Die Alternative für Deutschland

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Alexander Häusler Hrsg.
Die Alternative für
Deutschland
Programmatik, Entwicklung
und politische Verortung
Die Alternative für Deutschland
Alexander Häusler (Hrsg.)
Die Alternative für
Deutschland
Programmatik, Entwicklung
und politische Verortung
Herausgeber
Alexander Häusler
Fachhochschule Düsseldorf
Düsseldorf, Deutschland
ISBN 978-3-658-10637-9
ISBN 978-3-658-10638-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-658-10638-6
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Lektorat: Jan Treibel, Monika Mülhausen
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Inhalt
Einleitung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Parteipolitische Einordnung
Frank Decker
Die » Alternative für Deutschland « aus der
vergleichenden Sicht der Parteienforschung
. . . . . . . . . . . . . . .
7
David Bebnowski
» Gute « Liberale gegen » böse « Rechte ? Zum Wettbewerbspopulismus
der AfD als Brücke zwischen Wirtschaftsliberalismus
und Rechtspopulismus und dem Umgang mit der Partei
. . . . . . . . .
25
Außenpolitische Positionierungen
Marcel Lewandowsky
Die Verteidigung der Nation: Außen- und europapolitische Positionen
der AfD im Spiegel des Rechtspopulismus . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
Dieter Plehwe
Alternative für Deutschland ? Europäische und transatlantische
Dimensionen des neuen Rechtsliberalismus . . . . . . . . . . . . . . . .
53
VI
Inhalt
Familien- und geschlechterpolitische Vorstellungen
Jasmin Siri
Geschlechterpolitische Positionen der Partei Alternative
für Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
Andreas Kemper
Antiemanzipatorische Netzwerke und die Geschlechterund Familienpolitik der Alternative für Deutschland . . . . . . . . . . . .
81
Ulli Jentsch
Die » Lebensschutz «-Bewegung und die AfD.
Nur ein Teil der Bewegung ergreift Partei
. . . . . . . . . . . . . . . . .
99
AfD, PEGIDA und Muslimfeindlichkeit
Felix Korsch
» Natürliche Verbündete « ? Die Pegida-Debatte in der AfD
zwischen Anziehung und Ablehnung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Felix Korsch
Stichwortgeber in Nadelstreifen. Personelle und inhaltliche
Konvergenzen zwischen AfD und Pegida
. . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Naime Çakir
PEGIDA: Islamfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft
Jonas Fedders
Die Wahlerfolge der » Alternative für Deutschland «
im Kontext rassistischer Hegemoniebestrebungen
. . . . . . . . . 149
. . . . . . . . . . . . 163
Neurechte Einflüsse
Helmut Kellershohn
Risse im Gebälk. Flügelkämpfe in der jungkonservativen
Neuen Rechten und der AfD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhalt
VII
Anna-Lena Herkenhoff
Rechter Nachwuchs für die AfD – die Junge Alternative (JA)
. . . . . . . . 201
Landespolitischer Einblick
Christoph Kopke/Alexander Lorenz
» Ich kenne keine Flügel, ich kenne keine Strömungen.
Ich kenne nur die Brandenburger AfD «. Die Alternative
für Deutschland (AfD) in Brandenburg im Frühjahr 2015
. . . . . . . . . . 221
Abschließende Bemerkungen
Alexander Häusler
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Autorinnen und Autoren
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Einleitung
Die im Jahr 2013 gegründete Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat zu großer öffentlicher Aufmerksamkeit und zur Polarisierung der politischen Debatte
geführt. Einher mit dem Auftreten der AfD ging eine zum Teil erbittert geführte
öffentliche Diskussion um die Frage nach deren Nähe zu rechtspopulistischen und
extrem rechten Positionen. Nachweislich haben sich mit der Formierung der AfD
als Partei neue realpolitische Handlungsoptionen für nationalkonservative, neurechte und rechtspopulistische Milieus ergeben, auch wenn der künftige Kurs der
Partei wie auch die Möglichkeit ihrer langfristigen Etablierung in der deutschen
Parteienlandschaft bislang noch nicht eindeutig zu beurteilen sind. Erkennbar ist
allerdings, dass mit den bisherigen AfD-Wahlerfolgen und mit den PEGIDA-Protesten neue Artikulationsmöglichkeiten für einen rechten Kulturkampf ergeben
haben, der neben den Themenfeldern Euro, Einwanderung, Islam und nationale
Identitätspolitik auch familien- und geschlechterpolitische Fragen in den öffentlichen Diskurs einspeist.
Das Aufkommen der AfD und ihre öffentlichen Positionierungen und Wahlerfolge stellen auch die Politik- und Sozialwissenschaften wie auch speziell die
Forschungen zu Parteien, zur populistischen und extremen Rechten vor neue Herausforderungen. Denn mit den AfD-Wahlerfolgen schließt sich auch hierzulande eine bislang noch vorhandene politische Lücke rechts von den Unionsparteien,
die in unseren Nachbarländern schon vor geraumer Zeit durch das Aufkommen
rechtspopulistischer Parteien ausgefüllt worden ist. Einher mit der Entwicklung
der AfD geht eine Verschiebung am rechten Parteienrand: Während einerseits die
deutschen Rechtsaußenparteien in der AfD eine missliebige Konkurrentin in dem
Ringen um Wahlzustimmung sehen, suchen anderseits ehemalige Mitglieder vergleichsweise weniger erfolgreicher Rechtsaußenparteien wie dem früher aktiven
rechtspopulistischen Bund freier Bürger sowie der damaligen Schill-Partei ebenso
wie frühere Aktivisten der Republikaner und der Partei Die Freiheit in der AfD ein
A. Häusler (Hrsg.), Die Alternative für Deutschland,
DOI 10.1007/978-3-658-10638-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
2
Einleitung
neues Betätigungsfeld. Zugleich stellt die AfD ein neues politisches Angebot dar
für enttäusche Nationalliberale und Konservative, denen die politische Ausrichtung der FDP und der Unionsparteien eine unerwünschte Anpassung an einen angeblich vorherrschenden linken Zeitgeist darstellt.
Der vorliegende Sammelband geht zurück auf eine vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf (FORENA)
veranstaltete Fachtagung, die unter dem Titel » Politische Programmatik und Entwicklung der Partei Alternative für Deutschland « am 19. 02. 2015 durchgeführt worden ist.1 Ziel der Tagung war, den bisherigen wissenschaftlichen Forschungsstand
zur AfD zusammenzutragen und zu reflektieren und zudem neue Forschungsaufgaben und offene Fragen zu formulieren und zu erörtern. Die Ergebnisse dieser
Fachtagung werden – angereichert durch zwei weitere Beiträge – mit der vorliegenden Publikation präsentiert.
Zum Aufbau des Bandes
Die hier versammelten Beiträge sind in sechs thematische Schwerpunkte unterteilt:
Im ersten Teil wird eine grundlegende parteipolitische Einordnung der AfD
vollzogen. Frank Decker gibt einen Einblick in die AfD aus Sicht der Parteienforschung und verortet die Partei in der rechtspopulistischen Parteienfamilie. David
Bebnowski beleuchtet aus Sicht der politischen Soziologie den Wettbewerbspopulismus in der politischen und ökonomischen Eigen- und Außendarstellung
der AfD.
Im zweiten Teil werden die außenpolitischen Positionen der AfD in den Blick
genommen. Marcel Lewandowsky setzt sich hierbei mit den außen- und europapolitischen Positionen der Partei auseinander und analysiert sie im Spiegel des
Rechtspopulismus. Die europäischen und transatlantischen Dimensionen der
AfD stehen im Zentrum des Beitrags von Dieter Plehwe, der diese Positionierungen als Ausdruck des neuen Rechtsliberalismus versteht.
Die familien- und geschlechterpolitischen Vorstellungen stehen im Fokus des
dritten Teils dieses Bandes. Aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln geben Jasmin Siri und Andreas Kemper einen kritischen Einblick in die Familien- und Geschlechterpolitik der AfD. Aus parteiensoziologischer Perspektive beleuchtet Siri
auf Basis qualitativ-explorativ erhobener Daten die Positionen der AfD zu Geschlechterpolitik, Familienpolitik und Gender. Kemper hingegen vollzieht eine
1
Programm der Fachtagung online unter http://www.forena.de/wp-content/uploads/2014/12/
FORENA-Fachtagung_201502191.pdf
Einleitung
3
Zuordnung dieser politischen Positionierungen zu den spezifischen Klassenfraktionierungen und deren Netzwerke.
Im vierten Teil werden die politischen Schnittmengen der AfD mit der vorherrschenden Muslimfeindlichkeit und den islam- und einwanderungsfeindlichen PEGIDA-Protesten in den Blick genommen. Naime Cakir analysiert das
Phänomen der Islamfeindlichkeit in Deutschland und erläutert deren Wirkungsweise in der Mitte der Gesellschaft. Felix Korsch beleuchtet in zwei Beiträgen, wie
die AfD auf den PEGIDA-Protest reagiert hat und zeichnet personelle und inhaltliche Konvergenzen zwischen Partei und Protestbewegung auf. Jonas Fedders setzt
sich in seinem Beitrag mit rassistischen Hegemoniebestrebungen in Deutschland
auseinander und stellt diese in den Kontext der AfD-Propaganda.
Der fünfte Teil des Bandes hat die neurechten Einflüsse auf die AfD zum Gegenstand. Hierbei beschreibt und analysiert Helmut Kellershohn die Auseinandersetzung in der jungkonservativen Neuen Rechten hinsichtlich der Frage nach
der Funktion der AfD zur Nationalisierung des Politischen. Anna-Lena Herkenhoff beschreibt die politischen Selbstinszenierungen der AfD-Jugendorganisation
Junge Alternative und stellt sie in den Kontext neurechter Politikansätze.
Der Band schließt mit einem kurzen Ausblick auf weitere Fragestellungen und
Herausforderungen zur künftigen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Da die Beiträge in einem Zeitraum zwischen Mai und Juli des Jahres 2015 eingereicht worden sind, konnten Entwicklungen innerhalb der AfD danach nicht
berücksichtigt werden.
Im Namen unseres Forschungsschwerpunktes bedanke ich mich bei der Heinrich
Böll Stiftung für die Kooperation und die hilfreiche und angenehme personelle
Unterstützung bei der Durchführung der FORENA-Fachtagung. Ebenfalls Dank
gebührt dem DGB-Bezirk NRW für die Unterstützung der Fachtagung.
Für das Zustandekommen der vorliegenden Publikation danke ich allen Autorinnen und Autoren für ihre Mitwirkung bei der Fachtagung und die Einreichung
ihrer Beiträge. Persönlich möchte ich zudem Anna-Lena Herkenhoff meinen besonderen Dank für die Betreuung der Texteinreichungen aussprechen.
Alexander Häusler
Düsseldorf, Juli 2015
Parteipolitische Einordnung
Die » Alternative für Deutschland «
aus der vergleichenden Sicht
der Parteienforschung
Frank Decker
1
Parteien und Parteiensysteme als Gegenstand
der Parteienforschung
Die Parteienforschung beschäftigt sich mit Parteien und Parteiensystemen. Beides sind unterschiedliche Analyseebenen, die aber eng aufeinander bezogen sind
und deshalb in der Darstellung häufig vermischt werden (vgl. Niedermayer 2013,
61). Bezogen auf die einzelnen Parteien geht es zunächst um eine allgemeine Begriffsbestimmung der Partei. In der Literatur werden in der Regel1 drei Wesensmerkmale oder Elemente genannt. » Es handelt sich um einen mehr oder weniger festgefügten (= organisierten) Personenverband. Diese Personen vertreten
gemeinsame politische Ansichten und Interessen. Ihr Ziel ist die Beteiligung an
der staatlichen Herrschaft (= Erringung von Regierungsmacht) « (Decker 2011, 10).
Der Allgemeinbegriff lässt bewusst offen, wie die Organisation einer Partei
konkret beschaffen ist, welche Ansichten und Interessen sie vertritt und welcher
Art ihre Beziehungen zum Volk und zum Staat sind. Damit bietet sie eine Grundlage für weitergehende typologische Differenzierungen (vgl. Jun 2013). Durch
die Bildung von Typen versucht man in den Sozialwissenschaften, verschiedene
Merkmale eines Objekts in einem Begriff zusammenzufassen. Typen und Typologien bilden so die Basis für den Vergleich. Welche Merkmale eines Objekts wesentlich sind und für die Typenbildung herangezogen werden müssen, ist unter
den Wissenschaftlern häufig umstritten. Auch in der Parteienforschung gibt es
keine einheitliche Typologie der Parteien, die von allen geteilt wird. Stellt man
die verschiedenen Vorschläge in der Literatur gegenüber, schält sich dennoch ein
breiter Konsens heraus, welche Merkmale als die wichtigsten zu gelten haben (vgl.
1
Manche Autoren bevorzugen eine Minimaldefinition und halten die Beteiligung an Wahlen
als Kriterium für ausreichend (vgl. z. B. Sartori 1976, 76).
A. Häusler (Hrsg.), Die Alternative für Deutschland,
DOI 10.1007/978-3-658-10638-6_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
8
Frank Decker
Lucardie 2013). Parteien sollten und können danach unter folgenden fünf Gesichtspunkten unterschieden werden:
1)
2)
3)
4)
5)
Ideologisch-politische Zugehörigkeit und Programmatik
Historischer Ursprung und Entstehung
Organisationsstruktur
Struktur der Anhängerschaft
Zielorientierung und Funktionen im politischen System
Die fünf Merkmale sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten, sondern
beeinflussen sich wechselseitig und weisen vielfältige Überschneidungen auf. Dabei gibt es ebenfalls » typische «, also häufiger vorkommende, aber auch ungewöhnliche, mithin » untypische « Kombinationen. Zudem unterliegen die Merkmale einem Wandel im Zeitverlauf, der sich zugleich in der Entwicklung der
Parteiensysteme widerspiegelt.
Was unter einem Parteiensystem zu verstehen ist, darüber herrscht in der Politikwissenschaft weitgehende Übereinstimmung, nämlich die Gesamtheit der in
einem politischen System agierenden Parteien und die Struktur ihrer wechselseitigen Beziehungen. Dabei werden nur relevante Parteien betrachtet, die das
Verhalten ihrer Konkurrenten in irgendeiner Form beeinflussen, indem sie Koalitionspotenzial besitzen und bei der Regierungsbildung berücksichtigt werden
müssen oder mit ihnen um dieselben Wählergruppen konkurrieren (vgl. Decker
2011, 22). Strittiger ist, welche Merkmale ein Parteiensystem konkret ausmacht. In
der deutschen Forschung orientiert man sich zumeist an Niedermayer (1996), der
fünf Eigenschaften benennt:
1) Fragmentierung/Konzentration (Zahl und Stärkeverhältnis der Parteien)
2) Symmetrie/Asymmetrie (Größenverhältnis der beiden stimmenstärksten Parteien)
3) Volatilität (Veränderungen der Stimmenanteile im Vergleich zur vorherigen
Wahl)
4) Polarisierung (Stimmenanteil systemfeindlicher Parteien/ideologischer Abstand zwischen den systemtragenden Parteien)
5) Segmentierung (Fähigkeit und Bereitschaft, Koalitionen zu schließen)
Eine Reihe von Politikwissenschaftlern haben versucht, die verschiedenen Merkmale im Rahmen einer Typologie miteinander zu verbinden. Zusammengenommen ergeben sie ein Bild von der Wettbewerbsstruktur eines Parteiensystems. Am
bekanntesten ist der Vorschlag von Sartori, der zwischen zwei Grundtypen – den
Systemen des begrenzten und des polarisierten Pluralismus – unterscheidet. Ers-
Die » AfD « aus der vergleichenden Sicht der Parteienforschung
9
tere seien durch eine geringe Zahl relevanter Parteien (bis zu fünf), geringe ideologische Polarisierung und einen in der Mitte des Systems konzentrierten Wettbewerb charakterisiert. Im Idealfall handele es sich um Zweiparteiensysteme mit
alternierender Regierung. Typisch für Parteiensysteme des extremen Pluralismus
seien demgegenüber ein hoher Grad an Polarisierung und das Vorhandensein relevanter Anti-System-Parteien. Der Wettbewerb richte sich hier nach den Rändern aus; die Parteien der Mitte seien schwach und würden im Extremfall von der
rechten und linken Opposition zerdrückt (vgl. Sartori 1976, 125 ff.).
Die Typologien der Parteien und Parteiensysteme dienen im Folgenden als
Grundlage, um die Alternative für Deutschland einzuordnen. Im ersten Teil soll
gezeigt werden, um welche Art von Partei es sich bei dem Neuankömmling handelt. Die oben genannten Kriterien werden dazu nacheinander abgearbeitet. Im
zweiten Teil geht es um die Auswirkungen einer (möglichen) Etablierung der AfD
auf das deutsche Parteiensystem. Die Frage nach den Chancen der Etablierung
bildet das notwendige Zwischenglied. Die Einordnung der Partei kann hier zwar
Hinweise, aber noch keine sicheren Antworten liefern. Die Ausführungen zum
Parteiensystem im zweiten Teil sind insofern unter Vorbehalt zu stellen und fallen
entsprechend » kompakter « aus.
2
Um welche Art von Partei handelt es sich bei der AfD ?
a) Ideologisch-politische Zugehörigkeit und Programmatik
Die ideologisch-politische Zugehörigkeit der Partei ist meistens schon in der Namensgebung angezeigt. Sie bildet den Ausgangspunkt für die Identifizierung sogenannter » Parteienfamilien « (vgl. Mair/Mudde 1998). Dafür gut geeignet – zumindest in einem ersten Schritt – sind transnationale Parteiorganisationen, die
Parteien vergleichbarer Ausrichtung in ihren Reihen versammeln. Ein Beispiel
sind die Fraktionen im Europäischen Parlament.
Nachprüfbar ist die ideologische Zugehörigkeit an der Programmatik der Partei, ihren öffentlichen Verlautbarungen und ihrem politischen Handeln. Konkretisieren lässt sie sich anhand folgender Gesichtspunkte bzw. Kriterien: (1) Weltanschauliche Strömungen, (2) Links-Rechts-Schema, (3) Intensität/Radikalität der
Ausrichtung und (4) Reichweite des programmatischen Anspruchs.
(1) Aus den großen weltanschaulichen Strömungen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, sind liberale, christdemokratische/konservative und sozialistische/sozialdemokratische Parteien in allen europäischen Ländern bis heute mehr oder
weniger prominent vertreten. Häufig werden diese Großfamilien innerhalb eines
Landes nicht nur von einer, sondern von mehreren Parteien repräsentiert, was
10
Frank Decker
zu unterschiedlichen Fragmentierungsgraden der Parteiensysteme führt. Darüber
hinaus konnten sich seit den siebziger bzw. achtziger Jahren zwei neu entstandene Strömungen – die ökologischen/grünen Parteien und die Rechtspopulisten – in
vielen Ländern dauerhaft etablieren.
Der oben angedeutete Versuch, die Parteienfamilien anhand der Fraktionen
im Europäischen Parlament zu identifizieren, schlägt allerdings gerade bei den
Rechtspopulisten (im Unterschied zu den anderen Parteien) fehl. Einerseits waren die Vertreter, die zum Rechtspopulismus unzweifelhaft dazugehören und in
Westeuropa dessen harten Kern bilden (Front National, Vlaams Belang, Lega Nord,
Partij voor de Vrijheid und FPÖ), nach der Europawahl 2014 zunächst nicht in
der Lage oder willens, eine gemeinsame Fraktion zu bilden. Andererseits haben
sich Parteien, die dem Rechtspopulismus genauso zugerechnet werden können,
der konservativen Fraktion (so die AfD) oder der Fraktion » Europa der Freiheit
und der direkten Demokratie « angeschlossen (so die britische UKIP), sei es, um
mit dem harten Kern nicht in Verbindung gebracht zu werden oder um dem Verdikt des Rechtspopulismus überhaupt zu entgehen (vgl. Decker 2014).
Im Falle der AfD war deren Einordnung als rechtspopulistisch von Beginn
an umstritten – auch in der wissenschaftlichen Diskussion. Dass die Partei selbst
sich gegen das Etikett entschieden verwahrt hat, mag aus ihrer Sicht verständlich
sein.2 Rechtspopulismus ist eben nicht nur eine wissenschaftliche Analysekategorie, sondern zugleich ein wertgeladener politischer Kampfbegriff.3 Letzteres kann
jedoch kein Grund sein, ihn in der Wissenschaft zu umgehen.
Manche Beobachter wollen der Verlegenheit, die AfD als rechtspopulistisch
einzustufen, entkommen, indem sie unter Verweis auf die Personalquerelen und
Richtungskonflikte in der Partei behaupten, diese bestehe aus drei im Grunde unverträglichen Strömungen: einer wirtschaftsliberalen, einer national-konservativen und einer rechtspopulistischen (vgl. Werner 2015, 85 f.). Darin liegt ein Missverständnis, denn die Strömungen sind nicht nur miteinander vereinbar, sondern
in gewisser Weise sogar aufeinander bezogen. Zusammen bilden sie die programmatische und elektorale » Gewinnerformel « der neuen Rechtsparteien, in die
2
3
Im Vorfeld der Europawahl kam es zu einer Kontroverse zwischen AfD-Sprecher Lucke und
der Bundeszentrale für politische Bildung, nachdem diese in einem Parteienporträt auf ihrer
Internetseite die Feststellung verbreitet hatte, die AfD » werde von weiten Teilen der Politikwissenschaft als rechtspopulistisch bezeichnet. « Verfasser des Artikels war der Duisburger
Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Lucke sah in der Formulierung eine Verletzung
der Neutralitätspflicht der Behörde. Vgl. » AfD empört über Bundeszentrale für politische
Bildung «, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Mai 2014.
Für eine besonders schöne Polemik gegen die wissenschaftliche Verwendung des Rechtspopulismusbegriffs, die den Verfasser dieses Aufsatzes aufs Korn nimmt, vgl. Sarrazin 2014,
87 f.
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