Urlaubsgrüße aus Block 2 - binzprora

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Prora auf Rügen: Urlaubsgrüße aus Block 2
Prora auf Rügen
Urlaubsgrüße aus Block 2
Gemütlichkeit und German Angst: Achtzig Jahre später, als von Hitler geplant,
wird Prora auf Rügen zur Ferienimmobilie und funktioniert überraschend
unbeschwert
09.02.2016, von ANDREAS LESTI
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Veröffentlicht: 09.02.2016, 16:07 Uhr
© ANDREAS LESTI
Ein Koloss im Wandel: In Block 2 kann man von den Balkonen der Ferienwohnungen auf die Ostsee
blicken. Währenddessen wird in Block 1 noch gebaut.
A
n diesem kalten und trockenen Morgen reicht der Blick von der Seebrücke in Binz bis hinüber
zum Fährhafen und nach Sassnitz. Zwischen Wald und Meer zieht sich der Sandstrand
kilometerweit wie eine Sichel durch die Prorer Wiek. Die Ostsee liegt still da, die Luft ist klar. Aber
trotzdem muss man genau hinschauen, um den „Koloss von Rügen“, der sich hinter den Föhren
versteckt, zu erkennen. In der Mitte der Bucht ragen noch die Kaimauern ins Wasser, ein paar
Baukräne lugen über die Bäume hinweg. Das Strandbad Prora, 4,5 Kilometer lang, von Hitler
geplant, Baubeginn 1936, Baustopp 1939, ein größenwahnsinniger Nazi-Erholungsort, das nie in
Betrieb genommene „Kraft-durch-Freude-Seebad der 20 000“.
Autor: Andreas Lesti, Freier Autor im
Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung in Berlin.
Folgen:
Heute kann man im Block 2 in Ferienwohnungen
übernachten, und in drei Monaten eröffnet ein Hotel;
Block 1 wird zur „Wohlfühloase“ ausgebaut, wie das
Werbebanner verspricht, und in Block 5 befindet sich
eine Jugendherberge. Achtzig Jahre nach dem Spatenstich findet diese monströse Ferienimmobilie
also zu ihrer ursprünglichen Bestimmung.
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Prora auf Rügen: Urlaubsgrüße aus Block 2 - Reise - FAZ
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Prora - das hat noch immer einen besonderen Klang, ist historisch aufgeladen, und seine
Dimensionen muten weiterhin aberwitzig an. 500 Meter lang ist jeder einzelne der sieben Blöcke,
jeder hat zehn Aufgänge, die in Block 1 und 2 zu 280 Wohnungen führen. In der Gesamtplanung
sind derzeit 3000 Betten vorgesehen. Möchte man das alles erkunden und auch die zerfallenen
Ruinenblöcke 6 und 7 bewundern, dann sollte man diese 15 Kilometer lange
Hausbesichtigungsrunde am besten mit dem Rad abfahren. Zumal auch der Tourismusverband
rät: „Erfahren Sie Deutschlands größte Insel mit dem Fahrrad und lernen Sie ihre faszinierenden
Landschaften auf zwei Rädern kennen.“
Die Ferienwohnungen heißen „Pearl“, „Prince“ und „Amber“
Die Fahrt führt zunächst am Strand von Binz nach Norden. Rechts: Strandkörbe, Fischbuden,
Möwen. Links: Bäderarchitektur, Hotels, Reetdächer. Dann endet die Promenade des mondänen
Binz, der Radweg biegt nach links ab. Ab Mai wird die Promenade noch 890 Meter weiter führen,
bis zum Block 1, und dann wird man gemütlich von Binz aus hinüberflanieren können. Noch führt
nur ein sandiger Pfad weiter am Meer entlang, und nach ein paar holprigen Minuten auf Sand,
Dünengras und Wurzelwerk rollt man auf Block 1 zu - ein graubraunes Gerippe, mit Baugerüsten
und Löchern statt Fenstern, die flache Fassade weist Richtung Meer, während die zehn
Querbauten ins Land greifen. „Außen Baudenkmal - innen komplett neu erfunden“, steht auf
einem Banner. Und: „Hier entsteht das neue Flaggschiff von Prora.“
Karsten Schneider ist der Bürgermeister von Binz und auch für den Stadtteil Prora zuständig. Wir
haben ihn gestern Nachmittag im Rathaus getroffen. Schneider ist ein Hüne, kräftig, zwei Meter
groß, Bassstimme. „Wir entwickeln hier etwas, was vom Volumen so groß ist wie wir selbst“, hat er
gesagt. „Stellen Sie sich vor, man würde vor den Toren Hamburgs ein zweites Hamburg bauen. Das
ist deutschlandweit“, Schneider zögert kurz, „europaweit“, er zögert wieder „weltweit einzigartig.“
Das hieße aber auch, dass man in Prora nicht nur eine Ferienwelt entwickle, sondern einen
„funktionierenden Stadtteil“. Dass man über ein zweites Zentrum nachdenke, eine zweite
Seebrücke, eine Marina. Fünf bis acht Jahre werde das seiner Meinung nach dauern. Dass da eine
Konkurrenz für Binz heranwachse, glaubt der Bürgermeister nicht, auch wenn er eingestehen
muss, dass die Lage von Prora noch besser ist als die von Binz. „Das ist einer der schönsten Plätze
auf Rügen.“ Aber: „Binz ist anders, mondän, nobel und alt. Prora ist modern, gigantisch und neu.
Wer jung ist, will nach Prora, später hat man es gerne etwa ruhiger und geht nach Binz.“ Der Name
Prora, da ist sich Schneider sicher, werde neben Binz und Rügen bald internationale Bedeutung
bekommen.
Nach Block 1 muss man mit dem Rad auf die Westseite
des Komplexes wechseln, um dann an Block 2 entlang
weiterzufahren. Hier bekommen Besucher eine
Vorstellung davon, wie das alles einmal aussehen wird.
Sie müssen nur die schwenkenden Baukräne, das
Piepsen der rangierenden Bagger und das Kreischen
der Kreissägen ausblenden. Die weißen Fassaden
© DPA
Das ganze Ausmaß der Anlage auf Rügen
verdeutlicht erst die Vogelperspektive.
strahlen im Licht, die Fenster reflektieren, vor einem
Café sitzen Leute. 48 Ferienwohnungen sind bereits
fertig und werden das ganze Jahr über vermietet. Sie
haben Namen wie „Pearl“, „Prince“ und „Amber“. Es gibt zehn verschiedene Kategorien, die
zwischen 30 und 300 Quadratmeter groß sind.
„Das Gebäude hat sich heldenhaft dem Untergang verweigert“
Hier haben wir gestern Mittag Ernst Ulrich Busch getroffen, einen Mann im dunkelblauen Anzug
und mit Lesebrille am gestreiften Hemd. Er ist der Eigentümer von Block 2. Nach der
Wiedervereinigung hatte zunächst die Bundeswehr Prora als Militärstandort übernommen, später
hat das Bundesvermögensamt die Immobilie verkauft. Immobilieninvestor Busch hat 2006 Block 1
und 2 vom Bund für 455 000 Euro ersteigert. Block 1 hat er später weiterverkauft.
„Das ist Prora, und das wird immer Prora bleiben“, sagte er. „Die Geschichte des Gebäudes werden
wir nie wegkriegen, das wollen wir auch gar nicht.“ Vielmehr wolle man sie weiterschreiben und
nach der Nazi- und DDR-Zeit in eine sinnvolle, humanistische Nutzung wenden. Einerseits wolle
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man die Vergangenheit nicht verleugnen und werde auch an verschiedenen Stellen im Gebäude
darauf hinweisen, was hier früher einmal war. Andererseits passen die Düsternis und der
Kasernencharakter nicht in die Ferienwelt. „Wir wollen Prora runterreduzieren auf kleine,
individuelle Einheiten“, sagte Busch. Wir sind durch die Lobby des Hotels gegangen, wo Arbeiter
Zementsäcke schleppten und der Staub in der Luft hing. „Hier werden im Sommer die Leute
ankommen, und hier werden freundliche Rezeptionistinnen stehen“, erklärte Busch und deutete
auf die entsprechenen Stellen. Wir gingen durch das Treppenhaus nach oben. „Die Substanz ist
sensationell, dafür, dass das Gebäude so lange leerstand. Das Gebäude hat sich heldenhaft dem
Untergang verweigert. Es hat nicht aufgegeben und wollte nicht sterben.“ Es klang, als spräche
Busch über einen alten Bekannten, der eine Krankheit überstanden hat.
Hitler wollte fünf dieser Ferienbunker entlang der
Ostsee bauen lassen, um die Deutschen mental und
physisch fit zu machen, die „Nerven des Volkes“, so
formulierten es NS-Funktionäre, sollten hier für den
nächsten Krieg gestärkt werden. Was ist heute mit dem
Bösen, das durch Proras Vergangenheit mitschwingt?
„Einen bösen Geist sehe ich nicht“, sagte Busch,
© ANDREAS LESTI
Ruinenblock 7, am nördlichen Ende der
Anlage: Hier erinnert Prora mehr an eine
versunkene Kultstätte als an die Zukunft des
Ostseetourismus.
„zumindest ist er mir noch nie begegnet.“ Wir sind
mittlerweile im fünften Stock in einer der fertigen
Ferienwohnungen. Sie ist schlicht und modern
eingerichtet, mit einer Küche, Bad und zwei
Schlafzimmern. Durch die großen Scheiben und die
gläsernen Balkonballustraden fällt das Licht. Die Höhe reicht gerade so, dass man auch von der
Couch aus über die Baumwipfel aufs Meer sieht.
Mit dem Rad geht es weiter entlang der Westseite von Block 3. Sie gleicht einem Freizeitpark:
Schulklassen trotten zum NVA-Museum, in einer Bude werden Döner und Currywurst verkauft,
weiter vorne, im ehemaligen Empfangsgebäude, befindet sich das Dokumentationszentrum Prora,
das in der Ausstellung „MachtUrlaub“ über die Vergangenheit aufklärt. Daneben ist die Diskothek
„M3 Miami“, gegenüber ein Hochseilgarten. Mit dem Rad fährt man nun einmal um das Zentrum
der symmetrischen Anlage herum, wo eine Festhalle geplant war und an dem sich anschließenden
Hafen die Schiffe der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ anlegen sollten. Das alles ist nie
passiert, 1939 begann der Krieg, das KdF-Bad wurde nie genutzt.
Auch in Block 4 wird gebaut, Estrich-Beton-Säcke stapeln sich an der Südseite, Tieflader
rangieren, auf dem Gerüst turnen Bauarbeiter auf und ab. Das Nordende dagegen wirkt wie ein
Neubaugebiet einer Kleinstadt, aufgeräumt, hinter einer Schranke parken Kombis. Hier leben
Familien in Eigentumswohnungen und Senioren in einer Residenz. Karl-Heinz Olschewski hat von
1981 bis 1989 als Lehrer der „Offiziershochschule Prora“ in Block 4 gearbeitet. Heute sitzt er für
die Linke im Gemeinderat von Binz. Wir sind gestern Nachmittag mit ihm durch seine Heimat
gefahren, den Ortsteil Prora, den es ja neben allen Immobilienprojekten auch noch gibt. Wir
fuhren auf der Poststraße Richtung „Zentrum“, wenn man das so nennen kann - vorbei an der
alten, verfallenen Schule, wo ein anderer Investor, Jürgen Breuer, so ist erst vor kurzem bekannt
geworden, einen 104 Meter hohen Turm mit 27 Stockwerken bauen will. Es herrscht
Goldgräberstimmung in Prora und plötzlich scheint auch die zweitbeste Lage, also hinter dem
Betonriegel am Strand, attraktiv zu sein. „Das sind unheimlich spannende Zeiten“, sagte
Olschewski. Noch sind das jedoch alles nur große Pläne, der Goldfund eine Hoffnung. Zur Realität
gehören Gaststätte und Ferienapartments namens „By Alexander“, „Zur Alten Post“ und „Leifs
Pizza“, Handwerksbetriebe, das Eisenbahn- und Technikmuseum sowie die beiden Wohngebiete
mit ihren kleinen gelben Häusern an der Süd- und an der Nordstraße. „Ich freue mich, dass das
alles wieder entsteht“, sagte Olschewski.
Wie eine versunkene Maya-Kultstätte
Der Wind trägt uns weiter zu Block 5. Hier wechseln sich Alt und Neu, Braun und Weiß ab. Einem
sanierten Gebäudeteil folgt ein historisch belassener. Strahlende Fassaden, dann wieder
zerbrochene Fenster und bröckelnde Mauern. Auf einem großen Plakat steht in riesigen Lettern
„SALE“, darunter „Gemuetlichkeit“ und „German Angst“. Am nördlichen Ausläufer befindet sich
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seit Juli 2011 die Jugendherberge; 400 Betten, und viele sagen, dass das der Startschuss zur
Wiederbelebung Proras war. „Das war der Beweis“, sagte auch Bürgermeister Schneider, „dass
man mit der Ruine etwas machen kann.“ Und Karl-Heinz Olschewski meinte: „Mit dem ersten
Kran vor der Jugendherberge ist mein Optimismus gekommen.“
Ein paar hundert Meter hinter der Jugendherberge endete die Zivilisation. Der Radweg führt an
den Ruinen von Block 6 und 7 vorbei. Plötzlich fühlt sich Prora an, als stieße man in einem
mittelamerikanischen Regenwald auf eine versunkenen Maya-Kultstätte, deren Existenz die
Menschheit vergessen hat. Die Blöcke stehen hier im Dickicht, ganze Querflügel sind
eingebrochen, die Trümmer bewachsen. Sogar auf den Dächern haben junge Kiefern einen Platz
zum Gedeihen gefunden. Es ist, als liefe Prora hier aus, um sich mit dem Sand und der
Dünenvegetation zu vereinen und irgendwann darin zu verschwinden. Block 6 und 7 gehören seit
Jahren einem Liechtensteiner Konsortium, das nicht auf Anfragen reagiert und dessen Pläne
keiner kennt. Vor Block 6 steht ein älteres Ehepaar. Er hält konzentriert eine Fernsteuerung in den
Händen, sie blickt gebannt auf ein Smartphone, sagt: „Weiter links. Tiefer. Jetzt ein bisschen nach
rechts.“ Sie haben vor ein paar Minuten eine Foto-Drohne in die Luft geschickt, die gerade über
der Ruine schwebt und Livebilder ans Smartphone schickt. Auf dem Display sieht man die
bewachsenen Dächer von oben, dahinter den Strand und das Meer. Die Vogelperspektive hilft,
Prora zu begreifen.
Am Abend dieses Tages sind wir wieder am Block 2, weil wir in einer der Ferienwohnungen
übernachten werden. Es ist so kühl wie am Morgen, die Baustellenfahrzeuge sind verstummt, die
Bagger stehen still, das Café hat zu, der Showroom im Baucontainer auch. Die teuren Autos mit
Berliner Kennzeichen sind mit ihren Immobilieninteressenten wieder verschwunden. Die Sonne
geht unter, und der Wind legt sich.
Nur die Ostsee rauscht beständig und beruhigend. Der Mond
© F.A.Z.
zieht auf, und hinter den Föhren beginnt das Wasser zu glitzern. Als wäre hier nie etwas Falsches
passiert.
Der Weg nach Prora
Anreise Mit dem Auto über die A20 und B96 bis Stralsund, dann über die kostenfreie Brücke
nach Bergen, Binz und Prora. Oder per Bahn bis Prora-Ost (Regionalexpress); es gibt auch einige
ICE/IC-Verbindungen bis Bergen und Binz.
Übernachten Über Novasol kann man in Block 2 bereits 43 Ferienwohnungen buchen. Die
Preise pro Woche reichen je nach Wohnung und Saison von 435 bis 1195 Euro. Reservierung
unter Telefon 0 40/6 88 71 51 82. Mehr unter www.novasol.de. Unter dem Namen „Prora
Solitaire - Das Hotel“ folgen im Mai Lobby und Restaurant, der Spa-Bereich wird im September
fertiggestellt.
Weitere Informationen unter www.ruegen.de
Quelle: F.A.S.
http://www.faz.net/aktuell/reise/prora-auf-ruegen-urlaubsgruesse-aus-block-2-14056288.html
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