Alexander Häusler Hrsg. Die Alternative für Deutschland Programmatik, Entwicklung und politische Verortung Die Alternative für Deutschland Alexander Häusler (Hrsg.) Die Alternative für Deutschland Programmatik, Entwicklung und politische Verortung Herausgeber Alexander Häusler Fachhochschule Düsseldorf Düsseldorf, Deutschland ISBN 978-3-658-10637-9 ISBN 978-3-658-10638-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-10638-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliogra¿e; detaillierte bibliogra¿sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover¿lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Jan Treibel, Monika Mülhausen Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Parteipolitische Einordnung Frank Decker Die » Alternative für Deutschland « aus der vergleichenden Sicht der Parteienforschung . . . . . . . . . . . . . . . 7 David Bebnowski » Gute « Liberale gegen » böse « Rechte ? Zum Wettbewerbspopulismus der AfD als Brücke zwischen Wirtschaftsliberalismus und Rechtspopulismus und dem Umgang mit der Partei . . . . . . . . . 25 Außenpolitische Positionierungen Marcel Lewandowsky Die Verteidigung der Nation: Außen- und europapolitische Positionen der AfD im Spiegel des Rechtspopulismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Dieter Plehwe Alternative für Deutschland ? Europäische und transatlantische Dimensionen des neuen Rechtsliberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . 53 VI Inhalt Familien- und geschlechterpolitische Vorstellungen Jasmin Siri Geschlechterpolitische Positionen der Partei Alternative für Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Andreas Kemper Antiemanzipatorische Netzwerke und die Geschlechterund Familienpolitik der Alternative für Deutschland . . . . . . . . . . . . 81 Ulli Jentsch Die » Lebensschutz «-Bewegung und die AfD. Nur ein Teil der Bewegung ergreift Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 AfD, PEGIDA und Muslimfeindlichkeit Felix Korsch » Natürliche Verbündete « ? Die Pegida-Debatte in der AfD zwischen Anziehung und Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Felix Korsch Stichwortgeber in Nadelstreifen. Personelle und inhaltliche Konvergenzen zwischen AfD und Pegida . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Naime Çakir PEGIDA: Islamfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft Jonas Fedders Die Wahlerfolge der » Alternative für Deutschland « im Kontext rassistischer Hegemoniebestrebungen . . . . . . . . . 149 . . . . . . . . . . . . 163 Neurechte Einflüsse Helmut Kellershohn Risse im Gebälk. Flügelkämpfe in der jungkonservativen Neuen Rechten und der AfD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Inhalt VII Anna-Lena Herkenhoff Rechter Nachwuchs für die AfD – die Junge Alternative (JA) . . . . . . . . 201 Landespolitischer Einblick Christoph Kopke/Alexander Lorenz » Ich kenne keine Flügel, ich kenne keine Strömungen. Ich kenne nur die Brandenburger AfD «. Die Alternative für Deutschland (AfD) in Brandenburg im Frühjahr 2015 . . . . . . . . . . 221 Abschließende Bemerkungen Alexander Häusler Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Einleitung Die im Jahr 2013 gegründete Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat zu großer öffentlicher Aufmerksamkeit und zur Polarisierung der politischen Debatte geführt. Einher mit dem Auftreten der AfD ging eine zum Teil erbittert geführte öffentliche Diskussion um die Frage nach deren Nähe zu rechtspopulistischen und extrem rechten Positionen. Nachweislich haben sich mit der Formierung der AfD als Partei neue realpolitische Handlungsoptionen für nationalkonservative, neurechte und rechtspopulistische Milieus ergeben, auch wenn der künftige Kurs der Partei wie auch die Möglichkeit ihrer langfristigen Etablierung in der deutschen Parteienlandschaft bislang noch nicht eindeutig zu beurteilen sind. Erkennbar ist allerdings, dass mit den bisherigen AfD-Wahlerfolgen und mit den PEGIDA-Protesten neue Artikulationsmöglichkeiten für einen rechten Kulturkampf ergeben haben, der neben den Themenfeldern Euro, Einwanderung, Islam und nationale Identitätspolitik auch familien- und geschlechterpolitische Fragen in den öffentlichen Diskurs einspeist. Das Aufkommen der AfD und ihre öffentlichen Positionierungen und Wahlerfolge stellen auch die Politik- und Sozialwissenschaften wie auch speziell die Forschungen zu Parteien, zur populistischen und extremen Rechten vor neue Herausforderungen. Denn mit den AfD-Wahlerfolgen schließt sich auch hierzulande eine bislang noch vorhandene politische Lücke rechts von den Unionsparteien, die in unseren Nachbarländern schon vor geraumer Zeit durch das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien ausgefüllt worden ist. Einher mit der Entwicklung der AfD geht eine Verschiebung am rechten Parteienrand: Während einerseits die deutschen Rechtsaußenparteien in der AfD eine missliebige Konkurrentin in dem Ringen um Wahlzustimmung sehen, suchen anderseits ehemalige Mitglieder vergleichsweise weniger erfolgreicher Rechtsaußenparteien wie dem früher aktiven rechtspopulistischen Bund freier Bürger sowie der damaligen Schill-Partei ebenso wie frühere Aktivisten der Republikaner und der Partei Die Freiheit in der AfD ein A. Häusler (Hrsg.), Die Alternative für Deutschland, DOI 10.1007/978-3-658-10638-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 2 Einleitung neues Betätigungsfeld. Zugleich stellt die AfD ein neues politisches Angebot dar für enttäusche Nationalliberale und Konservative, denen die politische Ausrichtung der FDP und der Unionsparteien eine unerwünschte Anpassung an einen angeblich vorherrschenden linken Zeitgeist darstellt. Der vorliegende Sammelband geht zurück auf eine vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf (FORENA) veranstaltete Fachtagung, die unter dem Titel » Politische Programmatik und Entwicklung der Partei Alternative für Deutschland « am 19. 02. 2015 durchgeführt worden ist.1 Ziel der Tagung war, den bisherigen wissenschaftlichen Forschungsstand zur AfD zusammenzutragen und zu reflektieren und zudem neue Forschungsaufgaben und offene Fragen zu formulieren und zu erörtern. Die Ergebnisse dieser Fachtagung werden – angereichert durch zwei weitere Beiträge – mit der vorliegenden Publikation präsentiert. Zum Aufbau des Bandes Die hier versammelten Beiträge sind in sechs thematische Schwerpunkte unterteilt: Im ersten Teil wird eine grundlegende parteipolitische Einordnung der AfD vollzogen. Frank Decker gibt einen Einblick in die AfD aus Sicht der Parteienforschung und verortet die Partei in der rechtspopulistischen Parteienfamilie. David Bebnowski beleuchtet aus Sicht der politischen Soziologie den Wettbewerbspopulismus in der politischen und ökonomischen Eigen- und Außendarstellung der AfD. Im zweiten Teil werden die außenpolitischen Positionen der AfD in den Blick genommen. Marcel Lewandowsky setzt sich hierbei mit den außen- und europapolitischen Positionen der Partei auseinander und analysiert sie im Spiegel des Rechtspopulismus. Die europäischen und transatlantischen Dimensionen der AfD stehen im Zentrum des Beitrags von Dieter Plehwe, der diese Positionierungen als Ausdruck des neuen Rechtsliberalismus versteht. Die familien- und geschlechterpolitischen Vorstellungen stehen im Fokus des dritten Teils dieses Bandes. Aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln geben Jasmin Siri und Andreas Kemper einen kritischen Einblick in die Familien- und Geschlechterpolitik der AfD. Aus parteiensoziologischer Perspektive beleuchtet Siri auf Basis qualitativ-explorativ erhobener Daten die Positionen der AfD zu Geschlechterpolitik, Familienpolitik und Gender. Kemper hingegen vollzieht eine 1 Programm der Fachtagung online unter http://www.forena.de/wp-content/uploads/2014/12/ FORENA-Fachtagung_201502191.pdf Einleitung 3 Zuordnung dieser politischen Positionierungen zu den spezifischen Klassenfraktionierungen und deren Netzwerke. Im vierten Teil werden die politischen Schnittmengen der AfD mit der vorherrschenden Muslimfeindlichkeit und den islam- und einwanderungsfeindlichen PEGIDA-Protesten in den Blick genommen. Naime Cakir analysiert das Phänomen der Islamfeindlichkeit in Deutschland und erläutert deren Wirkungsweise in der Mitte der Gesellschaft. Felix Korsch beleuchtet in zwei Beiträgen, wie die AfD auf den PEGIDA-Protest reagiert hat und zeichnet personelle und inhaltliche Konvergenzen zwischen Partei und Protestbewegung auf. Jonas Fedders setzt sich in seinem Beitrag mit rassistischen Hegemoniebestrebungen in Deutschland auseinander und stellt diese in den Kontext der AfD-Propaganda. Der fünfte Teil des Bandes hat die neurechten Einflüsse auf die AfD zum Gegenstand. Hierbei beschreibt und analysiert Helmut Kellershohn die Auseinandersetzung in der jungkonservativen Neuen Rechten hinsichtlich der Frage nach der Funktion der AfD zur Nationalisierung des Politischen. Anna-Lena Herkenhoff beschreibt die politischen Selbstinszenierungen der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und stellt sie in den Kontext neurechter Politikansätze. Der Band schließt mit einem kurzen Ausblick auf weitere Fragestellungen und Herausforderungen zur künftigen Auseinandersetzung mit dem Thema. Da die Beiträge in einem Zeitraum zwischen Mai und Juli des Jahres 2015 eingereicht worden sind, konnten Entwicklungen innerhalb der AfD danach nicht berücksichtigt werden. Im Namen unseres Forschungsschwerpunktes bedanke ich mich bei der Heinrich Böll Stiftung für die Kooperation und die hilfreiche und angenehme personelle Unterstützung bei der Durchführung der FORENA-Fachtagung. Ebenfalls Dank gebührt dem DGB-Bezirk NRW für die Unterstützung der Fachtagung. Für das Zustandekommen der vorliegenden Publikation danke ich allen Autorinnen und Autoren für ihre Mitwirkung bei der Fachtagung und die Einreichung ihrer Beiträge. Persönlich möchte ich zudem Anna-Lena Herkenhoff meinen besonderen Dank für die Betreuung der Texteinreichungen aussprechen. Alexander Häusler Düsseldorf, Juli 2015 Parteipolitische Einordnung Die » Alternative für Deutschland « aus der vergleichenden Sicht der Parteienforschung Frank Decker 1 Parteien und Parteiensysteme als Gegenstand der Parteienforschung Die Parteienforschung beschäftigt sich mit Parteien und Parteiensystemen. Beides sind unterschiedliche Analyseebenen, die aber eng aufeinander bezogen sind und deshalb in der Darstellung häufig vermischt werden (vgl. Niedermayer 2013, 61). Bezogen auf die einzelnen Parteien geht es zunächst um eine allgemeine Begriffsbestimmung der Partei. In der Literatur werden in der Regel1 drei Wesensmerkmale oder Elemente genannt. » Es handelt sich um einen mehr oder weniger festgefügten (= organisierten) Personenverband. Diese Personen vertreten gemeinsame politische Ansichten und Interessen. Ihr Ziel ist die Beteiligung an der staatlichen Herrschaft (= Erringung von Regierungsmacht) « (Decker 2011, 10). Der Allgemeinbegriff lässt bewusst offen, wie die Organisation einer Partei konkret beschaffen ist, welche Ansichten und Interessen sie vertritt und welcher Art ihre Beziehungen zum Volk und zum Staat sind. Damit bietet sie eine Grundlage für weitergehende typologische Differenzierungen (vgl. Jun 2013). Durch die Bildung von Typen versucht man in den Sozialwissenschaften, verschiedene Merkmale eines Objekts in einem Begriff zusammenzufassen. Typen und Typologien bilden so die Basis für den Vergleich. Welche Merkmale eines Objekts wesentlich sind und für die Typenbildung herangezogen werden müssen, ist unter den Wissenschaftlern häufig umstritten. Auch in der Parteienforschung gibt es keine einheitliche Typologie der Parteien, die von allen geteilt wird. Stellt man die verschiedenen Vorschläge in der Literatur gegenüber, schält sich dennoch ein breiter Konsens heraus, welche Merkmale als die wichtigsten zu gelten haben (vgl. 1 Manche Autoren bevorzugen eine Minimaldefinition und halten die Beteiligung an Wahlen als Kriterium für ausreichend (vgl. z. B. Sartori 1976, 76). A. Häusler (Hrsg.), Die Alternative für Deutschland, DOI 10.1007/978-3-658-10638-6_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 8 Frank Decker Lucardie 2013). Parteien sollten und können danach unter folgenden fünf Gesichtspunkten unterschieden werden: 1) 2) 3) 4) 5) Ideologisch-politische Zugehörigkeit und Programmatik Historischer Ursprung und Entstehung Organisationsstruktur Struktur der Anhängerschaft Zielorientierung und Funktionen im politischen System Die fünf Merkmale sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten, sondern beeinflussen sich wechselseitig und weisen vielfältige Überschneidungen auf. Dabei gibt es ebenfalls » typische «, also häufiger vorkommende, aber auch ungewöhnliche, mithin » untypische « Kombinationen. Zudem unterliegen die Merkmale einem Wandel im Zeitverlauf, der sich zugleich in der Entwicklung der Parteiensysteme widerspiegelt. Was unter einem Parteiensystem zu verstehen ist, darüber herrscht in der Politikwissenschaft weitgehende Übereinstimmung, nämlich die Gesamtheit der in einem politischen System agierenden Parteien und die Struktur ihrer wechselseitigen Beziehungen. Dabei werden nur relevante Parteien betrachtet, die das Verhalten ihrer Konkurrenten in irgendeiner Form beeinflussen, indem sie Koalitionspotenzial besitzen und bei der Regierungsbildung berücksichtigt werden müssen oder mit ihnen um dieselben Wählergruppen konkurrieren (vgl. Decker 2011, 22). Strittiger ist, welche Merkmale ein Parteiensystem konkret ausmacht. In der deutschen Forschung orientiert man sich zumeist an Niedermayer (1996), der fünf Eigenschaften benennt: 1) Fragmentierung/Konzentration (Zahl und Stärkeverhältnis der Parteien) 2) Symmetrie/Asymmetrie (Größenverhältnis der beiden stimmenstärksten Parteien) 3) Volatilität (Veränderungen der Stimmenanteile im Vergleich zur vorherigen Wahl) 4) Polarisierung (Stimmenanteil systemfeindlicher Parteien/ideologischer Abstand zwischen den systemtragenden Parteien) 5) Segmentierung (Fähigkeit und Bereitschaft, Koalitionen zu schließen) Eine Reihe von Politikwissenschaftlern haben versucht, die verschiedenen Merkmale im Rahmen einer Typologie miteinander zu verbinden. Zusammengenommen ergeben sie ein Bild von der Wettbewerbsstruktur eines Parteiensystems. Am bekanntesten ist der Vorschlag von Sartori, der zwischen zwei Grundtypen – den Systemen des begrenzten und des polarisierten Pluralismus – unterscheidet. Ers- Die » AfD « aus der vergleichenden Sicht der Parteienforschung 9 tere seien durch eine geringe Zahl relevanter Parteien (bis zu fünf), geringe ideologische Polarisierung und einen in der Mitte des Systems konzentrierten Wettbewerb charakterisiert. Im Idealfall handele es sich um Zweiparteiensysteme mit alternierender Regierung. Typisch für Parteiensysteme des extremen Pluralismus seien demgegenüber ein hoher Grad an Polarisierung und das Vorhandensein relevanter Anti-System-Parteien. Der Wettbewerb richte sich hier nach den Rändern aus; die Parteien der Mitte seien schwach und würden im Extremfall von der rechten und linken Opposition zerdrückt (vgl. Sartori 1976, 125 ff.). Die Typologien der Parteien und Parteiensysteme dienen im Folgenden als Grundlage, um die Alternative für Deutschland einzuordnen. Im ersten Teil soll gezeigt werden, um welche Art von Partei es sich bei dem Neuankömmling handelt. Die oben genannten Kriterien werden dazu nacheinander abgearbeitet. Im zweiten Teil geht es um die Auswirkungen einer (möglichen) Etablierung der AfD auf das deutsche Parteiensystem. Die Frage nach den Chancen der Etablierung bildet das notwendige Zwischenglied. Die Einordnung der Partei kann hier zwar Hinweise, aber noch keine sicheren Antworten liefern. Die Ausführungen zum Parteiensystem im zweiten Teil sind insofern unter Vorbehalt zu stellen und fallen entsprechend » kompakter « aus. 2 Um welche Art von Partei handelt es sich bei der AfD ? a) Ideologisch-politische Zugehörigkeit und Programmatik Die ideologisch-politische Zugehörigkeit der Partei ist meistens schon in der Namensgebung angezeigt. Sie bildet den Ausgangspunkt für die Identifizierung sogenannter » Parteienfamilien « (vgl. Mair/Mudde 1998). Dafür gut geeignet – zumindest in einem ersten Schritt – sind transnationale Parteiorganisationen, die Parteien vergleichbarer Ausrichtung in ihren Reihen versammeln. Ein Beispiel sind die Fraktionen im Europäischen Parlament. Nachprüfbar ist die ideologische Zugehörigkeit an der Programmatik der Partei, ihren öffentlichen Verlautbarungen und ihrem politischen Handeln. Konkretisieren lässt sie sich anhand folgender Gesichtspunkte bzw. Kriterien: (1) Weltanschauliche Strömungen, (2) Links-Rechts-Schema, (3) Intensität/Radikalität der Ausrichtung und (4) Reichweite des programmatischen Anspruchs. (1) Aus den großen weltanschaulichen Strömungen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, sind liberale, christdemokratische/konservative und sozialistische/sozialdemokratische Parteien in allen europäischen Ländern bis heute mehr oder weniger prominent vertreten. Häufig werden diese Großfamilien innerhalb eines Landes nicht nur von einer, sondern von mehreren Parteien repräsentiert, was 10 Frank Decker zu unterschiedlichen Fragmentierungsgraden der Parteiensysteme führt. Darüber hinaus konnten sich seit den siebziger bzw. achtziger Jahren zwei neu entstandene Strömungen – die ökologischen/grünen Parteien und die Rechtspopulisten – in vielen Ländern dauerhaft etablieren. Der oben angedeutete Versuch, die Parteienfamilien anhand der Fraktionen im Europäischen Parlament zu identifizieren, schlägt allerdings gerade bei den Rechtspopulisten (im Unterschied zu den anderen Parteien) fehl. Einerseits waren die Vertreter, die zum Rechtspopulismus unzweifelhaft dazugehören und in Westeuropa dessen harten Kern bilden (Front National, Vlaams Belang, Lega Nord, Partij voor de Vrijheid und FPÖ), nach der Europawahl 2014 zunächst nicht in der Lage oder willens, eine gemeinsame Fraktion zu bilden. Andererseits haben sich Parteien, die dem Rechtspopulismus genauso zugerechnet werden können, der konservativen Fraktion (so die AfD) oder der Fraktion » Europa der Freiheit und der direkten Demokratie « angeschlossen (so die britische UKIP), sei es, um mit dem harten Kern nicht in Verbindung gebracht zu werden oder um dem Verdikt des Rechtspopulismus überhaupt zu entgehen (vgl. Decker 2014). Im Falle der AfD war deren Einordnung als rechtspopulistisch von Beginn an umstritten – auch in der wissenschaftlichen Diskussion. Dass die Partei selbst sich gegen das Etikett entschieden verwahrt hat, mag aus ihrer Sicht verständlich sein.2 Rechtspopulismus ist eben nicht nur eine wissenschaftliche Analysekategorie, sondern zugleich ein wertgeladener politischer Kampfbegriff.3 Letzteres kann jedoch kein Grund sein, ihn in der Wissenschaft zu umgehen. Manche Beobachter wollen der Verlegenheit, die AfD als rechtspopulistisch einzustufen, entkommen, indem sie unter Verweis auf die Personalquerelen und Richtungskonflikte in der Partei behaupten, diese bestehe aus drei im Grunde unverträglichen Strömungen: einer wirtschaftsliberalen, einer national-konservativen und einer rechtspopulistischen (vgl. Werner 2015, 85 f.). Darin liegt ein Missverständnis, denn die Strömungen sind nicht nur miteinander vereinbar, sondern in gewisser Weise sogar aufeinander bezogen. Zusammen bilden sie die programmatische und elektorale » Gewinnerformel « der neuen Rechtsparteien, in die 2 3 Im Vorfeld der Europawahl kam es zu einer Kontroverse zwischen AfD-Sprecher Lucke und der Bundeszentrale für politische Bildung, nachdem diese in einem Parteienporträt auf ihrer Internetseite die Feststellung verbreitet hatte, die AfD » werde von weiten Teilen der Politikwissenschaft als rechtspopulistisch bezeichnet. « Verfasser des Artikels war der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Lucke sah in der Formulierung eine Verletzung der Neutralitätspflicht der Behörde. Vgl. » AfD empört über Bundeszentrale für politische Bildung «, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Mai 2014. Für eine besonders schöne Polemik gegen die wissenschaftliche Verwendung des Rechtspopulismusbegriffs, die den Verfasser dieses Aufsatzes aufs Korn nimmt, vgl. Sarrazin 2014, 87 f.