Das politische System Polens

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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Das politische System Polens
Kurzbeschreibung des Moduls
Der politische Umbruch 1989 in Polen erforderte auch die Neugestaltung des politischen
Systems, wobei sich der institutionelle Rahmen des Demokratieaufbaus eng an den politischen
Systemen im Westen Europas sowie an eigenen Traditionen orientierte. Im Jahr 1997 trat eine
neue Verfassung in Kraft, die den institutionellen Aufbau der 1990 gegründeten Dritten
Polnischen Republik abschloss. Neben den politischen Institutionen musste sich auch die
Parteienlandschaft in Polen neu konsolidieren und hat sich in den letzten 25 Jahren immer
wieder stark verändert. Bei den Parlamentsneuwahlen im Herbst 2015 hat sie sich wieder
einmal neu formiert.
Die national-konservative PiS („Prawo i Sprawiedliwość“ {prawo i sprawijedliwoschtsch}, dt.
Recht und Gerechtigkeit) regiert seitdem mit absoluter Mehrheit, während die bisherige
Regierungspartei, die liberal-konservative PO („Platforma Obywatelska“, dt. Bürgerplattform) an
Bedeutung verlor. Die linken Parteien schafften im Gegensatz zur Bauernpartei PSL den Einzug
ins Parlament nicht mehr. Mit der rechts-populistischen Bewegung „Kukiz‘15“ des
gleichnamigen Rockmusikers Kukiz und der wirtschaftsliberalen Partei „Nowoczesna“
({nowotschäsna}, dt. Moderne) gelangten zwei neue Parteien ins Parlament.
Mit diesem Modul lassen sich am Beispiel des in Polen eingeführten parlamentarischpräsidentiellen Systems grundlegende Einsichten in die verschiedenartige Ausgestaltung von
Regierungssystemen vermitteln und die unterschiedlichen Gewichtungen einzelner
Verfassungsorgane in Deutschland und in Polen (z.B. Präsident, Regierung, Parlament)
gegenüberstellen. Die aktuelle politische Situation in Polen wird mit Hilfe verschiedener
Materialien aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Aktuelle Links und
Literaturhinweise erleichtern es, auf dem Laufenden zu bleiben.
Das Modul enthält
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eine didaktische Einführung zum Thema
Hinweise zu Referatsthemen, weiterführender Literatur sowie Links
einen Einführungstext
Arbeitsblatt 1: Das politische System Polens
Arbeitsblatt 2: Vergleich der politischen Systeme in Deutschland und Polen
Arbeitsblatt 3: Umstrittene Reformen von Medien und Verfassungsgericht
Arbeitsblatt 4: Der Schriftsteller Adam Zagajewski über die aktuelle Situation in Polen
Arbeitsblatt 5: Karikaturen als Ausdruck von Kritik
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Didaktische Einführung zum Thema
Das politische System Polens
Hinweise zum Einsatz im Unterricht
Das Thema „Das politische System Polens“ lässt sich behandeln
- aus aktuellem Anlass (2016: 25-jähriges Jubiläum des Abschlusses des deutschpolnischen Nachbarschaftsvertrag),
- im Kontext der Unterrichtseinheiten „Vergleich politischer Systeme“,
- bei der Vermittlung grundlegender Landeskundekenntnisse im Vorfeld einer
Klassenfahrt oder eines Schüleraustauschprogramms mit Polen
Film
Das politische System Deutschlands (7.02 Min.)
http://www.youtube.com/watch?v=jvJS8IyZvUc
Grundlegende Einführung in das politische System Deutschlands
Sehr schülernah, die erste Minute kann man überspringen.
Rechtspopulismus in Europa – Gemeinsamkeiten / Unterschiede (3.48 Min.)
https://www.rbb-online.de/kowalskiundschmidt/archiv/kowalski-schmidt17012016/rechtspopulismus-in-europa.html
Interview mit dem Journalisten Olaf Sundermeyer zur Situation in Deutschland und Polen.
Interview mit Journalisten der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza (3.18 Min.)
http://www.zeit.de/politik/ausland/polen-jaroslaw-kaczynski-regierung-blog
Medien in Polen unter Staatskontrolle (1.31 Min.)
https://www.youtube.com/watch?v=4psePvsp_So
Widerstand gegen Rechtsruck in Polen (6.14 Min.)
https://www.rbb-online.de/kowalskiundschmidt/archiv/kowalski-schmidt-17012016/widerstandgegen-rechtsruck-in-polen.html
Gesetzesänderungen in Polen (5.11 Min.)
http://www.rbb-online.de/warschauernotizen/archiv/warschauer-notizen-vom-06-02-2016.html
Audio
Polens neue Regierung. "Wir sind Europa" (18.21 Min.)
http://www.deutschlandfunk.de/polens-neue-regierung-wir-sindeuropa.724.de.html?dram:article_id=342659
Deutschlandfunk am 16.01.2016 von Florian Kellermann.
„Polen – Eisiger Wind im Osten“ (53.53 Min.)
http://www.br-online.de/podcast/mp3-download/bayern2/mp3-download-podcast-dossierpolitik.shtml
Bayern 2 Studio-Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Bingen vom 13.01.2016.
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Einführungstext
Der Einführungstext vermittelt einen Überblick über die Neuordnung des politischen System
Polens nach 1989. Er stellt die wichtigsten Verfassungsorgane und ihre Aufgaben vor, ebenso
die Entwicklung des polnischen Parteiensystems.
Themen der Arbeitsblätter
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Arbeitsblatt 1: Das politische System Polens
Arbeitsblatt 2: Vergleich der politischen Systeme in Deutschland und Polen
Arbeitsblatt 3: Umstrittene Reformen der Medien und des Verfassungsgerichts
Arbeitsblatt 4: Der Schriftsteller Adam Zagajewski über die aktuelle Situation in Polen
Arbeitsblatt 5: Karikaturen als Ausdruck von Kritik
Themen, Links und Literatur
Themen für Referate und Hausarbeiten
Die Themenvorschläge für Referate oder Hausarbeiten sollen LehrerInnen Möglichkeiten
aufzeigen, das Thema mit den SchülerInnen zu bearbeiten. Entsprechende Hinweise zur
Sekundärliteratur erleichtern die Recherche und geben erste Anhaltspunkte für den
Arbeitseinstieg.
Die polnische und die deutsche Verfassung. Ein Vergleich.
Die politischen Systeme Deutschlands und Polens. Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Vergleichen Sie die Präambel des Grundgesetzes mit der Präambel der polnischen Verfassung.
Welche Aufgabe kommt den Präambeln zu? Welche rechtliche Bindung haben die dortigen
Formulierungen? Versuchen Sie, die jeweils angedeuteten Verweise auf die Geschichte mit
Beispielen zu konkretisieren.
„Selbst- und Fremdwahrnehmung – Die Perspektive des Nachbarn“
Lesen Sie den Artikel des Historikers Felix Ackermann aus der ZEIT vom 20.01.2016
(http://www.zeit.de/kultur/2016-01/polen-deutschland-krise-vergleich, Zugriff: 19.02.2016) und
arbeiten Sie die beiden unterschiedlichen Perspektiven heraus: wie nehmen die Polen
Deutschland und wie die Deutschen Polen wahr? Welche Gründe gibt es für die Entstehung
dieser unterschiedlichen Wahrnehmungen? Entsprechen Sie ganz, in Teilen oder gar nicht der
Realität? Diskutieren Sie!
Zivilgesellschaftlicher Protest in Deutschland und Polen
Schauen Sie den folgenden Film und bereiten Sie eine Diskussion in Ihrer Klasse vor.
Diskutieren Sie über Gründe und mögliche Formen des zivilgesellschaftlichen Protests. Welche
Protestformen kennen Sie aus Ihrem Umfeld in Deutschland? Wann würden Sie selbst
protestieren und wogegen/wofür?
„Widerstand gegen Rechtsruck in Polen“, Kowalski & Schmidt, 17.01.2016:
https://www.rbb-online.de/kowalskiundschmidt/archiv/kowalski-schmidt17012016/widerstand-gegen-rechtsruck-in-polen.html (Zugriff: 19.02.2016).
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Das Thema im Internet
Polen-Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung mit mehreren Beiträgen von Klaus
Ziemer zum politischen System Polens.
http://www.bpb.de/themen/3PJIYL,0,0,Politik.html
Polen-Analysen. Am 1. und 3. Dienstag eines jeden Monats erscheinende Online-Zeitschrift
(hrsg. vom Deutschen Polen-Institut u. a.) mit aktuellen Analysen, Tabellen und einer Chronik
zum politischen und gesellschaftlichen Geschehen in Polen.
http://www.laender-analysen.de/polen/
Seite der Deutschen Botschaft in Warschau mit grundlegenden Informationen über Polen,
seine Regionen und sein politisches System; zusätzlich nützliche Linksammlung zu Polen.
http://www.warschau.diplo.de/Vertretung/warschau/de/Startseite.html
Blog zur politischen Situation auf ZEIT online, Journalisten der liberalen polnischen
Tageszeitung Gazeta Wyborcza bloggen auf Deutsch
http://www.zeit.de/politik/ausland/polen-jaroslaw-kaczynski-regierung-blog
Artikel der taz-Korrespondentin Gabriele Lesser zu verschiedenen Themen
http://www.taz.de/!a158/
Artikel des Welt-Korrespondenten Gerhard Gnauck zu verschiedenen Themen
http://www.welt.de/autor/gerhard-gnauck/
Artikel des FAZ-Korrespondenten Konrad Schuller zu verschiedenen Themen:
http://www.faz.net/redaktion/konrad-schuller-11104286.html
Weiterführende Literatur
Bader, Katarina/Zapart, Tomasz (2011): Die Bürgerplattform: Von der Bürgerbewegung zur
Mitgliederpartei. In: OSTEUROPA, 61. Jg., 5–6/2011, S. 259–278.
Baczyński, Rafał (2015): Aufnahme und Intergration von Flüchtlingen in Polen. In: PolenAnalysen, 179, S. 2–7. http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen170.pdf
Bingen, Dieter; Ruchniewicz, Krzysztof (Hrsg.) (2009): Länderbericht Polen. Geschichte,
Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur. Bonn: bpb.
Druciarek, Małgorzata/Niżyńska, Aleksandra (2015): Ist die Politik auch weiblich? Die
Parlamentswahlen 2015 in Polen aus der Geschlechterperspektive. In: Polen-Analysen, 172,
S. 2–6. http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen172.pdf
Flis, Jarosław (2016): Republik, Rebellion, Revanche. In: Polen-Analysen, 174, S. 2–6.
http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen174.pdf
Gałązka, Marta (2016): Nowoczesna als wichtigste Oppositionspartei? In: Polen-Analysen,
176, S. 2–6. http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen176.pdf
Garsztecki, Stefan (2010): Demokratie in Polen – auf dem Weg zu Good Governance?
In: Polen-Analysen, 68, S. 2–7.
http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen68.pdf
Majcherek, Janusz A. (2015): Polen nach den Präsidentenwahlen 2015. In: Polen-Analysen,
164, S. 2–6. http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen164.pdf
Sapper, Manfred/Weichsel, Volker (Hrsg.): Gegen die Wand. Konservative Revolution in
Polen, BWV: Berlin 2016 [Osteuropa 1-2/2016].
http://www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2016/1-2/
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Sulowski, Stanisław (Hrsg.) (2009): Polen heute. Geschichte, Politik, Gesellschaft. Warszawa:
Institut für Politikwissenschaft. Universität Warschau.
Szlendak, Tomasz (2015): Die jungen Polen und die Politik. In: Polen-Analysen, 166, S. 2–6.
http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen166.pdf
Vetter, Reinhold (2015): Von Kaczyńskis Gnaden. Die neue nationalkonservative Regierung.
In: Polen-Analysen, 173, S. 2–7.
http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen173.pdf
Vetter, Reinhold (2015): Flüchtlingskrise und Wahlkampf. Tiefe Gräben in Gesellschaft, Politik
und Kirche. In: Polen-Analysen, 169, S. 2–6.
http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen169.pdf
Wittmann, Florian/Zapart, Tomasz (2015): Ein gescheitertes Referendum ohne Gewinner?
Wahlrecht und Parteienfinanzierung im polnischen Parteiensystem auf dem
direktdemokratischen Prüfstand. In: Polen-Analysen, 168, S. 2–6.
http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen168.pdf
Ziemer, Claus/Matthes, Claudia-Yvette (2010): Das politische System Polens. In: Ismayr,
Wolfgang (Hrsg.) (2010): Die politischen Systeme Osteuropas. 3., akt. und erw. Aufl.
Wiesbaden: VS Verlag, S. 207–273.
Ziemer, Klaus (2011): Ausgestaltung der Demokratie. In: Informationen zur politischen
Bildung. Polen, 311, S. 18–25.
Ziemer, Klaus (2013): Das politische System Polens. Eine Einführung. Wiesbaden: Axel
Springer Verlag.
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Einführung
1. Das politische System Polens und seine Geschichte
Mit dem Durchbruch zur Demokratie im Sommer 1989 knüpfte
Polen an alte republikanisch-demokratische Traditionen aus der
Zeit vor dem Staatssozialismus an. Bereits vor den Teilungen
Polens Ende des 18. Jahrhunderts hatten im Rahmen einer
Adelsrepublik Formen des Parlamentarismus sowie ein
Zweikammersystem mit Sejm und Senat existiert. Am 3. Mai 1791
wurde in Polen zudem die erste schriftliche Verfassung
Europas angenommen. Durch die lange Zeit der Teilungen nach
1795, die erst mit dem Wiedererstehen des polnischen Staates
1918 beendet wurde, die deutsche und sowjetische Besatzung
während des Zweiten Weltkrieges und durch die Zeit des
Staatssozialismus von 1945 bis 1989, die von der Mehrheit der
Bevölkerung ebenfalls als Fremdherrschaft empfunden wurde, hat
allerdings das Verhältnis der Polen zum Staat gelitten. Lange
Zeit wurde der Staat als etwas Fremdes, der Gesellschaft
Entgegengesetztes verstanden. Demokratie lebt aber von
Beteiligung, von der Akzeptanz des Staates, seiner Institutionen
und Eliten, und hieran mangelt es in Polen noch immer. Das
politische System Polens wurde ab 1989 zunächst über
Veränderungen der alten sozialistischen Verfassung von 1952
demokratisiert. So wurden u. a. Meinungspluralismus und
Parteienwettbewerb zugelassen sowie das Amt eines
Staatspräsidenten geschaffen und mit dem Senat eine zweite
Parlamentskammer institutionalisiert, die bürgerlichen Grundrechte etabliert, und Polen so als Republik neu begründet. Trotz
dieser Verfassungsänderungen wurde in den folgenden Jahren
eine völlig neue Verfassung entworfen, die im Jahr 1997 in einem
Referendum angenommen wurde. In ihrer Präambel wird auch die
Bezeichnung der Dritten Polnischen Republik verwendet und
an eigene Traditionen der Ersten Republik bis zu den Teilungen
Polens Ende des 18. Jahrhunderts und der Zweiten Republik der
Zwischenkriegszeit angeknüpft. Die Volksrepublik Polen wird hier
nicht erwähnt. Ungeachtet dessen ist in den letzten 20 Jahren
sehr intensiv über den Charakter, über Fehler und Verbrechen,
aber auch über Leistungen der Volksrepublik Polen gestritten
worden.
2. Das politische System heute
Ende 18. Jhd.
Adelsrepublik mit
Zweikammersystem
3. Mai 1791
erste schriftliche
Verfassung Europas in
Polen
1795
dritte Teilung Polens
(Ende der I. Republik)
1918
Wiedererstehen Polens
(II. Republik)
während des 2. WK
deutsche und sowjetische
Besatzung
1945 – 1989
Staatssozialismus
(Volksrepublik)
Ab 1989
Demokratisierung
(III. Republik)
Mit dem Akt der Verfassungsgebung war der institutionelle Aufbau
weitgehend abgeschlossen und ein politisches System mit zwei
1997
Parlamentskammern etabliert: dem Sejm, der ersten Parlamentsneue Verfassung
kammer, dessen 460 Abgeordnete nach dem Verhältniswahlrecht auf
vier Jahre gewählt werden, und dem Senat, bestehend aus 100
ebenfalls auf vier Jahre gewählten Senatoren. Anders aber als der
Bundesrat in Deutschland, ist der Senat in Polen keine Vertretung der Länder, sondern lediglich
ein zusätzliches parlamentarisches Prüforgan mit Gesetzesinitiativrecht. Der Vorsitzende des
Sejm, der Sejmmarschall, ist zweithöchster Vertreter des polnischen Staates und übernimmt
im Fall des Todes des Präsidenten, seines Rücktritts oder dessen dauerhafter Amtsunfähigkeit
die Aufgaben des Präsidenten. Dies war zum Beispiel im Jahr 2010 nach dem tödlichen
Flugzeugabsturz des damaligen Staatspräsidenten Lech Kaczyński der Fall. Die Regierung
geht direkt aus der Parlamentsmehrheit hervor und das Parlament verfügt auch über das
Recht, den Ministerpräsidenten durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen.
Zu den wichtigen politischen und institutionellen Veränderungen nach 1989 zählte auch die
Rückkehr zur kommunalen Selbstverwaltung im Jahr 1990 und die 1999 in Kraft getretene
große Dezentralisierungsreform, die wichtige Staatsaufgaben an die Regionen
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
(Woiwodschaften) überwies und den Zentralismus der sozialistischen Zeit beendete. Die seit 1.
Januar 1999 bestehenden 16 Woiwodschaften (zuvor 49) sind von ihrer Größe her mit
kleineren deutschen Bundesländern vergleichbar, ohne allerdings deren Kompetenzen zu
besitzen. Laut Verfassung ist Polen ein unitarischer Staat, der dennoch Bürgerbeteiligung auf
lokaler und regionaler Ebene, also in den Gemeinden, Kreisen und Woiwodschaften vorsieht.
Als Vertretung der Bürger existiert auf Woiwodschaftsebene der Sejmik, eine Art Landtag, der
den Woiwodschaftsmarschall als seinen Vorsitzenden der regionalen Selbstverwaltung wählt.
Zugleich gibt es in den Woiwodschaften mit dem Woiwoden einen von der Regierung in
Warschau eingesetzten Vertreter, sodass die Woiwodschaften in einem komplizierten
Abstimmungsprozess zwischen zentraler Regierung und regionaler Vertretung verwaltet
werden. Dem deutschen Föderalismus vergleichbare Landesregierungen bestehen in Polen
nicht. Dennoch erfreuen sich die Vertreter der lokalen und regionalen Ebene eines größeren
Vertrauens seitens der Bürger als die Politiker der zentralstaatlichen Ebene.
Zu den Besonderheiten des polnischen parlamentarisch-präsidentiellen Systems nach 1989
gehört die Rolle des Staatspräsidenten. Laut Verfassung ist der Staatspräsident, der für fünf
Jahre direkt vom Volk gewählt wird, nicht nur für formale Akte wie die Unterzeichnung von
Gesetzen, internationalen Verträgen oder die Ausschreibung von Wahlen zu Sejm und Senat
zuständig. Er wacht darüber hinaus auch über die Einhaltung der Verfassung und hat neue
Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und gegebenenfalls an das Verfassungsgericht zur Prüfung zu überstellen. Er verfügt über ein Vetorecht gegenüber Gesetzen, wobei
das Parlament dieses Veto mit 60 % der Stimmen zurückweisen kann. Der Staatspräsident
beauftragt nach Parlamentswahlen einen Vertreter des Parlaments mit der Regierungsbildung
(in der Regel den Vorsitzenden der stärksten Partei), er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte
und er ist laut Verfassung gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten und dem Außenminister für
die Außenpolitik der Polnischen Republik verantwortlich. Gerade hinsichtlich des letzten
Kompetenzbereiches hat es immer wieder innenpolitische Auseinandersetzungen gegeben,
insbesondere wenn Präsident und Ministerpräsident unterschiedlichen politischen Lagern (sog.
Cohabitation) angehörten, was in der Vergangenheit häufiger der Fall gewesen ist. Vorschläge
für eine Änderung der Verfassung greifen daher auch immer wieder eine klarere Abgrenzung
der Kompetenzen zwischen Regierung und Staatspräsident auf.
3. Das polnische Parteiensystem
Vor dem Hintergrund des institutionellen Aufbaus der Dritten Polnischen Republik und der
Eingliederung Polens in europäisch-nordatlantische Organisationen, hier insbesondere in die
Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft (NATO) im Jahr 1999 und in die Europäische Union
(EU) im Jahr 2004, hat sich auch das polnische Parteiensystem entwickelt und allmählich
konsolidiert. Während noch zu Beginn der 1990er-Jahre als Ergebnis der ersten freien
Parlamentswahlen von 1991 29 politische Gruppierungen im Sejm vertreten waren, sind es
aufgrund der danach eingeführten Fünf-Prozent-Klausel für Parteien bzw. der Acht-ProzentKlausel für Parteienbündnisse seitdem deutlich weniger. Seit den Parlamentswahlen im
Oktober 2015 sind nur noch fünf Parteien und ein Vertreter der Deutschen Minderheit (letztere
ist von der Fünf-Prozent-Klausel ausgenommen) im Parlament vertreten.
Seit den Neuwahlen im Herbst 2015 hat sich die Parteienlandschaft im polnischen Parlament
grundlegend verändert. Keine linke oder linksliberale Partei hat den Einzug ins Parlament
geschafft. Dagegen hat die 2001 gegründete national-konservative Partei Recht und
Gerechtigkeit PiS (Prawo i Sprawiedliwość, {prawo i sprawiädliwoschtsch}) mit 37,58 % der
Wählerstimmen die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erhalten, weil mehrere Parteien an
der 5%-Hürde scheiterten. Sie stellt sowohl die Ministerpräsidentin Beata Szydło {schüdwo} als
auch den im Jahr 2015 gewählten Staatspräsidenten Andrzej Duda {andschäi duda}, der nach
seiner Amtsübernahme allerdings aus der Partei ausgetreten ist, um als „Präsident aller Polen“
sein Amt ausüben zu können. In die Opposition musste mit 24,09 % Stimmenanteil die ebenfalls
2001 gegründete, als liberal-konservativ geltende bisherige Regierungspartei Bürgerplattform
PO (Platforma Obywatelska). Der den Wahlen vorausgegangene Wechsel ihres Parteichefs
und ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk ins Präsidentenamt des Europäischen Rates
sowie das schlechte Wahlergebnis bei den Parlamentswahlen 2015 führten zu einer schweren
Krise in der Partei. Drittstärkste Partei wurde mit 8,81 % die vor allem von jungen WählerInnen
gewählte rechts-populistische Bewegung Kukiz´15 des ehemaligen Rockmusikers Paweł
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Politik und Gesellschaft
Kukiz. Außerdem schafften es die wirtschaftsliberale Partei Moderne (Nowoczesna
{nowotschäsna}), mit 7,6 % und die Polnische Bauernpartei PSL (Polskie Stronnictwo
Ludowe) mit 5,13 % der Stimmen ins Parlament. Von den 460 Sitzen im Parlament entfallen
somit 235 auf die PiS, 138 auf die PO, 42 auf Kukiz´15, 28 auf Nowoczesna, 16 auf die PSL
und 1 Sitz auf die deutsche Minderheit.
Das Wahlergebnis, vor allem der Gewinn der absoluten Mehrheit durch die PiS, führten zu
einem massiven Rechtsruck in der polnischen Politik. Die schwerwiegenden, unmittelbar auf
die Wahl folgenden politischen Umgestaltungen durch die PiS-Partei – so beispielsweise die
faktische Entmachtung des Verfassungsgerichts und die Unterwerfung der öffentlichen Medien
unter die Parteiführung – führten in Polen zur einer vertieften Spaltung der Gesellschaft und zu
gesellschaftlichen Protesten.
4. Politik und Gesellschaft
Auffallend ist im aktuellen Sejm das Scheitern der linken Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde.
Die bisher stärkste polnische Linkspartei Bündnis der Demokratischen Linken SLD (Sojusz
Lewicy Demokratycznej, {sojusch lewitzä demokratütschnäi}) war angesichts schlechter
Umfragewerte zusammen mit anderen Parteien des linken Spektrums wie der linksliberalen
Partei Deine Bewegung (Twój Ruch {twui ruch}) in einem Wahlbündnis Vereinigte Linke
(Zjednoczona Lewica, {zjädnotschona lewitza}) angetreten, scheiterte aber an der für
Parteienbündnisse geltenden Acht-Prozent-Hürde. Andere Parteien, so z. B. die Grünen
(Zieloni, {schiäloni}), die neu gegründete Linkspartei Gemeinsam (Razem) oder die EUablehnende, libertär und paläo-konservativ ausgerichtete Partei KorWiN (nach dem
Parteigründer Korwin-Mikke benannt) konnten sich bisher nicht auf der parlamentarischen
Ebene durchsetzen. Hatte man bei der Wahl 2011 die damalige Wiederwahl der regierenden
Koalition aus PO und PSL noch als einen deutlichen Beleg für die Konsolidierung der
Parteienlandschaft und des politischen Systems der Republik Polen gewertet, zeigte die Wahl
2015 erneut, dass sich die politische Meinungsbildung in Polen noch nicht in stabilen
Parteienverhältnissen widerspiegelt.
Die wichtigsten innenpolitischen Auseinandersetzungen drehten sich in den letzten Jahren um
das Verhältnis zur Europäischen Union und den damit verbundenen Verzicht auf
Souveränitätsrechte, die man erst 1989 erkämpft hatte. Während die Mitgliedschaft in der EU
heute von allen Parlamentsparteien akzeptiert und lediglich die Umsetzung europäischer Politik
und die Tiefe der Integration diskutiert werden, lassen historische Debatten nach wie vor tiefe
politische Gräben erkennen. Insbesondere die unterschiedliche Bewertung der Volksrepublik
Polen, das Verhältnis zu den großen Nachbarn Deutschland und Russland und der
Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg sind Hinweise auf Trennlinien (sog. Cleavages) in der
politischen Landschaft. Auch das Thema „Flüchtlingspolitik“ hat in den vergangenen Monaten
zu scharfen Debatten und Diskussionen geführt, die nicht zuletzt auch Einfluss auf den
Wahlausgang hatten.
Dabei stehen sich ein offenes, europäisches Geschichtsverständnis, welches den Dialog mit
den Nachbarn sucht, und ein unkritisch positives Bild der polnischen Geschichte bisweilen
unversöhnlich gegenüber. Schließlich werden auch die Errungenschaften der Dritten
Polnischen Republik (seit 1989) sehr kontrovers diskutiert. Seit dem Amtsantritt der PiS rücken
verengte, nationale Sichtweisen und Interpretationen der polnischen Geschichte noch stärker
in den Vordergrund.
Die in diesen Diskussionen zutage tretende Schärfe der politischen Auseinandersetzung, die
Unversöhnlichkeit und das Bemühen, den politischen Gegner mit Diskreditierung zu
bekämpfen, d. h. den Konflikt über den Kompromiss zu stellen, sind ein wesentliches
Merkmal der politischen Kultur des Landes in den vergangenen Jahren. Dieser Politikstil und
einige politische Korruptionsaffären der letzten Jahre haben dazu beigetragen, dass das
Vertrauen in die Politik bei der Bevölkerung eher gering ist. Dies zeigt sich in einer geringen
Wahlbeteiligung, die bei den Parlamentswahlen zwischen 40,57 % (2005), 53,88 % (2007),
48,87 % (2011) und 51,6 % (2015) schwankte und einer bei den letzten Wahlen zunehmenden
Zahl von Protestwählern. Der politischen Elite und den Verfassungsinstitutionen wie Sejm und
Senat wird nur wenig Vertrauen geschenkt. Im Gegensatz dazu schneiden die lokalen und
regionalen politischen Eliten und Vertretungen besser ab und insbesondere der EU wird von
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Politik und Gesellschaft
großen Teilen der Bevölkerung Vertrauen entgegengebracht, auch wenn mit der PiS 2015
eine Partei an die Macht gekommen ist, deren Politik als EU-kritisch bezeichnet werden kann.
Um die Glaubwürdigkeit der Politik zu stärken, wird es in den nächsten Jahren entscheidend
sein, Nepotismus durch transparente Verfahren zu bekämpfen, den konfrontativen Politikstil zu
verändern und die Bereitschaft der Menschen zur Partizipation zu erhöhen, insbesondere auf
lokaler Ebene.
5. Aktuelles
Nach ihrem Wahlsieg im Oktober 2015 begann die neue PiS-Regierung, den polnischen Staat
in wichtigen Bereichen grundlegend umzubauen. Nach der Regierungsübernahme wurde das
Verfassungsgericht de facto der Sejm-Mehrheit unterstellt und auch die öffentlichen Medien mit
parteinahen Führungspersönlichkeiten besetzt. Das radikale Vorgehen der PiS hat sowohl in
der EU als auch in Polen selbst massive Kritik hervorgerufen. Die EU strebte sogar erstmals
ein Verfahren zur Prüfung der Rechtsstaatlichkeit eines Mitgliedsstaates an. In Polen selbst
gingen schon bald Zehntausende Gegner der Regierung auf die Straße und demonstrierten für
die Demokratie. Die polnische Gesellschaft ist in ihrer Haltung zur neuen Regierung tief
gespalten. Ein Kompromiss über die Konfrontationslinien hinweg ist nicht absehbar.
Aus: Garsztecki, Stefan: Das politische System Polens. In: Polnische Gesellschaft. Hrsg. von Matthias Kneip und
Manfred Mack. Berlin: Cornelsen 2012. S. 5–9 (bearbeitet und aktualisiert).
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Arbeitsblatt 1: Das politische System Polens
1. Wahr oder falsch? Kreuzen Sie mit Hilfe des Einführungstextes an, ob die Aussage über den
polnischen Präsidenten richtig (R) oder falsch (F) ist.
1 Der polnische Präsident wird für 4 Jahre gewählt.
R F
2 Der Präsident prüft die Gesetze und kann das Verfassungsgericht zur Prüfung
R F
der Gesetze mit einbeziehen.
3 Das Veto des Präsidenten kann nicht überstimmt werden.
R F
4 Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ist alleine für die
R F
polnische Außenpolitik verantwortlich.
5 Der Präsident wird vom Parlament im Auftrag des Volkes gewählt.
R F
6 Der Präsident ist für die Unterzeichnung von Gesetzen, internationalen
R F
Verträgen und die Ausschreibung von Wahlen zum Sejm und Senat zuständig.
2. Tragen Sie mit Hilfe des Einführungstextes die richtigen Begriffe in die Lückenfelder ein.
Untenstehend finden Sie mehr Begriffe als richtige Lösungen.
Im Gegensatz zu Deutschland, das ein föderativer Bundesstaat ist, handelt es sich bei
Polen um einen ___________________ Staat. In Polen gibt es eine mit den deutschen
Bundesländern vergleichbare Aufteilung in Verwaltungseinheiten, die _______________
heißen. Davon gibt es ______. Sie sind von der Größe vergleichbar mit den Bundesländern,
besitzen jedoch deutlich weniger ____________________________.
Die Bürgervertretung der Woiwodschaft ist der ______________________________.
Gleichzeitig wird für jede Woiwodschaft von der polnischen Regierung in Warschau ein
__________________ eingesetzt.
föderalen
Woiwodschaften
13
unitarischen
16
Kompetenzen
Sejmik
Personen
Bundesländer
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Politik und Gesellschaft
3. Verbinden Sie die Abkürzungen der polnischen Parteien mit ihren ausgeschriebenen Namen
(in deutscher Übersetzung).
Kukiz´15
Moderne
PSL
Bürgerplattform
PO
Polnische Bauernpartei
PiS
Kukiz´15
Nowoczesna
Recht und Gerechtigkeit
4. Diskutieren Sie die Ergebnisse der polnischen Parlamentswahlen im Oktober 2015. Welche
Folgen hat es, wenn eine Partei im Parlament die absolute Mehrheit erringt? Vergleichen Sie
die politischen Machtverhältnisse in Polen mit der aktuellen Situation in Deutschland.
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Arbeitsblatt 2: Vergleich der politischen Systeme in Deutschland und Polen
Lösen Sie folgende Aufgaben mit Hilfe des Einführungstextes.
1. Vergleich des politischen Systems – Ermitteln Sie die genauen Bezeichnungen.
Deutschland
Polen
____________________
__________________
Staatsoberhaupt
____________________
__________________
Regierungschef
_____________________
___________________
Parlament
_____________________
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Höchste Verwaltungsebene unter der Staatsebene
2. Benennen Sie fünf grundlegende
Unterschiede der beiden
Regierungssysteme.
a. ______________________________
b. ______________________________
c. ______________________________
d. ______________________________
e. ______________________________
Klaus Ziemer, Die politische Ordnung. In: Bingen, Dieter/Ruchniewicz,
(Aus:
Krzysztof
(Hrsg.): Länderbericht Polen. Bonn: bpb 2009, S. 148.
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Arbeitsblatt 3: Umstrittene Reformen von Medien und Verfassungsgericht
Quelle 1: Kritik an Polen
Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, hat die
politische Entwicklung in Polen kritisiert. Die Regierung stelle "zentrale europäische Prinzipien
und Werte zur Debatte", sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende den Zeitungen der Funke
Mediengruppe. Es sei "höchst problematisch", die Rechte des Verfassungsgerichts
einzuschränken oder in die Unabhängigkeit der Medien einzugreifen. Diese Entscheidungen
der Regierung in Warschau bereiteten Sorge. Die europäischen Institutionen würden die
Handlungen der polnischen Regierung genau beobachten, sagte Weber. Kritikern zufolge höhlt
der Umbau des Verfassungsgerichts die Gewaltenteilung aus und droht, das Gericht zu lähmen.
So wird für dessen Entscheidungen eine Zweidrittel-Mehrheit statt einer einfachen Mehrheit
verlangt. Außerdem beschloss die Regierung, die öffentlich-rechtlichen Medien an die kurze
Leine zu legen. Die Senderchefs werden künftig direkt durch die Regierung ernannt und
abberufen. Die PiS hatte im Oktober die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen und baut
seither das politische System Polens um.“
Aus: https://www.tagesschau.de/ausland/evp-polen-103.html (Zugriff: 19.02.2016).
Quelle 2: Rechtfertigung für die politischen Maßnahmen der neuen polnischen
Regierung
Aus einem Interview der Badischen Zeitung vom 11.01.2016 mit dem Soziologen und
Kaczyński-Berater Zdzisław Krasnodębski über die Kritik in der EU an Polen.
BZ: Wenn Sie die Vorgängerregierung derart scharf kritisieren, müsste die PiS dann nicht erst
recht die Unabhängigkeit der Justiz und der staatlichen Medien stärken, statt sie an die Kandare
zu legen?
Krasnodębski: Sie hätten Recht, wenn man in Polen vom Modell einer idealen Demokratie
ausgehen könnte. Wenn alles gut geht, können wir uns diesem Modell in ein paar Jahren
vielleicht annähern. Aktuell geht es aber darum, demokratische und vor allem politische Defekte
unseres Staatswesens zu reparieren, für die unsere Vorgänger verantwortlich sind, genau
genommen alle Regierungen seit 1989. Die Justiz und die Medien standen bei uns seitdem
immer unter starkem politischem Einfluss. Man kann das bedauern, aber es ist so.
BZ: Die PiS hat aber in einem Eilgesetz die öffentlich-rechtlichen TV- und Rundfunksender
unter Aufsicht der Regierung gestellt. Von Unabhängigkeit staatlicher Medien kann bald keine
Rede mehr sein.
Krasnodębski: Ich nehme Ihre Kritik durchaus an. Ich fürchte allerdings, dass Sie, wie viele
westliche Journalisten und Politiker, maßlos unterschätzen, was sich in den vergangenen acht
Jahren in der polnischen Politik und Gesellschaft abgespielt hat. Die Regierungszeit von Donald
Tusk und seinem wichtigsten Parteifreund, dem Präsidenten Bronisław Komorowski, war eine
Zeit der absoluten Konzentration der Macht in den Händen eines politisch-ökonomischen
Komplexes. Die Opposition wurde faktisch mundtot gemacht, insbesondere in den Medien. Man
hat viele Redaktionen, auch mit Hilfe aus der kapitalstarken Wirtschaft, von kritischen
Journalisten gesäubert. Im Westen ist all das nicht zur Kenntnis genommen worden,
wahrscheinlich weil Tusk außenpolitisch pflegeleicht war. Die jüngsten Eilgesetze der PiSRegierung haben allein das Ziel, die Pluralität und Ausgewogenheit in den Medien und auch im
Verfassungsgericht wiederherzustellen.
Aus: http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/kaczynski-berater-haelt-kritik-an-polen-fuer-ueberzogen-116022956.html (Zugriff: 19.02.2016).
Aufgaben
1. Stellen Sie Kritik und Rechtfertigung der Vorgehensweise aus beiden Texten gegenüber.
Diskutieren Sie darüber in der Klasse!
2. Warum bezeichnet der EU-Abgeordnete Weber es als „‘höchstproblematisch‘, die Rechte
des Verfassungsgerichts einzuschränken oder in die Unabhängigkeit der Medien einzugreifen“?
3. Welche Position in den beiden Quellen finden Sie überzeugender und warum?
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Arbeitsblatt 4: Der Schriftsteller Adam Zagajewski über die aktuelle Situation in Polen
Die Übersetzerin Renate Schmidgall (RS) sprach mit dem bekannten polnischen Dichter und
Schriftsteller Adam Zagajewski (AZ) über die Situation in Polen nach dem Wahlsieg der PiS im
Oktober 2015. Die national-konservative PiS hat seitdem die absolute Mehrheit im polnischen
Parlament und spaltet die Gesellschaft mit radikalen Reformen. Viele Kritiker sehen den
Rechtsstaat in Gefahr.
RS: Die neue polnische Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wird derzeit
stark kritisiert wegen der Aushöhlung des Rechtsstaats. Wie konnte es zum massiven
Wahlsieg der PiS kommen? War es eine Protestwahl der vom Kapitalismus
Enttäuschten?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Da gibt es so viele Antworten wie Kommentatoren. Die
einen machen die ärmere Bevölkerung verantwortlich, die vom Erfolg eines Teils der
Gesellschaft irritiert ist, andere sprechen vom Gefühl der Gemeinschaft, das die PiS verspricht,
im Gegensatz zu der für ein liberales System typischen Atomisierung. Dabei spielt auch ein
sehr alter Konflikt eine Rolle, den unsere Historiker als den Kampf zwischen dem Eigenen und
dem Fremden bezeichnen. Der polnische „Szlachcic“ {schlachtzitz}, der Landadlige, zog lange
Zeit den von der türkischen Mode inspirierten „Kontusz“ {kontusch}, den Sarmatenrock, den in
Paris oder London getragenen Kleidern vor, lehnte sich gegen „das Französische“ auf. Heute
geht es nicht mehr um den Schnitt des Mantels, niemand will sich in Polen türkisch kleiden (am
wenigsten die Frauen), aber manche Polen befürchten, die Substanz des „Polentums“, das
heißt, um es verkürzt zu sagen, die Kombination des traditionellen polnischen, volkstümlichen
Katholizismus mit Piroggen und Barszcz {barschtsch}, könnte durch eine intensive
Modernisierung des Landes bedroht sein.
Sie haben im Januar in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza ein satirisches Gedicht auf
die neue Regierung veröffentlicht, das einen scharfen Ton anschlägt. Darin heißt es etwa:
„Sie [die Regierung] müsste des Nachts einige Regisseure erschießen“ oder „Wir
brauchen Isolierungslager, aber dezente, um die Uno nicht zu reizen“. Das ist seit vielen
Jahrzehnten das erste politische Gedicht, und es spricht aus ihm ein großer Zorn. Woher
kommt dieser Zorn?
Zorn und Verzweiflung. Ich habe, wie auch viele meiner Freunde, das Gefühl, man habe uns
unser Land gestohlen – einen Raum der Freiheit, in dem verschiedene Stimmen zu Wort
kamen, verschiedene Temperamente. Die vorhergehende Regierung war nicht vollkommen,
aber sie versuchte nicht, einen ideologischen Schleier über die Wirklichkeit zu werfen. Sie
versuchte, mit unterschiedlichem Erfolg, konkrete Probleme zu lösen. Die Luft, in der wir lebten,
war rein, durchsichtig (es sei denn, es gab Smog). Die neue Regierung erinnert in gewisser
Weise an das kommunistische Regime, denn sie gibt sich nicht mit technischen, operativen,
ökonomischen Lösungen zufrieden, sondern versucht, einen riesigen ideologischen Schleier
auszubreiten: Nation, Kirche, Familie, Patriotismus, Tradition. Das französische Vichy-Regime
unterstützte Arbeit, Familie, Vaterland. So ähnlich soll es jetzt bei uns werden. Unsere
Regierung sagt: Wir werden nur patriotische Filme finanzieren, nur patriotische Theaterstücke.
Kurzum: Es lebe der Kitsch. Wir sind nicht mehr an Ideologie gewöhnt, aber leider ist sie zurück.
Aus: http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/zorn-und-verzweiflung-1.18695709 (Zugriff: 19.02.2016).
Aufgaben
1. Adam Zagajewski spricht vom „Kampf zwischen dem Eigenen und dem Fremden“ in Polen
und greift auf ein Bild aus der polnischen Geschichte zurück. Welche Konfrontation der Werte
und Kulturen meint er aus heutiger Sicht in Polen? Suchen Sie – auch vor dem Hintergrund der
Entwicklungen in Deutschland – nach konkreten Beispielen, die gemeint sein könnten.
2. Wie unterscheidet sich laut Zagajewski die alte Regierung von der neuen?
3. Welche Art des Regierens würden Sie der deutschen Regierung zuordnen? Nehmen Sie
einen „ideologischen Schleier“ in Deutschland wahr? Diskutieren Sie!
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Das politische System Polens
Politik und Gesellschaft
Arbeitsblatt 5: Karikaturen als Ausdruck von Kritik
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Politik und Gesellschaft
M3
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Aufgaben
1. Beschreiben Sie die Karikaturen und interpretieren Sie sie.
2. Recherchieren Sie weitere Karikaturen zur aktuellen Situation in Polen und vergleichen Sie
die Darstellungen. Welche typischen Attribute wiederholen sich? Was wird besonders kritisiert
und auf welche Weise? Einen erläuternden Text sowie weitere Karikaturen finden Sie zum
Beispiel hier: https://historischdenken.hypotheses.org/3122 (Zugriff: 19.02.2016).
3. Welche Aufgabe haben Karikaturen Ihrer Meinung nach grundsätzlich? Gibt es Grenzen des
guten Geschmacks?
Berücksichtigen Sie bei der Diskussion auch den Artikel über den polnischen Karikaturisten
Andrzej Milewski in der Welt vom 11.01.2016
http://www.welt.de/politik/ausland/article150855237/Minderheiten-zu-kritisieren-ist-doch-keineKunst.html (Zugriff: 19.02.2016).
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