LIEBER DANEBEN TREFFEN ALS GAR KEIN ZIEL HABEN! ÜBER K A R L H E I N Z S T O C K H AU S E N ( 2 0 0 8 ) Von Per Nørgård Stockhausen hatte oft für mich etwas Irritierendes, das aggressive Untertöne geradezu hervorrief. Ich glaube, dass es daran lag, dass er mich immer mit seiner besonderen Fähigkeit überwältigte so ”überzeugend”, ja paradox präzis, ein konkretes Ziel zu verfehlen – ein Ziel, dass ich eigentlich zu verstehen glaubte. Gelegentlichgibt es Werke, in denen es eine klare Übereinstimmung gibt zwischen Mitteln und Zielen: unter anderem gehören Kontakte und Mikrophonie dazu. Die genannten “Fehlschüsse“ haben sicher auch ihr Gutes, sind durchaus verbunden mit hehren Zielen, so dass sie letztlich Neugierde wecken. Dies bleibt indes anstrengend, sofern alles – unter anderem auch die wesentliche Diskussion über den Aufsatz “...wie die Zeit vergeht“ – aufgehoben ist in einem Gewebe aus arbiträren Dogmen und willkürlichen Kompromissen, wie es in Gruppen zu erfahren und ­hören ist.1 Und dort, wo Stockhausen versucht Formantspektren der Stimme in “archetypischen“ Klangmustern auszudrücken, sich aber auf eine Reihe abgeschriebener Mantras und einiger Götternamen versteift, führt solches Verfahren – in Stimmung, ansonsten eine faszinierende “Zustandsmusik“ – zu geradezu unfreiwilliger Komik. Und wenn seine “intuitive Musik“ eingedampft wird zu den PseudoZen-Vorschriften in Die sieben Tage wird das Musikalische aufgehoben zugunsten geistlicher Übungen, wie sie in den frühen FluxusTagen vorkommen, etwa in den Anweisungen La Monte Youngs in seinem sogenannte Klavierstück (für David Tudor): ”Most of them were very old grasshoppers”. Kurz gesagt: alle Ansätze und Fragestellungen kann ich nachvollziehen, aber selten die Resultate. Das betrifft übrigens auch die schrift- liche Argumentation. Wenn Stockhausen den Wachstum der Bäume mit Musik vergleich. Man spitzt die Ohren, doch dann liest man: ”Die Höhe eines Baums lässt sich in Bezug setzen zu einem bestimmten Parameter, sagen wir einmal: zur maximalen Lautstärke. Die einzelne Zweige wären somit in der Lautstärken-Kurve, die man auch als Hüll­kurve bezeichnen. Diese Kurve könnte man exakt in Form ein Baums zeichnen. Wenn man nun die Tonhöhe nimmt, ergeben sich alle Formen von auf- und absteigenden Glissandi, durch die äußere Baumform. Nimmt man den Rhythmus, kann die Höhe der Baum mit der Länge des Tons gleichgesetzt werden; und wo es einen Zweig gibt hat man kleinere Einheiten, die sich auf- oder abwärts bewegen können, ausgeben von bestimmte Punkten dieser Gesamtlänge(...)”2 Solche Vergleiche sind für mich absurd: Von welcher Tiefe die Fragestellung und wie oberflächlich das Resultat! Aber meine bittere Huldigen an den nun Verstorbenen1 soll nun mit einem Bonmot enden: Lieber daneben treffen als gar kein Ziel haben! ■ Noter 1) In MusikTexte waren diese zwei Sätze (über Gruppen und über Stimmung) in die Übersetzung leider kombiniert; hier justiert. 2) aus: Jonathan Cott: Stockhausen. Conversation with the Composer: London, Picador 1974. 71)/ 3) 1978-version: til den 50-årige (an den 50-jährigen Komponisten ...) ■ Per Nørgårds skrifter. Udgivet af Ivan Hansen. Dansk Center for Musikudgivelse - www.kb.dk/dcm 1 Originalversion publiziert in Dansk Musik Tidsskrift 1978-79 nr. 3 (Tema: Stockhausen 50). Übersetzung für Musiktexte 2008: Gisela Grone­meyer. Publiziert in MusikTexte 116, Februar 2008 – ”In memoriam Karlheinz Stockhausen”, mit folgende Beiträge: “Auf Wiedersehen im siebten Himmel“ (Gottfried Michael Koenig) für Karlheinz (Henri Pousseur) “ ... schockierend tröstlich“ (Dieter Schnebel) Dank (Helmut Lachenmann) Lieber daneben treffen als gar kein Ziel haben! (Per Nørgård) Nachklänge zu Stockhausen (Konrad Boehmer) “... der Tod bedeutet nichts“ (Friedrich Goldmann) Per Düsenjet von Köln-Lindenthal zum Dom (Frederic Rzewski) Wenn der Vogel flügge wird ... (Holger Czukay) Ja Herrgottsakra! (Nicolaus A. Huber) – Aufführungspraxis von Werken Stockhausens (Richard Toop) Erster Kontakt ... (Rolf Gehlhaar) Symbol der Avantgarde (Vinko Globokar) “Adieu“ für Karlheinz Stockhausen (Michael-Christfried Winkler) Die Stockhausen-Klasse der Jahre 1973 und 1974 (Richard Toop) Die Geschichte vom Hasen und dem Igel (Robert HP Platz) Vergnügen (Gerald Barry) Mein Vater – unsere Zusammenarbeit (Markus Stockhausen) Licht (Manos Tsangaris) “Kaninchen sind ganz anders“ (Camilla Hoitenga) Karlheinz Stockhausen im Gespräch über “Oktophonie“ (Pay-Uun Hiu und Alcedo Coenen) Stockhausens “Licht“-Opern (Udo Zimmermann) Klang, Mathematik und Geist (Rod Stasick) Vertreter einer aussterbenden Gattung (Harald Muenz) Kontrapunktische Fragmente in memoriam Karlheinz Stockhausen (Pascal Decroupet und ­Elena Ungeheuer) Feuer religiöser Begeisterung (Thomas Ulrich) Grabgebet für Stockhausen (Suzanne Stephens) An Professor Quander, Kulturdezernat der Stadt Köln (Karlheinz Stockhausen) 2 Per Nørgårds skrifter. Udgivet af Ivan Hansen. Dansk Center for Musikudgivelse - www.kb.dk/dcm