Inhaltsverzeichnis 1 2 3 Die Struktur von Festkörpern 3 1.1 Kristallstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Gitterbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.3 Strukturbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.4 Kristallbaufehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.4.1 Punktdefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.4.2 *Exkurs: Mehr über Kristallbaufehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Mechanische und thermische Eigenschaften 25 2.1 Festigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.2 Die spezifische Wärmekapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.2.1 Die Dulong-Petit-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.2.2 Die spezifische Wärmekapazität nach Einstein . . . . . . . . . . . . . 29 2.2.3 *Exkurs: Phononen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Elektrische Eigenschaften 35 3.1 Die elektrische Leitfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.2 Elektrische Leitung - Atomistisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.3 3.4 3.2.1 Die Drudesche Theorie für die metallische Leitung . . . . . . . . . . . 38 3.2.2 Halbleiter - Elektronen- und Löcherleitung . . . . . . . . . . . . . . . 40 Bändermodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3.1 Freies Elektronengas in Metallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3.2 Woher kommen Bänder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.3.3 Quantitative Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.3.4 Halbleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Halbleiterbauelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1 2 INHALTSVERZEICHNIS 3.5 4 3.4.1 Der pn-Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.4.2 Photoelement, Solarzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.4.3 Halbleiterdiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.4.4 Der Transistor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Supraleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Magnetismus 71 4.1 Dia-, Para- und Ferromagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4.2 Atomistische Grundlagen des Magnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Kapitel 1 Die Struktur von Festkörpern Im festen oder festkristallinen Zustand besetzen die Atome und Moleküle der Materie feste Plätze in einem Raumgitter und sind regelmäßig angeordnet. In einer Flüssigkeit bewegen sich die Teilchen in gegenseitiger Berührung, und in einem Gas bewegen sich die Teilchen frei im Raum und stoßen manchmal aneinander. Die Abstände zwischen den Atomen und Molekülen in einem Gas sind sehr groß im Vergleich zum Teilchendurchmesser. In einer Flüssigkeit ist die Teilchendichte wesentlich höher als in einem Gas: Durch die gegenseitigen Anziehungskräfte werden die Teilchen zusammengehalten. Definitionsgemäß ist der feste Körper der Aggregatzustand der Stoffe, bei dem eine erhebliche Menge Energie aufgewendet werden muss, um die Form oder das Volumen ändern zu können. Der feste Zustand bietet allerlei Vielfältigkeiten: So ist beispielsweise Gußeisen spröde und hart, Stahl schmiedbar. Blickt man unter diese offensichtlichen Äußerlichkeiten der Festkörper, so stößt man auf seine inneren Fähigkeiten: Es gibt elektrische Isolatoren, wie zum Beispiel Minerale, und elektrische Leiter, wie Metalle. Zum Verständnis der Festkörperphänomene muss über die klassische Physik hinausgegangen werden. Neuartige Eigenschaften wie das Auftreten von Energiebändern müssen mit Hilfe der Quantenmechanik erklärt werden. 1.1 Kristallstruktur Legt man Murmeln so eng wie möglich zusammen, ergibt sich das Bild 1.1. Jede Kugel besitzt sechs Nachbarinnen, die sie in einem Kreis umgeben. Es bilden sich zwischen ihnen sechs dreiecksähnliche Lücken. Abbildung 1.1: Eine Kugel hat in der Ebene sechs Nachbarinnen. 4 1. Die Struktur von Festkörpern Wenn man nun einen Stapel erzeugen will, so baut man eine zweite Schicht derart, dass die Murmeln Lücken überdecken, die zwischen den Kugeln der ersten Schicht bestehen. Zwischen diesen Kugeln der zweiten Schicht bestehen wiederum Lücken, durch manche von ihnen sieht man Kugeln der darunterliegenden Schicht, durch manche den Tisch (Abbildung 1.2 a)). Nun soll die dritte Schicht des Stapels gelegt werden. Diese Kugeln kann man nun entweder derart positionieren, dass die Lücken gefüllt werden, durch die der Tisch zu sehen gewesen ist, oder aber, man setzt die Kugeln der dritten Schicht in die Lücken, durch die man die Kugeln der ersten Schicht gesehen hat. Der erste Fall heißt kubisch flächenzentriert, der zweite Fall hexagonal dichteste Kugelpackung1 . Abbildung 1.2: Die obere Schicht ist jeweils durchsichtig dargestellt: (a) Die zweite Schicht wird auf die erste Kugelschicht gelegt. (b) Die dritte Schicht bedeckt die übrig gebliebenen Zwischenräume. (c) Die dritte Schicht liegt deckungsgleich über der ersten. Betrachtet man nun eine Kugel und ihre sechs Nachbarinnen in einer Ebene, so fällt auf, dass nur in dreien der sechs Lücken Kugeln aus der nächsthöheren Ebene liegen. Eine Kugel wird demnach von zwölf anderen Kugeln berührt: Sechs befinden sich in ihrer eigenen Ebene, drei in der Ebene darüber, drei darunter. Zeichnet man den Stapel aus Murmeln auf und symbolisiert eine Murmel durch ihren Mittelpunkt, so bilden diese Mittelpunkte innerhalb einer Ebene gleichseitige Dreiecke. Die Kugel mit ihren sechs Nachbarinnen ihrer Ebene wird zu einem regelmäßigen Sechseck (Abbildung 1.3). Diese „Sechseckigkeit“ kann man bei Schneekristallen beobachten (Abbildung 1.4). Die Vermutung liegt nahe, dass diese Struktur in der dichtesten Kugelpackung begründet ist. Andere symmetrische Strukturen von Kristallen müssen dann andere „Packungstechniken“ als Ursprung haben. Eine Ebene innerhalb eines regelmäßigen Kristallgitters, in denen die Zentren der Gitterbausteine liegen, nennt man Netzebene. Diese Zentren bilden einfache geometrische Figuren, wie die vorgestellten Dreiecke. Damit sich jedoch ein ebenmäßiger Kristall ergibt, müssen diese Figuren die Ebene lückenlos ausfüllen. Die dafür ideale Form bleibt das Dreieck. Je nach Form lassen diese sich zu Quadraten, Rechtecken, Parallelogrammen und Trapezen oder - wie bei den Murmeln - auch zu Sechsecken zusammenfassen (Abbildung 1.5). 1 Wohlgemerkt ist die kubisch flächenzentrierte Kugelpackung genauso dicht wie die hexagonal dichteste Kugelpackung. 1.1. Kristallstruktur 5 Abbildung 1.3: Hexagonal dichteste Kugelpackung Abbildung 1.4: Schneekristalle Die Ebene mit unregelmäßigen Vierecken, Fünf- oder Siebenecken abzudecken ist nicht möglich, auch nicht, wenn man die dritte Raumdimension hinzuzieht, die im Kristall vorhanden ist (Abbildung 1.6). Berücksichtigt man nun diese dritte Raumrichtung, so wird aus dem Grundbaustein der Ebene ein Parallelepiped, dessen Oberfläche aus sechs paarweise gleichen Parallelogrammen besteht. Mit Hilfe dieser Parallelepipede wird das Volumen eines Kristalls lückenlos ausgefüllt (Abbildung 1.7). Das entstehende Gitter ist ein Translationsgitter: Wird es perspektivisch aufgezeichnet wie in Abbildung 1.7 und kopiert man diese Zeichnung auf eine Transparentfolie, so kann man diese mit der Zeichnung immer wieder zur Deckung bringen, indem man sie verschiebt. Die 6 1. Die Struktur von Festkörpern Abbildung 1.5: Dreiecke können zu Quadraten, Rechtecken, Parallelogrammen und Trapezen oder auch zu Sechsecken zusammengefasst werden, die bei Aneinanderfügen lückenlos die Ebene bedecken. Abbildung 1.6: Mit unregelmäßigen Vierecken kann man eine Ebene nicht füllen, es bleiben Lücken. Abbildung 1.7: Parallelepipede füllen lückenlos einen Raum. Verschiebung kann in drei Richtungen erfolgen und um ganzzahlige Vielfache der (auf das Papier projezierten) Basisvektoren, die das Parallelepiped aufspannen: ~a1 , ~a2 und ~a3 (siehe Abbildung 1.8 a)). Sie entsprechen den Kanten der Elementarzelle. Man kann also von einem Gitterpunkt jeden anderen Gitterpunkt erreichen, indem man die Basisvektoren aneinanderhängt. Daraus folgt: Ein Gitterpunkt wird repräsentiert durch einen Gittervektor ~r = λ1~a1 + λ2~a2 + λ3~a3 mit λi = 0, ±1, ±2, ±3.... Die Translationsgitter, die von den ganzzahligen Vielfachen der drei Basisvektoren aufgespannt werden, können aufgrund ihrer unterschiedlichen Symmetrieeigenschaften unterschieden wer- 1.1. Kristallstruktur 7 den. Alle Kristallgitter werden nach Kristallsystemen geordnet. In einem kubisch flächenzentrierten Gitter (kfz-Gitter) zum Beispiel ordnen sich die Gitterbausteine zu Kuben an, auf deren Flächenmittelpunkten jeweils weitere Gitterbausteine sitzen. Die kleinste Einheit, die die einfache Symmetrie des Kristalls erkennen lässt, heißt Einheitszelle der Kantenlängen ax , ay und az , den Gitterkonstanten. Abbildung 1.8 illustriert am Beispiel des kubisch flächenzentrierten Gitters, wie viel anschaulicher die Handhabung der Einheitszelle gegenüber der Elementarzelle ist. Abbildung 1.8: Elementarzelle und Einheitszelle In einem kubischen Gitter gilt ax = ay = az , und die zwischen ihnen eingeschlossenen Winkel betragen 90 Grad. Mit dieser Symmetrie ist das kubische Gitter das einfachste. Kompliziertere Kristallsysteme sind in Abbildung 1.9 gezeigt. Abbildung 1.9: Kristallsysteme Bravais-Gitter Eine Einheitszelle, die nur an ihren Ecken mit Gitterbausteinen besetzt ist, heißt primitiv. Die in Abbildung 1.8 b) gezeigte kubisch flächenzentrierte Einheitszelle ist demnach nicht primitiv. In der Natur kommen auch meist keine primitiven Einheitszellen vor, da sie zu viel „Leerraum“ enthalten. Zur Erinnerung: Im Murmelstapel hatte jede Murmel zwölf Nachbarn. Im kubisch primitiven Gitter hat jedes Atom lediglich sechs Nachbarn, zwei pro Achsenrichtung. Platz ist noch in der Mitte des Würfels. Wenn dieser Platz besetzt wird, so handelt es sich um ein kubisch raumzentriertes Gitter (krz-Gitter). Betrachtet man nun die Atome auf den 8 1. Die Struktur von Festkörpern Mittelpunktsplätzen im Kristall, so bilden all diese wieder ein kubisch primitives Gitter, die ehemals Eckplatz-Atome befinden sich in dieser Relation auf den Mittelpunktsplätzen. Abbildung 1.10: Kubisch primitives Gitter, kubisch raumzentriertes Gitter (krz) und kubisch flächenzentriertes Gitter (kfz). Im kubisch primitiven Gitter teilen sich acht Einheitszellen einen Gitterbaustein. Da eine Einheitszelle aus genau acht Gitterbausteinen besteht, gibt es in einem kubisch primitiven Gitter genauso viele Gitterbausteine wie Einheitszellen. Im krz-Gitter gibt es doppelt so viele Gitterbausteine wie Einheitszellen, im kfz-Gitter dreimal so viele. In solch einem kubisch raumzentrierten Gitter hat jeder Gitterbaustein acht nächste Nachbarn. In Abbildung 1.10 ist neben dem einfachen kubischen Gitter und dem kubisch raumzentrierten Gitter auch noch das bereits oben angesprochene kubisch flächenzentrierte Gitter gezeigt. Auf der Mitte jeder Kubusseite sitzt ein zusätzlicher Gitterbaustein. Damit hat jeder Gitterbaustein zwölf nächste Nachbarn. Tatsächlich handelt es sich bei dem kubisch flächenzentrierten Gitter um dieselbe Anordnung wie in der Murmelpyramide. Die Kristallsysteme in Abbildung 1.9 sind alle primitiv. Flächenzentrierung, Raumzentrierung und Basiszentrierung auf nur einer Netzebenenschar können bei verschiedenen von ihnen auftreten. Mit diesen Möglichkeiten ergeben sich die 14 Gittertypen, die sogenannten Bravais-Gitter. Sie können noch weiter klassifiziert werden: Ein Gitter kann nicht nur ein Translationsgitter sein, sondern auch Spiegel- oder Rotationssymmetrie aufweisen. Leider kann man sich aufgrund der Perspektive nicht mehr die Zeichnung und ihre Kopie auf einer Transparentfolie zu Hilfe ziehen, aber das Prinzip bleibt dasselbe: Die Kopie eines Gitters kann also mit dem Original durch Spiegeln (Vertauschung von Oberseite und Unterseite der Folie) zur Deckung gebracht werden, oder durch Drehung um einen kleineren Winkel als 360 Grad. Ein Beispiel für ein rotationssymmetrisches Gitter ist das kfz-Gitter. Blickt man auf eine Seite der Einheitszelle, so kann man sich vorstellen, dass man sie um 90 Grad drehen kann, so dass die Einheitszelle wieder gleich aussieht. Nach viermaligem Drehen sitzt sie wieder in der Ausgangsposition. Hier verlaufen drei verschiedene vierzählige Achsen parallel zu den Würfelkanten innerhalb der Einheitszelle, um die man sie auf die beschriebene Art drehen kann. Außerdem gibt es eine Rotationssymmetrie bezüglich der Diagonalen der Einheitszelle. Um sie zu erkennen, stellt man am besten in Gedanken den Würfel in Abbildung 1.10 auf eine seiner Ecken, so, wie die Anordnung auch in der Murmelpyramide ist. Blickt man von oben auf das Gitter, so ist ein Eckpunkt oben, umgeben 1.1. Kristallstruktur 9 von drei benachbarten Eckpunkten. Dreht man nun um 120 Grad, also eine Dritteldrehung, so haben diese drei Eckpunkte ihre Position untereinander ausgewechselt. Es gibt in dieser Perspektive vier dreizählige Rotationsachsen. Die dritte und letzte Möglichkeit, das kfz-Gitter symmetrisch zu drehen, ist die, dass man die Drehachsen parallel zur Flächendiagonalen legt. Nach einer halben Drehung, also um 180 Grad, sieht das Gitter wieder gleich aus. Es gibt hiervon sechs zweizählige Achsen. Da auch chemische Verbindungen Kristalle bilden, sitzen nicht zwangsweise immer die gleichen Atome auf allen Gitterplätzen. Bei Kochsalz NaCl sind die Na+ -Ionen und die Cl− -Ionen zu gleichen Teilen und symmetrisch in einem kfz-Gitter untergebracht, immer abwechselnd. Das heißt, jedes Na+ -Ion hat nur Cl− -Ionen als direkte Nachbarn und umgekehrt (Abbildung 1.11). Abbildung 1.11: kfz-Gitter von NaCl Seine Struktur wird gebildet durch zwei kfz-Gitter - ein Natrium- und ein Chlor-kfz-Gitter. Jedes Teilgitter ist um das andere um eine halbe Gitterkonstante in den drei Achsenrichtungen verschoben. Die Art, zwei verschiedene Bravais-Gitter ineinander zu schachteln, die eine Verschiebung um einen Bruchteil der Gitterkonstanten gegeneinander aufweisen, lässt die Vielfalt möglicher Kristallgitter auf 230 Raumsymmetrieklassen anwachsen. Klassifizierung der Netzebenen und Millersche Indizes Alle Gitterbausteine liegen auf Netzebenen. Dies gilt offensichtlich für die Ebenen, die eine Einheitszelle einbetten. Als Netzebene wird die gesamte Schar von Ebenen im Kristallgitter bezeichnet, die zueinander parallel liegen und die durch Verschiebung des Gitters ineinander übergehen. Netzebenen können auch schief im Gitter verlaufen. Im Prinzip können innerhalb eines Gitters beliebig viele Netzebenen konstruiert werden, man braucht nur drei Punkte im Gitter zu wählen und diese eine Ebene aufspannen zu lassen, auf der noch weitere Gitterpunkte zu finden sind. 10 1. Die Struktur von Festkörpern Diese Ebene gehört dann zu einer Schar paralleler Ebenen, einer ganz bestimmten Netzebene. Allerdings sind die Netzebenen um so dünner mit Gitterbausteinen besetzt, je spitzer der Winkel wird, den sie mit den Flächen der Einheitszelle einschließen. Für die Klassifizierung von Kristallen sind nur dicht besetzte Netzebenen von Bedeutung. Eine Netzebene wird durch drei ganze Zahlen h, k und l charakterisiert, die Millerschen Indizes. Die Millerschen Indizes ergeben sich wie folgt: Man wählt willkürlich einen Gitterpunkt als Ursprung eines Koordinatensystems und diejenige Netzebene aus der Schar paralleler Ebenen, deren Indizes man bestimmen möchte, und die am nächsten an dem erwählten Ursprung liegt. Als nächstes bestimmt man die drei Achsenabschnitte der Ebene in dem gewählten Koordinatensystem x, y und z. Die Kantenlängen der Einheitszelle des Gitters betragen ax , ay und az . Die Millerschen Indizes lauten dann: h= ax , x k= ay y und l = az . z Abbildung 1.12: Die Millerschen Indizes dieser Ebene sind (100) Beispiel: Millersche Indizes eines kubischen Gitters In Abbildung 1.12 sollen die Millerschen Indizes der gefärbten Ebene ermittelt werden. Es handelt sich um ein kubisches Gitter. Die Ebene verläuft parallel zur (y, z)-Ebene und schneidet die x-Achse im Abstand x = ax , also der Gitterkonstanten der eingezeichneten Einheitszelle. Mit den Schnittpunkten der beiden anderen Achsen y = ∞ und z = ∞ ergeben sich die Millerschen Indizes zu: h= ax x = 1, k = ay y = 0 und l = az z = 0. Auf die gleiche Weise findet man die Indizes der beiden anderen Netzebenen und erhält für die Würfelflächen des kubischen Gitters (100), (010) und (001). 1.1. Kristallstruktur 11 Abbildung 1.13: Millersche Indizes für verschiedene Netzebenen Abbildung 1.13 zeigt die Millerschen Indizes für verschiedene Netzebenen. (101̄) bedeutet, dass der z-Achsenabschnitt negativ ist. Diese Ebene ist zum Beispiel parallel zu 1̄01, beide gehören zur selben Netzebenenschar. Diagonal durch die Einheitszelle gelegte Ebenen sind die sechs kristallographisch gleichwertigen Netzebenen der Indizes (011), (101), (110), (011̄), (101̄) und (11̄0). Vier „niedrig indizierte“ kristallographisch gleichwertige Ebenen schneiden die Würfelecken, sie haben die Inzizes (111), (111̄), (1̄11̄) und (1̄11). Ein natürlich gewachsener Kristall kann Indizes höher als 1 haben. Indizes höher als 3 kommen selten vor. 12 1. Die Struktur von Festkörpern 1.2 Gitterbindung Was hält einen Kristall zusammen? Zwischen den Gitterbausteinen herrschen Kräfte, die die Atome auf ihren Gitterplätzen halten. Diese Kräfte sind von der gleichen Art wie bei Molekülbindungen. Um die Bindungsenergie eines Kristalls zu berechnen, dividiert man die Gesamtenergie, die aufgewendet werden muss, um den Kristall in seine Bestandteile zu zerteilen, durch die Anzahl der enthaltenen Gitterbausteine. Die Bindungsenergie liegt typischerweise im eV -Bereich. Die ionische Bindung sorgt für die Bildung von Ionenkristallen. Ein reaktionsfreudiges Element, also jedes Element ohne Edelgaskonfiguration, hat das Bestreben, eine abgeschlossene Schale zu erlangen. Die Alkalimetalle (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium, Francium) besitzen in der äußeren Schale ein Elektron. Bei Abgabe des für eine Edelgaskonfiguration überschüssigen Elektrons wird aus einem Alkalimetall-Atom ein positiv geladenes Ion. Die Elemente, denen ein Elektron zur abgeschlossenen Schale fehlt, sind die Halogene (Fluor, Chlor, Brom, Jod, Astatin). Unter Aufnahme eines Elektrons wird ein Halogen-Atom zum negativ geladenen Ion. Diese Aufnahme bzw. Abgabe eines Elektrons führt zu einer stabilen Elektronenkonfiguration und nach obiger Argumentation auch zu einer Volumenänderung des Atoms bzw. Ions. Solch ein positives und ein negatives Ion werden im wesentlichen aufgrund der Coulombkräfte zusammengehalten, und es entsteht ein Alkalihalogen, zum Beispiel NaCl (Kochsalz), ein Ionenkristall, mit der Bindungsenergie von 7, 9eV /Atom. Die Anordung der Na+ -Ionen im Wechsel mit den Cl− -Ionen ist in Abbildung 1.11 auf Seite 9 zu sehen. Ein postives Na+ -Ion ist von sechs negativen Cl− -Ionen umgeben und umgekehrt. Diese Ionen gehen miteinander eine Ionenbindung ein und bilden ein Ionengitter. Die elektrischen Kräfte wirken nach allen Seiten, daher ist die Struktur eines reinen Ionenkristalls vornehmlich die eines kubischen Gitters. Für die letztendliche Form des Gitters sind die Radien der Ionen ausschlaggebend: Das kleine Na+ -Ion hat einen Radius von r = 0, 098nm. Um dieses passen 6 große Cl− -Ionen mit Radien von r = 0, 18nm, so dass ein kubisch flächenzentriertes Gitter entsteht. Ein anderes Beispiel ist die Gitterbildung von den größeren Cs+ -Ionen (r = 0, 165nm) mit den Cl− -Ionen. Um ein Cs+ -Ion passen 8 Cl− -Ionen. Es bildet sich ein Gitter, das so aussieht, dass jede Ionensorte in einem primitiven kubischen Gitter angeordnet ist. Diese Gitter sind ineinander derart verschoben, dass im Zentrum der Einheitszelle des Gitters der einen Ionenart die Ecke der Einheitszelle der anderen Ionenart sitzt. Während Elemente der ersten und der siebten Gruppe des Periodensystems bevorzugt ein Elektron abgeben und aufnehmen, um die energetisch günstige Edelgaskonfiguration zu erreichen, müßten Elemente der vierten Gruppe 4 Elektronen aufnehmen oder abgeben. Allerdings wächst die aufzuwendende Energie in Abhängigkeit der positiven Ladung des Ions steil an, um weitere Elektronen abzutrennen. Für die Aufnahme von weiteren Elektronen durch ein negativ geladenes Ion gilt Analoges. Es wird eine sogenannte kovalente Bindung eingegangen: Zwei oder auch mehrere Atome können miteinander eine kovalente Bindung eingehen und somit Edelgasstruktur erlangen, indem sie im Allgemeinen ein überschüssiges Elektron für die Bindung zur Verfügung stellen, das dann den Bindungspartnern gemeinsam gehört und dessen Fehlen 1.2. Gitterbindung 13 bzw. Hinzukommen die Elektronenschalen abschließt. Wenn sich die positiven und negativen Ladungen in der Summe ausgleichen, entsteht ein nach außen elektrisch neutrales Molekül. Wie sieht es mit der Elektronenkonfiguration von 4 Außenelektronen aus? Prominentes Beispiel hierfür ist der Kohlenstoff C; weiterhin sind in der 4. Gruppe des Periodensystems Silicium, und Germanium zu finden. Nicht nur Moleküle entstehen durch kovalente Bindungen, sondern auch Kristalle, sogenannte Valenzkristalle. Kohlenstoff kann ein Diamantgitter bilden, indem jedes C-Atom mit vier Nachbarn 4 kovalente Bindungen eingeht. Die zusätzlichen Elektronen aus diesen Bindungen erweitern die Zahl der Elektronen auf 8. Neben dem Diamanten kommt Kohlenstoff noch als Graphit vor. Während der Diamant einer der härtesten Stoffe ist und glitzert - er ist farblos und reflektiert und bricht mit seinem besonders hohen Brechungsindex stark das Licht - ist Graphit schwarz und weich. Die verschiedenen Eigenschaften resultieren aus der unterschiedlichen Struktur der Kohlenstoffanordnung (Abbildung 1.14). Die kovalente Bindung im Diamant beträgt 7, 4eV /Atom. Abbildung 1.14: Die Anordnung der C-Atome im Diamanten in Form eines kubischen Gitters und in Gaphit als hexagonales Kristallsystem. Was geschieht, wenn Natriumatome keine Chloratome finden, mit denen sie zu Kochsalz kristallisieren können? Sie können eine Metallbindung eingehen. Das Natriumatom gibt sein eines Außenelektron ab und wird zu einem positiven Ion. Das Elektron wird zum Leitungselektron, das das ursprüngliche Natriumatom bzw. -ion mit sämtlichen Nachbarn im Gitter bindet. Die Bindungsenergie beträgt bei Natrium 1, 1eV /Atom. Während bei der Ionenbindung das Elektron einem bestimmten Besitzer zugeordnet werden konnte, gehörte es bei der kovalenten Bindung zwei Bindungspartnern. Bei der Metallbindung jedoch ist es nicht mehr lokalisiert und bewegt sich „quasifrei“ durch das Gitter. Die Metallio- 14 1. Die Struktur von Festkörpern nen scheinen in einem „Elektronengas“ zu sitzen. Die Leitungselektronen bewegen sich frei im gesamten Kristall. Das Gitter eines Metalls ähnelt dem Murmelstapel, besitzt also eine hohe Symmetrie. Neben kubischen Gittern bilden sich vornehmlich auch hexagonal dichteste Kugelpackungen. Schliesslich gibt es noch eine weitere Möglichkeit für eine chemische Bindung: Die Van-derWaals-Kräfte. Kühlt man das Edelgas Argon unter 84K ab, so bilden die Argon-Atome ein kubisch-flächenzentriertes Kristallgitter. Die Bindung der Van-der-Waals-Kräfte ist schwach, sie beträgt im Falle von Argon 0, 08eV /Atom. Tatsächlich sind es nur die Edelgase, die wirklich nur durch einen einzigen Bindungs-Typ gebunden werden. Sonst treten Mischformen auf. 1.3. Strukturbestimmung 15 1.3 Strukturbestimmung Kristallstrukturen kann man experimentell wie folgt bestimmen (Abbildung 1.15): Ein Röntgenstrahlenbündel trifft auf den zu untersuchenden Kristall. Die dahinter befindliche photographische Platte zeichnet das entstehende Röntgenstrahlmuster auf. Abbildung 1.15: Der Versuchsaufbau zur Strukturbestimmung eines Kristalls. Erstmals wurde solch ein Experiment von Max von Laue2 durchgeführt. Abbildung 1.16 zeigt die entwickelte Photoplatte, die nach ihm Laue-Diagramm benannt ist. Zu sehen ist ein großer Fleck, umgeben von systematisch angeordneten kleinen Flecken, die durch die Belichtung durch die Röntgenstrahlung entstanden sind. Der Kristall streut also die Strahlung nicht diffus gleichmäßig in alle Richtungen, sondern er beugt sie in bestimmte Richtungen. Ein Beugungsmuster resultiert aus der Interferenz. Das Autreten der Interferenz ist ein Hinweis auf die Welleneigenschaften von Rötgenstrahlung und die reguläre Struktur der Kristalle. Ausführlich wurde das Laue-Verfahren in der Quantenmechanik, im Abschnitt über Röntgenstrahlung des Kapitels über Photonen besprochen. Eine Kugelwelle der Wellenlänge λ breitet sich von einem Ausgangspunkt mit Lichtgeschwindigkeit c im Raum aus. Interferenz kommt zustande, wenn eine zweite Punktquelle hinzugefügt wird, die eine zur ersten kohärente Welle aussendet, also die über lange Zeit im gleichen Takt schwingt wie die erste. Legt man im Raum zwischen den beiden Quellen eine Symmetrieebene, so treffen dort immer gleichzeitig Wellenberg und Wellenberg aufeinander, es kommt zu einer konstruktiven Interferenz, hier bildet sich das Maximum 2 Max von Laue, 1879 - 1960, Nobelpreis für Physik 1914 für die Entdeckung von Interferenz und Beugung der Röntgenstrahlen an Kristallen. 16 1. Die Struktur von Festkörpern Abbildung 1.16: Ein Laue-Diagramm, aus dem man errechnen kann, wie die Gitterelemente angeordnet sind und welche Ausmaße sie haben. 0. Ordnung. Die Maxima 1. bis n-ter Ordnung bilden sich an den Stellen im Raum, wo der Gangunterschied zwischen den Wellen gerade 1 bis n Wellenlängen beträgt. Voraussetzung für Interferenzerscheinungen ist die Kohärenz der Wellenzentren. Zwei vom gleichen Strahlbündel Röntgenstrahlung getroffene Gitterbausteine stellen solche Wellenzentren dar. Die Anordnung in einem Kristall und die Reflexion an seinen Gitterbausteinen entsprechen der Bragg-Reflexion (siehe ebenfalls Quantenmechanik, Abschnitt Röntgenstrahlung im Kapitel über Photonen). Bei der Bragg-Reflexion trifft ein Bündel Röntgenstrahlen unter einem Winkel α (Glanzwinkel) zur Netzebene ein. Der eine der beiden Strahlen wird an der oberen Ebene reflektiert, der andere an der unteren. Der Wegunterschied δ läßt sich berechnen zu δ = 2dsinα, (1.1) wobei d der Netzebenenabstand ist. Unter der Berücksichtigung der Verstärkung bei ganzzahligen Vielfachen der Wellenlänge für den Gangunterschied ergibt sich die Bragg-Bedingung: 2dsinα = nλ (1.2) Soll der Atomabstand im Kristallgitter bestimmt werden, so ist man nach der Bragg-Bedingung 1.2 auf eine bestimmte Wellenlänge angewiesen, die außerdem bekannt sein muss. Um diese Bedingung zu erfüllen, muss man den passenden Glanzwinkel „einstellen“. Dies kann man erreichen, indem man den Kristall im Strahlengang dreht. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, das sogenannte Debye-Scherrer-Verfahren. Das in Abbildung 1.17 gezeigte Debye-Scherrer-Verfahren findet in der Strukturanalyse Anwendung. Statt eines ganzen Einkristalls wird ein Kristallpulver zur Untersuchung verwendet. Dieses befindet sich in einem dünnen Röhrchen, das aus einem nichtkristallinen Material besteht, um das Experiment nicht zu verfälschen. In diesem Pulver liegen die einzelnen kleinen Kristalle in allen möglichen Orientierungen durcheinander. Es wird monochromatische Strahlung verwendet. Die benutzte Röntgenwellenlänge findet unter den vielen Kristallen immer solche, die so orientiert sind, dass sie der Reflexionsbedingung genügen. Mit der Wellenlänge lässt sich anhand des Beugungsbildes die Kristallstruktur und die Gitterkonstante bestimmen, es lassen sich 1.3. Strukturbestimmung 17 Abbildung 1.17: Debye-Scherrer-Verfahren für die Strukturanalyse. Die Probe besteht aus Kristallpulver. Abbildung 1.18: Debye-Scherrer-Diagramm aus den verschiedenen Beugungsordnungen die Indizes der Netzebenen bestimmen (Abbildung 1.18). Im Labor wird ein bekanntes Pulver und dessen Reflexe als Eichnormale verwendet. Abbildung 1.19: Röntgenbeugungsmuster eines DNA-Faserbündels. Die kreuzförmige Figur in der Mitte ist kennzeichnend für einen wendelförmigen Aufbau der DNA. Um jedoch komplexe Strukturen bestimmen zu können, wird wieder das Laue-Diagramm zu Rate gezogen und die Lage seiner Reflexe, ihre Intensität und ihre Form bestimmt. So wurde 18 1. Die Struktur von Festkörpern durch die Röntgenstrukturanalyse die Form der wendelförmigen DNA ermittelt (Abbildungen 1.19 und 1.20). Abbildung 1.20: Doppelhelix-Struktur der DNA, wie sie durch die Röntgenstrukturanalyse bestimmt wurde. In der Kristallstrukturanalyse wird nicht zwangsweise Röntgenstrahlung verwendet, sondern h auch Teilchen wie Neutronen oder Elektronen. Ihre Wellenlänge berechnet sich nach λ = mv . Um eine Wellenlänge von λ = 1nm mit Elektronen zu erhalten, müssen diese eine Geschwindigkeit von 800km/s haben. Elektronen dringen nicht sehr tief in Materie ein und sind daher für Oberflächenuntersuchungen geeignet. Da Neutronen eine viel größere Masse haben als Elektronen, reicht für sie für eine Wellenlänge von λ = 1nm die Geschwindigkeit von 400m/s. Der Vorteil von Neutronen gegenüber Elektronen ist, dass sie keine elektrische Ladung tragen und von den Hüllenelektronen der Gitterbausteine unbeeinflusst bleiben und die Informationen, die man aus Neutronenstreuung gewinnt, somit die reine „Kerninformation“ tragen. 1.4. Kristallbaufehler 19 1.4 Kristallbaufehler 1.4.1 Punktdefekte Wenn Substanzen kristallisieren, sind sie oftmals nicht ganz rein und enthalten Fremdatome. Diese Fremdatome werden in den Kristall miteingeschlossen. Sie können einen für den Aufbau des Gitters vorgesehenen Gitterplatz besetzen oder aber, wenn sie klein genug sind, in den Lücken, die in dem Gitter vorhanden sind, einen Zwischengitterplatz finden. Da die Durchmesser der Atome meist nicht genauso gross sind wie die der vorgesehenen Gitteratome bzw. nicht verschwindend klein, so kommt es in der Umgebung des Fremdatoms zu Verformungen des regulären Gitters. Wenn die Fremdatome gleichmäßig über das ganze Gitter verteilt sind, „entzerrt“ sich der Kristall wieder, sie bilden eine Überstruktur. Was jedoch beim Kristallisieren auch passieren kann, ist die Bildung von Leerstellen. Je höher die Temperatur ist, desto beweglicher sind die Gitterbausteine auf ihren Plätzen. Ist ein Platz leer, so ist der Bewegungsspielraum größer. Dieser leere Platz kann sogar verschoben werden. Zum thermodynamischen Gleichgewicht gehört eine bestimmte kleine Anzahl von Leerstellen. Wenn ein Kristall zu viele Leerstellen enthält, so wurde eine zu einer höheren Temperatur gehörende Gleichgewichtsdichte in den Kristall eingefroren. In einem Ionenkristall müssen gleich viele Gitterplätze des Anionengitters und des Kationengitters leer sein, sonst wäre der Kristall nicht mehr elektrisch neutral (Schottky-Fehlordnung, Abbildung 1.21). Abbildung 1.21: Schottky-Fehlordnung. Wenn man z. B. zu NaCl etwas Calciumchlorid (CaCl2 ) zugibt, so hat das zweifach positiv geladene Ca2+ Konsequenzen bezüglich der Gitterbesetzung: Im Kationengitter bildet sich eine zusätzliche Leerstelle. Es kann auch Elementarzellen geben, die so „leer“ sind, dass sich ein Gitterbaustein in den leeren Raum hineinsetzen kann - auf einen Zwischengitterplatz. Sein alter Gitterplatz wird zur Leerstelle (Frenkel-Fehlordnung Abbildung 1.22). Frenkel-Fehlordnungen im Anionengitter führen zu einer effektiv positiven Leerstelle, in die ein Elektron eingefangen werden kann. In einem einfachen Modell kann man dieses Elektron als in einem Potentialtopf gebunden ansehen und die Energiezustände (siehe Quantenmechanik, Abschnitt Atome, Kapitel Potentialtopf) berechnen. Einfallende elektromagnetische Strahlung kann von diesen Elektronen absorbiert werden. Geschieht dies im sichtbaren Bereich, was bei 20 1. Die Struktur von Festkörpern Abbildung 1.22: Frenkel-Fehlordnung Alkalihalogenen häufig der Fall ist, dann erscheint der Kristall farbig. Deshalb spricht man bei diesen Fehlordnungen auch von Farbzentren. Schließlich gibt es noch die künstlich herbeigeführten Fehler im Kristall. Bei der Dotierung werden in Halbleiter wie Silicium (Si) oder Germanium (Ge) der vierten Gruppe des Periodensystems Fremdatome der fünften Gruppe wie Phosphor (P), Arsen (As) und Antimon (Sb) oder der dritten Gruppe wie Bor (B), Aluminium (Al), Gallium (Ga) und Indium (In) eingebaut, um die elektrischen Eigenschaften der Halbleiter zu beeinflussen. In einem Kristall sind natürlicherweise Punktdefekte enthalten. Die Leerstellen gehören zur thermischen Bewegung und können den Kristall durchwandern. Bei Zimmertemperatur springt ein Gitterteilchen grob gerundet einmal pro Sekunde auf eine benachbarte Leerstelle, die sich gerade neben ihm ergeben hat. Diese Diffusion durch den Kristall von Fremdatomen und Leerstellen (und damit auch der „eigenen“ Gitterbausteine) kann ungleichmäßige Verteilungen ausgleichen. Mit steigender Temperatur ergeben sich auch mehr Leerstellen, jedoch kann eine Konzentration höherer Temperatur oft auch „eingefroren“ werden, wie bereits erwähnt. Der Fehlordnungsgrad, also der Anteil von Punktfehlern im Gitter, liegt bei Ionenkristallen meist unter 1 %. 1.4. Kristallbaufehler 1.4.2 21 *Exkurs: Mehr über Kristallbaufehler Versetzungen So wie es Punktdefekte in Kristallen gibt, so treten auch eindimensionale, linienförmige Baufehler auf, die Versetzungen. Diese treten in zwei Formen auf, als Stufenversetzung und als Schraubenversetzung. Abbildung 1.23: Stufenversetzung Die Stufenversetzung (Abbildung 1.23) kann durch mechanische Verformung von der Oberfläche ausgehend hervorgerufen werden. Hierbei wird ein Abschnitt einer Gitterebene in den Kristall hineingeschoben und innere Ebenen verbogen. Als Folge verbinden sich die Ebenen neu, so dass der Abschnitt ins Innere des Kristalls wandert. Der obere Teil des Kristalls ist um eine Gitterkonstante „abgeglitten“ und wird nach unten zum übrigen Kristall durch eine 22 1. Die Struktur von Festkörpern Gleitebene begrenzt. Nach der Krafteinwirkung von außen kann der Kristall in diesem Zustand verbleiben, er ist plastisch verformt. Abbildung 1.24: Gitter bei der Stufenversetzung In Abbildung 1.24 ist die Gleitebene eingezeichnet. Die zweite Form der Versetzungen ist die Schraubenversetzung (Abbildung 1.25). Bei ihr gibt es einen Versetzungskern, um den herum die Netzebenen wie eine Wendeltreppe nach oben steigen. In Abbildung 1.26 ist zu sehen, dass die Netzebene an einer Stelle über oder unter ihr normales Niveau gehoben wird. Umwandert man die Schraubenversetzung, so gelangt man eine Gitterkonstante höher oder tiefer. Wie eine Stufenversetzung kann auch eine Schraubenversetzung auf einer Gleitebene durch den Kristall wandern. Fremdatome können die Bewegungen jedoch stören. Deshalb sind verunreinigte Metalle härter und fester als reine. Auf einen natürlichen Kristall kommen etwa 1000 Versetzungen pro Quadratmillimeter. Künstlich hergestellte Kristalle für den Halbleiterbau haben keine Versetzungen. Korngrenzen In Abbildung 1.27 ist eine Kleinwinkelkorngrenze gezeigt. Wenn eine Stufenversetzung auftritt, dann bilden die beiden sie umschließenden Kristallbereiche einen kleinen Winkel gegeneinander. Dieser wird in einigem Abstand von der Versetzung ausgeglichen. Anders verhält es sich jedoch, wenn wie in der Abbildung regelmäßig auftretende Versetzungen aufeinander folgen. Es bildet sich eine Kleinwinkelkorngrenze aus, die zwei Kristallgitterblöcke unter einem kleinen Winkel miteinander verbindet. Beispielsweise ein Metall setzt sich aus eng beieinanderliegenden Kristallen, den Körnern, zusammen, die in verschiedensten Orientierungen zueinander ausgerichtet und durch Korngrenzen (nicht Kleinwinkelkorngrenzen) voneinander getrennt sind. In Legierungen treffen zwei nicht mischbare Metalle aufeinander, die nach Körnern getrennt sind. Die mechanischen Eigenschaften des Stoffes hängen von Größe und Form der Körner ab. Zum Beispiel ist Kupfer weich und grobkörnig. Wird es mit Hammerschlägen bearbeitet, wird es immer feinkörniger und damit härter. Zur Bearbeitung muss immer wieder eine hohe Temperatur zugeführt werden, die wieder größere Körner entstehen läßt. 1.4. Kristallbaufehler 23 Abbildung 1.25: Schraubenversetzung Abbildung 1.26: Gitter bei der Schraubenversetzung In künstlich hergestellten Siliciumkristallen sind über große Dimensionen wie Millimeter oder Zentimeter keine Korngrenzen enthalten: Es handelt sich um Einkristalle. 24 1. Die Struktur von Festkörpern Abbildung 1.27: Kleinwinkelkorngrenze An Korngrenzen sind meist Ansammlungen von im Kristall eingeschlossenen Fremdatomen zu finden, aber auch innerhalb eines Korns kann es eine solche Ansammlung geben, man spricht von Ausscheidungen des Kristallkorns. Das Beispiel der Bearbeitung von Kupfer hat gezeigt: Die Fehlordnung im Kristall kann größeren Einfluß auf seine nach außen hin sichtbaren Eigenschaften haben als sein eigentliches Kristallgitter. Kapitel 2 Mechanische und thermische Eigenschaften 2.1 Festigkeit Eine äußere Kraft führt zu Verschiebungen der Zentren der Gitterbausteine, und die Gitterkonstante verändert sich. Wenn die äußere Kraft nachläßt, ordnet sich der Kristall wieder zu seinem ursprünglichen Zustand. Wenn dieser wieder erreicht ist, dann handelte es sich um eine elastische Verformung. Die Energie, die die Verformung hervorgerufen hat und die im verformten Kristall gespeichert ist, kann wieder verlustfrei abgegeben werden. Die Verschiebungen innerhalb des Kristalls waren klein verglichen mit den Atomabständen. Deshalb waren die Gegenkräfte proportional zur Gesamtverformung: Das Hookesche Gesetz war gültig. Anders verhält es sich, wenn eine Versetzungslinie um mindestens einen Schritt verschoben wird. Selbst wenn der Schritt wieder rückgängig gemacht und die Versetzung in ihre ursprüngliche Position zurückkehrt, kann nicht mehr die gesamte Energie, die in den Kristall aufgenommen worden ist, wieder gewonnen werden. Bei der Umpositionierung einer Versetzung müssen sich Gitterbindungen lösen und wieder neu bilden, die beteiligten Gitterbausteine pendeln stärker aus ihrer Ruhelage. Mechanische Energie geht in innere Energie über, das Hookesche Gesetz wird verletzt. Die Elastizität ist verloren, und die Verformung ist plastisch. In Abbildung 2.1 ist die Spannung-Dehnung-Kennlinie gezeigt. Aufgetragen ist die Spannung σ = FA (A: Fläche, auf die die Kraft F wirkt) in Abbhängigkeit zur Dehnung ². Bis zum eingezeichneten Punkt 1 herrscht Proportionalität: Das Hookesche Gesetz ist erfüllt. Punkt 1 bildet die Elastizitätsgrenze. Zwischen Punkt 1 und 2 ist eine Abweichung von dieser Geraden zu sehen, die Dehnung wächst stärker als zuvor. Ab Punkt 2, der sogenannten Streckgrenze, setzen starke plastische Verformungen ein, Dehnungen erfolgen mit Verzögerungen auf die Spannungswirkung. Am Punkt 3 ist die Festigkeitsgrenze erreicht, der Zustand größter Spannung im Kristall. Eine weitere Dehnung führt dann schließlich am Punkt 4 zum Bruch des Drahtes. Warum ein Draht im Labor jedoch früher reißt als bei Punkt 4 zeigt Abbildung 2.2. Zu sehen ist die Kerbwirkung. Wo durch Zug die Oberfläche beansprucht wird, bilden sich feine Risse. Die wirkende Kraft induziert ein Drehmoment auf die Spitze der Kerbe, das die Kerbe weiter aufzureißen droht. Man definiert als harte Materialien solche, die zwar kerbfest aber spröde sind, 25 26 2. Mechanische und thermische Eigenschaften Abbildung 2.1: Spannungs-Dehnung-Kennlinie Abbildung 2.2: Kerbwirkung also bei kleiner Dehnung bereits die Elastizitätsgrenze überschritten wird. Bei tiefen Temperaturen sind die meisten Materialien spröde, nahe dem Schmelzpunkt jedoch werden sie dehnbar und verformbar. Die Härte von Materialien wird auf der sogenannten Härteskala von Mohs in 10 Kategorien eingeteilt: 1 wie Talk, 2 wie Gips, 3 wie Kalkspat, 4 wie Flussspat, 5 wie Apatit, 6 wie Feldspat, 7 wie Quarz, 8 wie Topas, 9 wie Korund und 10 wie Diamant mit der maximalen Härte. Ein härteres Material zerkratzt ein weicheres, so dass man mit einem Säckchen dieser Probekörper ein Diamant muss nicht unbedingt dabei sein - ein neu gefundenes Mineral - in diese Härteskala einteilen kann. Abbildung 2.3 zeigt eine andere Art der Härtemessung, das Verfahren nach Brinell. Eine harte Kugel wird mit einem bestimmten Druck in das zu untersuchende Material gepreßt. Die Kugel hinterlässt einen Abdruck mit einem bestimmten Durchmesser. Dieser charakterisiert die Brinell-Härte. 2.1. Festigkeit 27 Abbildung 2.3: Haertemessung nach Brinell Abbildung 2.4: Härtemessung nach Vickers Abbildung 2.4 zeigt eine ähnliche Messmethode, die nach Vickers. Hierbei wird ein Diamant zur Härtemessung verwendet, der zu einer vierseitigen Pyramide geschliffen ist. Der Spitzenwinkel beträgt 136 Grad. Mit dieser Spitze ist es sogar möglich, einzelne kleine Kristallite aus dem Gefüge herauszulösen. Die Härte ist lediglich bei Mineralien eine sinnvolle Materialkonstante. Bei Metallen ist die Härte abhängig von der Behandlung: Ein gezogener Kupferdraht ist zum Beispiel wesentlich härter als ein durch Hitze angeglühter Draht. Federstahl wird durch Glühen und plötzliches Abschrecken gehärtet. 28 2. Mechanische und thermische Eigenschaften 2.2 Die spezifische Wärmekapazität 2.2.1 Die Dulong-Petit-Regel Erhöht man die Temperatur eines festen Körpers, dann nimmt die kinetische Energie der Teilchen zu, sie bewegen sich heftiger. In einem Kristall herrscht wie in einem Gas diese Bewegung. Fürht man einem Festkörper durch thermischen Kontakt die Energie ∆Q zu, erhöht sich die Temperatur. Wie stark die Temperaturänderung ist, hängt von dem Material ab und wird durch die spezifische Wärmekapazität cm erfasst: cm = 1 dQ m dT (2.1) mit der Einheit Jkg −1 K −1 . Sie gibt an, welcher Energiebetrag zugeführt werden muss, um bei 1kg eine Temperaturänderung von 1 Grad zu erreichen. Bezogen auf die Stoffmenge n ergibt sich die Molwärme cv cv = 1 dQ n dT (2.2) mit der Einheit Jmol−1 K −1 . 1mol ist die Stoffmenge eines Systems, welches ebenso viele Teilchen enthält wie 12g Kohlenstoff 12 O. Es gilt 1mol = 6, 0221 · 1023 Teilchen. In die Molwärme gehen der Gleichverteilungssatz und die Boltzmann-Funktion ein. Gleichverteilungssatz und Regel von Dulong-Petit Der Gleichverteilungssatz oder auch Äquipartitionsgesetz besagt, dass die thermische Energie eines Systems im Mittel gleichmäßig auf alle Freiheitsgrade des Systems verteilt ist. Pro Freiheitsgrad und Teilchen des Systems beträgt die Energie im Mittel 1/2kT . Ein einatomiges Molekül hat einen Freiheitsgrad pro Dimension, so dass es eine Translationsbewegung in drei Richtungen ausführen kann. Es ergeben sich also drei Freiheitsgrade. Wenn nach dem Gleichverteilungssatz jeder Freiheitsgrad 1/2kT Energie erhält, so hat ein einzelnes Atom die Energie von 3/2kT . Für die Stoffmenge 1 Mol ergibt sich mit der allgemeinen Gaskonstanten R = 8, 32Jmol−1 K −1 = Nnk pro Freiheitsgrad 1/2RT . Für einatomige Gase gilt damit für die Molwärme cv cv = 3/2R. (2.3) cv hängt nicht von der Temperatur ab. Im Kristallgitter hat jedes Atom nicht dieselbe Energie wie ein freies Atom. Ein freies Atom hat drei kinetische Freiheitsgrade. Ein Atom im Kristallgitter hat wie ein freies Atom drei kinetische Freiheitsgrade, jedoch auch drei potentielle Freiheitsgrade. Stellt man sich einen Kristall zusammengesetzt aus kleinen Federpendeln vor, so werden die sechs Freiheitsgrade einsichtig. Es ergibt sich die Dulong-Petit-Regel: Ein Kristall aus einfachen Atomen hat die Molwärme von cv = 6R/2 = 3R = 25Jmol−1 K −1 (2.4) 2.2. Die spezifische Wärmekapazität 29 Die Dulong-Petit-Regel wird bei Zimmertemperatur bei Kupfer mit cv = 24, 6Jmol−1 K −1 recht gut bestätigt. 2.2.2 Die spezifische Wärmekapazität nach Einstein Es gibt viele Abweichungen von der Regel von Dulong-Petit, insbesondere bei Festkörpern mit fester Gitterbindung, leichten Gitterteilchen und tiefen Temperaturen. Deutlich zutreffendere Aussagen gelangen Einstein unter der Annahme, dass die Bewegung der Gitterteilchen quantisiert ist. Gitterbausteine führen mit der Frequenz ν periodische Schwingungen um ihre Ruhelage aus. Die Energie ist proportional zum Quadrat der Amplitude und nach der Quantentheorie gequantelt, das bedeutet, die Energie kann sich nur in Schritten von Vielfachen von ∆W = hν ändern. Wenn man die Temperatur weit genug senkt, dann sinkt die im Mittel für ein Teilchen gegebene Energiemenge von 3kT unter den Wert von ∆W . Es wird bei dieser Temperatur also Teilchen geben, die keinen Schwingungsquant erhalten. Je geringer die Temperatur ist, desto weniger Teilchen erhalten noch Schwingungsquanten und können sich an der thermischen Bewegung beteiligen. Die Molwärme sinkt daher bis auf null ab. Die Schwingungsfrequenz und damit ∆W ist um so höher, je härter der Kristall, je starrer das Gitter und je leichter der Gitteraustein ist. Ein Beispiel ist der harte Diamant. Die spezifische Wärme des Diamants hat einen Wert, der deutlich unter der Dulong-Petit-Regel mit 6.2Jmol−1 K −1 bei Zimmertemperatur liegt. Zimmertemperatur bedeutet bereits eine sehr niedrige Temperatur. Abbildung 2.5: Molwärmen von Gold und Kupfer Abbildung 2.5 zeigt die Molwärmen von Gold und Kupfer in Abhängigkeit von der Temperatur. Erst bei Zimmertemperatur nähern sich die Kurven der Dulong-Petit-Regel. 30 2. Mechanische und thermische Eigenschaften Boltzmann-Verteilung der Energie Für die Bestimmung des Energiegehalts eines festen Körpers ist wichtig, mit welcher relativen Häufigkeit die einzelnen Energiezustände besetzt sind. An einem relativ einfachen Beispiel soll eine solche Wahrscheinlichkeitsverteilung hergeleitet werden. Im Gravitationsfeld der Erde wirkt auf ein Volumenelement dV der Höhe h und der Dichte ρ die Kraft dF = ρgdV . Es erzeugt durch diese Kraft auf die darunter liegende Luftsäule einen Druck von dp = −ρgdh. Das negative Vorzeichen ergibt sich, weil p mit steigender Höhe h abnimmt. Für ein ideales Gas der Temperatur T gilt das Gesetz von Boyle- Mariotte: ρ ρ0 = . p p0 (2.5) Dabei bedeuten die Indizes 0 die Messgrößen auf Meereshöhe. Das Boyle-Mariottesche Gesetz in die barometrische Höhenformel eingesetzt ergibt dp ρ0 = −gp dh p0 (2.6) Integration ergibt p(h) = p0 exp(− gρ0 h) p0 (2.7) Sei nun n = N/V die Anzahldichte der N Moleküle im Volumen V und µ die Masse eines einzelnen Moleküls. Mit ρ = m/V = N µ/V = nµ und p proportional zu ρ ergibt sich n(h) = n0 exp(−g n0 µ h) p0 (2.8) Die Zustandsgleichung eines idealen Gases lautet pV = N kT mit k = −23 −1 1, 38 cot 10 JK /T eilchen als der Boltzmann-Konstanten. Wir ersetzen den Quotienten p0 /n0 durch kT : µgh n(h) = n0 exp(− ) (2.9) kT Ein Molekül in der Höhe h hat eine höhere potentielle Energie Wpot = µgh als ein Molekül auf Meereshöhe h = 0. Wpot n(h) = exp(− ) = fB (T ) (2.10) n0 kT Dies ist die sogenannte Boltzmann-Verteilung. Sie bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Molekül in der Luftsäule eine potentielle Energie Wpot hat. Diese Betrachtung für die potentielle Energie gilt, wie Ludwig Boltzmann gezeigt hat, auch für andere Energieformen wie z. B. die kinetische Energie. Verallgemeinert gilt also: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilchen die Energie W hat, ist 2.2. Die spezifische Wärmekapazität n(W ) Wpot = exp(− ). n0 kT 31 (2.11) Energiegehalt eines Festkörpers (Einstein) Nach Einstein haben alle Gitterbausteine eines bestimmten Kristalls die Vielfachen j einer Grundfrequenz ν0 und können mit jedem Vielfachen einen Energiebetrag hν0 aufnehmen. Aus Gründen, auf die hier nicht eingegangen werden soll, hat ein Teilchen auch in seinem Grundzustand eine Nullpunktsenergie der Größe hν0 /2. Ausgehend von diesem Grundzustand werden dann die Energiezustände wj = (j + 1/2)hν0 eingenommen. Es befinden sich N0 Oszillatoren im Grundzustand. Dann sind nach der Boltzmann-Verteilung Nj Oszillatoren mit j Quanten angeregt: Nj = N0 exp(−j hν0 ) kT (2.12) Die Gesamtzahl N aller Oszillatoren beträgt die Oszillatoren im Grundzustand plus alle mit verschieden vielen Quanten j angeregten Oszillatoren: ∞ ∞ X X hν0 N= Nj = N0 exp(−j ) kT j=0 j=0 (2.13) Gleichung 2.13 beschreibt die geometrische Reihe, eine unendliche Reihe, in der sich zwei 0 ) unterscheiden. Da aufeinander folgende Summanden jeweils um den Faktor x = exp(− hν kT 0 < x < 1 ist, konvergiert die Reihe mit dem Grenzwert ∞ X N= xj = N 0 j=0 1 1−x (2.14) In Abhängigkeit der Gesamtzahl N kann man N0 schreiben als N0 = N [1 − exp(− hν0 )]. kT (2.15) Die Zahl Nj der Teilchen, die eine Energie Wj = jhν0 haben, ist dann Nj = N (1 − exp(− jhν0 hν0 )) · exp(− ) kT kT (2.16) indem man Gleichung 2.15 in Gleichung 2.12 einsetzt. Damit wird die Gesamtenergie aller Teilchen zusammen ∞ ∞ X X hν0 jhν0 Nj · Wj = N hν0 (1 − exp(− jexp(− W = )) · ). kT kT j=0 j=1 (2.17) 32 2. Mechanische und thermische Eigenschaften Die Summe ∞ X jhν0 jexp(− ) kT j=1 (2.18) kann mit einem Trick leicht berechnet werden. Dazu ordnet man alle Summanden in folgendes Schema ein: 0 exp(− 1hν ) kT 0 exp(− 2hν ) kT 2hν0 exp(− kT ) 0 exp(− 3hν ) ... kT 3hν0 exp(− kT ) ... 0 exp(− 3hν ) ... kT Die Summe über alle diese Terme ist gerade der gesuchte Ausdruck. Bilden wir zuerst die Summe jeder Zeile und summieren dann diese Zeilensummen auf, erhalten wir ∞ X ∞ X ∞ X exp(− jhν0 ) nhν0 kT exp(− )= −hν0 kT 1 − exp( ) kT j=1 n=j j=1 (2.19) ∞ 0 X exp(− hν ) jhν0 1 kT = exp(− ) = −hν0 −hν kT 1 − exp( kT ) j=1 (1 − exp( kT 0 ))2 (2.20) Damit ist die Gesamtenergie W 0 exp(− hν ) −hν0 N hν0 kT W = N hν0 (1 − exp( )) · = . −hν 0 0 2 kT (1 − exp( kT )) exp( hν )−1 kT (2.21) 0 Für hohe Temperaturen, das heißt hν << 1, kann man die Exponentialfunktion näherungsweikT hν0 se durch 1 + kT ersetzen und erhält für die Energie W ≈ N kT. (2.22) Dies ist der Wert, der nach der Regel von Dulong-Petit für einen Freiheitsgrad zu erwarten ist. Berechnet man mit W die Molwärme cv , so ergibt sich cv = 1 dW (T ) Nk = =R n dT n (2.23) Zum Dulong-Petit-Gesetz fehlt hier noch der Faktor 3, da hier von einem eindimensionalen Oszillator ausgegangen wurde. Ein Gitterbaustein jedoch präsentiert drei Oszillatoren, da er in alle drei Raumrichtungen schwingen kann, was drei Freiheitsgrade bedeutet. Das Dulong-PetitGesetz ist also der Grenzfall für hohe Temperaturen. 0 ) in der Gleichung 2.21 sehr groß, so dass die 1 Bei kleinen Temperaturen jedoch ist exp( hν kT vernachlässigt werden kann: W (T ) ≈ N hν0 exp(− hν0 ) kT (2.24) 2.2. Die spezifische Wärmekapazität 33 W (T ) geht mit kleiner werdendem T gegen Null. Wie sieht die Molwärme im Falle kleiner Temperaturen aus? −hν0 hν0 −2 h2 ν02 −2 −hν0 cv ∼ N hν0 [−exp( )] · [− T ]∼N T exp( ) kT k k kT (2.25) 0 In Gleichung 2.25 „konkurrieren“ die beiden Faktoren T −2 und exp( −hν ) miteinander. Wie kT man durch Nachrechnen bestätigen kann, geht die e-Funktion schneller gegen Null als T −2 gegen unendlich. Also geht die Molwärme gegen Null für T → 0. 34 2. Mechanische und thermische Eigenschaften 2.2.3 *Exkurs: Phononen Eine elektromagnetische Welle kann durch die Teilcheneigenschaften von Quanten der Energie WQ = hν und des Impulses p = h/λ beschrieben werden, den Photonen. Analog kann man Anregungen kollektiver Schwingungszustände durch Phononen beschreiben. Eine Modellvorstellung für den thermischen Charakter eines Festkörpers ist ein Gefäß mit einer bestimmten Temperatur, in dem sich Phononen bewegen - sie bilden sozusagen ein Phononengas. Ein Unterschied zu einem echten Gas besteht darin, dass es um so mehr Phononen werden, je höher die Temperatur wird. Die Phononen können mit beweglichen Ladungsträgern Stöße ausführen, so dass deren Beweglichkeit reduziert wird. Daraus resultiert die Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit. Ausserdem beeinflussen die Phononen auch Photonen, die vom Festkörper emittiert oder absorbiert werden - immer unter Einhaltung von Energie- und Impulserhaltung. Kapitel 3 Elektrische Eigenschaften 3.1 Die elektrische Leitfähigkeit Die Metalle wie zum Beispiel Bronze und Eisen haben seit langer Zeit eine technische Bedeutung, die auf ihren mechanischen Eigenschaften beruht. In diesem Kapitel wird auf die elektrische Leitfähigkeit eingegangen. Elektrische Ströme kommen durch bewegte Ladungen zustande. Ein bekanntes Beispiel für eine bewegte Ladung ist das Elektron, das in der Braunschen Röhre des Fernsehers zum Leuchtschirm fliegt. Es trägt die Elementarladung des Betrages e = 1, 602 · 10−19 C. Der entsprechende Strom I ergibt sich aus der Ladung e und der Anzahl Elektronen ∆N , die ∆l pro Zeitintervall am Schirm ankommen, der mittleren Geschwindigkeit des Elektrons v = ∆t auf einer Strecke ∆l zu I= e · ∆N v · ∆N =e . ∆t ∆l (3.1) Diese Gleichung gilt auch für bewegliche Elektronen in einem Metall. Ein metallischer Leiter besitze nun die Querschnittsfläche A, und in einem Volumen ∆V = A∆l befinden sich N Ladungsträger. Die Ladungsträgerdichte n beträgt damit n= ∆N ∆N = ∆V A∆l (3.2) j= I = n · e · v. A (3.3) und die Stromdichte j Bei einem Leiter der Länge l, an dessen Enden die Spannung U angelegt ist, gilt für die elektrische Feldstärke E im Leiter und die angelegte Spannung U = E · l. (3.4) 36 3. Elektrische Eigenschaften Der Zusammenhang zwischen Stromdichte und elektrischem Feld im Leiter wird durch die Leitfähigkeit σ beschrieben: j = σ · E. (3.5) 1 σ ist der spezifische elektrische Widerstand ρ ρ= 1 A =R· . σ l (3.6) Wenn das Ohmsche Gesetz U = R · I gilt, so sind ρ und σ Konstanten. σ hängt von der Anzahl und der Beweglichkeit µ v µ= (3.7) E der freien Ladungsträger im Metall ab. Die Beweglichkeit ist unabhängig von E und U . Der Stromtransport in Metallen wird von nur einer Sorte von Ladungsträgern übernommen, den Elektronen, und somit folgt aus j = σE = nev = neµE σ = n · e · µ. (3.8) Berücksichtigt man 3.6, ergibt sich σ= 1 l == ρ R·A (3.9) Die Beweglichkeit µ lässt sich mit Hilfe des Hall-Effektes (Abbildung 3.1) bestimmen. Die Probe, deren Ladungsträger-Beweglichkeit untersucht werden soll, muss in die Gestalt eines Hall-Plättchens mit den Abmessungen x0 , y0 und z0 gebracht werden. Abbildung 3.1: Hall-Effekt In x-Richtung wird die äußere Spannung Ux angelegt, somit ein elektrisches Feld Ex = Aufgrund dieses Feldes driften die Ladungsträger mit einer Geschwindigkeit von vx . Ux . x0 Nun wird derart ein Magnetfeld angelegt, dass die Lorentz-Kraft Fy = e · vx · B auf die Elektronen wirkt und sie in y-Richtung drängt. Es entsteht ein Elektronenüberschuss und ein 3.1. Die elektrische Leitfähigkeit 37 Elektronenmangel an den gegenüberliegenden Seiten des Plättchens, so dass sich dazwischen in y-Richtung ein elektrisches Feld aufbaut. Die durch dieses Feld ausgeübte Coulombkraft Fy = e · Ey wirkt der Lorentzkraft des B-Feldes entgegen und kompensiert sie. Die HallSpannung Uy = Ey · y0 kann man messen und daraus Ey bestimmen. Die beiden elektrischen Felder stehen senkrecht aufeinander. Wenn man sie vektoriell addiert, so resultiert ein Feld, das mit der x-Achse einen Winkel φ einschließt. Dieser Winkel wird als Hall-Winkel bezeichnet. Nun kann man den Hall-Winkel berechnen zu tanφ = Ey 1 Fy e · vx · B Ex = · = =µ· B =µ·B Ex e Ex e · Ex Ex (3.10) das heißt, aus dem Hall-Winkel und dem B-Feld kann man die Beweglichkeit µ bestimmen. Der Hall-Effekt liefert zudem noch eine andere Information. Misst man die Hall-Spannung Uy in Abhängigkeit des Stroms Ix , ergibt sich eine Gerade. Ihre Steigung hängt von der Höhe z0 des Plättchens und dem anliegenden B-Feld ab: Uy = R · B · Ix z0 (3.11) R wird als Hall-Konstante bezeichnet, die wir nun bestimmen werden. Der Strom Ix pro Fläche ergibt die Stromdichte jx = Ix y0 ·z0 = e · n · vx . Damit ergibt sich aus Gleichung 3.1 R= z0 ·Uy Ix ·B = z0 ·Uy e·n·vx ·y0 ·z0 ·B = z0 ·Ey ·y0 e·n·vx ·y0 ·z0 ·B = Ey e·n·vx ·B R= = 1 e·n Fy e2 ·n·vx ·B = e·vx ·B e2 ·n·vx ·B ⇒ (3.12) Hat man also aus seiner Messgeraden R bestimmt, so kann man leicht die Ladungsträgerdichte n berechnen. Noch eine weitere Information liefert der Hall-Effekt: Das Vorzeichen der Ladungsträger. In Abbildung 3.1 sind die Ladungsträger Elektronen. Bei vorgegebener Stromrichtung würden sich positive Ladungsträger in entgegengesetzter Richtung bewegen. Durch die entsprechende Lorentz-Kraft würden sich die positiven Ladungsträger auf derselben Seite sammeln wie in Abbildung 3.1 die Elektronen. Es würde hier also der positive Pol sein, nicht der negative. 38 3. Elektrische Eigenschaften 3.2 Elektrische Leitung - Atomistisches Modell Es gibt zwei verschiedene Theorien zur Beschreibung der Ladungsträgereigenschaften im Festkörper. Hier soll zunächst das relativ anschauliche atomistische Modell beschrieben werden, welches sich gut auf Ionenkristalle wie Silberbromid und Silberjodid anwenden lässt, aber weniger auf Metalle wie Kupfer und Silber und elektronische Halbleiter wie Germanium und Silicium. Später werden wir auf das zweite, abstraktere Modell, das Bändermodell eingehen. In der klassischen Physik werden die Ladungsträger, die für den Stromfluss verantwortlich sind, als Punkte oder als Kügelchen behandelt. In der modernen Physik werden sie als Materiewellen beschrieben. Das atomistische Modell lehnt sich mit seiner Beschreibung an die klassische Physik an: Die Ladungsträger reagieren wie Massepunkte auf wirkende Kräfte. 3.2.1 Die Drudesche Theorie für die metallische Leitung Eine markante Eigenschaft der Metalle ist ihre hohe elektrische Leitfähigkeit. P. Drude beschrieb 1900 das Verhalten von Elektronen im Festkörper unter klassischen Annahmen. Das Metallgitter sollte aus festsitzenden Ionen bestehen, und die Valenzelektronen, die quasifreien Elektronen, die bei der Bindung des Gitters zum Abschluss der Elektronenschale überschüssig waren, betrachtete er als Elektronengas der Temperatur T . Abbildung 3.2: Thermische Bewegung des Elektrons ohne und mit äußerem E-Feld 3.2. Elektrische Leitung - Atomistisches Modell 39 In Abbildung 3.2 ist die thermische Bewegung eines Elektrons im Metall oder Halbleiter gezeigt. Die Umlenkung erfolgt jeweils durch Stöße mit Gitterbausteinen. Die mittlere freie Weglänge zwischen zwei Stößen betrage λ. Die mittlere Flugzeit auf dieser Strecke sei τ , die mittlere thermische Geschwindigkeit des Elektrons sei vth . Dann gilt: vth = λ . τ (3.13) Die mittlere thermische Geschwindigkeit vth ergibt sich aus der Temperatur 1 2 3 mvth = kB T 2 2 (3.14) mit der Boltzmann-Konstanten kB . Nun wird ein äußeres elektrisches Feld angelegt. Dieses beeinflusst die Flugbahn auf die dargestellte Weise. Bei einer Bewegung nach rechts wird diese durch das Feld bestärkt, das heißt, bei gleicher Flugzeit wird eine größere Strecke zurückgelegt, bei einer Bewegung nach links dagegen gehemmt, was bei gleicher Flugzeit also eine kleinere Strecke bedeutet, die Komponenete der Bewegung senkrecht zum Feld bleibt unbeeinflusst. Der Endpunkt des Weges ist zum vorigen Bild ohne Feld nach rechts verschoben. Um die resultierende Driftgeschwindigkeit durch das Feld zu berechnen, betrachten wir die Kraft FE = eE, die das elektrische Feld auf das Elektron ausübt. Damit ergibt sich eine Beschleunigung von e·E a= . (3.15) me Diese Beschleunigung während der mittleren Flugzeit τ bewirkt die mittlere Geschwindigkeitsänderung ¯ = e·E·τ ∆v (3.16) me des Elektrons. Diese Driftgeschwindigkeit liegt bei 0, 02ms−1 bei einem angelegten Feld von 10V m−1 . Die Driftgeschwindigkeit ist von der Größenordnung 106 kleiner als die thermische Geschwindigkeit. Der Grund dafür ist, dass auch bei Anlegen eines äußeren Feldes die Elektronen weiterhin Stöße ausführen, so dass sich ein derart ungeordneter Weg wie in Abbildung 3.2 ergibt. Daraus folgt auch, dass sich die Valenzelektronen nicht alle zu dem sie anziehenden Pol des Feldes bewegen, sondern dass durch die Stöße ebenso viele in die umgekehrte Richtung abgelenkt werden. Bei Steigerung der Temperatur steigt die thermische Bewegung, die auch die Gitterbausteine betrifft.Die Stöße der Elektronen nehmen zu, und die mittlere freie Weglänge sowie die freie Flugzeit werden kleiner. Die Beweglichkeit µ nimmt mit steigender Temperatur ab, ebenso verhält sich die elektrische Leitfähigkeit σ = e·n·µ, wie in Abbildung 3.3 zu sehen ist - die Anzahldichte n bleibt konstant. Das Problem der Drudeschen Theorie ist, dass hiernach ein Elektron bei der Temperatur T den Wert von 32 kT in Form von kinetischer Energie erhält. Dies ergäbe Beiträge zur Molwärme des Körpers - was jedoch nicht der Fall ist - der Dulong-Petit-Wert wird als obere Grenze eingehalten. 40 3. Elektrische Eigenschaften Abbildung 3.3: Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit bei Kupfer 3.2.2 Halbleiter - Elektronen- und Löcherleitung Beispiel für einen Halbleiter ist das Silicium. Es steht in der vierten Gruppe des Periodensystems der Elemente, hat also vier Außenelektronen, die Valenzelektronen. Die zur Kristallisation naheliegende Form ist das Diamantgitter, so dass jedes Atom von vier nächsten Nachbarn umgeben ist. Bei der Gitterbildung bildet jedes der vier Valenzelektronen mit je einem Elektron des Nachbaratoms ein Paar, das die Gitterbindung darstellt. Nun sieht diese Konstellation wie ein Isolator aus, denn es ist kein Elektron übrig, das sich ungebunden durch das Gitter bewegt. Berücksichtigt man jedoch die Temperatur T , die dem Elektron eine mittlere thermische Energie kT ≈ 25meV bei Zimmertemperatur verleiht, so können einige Elektronen ihre Bindung von 1, 2eV im Silicium lösen, was im Falle eines Isolators aufgrund der Stärke der Bindung nicht möglich wäre. Ihre Anzahldichte nimmt mit steigender Temperatur ∆T stark zu, nämlich gemäß dem Boltzmann-Faktor fB (T ) aus Gleichung 2.10 auf Seite 30. Wenn ein Elektron seinen Platz in der Gitterbindung verlässt, so bleibt ein ungepaartes Elektron und ein „Loch“ zurück. Ein Elektron aus einer Nachbarbindung kann in dieses Loch springen, so dass es wiederum seinen Partner ungebunden zurücklässt. Auf diese Weise wandern nicht nur Elektronen durch das Gitter, sondern auch die zurückgelassenen Löcher. Man spricht von Löcherleitung, die neben der Leitung durch Elektronen den zweiten Mechanismus für Stromtransport darstellt. Man kann erwarten, dass die elektrische Leitfähigkeit der Anzahldichte p der Löcher proportional ist, allerdings ist die Beweglichkeit µp der durch Elektronensprünge entstehenden Löcher 3.2. Elektrische Leitung - Atomistisches Modell 41 niedriger ist als die der quasifreien Elektronen µn . Die Gesamtleitfähigkeit des Gitters ergibt sich zu σ = e(nµn + pµp ). (3.17) Wir haben bislang die experimentellen Möglichkeiten zur Bestimmung der Leitfähigkeit und der Beweglichkeit mit Hilfe des Hall-Effekts kennengelernt. Es ist mit diesen Methoden jedoch noch nicht möglich, 3.17 zu lösen, denn es sind zwei unbekannte Beweglichkeiten und zwei (gleichgroße) Anzahldichten vorhanden. Die Lösung werden wir später kennenlernen und auch erfahren, dass sich die Löcherleitung nicht einfach durch springende Elektronen erklären lässt und sich beim Hall-Effekt Löcher wie „echte“ positive Ladungsträger verhalten. Oberhalb von etwa 200 Grad Celsius steigt die Leitfähigkeit von Silicium und anderen Proben erheblich an. Bei Zimmertemperatur zeigen sich jedoch Unterschiede im Verhalten von Halbleitern: Die Leitfähigkeiten können um Zehnerpotenzen von Probe zu Probe variieren, und der Hall-Effekt zeigt verschiedene Vorzeichen für Ladungsträger. Der Grund liegt in den Fremdatomen, die im Gitter eingelagert sind. Sie können künstlich eingelagert sein, um bestimmte Eigenschaften zu erzielen. Dies bezeichnet man als Dotierung. Wenn ein Atom aus der 5. Gruppe des Periodensystems der Elemente auf einen Gitterplatz „eindotiert“ wird, so gehen vier Valenzelektronen die gewünschten Bindungen ein, das fünfte Elektron ist jedoch übrig. Es ist mit lediglich 10meV gebunden, so dass es sich mit gleichgroßer thermischer Energie lösen und als negativer Ladungsträger agieren kann. Hierbei handelt es sich nun um eine n-Leitung. Ein Beispiel ist die Dotierung von Silicium mit Antimon aus der 5. Gruppe. Analog wird eine p-Leitung bezeichnet, bei der die positiven Ladungsträger Löcher sind. Dies ist der Fall, wenn zum Beispiel Silicium mit Indium aus der 3. Gruppe dotiert wird. Der HallEffekt liefert hier positive Ladungsträger als Ergebnis. Ein Loch wird auch als Defektelektron bezeichnet, das sich ebenfalls mit einer Energie von etwa 10meV lösen lässt. Die Fremdatome bilden sogenannte Störstellen, die durch zusätzliche Elektronen oder Defektelektronen eine Störleitung herbeiführen - im Gegensatz zur Eigenleitung, die durch die bei höheren Temperaturen gelösten „eigenen“ Elektronen zustande kommt. Eine Störstelle, die Elektronen abgibt, heißt Donator1 , eine Störstelle, die Löcher abgibt bzw. Elektronen aufnimmt, heißt Akzeptor2 . Eigenleitung, n-Leitung und p-Leitung sind in Abbildung 3.4 dargestellt. 1 2 lateinisch donare: geben lateinisch accipere: annehmen 42 3. Elektrische Eigenschaften Abbildung 3.4: Eigenleitung, n-Leitung, p-Leitung 3.3. Bändermodell 43 3.3 Bändermodell 3.3.1 Freies Elektronengas in Metallen Betrachten wir das Metallstück als einen Kasten, in dem sich die Leitungselektronen frei bewegen können. Die periodische Gitterstruktur und damit die Metallionen beachten wir zunächst nicht. Diese Näherung entspricht der Annahme, dass keine Kräfte zwischen den Leitungselektronen und den Gitterionen wirken und die Elektronen als freie Teilchen, vergleichbar mit den Molekülen eines idealen Gases, angesehen werden können. Für die kinetische Energie eines Elektrons gilt dann 1 p2 Wkin = mv 2 = 2 2m (3.18) Die Gleichung 3.3.1 hat die Form einer Parabel (Abbildung 3.5), dabei unterscheiden sich Elektronen mit gleicher Energie auf der Parabel mit negativer p-Koordinate von denen positiver p-Koordinate durch die Richtung ihres Impulses p. Abbildung 3.5: Abhängigkeit der kinetischen Energie von p in Form einer Parabel Wie sieht es mit der potentiellen Energie der Elektronen aus? Die potentielle Energie der Elektronen ist in dem Potentialkasten überall konstant. Da der Nullpunkt der potentiellen Energie beliebig wählbar ist, wählen wir für die potentielle Energie den Wert Null, so dass dann Wges = Wkin . Wenn aber ein Elektron das Metallstück verlässt, so findet eine Ladungstrennung statt: Das Elektron ist außerhalb des Metalles und hinterlässt dort eine positive Ladung. Zwischen Metall und Elektron wirkt daher eine Coulombsche Anziehungskraft. Beim Herauslösen eines Elektrons aus dem Metall muß gegen diese Coulomb-Kraft eine Arbeit verrichtet werden. Das heißt aber, dass das Elektron außerhalb des Metalls gegenüber dem Metall eine potentielle Energie Wpot besitzt. Damit ergibt sich der in Abbildung 3.6 aufgetragene Graph von Wges (x). Dieser Graph zeigt einen Potentialtopf, in den die Leitungselektronen eingeschlossen sind, und den sie ohne Energiezufuhr nicht verlassen können. 44 3. Elektrische Eigenschaften Abbildung 3.6: Potentialtopf Von Interesse für uns sind allein die Elektronenzustände, die bei den makroskopischen Abmessungen des Kristalls nicht durch Oberflächeneffekte beeinflusst werden, diese Effekte sind sehr klein. Man stellt sich daher den betrachteten Kristall als einen Ausschnitt aus einem aus vielen solcher Gebiete zusammengesetzten unendlichen Kristall vor (Abbildung 3.7). Abbildung 3.7: Der Kristall der Länge L ist gedanklich eingeschlossen in eine Vielzahl identischer Kristalle Da alle diese Ausschnitte mit der Abmessung L gleichwertig sein sollen, ergeben sich die periodischen Born-von-Karmannschen Randbedingungen für die gesuchte Wellenfunktion eines Elektrons: ψ(x + L) = ψ(x) (3.19) Wie im Kapitel über Atomphysik, Abschnitt Potentialtopf, gezeigt, hat die zugehörige Schrödinger-Gleichung für das Innere des Potentialkastens die Form − ~2 ∂ 2 ψ(x) ( ) = W ψ(x) 2m ∂x2 Die Eigenfunktionen lauten px ψp (x) = Aei ~ x Mit den Randbedingungen ergeben sich als Lösungen für die erlaubten Impulswerte (3.20) 3.3. Bändermodell 45 nh = pn 2L (3.21) p2x h2 2 = n = Wkin,n 2m 8mL2 (3.22) px = und für die kinetische Energie W = Der Index n bedeutet, dass nicht mehr alle Energiewerte für ein Elektron erlaubt sind, sondern dass sie quantisiert sind mit n als Quantenzahl. Ähnlich wie in Atomen handelt es sich um diskrete Energieniveaus (Abbildung 3.8). Abbildung 3.8: Erlaubte Energiezustände Wn eines Elektrons im linearen Potentialtopf a) W als Funktion von n; b) Energieniveauschema (Termschema) Nach Gleichung 3.22 scheint es im Metall unendlich viele mögliche Energiezustände Wn für Leitungselektronen zu geben. Welche dieser Energieniveaus sind aber tatsächlich mit Elektronen besetzt? Ein Metall hat eine bestimmte Anzahl von Valenzelektronen pro Atom. In Alkalimetallen oder Silber und Gold besitzt jeweils ein Atom ein Leitungselektron. N Atome in einem derartigen Metallstück stellen also N Leitungselektronen zur Verfügung. Bei der Besetzung eines Energieniveaus wird das Pauliprinzip eingehalten - analog zu den Energiezuständen in Atomen. Elektronen unterscheiden sich in der Quantenzahl n und durch ihre Spinquantenzahl s, die zwei verschiedene Werte annehmen kann, so dass ein Energieniveau Wn mit maximal 2 Elektronen besetzt werden kann. Die N Elektronen füllen bei einer Temperatur T = 0K die tiefsten Niveaus bis zu einer Maximalenergie auf; dieser Wert heißt Fermienergie WF . Mit 2 Elektronen pro Niveau ergibt sich die zugehörige Quantenzahl nF = N2 . Beim linearen Potentialtopf ergibt sich für die Fermienergie WF = h2 N 2 h2 N 2 = ( ) 32m L2 32m L (3.23) 46 3. Elektrische Eigenschaften und für den maximalen Impuls der Elektronen pF = hN 4L (3.24) In beiden Ausdrücken kommt noch die Länge L vor. Jedoch bedeutet dies nicht, dass WF und pF von L abhängen, vielmehr ist NL die Dichte der Elektronen auf der Strecke L, eine materialabhängige Größe, genau wie auch WF . 3.3.2 Woher kommen Bänder? Energiebänder kommen durch die Wechselwirkung (Kopplung) zwischen den N Atomen zustande, aus denen der Festkörper besteht. Das Termschema des einzelnen Atoms besteht aus vielen diskreten Energieniveaus, aber durch die Kopplung kommt es zu einer Aufspaltung jedes einzelnen Niveaus, so dass ein Energieband entsteht. Es besteht sozusagen aus N diskreten, sehr dicht benachbarten Niveaus. Die Niveaus spalten in immer breiter werdende Bänder auf, zwischen denen bei relativ großem Atomabstand innerhalb des Festkörpers noch eine „Energielücke“ vorhanden sein kann. Bei dichterer Packung (d.h. stärkerer Kopplung) können sich die Bänder sogar überlappen (Abbildung 3.9). Abbildung 3.9: Verbotene und erlaubte Energiebereiche In jedem Band befinden sich N diskrete, wegen der großen Zahl N jedoch eng benachbarte Energieniveaus. Da der Bandabstand ∆W vom Abstand a0 benachbarter Atome bestimmt wird, kann es bei großer Packungsdichte der Atome passieren, dass sich die Energiebänder überlappen. Beispielsweise geschieht dies bei Metallen, wo ein Gitteratom bis zu 12 nächste Nachbarn besitzen kann. 3.3.3 Quantitative Beschreibung Entwickelt man das Modell des Elektronengases weiter, so ergibt sich eine quantitative Beschreibung des Bändermodells. Der Einfluß der Gitterionen soll nun nicht mehr vernachlässigt werden: Wir nehmen eine Wechselwirkung zwischen Leitungselektronen und Gitter an. 3.3. Bändermodell 47 Die Bewegung der Elektronen wird vom periodischen Coulombpotential des Gitters beeinflusst. Es wird weiterhin eine Wechselwirkung zwischen den Leitungselektronen vernachlässigt. Wir haben bereits die Randbedingungen beim Potentialtopf eingeführt, nun muss auch noch die Gitterperiodizität in die Überlegungen miteinbezogen werden. Abbildung 3.10: a) Energie in Abhängigkeit vom Impuls für ein Elektron in einem linearen Gitter, b) verbotene und erlaubte Energiebereiche Der W(p)- Verlauf ist in Abbildung 3.10 gezeigt, es ist nicht länger die durchgängige Parabel. Auffällig sind die Energielücken ∆Wk für die quasifreien Elektronen, also die Elektronen im periodischen Coulomb-Potential. Auffällig ist auch der horizontale Verlauf der W (p)-Kurven an den Bandkanten. Die Steigung beträgt dort dW = 0. Bildet man die Ableitung dW , ergibt sich dp dp dW p mv = = =v dp m m (3.25) Die Steigung der W(p)-Kurve entspricht also der Geschwindigkeit der Elektronen. Die Impulse an der Bandkante heißen pk . Wenn p → pk , dann gilt v → 0, wie dies bei stehenden Wellen zu erwarten ist. 2 Betrachtet man die zweite Ableitung ddpW2 , so fällt auf, dass für freie Elektronen die zweite Ableitung dem Kehrwert der (konstanten) Elektronenmasse entspricht. Im W (p)-Diagramm für quasifreie Elektronen ist die zweite Ableitung jedoch nicht länger konstant. Man definiert daher eine effektive Masse m∗ 1 d2 W = ∗ 2 dp m (3.26) 48 3. Elektrische Eigenschaften Für p → pk gilt m∗ → ∞. Das bedeutet, daß Elektronen in der Nähe der Bandkante unter verstärktem Einfluß des Gitterpotentials stehen und auch von einem äußeren elektrischen Feld nicht mehr beschleunigt werden können. Besetzungswahrscheinlichkeit, Fermi-Verteilung Die Elektronen bei T = 0 reichen bis zur Fermi-Energie WF . Gäbe es keine thermische Bewegung, müssten alle Niveaus unter WF voll besetzt sein und alle Niveaus darüber vollkommen leer: Für W < WF wäre die Besetzungswahrscheinlichkeit f = 1, für W > WF wäre sie 0. Die klassische Boltzmann-Funktion fB reicht für die Beschreibung nicht aus. In der klassischen Betrachtungsweise gibt es keine Beschränkung für die Anzahl von Teilchen, die in der Verteilung einen gewissen Zustand annehmen können. Die quantenmechanische Behandlung berücksichtigt das Pauli-Prinzip und die Fermi-Energie. Die Elektronen im Bändermodell werden quantenmechanisch durch die Fermi-Verteilung, die hier nicht abgeleitet werden soll, fF = 1 F exp( W −W kT )+1 (3.27) beschrieben. Betrachten wir die Fermi-Funktion näher. Bei T = 0 ist für W > WF der Exponent unendlich groß und daher die e-Funktion ebenso. Somit wird die Besetzungswahrscheinlichkeit fF Null. Ist aber W < WF , so geht der Exponent gegen −∞ und die e-Funktion gegen Null. Daraus folgt fF = 1. Für fF an der Fermi-Energie W = WF wird der Exponent 0, die e-Funktion 1 und fF = 0, 5. Das bedeutet: Niveaus exakt auf WF sind unabhängig von T immer zur Hälfte besetzt. Die Fermi-Funktion gibt die Besetzungswahrscheinlichkeit der Energieniveaus durch Elektronen im Festkörper-Einkristall an. Mit steigenden Temperaturen können immer mehr Energieniveaus oberhalb der Fermi-Energie besetzt werden. Je wahrscheinlicher die Besetzung höherer Energieniveaus, desto höher wird auch die Nichtbesetzungswahrscheinlichkeit 1 − fF der Niveaus unterhalb der Fermi-Energie (Abbildung 3.11). In Abbildung 3.11 sieht man, dass mit steigender Temperatur der Bereich, in dem die FermiFunktion von 1 auf 0 abfällt, immer breiter wird. Eine nennenswerte Abweichung von einem seiner beiden Grenzwerte von fF ist jedoch nur wenige kT oberhalb und unterhalb der FermiEnergie zu bemerken. (kT beträgt bei Zimmertemperatur lediglich 25meV .) Die Grenzwerte werden nur theoretisch erreicht. Zu hohen Energien hin geht fF in die Boltzmann-Verteilung fB über. Wenn W − WF sich über viele Einheiten kT erstreckt, wird die e-Funktion im Nenner der Fermi-Funktion so groß, daß man die 1 ihr gegenüber vernachlässigen darf: Wenn exp − (W − WF )/kT >> 1, dann gilt fF ≈ exp(− W − WF ) = fB (W − WF ) kT (3.28) (Dabei bezeichnet fB (W −WF ) kein Produkt, sondern die Funktion fB der Variablen W −WF .) Die Fermi-Verteilung muss im Gegensatz zur Boltzmann-Verteilung das Pauli-Verbot berücksichtigen, sie darf nicht größer als 1 werden. 3.3. Bändermodell 49 Abbildung 3.11: Besetzungswahrscheinlichkeit und Nichtbesetzungswahrscheinlichkeit bei verschiedenen Temperaturen Die Funktion 1− fF in Abbildung 3.11 ist besonders bei Halbleitern interessant. Sie bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit der Niveaus ein Stückchen unter der Fermi-Energie nicht besetzt werden. Fermienergie bei Isolatoren, Halbleitern und Metallen Es kann nun vorkommen, dass die Fermi-Energie eines Einkristalls zwischen zwei Bändern in einer verbotenen Zone liegt. Das darunter liegende Band heisst dann Valenzband, das darüber liegende Leitungsband. Ist der Abstand dieser beiden Bänder groß verglichen mit der thermischen Energie kT (also einige eV), dann ist die Besetzungswahrscheinlichkeit fF der Niveaus im Leitungsband gering. Ebenso ist die Nichtbesetzungswahrscheinlichkeit 1 − fF im Valenzband gering. Das bedeutet, dass keine beweglichen Ladungsträger zur Verfügung stehen: Es handelt sich um einen lsolator. Kristalle, deren Bandabstand ca. 1eV oder geringer ist, sind bei Zimmertemperatur Halbleiter. Die Besetzungs- bzw. Nichtbesetzungswahrscheinlichkeit der Niveaus des Leitungs- bzw. Valenzbands ist bei Halbleitern ausreichend groß, dass sich bewegliche Elektronen im Leitungs- 50 3. Elektrische Eigenschaften bzw. bewegliche Löcher im Valenzband finden lassen. Dann leitet der Halbleiter elektrischen Strom. Wenn jedoch niedrige Temperaturen vorliegen, wird der Halbleiter zum Isolator. In einem Metall liegt die Fermi-Energie in einem Band oder im Bereich der Überlappung von Bändern. Allgemeines Bänderschema In jedem Festkörper gibt es eine Reihe von Bändern, die die erlaubten Energiezustände der Elektronen der Kristallatome bezeichnen . Diese Bänder werden um so schmaler, je tiefer sie energetisch liegen. Da sich die innersten Atomniveaus kaum noch gegenseitig beeinflussen, bleiben sie praktisch als diskrete oder nahezu diskrete Atomniveaus erhalten. Ganz unten in der Energieskala befindet sich also das Band der innersten Elektronen der Atome. Diesem Band folgt in energetisch höherer Lage eine verbotene Zone, die viele keV weit reichen kann. Die Niveaus der energiereicheren Elektronen fächern zu breiteren Bändern auf, und die verbotenen Zonen werden mit steigender Energie schmaler, bis sie schließlich sogar verschwinden, wenn die Bänder sich überlappen. Die Fermi-Energie liegt in einem Band oder auch in einer verbotenen Zone. Ein unbesetztes Band bedeutet, dass dort keine Elektronen zu finden sind, also auch kein Elektronenstrom fließt. Doch auch der umgekehrte Fall verhindert den Stromfluß: Auch ein voll besetztes Band trägt nicht zu einem Strom bei, denn es findet sich zu jedem Elektron ein zweites, das mit der gleichen Geschwindigkeit genau in Gegenrichtung läuft. Konsequenz: Alle Bewegungen zusammen kompensieren sich zu Null - im Mittel fließt kein Strom. Daran kann auch ein äußeres elektrisches Feld nichts ändern. Für die elektrische Leitfähigkeit sind nur die Bänder in der Nähe der Fermi-Energie von Interesse, wo Stromfluß möglich ist. Das Bänderschema darf man daher in Zeichnungen auf ein Band oder nur eine verbotene Zone (mit den Kanten der begrenzenden Bänder) reduzierent, je nachdem, ob sich die Fermi-Energie in dem Band oder der verbotenen Zone befindet. Beispiel: Abbildung 3.12: Primitives Bänderschema eines Metalls In Abbildung 3.12 ist zu sehen, dass die Fermi-Energie WF bei Metallen innerhalb eines Bands oder sich überlappender Bänder liegt. 3.3. Bändermodell 51 In diesem Fall wird den Elektronen nahe der Besetzungsgrenze Freiheit gewährt, sich auf verschiedene freie Plätze zu setzen: Die Leitfähigkeit ist hoch. Die Geschwindigkeiten dieser Elektronen ergeben sich aus den Niveaus, bei denen WF liegt - sie können sehr hoch sein. 3.3.4 Halbleiter Abbildung 3.13: Primitives Bänderschema eines lsolators oder eines Halbleiters Die Fermi-Energie liegt in einer verbotenen Zone. Wenn die Fermi-Energie in einer verbotenen Zone liegt (Abbildung 3.13), so handelt es sich zunächst einmal um einen Isolator. Das unter WF liegende Band ist besetzt, das über WF liegende leer - es fließt kein Elektronenstrom. Falls jedoch die verbotene Zone nur 1 eV breit ist und die Temperatur hoch genug ist, wird die Substanz zum Halbleiter. Elektronen aus dem Valenzband unterhalb der Fermi-Energie können durch thermische Energiezufuhr ins Leitungsband abwandern. Auch durch die frei gewordenen Plätze im Valenzband bieten sich den dort verbliebenen Elektronen Möglichkeiten zur Wanderung im Sinne des äußeren Feldes. Es ergibt sich eine Leitfähigkeit, die mit der Anzahldichte der freien Plätze im Valenzband, der Löcher in der Elektronenbesetzung, steigt - daher der Name Löcherleitung. Um die Anzahldichte n der Elektronen im Leitungsband, der Überschußelektronen, korrekt zu bestimmen, muß dort nicht nur die Besetzungswahrscheinlichkeit, also die Fermi-Verteilung fF (W ), bekannt sein. Es muss auch berücksichtigt werden, wie viele besetzbare Zustände für jeden Energiewert vorhanden sind. Dies wird durch die Anzahldichte der besetzbaren Niveaus, die sogenannte Zustandsdichte N (W ), beschrieben. In Abbildung 3.14 (1) sind Leitungsband und Valenzband dargestellt. Die Fermi-Energie WF liegt inmitten der verbotenen Zone, die von der unteren Grenze des Leitungsbandes Wc (dem englischen „conduction band“ entsprechend der Index „c“) und der oberen Grenze des Valenzbandes Wv eingeschlossen wird. Es handelt sich also um einen Isolator bzw. einen Halbleiter. Die Anzahldichte N (W ) der möglichen Energiezustände der Elektronen in den beiden Bändern ist in Abbildung 3.14 (2) gezeigt, wobei hier die Energie auf der horizontalen Achse aufgetragen ist. In der verbotenen Zone gilt N (W ) = 0. Von der Unterkante des Leitungsbands Wc 52 3. Elektrische Eigenschaften Abbildung 3.14: Qualitative Aussagen über das Bändermodell: (1) Lage von Leitungsband und Valenzband, (2) Anzahldichte N(W) der möglichen Energiezustände, (3) Besetzungswahrscheinlichkeit, (4) Besetzungsdichte als Produkt aus N(W) mal Besetzungswahrscheinlichkeit. In allen Abbildungen zeigt W nach links im Gegensatz zu den üblichen Abbildungen sind diese Darstellungen um 90 Grad nach links gedreht. steigt N (W √) mit größer werdendem W mit steiler Tangente in die Höhe dann zunächst proportional zu W − Wc . Im Valenzband steigt N (W ) auf gleiche Weise mit kleiner werdendem W . Die Fermi-Verteilung fF (W ) in Abbildung 3.14 (3) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der die einzelnen Energien W besetzt sind. Die Besetzungsdichte n(W ) ergibt sich schließlich aus dem Produkt von Anzahldichte N (W ) und Besetzungswahrscheinlichkeit fF (W ): n(W ) = N (W ) · fF (W ). (3.29) n(W ) ist in Abbildung 3.14 (4) aufgetragen. n(W ) gibt im Leitungsband die Energieverteilung der beweglichen Elektronen an, freie Plätze im Leitungsband reichen in den Bereich der negativen n(W )-Achse. Diese ist gleich der Nichtbesetzungsdichte p(W ): p(W ) = N (W ) · (1 − fF (W )). (3.30) 3.3. Bändermodell 53 p(W ) beschreibt die Verteilung der beweglichen Löcher im Valenzband.3 Die Anzahldichte n der Überschusselektronen im Leitungsband ergibt sich durch Integration entlang W Z ∞ Wc N (W )fF (W )dW (3.31) und analog die Anzahldichte p der Löcher im Valenzband Z Wv −∞ N (W )(1 − fF (W ))dW. (3.32) Man darf für den Fall W − WF >> kT die folgende Näherung verwenden: fF (W ) = exp(− W − WF ). kT (3.33) Zum Beispiel beträgt der Abstand ∆W = Wc − Wv bei Germanium etwa 0, 7eV , bei Silicium etwa 1, 2eV , während bei Zimmertemperatur kT ≈ 25meV ist. Die Lösungen der Integrale sind: Wc − WF ) kT (3.34) WF − Wv ). kT (3.35) n(T ) = Nc exp(− und p(T ) = Nv exp(− Die beiden Vorfaktoren Nc und Nv heißen effektive Zustandsdichten. Folgende Tabelle zeigt diese beiden Größen für Germanium und Silicium: Ge Si Nc in cm−3 1, 04 · 1019 3, 22 · 1019 Nv in cm−3 6, 03 · 1018 1, 83 · 1019 In der effektiven Zustandsdichte spiegelt sich die Näherung wider, dass das Band aus Niveaus besteht, die alle auf dem Energieniveau der Bandkante liegen und diese effektive Zustandsdichte haben. (Die Integration ergibt dann einfach einen Vorfaktor - Nc bzw. Nv .) Das Produkt n · p von freier Elektronen- und Löcherdichte ist bei gegebener Temperatur eine Konstante, die unabhängig von der Dotierung ist: n · p = Nc Nv exp(− Wc − Wv ∆W ) = Nc Nv exp(− ) kT kT (3.36) Störstellen Der Einbau von Donatoren oder Akzeptoren bedeutet einen zusätzlichen Elektronenüberschuss oder Elektronenmangel. In beiden Fällen entstehen durch die zusätzlichen Elektronen oder Löcher zusätzliche Energieniveaus. In Abbildung 3.15 sind das Valenzband mit Wv und das Leitungsband mit Wc aufgetragen. Zusätzlich sind kurze Striche bei verschiedenen x-Koordinaten 3 Die grauen Bereiche in der Zeichnung, die die Elektronendichte und die Löcherdichte darstellen, sind gegenüber den Bereichen der leeren Zustände im Leitungsband bzw. den besetzten Zuständen im Valenzband zur Illustration übertrieben groß dargestellt. 54 3. Elektrische Eigenschaften und der Koordinate WD eingetragen. Diese räumlich lokalisierten Zusatzniveaus in der verbotenen Zone entstehen durch Dotierung mit Donatoren im Kristallgitter, Störstellenatomen mit fünf Außenelektronen. Abbildung 3.15: n-dotierter Halbleiter Der Abstand zwischen Donatorenniveau und der Leitungsbandkante Wc − WD entspricht der Dissoziationsenergie. Die Fermi-Energie wird in Richtung Leitungsband verschoben. Abbildung 3.16: Elektronenverteilung in n-Halbleitern In Abbildung 3.16 sind die Konsequenzen der zusätzlichen Elektronen der Donatoratome gezeigt. Bei der Energie WD bildet sich eine praktisch diskrete Zustandsdichte (Abbildung 3.16 (b)). Wenn die zusätzlichen Elektronen das Leitungsband auffüllen, erhöht sich die Besetzungswahrscheinlichkeit - in Folge rückt die Fermi-Energie ein wenig herauf in Richtung Leitungsband (Abbildung 3.16 (c)). Die Besetzungsdichte (Abbildung 3.16 (d)) ergibt sich aus 3.3. Bändermodell 55 n(W ) = N (W ) · fF (W ). Mit der Lage der Fermi-Energie sind im Leitungsband mehr Zustände besetzt als im Valenzband unbesetzt, und der Halbleiter ist n-leitend, also elektronenleitend. Viele Donatoratome sind ionisiert. In den Abbildungen 3.17 und 3.18 ist der analoge Fall für die Dotierung mit Akzeptor-Atomen gezeigt, die drei Außenelektronen haben. Hier bilden sich lokalisierte Niveaus mit der Energie WA , die Fermi-Energie WF rückt an das Valenzband heran. Abbildung 3.17: p-dotierter Halbleiter Abbildung 3.18 56 3. Elektrische Eigenschaften 3.4 Halbleiterbauelemente 3.4.1 Der pn-Übergang Durch die entsprechende Dotierung ist es möglich, einen Halbleiter zu realisieren, in dem gleichzeitig n- und p-Leitung auftritt. Setzt man einen n-leitenden an einen p-leitenden Bereich, so einsteht ein sogenannter pn-Übergang. Beispiel für die Herstellung eines pn-Übergangs mittels Diffusion: Ein p-leitendes Siliciumscheibchen, das homogen mit der Akzeptorendichte nA dotiert ist, wird zusammen mit einer geringen Menge Antimon bei einer Temperatur von 1000 Grad Celsius für mehrere Stunden eingeschmolzen. Das Antimon verdampft, das Antimon-Gas diffundiert in das Silicium und setzt sich dort auf Silicium-Gitterplätze. Dort wirken die Antimon-Atome als Donatoren mit einer Anzahldichte nD . An der Oberfläche ist diese Konzentration hoch, fällt aber zum Inneren des Siliciumscheibchens ab. Bei Zimmertemperatur spalten dann die Elektronen von ihren Donatoren ab. So lange sie Löcher im Valenzband finden, mit denen sie rekombinieren können, verlassen die Elektronen das Leitungsband. Resultat dieses Vorgangs ist eine Dotierung, die sich zu nD − nA berechnen lässt. An der Oberfläche ist nD > nA , hier herrscht also eine n-Leitung mit der Elektronendichte n = nD − nA . Im Inneren des Siliciumscheibchens aber gilt nD < nA . Hier herrscht also noch immer die Akzeptorendotierung vor, allerdings nun mit verminderter Löcherdichte p = nA − nD . Der pn-Übergang liegt dort, wo nA = nD . Die Tiefe des pn-Übergangs lässt sich mit Hilfe der Einschmelz-Temperatur und der -Dauer festlegen. Übliche Dotierungen liegen bei 1016 cm−3 , das entspricht bei 1022 Siliciumatomen pro cm3 einem Gehalt an Fremdatomen von 10−4 Prozent. Elektrische Eigenschaften des pn-Übergangs im atomistischen Bild In Abbildung 3.19 ist zu sehen, was an einem pn-Übergang geschieht. An der Dotierungsgrenze entsteht ein starkes Ladungsgefälle: Löcher diffundieren aus dem p-Gebiet in das n-Gebiet jenseits der Dotierungsgrenze, um dort mit Elektronen zu rekombinieren. Aus dem n-Gebiet diffundieren Elektronen hinüber in das p-Gebiet, um dort mit Löchern zu rekombinieren. Um die Dotierungsgrenze bildet sich ein schmales Gebiet, das eine ladungsträgerarme Zone darstellt. Denn auf der n-Seite sind aus diesem Gebiet die Elektronen abgewandert und auf der p-Seite die Löcher. In dieser Zone, die auch als „Raumladungsgebiet“ bezeichnet wird, herrscht ein elektrisches Feld zwischen den beiden Gebieten. Dieses Feld, das sich durch die Abwanderung der Elektronen aus dem n-Gebiet und der Löcher aus dem p-Gebiet gebildet hat, ist auch dafür verantwortlich, dass diese Wanderung zum Erliegen kommt, da es der Wanderungsrichtung entgegenwirkt. 3.4. Halbleiterbauelemente 57 Abbildung 3.19: Bildung der ladungsträgerarmen Zone beim pn-Übergang Mit dem Feld ist eine Spannung UD über dem pn-Übergang verbunden, die sogenannte Diffusionsspannung, die dafür sorgt, dass kein weiterer Diffusionsstrom fließt. Wenn die Akzeptorenkonzentration nA im p-Gebiet und die Donatorenkonzentration nD im nGebiet gleich groß sind, dann spricht man von einem symmetrischen pn-Übergang. Im Beispiel in Abbildung 3.20 gilt nA = nD = 1014 cm−3 . Die „Majoritätskonzentrationen“ (also nn der Elektronen im n-Gebiet und pp der Löcher im p-Gebiet) sind in angemessenem Abstand gleich den Dotierungskonzentrationen: nA = pp und nD = nn . Die „Minoritätskonzentrationen“ (also np der Elektronen im p-Gebiet und pn der Löcher im n-Gebiet) berechnen sich mit nn · pn = np · pp = n2i . (3.37) Dabei ist ni = 1010 cm−3 die sehr hohe Eigenleitungsdichte von Silicium bei Zimmertemperatur. Nahe der Dotierungsgrenze findet die oben beschriebene Diffusion statt. Die Folge ist die Abnahme der Ladungsträgerkonzentration von den Majoritätswerten nn und pp auf die Minoritäts- 58 3. Elektrische Eigenschaften Abbildung 3.20: Symmetrischer pn-Übergang in Silicium werte np und pn , die um Zehnerpotenzen niedriger sind (Abbildung 3.20 (3)). In allen Gebieten jedoch gilt n · p = n2i . Abbildung 3.20 (5) zeigt die Ladungsverteilung in der ladungsträgerarmen Zone, − im pGebiet und + im n-Gebiet. In Abbildung 3.20 (6) ist das elektrische Feld in dieser Zone gezeigt, das an der Dotierungsgrenze sein Extremum hat. Aus diesem Feld resultiert die Diffusionsspannung UD in Abbildung 3.20 (7). 3.4. Halbleiterbauelemente 59 Im Raumladungsgebiet fehlen fast alle beweglichen Ladungsträger. Für die Raumladung sind fast nur die verbliebenen Akzeptoren und Donatoren verantwortlich. Die negative Raumladungsschicht mit der Dicke d im p-Gebiet hat bis fast zum Rand die konstante Raumladungsdichte ρ− = −enA (3.38) mit der Elementarladung e. Analog ergibt sich für die Raumladung im n-Gebiet ρ+ = enD . (3.39) Möchte man den Zusammenhang zwischen der Dichte ρ einer elektrischen Raumladung und dem Gradienten der elektrischen Feldstärke im Raumladungsgebiet beschreiben, findet man die Poisson-Gleichung: dE ρ =− dx εε0 (3.40) mit der Dielektrizitätszahl ε und ε0 = 8, 859 · 10−12 As/V m. Ist ρ konstant, so ergibt sich ein linearer Verlauf von E bis zu Emax an der Dotierungsgrenze. R Mit U = − Edx wird aus dem linearen Verlauf ein Parabelbogen in Abbildung 3.20 (6). Jede Seite der Raumladungsschicht übernimmt die Hälfte der Diffusionsspannung UD : UD 2 = ρ 2 d εε0 oder UD = 2e0 nD 2 d εε0 = 2e0 nA 2 d εε0 Elektrische Eigenschaften des pn-Übergangs (Bändermodell) Abbildung 3.21: Stromfluss in Halbleitern Wenn man an einen Halbleiter eine elektrische Spannung anlegt, so verformen sich das Niveau der Fermi-Energie und Bänder in eine Schräglage (Abbildung 3.21): Die Energiezustände der Elektronen liegen um so tiefer, je näher man sich auf den Pluspol zubewegt. Die Elektronen 60 3. Elektrische Eigenschaften bewegen sich in Richtung des Pluspols, die Löcher in Richtung des Minuspols. Die Spannungsquelle liefert dabei genauso viele negative Ladungen nach, wie der Pluspol aufsaugt. Wenn eine Bandkante abschüssig ist, bedeutet dies, dass ein elektrisches Feld anliegt, und dass sich ein Stromfluss bildet. Die Elektronen „rutschen den Berg hinunter“, die Löcher dagegen hinauf. Abbildung 3.22: pn-Übergang im Bändermodell In einem pn-Übergang, in dem kein Strom fließt, sollte nach dem Bändermodell die FermiEnergie als horizontales Niveau dargestellt werden, wenn keine äußere Spannung wirkt (Abbildung 3.22). Die Niveaus der Bandkanten von p-Gebiet und n-Gebiet sind bei einer von außen angelegten Spannung über einen schrägen Verlauf verbunden sind. (Die Lagen der Bandkanten von p- und n-Gebiet unterscheiden sich durch die Energiedifferenz eUD ). Die Abschüssigkeit der Bandkanten im Raumladungsgebiet deutet auf das elektrische Feld hin, ebenso auf einen Feldstrom. Dieser Feldstrom wird für Elektronen und Löcher jedoch von einem Diffusionsstrom kompensiert. Jener Diffusionsstrom wiederum kommt durch das Konzentrationsgefälle zustande, das durch den sich ändernden Abstand der Bandkanten von der Fermienergie dargestellt wird. 3.4.2 Photoelement, Solarzelle Das Photoelement (oder auch Photodiode) ist ein Bauelement der Optoelektronik. Ohne eine fremde Spannungsquelle erzeugt das Photoelement einen elektrischen Strom, wenn es belichtet wird. Es besteht aus mindestens einem pn-Übergang. Wenn ein Lichtquant eintrifft, dessen Energie größer ist als der Bandabstand, so wird dieses Quant im Halbleiter absorbiert, und ein ElektronLoch-Paar entsteht. In der Raumladungszone werden Elektron und Loch durch das elektrische Feld eUD getrennt und wandern in ihr jeweiliges Majoritätsgebiet ab. Je mehr Lichtquanten eintreffen, desto mehr Elektron-Loch-Paare entstehen: Der Strom, der entsteht, ist proportional zur Zahl der einfallenden Lichtquanten. 3.4. Halbleiterbauelemente 61 Abbildung 3.23: Photoelement (Photodiode) 3.4.3 Halbleiterdiode Wenn man eine äußere Spannung U an einen pn-Übergang legt, überlagert man U der bereits bestehenden Diffusionsspannung UD , so dass eine Gesamtspannung von Upn = UD + U . Nun kann man die Spannung U wie UD ausrichten - also mit dem Pluspol auf der n-Seite. Nach der Poisson-Gleichung 3.40 muss die Raumladungsschicht dicker werden. Damit steigt der elektrische Widerstand, und es kann weniger Strom fließen. Diese Richtung nennt man Sperrrichtung. Der umgekehrte Fall, also der Pluspol auf der p-Seite, heißt Durchlassrichtung (Abbildung 3.24 (1)). In Abbildung 3.24 (2) ist zu sehen, dass die angelegte Spannung keine Auswirkungen auf die Verteilung der Akzeptoren und Donatoren hat. Die Spannung hat aber Auswirkungen auf die Konzentration der jeweiligen Minoritätsträger in den Randschichten der Raumladungszone (Abbildung 3.24 (3)). Diese Konzentrationen sinken hier um Zehnerpotenzen ab, wenn die Spannung in Sperrrichtung anliegt. In Durchlassrichtung werden die Konzentrationen der Minoritätsträger dagegen angehoben. Wie schon in Abbildung 3.24 (3) ist nun auch in Abbildung 3.24 (4) ersichtlich, dass sich die Breite der Raumladungszone unter der angelegten Spannung verändert: Bei Polung in Sperrichtung verbreitert sich die Raumladungszone, denn die freien Ladungsträger werden von der Grenzschicht weggezogen. Bei Polung in Durchlassrichtung verringert sie sich. Der Grund liegt in der Poisson-Gleichung 3.40. In Sperrrichtung addiert sich die äußere Spannung zu der Diffusionsspannung UD , die resultierende Spannung Upn wird also größer und somit auch die Raumladungszone. In Durchlassrichtung wird U subtrahiert, Upn wird kleiner und somit auch die Raumladungszone. Der Verlauf der Spannungen U und UD ist in 3.24 (5) gezeigt. Schließlich kommt den Bezeichnungen „Sperrrichtung“ und „Durchlassrichtung“ eine Bedeutung bezüglich der Anwendung eines Halbleiters mit pn-Übergang zu, der in Schaltkreise als Diodengleichrichter eingebaut werden kann (Abbildung 3.25). In Durchlassrichtung setzt die Spannung die Potentialschwelle entlang des Übergangs herab, so dass die Diffusion der Ladungsträger verstärkt wird, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Der positive Pol liegt am p-dotierten Ende. die freien Elektronen sowie die freien Löcher wandern in Richtung Übergang, so sie rekombinieren. Die äußere Spannungsquelle liefert ständig positive und negative Ladungen nach, so dass dieser Prozess nicht zum Stillstand kommt. Ein Strom fließt. Dies geschieht in Durchlassrichtung (Abbildung 3.25 (a)). 62 3. Elektrische Eigenschaften Abbildung 3.24: pn-Übergang unter äußerer Spannung In Sperrrichtung (Abbildung 3.25 (b)) ist der positive Pol der Spannungsquelle mit der n-Seite verbunden. Die Potentialdifferenz entlang des Übergangs wird heraufgesetzt, weshalb die Diffusion der Ladungsträger noch stärker als ohne äußere Spannung behindert wird. Diese Potentialdifferenz macht es den freien Elektronen im Leitungsband der n-dotierten Seite und den Löchern im Valenzband der p-dotierten Seite unmöglich zu rekombinieren. Der Widerstand 3.4. Halbleiterbauelemente 63 Abbildung 3.25: pn-Diode in Durchlassrichtung und in Sperrichtung. Elektronen sind als dunkle Punkte, Löcher als weiße Punkte dargestellt. durch die ladungsarme Zone ist noch größer geworden. Die Diode stellt im Stromkreis eine „Sperre“ für den Stromfluss dar. Abbildung 3.26: Strom als Funktion der Spannung an einem pn-Übergang. In Abbildung 3.26 ist die Strom-Spannungs-Kurve eines typischen Halbleiterübergangs dargestellt. Man sieht, dass im Wesentlichen Strom nur in Durchlassrichtung fließt. Bei einer Durchschlagsspannung in Sperrrichtung kommt es jedoch auch zum Stromfluss bei einem sehr hohen Spannungswert. Hier werden Elektronen aus ihren Bindungen in den Atomen gerissen und über den Übergang hinweg beschleunigt. Diese Elektronen wiederum lösen weitere Elektronen aus ihren Bindungen. Es gibt ein Bauelement, bei dem dieser Effekt erwünscht ist, nämlich die sogenannte Zener-Diode. Der Durchbruch erfolgt bei einer fest definierten Spannung. 64 3. Elektrische Eigenschaften 3.4.4 Der Transistor Wenn man einer n-p-Schichtenfolge eine weitere n-dotierte Schicht hinzufügt, entsteht ein pnpTransistor. Bei umgekehrter Dotierungsfolge entsteht ein npn-Transistor. Der Transistor hat die Fähigkeit, elektrische Signale zu verstärken. Der erste funktionierende Transistor wurde 1948 in den Bell-Observatories in den USA von William Shockley, John Bardeen und Walter Brattain erfunden. Die drei Schichten den Transistors tragen die Namen Emitter, Basis und Kollektor. • Der Emitter entsendet die freien Ladungen, also Elektronen bzw. Löcher, in die mittlere Schicht. Er ist viel stärker dotiert als Basis und Kollektor. • Die Basis „steuert“ den Transistor und ist eine sehr dünne Schicht. • Der Kollektor sammelt die vom Emitter ausgesandten Ladungen. Emitter, Basis und Kollektor verhalten sich ähnlich wie Kathode, Gitter und Anode innerhalb einer Röhrentriode, wobei bei einem pnp-Transistor Löcher emittiert werden anstelle von Elektronen. Abbildung 3.27: pnp-Transistor Abbildung 3.28: npn-Transistor In den Abbildungen 3.27 ist ein pnp-Transistor und in Abbildung 3.28 ein npn-Transistor gezeigt. Beim pnp-Transistor emittiert der stark dotierte Emitter Löcher, welche die dünne Basis durchqueren und den Kollektor erreichen. Im Schaltsymbol gibt der Pfeil die Bewegungsrichtung der positiven Löcher an, also die konventionelle Stromrichtung. Normalerweise wird der Emitter-Basis-Übergang in Durchlassrichtung geschaltet und der Basis-Kollektor-Übergang in Sperrrichtung (Abbildung 3.29). 3.4. Halbleiterbauelemente 65 Abbildung 3.29: Die meisten Löcher des Emitterstroms fließen vom Emitter durch die Basis zum Kollektor und bilden den Kollektorstrom. Die meisten Löcher vom Emitter diffundieren leicht durch die Basis hindurch, die nur einige zehn Nanometer dick ist. Sie bilden den Strom Ic vom Emitter zum Kollektor. Löcher, die den Kollektor jedoch nicht erreichen, rekombinieren in der Basis und erzeugen somit einen positiven Ladungsüberschuss. Dieser würde dem weiteren Stromfluss von Löchern durch die Basis entgegenwirken. Um dies zu verhindern, werden die Löcher, die den Kollektor nicht erreichen, als Strom Ib abgeleitet. Der in Abbildung 3.29 eingezeichnete Strom Ic ist also beinahe ebenso groß wie Ie , dagegen ist Ib sehr klein im Vergleich mit Ie und Ic . Die Beziehung zwischen Ic und Ib wird angegeben als Ic = βIb (3.41) mit β als der sogenannten Stromverstärkung. Transistoren werden mit Werten von β zwischen 10 und mehreren hundert hergestellt. Nun kann man sich vorstellen, dass der Löcherstrom, der von der Basis abgezogen wird, Auswirkungen auf den Kollektorstrom haben wird, wenn man ihn verändert. Abbildung 3.30: pnp-Transistor als Verstärker a) in Form seiner Schichten und b) als Schaltsymbol dargestellt. In Abbildung 3.30 ist mit Hilfe eines pnp-Transistors eine einfache Verstärkerschaltung gebaut. Zusätzlich zur Vorspannung Ueb wie in Abbildung 3.29 ist hier eine kleine veränderliche Ein- 66 3. Elektrische Eigenschaften gangsspannung us in Reihe geschaltet.4 Der Basisstrom ergibt sich nun als Summe des gleichmäßigen Stroms Ib , der durch Ueb erzeugt wird, und eines veränderlichen Stroms ib , der von der Signalspannung us herrührt. Zum Kollektorstrom Ic = βIb kommt nun ein zweiter Beitrag hinzu, der Wechselstrom ic = βib . Die gezeigte Schaltung 3.30 arbeitet als Stromverstärker, da der zeitlich veränderliche Ausgangsstrom ic um den Faktor β größer als ib ist. Eine kleine Veränderung ib führt zu einer großen Veränderung ic . Ein typischer Verstärker wie zum Beispiel in einem Kassettenrekorder besitzt einige Transistor-Verstärkerstufen, die hintereinander geschaltet sind. Das Ausgangssignal eines Transistors dient als Einganssignal für den nächsten. Die kleinen Spannungsänderungen, die im Tonkopf entstehen, wenn das Magnetband vorbeigeführt wird, steuern die großen Ströme, welche für die Lautsprecher benötigt werden. 3.5 Supraleitung Es war noch nicht lange her, dass es dem niederländischen Physiker H. Kamerlingh Onnes gelungen war, flüssiges Helium herzustellen, da untersuchte er 1911 die Eigenschaften von verschiedenen Materialien bei der Temperatur flüssigen Heliums. Da machte er die verblüffende Entdeckung, dass es für einige Materialien eine kritische Temperatur Tc gibt, unter der der Widerstand Null wird - bzw. die Leitfähigkeit σ = ρ1 → ∞ gegen unendlich geht. Die Materialien werden supraleitend. Abbildung 3.31: Widerstand von Quecksilber als Funktion der Temperatur, wie Kamerlingh Onnes ihn gemessen hat. Abbildung 3.31 zeigt die Messkurve, die Kamerlingh Onnes für den Widerstand von Quecksilber in Abhängigkeit der Temperatur aufnahm. Die Kurve zeigt, warum man die kritische Da us positiv und negativ sein kann, muss Ueb groß genug sein, damit der Emitter-Basis-Übergang immer in Durchlassrichtung geschaltet bleibt. 4 3.5. Supraleitung 67 Temperatur Tc , hier bei Quecksilber Tc = 4, 2K, auch Sprungtemperatur nennt. Die Sprungtemperatur variiert bei verschiedenen Materialien von unter 0, 1K bei Hafnium und Iridium bis 9, 2K für Niob. Abbildung 3.32: Abhängigkeit der Sprungtemperatur vom Magnetfeld bei Blei Abbildung 3.32 zeigt, wie sich die kritische Temperatur eines Materials (hier Blei) verändert, wenn man die Probe in ein Magnetfeld B gibt: Die kritische Temperatur nimmt ab. Sie wird umso kleiner, je stärker das Magnetfeld wird. Viele metallische Verbindungen sind Supraleiter. 1973 wurde die supraleitende Legierung Nb3 Ge bei 23, 3K entdeckt mit dem viele Jahre lang geltenden höchsten bekannten Wert von Tc = 23, 2K. Mit supraleitenden Materialen werden supraleitende Magneten gefertigt. Sie müssen mit flüssigem Helium gekühlt werden, das bei 4, 2K siedet. Die Leitfähigkeit eines Supraleiters ist nicht definiert, da der Widerstand null ist. In einem Supraleiter kann ein Strom fließen, ein sogenannter Suprastrom. Tatsächlich konnten Ströme experimentell nachgewiesen werden, die jahrelang ohne elektrisches Feld durch supraleitende Ringe flossen, ohne an Stärke zu verlieren. Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt Eine Probe aus supraleitendem Material wird auf eine Temperatur noch oberhalb der kritischen Temperatur abgekühlt. Es befindet sich in einem schwachen Magnetfeld B < Bc (vergleiche Abbildung 3.32). Wird die Probe unter die kritische Temperatur abgekühlt, so wird das Material supraleitend und es geschieht Folgendes: Die Magnetfeldlinien werden aus der Probe herausgedrängt (Abbildung 3.33), das heißt, innerhalb der Probe ist das Magnetfeld null. Dieser Effekt wird nach seinen Entdeckern im Jahre 1933 Meißner-Ochsenfeld-Effekt bezeichnet. Tatsächlich werden die Magnetfeldlinien nicht „herausgedrückt“, sondern durch die Induktion eines Suprastroms auf der Oberfläche des Supraleiters kompensiert (Abbildung 3.34): Das äußere Feld wird im Supraleiter exakt aufgehoben.5 . Um den Suprastrom aufzubauen, ist eine Energiemenge ∼ B 2 erforderlich. Wenn das äußere Feld größer als Bc wird, so wird diese aufzubringende Energiemenge zu groß, und das Material wird wieder normalleitend. 5 Tatsächlich nimmt das Feld nach dem Probeninneren hin exponentiell ab und wird null in einer Tiefe von rund 10nm. 68 3. Elektrische Eigenschaften Abbildung 3.33: Meißner-Ochsenfeld-Effekt: Die B-Feldlinien werden aus der supraleitenden Kugel herausgedrängt, wenn sie unter die kritische Temperatur abgekühlt wird. Abbildung 3.34: Suprastrom und das von ihm gebildete Magnetfeld Um einen Supraleiter zum Schweben zu bringen, braucht man ein Magnetfeld eines Permanentmagneten und das Magnetfeld, das durch die Supraströme des Supraleiters erzeugt wird. Wenn 3.5. Supraleitung 69 sich diese Felder abstoßen und die Probe nicht zu schwer ist, schwebt sie über dem Magnetfeld des Permanentmagneten. Versuch: Bringt man einen Supraleiter in die Nähe des Permanentmagneten, so beginnen Ströme zu fließen, die im Supraleiter ein entgegengesetztes Feld erzeugen. (Diamagnetismus, später; vergleiche auch Meißner-Ochsenfeld-Effekt. Der Supraleiter, nach außen nun selbst Magnet, wird abgestoßen - auf ewig, weil der Strom ewig weiterfließt.) 70 3. Elektrische Eigenschaften Kapitel 4 Magnetismus Wird durch eine Spule ein Gleichstrom I geschickt, dann entsteht im Innern der Spule ein homogenes magnetisches Feld der Stärke nI H= (4.1) l mit der Anzahl der Windungen n und der Länge l der Spule. Wenn sich in der Spule Materie befindet (wie z. B. ein Eisenkern), dann verändert sich die magnetische Flussdichte B in der Spule. Zu der Flussdichte in Luft (BLuf t = µ0 H) addiert sich die Magnetisierung M = (µ − 1)µ0 H der Materie: B = µ0 H + M = µ0 H + χm µ0 H = µµ0 H (4.2) mit der Permeabilität µ und der magnetischen Suszeptibilität χm . χm liegt normalerweise bei Null. Bei ferromagnetischen Stoffen kann χm jedoch Werte über 1000 annehmen. 4.1 Dia-, Para- und Ferromagnetismus In Abbildung 4.1 ist ein Diamagnet in einem homogenen Magnetfeld zu sehen. Im Innern des Diamagneten wird die Flussdichte B vermindert, in seiner unmittelbaren Umgebung wird sie erhöht. Das gleiche Bild erhält man, wenn man in das homogene Magnetfeld einen Stabmagneten legt und die Orientierung seines Nord- und seines Südpols genau wie in Abbildung 4.1 wählt. Das bedeutet, dass das Magnetfeld in dem Diamagneten ein magnetisches Dipolmoment induziert, so dass die Pole wie bei dem Stabmagneten ausgerichtet sind. Magnetische Feldlinien verlaufen vom Nord- zum Südpol. Im Innern des Magneten verlaufen sie von Süd nach Nord, also entgegen der Richtung der Feldlinien des äußeren Magnetfeldes. Durch die entgegengesetzten Richtungen innerhalb des Magneten verringert sich dort Flussdichte B, in seiner Umgebung verstärkt sie sich, da die Feldlinien des homogenen Magnetfeldes und des Diamagneten in der gleichen Richtung verlaufen. Bringt man den Diamagneten in ein inhomogenes Magnetfeld, so stoßen sich der im Diamagneten induzierte Nordpol und der Nordpol des inhomogenen Feldes ab (analog die Südpole). Der Diamagnet wird aus dem inhomogenen Feld herausgedrängt.1 1 Im homogenen Feld geschieht dies nicht, weil sich die Kräfte auf Nord- und Südpol des Diamagneten kompensieren. 71 72 4. Magnetismus Abbildung 4.1: Diamagnet im äußeren homogenen Magnetfeld Beispiele für diamagnetische Stoffe sind Edelgase, Stickstoff, Wasserstoff, Graphit, Gold und Steinsalz. Gegenteiliges geschieht beim Paramagenten (Abbildung 4.2). Der Paramagnet richtet sein inneres Feld dem äußeren Feld entgegen. Im Innern des Paramagneten ist B erhöht, in seiner Umgebung erniedrigt. Die Feldlinien verlaufen in seinem Innern in gleicher Richtung wie die Feldlinien des äußeren Feldes, außerhalb sind sie entgegengerichtet. Abbildung 4.2: Paramagnet im äußeren homogenen Magnetfeld Wird ein Paramagnet in ein inhomogenes Feld gebracht, so wird er in Gebiete hoher Feldliniendichte gezogen, also sein Nordpol vom Südpol des äußeren Feldes angezogen. Beispiele für Stoffe, die Paramagnetismus aufweisen, sind Aluminium, Magnesium, Mangan, Chrom, Natrium, Kalium und Sauerstoff. Die „richtigen“ Magnete, wie man sie aus dem Alltag kennt, sind die Ferromagnete.2 Beispiele für Ferromagnete sind Eisen, Nickel, Kobalt und diverse Legierungen. Die Permeabilitäten µ reichen von über 1000 bis zu 100 000. Diese Permeabilitäten hängen stark vom magnetischen Feld ab und sind somit keine Materialkonstanten. Die Magnetisierung M des Ferromagneten wird in Abhängigkeit des magnetisierenden Feldes in Form einer Magnetisierungskurve (Abbildung 4.3) dargestellt. 2 Ferromagnet von lat. ferrum: Eisen 4.1. Dia-, Para- und Ferromagnetismus 73 Abbildung 4.3: Hystereseschleife Die atomaren Dipolmagnete im Ferromagneten sind stark miteinander gekoppelt. Im nicht magnetisierten Zustand sind sie innerhalb begrenzter Bezirke, den „Weißschen Bezirken“, parallel ausgerichtet. Diese auf lokale Bezirke beschränkte Magnetisierung hebt sich für den gesamten Ferromagneten jedoch auf, da die Orientierungen für die vielen Bezirke des Magneten in die verschiedensten Richtungen zeigen (in Abbildung 4.3 als Pfeilchen angedeutet). Bei der Magnetisierung des Stoffes wachsen diejenigen Bezirke, deren Orientierung parallel zum angelegten Feld ist, und die benachbarten Bezirke schrumpfen. Eine Probe, die noch unmagnetisiert ist, durchläuft beim Magnetisierungsprozess zunächst eine „Neukurve“ in Abbildung 4.3 von Punkt 0 bei M = H = 0 an. Hierbei werden die Orientierungen der Weißschen Bezirke ausgerichtet bis hin zu einer Sättigung, wenn der Ferromagnet maximal magnetisiert ist bei Punkt 1. Wenn man nun den Ferromagneten aus dem äußeren Feld herausnimmt - also H auf Null sinken lässt - bleibt immernoch eine Ausrichtung und damit eine Magnetisierung (Punkt 2). Um den Magneten wieder zu entmagnetisieren, bringt man ihn in ein umgekehrt gepoltes äußeres Feld als zuvor (Punkt 3). Steigert man dieses Feld weiter, so richten sich die Orientierungen der Bezirke aus, bis der Magnet bei Punkt 4 maximal magnetisiert ist, jedoch gegenpolig als bei Punkt 1. Der „Rückweg“ zur umgekehrten Magnetisierung führt analog über die Punkte 5, 6 und 7, der mit Punkt 1 identisch ist. Wohlgemerkt wird Punkt 0 nicht mehr erreicht. In Abbildung 4.4 sind die Hysteresekurven verschiedener Materialien zu sehen. Harte Ferromagnete besitzen breite Hystereseschleifen und eignen sich besser zur Herstellung von Permanentmagneten als weiche Ferromagnete mit schmalen Hystereseschleifen. Die Höhe der Schleife auf der M-Achse bestimmt die Stärke des Magneten, und die Breite der Schleife auf 74 4. Magnetismus Abbildung 4.4: Hysteresekurven verschiedener Materialien der H-Achse bestimmt die Wiederstandsfähigkeit gegen äußere Felder. Weiche Ferromagnete, die man als Kerne für Transformatoren benötigt, werden ständig unmagnetisiert und dürfen möglichst wenig Wärme entwickeln; für sie ist eine schmale Schleife von Nutzen. Wie kann man einen Ferromagneten wieder entmagnetisieren? Man gibt ihn in eine Spule, betreibt diese mit Wechselstrom und setzt die Amplitude langsam herab. Die durchlaufenen Hystereseschleifen werden immer kleiner und nähern sich dem Nullpunkt. 4.2 Atomistische Grundlagen des Magnetismus Der Spin des Elektrons ist proportional zu seinem magnetischen Moment (vergleiche Teilchenphysik, Kapitel über Teilcheneigenschaften). Die Hülle eines Atoms enthält also verschiedene kleine Dipolmomente. Wenn sich diese in der Hülle auf Null kompensieren, dann ist der Stoff diamagnetisch. Wenn das Atom in ein äußeres Magnetfeld gerät, induziert dieses im Atom einen Kreisstrom, der nach der Lenzschen Regel seiner Ursache entgegenwirkt: Im Atom entsteht ein Feld, das dem äußeren Magnetfeld entgegenwirkt. Im Innern des Diamagneten wird die Kraftflussdichte herabgesetzt, und die Suszeptibilität ist negativ. 4.2. Atomistische Grundlagen des Magnetismus 75 Beim Paramagnetismus bestitzen die Atome eines Stoffes permanente magnetische Momente besitzen. Der Grund, warum diese von außen nicht gesehen werden, liegt in der thermischen Bewegung, die sie in Unordnung bringt. Mit Hilfe eines äußeren Feldes pendeln die magnetischen Momente um eine Vorzugsrichtung. Das Resultat ist eine zusätzliche Magnetisierung des Stoffes. Die paramagnetische Suszeptibilität ist positiv. Beim Ferromagneten tritt eine spontane Magnetisierung über makroskopische Bereiche auf, die Weißschen Bezirke. In diesen Bezirken sind die magnetischen Dipole benachbarter Atome parallel ausgerichtet. Diese magnetischen Dipole werden vom Spin bestimmter Elektronen erzeugt, die sich in äußeren Schalen der ferromagnetischen Atome befinden. Im nichtmagnetischen Zustand sind die einzelnen spontan magnetisierten Bereiche untereinander nicht geordnet. Nach außen hin ist kein Feld bemerkbar. In den „Wänden“, die die Weißschen Bezirke umschließen, befinden sich 50 Atomlagen, in denen die Spinausrichtung sich Schritt für Schritt in die des benachbarten Weißschen Bezirks umformt. Bei der Magnetisierung durch ein äußeres Feld können sich die Weißschen Bezirke sprunghaft ausbreiten. Dadurch ist die Hysteresekurve eines kleinen Kristalls ist nicht glatt, sondern besteht aus kleinen Stufen. Da magnetische Dipole mechanische Kräfte aufeinander ausüben, kann sogar innerhalb eines Weißschen Bezirks die Gitterkonstante beeinflusst werden. Wird zum Beispiel ein Nickeldraht in Längsrichtung magnetisiert, dann verkürzt er sich ein bisschen. Antiferro- und Ferrimagnetismus In Abbildung 4.5 geben die Pfeile die Stellung benachbarter atomarer magnetischer Momente an. Abbildung 4.5: Ferromagnetikum Wenn in Substanzen gleich große atomare magnetische Momente abwechselnd antiparallel ausgerichtet sind, dann heißen sie antiferromagnetisch (Abbildung 4.6). Die beiden Ausrichtungen heben sich gegenseitig auf, so dass keine äußere Magnetisierung zu sehen ist. Beispiele für Antiferromagnete sind Oxide und Fluoride des Eisens, Kobalts, Mangans und Nickels. 76 4. Magnetismus Abbildung 4.6: Antiferromagnetikum Beim Ferrimagnetismus sind die abwechselnd antiparallel ausgerichteten magnetischen Momente nicht gleich groß (Abbildung 4.7). Es gibt daher keine vollstände Kompensation. Eine spontane Magnetisierung bleibt übrig, so dass die Substanz nach außen hin ferromagnetisch erscheint. Abbildung 4.7: Ferrimagnetikum Beispiele für Ferrimagnete sind Ferrite. Sie bestehen aus Verbindungen des Eisenoxids Fe2 O3 mit Oxiden zweiwertiger Metalle. Alle möglichen Magnete, die uns im Alltag begegnen, sind oxidkeramische Ferrite, zum Beispiel Kompassnadel oder an Kühlschranktüren.