Amnesty International Sudan – Koordinationsgruppe Francis Conrad (Mitglied 2054) E-Mail: [email protected] Informationen zu den für 2009 vorgesehenen Wahlen im Sudan Die Grundlage für die ersten geplanten freien und fairen Wahlen seit 23 Jahren bildet die Abschlusserklärung des Nord-Süd-Friedensabkommens (Comprehensive Peace Agreement, CAP) vom Januar 2005.1 Im Juli 2008 (mit zwei Jahren Verspätung nach dem CPA) wurde das Wahlgesetz im Sudan verabschiedet und im August 2008 wurde der Wahltermin für das Jahr 2009 bestätigt. Eigentlich waren die Wahlen drei Jahre nach dem Friedensabkommen vorgesehen (Campbell/ Bakoe 2007; Young 2007: 30; vgl. CPA), aber nun sind die Wahlen für den Juli 2009 geplant. Einige kritisieren den Wahlmonat, da er mitten in die Regenzeit fällt und die Wählerergebnisse im Süden des Sudans beeinflussen könnte. Kernpunkte im CPA waren neben der Beendigung der Kämpfe zwischen der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (People’s Liberation Movement, SPLM) und der sudanesischen Regierung zudem die gerechte Ressourcenverteilung zwischen der Zentral- und Südregierung, ein Referendum (2011) über die mögliche Abspaltung des Südens und schließlich – während einer 6-jährigen Übergangszeit (2005-2011) – die Beteiligung der SPLM an der Zentralregierung (Berg 2008: 31; Öhm 2006: 4; Pabst 2008: 103; CPA). Die Umsetzung des CPA liegt weit hinter dem Zeitplan zurück (Ehrhart), u. a. weil Khartum eben eine wachsende Popularität der SPLM und eine Abspaltung des ressourcenreichen Südens befürchtet (Ehrhart 2008: 6). Genau an dieser Stelle entwickelt sich ein Gewaltpotenzial, denn der Status des (ressourcenstarken) Südsudans mit den drei Gebieten Abyei, Süd Kordofan und Baluer Nil muss noch geklärt werden. Dafür ist, wie erwähnt, ein Referendum im Januar 2011 geplant. Zudem beanspruchen die Südsudanesen, die u. a. im Norden des Landes leben, ihr Recht, an dieser Volksabstimmung teilzunehmen, und wenn dies einigen nicht ermöglicht werden kann, könnte dies zu Ausschreitungen führen. Fraglich ist zudem, ob die Regierung in Khartum das Ergebnis des Referendums anerkennen wird. Generell, so ergaben die Analysen von Anja Dargatz von der Regionalvertretung Sudan der Friedrich Ebert Stiftung, lässt sich das Parteiensystem im Sudan wie folgt beschreiben: „Der Sudan hat eine heterogene, aber weitgehend stabile Parteienlandschaft“, die zahlenmäßig von nordsudanesischen Parteien dominiert wird. Generell verstehen sich die meisten Parteien als islamische Parteien. „Die Parteien sind selten auf eine Person zentriert und werden zumeist von starken Führungscliquen getragen. Allianzen über Parteigrenzen hinweg sind die Regel. Konkurrenz und Konfrontation sind die Ausnahme und beschränken sich auf gelegentliche verbale Attacken. Gewaltsame Auseinandersetzungen gibt es (bislang) nicht“ (Dargatz 2008: 1). 1 Das Original findet man unter: www.unmis.org/English/documents/cpa-en.pdf. 1 John Young schildert in seinem Evaluierungsbericht zum CPA, dass ihm die meisten Sudanesen beschrieben hätten, dass ein grundlegendes Vertrauen in der Parteienlandschaft fehle. „Elections are more likely to precipitate conflict than bring the disparate communities together and lay the basis for Sudan’s long-delayed democratic transformation“ (Young 2007: 31f.). Der sudanesische Präsident soll Omar al Bashir bleiben, der erste Vize-Präsident soll John Garang werden, der zugleich Präsident des „Government of Southern Sudan“ (GoSS) sein soll. Das Friedensabkommen regelt zudem die Verteilung der Regierungsposten und der Parlamentssitze per Quote. Danach gehen 52 % der 450 Parlamentssitze an die ... NCP, 28 % an die ... SPLM, 14 % sonstige politische Parteien des Nordsudan und 6 % andere politische Parteien des Südsudan. Es wird ein dezentralisiertes Regierungssystem bestehen und jeder Bundesstaat/Region kann 2 Vertreter in die 2. Kammer des Parlaments („Council of States/Regions“) entsenden (zif 2008: Dargatz 2008: 1). Für den Eintritt ins Parlament besteht die Vier-Prozent-Hürde und zudem müssen mindestens 200 Wahlspender aus 18 der insgesamt 25 sudanesischen Bundesstaaten gefunden werden (Reuters 2008). „Die Chancen politischer Parteien bei den Wahlen hängen nicht zuletzt von ihren Ressourcen ab“ (Dargatz 2008: 3). Besonders Parteien, die nicht in der Regierung sind, haben es schwer. Auf der einen Seite weil sie von Regierungsseite bedroht werden und auf der anderen Seite aufgrund der nötigen Finanzierung, und genau dadurch werden die Mitglieder käuflich. Zudem ist die Transformation der SPLM von einer Guerillabewegung zur Regierung schwierig. Somit fand erst im Mai 2008 in Juba der SPLM-Parteikongress statt, „auf dem eine gewählte Parteiführung auf allen Ebenen installiert wurde“ (Pabst 2008: 105). Die für das Jahr 2009 im Sudan geplanten Wahlen sind einer der wenigen Ansatzpunkte für demokratische Wahlen, d. h. freie und faire Wahlen. Dies bezweifeln jedoch die meisten Oppositionsparteien und -gruppierungen und deshalb ist zu befürchten, dass viele Parteien gar nicht erst antreten werden. Es bleibt abzuwarten, ob die sudanesische Regierungspartei Repressionen einsetzen wird, um ihre Macht zu halten. John Youngs Einschätzungen fallen eher negativ aus, somit befürchtet er, dass die Regelung, die aus Khartum kam, nur Parteien bei den Wahlen antreten zu lassen, die auch das CPA unterstützen, bereits die freie Meinungsentfaltung einschränkt. Somit können Parteien aufgelöst werden, die nicht der Verfassung – wie sie im CPA beschrieben ist – folgen (Young 2007: 31). Ein Blick auf die Presse- und Meinungsfreiheit oder den Umgang mit der Zivilbevölkerung und konkurrierenden Parteien wird zeigen, ob eine dauerhafte demokratische Zeit für den Sudan gekommen ist oder nicht. Es bleibt somit abzuwarten, inwiefern die Vorherrschaft beider Parteien durch die Wahlen geschwächt wird. „Die vorrangig jugendliche Bevölkerung fühlt sich zu einem großen Teil entmutigt und vernachlässigt. Sie habe nicht den Eindruck, dass ihre Anliegen von den beiden Parteien vertreten werden“ (EED 2008: 3). Es erscheint momentan wichtig, die Aktionen im Land zu beobachten, die ausgeführt werden, um die Grundlagen für die Wahlen 2009 zu legen. Somit wurde eine Nord-Süd-Kommission bezüglich der Landfrage einberufen, die jedoch ihre Arbeit erst viel zu spät – im Februar 2007 – aufnahm. Zudem arbeitet die „Abyei Boundaries Commission“ an dem Verlaufsplan („Abyei roadmap“), der im Juni von allen Parteien verabschiedet wurde und bereits im CPA seine Grundlage hat. Dieser Plan sieht v. a. vor, die Truppen beider Seiten von der Grenze abzuziehen und die IDPs (internally displaced persons – interne Vertriebene) zurückzuführen. An den Nord-Süd-Grenzverlauf gekoppelt und eine weitere Grundlage für die Wahlen 2009 ist der landesweite Zensus, der im April 2008 stattfand. Die Volkszählung liegt auch weit hinter ihrem Zeitplan, da der Zensus im Juli 2007 geplant war. Aufgrund dessen verschob sich der Wahltermin weit nach hinten. Grund war u.a., dass das „Government of National Unity“ (GNU) seine versprochene Finanzierung der Volkszählung schleppend nachkam. Bis dato sind noch keine Ergebnisse veröffentlicht – sie werden bis Ende des Jahres erwartet. „Sudan will announce the results of the fifth census before the end of 2008“, so zumindest der Direktor des Statistikamtes („Central Bureau of Statistics“, CBS) Yassin Al-Haj Abdin gegenüber der Sudan Tribune (Sudan Tribune 2008). Die Volkszählung fand vom 15. bis 30. April statt und ist Teil der Implementierung des Friedensabkommens von 2005. 2 Der Zensus konnte nicht problemlos durchgeführt werden, da besonders der Südsudan und die Region Südkurdufan (Dschanub Kurdufan) sowie Darfur aufgrund der zahlreichen IDPs, die nicht gezählt werden konnten, oftmals für eine Verschiebung der Volkszählung plädierten. Die Khartumer Regierung begegnet der Kritik mit der Zusicherung, dass sie für die Volkszählung auch die IDPs berücksichtigen und alle Unterlagen der humanitären Hilfsorganisationen dafür nutzen werden. Zudem kamen Gerüchte auf, dass ein Konflikt zwischen der SPLA und der Regierung in Khartum in Abyei Unterlagen der Volkszählung vernichten hätte, dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, so zumindest der südsudanesische Präsidialminister (Sudan Tribune 2008). Von einem besorgniserregenden Vorfall berichtete die Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano“ Anfang Oktober. Die Zeitung beruft sich auf das „Middle East Media Research Institute“ (MEMRI) und schreibt, dass die sudanesische Regierung verhindert will, dass die SPLM ihren christlichen Parteivorsitzenden und Vizepräsidenten, Salva Kiir Mayardit, für die Präsidentschaftswahlen ins Rennen schickt. Aufgrund dessen verbietet „ein neues islamisches Rechtsgutachten (Fatwa) ... Muslimen, bei der Wahl im kommenden Jahr einen Christen zu wählen“ (L’Osservatore Romano 2008). Die saudi-arabische Tageszeitung „Al-Watan“ veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 20. und 24. August 2008 genau dieses Rechtsgutachten (Fatwa) von Scheich Muhammad Ahmad Hassan (MEMRI 2008). Dieses Rechtsgutachten stellt einen klaren Verstoß gegen das Friedensabkommen von 2005 dar. Grundlegend muss beachtet werden, dass der Krieg im Süden des Sudans bis 2005 und die anhaltende Darfur-Krise nicht isoliert vom politischen System des Sudans und somit den Wahlen 2009 betrachtet werden können. Die Menschenrechtslage im gesamten Land, aber vor allem in Darfur hat sich seit dem CPA kaum verbessert und deshalb stellen die Wahlen einen Hoffnungsschimmer dar. Erfreulich erscheint zudem, dass das Wahlgesetz eine Frauenquote festlegt, was die Frauen in ihren politischen Tätigkeiten bestärkt. Jedoch werden die Kandidaten de facto von der Parteiführung ernannt, deshalb muss die Frauenquote in die Parteienstruktur eingebaut werden. Der größte Risikofaktor für die Wahlen besteht in der Anwendung von Gewalt durch die kandidierenden Parteien. „Es ist davon auszugehen, dass jede Partei eine bewaffnete Miliz zur Hand hat und im Zweifelsfall bereit ist, diese auch einzusetzen. Dies gilt nicht nur für Parteien, die aus einer bewaffneten Gruppe hervorgegangen sind, oder qua Regierungsmacht Zugriff zu diversen militärischen Gruppen haben“ (Dargatz 2008: 4). John Young, kanadischer Akademiker und Sudan-Experte, schätzt, dass das CPA bis dato „nicht dazu beigetragen (hat), dass Verständigung und Versöhnung zwischen den Völkern des Südens und des Nordens einen Schritt voran gekommen sind“ (Young 2007 in EED 2008: 2). Young stellt in seinem Evaluierungsbericht zum Friedensabkommen fest, dass es seit dessen Verabschiedung immer noch grundlegende Probleme gebe, die ein demokratisches Aufleben erschweren. So werde die Vereinigungsfreiheit eingeschränkt, Nicht-Regierungsparteien würden bedroht, die Zivilgesellschaft kontrolliert - besonders im Süden des Landes – und die Sicherheitsakteure der Regierung im Norden und Süden dominierten das Leben der Bevölkerung (Young 2007: 30). Es erscheint von grundlegender Bedeutung, den Inhalt und die Vision des CPA in der Bevölkerung zu proklamiert, insbesondere durch unparteiische Akteure. Somit könnten die Menschen im Sudan angeregt werden, den politischen Entscheidungsprozess mitzubestimmen, um an der politischen Gestaltung des Sudans teilzuhaben. Es sollen die ersten freien und fairen Wahlen seit 1986 sein und deshalb sind es für einige Sudanes/innen womöglich die ersten freien und fairen Wahlen. Somit ist die internationale Gemeinschaft dazu angeregt, bei der Aufklärung über diesen demokratischen Prozess zu helfen. Die internationale Gemeinschaft könnte zudem (etwa durch Training von Personal) das Monitoring für die Wahlen unterstützten und den Wahlvorgang an sich. „Ein Friedensprozess, der zu einem tragfähigen und belastbaren Frieden führen soll, muss von Beginn an großes Gewicht auf die demokratische Transformation der Kriegsgesellschaft legen, denn dies ist das einzige Fundament, auf dem tragfähiger Frieden aufbauen kann“ (Young 2007 zit. in: EED 2008: 2). 3 Quellen: Friedrich Ebert Stiftung (FES) 2008: Die Fachkonferenz zur aktuellen politischen Situation im Sudan (unter Leitung von Ingrid Ross) mit verschiedenen politischen Vertretern der Umma National Party (UNP), National Congress Party (NCP), Democratic Unionist Party (DUP), Beja Congress (BC), Sudan People’s Liberation Movement (SPLM), Sudanese Communist Party (SCP), Popular Congress Party (PCP) und der Union of Sudan African Party des Southern Sudan Legislative Assembly (SSLA). Berg, Patrick 2008: Konfliktdynamik im Länderdreieck Sudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik, Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin. Campbell, Kelly/ Bekoe, Dorina 2007: USIPeace Briefing. Sudan’s 2009 Elections: Critical Issues and Timelines, United State Institute of Peace, unter: www.usip.org/pubs/usipeace_briefings/2007/0824_sudan_elections.html, zuletzt eingesehen am: 16.10.2008. Dargatz, Anja 2008: Allianzen statt Konfrontation: Politische Parteien im Sudan, Kurzberichte aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der Friedrich Ebert Stiftung, Regionalbüro Sudan. Ehrhart, Hans-Georg 2008: EU-Krisenmanagement in Afrika: die Operation EUFOR Tchad/RCA, in: Integration, 2/2008, S. 145 – 158. Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Arbeitsstelle Frieden und Konfliktbearbeitung 2008: Konflikte und Friedensarbeit: Sudan, in: Info-Heft Nr. 37/2008, Bonn. Pabst, Martin 2008: Die Vereinten Nationen und Sudan (I), in: Vereinte Nationen. Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, 56. Jahrgang, S. 99 – 106. Reuters 2008: Sudan passes election law ahead of key 2009 vote, 07.07.2008 16.43 Uhr, unter: www.alertnet.org/thenews/newsdesk/MCD759278.htm, zuletzt eingesehen am: 16.10.2008. L’Osservatore Romano 2008: Sudan: “Keinen Christen wählen!”, in: L’Osservatore Romano vom 0810.2008, unter: www.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=236176, zuletzt eingesehen am: 15.10.2008. Middle East Media Research Institute (MEMRI) 2008: Sudanes Columnist Criticizes Fatwa Prohibiting Voting for a Christian Candidate, Special Dispatch Series Nr. 2072 vom 06.10.2008. Sudan Tribune 2008: Sudan to announce census results before the end of year, in: Sudan Tribune vom 12.09.2008, unter: www.sudantribune.com/spip.php?article28589, zuletzte eingesehen am 16.10.2008. Suleiman, Mahmoud A. 2008: The April Census in Sudan: Fiasco in the Making, in: Sudan Tribune vom 30. März 2008, unter: www.sudantribune.com/spip.php?article26556, zuletzt eingesehen am: 15.10.2008. Young, John 2007: Sudan IGAD Peace Process: An Evaluation, in: Sudan Tribune vom 28. Januar 2008, unter: www.sudantribune.com/spip.php?article25725, zuletzt eingesehen am: 15.10.2008. Weber, Annette – Mitglied der amnesty international Sudan Koordinationsgruppe, ehemalige Sudan und Uganda-Expertin bei amnesty international in London und momentan wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik. 4