nur
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Polarmeere
Wissen kompakt
Einführung – Warum all das?
S
eit Jahrtausenden versucht der Mensch, sich an seine stetig verändernde Umwelt anzupassen. Damit dies gelingt, beobachtet
er die Welt, von seiner näheren Umgebung bis hin zu den Sternen,
zieht aus den Veränderungen seine Schlüsse und entwickelt eine
Vorstellung über das, was kommen mag. Der Blick in die Zukunft hatte
immer einen hohen Stellenwert für die Menschheit. Wer die Zukunft
kennt, hat die besten Chancen zum Überleben, und zu früheren Zeiten verlieh Zukunftswissen immer auch Macht. Das war schon zur
Steinzeit so, und in den ersten Hochkulturen der Menschheit wurden
einfache mathematische Modelle benutzt, um den Lauf der Gestirne zu beschreiben, einen Kalender zu entwickeln und Hochwasser
vorherzusagen.
Heute geht die Wissenschaft ähnlich vor, hat aber im Laufe der Jahrtausende eine Vielfalt von technologischen Sensoren und Messgeräten
entwickelt, die unsere Sinne um ein Vielfaches erweitern. Mit diesen
Messgeräten schauen wir heute von den kleinsten Bausteinen der
Materie bis hin zu den Galaxien im Weltall. Wir beobachten Vorgänge
vom Kleinsten bis zum Größten, definieren Messgrößen, analysieren die
Beobachtungen auf Veränderungen, suchen nach Zusammenhängen,
leiten daraus naturwissenschaftliche Gesetze ab und nutzen diese,
um Modellvorstellungen zu entwickeln und Vorhersagesysteme zu
implementieren.
In der Wetter- und Klimaforschung hat man schon sehr früh entdeckt, dass ein größeres, möglichst globales Beobachtungsnetz nötig
ist, um Vorhersagen für eine bestimmte Region zu machen. Aber erst
160
in der Mitte des 19. Jahrhunderts war es durch die Erfindung des Telegrafen gelungen, die Wetterdaten schneller zu verschicken, als das
Wetter selbst unterwegs war. Heute gehen die Daten Tausender von
Wetterstationen weltweit regelmäßig in ein globales Netzwerk, das
von allen Wetterdiensten genutzt wird.
Ein gutes Beobachtungssystem ist eine Voraussetzung für wissenschaftliche Erkenntnis, und es muss dem zu untersuchenden Objekt
angepasst sein. Für großräumige Klimaphänomene reicht ein grobes
Netz kontinuierlicher Messungen aus, wie z. B. die Wetterstationen
auf den Kontinenten oder die Argo-Drifter im Ozean. Allerdings finden
entscheidende Klimaprozesse in sehr viel kleineren Bereichen statt,
z. B. die Bildung von Pressrücken im Meereis oder die Tiefen- und
Bodenwasserbildung in den Polarmeeren. Will man diese kleinräumigen Prozesse erfassen, ist für einen kurzen Zeitraum in einer bestimmten Region ein Beobachtungsnetz im Bereich weniger Meter
bis Kilometer nötig. Für solche kurzzeitigen, regionalen Messnetze
sind Forschungsexpeditionen wichtig. Während unserer antarktischen
Polarstern-Winterexpedition AWECS (Antarctic Winter Ecosystem
Climate Study) von Mitte Juni bis Mitte August 2013 konnten z. B.
verschiedene regionale Prozesse unter Winterbedingungen in Atmosphäre, Meereis und Ozean untersucht werden. Hierfür wurden Messgeräte auf dem Forschungseisbrecher Polarstern installiert, von der
Meeresoberfläche zum Meeresboden gefiert und wieder nach oben
gehievt, wobei verschiedene Messgrößen (z. B. Temperatur, Salzgehalt,
Sauerstoffgehalt und Trübung) ermittelt und Wasserproben in unterschiedlichen Tiefen entnommen wurden. Ferner konnten Driftbojen
auf Meereisschollen ausgesetzt werden, die Lufttemperatur, Eis- und
Schneedicke sowie die Temperatur des Ozeans unter dem Eis messen
und diese Daten viele Monate lang über Satelliten in die internationalen
Datennetze übertragen.
Bis zur optimalen Klimavorhersage oder Klimaprojektion ist es ein
weiter Weg. Folgende Schritte sind dafür nötig:
1. Aufbau und Unterhalt eines geeigneten Beobachtungssystems
(global und regional für Prozessuntersuchungen)
2. Analyse der Beobachtungen
3. Ermittlung von physikalischen Zusammenhängen und anschließende Modellbildung, insbesondere für die kleinräumigen regionalen
Prozesse.
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