Homepage Link: Veranstaltungen Sozialpsychologie SS 2005 PD Dr. Alfred Fries, Akad. Direktor Lehrstuhl Sonderpädagogik II Veranstaltung im SS 2005: Gesellschaft und Behinderung: Psychologie der Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderungen. Ort und Zeit: Siehe Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis und Aushang Studierende der Fachrichtung Körperbehindertenpädagogik im Hauptstudium Schein: Psychologie der Körperbehinderungen nach LPO I ( Hauptstudium ) 1. Anmerkungen zu dieser Veranstaltung: Quelle und weitere Literaturangaben: Fries, A.: Einstellungen und Verhalten gegenüber körperbehinderten Menschen- aus der Sicht und im Erleben der Betroffenen. Oberhausen 2005: Athena-Verlag. ISBN: 3-89896-212-1. Immer wieder liest und hört man, dass Menschen ihren Urlaub dadurch geschmälert erleben, weil auch Behinderte im gleichen Hotel ihre Ferien verbringen: Gerichte entschieden dann beispielsweise auf Rückzahlung von Anteilen der Reisekosten entsprechend der Minderung der Urlaubsqualität (vgl. das „Flensburger Urteil“; Begemann 1994, 14). 1971 verweigerte der Besitzer eines Hotels an der Adria Contergankindern mit ihren Eltern die vorher zugesagte Unterkunft. Begründung: Es waren Buchungen rückgängig gemacht worden, weil man „den Anblick dieser Kinder nicht ertragen konnte“ (Der Stern 1971, Nr.38; zit. in Cloerkes 1979, 435). Der Hotelier fürchtete, dass sein Haus aufgrund der sozialen Reaktionen von nichtbehinderten Gästen seinen bislang „erstklassigen Ruf“ verlieren könnte. Erinnert sei hier auch an die skandalöse Diskriminierung geistig behinderter Kinder, für die 1969 im niederbayerischen Aumühle ein Heim geplant war. Die erfolgreiche Vertreibung der „Idioten“ wurde von den Bürgern mit Freibier gefeiert. Im Jahre 1971 wurde aus dem hessischen Treysa gemeldet, dass den Bewohnern eines Heimes für geistig behinderte Kinder grundsätzlich der Zugang zum örtlichen Schwimmbad verweigert wird (Die Zeit, Nr. 43, 1971). Autobiographien behinderter Menschen (beispielsweise: Schott 1983; Eggli 1990; Saal 1980) verdeutlichen, dass behinderte Menschen von gesellschaftlichen Teilhabeprozessen in mehr oder minder subtiler Weise ausgeschlossen werden. Ergebnisse empirischer Studien aus der Sonderpädagogik, der Heilpädagogischen Psychologie und der Sozialpsychologie sprechen für die Richtigkeit dieser Annahme. Sozialpsychologie ist die Wissenschaft vom interaktiven und kommunikativen Verhalten und Erleben des Individuums, seinen Erscheinungsformen, Bedingungsfaktoren und Auswirkungen (Dietrich/Walter 1970, 254f.). • Heilpädagogische Psychologie mit sozialpsychologischer Ausrichtung beschäftigt sich u.a. mit Fragen sozialer Beziehungen zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen, stellt Theorien zur Verfügung, warum die Beziehungen zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen oft nicht spannungsfrei verlaufen und bietet dafür ein breites Spektrum an Erklärungsmustern an. Das Problem , wie Beziehungen zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen verbessert werden können ( Psychologie der Einstellungen- und Einstellungsänderungen als Teildisziplin), stellt eine besonders wichtige Aufgabe heilpädagogischer Psychologie mit sozialpsychologischer Akzentuierung dar. • Die Frage der gesellschaftlichen Anerkennung stellt für behinderte Menschen ein brennendes Problem dar: In der Studie von Fries (2005) sollten 75 Menschen mit Körperbehinderungen auf einer Liste mit 15 Items angeben, was ihnen in ihrem Leben in unterschiedlicher Ausprägung Sorgen macht. Das Item „ Das Wissen um die Diskriminierung behinderter Menschen, auch wenn ich nicht unmittelbar davon betroffen bin“ hatte auf der Sorgenskala die höchste Ausprägung, dicht gefolgt und in hoher signifikanter Korrelation zu den Items „ Sorge um die Zukunft“, „Abhängigkeit“ „ Isolierung „ und „ Sorge um Unterstützung durch die Gesellschaft“. • Für Studierende sind grundlegende Kenntnisse aus der Heilpädagogischen Psychologie mit Schwerpunkt Sozialpsychologie unter verschiedenen Aspekten sehr bedeutsam: Die Psychologie bietet Hilfen an, den hoch komplizierten Vorgang der Einstellungsbildung zu behinderten Menschen zu verstehen. Dieses Wissen macht u.a. kompetent, entsprechend wissenschaftlichen Erkenntnissen im Alltag zu handeln, vor allem dann, wenn man beispielsweise in der Praxis gefordert wird, Kooperation und Integrationsmaßnahmen auf den Grundlagen vorhandener wissenschaftlicher Erkenntnisse zu planen und erfolgreich durchzuführen. 2. Themenbereiche der Veranstaltung Die Veranstaltung beinhaltet folgende thematische Schwerpunkte: In einem einleitenden Themenbereich werden Grundlagen aus der Einstellungspsychologie vermittelt: Vorurteile gegenüber behinderten Menschen zeichnen sich durch eine hohe Komplexität aus, die auf wichtigen Erkenntnissen und Ergebnissen aus der Psychologie der Einstellungen basiert. Somit ist die Vermittlung grundlegenden Wissens aus der Einstellungsund Vorurteilspsychologie sehr bedeutsam für das Verständnis der Tatsache, dass Einstellungen gegenüber behinderten Menschen viele Komponenten umfassen, eine sehr lange historische Tradition besitzen und nur schwer zu verändern sind. Ein weiterer Themenbereich wirft einen Blick in die soziale Wirklichkeit, lässt behinderte Menschen mit ihren Erfahrungen über Diskriminierungen zu Wort kommen und stellt ausgewählt empirische Studie aus der wissenschaftlichen sonderpädagischen Psychologie zum Problem: Einstellungen der Gesellschaft zu behinderten Menschen dar. Es schließt sich die Frag an: Warum werden behinderte Menschen seit Jahrtausenden in mehr oder minder subtiler Form ausgegrenzt? Aus der Psychologie ist folgendes bekannt: Je komplexer ein Sachverhalt ist, desto mehr Theorien und Erklärungsversuche werden von den verschiedenen wissenschaftlichen Richtung der Psychologie zur Verfügung gestellt, um Antworten auf wichtige Fragen zu finden. Diese Komplexität trifft vor allem für das Problem der Erklärungsversuche von Einstellungen und Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen zu, wie die folgende kleine Übersicht verdeutlichen soll: Abbildung : Theoretische Ansätze zur Erklärung der Reaktionen auf körperbehinderte Menschen Aus : Fries, A.: Einstellungen und Verhalten gegenüber körperbehinderten Menschen – aus der Sicht und im Erleben der Betroffenen. Oberhausen 2005: Athena-Verlag, S. 53 Psychologische Erklärungsansätze Psychoanalyse: Schuldangst Bedrohung der eigenen physischen Integrität (A) Soziologische Erklärungsansätze Strukturmodelle der Soziologie: Verstoß gegen Rollennormen, Schönheits-und Leistungsnormen, Gesundheitsnormen Angst, Unbehagen Unsicherheit (D) Konfliktkonstellationen Problematik widersprüchlicher Normen Irrelevanzregel Scheinnormalität Psychologische Erklärungsansätze Dissonanzmodelle der Kognitionspsychologie Gleichgewichtstheorien Spannungen durch Gefährdung von Gleichgewichtszuständen Dissonanzreduzierende Verhaltensweisen (B) Theoretische Ansätze zur Erklärung der Reaktionen auf körperbehinderte Menschen ( Auswahl - Übersicht ) Soziologische Erklärungsansätze Prozeßmodelle der Soziologie: Abweichung als Resultat gesellschaftlicher Zuschreibung, Etikettierung Diskriminierung Stigmatisierung Symbolischer Interaktionismus GOFFMAN (E) Sozialpsychologische Erklärungsansätze Austauschtheorie Investmentmodell Frey & Irle 1985 Beziehungen zu Behinderten sind nicht lohnenswert Wahl von Verhaltensweisen unter Kosten - NutzenVerhältnis (C) Weitere Erklärungsansätze: Teilweise in anderen Erklärungsansätzen bereits enthalten z.B. Just-World-Hypothese KomplexitätsPolarisierungsHypothese (F) Unsicherheit und Unbehagen auf Seiten des behinderten und nichtbehinderten Interaktionspartners Themenbereich 4 ist überschrieben mit: Wie entstehen Einstellungen? Hervorgehoben werden vor allem die Bedeutungen und der Stellenwert von Sozialisationsinhalten, Sozialisationspraktiken und kulturhistorischen Hintergründen für die Entstehung von Einstellungensmustern. Kein Kind wird mit bestimmten Einstellungsmustern geboren, diese werden im Laufe der Entwicklung erlernt, von der Gesellschaft vermittelt und individuell angenommen und umgesetzt. Zum Themenbereich 5: In den Annahmen des Normalisierungsprinzipes werden Bedingungen und Forderungen dargestellt und beschrieben, wie Einstellungen gegenüber behinderten Menschen zum Positiven hin verändert werden können: Ein schwieriger und sehr aufwendiger, oft mit Misserfolgen gekrönter Weg: In diesem Abschnitt der Veranstaltung stehen vor allem Möglichkeiten von Einstellungsänderungen über Informationsmaßnahmen, Kontaktnahme , Medien und auch über realistische Kinder-und Jugendliteratur im Mittelpunkt, wobei hier auch Bedingungen für ein erfolgreiche Integrationsmaßnahmen abgeleitet und erarbeitet werden können. Zur Bewältigungspsychologie: Gesellschaftliche Strukturenlassen sich nur schwer aufbrechen und verändern. Trotz dieser eher pessimistischen Zukunfsperspektiven eröffet die Bewältigungs- oder Copingpsychologie Möglichkeiten, behinderten Menschen durch Vermittlung spezifischer Bewältigungsstrategien die Folgen erlebter Diskriminierungen zu reduzieren: Die Stärkung des Selbstkonzeptes und des Selbstwertgefühlen hilft Menschen bei der Bewältigung belastender Situationen und Erlebnisse. Ein laufendes Projekt zum Thema: „Selbstwertmanagement“ soll ein Schritt in diese Richtung der Vermittlung individueller Hilfen darstellen. Zusammenfassung: Übersicht über Themenbereiche Warum werden behinderte M enschen diskriminiert? T heorien Erklärungsversuche (3) Entstehung von Einstellungen Sozialisationsinhalte Sozialisationspraktiken Kulturhistorische Hintergründe (4) Grundlagen: Einstellungen Soziale Vorurteile (1) Änderungen von Einstellungen Wege zur Normalisierung (5) Sozialpsychologie T hemenfelder: u.a. Einstellungen Interaktionen M ensch / Gesellschaft z.B.: Information, Kontakt, Kinder-und Jugendliteratur M edien Erfassung und Beschreibung der sozialen Wirklichkeit: Diskriminierung im Alltag Wissenschaftliche Studien (2) Z um Problem der Bewältigung von Diskriminierungen : Hilfen fürbehinderte M enschen Selbstwertstärkung