Stahlreport 12/2006 Des Dackels Kern Ein Dackel - genauer: sein ausgeprägtes O-Bein - spielt die Hauptrolle in dem neuesten Rechtsfall und soll helfen, einige klärende Lichtstrahlen in das Dickicht der Sachmängelhaftung zu werfen. Rechtsanwalt Peter Henseler hat den Fall für Sie aufbereitet. Die Eheleute Stahl wollten ihr Privatleben bereichern und erwarben im Juni 2002 von dem erfahrenen Hobbyzüchter Hansen einen zwei Monate alten Rauhaardackelwelpen, nennen wir ihn „Waldi“, zu einem zum Preis von 500 €. Leider entwickelte sich Waldi nicht ganz nach Wunsch; denn im Oktober stellte die Tierärztin bei einer Untersuchung eine Fehlstellung seines rechten Hinterlaufs fest, die zu einer übermäßigen O-Beinigkeit führte. Sie empfahl eine Korrekturosteotomie, mit der an Waldis Schienbein eine Lochplatte mit sechs Schrauben eingesetzt werden sollte. Kosten: ca. 1.000 € plus erforderliche halbjährliche Kontrolluntersuchungen lebenslang à ca. 60 €. Die Stahls forderten Hansen zur Übernahme dieser Kosten auf. Der weigerte sich und meinte, für Waldis genetisch bedingte Mängel nicht einstehen zu müssen; schließlich dackelten dessen Geschwister auf normalen O-Beinen durch die Welt. Hansen bot aber an, den Dackel zurückzunehmen und die 500 € zurückzuzahlen. Das wollten Stahls nicht; denn Waldi war ihnen ans Herz gewachsen. Daraufhin ließen die Stahls ihren Waldi auf eigene Kosten operieren und klagten die Kosten der Operation plus der Folgeuntersuchungen gegen Hansen ein. Mit Erfolg? Zur Antwort auf diese Fragen müssen einige Vorfragen gestellt und beantwortet werden: Erstens: Ist ein Tier eine Sache? Antwort: Nein, aber sie werden rechtlich so behandelt (§ 90 a BGB). Zweitens: Ist das Über-O-Bein ein „Sachmangel“, oder hat sich Waldi dieses Übel erst nach seinem Einzug bei Stahls zugezogen? Denn ein Verkäufer haftet nur für solche Mängel der verkauften Sache, deren Ursache bereits vor Übergabe vorhanden waren. Antwort des gerichtlichen Sachverständigen: Das O-Bein ist genetisch bedingt, also ein Sachmangel. Drittens: In welcher Weise muss Hansen für das O-Bein einstehen? Insbesondere: Muss er – wie von den Stahls gefordert – Waldis Operations- und sonstigen Behandlungskosten übernehmen? Antwort: Einerseits steht im Gesetz (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB), dass der Käufer Anspruch auf Übergabe einer mangelfreien Sache, hier also eines gesunden Dackels, hat und dass ihn Mängel (auch) zum Schadensersatz berechtigen. Andererseits schränkt dasselbe Gesetz die Verkäuferhaftung ein, indem in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB die Haftung des Verkäufers auf Schadensersatz an dessen „Vertretenmüssen“ knüpft, also im Grundsatz an sein Verschulden. Viertens daher: Trifft Hansen an Waldis O-Bein ein Verschulden, kann er – unjuristisch – etwas dafür? In dieser Frage liegt des Dackels Kern. Das Landgericht Oldenburg meint: Ja. Ein Züchter hat für eventuelle genetische Mängel eines Hundes einzustehen. Anders dagegen der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Revisionsentscheidung vom 22. Juni 2005 (Az. VIII ZR 281/04): Das O-Bein beruhe „auf einem schon durch die Zeugung vorgebenen Defekt der spezifischen, für die Knochenentwicklung maßgeblichen Anlagen des Hundes.“ Diese Feststellung lässt für einen Vorwurf der Fahrlässigkeit keinen Raum. Auch spricht nichts dafür, dass Hansen den Defekt des Dackels bei dessen Übergabe an die Stahls kannte oder hätte kennen müssen. Fünftens stellt sich zum Schluss die Frage, ob denn Hansen nicht zumindest deswegen haftet, weil er sich geweigert hatte, Waldi operieren zu lassen bzw. die Kosten hierfür zu übernehmen, war er doch aus Rechtsgründen (§ 437 BGB) gehalten, den Mangel im Wege der „Nacherfüllung“ (§ 439 BGB) zu beheben? Antwort: Ja – aber nur dann, wenn der Mangel tatsächlich behebbar war, und das war er nicht. Die Lochplatte am Schienbein minderte zwar des Dackels Leid, machte ihn aber nicht „mangelfrei“. Im übrigen sprengten die Kosten der Operation und notwendigen Nachbehandlungen die Grenzen der Zumutbarkeit, die laut § 439 Abs. 2 Satz 1 BGB („Der Verkäufer kann die … Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.“) überzogenen Begehren des Käufers entgegenstehen. Meinte der BGH und wies die Klage ab. Was Sie wissen sollten: Die Schuldrechtsreform 2002 hat die Rechte des Käufers bei Lieferung mangelhafter Ware verstärkt, aber nicht grenzenlos. Erhält er z.B. ein Grobblech mit (unzulässigen) Einschlüssen, kann er nicht auf dessen Reparatur ( = Beseitigung der Einschlüsse) bestehen, sondern muss sich auf sein Recht auf Rücktritt (früher: Wandlung) oder Minderung ver- weisen lassen. Schadensersatz – sei es wegen der Einschlüsse selbst oder wegen etwaiger Folgekosten – kann er im Grundsatz nur verlangen, wenn der Lieferant im Hinblick auf den Mangel zumindest fahrlässig gehandelt hat oder wenn er das berechtigte Verlangen seines Kunden auf Nacherfüllung (Reparatur bzw. Ersatzlieferung) unbeachtet gelassen hat.