Iss nicht, was auf den Boden gefallen ist!

Werbung
Iss nicht, was auf den
Boden gefallen ist!
Soll unsere Umwelt steril sein, damit wir
vom Boden essen können?
Über Sinn und Unsinn einer „sterilen“ Welt
und mögliche Auswirkungen auf den Alltag.
©Katia Boggian, Departement Innere Medizin, Fachbereich Infektiologie/Spitalhygiene
Wie halten Sie es mit der
Sauberkeit in Ihrer Praxis
1. Desinfizieren immer möglichst alles
2. Desinfizieren nur Spielsachen,
Arbeitsflächen und Flächen mit
Patientenkontakt, aber den Boden nicht
3. Desinfizieren nur Arbeitsflächen und
Flächen mit Patientenhautkontakt
4. Reinigen die Praxis einmal pro Woche,
desinfizieren nur Arbeitsflächen und den
Boden
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Geschichtlicher Hintergrund
Iss nicht, was auf den Boden gefallen ist!
• Stammt vermutlich aus Antike
• Im Mittelalter sicher empfehlenswert
• Hygienische Verhältnisse bis Ende 19.
Jahrhundert sehr rudimentär
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Miasma Theorie
• Hippokrates (460-375 v Chr):
Begründer der Lehre von den Miasmen
• Μίασμα (Miasma)= übler Dunst,
Verunreinigung
– Krankheiten werden durch giftige Ausdünstungen
des Bodens über die Luft fortgetragen und
verbreiten sich so.
Miasma-Theorie
Miasma-Theorie hält sich bis ins späte 19. Jh
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Cholera-Epidemien
Erstmaliges Auftreten
vermutlich in Bengalen
im Delta zwischen
Brahmaputra und
Ganges
(Bereits in Sanskritschriften
400 v.Chr beschrieben)
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Ausbreitung Cholera
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Cholera-Epidemien
• 1831 erreicht die Cholera-Epidemie
England
• Auf Grund der Miasma-Theorie
(Bodentheorie) wird es als „public
health“ Aufgabe angesehen die
stinkenden Orte zu eliminieren!
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Cholera-Epidemien
Abwässer-Kanäle werden in die
Themse abgeleitet!
• Folglich: Ausbreitung der Cholera mit
Trinkwasser
• 1831-32:
22‘000 Tote
• 1848-49:
52‘000 Tote
• 1853-54:
14‘000 Tote Warum dieser Einbruch?
John Snow‘s Arbeit
•
•
•
•
•
Erfassen der Fälle
Gemeinsamkeiten aufspüren
Analyse der Resultate
Rückschlüsse ziehen
Handeln
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Stadtteil von
London 1853
von
Dr. John Snow
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Anfänge der Mikrobiologie
• 1883 Robert Koch
entdeckt CholeraBakterium im
Wasser
• Miasma-Theorie hält
sich trotzdem
weiterhin
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Mythen ?
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Kindbettsterblichkeit im Wiener
Krankenhaus, Ignaz Semmelweiss
Loudin I. Death in Childbirth. Oxford Press, 1992
Fortschritte brauchen Zeit
• 1847 Ignaz Semmelweis: Händehygiene
• 1853 Snow: Cholera durch Wasser
übertragen
• Robert Koch entdeckt Bakterium als
Verursacher der Cholera (1883)
• gemäss
Ein
neuer Schopenhauer
Gedanke wird :zuerst verlacht,
dann bekämpft, bis er nach längerer Zeit
als selbst-verständlich gilt!
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Cholera in Hamburg 1892
Interaktiv
Max „von“ Pettenkofer:
seit 1883 „von“
1865 erster deutscher
Ordinarius für Hygiene
an der Uni München
Interaktiv
Was macht Max Pettenkofer mit der Mitteilung
von Robert Koch?
1. Saniert die Abwassersituation
2. Lässt von Österreich Wasser nach München
bringen
3. Gibt den Befehl nur noch Wein als Getränk
zuzulassen
4. Lacht Koch öffentlich aus, und trinkt eine
Bakterienkultur
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Interaktiv
• Er trinkt 1892 eine Kultur der Bakterien,
von welchen Koch behauptet sie lösen
Cholera aus:
»Selbst wenn ich mich täuschte und der Versuch
lebensgefährlich wäre, würde ich dem Tode ruhig ins Auge
sehen, denn es wäre kein leichtsinniger oder feiger
Selbstmord; ich stürbe im Dienste der Wissenschaft, wie
ein Soldat auf dem Felde der Ehre.«
• Er hatte Glück, hatte nur massive Diarrhoe
entwickelt.
Abnahme der Infektionen
• Durch Verständnis der Übertragung
– Vermehrte Hygiene
• Abwassersanierungen
• Insgesamt verbesserte Hygiene
– Vorbeugende Massnahmen
• Isolationen
• Impfungen
• Entdeckung der Antibiotika
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Sir McFarlane Burnet
Nobelpreisträger für Medizin 1960
Natural history of infectious diseases, Cambridge Press 1962
1. Er behauptet alle Krankheiten seien infektiös
2. Er mahnt schon damals vor der Resistenzentwicklung
3. Er sagt, die Infektionskrankheiten werden bald
ausgerottet sein
4. Er ist weitsichtig und verlangt damals schon die
Einführung von Infektiologen
Sir McFarlane Burnet
Nobelpreisträger für Medizin 1960
Die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wird mit
einer der wichtigsten sozialen Revolutionen in die
Geschichte eingehen, nämlich mit der virtuellen
Elimination der Infektionskrankheiten.
Natural history of infectious diseases, Cambridge Press 1962
Antibiotika- Geschichte
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Zeitgeist der 60iger
• Immer alles sauber
• Noch sauberer
• Und noch sauberer
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Letzte Jahre
• Presse und Werbung:Fiese Bakterien lauern im
Bad in der Küche und sogar in der Kleidung auf wehrlose Opfer
• Übertriebene Hygieneansprüche
• Angstmacherei mit Super Bugs
• Flut von antibakteriellen Reinigern,
Zahncremes und Kosmetika, sowie
auch zunehmend Anti-Mief-Textilien.
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
„Healthy skin demands proper
cleansing, however most soap
products on the market today
contain harsh chemicals which
strip away the skin's natural
protective oils.
No other product combines natural
anti-bacterial properties with skin
rejuvenators like
Oxyrich Antibacterial Soap does.“
„Fast acting
antibacterial soap
with Triclosan
kills bacteria on contact,
removing 97% of
contaminating bacteria ...“
Antibakterieller
Staubwedel
Antibakterielle
Putztücher
Antibakterieller Spiegel
Antibakterielle Textilien
End Use: Shirts/Tops, Shorts,
Pants, Sweaters, Outerwear,
Socks, Underwear,Thermal
Underwear, Gloves, Hats,
Scarves, and Sleeping Bags.
Combine antibacterial action
with the performance advantages
of acrylic fiber.
Antibakterielle Textilien
Biofresh™
is the only antibacterial
acrylic fiber manufactured
in the United States.
The active ingredient in
Biofresh is triclosan
antibacterial agent which
inhibits the growth of a
broad spectrum of bacteria,
fungi and yeast.
Sterile Umwelt
Was ist der Preis dafür?
Interaktiv Folgen der Hygiene
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Zunahme Resistenzen in Bakterienwelt
Zunahme Allergien
Zunahme Typ I Diabetes
Zunahme Auto-Immunerkrankungen
Alle Antworten
Nur 1 und 2 korrekt
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Zunahme der Resistenzen
• Antibiotika Gebrauch in der
Landwirtschaft
• Antibiotika in der Humanmedizin
• Antibakterielle Mittel in Alltagsgegenstände
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Triclosan Resistenzen
MRSA nach 1 h Triclosan Exposition
Keine Small Colony Variants sichtbar
MRSA nach 72 h Triclosan Exposition
Praktisch nur noch Small Colony Variants
Bayston et al ; JAC 2007
Triclosan Kreuz-Resistenz
Induktion von Kreuzsresistenzen durch Triclosan bei verschiedenen Pseudomonas-Stämmen
Chuanchuen et al; AAC 2001
Triclosan Resistenz
248 Haushalte, die Hälfte benutzt für ein Jahr antibakterielle Alltagsmittel
Aiello et al; EID 2005;11;1565
Hygiene Folgen
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Interaktiv Folgen der Hygiene
1.
2.
3.
4.
Zunahme Resistenzen in Bakterienwelt
Zunahme Allergien
Zunahme Typ I Diabetes
Zunahme Auto-immunerkrankungen
The Hygiene Hypothesis
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Exkurs: Immunsystem
Th2
IL-4
IL-5
IL-10
Th1
IL-2
IL-12
IFN-gamma
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Exkurs: Immunsystem
Th-1
Th-2
TH 1
TH2
AUTOIMMUNERKRANKUNGEN
ALLERGIEN
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Autoimmunität
Extracelluläre
Infektionen
Th-17
Autoimmunität
Intracelluläre
Infektionen
Parasiten
Th-1
Th-2
T-reg
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Allergien
und
Atopien
NEJM 2002; 347:911
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Zunahme der Allergien
35
Asthma-Prävalenz in verschiedenen Ländern
30
25
Finland
Prozent
Sweden
20
Japan
Scotland
UK
15
USA
New Zealand
Australia
10
5
0
1966
1989
1979
1991
1982
1992
1982
1992
1989
1994
1982
1992
1975
1989
1982
Holgate S et al; 2004 JRSM 2004;97:103
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
1992
Befragung CH: ärztliche Behandlung
für chronische Krankheiten (2007)
18
16
14
12
10
8
6
4
2
Total
Männer
Frauen
0
Dreck ist gesund
35
30
25
Asthma
20
15
> 1 Atemnotattacke in den
letzten 12 Monaten
Heuschnupfen
10
Nasenlaufen und rote Augen
Atopien
5
0
Stall und
Milch
<1
Jahr
Stall, aber
keine Milch
<1Jahr
Milch aber
kein Stall
<1 Jahr
Milch, Stall
oder beides
aber erst nach
1.Jahr
Weder Noch
Riedel et al; Lancet 2001;358:1129
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Typ I Diabetes
Rot: Endemiegebiete für
verschiedene Parasiten
Gelb: Hohe Inzidenz an Typ I
Diabetes (> 8 auf 100‘000)
Weiss: Inzidenz für Typ I Diabetes
unter 8 auf 100‘000
P. Zaccone et al; Parasite Immunology 2006
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Typ I Diabetes
• Typ I Diabetes: Ist eine Autoimmunerkrankung,
ausgelöst durch die T-Zell gesteuerte
Zerstörung der Insulinproduzierenden BetaZellen
• Studie an Mäusen, welche zeigt, dass
mikrobielle Exposition zu weniger Diabetes führt
Wen L et al, Nature 2008;455:1109
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Typ I Diabetes
• NOD= non obese
diabetes
• schwarze Linie: Germfree MyD88-NOD Mäuse
• rote Linie: Germ-free
MyD88-NOD Mäuse,
welche mit normaler
Intestinalflora
konfrontiert werden
Wen L et al, Nature 2008;455:1109
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Autoimmunerkrankungen
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Autoimmunerkrankungen
Nord-Süd-Gefälle
für MS in Europa
NEJM 2002; 347:911
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Autoimmunerkrankungen
Anzahl Schübe
Extended disability status scale
12 Patienten
mit MS und
Eosinophile,
bei
intestinaler
Parasitose
LangzeitBeobachtung
Anzahl neuer /oder grösser
werdender Läsionen
Anzahl Gadolinium + Läsionen
Correale et al, Ann Neurol 2007
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Verifikation ?
Hypothese, dass durch eine parasitäre Infektion die T-reg stimuliert werden,
und dadurch die schädliche Stimulation der Th-17 Zellen, welche bei MS die
meisten Schäden verursacht blockiert wird, soll hiermit verifiziert werden.
Studienteilnehmer sollen mit 25 Hakenwurmlarven transdermal infiziert werden und
nach 48 Wochen sollen die Parasiten medikamentös eliminiert werden.
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Trichuris suis in M.Crohn
Summers et al ; Gut 2005
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Iss nicht, was auf den
Boden gefallen ist!
Soll unsere Umwelt steril sein, damit wir
vom Boden essen können?
Über Sinn und Unsinn einer „sterilen“ Welt
und mögliche Auswirkungen auf den Alltag.
©Katia Boggian, Departement Innere Medizin, Fachbereich Infektiologie/Spitalhygiene
Hygiene Hypothese
• Ist eine Hypothese und vermutlich
ein kleiner Baustein in einem sehr
komplexen Immunsystem
• Hygiene Dilemma
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Paracelsus 1493-1541
Dosis sola venenum facit
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Wie halten Sie es mit der
Sauberkeit in Ihrer Praxis
1. Desinfizieren immer möglichst alles
2. Desinfizieren nur Spielsachen,
Arbeitsflächen und Flächen mit
Patientenkontakt, aber den Boden nicht
3. Desinfizieren nur Arbeitsflächen und
Flächen mit Patientenhautkontakt
4. Reinigen die Praxis einmal pro Woche,
desinfizieren nur Arbeitsflächen und den
Boden
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Praxis der Zukunft?
Th 1
Zimmer
Th 2
Zimmer
©Katia Boggian, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen
Herunterladen