PRESSEMITTEILUNG „Vorsicht vor Stigmatisierung“ Kurzinterview mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Luderer Köln, 03. April 2015: Durch die neuesten Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Co-Piloten beim Flugzeugunglück am 24. März 2015 werden Depressionen wieder Teil der öffentlichen Debatte. Prof. Dr. Hans-Jürgen Luderer, Gesprächspsychotherapeut (GwG) und Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie, klärt im Interview über das Krankheitsbild auf und warnt vor vorschnellen Schlüssen. Durch die aktuelle Berichterstattung über das Germanwings-Unglück kann leicht der Eindruck entstehen, dass mit einer Depression Massenmord-Gedanken einhergehen können. Was können Sie dem entgegensetzen? Zunächst sollten wir uns klarmachen, dass Depression eine sehr häufige Erkrankung ist: Mehr als 10 Prozent aller Menschen sind hiervon betroffen. Die Gefahr eines Suizids ist bei depressiven Erkrankungen etwa 30-mal höher im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Aber: Leib und Leben anderer Menschen sind durch diese Suizide in der Regel nicht gefährdet. Wenn eine Person nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen tötet, spricht man von erweitertem Suizid. Unter diesem Begriff werden zwei grundverschiedene Phänomene zusammengefasst: der Mord mit anschließendem Suizid des Täters und der Suizid mit zusätzlicher Tötung einer oder mehrerer anderer Personen. Über Suizide mit zusätzlicher Tötung einer oder mehrerer anderer Personen findet man in der Literatur nur Einzelfallberichte. Dieser Form des erweiterten Suizids liegt in der Hälfe der Fälle eine extrem schwere wahnhafte Depression zugrunde. Massenmordgedanken als Folge einer schweren depressiven Erkrankung sind bisher noch nie verlässlich beschrieben worden. Hier muss man also bei der Beschreibung des Krankheitsbildes sehr vorsichtig sein und ganz klar differenzieren. Inwiefern besteht Ihrer Ansicht nach die Gefahr, dass unsere Gesellschaft depressive Menschen stigmatisiert? Die Einstellung der Allgemeinbevölkerung zu psychisch Kranken ist meist durch Unsicherheit und oft durch den Wunsch nach sozialer Distanz gekennzeichnet. Besonders kritisch sind die Einstellungen GwG Gesellschaft für Personzentrierte Psychotherapie und Beratung e. V. Melatengürtel 125 a 50825 Köln Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Dr. Elena Winter Tel. 0157 71413117 Fax 0221 25 12 76 Mail: [email protected] www.gwg-ev.org gegenüber Suchtkranken und Patienten mit Schizophrenien. Aber auch Patienten, die wegen einer Depression stationär in einer Klinik für psychische Erkrankungen behandelt wurden, berichten anschließend über Stigmatisierungserfahrungen. Und wenn Medien noch dazu – so wie im aktuellen Fall – über aggressive Handlungen psychisch kranker Personen berichten, erhöht das die Gefahr der Stigmatisierung. Was halten Sie von der Diskussion um bestimmte Berufsverbote, wenn bei einem Klienten oder Patienten die Diagnose Depression vorliegt? Die meisten Personen, die an einer depressiven Störung leiden, können ihren Beruf nach einer medikamentösen oder psychotherapeutischen Behandlung ohne Einschränkungen weiter ausüben. Bei manchen Betroffenen ist zu überlegen, aus fürsorglichen Gründen die Arbeitsbedingungen anzupassen. Berufsverbote aber sind meiner Ansicht nach allenfalls in gut begründeten Einzelfällen zu rechtfertigen. Interviewanfragen zu dem Thema bitte an: Prof. Dr. Hans-Jürgen Luderer Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der GwG / Chefarzt a. D., Klinikum am Weissenhof 74189 Weinsberg Mail: [email protected] Hintergrund: Die GwG Gesellschaft für Personzentrierte Psychotherapie und Beratung (ehemals: GwG Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie) ist national und auf europäischer Ebene der größte Fachverband für Personzentrierte Psychotherapie und Beratung. Ihre Mitglieder sind in allen Bereichen der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung sowie in der Beratung tätig. Die GwG vertritt und verbreitet den „Personzentrierten Ansatz“ (PZA) in Forschung und Lehre. Sie unterstützt damit die seelische Gesundheit der Bevölkerung in unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen. Der PZA wurde von dem amerikanischen Psychologen Carl R. Rogers (1902–1987) entwickelt. Wesentliche Erkenntnis seiner Arbeit ist die absolute Wertschätzung und die Fähigkeit zur positiven Entwicklung der Persönlichkeit. Im Rahmen von Psychotherapie und Beratung lernen die Klienten, ihre verborgenen Fähigkeiten zu entwickeln und eigenständig Lösungen für ihre Probleme zu finden. Weitere Informationen auch unter www.gwg-ev.org.