Papiliochromis altispinosa: Ein ,,missing link" in der Evolution der Maulbrutpflege? Dr. Wolfgang Staeck Der in der Uberschrift verwendete, aus dem Englischen entlehnte Begrilf missing link ist ein in der Abstammungslehre und Evolutionstheorie häufig benutzter Fachausdruck, der eine fehlende Ubergangsform in einer Evolutionsreihe oder in einem Stammbaum bezeichnet. Meist bezieht er sich auf anatomische oder morphologische Merkmale; er kann aber genausogut verwendet werden, wenn es darum geht, die Entwicklung von Verhaltensweisen oder Verhaltensmustern im Laufe der Stammesgeschichte zu er1äutern. Die Vertreter der verschiedenen biologischen Teildisziplinen stimmen heute ausnahmslos in der Ansicht überein, daß die maulbrütenden Buntbarsche von substratbrütenden Vorfahren abstammen. Innerhalb der Cichliden mit einer Maulbrutpflege unterscheidet man die beiden ethologischen Gruppen der ovophilen und der larvophilen Maulbrüter (M. PETERS & S. BERNS, 1978). Ovophile Arten nehmen bereits den Laich in ihre Mundhöh1e auf, um ihn dort zu erbrüten. Larvophile Maulbrüter lassen dagegen anfangs das Gelege nach Art der Offenbrüter noch auldem Laichsubstrat. Sie beginnen mit der Maulbrutpflege erst zu dem Zeitpunkt, wenn die Larven aus den Eiern schlüpfen. Die alrikanischen Maulbrüter zählen beinahe ausschließlich zu den ,,eiliebenden" Arten, während,,larvenliebende" in der Ge op hagus - rrld A e quidens-Verwandtschaft häuhger auftreten. PETERS & BERNS (1982) nehmen an, daß die Evolution der larvophilen Maulbrutpflege von der sogenannten Huderphase ausgegangen ist, das heißt dem Zeitraum, in dem bei den Substratbrütern die schlüpfende Brut von den Eltern in der Mundhöhle zu Versteckplätzen gebracht wird, wo sie dann weiter betreut (,,gehudert") wird. Die Entwicklung der Maulbrutpflege hat damit begonnen, daß die Larven, statt in Versteckplätzen abgelegt zu werden, von den Eltern Iiir eine gewisse Zeit in der Mundhöhle zurückbehalten wurden. Im Laufe der Evolution ist die Maulbrutphase dann immer weiter verlängert worden und ihr Beginn unmittelbar mit dem Schlupftermin der Larven zusammengefallen. Dieses von PETERS & BERNS beschriebene hypothetische Verhaltensmuster, das a1s Ubergangsform zwischen dem Substratbrüten und dem Maulbrüten am Beginn der Evolution der larvophilen Maulbrutpflege gestanden hat, für dessen Existenz sich aber unter den rezenten Cichliden bisher keine direkten und eindeutigen Belege fanden, iäßt sich bei Papiliochromis alti.spinosa sehr gut beobachten. DCG-Info 18(6) 1987: 115-117 115 Adultes Männchen Yon Papilio- chromis altispinosa Dasselbe Männchen im Balz- kleid trin Exemplar von P. altispinosa bei der,,Maulbrutpflege" Fotos: Staeck 116 DCG-Info 18(6) 1987: 115-117 Auf den ersten Blick scheint der Bolivianische Schmetterlingsbuntbarsch ein typischer Substratbrüter zu sein. Nach einer längeren, ungelähr einwöchigen Balzphase, während der das Männchen anfangs deutlich aktiver ist, wird das Gelege auf einer lesten Unterlage - bei mir stets ein rundlicher Stein - befestigt. Dort bleiben die Eier bis zum Schlüpfen der Larven, was bei einer Wassertemperatur von 27 Grad Celsius etwa 60, bei 25 Grad dagegen rund 72 Stunden dauert. Während dieser,,Fächelphase" wird die Brut hauptsächlich vom Weibchen gepflegt. Das Laichsubstrat ist weiträumig von zwei bis lünf etwa walnußgroßen Gruben umgeben, die ungefiihr den Durchmesser einer Fünl-Mark-Münze besitzen und von den Elternfischen in der Balzphase angelegt werden. Während der knapp einwöchigen Huderphase werden die Larven in diesen bereits vorhandenen sowie weiteren, neu ausgehobenen ,,Nestern" versteckt. Dieses Brutpflegeverhalten entspricht voll und ganz dem von vielen Substratbrütern. Bemerkenswert ist allenfalls, daß die Eltern die Brut ungewöhnlich oft umbetten. Nach meinen Beobachtungen geschieht es pro Tag mindestens zweimal, häufig aber auch bis zu vier- oder fünfma1, daß Männchen und Weibchen die Larven mit dem Maul in eine andere Grube transportieren. Die Besonderheit am Brutpflegeverhalten von Papiliochromis altispinosa besteht darin, daß beide Elternhsche bei vermeintlicher Gefahr sofort damit beginnen, die in einer Grube abgelegten Larven in das Maul aufzunehmen und dann einige Zeit lang nach Art von Maulbrütern mit der in der Mundhöhle befindlichen Brut umherschwimmen. Dieselbe Beobachtung wird auch von LINKE (1987) kurz erwähnt. Die Elterntiere zeigten dieses Verhalten regelmäßig, wenn ich mit dem Fotoapparat vor dem Aquarium auftauchte. Olt genügte aber bereits ein näheres Herantreten an die Frontscheibe des Behälters, um diese Reaktion auszulösen. Die Länge dieser Maulbrutpflege hängt von der Dauer und Intensität der Störung ab. Sie betrug nach meinen Beobachtungen im Extremfall bis zu zehn Minuten. Meist beruhigten sich die Fische aber weit schneller. Nach einer Phase des gemeinsamen Umherschwimmens einigten sie sich immer auf eine Grube im hinteren, schlecht einzusehenden Teil des Aquariums und spuckten dort die Larven wieder aus. Literatur: Linke, H Peters, M, und S Berns (1978): Uber die Vorgeschichle der maulbrütenden Cichliden: (1987): Es ist gelungen: Die Vermehrung von Papiliochromis altispinosa Aquarium Heute 5 (1): 12 - 14 II. Zwei Typen von Maulbrütern - Die Maulbrulpflege der Cichliden: Untersuchungen zur Eyolution (1982): Staeck, @ Aquarien Magazin 12 (.7): 324 - 331 eines Verhaltensmusters Z. I. zool. Sys1. u. Erolutioos[orschung 20 (1): 18 - 52 W (1987): r.o-rrfo Der Bol jvian jsche Schmetterliogsbunlbarsch Pap iliochromis altispinosa (Haseman, 1911): Erste Erfahrungen mit der Pflege und Zucht des Bolivianischen Schmetterlingsbuntbarsches Tl 22 (Nr 79): 5 - 7 18(6) 1e87: 115-117 tt'7