Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft

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Vorlesung „Einführung in die Bildungswissenschaft“ Winter 2013
Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp
(20. 11. 2013)
Schwerpunkt 2:
Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft
(Teil 2)
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Begrüßung - Organisatorisches
Vortrag: „Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft“
Input: Kurzfilm: „The colour changing card trick“
Arbeitsphase – Aussprache
Vortrag: „Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft“
Impulsfrage: Was muss eine Theorie der Erziehungs- und
Bildungswissenschaft Ihrer Ansicht nach beinhalten?
• Aussprache - Diskussion
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Als Begründer der strukturfunktionalen Systemtheorie kann Talcott Parsons
(1902 – 1979) gelten. Sein Schüler Robert Dreeben hat in seinem Buch „On
what is learned in school“ 1968 akribischer und detailgenauer die Annahmen
Parsons ausgearbeitet.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
•
Parsons soziologische Wissenschaftsrichtung wird als
»strukturfunktionalistische Systemtheorie« bezeichnet.
•
Gesellschaften gelten als komplexe Systeme, die zu ihrem Fortbestand
Strukturen entwickeln, welche spezifische Funktionen für die
Bestandserhaltung des Gesamtsystems erfüllen.
•
Für die Stabilität von Gesellschaftssystemen ist die »Zusammenarbeit«
der verschiedenen »Teilsysteme« der Gesellschaft erforderlich, die
unterschiedliche Beiträge (Funktionen) für das gesellschaftliche
Gesamtsystem erbringen.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
•
Das ökonomische Teilsystem produziert die materiellen Ressourcen,
Waren und Dienstleistungen für das Überleben der Gesellschaft.
•
Das politische Teilsystem entwickelt Zielvorgaben, gleicht Interessen aus
und erlässt Gesetze.
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Das Teilsystem des Bildungswesens sorgt dafür, dass sich die Menschen
in das gesellschaftliche System integrieren und ihrer Leistung gemäß
bestimmte gesellschaftliche Positionen besetzen können.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Theoretischer Ausgangspunkt: die Interaktionssituation zwischen
zwei Personen
Das Set an normativen Interaktionsmustern steuert dann das Verhalten der
Individuen und liefert ihnen einen Bezugsrahmen (»frame of reference«)
gemeinsam geteilter Bedeutungen. Damit ist ein unabhängiges soziales
System mit gemeinsam geteilten Werten, gemeinsam entwickelten
Rollenerwartungen und einer verbindlichen Mitgliedschaft entstanden.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Um das Handeln der Personen zu verstehen, entwickelt Parsons die
Begriffspaare der Pattern Variables.
Affektivität
→
←
Affektive
Neutralität
KollektivOrientierung
→
←
SelbstOrientierung
Partikularismus
→
←
Universalismus
Zuschreibung
→
←
Leistung
Diffusität
→
←
Spezifität
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Sozialisation hat die Aufgabe, den Heranwachsenden die Fähigkeit zum
Handeln in Rollen beizubringen, damit sie die Wertorientierungen einer
Gesellschaft im Interesse der Bestandserhaltung des Gesamtsystems
übernehmen
Sie lernen, unterschiedliche Arten von Rollenspielen auseinander zu halten, ihr
Handeln auf die jeweils geltenden Spielregeln einzurichten und sich mit den an
die Rollen geknüpften Erwartungen zu identifizieren
Die Sozialisationsaufgabe kann nach Parsons in modernen Gesellschaften, in
denen universalistisches, neutrales und an Leistung orientiertes
Rollenverhalten erwartet wird, von der »Sozialisationsinstanz« Familie nicht
mehr geleistet werden, da deren Spielregeln partikular, diffus, affektiv und an
Zuschreibung ausgerichtet sind.
Schulen sollen diese Aufgabe in modernen Gesellschaften übernehmen.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Schule macht aus anfänglicher Gleichheit Differenz
Dieses Elementarmodell von Schule muss seine analytische Kraft erst in der
empirischen Überprüfung zeigen
Die Empirie über Schulerfolg widerspricht dem von Parsons angenommenen
unpersönlich-universalistischen Leistungsmuster
Lehrer beurteilen nicht objektiv, sondern verfolgen systematisch askriptivpartikularistische Tendenzen in ihrer Leistungsbeurteilung
Schüler kommen nicht mit gleicher Ausstattung in die Schule; sie betreten
schon als Ungleiche das Klassenzimmer. Ihr Schulerfolg wird eher von der
sozialen Herkunft bestimmt als von der Leistungsfähigkeit
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Als Gegenpol gegenüber der harmonischen Vorstellung von Parsons kann die
Theoriebildung des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930 - 2002)
verstanden werden.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Bourdieus strukturelle Gesellschaftsanalysen haben eine gesellschaftskritische
Spitze:
Die unterschiedlichen Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensformen, welche
die Handelnden abhängig von ihrer Stellung im gesellschaftlichen Raum in
ihrem Verhaltensrepertoire (Habitus) erkennen lassen, werden nicht als
gleichwertig anerkannt
Ihr Maß finden sie auch und besonders in der Schule an der schmalen oberen
Schicht
Die Mehrheit der Bevölkerung hat kaum die Chance, den «guten« und
«richtigen« Geschmack zu erwerben, der im Wettbewerb die höchste Rendite
abwirft
Die Position im sozialen Raum hängt nach Bourdieu vom »Kapitalvolumen«
einer Person ab, das sich nicht nur aus ökonomischem Kapital zusammensetzt, sondern auch aus kulturellem und sozialem Kapital
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Einwände gegen den Strukturfunktionalismus
Rückfall hinter die schon erreichten Positionen der europäischen Aufklärung
Parsons dadurch, dass er formale Freiheit und formale Gleichheit schon für
die ganze verwirklichte Freiheit und die ganze verwirklichte Gleichheit
nimmt
Bourdieu dadurch, dass in seiner soziologischen Analyse die Freiheit keinen
systematischen Platz hat, sondern bloß subjektive Entscheidung bleibt
Die Sozisalisation durch Schule kann ja auch als Deformierung der menschlichen Natur begriffen werden, da Menschen lediglich nach dem Kriterium der
Leistung sortiert und bewertet werden
Das Schulsystem bleibt notwendig „defizient“ bleiben, da es Erfolgreiche und
Versager produzieren muss
Andere Momente, die einen Menschen als wertvoll erscheinen lassen, werden
ausblendet
Idealtypischer Grundzug kann auch als verklärende Rechtfertigung der Verhältnisse verstanden werden
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
In Auseinandersetzung und Fortentwicklung der strukturfunktionalistischen
Systemtheorie von Parsons entwickelt der Bielefelder Soziologe Niklas
Luhmann (1927 – 1998) seine Fassung der soziologischen Systemtheorie.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Grundgedanken
Luhmanns Systemtheorie stellt ein Begriffssystem zur Beschreibung sozialer
Prozesse dar
Ausgangspunkt ist nicht mehr die Übereinstimmung von Individuum und
Gesellschaft, sondern der Unterschied zwischen beiden
Soziale Systeme werden durch die Grenze zwischen System und Umwelt
bestimmt
Durch Systemdifferenzierung bilden sich Teilsysteme aus, die spezifische
Aufgaben übernehmen
Auf der Basis dieser vielstufigen System-Umwelt-Unterscheidungen lassen sich
dann Elemente eines sozialen Systems erkennen
Diese Elemente sind Ereignisse von Kommunikation, keine Personen. Eine
soziale Beziehung ist dann die Organisation von Differenzen in doppelter
Kontingenz
Soziale Systeme sind autopoietisch respektive selbstreferentiell
Aus der Selbstreferenz sozialer Systeme entsteht deren Komplexität
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Systemtheorie und Erziehungswissenschaft
Vertreter der Systemtheorie im Bereich der Erziehungswissenschaft sind etwa
Heinz-Elmar Tenorth (1944) für Erziehungsgeschichte und Bildungsadministration, Dieter Lenzen (1947) für Erziehungsphilosophie oder Jochen Kade
(1943) für die Erwachsenenbildung.
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Luhmann macht deutlich, in welcher Intensität die Reformresistenz der deutschen Schule den Mechanismen von Schule als autopoietischem, aus sich
selbst heraus erschaffendem System geschuldet ist
Er fragt danach, wie sich schulische Formen der Problembearbeitung verstetigen. Unter seiner gesellschaftstheoretischen Perspektive rücken die Selektionsaufgaben der Schule dabei zur zentralen Funktionsbestimmung auf
Die zentrale Aufgabe des Schulwesens: Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen,
auf deren Grundlage ein „besseres oder schlechteres Abschneiden“
unterscheidbar wird
Schule behandelt dazu nicht-trivial Lernende als Trivialmaschinen, die auf
einen bestimmten Input dank einer gespeicherten Regel einen bestimmten
Output produzieren
Strukturfunktionalismus und Systemtheorie
Einwände gegen die systemtheoretische Konzeption
Luhmann versteht Kommunikation als Element sozialer Systeme und nicht
zwischen Personen
Was als soziologische Verunsicherung (Perturbation) sinnvoll sein mag, bietet
pädagogisch keine Orientierungsinhalte, keine Zukunftsperspektiven und
keine Kriterien für pädagogische Interventionen
Luhmann reduziert die Komplexität der Schule sowohl hinsichtlich des
Unterrichts als auch der Bildung allzu sehr
Denn selbst in der Schule gibt es Bildungsmöglichkeiten, so dass Schüler die
Erfahrung machen können, dass es die Dimension der Bildung in der Schule
auch gibt, selbst wenn sie nicht immer verwirklicht werden kann
Unterricht nähert sich gegenwärtig einer reflexiven Bildung der Schüler selbst
an
Um sich auf Neues und Anderes einzulassen, müssen die Reflexionsschleifen nichttrivialer Maschinen notwendig aufgenommen sein, die längst zur
Richtschnur schulischen Lehrens und Lernens geworden sind
Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus
Anders als die strukturfunktionalistische Systemtheorie untersuchen der
Pragmatismus und der Symbolische Interaktionismus nicht die soziale
Makroperspektive, sondern die Mikroperspektive des sozialen Handelns. Der
amerikanische Pragmatismus ist verbunden etwa mit den Namen George
Herbert Mead (1863-1931), Charles Sanders Peirce (1839-1914) und John
Dewey (1859-1951).
Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus
Grundlagen des Pragmatismus
Der Pragmatismus wendet sich von der Metaphysik ab und richtet den Blick auf
das Handeln und dessen Folgen
Erkenntnis wird als ein intersubjektiv vermittelter Zeichenprozess verstanden,
dessen Bedeutung in den möglichen Folgen des Gebrauchs dieser Zeichen
liegt
Die Bedeutungszuweisung beruht auf einer sozialen Konvention
Die Sicherheit wird nicht durch die Suche nach absoluter Gewissheit durch
kognitive Mittel gewonnen, sondern durch praktische Mittel
Der Blickwinkel geht nicht deduktiv von einer Gesamtgesellschaft aus auf
Subsysteme und soziale Akteure, sondern induktiv von Individuen und wie
diese ihre Gesellschaft konstituieren
Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus
Grundlagen des Pragmatismus
Menschen reagieren daher nicht auf Reize, sondern handeln aufgrund der
Bedeutung, die sie einer Situation geben.
Gesellschaft entsteht dadurch, dass die Individuen miteinander in einen
Austausch treten. Gesellschaft wird durch die Interaktion der Individuen
konstituiert.
Gegenstände, Personen und Situationen besitzen für alle Personen einer
Gruppe eine gemeinsame Bedeutung, die durch Regeln festgelegt ist.
Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus
Grundlagen des Pragmatismus
Symbole entstehen dadurch, dass ein Ego die Gesten von Alter wahrnimmt. In
Handlungen werden diese als Symbole signifikant, Ego antizipiert das
Verhalten von Alter und stimmt seine Handlungen darauf ab.
Der Symbolische Interaktionismus erhält einen Erklärungsansatz für die
Identitätsbildung von Kindern und die Weiterentwicklung von Erwachsenen,
in ihm steckt also eine Theorie der Sozialisation. Das Selbst bildet sich dabei
zunächst in der Über- und Vorwegnahme der Reaktionen konkreter einzelner
signifikanter Anderer, später in der Übernahme verallgemeinerter
Reaktionsmuster, eines generalisierten Anderen.
Role-Taking – Role-Making
Gegenstände, Personen und Situationen besitzen für eine Person auch eine
subjektive Bedeutung, bei der allgemeine Verhaltensregeln von der Person
interpretiert werden.
Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus
Wichtige Autoren des Symbolischen Interaktionismus waren unter anderem
Herbert Blumer (1900-1987), auf den die Bezeichnung „Symbolischer
Interaktionismus“ zurückgeht, Erving Goffman (1922-1982), der die
Präsentationen des Selbst im Alltagsleben untersuchte, und Anselm Strauss
(1916 - 1996), der den Ansatz der Grounded Theory entwickelte.
Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus
Folgerungen für die Pädagogik
Kennzeichen schulischer Interaktion ist dabei, dass in der Schule als Institution
die Deutungsmacht ungleich verteilt ist
In der Schule bilden sich stabilisierte Verhaltenserwartungen und Erwartungserwartungen über das Lehrer- und das Schülerverhalten aus
Auf beiden Seiten wird typisiert und etikettiert. Kindern aus „bildungsfernen“
Milieus werden etwa mangelnde Leistungsfähigkeit zugeschrieben und ihre
Potenziale übersehen und nicht gefördert
Pygmalion und Andorra Effekt
Schule hat mit dem Symbol „Schule“ verbundene Rollen ausgebildet, deren
Erwartungen und Erwartungserwartungen den Akteuren immer schon präsent
sind
Diese Rollen und Erwartungen sind relativ statisch, da Schule eine stark
verregelte Institution, die Fluktuation der Akteure, vor allem der Lehrkräfte,
gering, und die Interaktion nach einem asymmetrischen Muster angelegt ist
Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus
Einwände gegen Pragmatismus und Symbolischen Interaktionismus
Interpretatives Paradigma als Gegenposition zu funktionalistischen Vorstellungen
Das Subjekt hat eine empirische wie auch normative Bedeutung zurückbekommen, allerdings fehlt der Blick auf die Makroperspektive der gesellschaftlich vorhandenen Strukturen
Gesellschaftliche Brauchbarkeit wird zu utilitaristischer Nützlichkeit, wenn
Handeln nur subjektivistisch betrachtet wird
Der allgemeine Ansatz muss, um die Bedingungen für eine gelingende
Interaktion und eine gelingende Identitätsbildung zu bestimmen, erweitert
werden durch Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz, Frustrationstoleranz
und Empathie
Ein zentrales Problem bleibt die fehlende forschungsmethodische
Absicherung
Wertfragen werden auf den Erfolg des Handelns reduziert
Arbeitsfragen zum Film „The colour changing
card trick “:
Welche Folgerungen ergeben sich hieraus für
die Wahrnehmung und das Wirklichkeitsverständnis?
Konstruktivismus
Alle genannten Theoriekonzeptionen verstehen sich als konstruktiv und
konstruktivistisch, indem sie aussagen, dass wissenschaftliche Erkenntnis ein
Ergebnis menschlicher Konstruktionstätigkeit ist.
Vertreter des radikalen Konstruktivismus sind etwa Ernst von Glasersfeld
(1917-2010) und Humberto R. Maturana (1928); ein Vertreter des sozialen
Konstruktivismus ist Kenneth J. Gergen (1934).
Konstruktivismus
Grundpositionen
Der Konstruktivismus wendet sich gegen die These, dass Kriterium für
Wissenschaftlichkeit die Übereinstimmung von Aussagen mit der Wirklichkeit
ist
Die Erkenntnis ist stets im Zusammenhang mit dem Beobachter zu sehen.
Eine vom Beobachter unabhängige Erkenntnis gibt es nicht
Beobachtung und Beschreibung setzen Differenzierungen voraus, die sich
nicht aus der Wirklichkeit ergeben, sondern von dem jeweiligen Beobachter
getroffen werden
Die Unterscheidungen werden in Handlungszusammenhängen vollzogen. Die
Brauchbarkeit in solchen Handlungszusammenhängen entscheidet über die
Angemessenheit der Unterscheidung
Konstruktivismus
Die Bedeutung für die wissenschaftstheoretische Grundlegung der
Bildungs- und Erziehungswissenschaft
Bildungs- und erziehungswissenschaftliche Konzepte haben unterschiedliche
Begriffe als Fundament
Diese Begriffe sind nicht aus der Wirklichkeit abzuleiten
Verhalten, Handlung, System sind unsere begrifflichen Konstruktionen,
die wir jeweils der bildungswissenschaftlichen Forschung und dem pädagogischen Handeln zugrunde legen.
Die begriffliche Unterscheidungen als Fundament erziehungswissenschaftlicher Theorien stehen in Handlungszusammenhängen. Die Begriffssysteme der
Verhaltenstheorie, der Handlungstheorie und der Systemtheorie lassen sich
nur mit Blick auf ihrer praktischen Konsequenzen diskutieren und beurteilen
Konstruktivismus
Probleme und Einwände
Zur Begründung des Konstruktivismus wird als Argumentationsbasis auf
das Wissenschaftskonzept der Naturwissenschaften zurückgegriffen, obwohl
dieses von ihm selbst kritisiert wird
Auf dem Boden des bildungs- und erziehungswissenschaftlichen Konstruktivismus werden jede Menge pädagogischer Forderungen, Methoden und Verfahrensweisen empfohlen, die zwar jeweils plausibel sein mögen, aber sie lassen
sich nicht aus der Theorie ableiten
Zudem entfällt die Möglichkeit von Bildung in einem gemeinsamen Entwurf
von Welt
Eine Theorie sozialer Konstruktion ist nicht möglich, in der die Wirklichkeit als
historisch-gesellschaftlich konstruierte gefasst wird
Als ein theoretisches Konzept kann der Konstruktivismus Argumente zur
Beurteilung anderer Wissenschaftskonzepte liefern, dann aber müssen wir uns
die Frage stellen:
Welche pädagogische Praxis wollen wir?
Theorien der Bildungs- und Erziehungswissenschaft
Zusammenfassende Schlussbemerkung
Die Theorie der Bildungs- und Erziehungswissenschaft gibt es nicht,
sondern es gibt verschiedene erziehungswissenschaftliche Konzepte, die sich
in den Grundbegriffen (Verhalten, Handeln, System), den Forschungsmethoden (Quantitative Empirie, Hermeneutik, Rekonstruktion) und den Folgen für
praktisches Handeln unterscheiden
Die Bildungs- und Erziehungswissenschaft ist daher durch einen Theorienund Methodenpluralismus gekennzeichnet
Das kann als Stärke oder Schwäche interpretiert werden, da die Konzepte
sich zwar widerstreiten, aber auch hinsichtlich der Forschungsmethoden, der
Ergebnisse und der praktischen Folgen sich überschneiden
Bildungs- und Erziehungswissenschaft haben ihr Ziel nicht nur in der Erkenntnis der pädagogischen Wirklichkeit, sondern sie sind auch auf das praktische Handeln in pädagogischen Situationen bezogen
Damit sind die Theorien nicht als ein System genereller Gesetzesaussagen
bestimmt, sondern können als Werkzeugkoffer betrachtet werden
Fachwissenschaftler an einem Untersuchungsgegenstand - die Erkenntnis ist jeweils anders:
Das Bild beschreibt ein Gleichnis von Hampden-Turner "Sechs blinde Weise versuchen, einen
Elefanten durch Tasten zu erkennen. Der erste fühlt seinen Stoßzahn und vergleicht den
Elefanten mit einem Speer. Der zweite ertastet die Flanke und beschreibt ihn als Wand. Der
dritte hat ein Bein vor sich, was ihn auf die Ähnlichkeit mit einem Baum verweisen läßt. Der
vierte fühlt den Rüssel und vergleicht den Elefanten mit einer Schlange, der fünfte betastet das
Ohr und zieht den Vergleich mit einem Fächer; der letzte schließlich gerät an den Schwanz
und besteht auf der Ähnlichkeit mit einem Seil. Das Ergebnis ist ein großer Streit: Jeder
beharrt auf seinen Erkenntnissen – jeder hat recht, was den jeweiligen Körperteil betrifft, und
alle haben unrecht, weil keiner das Tier als Ganzes erfaßt hat."
Hampden-Turner 1983, zit. nach Schräder-Naef 1993, S. 22 in Schräder-Naef, Regula D.: Informationsflut. 3., überarb. u. erg.
Aufl. – Weinheim 1993
Impulsfrage:
• Was muss eine Theorie der Erziehungsund Bildungswissenschaft Ihrer Ansicht
nach beinhalten?
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