DEUTSCHE ARBEITSMIGRATIONSPOLITIK Info-Box 5 Die politische Debatte um Punktesystem und Engpassdiagnose in Deutschland war die Green Card ein wichtiges Signal dafür, dass Deutschland um ausländische Fachkräfte werben wollte. Zudem wurde damit auch öffentlich eine Abkehr vom kategorischen Anwerbestopp vollzogen (Heß/Sauer 2007: 9–10). Dieser Versuchsballon führte zu einer intensiven öffentlichen Debatte über die Vor- und Nachteile von WIRTSCHAFTSWANDERUNG Die Idee des Punktesystems nach kanadischem Vorbild hat in Deutschland schon Geschichte. Die Unabhängige Kommission Zuwanderung hatte in ihrem Bericht 2001 ein solches System mit Kriterien zur Zulassung ausländischer Arbeitskräfte vorgeschlagen: Den Kandidaten mit den höchsten Werten sollte die Einwanderung auch ohne ein konkretes Arbeitsplatzangebot gestattet werden (Unabhängige Kommission Zuwanderung 2001: 89–95). Die rot-grüne Bundesregierung griff diese Konzeptidee in ihrem 2001 vorgelegten Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz mit einigen Abstrichen auf. Die Opposition lehnte die Vorstellung, Zuwanderung auch ohne ein konkretes Arbeitsplatzangebot zu ermöglichen, strikt ab. Das Gesetz wurde zwar im März 2002 vom Bundestag angenommen, aber im Dezember 2002 aufgrund eines rechtswidrigen Abstimmungsverfahrens im Bundesrat vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt (Peucker/Heckmann 2004: 230, 239–240, 263–264). Die Reform der Zuwanderungsgesetzgebung zog sich damit in die Länge. Der Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration (Zuwanderungsrat), der 2003 zur Beratung der Migrations- und Integrationspolitik der Bundesregierung im Vorgriff auf das Zuwanderungsgesetz einberufen worden war, mahnte in seinem parallel zu den politischen Verhandlungen vorgelegten Jahresgutachten 2004 ein Punktesystem als notwendigen Bestandteil einer zukunftsgerechten Zuwanderungspolitik an und regte darüber hinaus an, ausländische Arbeitskräfte über eine bedarfsorientierte Engpassdiagnose zuzulassen, was von der Opposition ebenfalls scharf abgelehnt wurde (Zuwanderungsrat 2004: 215–229; vgl. Kap. A.6). Im Juni 2004 einigten sich Bundesregierung und Opposition in einem Spitzengespräch im Bundeskanzleramt auf einen Kompromiss, mit dem das Zuwanderungsgesetz konsensfähig wurde. Als Teil dieses Kompromisses wurde das Punktesystem gestrichen. Damit entfiel auch die Grundlage für den Zuwanderungsrat selbst, der im Laufe der parteipolitischen Verhandlungen immer mehr auf die Beratung des Punktesystems eingeengt worden war (Drexler/Heckmann 2006: 225). Die vom Zuwanderungsrat angeregte Engpassdiagnose wurde 2009 im Rahmen der Arbeitskräfteallianz von jenen Regierungsparteien beschlossen, die sie 2004 in der Opposition und unter behördlichem Einfluss noch strikt abgelehnt hatten. Im Jahr 2010 wurde die Allianz neu konzipiert und darauf ausgerichtet, „Strukturen zur Sicherung der Arbeitskräftebasis auf regionaler Ebene aus- bzw. aufzubauen und zu unterstützen“. Für diese Arbeit ist ein Arbeitskräftemonitoring geplant, das spezifische Aussagen zum aktuellen sowie künftigen Arbeitskräftebedarf nach Qualifikationen, Berufen, Branchen und Regionen treffen soll (BT-Drs. 17/3295: 2). Mitte 2010 wurde auch die Arbeitsgruppe der Bundesregierung ‚Fachkräfte der Zukunft‘ ins Leben gerufen, die aktuelle Maßnahmen der Regierung und der Sozialpartner zur Sicherung der Fachkräftebasis identifizieren soll und ggf. Vorschläge für weiteren Handlungsbedarf unterbreitet (BT-Drs. 17/2969). Auch das Punktesystem fand im Jahr 2007 noch Eingang in die deutsche Gesetzgebung, nämlich bei der Zulassung jüdischer Zuwanderung: Nach einem Punktekatalog werden z. B. für niedriges Lebensalter, berufliche Qualifikation oder die Möglichkeit der Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde in Deutschland maximal 105 Punkte vergeben. Bei 50 Punkten wird von zureichenden Integrationsbedingungen ausgegangen und es kann eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden. Ausnahmeregelungen sind für Opfer des Nationalsozialismus, für Familienzusammenführung sowie für Härtefälle vorgesehen. Offenbar waren die Kriterien des Punktekatalogs aber zu eng gefasst, die jüdische Zuwanderung ging deutlich zurück. Mittlerweile wurden Änderungen vorgenommen, z. B. sind mehr Punkte für ein niedriges Lebensalter vorgesehen (BT-Drs. 17/2965). Arbeitsmigration, die deutlich machte, dass das Thema Zuwanderung die politischen Parteien nicht unbedingt Wählerstimmen kosten musste, sondern ihnen auch Stimmen einbringen konnte. Der immer stärker wachsende Fachkräftemangel und die Sorge bezüglich der Folgen der demografischen Entwicklung am Arbeitsmarkt Jahresgutachten 2011 65