Entwicklung und Soziale Investition

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„The Future of the Welfare State
– Perspectives from the Baltic Sea Region“
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Entwicklung und Soziale Investition
In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Zentrum für Forschung und Analyse (ICRA)
organisierte die Friedrich-Ebert-Stiftung am 27. und 28. Oktober das dritte Seminar der
Reihe „Die Zukunft des Wohlfahrtsstaates aus der Perspektive der Ostseeregion“ statt.
Die Veranstaltung widmete sich dem Thema der Sozialen Investition und Entwicklung.
Wie bei den vorangegangenen Treffen, kamen auch dieses Mal Practitioner, Gewerkschafter_innen und Wissenschaftler_innen aus dem Ostseeraum in Warschau zusammen.
Nach einer Einführung von Roland Feicht, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen, und
Dorota Szelewa, Vorsitzende von ICRA, diskutierten die Teilnehmenden in drei Blöcken
verschiedene Aspekte des Themas Soziale Investition.
Die erste Session widmete sich der Aufgabe, das Konzept der Sozialen Investition zu definieren und zu erörtern, sowie seinen tatsächlichen Neuheitswert zu diskutieren. Sowohl
im politischen als auch im akademischen sozialpolitischen Diskurs gilt die Soziale Investition als neuartiges, gerade im Entstehen begriffenes Paradigma. Der Ursprung dieses
vorsorge- und produktivitätsorientierten Konzepts lässt sich hingegen bis in die 1930er
Jahre zurückverfolgen, als es zum Rückgrat eines modernen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates in Schweden wurde.
Häufig werde dieses Konzept – verglichen mit der „alten Sozialhilfe“ – als eine neue Möglichkeit empfunden, soziale Probleme zu bewältigen. Während die „alte Sozialhilfe“ auf
dem Prinzip der „Korrektur“ basiere – also erst nach Eintritt eines sozialen Risikos greife,
liege der Idee der Sozialen Investition ein „Vorsorge“-Prinzip zugrunde, es setze also bereits vor dem Entstehen sozialer Probleme ein und vermeide diese im Idealfall präventiv.
Eine Leistungssteigerung von Humankapital – so die wesentliche These der Sozialen Investition – leiste einen langfristig positiven Beitrag für die wirtschaftliche Entwicklung.
Aus wirtschaftlicher Perspektive sei es etwa schlüssig, stärker in die Pflegeinfrastruktur
zu investieren, als in finanzielle Transferleistungen. Grund hierfür sei der deutlich größere
Multiplikationseffekt sozialer Dienstleistungen. Voraussetzung dafür sei aber eine hohe
Qualität der Sozialdienste. Die Teilnehmenden stimmten gleichzeitig darin überein, dass
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– gerade im Bereich der Familienpolitik – eine Kombination aus Geld- und Sachleistungen
erforderlich sei.
Die Diskussion förderte nach und nach einen
grundlegenden Konflikt zutage: die Rolle der
Sozialen Investition im Kontext der gesellschaftlichen
und
sprachlichen
Ökonomisierung. Kontrovers diskutierten die
Teilnehmenden die Frage, ob man sich im
öffentlichen Diskurs gezielt eines ökonomischen Vokabulars bedienen sollte, um Soziale Investitionen zu legitimieren oder ob nicht
eher ausdrücklich zu betonen sei, dass die
Soziale Investition einen ganz eigenen Wert
darstelle, der sich nicht in eine kommerzialisierte Argumentation zwängen lasse. Ein
wiederkehrendes Beispiel hierfür sei der öffentliche Diskurs über Geflüchtete und Migrant_innen, dem häufig der Charakter einer
betrieblichen Aufwands- und Ertragsrechnung anhafte. Die Teilnehmenden kamen zu
dem Schluss, dass dieses neue Modell durchaus ambivalent beurteilt werden müsse. Eine
zukunftsorientierte Sozialpolitik sei generell eine erfreuliche Entwicklung. Andererseits
steige durch die Betonung des wirtschaftlichen Nutzens sozialpolitischer Maßnahmen die
Bedeutung von Gewinn, Märkten und Konsument_innen zu Lasten von Solidarität, Staat
und Bürgerschaft. Die Teilnehmer_innen warnten vor einer rein finanziellen Beurteilung
des Wohlfartsstaates, da eine solche Sichtweise dessen sozialen Grundgedanken untergrabe.
Die zweite Session beschäftigte sich detaillierter mit der
Frage, wie Kritiker_innen von
Sozialen Investitionen überzeugt werden können und
zudem mit den Auswirkungen
dieses
Modells
auf
die
Gleichberechtigung. Gerade
Feminist_innen
kritisierten
die Herangehensweise der
Sozialen Investition. Indem
das Problem unbezahlter Arbeit außer Acht gelassen
werde, könne demnach die
Geschlechterungleichheit per se nicht beseitigt werden. Die Teilnehmenden betonten,
dass eine Geschlechtergleichstellung vor allem auf dem Arbeitsmarkt erwirkt werden
müsse, was jedoch ohne erweiterte Regulierungsmechanismen nicht möglich sei.
Zudem kam die Frage auf, bis zu welchem Grad Geldtransfers durch Soziale Investitionen
ersetzbar seien. Dabei kamen die Teilnehmer zu einer zweifachen Schlussfolgerung.
Demnach mache erstens die Einkommensungleichheit einen Redistributionsmechanismus
durch Geldleistungen erforderlich. Zweitens gebe es eine enorme politische Unterstützung für diese „traditionelle“ sozialpolitische Maßnahme. Ein Beispiel hierfür könne
Deutschland sein, wo Geldtransfers selbst innerhalb der sozialdemokratischen Kernwählerschaft auf breite Zustimmung stießen. Geld- durch Sozialleistungen zu ersetzen,
könne zu einer Abwanderung dieser Wähler_innen führen.
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Die dritte Session setzte sich mit der strategisch-politischen Dimension der Sozialen
Investition auseinander. Die Diskussionsteilnehmenden teilten zwar die Auffassung,
dass sich die Sozialstaaten der Region – in
unterschiedlichem Umfang – am Konzept
der Sozialen Investition orientieren. Gerade in den nordischen Ländern sei die Politik
als solche durchaus fortschrittlich. Gleichzeitig lägen Soziale Investitionen nicht hinreichend im Blickfeld der Politik. Austerität
sei nach wie vor die politische Norm und
lähme so die Weiterentwicklung Sozialer
Investitionen. Anschließend konzentrierte sich die Diskussion auf Fragen zur Finanzierbarkeit Sozialer Investitionen – und allgemeiner – des modernen Wohlfahrtsstaates. Dabei traten verschiedene Verbesserungsvorschläge zutage. Angesichts sparpolitischer
Maßnahmen und neuer Belastungen des Sozialstaates könnten die Regierungen auf ein
progressives Steuersystem drängen und gleichzeitig den Anteil an Steuervorteilen verringern. Eine weitere Reform könnte sich auf die neue Geldpolitik sowie eine Reregulierung
des Finanzsystems beziehen.
Möglicherweise stelle die Soziale Investition zudem einen überaus wichtigen politischen
Mobilisierungsfaktor dar. Während sozialdemokratische Parteien eher den „durchschnittlichen“ Arbeitnehmenden mobilisieren, bleibe die Frage, wie man politische Unterstützung
aus den ärmsten Gesellschaftsschichten erlangen könne. Dieser Bevölkerungsteil neige
bisher eher dazu, rechtspopulistische Parteien zu unterstützen.
Am Ende des Workshops fassten die Teilnehmenden die Ergebnisse des Tages noch einmal zusammen. Es kann der Eindruck entstehen, Soziale Investitionen seien aus vielerlei
Hinsicht ein Allheilmittel. Allerdings sollten sie mit Vorsicht diskutiert und implementiert
werden. Sie können mitnichten als Ersatz für den uns bekannten Sozialstaat dienen, sondern müssen vielmehr als zu letzterem komplementär betrachtet werden. Schlussendlich
sei die ausgleichende Wirkung Sozialer Investitionen immer auch von anderen Faktoren
des Sozialstaates abhängig, wie dem Arbeitsmarkt, Antidiskriminierungsregelungen oder
der Umverteilungspolitik.
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