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Arne Ernst
Rolf-Dieter Battmer
Ingo Todt
Cochlear Implant heute
Arne Ernst
Rolf-Dieter Battmer
Ingo Todt
Cochlear Implant
heute
Mit 30 Abbildungen
123
Prof. Dr. med. Arneborg Ernst
Dr. med. Ingo Todt
Unfallkrankenhaus Berlin
Direktor der HNO-Klinik
Warener Str. 7
12683 Berlin
Unfallkrankenhaus Berlin
Oberarzt der HNO-Klinik
Warener Str. 7
12683 Berlin
Prof. Dr. rer. nat. Rolf-Dieter Battmer
Unfallkrankenhaus Berlin
Leiter des Zentrums für klinische
Technologieforschung
Warener Str. 7
12683 Berlin
ISBN 978-3-540-88235-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg
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SPIN: 12438747
Gedruckt auf säurefreiem Papier
18/5135/ud – 5 4 3 2 1 0
V
Geleitwort
Das 1986 hier bei Springer erschienene erste Buch zum Thema Cochlear Implant (CI) hatte
den Hals-Nasen-Ohren-Arzt auf diese damals neue Hilfe für beidseitig Taube aufmerksam
und ihn mit der grundsätzlichen Funktionsweise vertraut machen sollen; zugleich wollten wir
versuchen, anhand der ersten, beeindruckenden Ergebnisse die bei Kollegen herrschenden
Zweifel zu zerstreuen. Über tief greifende Erfahrungen verfügten wir damals noch nicht; sie
mussten sich erst ergeben.
Zunächst, seit 1984, operierten wir ausschließlich vollständig ertaubte Erwachsene. Würden die Ergebnisse befriedigen und würden sie anhalten? Sie waren überraschend gut und
sie blieben gleich oder besserten sich noch über die Zeit. Die Implantate erwiesen sich als
zuverlässig und über viele Jahre dauerhaft. Aber würde, wenn einmal eines ausfiele, eine ReOperation möglich sein? Sie erwies sich als möglich, war aber glücklicherweise in nur sehr,
sehr wenigen Fällen notwendig und die Patienten hörten wieder wie zuvor. Wir hatten also
gelernt, dass sich störende Narben in der Schnecke vermeiden lasen, allerdings wohl nur,
wenn die Cochleostomie sehr bedächtig gehandhabt und der Elektrodenträger entsprechend
behutsam eingeführt wurde.
Dürften wir auch taube Kleinkinder mit dem CI versorgen? Obwohl die Physiologen es für
gänzlich aussichtslos hielten, wagten wir es (ab 1988) und sahen auch bei ihnen überraschend
gute Resultate – so gute, dass bald mehr Kinder als Erwachsene operiert wurden.
Beeindruckt waren wir, als wir schon intraoperativ sahen, dass selbst bei den taub geborenen Kindern der bis dahin nie gebrauchte Stapediusreflex nun über das Implantat auszulösen
war – für uns zugleich ein Zeichen dafür, dass das Implantat funktionierte und der Hörnerv
intakt war.
Durften wir neben den gänzlich Tauben auch Hörrestige mit dem CI versorgen? Diese
Frage stellten zunehmend häufiger Eltern und Pädagogen, deren Kinder vom Hörgerät keinen Nutzen erkennen ließen. Als wir deren Drängen schließlich nachgaben, überraschten
die Erfolge in doppelter Hinsicht: Die Kinder lernten auffallend rasch zu verstehen und zu
sprechen und ganz überraschend zeigte sich außerdem, dass die Hörreste erhalten bleiben
können (1992).
Damit erweiterte sich die Indikation zum CI ganz wesentlich; allein in Deutschland hat die
Zahl der inzwischen mit dem CI versorgten Patienten längst die 10.000-Marke überschritten
und sie wächst in jedem Jahr um etwa weitere tausend. Aus nur einer Handvoll interessierter Operateure, Ingenieure und Pädagogen erwuchsen Gemeinschaften mit Hunderten von
Mitgliedern und Kongresse mit Tausenden von Teilnehmern. Aus zaghaften Publikationen
entstand eine kaum noch übersehbare Fachliteratur.
Seit sich also bestätigt hatte, dass das Restgehör trotz intracochleärer Platzierung des
Elektrodenträgers nicht verloren gehen muss, ließ sich der Begriff Resthörigkeit zunehmend
weiter fassen – zunächst in Richtung hochgradiger Schwerhörigkeit und dann auch extremer
Hochtonschwerhörigkeit mit Steilabfall oberhalb 500 Hz. Für die letztgenannten Patienten
bahnt sich nun eine Kombination aus Hörgerät (für die tiefen) und Cochlear Implant mit
kürzerem Elektrodenträger an (für die mittleren und hohen Frequenzen).
Mit dieser Entwicklung parallel verliefen faszinierende Fortschritte in der digitalen
Elektronik des Implantats und des Prozessors; die Reizkodierungsprogramme arbeiten jetzt
mit mehr als 16.000 gegenüber anfänglich weniger als 1000 Spikes pro Sekunde. Objektive
Messdaten erleichtern die pädagogische Nachsorge und dies insbesondere bei den Kindern,
VI
Geleitwort
die, soweit taub geboren, möglichst schon im ersten oder zweiten Lebensjahr versorgt werden
sollten.
So hat das Cochlear Implant uns Ohrenärzten die Möglichkeit gegeben, sich auch derjenigen Patienten anzunehmen, denen wir zuvor hilflos gegenüber standen und es hat zugleich –
unbeabsichtigt und unerwartet – tief eingegriffen in die Welt der Gehörlosen und Ertaubten.
Es ist das Verdienst der Herausgeber und Autoren, hier verschiedene, fachübergreifende Aspekte dieser jüngsten Disziplin der Otologie kritisch beleuchtet zu haben – jetzt aus der Sicht
einer bis zu 20-jährigen Erfahrung.
Ernst Lehnhardt
Hannover, im Herbst 2008
VII
Vorwort
Das jetzt vorliegende Buch ist Ausfluss eines Festsymposiums, das anlässlich des 10-jährigen
Bestehens des CI-Programms der HNO-Klinik im ukb (Unfallkrankenhaus Berlin) im Herbst
2007 veranstaltet wurde.
Dabei wurden von namhaften, im Buch mit einzelnen Beiträgen vertretenen Fachreferenten ein Blick zurück auf die Entwicklung der CI-Programme und der Blick nach vorne in
die nahe und fernere Zukunft der Rehabilitation von hochgradig schwerhörigen und tauben
Patientinnen und Patienten jeglichen Alters geworfen.
Ernst Lehnhardt aus Hannover hatte mit Rolf Battmer seinerzeit Anfang der 80er Jahre
richtungsweisend den klinischen Teil der CI-Entwicklung in die Praxis gebahnt und wenig
später gelang es Bodo Bertram, im CIC »Wilhelm Hirte« die Grundlagen der (Re)Habilitation
zu legen.
Aus gegebenem Anlass hatten wir zu unserem Festsymposium auch die Berliner und die
Brandenburger Landespolitiker eingeladen. Frau Senatorin Lompscher (für Berlin) und Frau
Ministierin Ziegler (für Brandenburg) hoben die Bedeutung der neuzeitlichen Rehabilitation
unserer Patienten mit der klinisch-chirurgischen Arbeit im ukb und der (Re)Habilitation im
Hörtherapiezentrum Potsdam (HTZ) für eine länderübergreifende, dem Wohle der Patienten
dienenden Zusammenarbeit hervor.
Wir freuen uns deshalb besonders, dass aus gegebenem Anlass dieser kleine Leitfaden für
Patienten, deren Angehörige, Interessierte aller Berufs- und Fachgruppen entstanden ist.
Mit Hilfe des Springer-Verlages soll an dieser Stelle ein weiterer, kleiner Meilenstein auf
dem weiteren, bislang schon höchst erfolgreichen Weg der CI-Versorgung gesetzt werden!
Wir bedanken uns an dieser Stelle bei den Autoren für Ihre Zuarbeit, bei der DCIG und
unserer auf lokaler Ebene tätigen Gesellschaft für Integrative Hörrehabilitation (GIH) für die
jahrelange, vertrauensvolle Zusammenarbeit und wünschen dem Buch eine möglichst weite
Verbreitung!
Arne Ernst
Rolf-Dieter Battmer
Ingo Todt
Berlin, im Herbst 2008
IX
Inhaltsverzeichnis
1
25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland
– eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven:
Indikationserweiterung, Reliabilität der
Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Rolf-Dieter Battmer
Indikation zum Cochlear-Implantat . . . . . . . . . . . .
Zuverlässigkeit der Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Technologische Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . . .
Operationstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Systemanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sprachverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bilaterale Versorgung und elektroakustisches
Hören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
2
3
4
4
5
6
Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3
Subjektive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Objektive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Promontorialtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Geschmack. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Bilaterale Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Weiteres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
6
8
8
9
Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher
Schwerhörigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
M. Ptok
Formen der Hörstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Hören als komplexer Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Schallleitungsschwerhörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Schallempfindungsschwerhörigkeit . . . . . . . . . . . 14
Genetische Hörstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Syndromale und nichtsyndromale
Hörstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Schweregrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Erkennung von Störungen des Schalltransports bis zum Trommelfell . . . . . . . . . . . . . . . 18
Erkennung von mittelohrbedingten
Schwerhörigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Erkennung von cochleären Schwerhörigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Subjektive Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Auswertmodi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Auswahl eines adäquaten Hörprüfverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Objektive Hörtests. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Untersuchungen der zentralen Hörbahn . . . . . . 23
Cochlear-Implant-Voruntersuchungen . . . . 27
I. Todt
4
Perioperatives Monitoring objektivaudiologischer Daten im Rahmen der
Cochlear-Implant-Versorgung . . . . . . . . . . . . 31
D. Basta
Erste Funktionsprüfung – die Messung der
Elektrodenwiderstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Elektrisch evozierter Stapediusreflex . . . . . . . . . . 32
Bestimmung des elektrischen Dynamikbereichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Funktionsprüfung der aufsteigenden
Hörbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Monitoring der Elektrostimulation in der
Cochlea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Objektivierung von postoperativen
Beschwerdebildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
5
Technologisch-chirurgischer Fortschritt
bei der Cochlear Implantation . . . . . . . . . . . . 39
A. Aschendorff, K. Gollner, W. Maier,
R. Beck, T. Wesarg, S. Kröger, S. Arndt,
R. Laszig
Zur Indikation der Cochlear-ImplantVersorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Das Alter bei Cochlear-Implant-Operation. . . . . 40
Zur Entwicklung der Implantate aus
chirurgischer Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
X
Inhaltsverzeichnis
Chirurgischer Zugang zum Cochlear
Implant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Elektroakustische Stimulation, HybridCochlear-Implant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Qualitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
6
Die Entwicklung minimal-invasiver
chirurgischer Verfahren zur CochlearImplant-Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
A. Ernst, I. Todt
Der Beginn der Cochlear-Implant-Chirurgie . . . 47
Standardisierung der Operationstechnik . . . . . . 49
Chirurgische Spezialversorgung bei
Begleiterkrankungen des Ohres und des
Felsenbeins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Minimal-invasive Cochlea-Implant-Chirurgie . . 51
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
7
Bilaterale CI-Versorgung heute . . . . . . . . . . . 53
T. Steffens
Die Vorteile des binauralen Gehörs. . . . . . . . . . . . 53
Der Schallschatten des Kopfes . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Neurophysiologische Effekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Untersuchung zum Hörvorteil sequentiell
bilateral implantierter Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Sozialrechtliche Grundlagen und
medizinische Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Sozialrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Medizinische Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8
Gründe der Gehörlosen gegen das CI . . . . . . . . . 68
Vergleich der CI-Versorgung von Kindern
hörender Eltern mit der von hörgeschädigten
Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Hörende Eltern und CI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Hörgeschädigte Eltern und CI. . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Zufriedenheit der Eltern mit der CochleaImplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Probleme im Rehabilitationsprozess . . . . . . . . . . 70
Abschließende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder
gehörloser Eltern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
A. Leonhardt
Der Weg zum CI für prälingual gehörlose
Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Gehörlose Eltern und CI-Kinder? . . . . . . . . . . . . . . 64
Hintergründe der Forschungsaktivitäten . . . . . . 65
Forschungsfragen und Forschungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Teilnehmer der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Ausgewählte Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Pro und Contra Cochlea-Implantat . . . . . . . . . . . . 66
Das soziale Umfeld – Reaktionen Gehörloser
und der Gehörlosengemeinschaft. . . . . . . . . . . . . 68
9
Die Deutsche Cochlear Implant
Gesellschaft e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
T. Ringhut
20 Jahre CI- Selbsthilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
CI-Selbsthilfe heute – selbstbewusst und
sichtbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Förderung von CI-Trägern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Information und Öffentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . 74
Hand in Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Vernetzung und Kooperation – Aufgaben
für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
XI
Autorenadressen
PD Dr. Antje Aschendorff
Tanja Ringhut
Universität Freiburg
HNO-Klinik, Sektion Cochlear Implant
Killianstr. 5
79106 Freiburg
Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V.
Geschäftsführerin
Rosenstr. 6
89257 Illertissen
Dr. rer. nat. Dietmar Basta
Dipl.-Ing. Thomas Steffens
Unfallkrankenhaus Berlin
Funktionsdiagnostiker der HNO-Klinik
Warener Str. 7
12683 Berlin
Universität Regensburg
HNO-Klinik, Audiologie
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensbrug
Prof. Dr. rer. nat. Rolf-Dieter Battmer
Dr. med. Ingo Todt
Unfallkrankenhaus Berlin
Leiter des Zentrums für klinische
Technologieforschung
Warener Str. 7
12683 Berlin
Unfallkrankenhaus Berlin
Oberarzt der HNO-Klinik
Warener Str. 7
12683 Berlin
Prof. Dr. med. Arneborg Ernst
Unfallkrankenhaus Berlin
Direktor der HNO-Klinik
Warener Str. 7
12683 Berlin
Prof. Dr. Dr. Ernst Lehnhardt
Siegestr. 15
30175 Hannover
Prof. Dr. habil. Annette Leonhardt
Ludwig-Maximilians-Universität München
Abteilung für Präventions-, Integrations- und
Rehabilitationsforschung
Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik
Leopoldstr. 13
80802 München
Prof. Dr. Martin Ptok
Medizinische Hochschule Hannover
Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
1
25 Jahre Cochlear-Implantat
in Deutschland – eine
Erfolgsgeschichte mit Perspektiven:
Indikationserweiterung, Reliabilität
der Systeme
Rolf-Dieter Battmer

Taubheit oder extreme Schwerhörigkeit ist auch in
der heutigen Gesellschaft ein kaum zu überwindendes
Hindernis für den Betroffenen. Die fehlende Möglichkeit, akustische Informationen auszuwerten, hat auf
die zwischenmenschlichen Beziehungen entscheidenden Einfluss und führt in den meisten Fällen sogar zur
Isolation. Noch bis vor wenigen Jahren konnte solchen Menschen nicht geholfen werden; ihre Verständigung war im günstigsten Fall auf das Lippenlesen
beschränkt oder aber führte bei angeborener Taubheit
zur Ausbildung einer eigenen Kommunikationsform,
der Gebärdensprache, die von der normalhörenden
Umwelt nicht verstanden wird.
Diese für den Tauben scheinbar aussichtslose Situation hat sich durch die Entwicklung der elektronischen Innenohrprothese – dem Cochlea-Implantat
(CI) – entscheidend verbessert. Bereits vor mehr als
fünf Jahrzehnten konnten Djourno u. Eyriés (1957) den
Nachweis erbringen, dass mittels direkter elektrischer
Reizung des Hörnervs Hörempfindungen ausgelöst
werden können. Diese Erkenntnis führte in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zur Konzeption und
Konstruktion unterschiedlicher Implantatsysteme, mit
denen inzwischen weltweit mehr als 120.000 Menschen versorgt sind.
Unter den vielen Pionieren des Cochlear-Implantats sind insbesondere zwei zu nennen, ohne dabei
andere Forscher herabwürdigen zu wollen. William
House in Los Angeles ist es wesentlich zu verdanken,
dass das CI von der Forschung in die klinische Routine
eingeführt wurde und so den Tauben unmittelbar zugute kam (House u. Urban 1973). Graeme Clark in Melbourne hat sich mit Akribie und Ausdauer über mehr
als 40 Jahre mit allen Aspekten des CI beschäftigt und
kann zu Recht als Vater des Nucleus-Implantats angesehen werden (Clark et al. 1977; ⊡ Abb. 1.1).
Cochlear Implant in Deutschland ist untrennbar
mit dem Namen Ernst Lehnhardt verbunden (Lehnhardt et al. 1986; ⊡ Abb. 1.2). Ihm gelang es, mit dem
in Australien entwickelten Nucleussystem eine nunmehr bundesweite klinische Versorgung zu initiieren,
die auch im europäischen Ausland ihre Verbreitung
fand. 1984 wurden erstmals vier Patienten mit diesem
System in Hannover versorgt; inzwischen sind daraus
fast 4000 geworden. Mit Bedacht hatte Lehnhardt das
Nucleussystem gewählt; erfüllte es doch erstmalig die
schon von Zöllner und Keidel 1963 postulierten Mindestanforderungen: Lage der Reizelektroden in der
2
Kapitel 1 · 25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven
1
⊡ Abb. 1.1. Prof. Graeme Clark, »Vater« des Nucleusimpantats.
Emeritierter Direktor der HNO-Klinik und Leiter des »Bionic Ear
Institute« der Universität Melbourne, Australien
Scala tympani, mehrkanaliges System, Betonung der
Ortskodierung und transkutane Übertragung von Signal und Energie (⊡ Abb. 1.3).
Die systematische Verbesserung von Operationsverfahren und Implantattechnologie hat erhebliche
Implikation auf die Indikation zur Implantation und damit auf das Patientenklientel: So steigt beispielsweise
der Anteil der Kleinstkinder unter einem Lebensjahr
und die Zahl der Patienten mit erheblicher Resthörigkeit stetig. Die beidseitige (bilaterale) Versorgung
wird ebenso wie die kombinierte Nutzung von Hörgerät und CI auf der gleichen Seite untersucht. Neue
modiolusnahe intracochleäre Elektroden sowie komplexere und schnellere elektrische Stimulationsmuster
(Sprachverarbeitungsstrategien) haben zu deutlichen
Verbesserungen des Sprachverstehens insbesondere
im Geräusch geführt. Objektive Messverfahren sollen
helfen, die individuelle Einstellung von Sprachprozessoren zu vereinfachen. Dieses sind sicher nur einige,
aber unseres Erachtens wesentliche Aspekte, die die
Cochlear-Implant-Versorgung heute charakterisieren.
Die Forschung um das CI ist ein Prozess mit großer Dynamik; entsprechend schnell verändern sich Anschauungen und Erkenntnisse. Eine »Erfolgsgeschichte«
kann daher nur einen Ausschnitt aufzeigen
Indikation zum Cochlear-Implantat
⊡ Abb. 1.2. Prof. Dr. Dr. Ernst Lehnhardt, emeritierter Direktor
der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover
⊡ Abb. 1.3. Das erste kommerzielle Nucleussystem 1981. 1984
wurde dieses CI erstmals in Europa an der HNO-Klinik der MHH
durch Prof. Lehnhardt implantiert
Ein Cochlear-Implantat ist indiziert, wenn bei
funktionsfähigem Hörnerv eine reine cochleäre
hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vorliegt. Während in der Frühzeit der CIVersorgung nur postlingual ertaubte Erwachsene
berücksichtigt wurden, werden seit langem Kinder
– in jüngster Zeit auch Klein- und Kleinstkinder –
implantiert. Dies lässt sich eindrucksvoll anhand
der Implantationszahlen der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover nachweisen.
Der Anteil der implantierten Kinder beträgt seit
1991 relativ konstant 55–60%. In den letzten Jahren hat sich das Implantationsalter deutlich nach
unten bewegt – das jüngste implantierte Kind in
unserer Klinik war erst 4 Monate alt. Es gibt eine
Reihe von Argumenten, die eine Implantation im
frühen Kindesalter unterstützen. Das wichtigste
ist vielleicht, dass je früher der auditorische Input (wieder)hergestellt wird, desto besser lernt das
3
Zuverlässigkeit der Systeme
Kind, diesen zu nutzen. Während früher eine zu
lange Zeit bis zur Entdeckung einer Schwerhörigkeit oder Taubheit im Kindesalter verstrich, hat
sich dies durch das Einführen des NeugeborenenHörscreenings deutlich verbessert. Wenn auch mit
objektiven audiologischen Messmethoden eine
geringe Resthörigkeit nicht völlig auszuschließen
ist, so kann ein Hörgeräteversuch, der bei Kleinkindern obligatorisch sein sollte, bereits im 1. Lebensjahr abgeschlossen sein und bei negativem
Ergebnis frühzeitig zu einer Indikation zum CI
führen. Nicht zuletzt soll an dieser Stelle auch auf
die Implikation einer frühen CI-Versorgung in
Hinblick auf eine Kosten-Nutzen-Analyse hingewiesen werden, die einen deutlichen Vorteil für
die Implantation in den ersten zwei Lebensjahren
aufweist (Schulze-Gattermann 2002).
Bedingt durch die positiven Ergebnisse mit
technisch verbesserten Implantatsystemen wurde
die Indikation in Hinblick auf Resthörigkeit auch
bei den Erwachsenen ausgeweitet. Die Beurteilung
beruht dabei im Wesentlichen auf dem Sprachaudiogramm. Als Grenzwerte gelten heute allgemein
≤ 30% Verständlichkeit im Freiburger Einsilbertest und/oder ≤ 50% im HSM-Satztest (Leitlinie
»Cochlear-Implant Versorgung einschließlich auditorisches Hirnstammimplantat« 2002). Diese
Grenzen ergeben sich aus den Resultaten, die im
Mittel heute von CI-Patienten erreicht werden
(Ruh et al. 1997). Auch Missbildungen und Obliterationen der Schnecke können mit Hilfe von
Spezialimplantaten und einer besonderen Operationstechnik versorgt werden und gelten wie auch
die Mehrfachbehinderung keineswegs mehr als
kontraindiziert. Bei der Zusatzbehinderung gilt es
insbesondere, den individuellen Fall zu betrachten
und aufgrund der Art und Schwere eine Indikationsstellung vorzunehmen.
Zuverlässigkeit der Systeme
Das folgenschwerste technische Problem bei der
CI-Versorgung ist der Implantatausfall. Es wird
verständlicher, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass Cochlea-Implantate technische Systeme
sind. Diese können trotz aller Kontrolle fehlerhaft
sein, Fehler entwickeln oder ganz ausfallen. Darü-
1
ber muss und wird jeder Patient (oder die Eltern
von CI-Kindern) vor der Implantation aufgeklärt.
Neue Implantatsysteme werden zunächst immer mit Erwachsenen getestet, um möglichen
Schaden zu begrenzen und um ein möglichst umfangreiches Feedback zu erhalten. Die entscheidenden Ursachen von Implantatausfällen wurden
allerdings erst bei der Versorgung von Kindern
entdeckt (Beispiele: Nucleus – Antennenbrüche,
Clarion – Gehäusebrüche) und waren zumeist
Folge des unterschiedlichen Verhaltens von Erwachsen und Kindern.
Ein Implantatausfall lässt sich folgendermaßen
definieren: Das Implantat kann die spezifizierte
Funktion nicht mehr ausführen, wobei sich der
Ausfall abstufen lässt in einen totalen Ausfall, der
den kompletten Verlust des klinischen Nutzens zur
Folge hat, und in Abweichungen von den technischen Spezifikationen, die nicht zum Verlust des
klinischen Nutzens führen.
Für die Verifizierung eines Implantatausfalls
sind heranzuziehen:
▬ die Telemetrie des Implantats, mit der Elektrodenimpedanzen und elektrische Schaltkreise
getestet werden, und
▬ der Integritätstest (Battmer et all. 1994), bei
dem durch Ableitung von Oberflächenpotentialen die Gesamtfunktion des Implantats überprüft wird.
Schließlich müssen ggf. medizinische Ursachen
abgegrenzt werden, wobei mittels elektrisch evozierter Potentiale (E-Bera) und Stapediusreflexmessung Aussagen über die Funktion der weiterführenden auditorischen Bahnen getroffen werden
können.
Diese verschiedenen Methoden erfordern neben qualifiziertem Personal auch einen erheblichen
apparativen Aufwand. Insbesondere die Überprüfung der Funktion der nachgeschalteten auditorischen Bahnen kann nicht durch die Hersteller
geleistet, sondern muss von der implantierenden
Klinik durchgeführt werden.
Ein Maß für die Zuverlässigkeit von Implantaten ist die »kumulative Überlebensrate (CSR)«.
Sie gibt an, wie groß prozentual die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Implantat einen Zeitpunkt x
nach der Implantation funktionstüchtig erreicht
4
1
Kapitel 1 · 25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven
(ISO 5841/2-2000) und beruht damit auf der Zahl
defekter Implantate pro Zeiteinheit. CSR verbindet
die beiden beeinflussenden Parameter: Zeit des
Ausfalles nach Implantation und prozentuale Ausfallrate eines bestimmten Modells. Das Maß wurde
bereits länger von der Herzschrittmacherindustrie
verwendet und wurde erstmalig 1991 durch E. v.
Wallenberg für CI eingeführt (von Wallenberg et
al. 1993). Überlebensraten bei modernen Implantaten liegen zwischen 95 und 100%.
Die Berechnung der CSR-Werte beruht auf
der Zahl ausgefallener Implantate und ist damit
von der Definition eines Implantatausfalls abhängig. Um zu erreichen, dass diese seitens der Hersteller einheitlich Verwendung findet und damit
zu vergleichbaren CSR-Raten führt, hat sich eine
internationale Gruppe von Professionals (Global
Consensus Group on Cochlear Implant Reliability)
zusammengefunden, die inzwischen eine solche
Definition erarbeitet hat. Das Ergebnis dieser Arbeit wird demnächst publiziert werden.
Technologische Verbesserungen
Operationstechnik
Seit ihrer Einführung unterliegt die Versorgung
mit Cochlea-Implantaten kontinuierlich technologischen Verbesserungen. Dieses gilt für die Operationstechnik ebenso wie für die Hardwarekomponenten sowie für die Anpass- und Betriebssoftware.
Die technologischen Möglichkeiten der CI-Systeme
haben mit größerer Verbreitung zugenommen, um
den gestiegenen Anforderungen der Patienten und
Wissenschaftler gerecht zu werden.
Mit wenigen Ausnahmen (z. B. Banfai 1979)
wurde bereits in den frühen achtziger Jahren die
intracochleäre Platzierung des Elektrodenbündels
favorisiert (z. B. House 1982; Clark et al. 1979;
Lenarz 1998). Um die Elektrode dorthin zu bekommen, bedarf es einer konventionellen Mastoidektomie mit anschließender posteriorer Tympanotomie. Die Elektrode wird schließlich über eine
Cochleostomie anteroinferior zum runden Fenster
in die Scala tympani eingeführt. Der Implantatkörper wird im Mastoidknochen versenkt, wobei bei
Kindern evtl. der Knochen bis auf die Dura abge-
tragen werden muss. Ein Knochenkanal bis zum
Kortikalisüberhang schützt den Elektrodenträger
gegen mechanische Kräfte. Diese Vorgehensweise
mit kleinen Unterschieden ist heute allgemein anerkannt und hat sich in den letzten 10 Jahren nur
geringfügig verändert.
Wichtige Voraussetzung für eine intracochleäre
Vorgehensweise ist die Beschaffenheit des Elektrodenträgers. Er soll einerseits leicht und schonend
zu inserieren sein, er muss aber auch, z. B. bei einem möglichen Systemausfall, ebenso leicht wieder
entfernt werden können. Zudem wird eine modioliusnahe Lage in der Scala tympani bevorzugt, um
mit geringen Strömen möglichst effektiv elektrisch
zu reizen. Als Beispiel einer solchen Elektrode
sei die Nucleus-Contour-Elektrode genannt – eine
vorgeformte Elektrode, die zur Einführung mittels
eines Drahts, dem sog. Stilett, gerade gehalten wird.
Nach der Einführung wird das Stilett entfernt, die
Elektrode nimmt ihre gekrümmte Form ein und
nähert sich so dem Modiolus.
Modifiziert gerade in letzter Zeit wurde der
Hautschnitt. Während die neunziger Jahre noch
geprägt waren durch einen umfangreichen J- oder
C-förmigen Schnitt, neigt man heute zur Anlage
einer möglichst kleinen Inzision, insbesondere bei
der Versorgung von Kleinstkindern. Diese Methodik, die dem Chirurgen deutlich mehr an operativem Geschick abverlangt, bedeutet für den Patienten eine erheblich schonendere Operation mit
entsprechend geringeren Nachwirkungen und geringeren postoperativen Komplikationsraten. Für
weitere und detailliertere Informationen über die
Operationstechnik sei auf Kap. 5, »Technologischchirurgischer Fortschritt bei der Cochlear-Implantation« von Frau Professor A. Aschendorf in diesem
Buch, verwiesen.
Die Versorgung von Patienten mit Teilobliteration oder Missbildungen der Schnecke ist heute
dank einer speziellen Operationstechnik, bei der
eine zweiteilige Elektrode verwendet wird, erfolgreich möglich. Dabei wird jeweils ein Elektrodenträger in die basale und einer in die zweite Windung
der Schnecke eingebracht (Lenarz et al. 2001).
Eine weitere wichtige Neuerung ist die Möglichkeit der intraoperativen Funktionskontrolle des Implantats. Mittels Telemetrie lassen sich – zumindest
bei drei der vier zurzeit kommerziell erhältlichen
5
Technologische Verbesserungen
1
⊡ Abb. 1.4. Das zurzeit aktuelle Nucleus-»Freedom«-System
Implantate – die Impedanzen der Elektroden messen. Damit ist nicht nur die Funktion des Implantats,
sondern auch die Integrität der Elektrodenkontakte
gewährleistet. Die Funktion der peripheren Hörbahn lässt sich ebenfalls bereits intraoperativ über
das Implantat mittels der Ableitung von Nervenaktionspotentialen (Neural Response Telemetry, NRT,
bzw. Neural Response Imaging, NRI) überprüfen.
Neben der Funktionalitätskontrolle werden mittels
der NRT-Schwellen auch objektive Daten gewonnen, die für die spätere Anpassung des Sprachprozessors verwendet werden können (Brown et al.
2000). Auch die intraoperativ registrierte Stapediusreflexschwelle lässt sich zu diesem Zweck verwenden und wird daher bei allen unseren Operationen
bestimmt (Battmer et al. 1990).
Systemanpassung
Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation
nach einer Cochlea-Implantation ist die individuelle Anpassung des Sprachprozessors. Sie wird auch
heute noch überwiegend subjektiv durchgeführt
und verlangt von Untersucher und Patienten ein
hohes Maß an Kooperation und Konzentration.
Die Anpassung des Sprachprozessors unterscheidet sich bei Erwachsenen und Kindern deutlich im methodischen Verfahren. Bei Erwachsenen liegt die Vorgehensweise mehr auf rationaler
Ebene; es kann auf ihre Hörerfahrung und ihre
Fähigkeit, sprachlich exakte Angaben zu machen,
zurückgegriffen werden. Besonders bei sehr kleinen Kindern ist dieses nicht möglich. Daher ist
hier die Anpassung geprägt durch ein spielerisches Gestalten und durch das Beachten der individuellen altersbedingten Besonderheiten. Es ist
zu bedenken, dass Kooperationsbereitschaft und
Aufmerksamkeit der Kinder starken Fluktuationen
unterliegen und die aktuelle Befindlichkeit einen
erheblichen Einfluss auf den Ablauf der Anpassung
ausübt.
Das Ziel der Erstanpassung bei Erwachsenen
besteht zunächst darin, eine möglichst große Anzahl von Elektroden zu aktivieren – bei guter Kooperation des Patienten sofort alle verfügbaren.
Damit wird das individuelle Hörfeld erfasst und
Höreindrücke können darin adäquat abgebildet
werden. Aus diesen Daten wird – mittels des Computers – ein Sprachprozessorprogramm erstellt, mit
dem der Patient sofort hören kann. Die Anzahl der
angepassten Elektroden bei Kindern ist abhängig
6
1
Kapitel 1 · 25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven
von ihrer Bereitschaft mitzuarbeiten. Bei Erwachsenen ist ein schnelles Vorgehen möglich, da mit den
oben genannten Schwierigkeiten kaum zu rechnen
ist. Das Ziel der Erstanpassung bei Kindern besteht
daher primär in der Akzeptanz des angeschalteten
Sprachprozessors in alle Wachstunden.
Mit steigender Implantationszahl und immer
jüngeren Kindern, aber auch zur Verkürzung des
Prozedere wird intensiv versucht, objektiv, zumeist bereits intraoperativ ermittelte Daten für
die Anpassung zu verwenden. Hier bieten sich
insbesondere die intra- und postoperativ über das
Implantat messbaren Aktionspotentiale an (Brown
et al. 2000). Allerdings ist es bisher nicht gelungen, diese Messergebnisse eindeutig entweder der
elektrischen Hör- oder Unbehaglichkeitsschwelle
zuzuordnen. Vielmehr scheint die Verwendung der
intraoperativ ermittelten Stapediusreflexschwelle
als annäherndes Äquivalent zur Unbehaglichkeitsschwelle, wie bereits von uns vor längerer Zeit beschrieben (Battmer et al. 1990), die beste objektive
Annäherung darzustellen.
Sprachverarbeitung
Obwohl die genaue Art der Sprachkodierung im
Innenohr noch immer nicht komplett bekannt ist,
besteht kein Zweifel an einer Zeit- und einer Ortskodierung. In der Einzelfaser des Hörnervs werden
Lautstärke und auch Frequenz durch die Folgerate
der Spikes kodiert, die Tonhöhe durch die Zuordnung zum jeweiligen Bereich der Basilarmembran.
Dieses scheinbar eindeutige Prinzip wird jedoch
insofern durchbrochen, als Lautstärke auch durch
Zuschaltung benachbarter Nervenfasern verschlüsselt werden kann.
Auf der Basis dieser physiologisch bedingten
Tatsache entstand eine Reihe unterschiedlicher
Sprachverarbeitungsstrategien, die sich im Wesentlichen durch ihre verschiedenen Reizformen (pulsatil oder analog) und dem zeitlichen Auftreten dieser
Reize (gleichzeitig oder nacheinander) unterscheiden. Eine der wichtigsten davon ist die von Wilson
et al. (1993) entwickelte »Continous Interleaved
Sampling«(CIS)-Strategie. Charakteristikum dabei
ist, dass zeitlich nacheinander auf jedem vorhandenem Kanal ein Puls ausgelöst wird. Da die Pulse un-
mittelbar aufeinander folgen, wird die Reizfolgerate
durch die Pulsdauer bestimmt – je kürzer die Pulse,
desto schneller der Ablauf. Die Technik außerhalb des Labors ließ lange Zeit nicht zu, dass sehr
schnelle Reizfolgeraten an einem größeren Patientenkollektiv untersucht werden konnten. Das hat
sich mit Einführung des neuen Clarion-HiRes90KImplantats geändert; zumindest theoretisch können
damit Folgeraten von bis zu 90.000 Pulsen/s (pps)
als Summenrate erreicht werden.
Als Ergebnis zeigte sich, dass eine Gruppe von
Patienten einen deutlichen Zugewinn an Verständnis mit diesen höheren Raten erreichte; ein statisch
signifikanter Unterschied zwischen den Programmen mit unterschiedlich hohen Reizraten fand
sich nicht.
In jüngster Zeit wurde von Nogueira et al.
(2007) ein Sprachalgorithmus auf der Basis des psychoakustischen Maskingeffekts konzipiert. Diese
Strategie basiert auf einer auch bei MP3-Spielern
verwendeten Datenreduktion, die nur solche Frequenzen berücksichtigt, die auch im Normalfall
vom auditorischen System weitergeleitet werden.
Die Reduktion erfolgt etwa in einem Verhältnis
1:10. Das bedeutet einerseits eine Verminderung
des Strombedarfs, andererseits wird erwartet, dass
das Sprachgehör insbesondere im Geräusch eine
Verbesserung erfährt. Inzwischen wird eine europäische multizentrische Studie durchgeführt, um den
Nutzen der »MP3000«-Strategie nachzuweisen.
Bilaterale Versorgung und
elektroakustisches Hören
Eine weitere Möglichkeit, das Sprachverstehen deutlich zu verbessern, ist die Versorgung von CI-Patienten mit zwei Implantaten. Das erscheint insbesondere im frühen Kindesalter von Bedeutung, um das
Ausbilden eines binauralen auditorischen Systems
zu ermöglichen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass nur innerhalb eines gewissen Zeitfensters
eine solche Bahnung möglich ist. Daher sollten alle
Kleinkinder heute bilateral versorgt werden.
Der Nutzen zweier Implantate ist bereits seit langem bei postlingual ertaubten Erwachsenen nachgewiesen worden. Dabei konnten beim Sprachverstehen im Geräusch und insbesondere beim Richtungs-
7
Technologische Verbesserungen
1
Cochlear
Implant
(hohe Frequenzen)
Sprachprozessor
Im-OhrHörgerät
(tiefe Frequenzen,
Restgehör)
⊡ Abb. 1.6. Beispiel einer Elektrode für die elektroakustische
Stimulation. Die in Hannover zusammen mit der Fa. Cochlear entwickelte Hybrid-L-Elektrode im Vergleich zur ContourAdvance Standardelektrode
hören deutliche Verbesserungen registriert werden
(Müller et al. 2002; van Hoesel et al. 1999). Für ausführliche Information zur bilateralen Implantation
sei auf das Kap. 7, »Bilaterale CI-Versorgung heute«
von T. Steffens in diesem Buch, verwiesen.
Ein weiterer interessanter Ansatz für die Verbesserung des Hörvermögens einer bestimmten
Gruppe von Patienten ist die sog. »Elektroakustische Stimulation (EAS)«, bei der Patienten mit gut
erhaltenem Restgehör im Tieftonbereich zu ihrem
Implantat auf dem gleichen Ohr zusätzlich ein
Hörgerät nutzen (⊡ Abb. 1.5). Diese von v. Ilberg
et al. (1999) initiierte Methode der »bimodalen
Versorgung« erfordert den Erhalt des Restgehörs
bei der CI-Operation.
Vorteile einer solchen Versorgung werden darin gesehen, dass das CI nicht in der Lage ist, Frequenzen unterhalb 250–300 Hz zu übertragen. In
den Frequenzen unterhalb dieser Grenze sind aber
⊡ Abb. 1.5. Prinzip der elektroakustischen Stimulation (EAS). Der
taube Hochtonbereich wird durch
das Cochlea-Implantat elektrisch
stimuliert, während das Restgehör
im Tieftonbereich durch ein Hörgerät verstärkt wird
durchaus Informationen, die zum Sprachverstehen
und zum Musikhören beitragen. Zudem könnte
der Erhalt von Haarzellen sich insgesamt für das
periphere auditorische System positiv auswirken,
da dort neurotrophine Faktoren produziert werden, die neuronale Prozesse im peripheren auditorischen System unterstützen.
Mehrere Studien wurden zu diesem Thema bisher durchgeführt: Zu nennen sind dabei die Studie
von Gantz et al. (2005) in den USA, der zunächst
mit einer 6 mm, dann mit einer 10 mm langen
Elektrode und 6 Elektrodenkontakten sehr gute
Resultate bei der Hörerhaltung erzielte (im Mittel
nur ~10 dB Verschlechterung prä- zu postoperativ); weiterhin die Frankfurter Studie von Gestöttner et al. (2004) mit verschieden langen Med-ElElektroden, bei der bei ca. 70% der Patienten eine
Hörerhaltung mit im Mittel 20 dB zusätzlichem
Hörverlust zu registrieren waren, und schließlich
die multizentrische europäische Studie von James
et al. (2005), bei der eine herkömmliche NucleusContourelektrode verwendet wurde. Hier war die
Erhaltung des Resthörvermögens bei weniger als
70% der Patienten möglich; der mittlere zusätzliche
Hörverlust betrug 30 dB.
In jüngster Zeit wurde in Kooperation mit
Cochlear Ltd. eine weitere Studie mit einer speziell
konzipierten Elektrode (Hybrid-L) in Hannover
initiiert (Lenarz et al. 2006). Diese ist 16 mm lang,
verfügt über 22 Elektrodenkontakte und ist so
dünn, dass sie über das runde Fenster inseriert
werden kann (⊡ Abb. 1.6). Die Ergebnisse der ersten 30 Patienten sind sehr ermutigend; bei mehr
8
1
Kapitel 1 · 25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven
als 90% konnte das Resthörvermögen mit nur im
Mittel 10 dB Verschlechterung der Tonschwelle
postoperativ erhalten werden. Die Sprachtestergebnisse zeigen eine statistisch signifikante Verbesserung, wenn Hörgerät und CI zusammen verwendet
werden, gegenüber nur einem Hörsystem allein.
Inzwischen befindet sich die Elektrode in einer
europäischen multizentrischen Studie; es bleibt abzuwarten, ob die Hannoverschen Ergebnisse reproduziert werden können.
Fazit
Die Zukunft des Cochlear-Implants liegt zweifellos
in der Nutzung neuer technologischer Entwicklungen. Das bezieht sich wesentlich auf die Elektronik
mit der Verwendung kleinerer, höher integrierter
und stromsparender Schaltkreise. Damit lassen
sich beispielsweise noch schnellere und komplexere Sprachverarbeitungsstrategien realisieren. Ein
geringerer Strombedarf würde auch bedeuten, dass
ggf. kleinere Batterien oder Akkus verwendet werden könnten, so wie es heute bereits seit langem in
der Hörgerätetechnik üblich ist. Eine weitere Miniaturisierung sowohl der Implantate als auch der
Sprachprozessoren bis hin zu einem total implantierbaren System könnte dadurch erreicht werden.
Die steigende Anzahl an implantierten Patienten ermöglicht es auch, dass weltweit an verschiedenen Orten mit Hilfe von psychophysikalischen
Untersuchungen und Sprachtestverfahren neue
Wege zur Verbesserung des Sprachverstehens beschritten werden können. Eine Tendenz geht hier
zur Verwendung immer höherer Reizraten, um
eine mehr stochastisch verteilte Erregung auf den
Nervenfasern – so wie sie auch beim Normalhörenden zu messen ist – zu erreichen.
Bilaterale Versorgung wie auch das elektroakustische Hören gewinnen an Bedeutung – es bleibt abzuwarten, ob, wie in der Hörgeräteversorgung, die
bilaterale Implantation zum Regelfall wird. Nicht
zuletzt soll darauf hingewiesen werden, dass mit den
heutigen technischen Möglichkeiten der Implantate
auch die individuelle Anpassung an den Patienten
verbessert werden kann. Die intraoperative Ermittlung des Aktionspotentials mit Hilfe von intracochleären Elektroden (NRT, NRI) ist sicher ein Weg,
um die elektrischen Hörschwellen zu bestimmen,
aber auch, um die Wahl der Elektrodenkontakte
für das Sprachprozessorprogramm objektiv zu unterstützen. Ein Ansatz zur objektiven Ermittlung
der Unbehaglichkeitsschwellen liegt ferner in der
konsequenteren Nutzung intraoperativ ermittelter
Stapediusreflexe. Entsprechende Algorithmen zur
Berechnung der C-Level ließen sich in Sprachprozessoren oder Anpasssystemen integrieren.
Verbesserungswürdig ist auch die Zuverlässigkeit der Implantate und im Besonderen auch die
offene Kommunikation von Ausfällen. Hier müssen wir Anwender die Hersteller unter Vorgabe der
Randbedingungen zu einem offeneren Dialog hin
bewegen – zum Wohle unserer Patienten und im
Interesse einer korrekten Aufklärung.
Diese wenigen und zum Teil auch nur spekulativen Bemerkungen zur Zukunft sollen vermitteln, dass Cochlear-Implantate noch lange nicht
vollkommen sind. Vielmehr ist zu erwarten – und
zum Wohl der unzähligen Tauben weltweit auch zu
hoffen –, dass sie auch weiterhin das Feld für möglichst vielfältige Forschungsaktivitäten darstellen.
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2
Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher
Schwerhörigkeiten
M. Ptok

Dem Gehör kommt eine Schlüsselrolle beim Erlernen
der Sprache zu. Ohne Sprache und Gehör kann die
Beziehung zwischen den Menschen auf Dauer stark
beeinträchtigt sein. So wurden früher Kinder, die nicht
auf akustische Reize reagierten und Sprache weder
verstehen noch spontan erwerben konnten, als »taub«
bzw. »taubstumm« bezeichnet. Das Wort »taub« ist wie
das Wort »dumm« aus dem altdeutschen Wort »tumb«
hervorgegangen (Stichnoth 1985). Dies deutet an, welchen Vorurteilen betroffene Kindern ausgesetzt waren.
Erst mit zunehmenden Kenntnissen der Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Hörorgans gelang
es, für die verschiedenen Formen der Schwerhörigkeit
diagnostische, therapeutische und (re)habilitative Verfahren zu entwickeln oder entscheidend zu verbessern.
Dadurch kann heute vielen Kinder, die früher als »taub«
(und/oder »dumm«) eingestuft worden wären, so geholfen werden, dass die Schwerhörigkeit bzw. deren Auswirkungen abgemildert oder beseitigt werden können.
Orientiert man sich an der Internationalen Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und
Beeinträchtigungen (ICIDH), dann kennzeichnet der
Begriff »Hörstörung« allerdings eine Störung des hochkomplexen Vorgangs »Hören« und stellt somit eine
Beschreibung einer Fähigkeitsstörung, nicht aber die
Beschreibung einer Schädigung dar. Somit handelt es
sich streng genommen nicht um eine »Diagnose«.
Formen der Hörstörungen
Die verschiedenen Formen der Hörstörungen im
Kindesalter lassen sich nach Qualität und Topik,
Ursachen und Schweregrad einteilen.
Im klinischen Alltag üblich ist die Unterteilung nach Schallleitungsstörungen, Schallempfindungsstörungen und zentralen Hörstörungen bzw.
Kombinationen, üblicherweise mit einem Hinweis
auf eine (vermutete) Ursache und einem Hinweis
auf den Schweregrad (z. B. hochgradige, nichtsyndromale, autosomal-rezessive Schallempfindungsschwerhörigkeit).
Hören als komplexer Prozess
Der Gesamtprozess des Hörens kann, auch in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht, grob
in folgende Teilfunktionen unterteilt werden (Ptok
1997):
12
2
Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
Im äußeren Ohr (Ohrmuschel und Gehörgang)
wird das Schallsignal auf das Trommelfell geleitet. Hierbei kommt es zu einer Modifizierung des
Frequenz-Intensitäts-Verhältnisses des ursprünglichen Schallsignals. Die Verstärkung beträgt bei
Säuglingen und Kleinkindern bis zu 20 dB bei
3–4 kHz, also in dem Frequenzbereich, der für das
Verstehen von Sprache besonders wichtig ist.
Am Trommelfell als Grenze zwischen äußerem Ohr und Mittelohr wird das Schallsignal von
einem Luftschall in einen Körperschall umgewandelt. Eine weitere Aufgabe des Trommelfells
ist die Schallprotektion, d. h., durch ein intaktes
Trommelfell wird vermieden, dass Schallsignale
gleichzeitig am runden und ovalen Fenster des
Innenohres auftreffen.
Im Mittelohr mit den Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel wird der Körperschall zum Innenohr transportiert. Die spezielle
Anordnung des Trommelfells und der Gehörknöchelchen bewirkt neben einer Vorverstärkung eine
Impedanzanpassung vom akustischen Widerstand
der Luft zum akustischen Widerstand der Innenohrflüssigkeiten: Würde das Schallsignal unmittelbar auf die flüssigkeitsgefüllten Räume der Hörschnecke treffen, würde der größte Teil der Schallenergie reflektiert werden und könnte nicht für den
eigentlichen Hörvorgang ausgenutzt werden.
⊡ Abb. 2.1. Graphische Darstellung eines tonschwellenaudiometrischen Ergebnisses bei
normalem Hörvermögen. Auf
der x-Achse sind die Prüffrequenzen eingetragen, auf der
y-Achse die Intensität, die nötig
war, damit das Kind den Prüfton hörte. Die gestrichelte Linie
zeigt die sog. Knochenleitung,
diese spiegelt die Funktion des
Innenohres näherungsweise
wieder. Die durchgezogene Linie zeigt die sog. Luftleitung
Im Innenohr wird zunächst die mechanische
Energie des Schallsignals nochmals aktiv verstärkt
(elektromechanische Transduktion) und anschließend in bioelektrische Energie (Nervenimpulse –
mechanoelektrische Transduktion) umgewandelt
(Zenner 1994). Diese beiden Prozesse können nur
funktionieren, wenn bestimmte Ionenkonzentationsgradienten bestehen und die schwingenden
Teile im Innenohr exakt aufeinander abgestimmt
sind (Gummer et al. 1996; Preyer 1996).
Die Impulse werden im Hörnerv zum Nucleus
cochlearis im Hirnstamm weitergeleitet.
Im Hirnstamm werden akustisch evozierte Nervenimpulse verarbeitet (Kodierung von Frequenz,
Intensität, Phase und Stimulationszeit, Signalmerkmalsextraktion). Dies ermöglicht die Funktionen
Lokalisation, Summation, Fusion, Separation, Diskrimination, Identifikation, Differenzierung und
Integration von Signalen.
Dem auditorischen Kortex (primäre, sekundäre
und tertiäre Felder) werden die Funktionen Laut- und
Geräuschempfindung, Klang- und Wortverständnis,
akustische Aufmerksamkeit und Speicherung von
Wort-, Musik- und Sprachinhalten zugeschrieben.
Bei einer Hörstörung können alle Teilfunktionen einzeln oder in Kombination betroffen sein.
Grob orientierend spricht man von einer Schallleitungsschwerhörigkeit (⊡ Abb. 2.1, 2.2), wenn der
13
Schallleitungsschwerhörigkeit
Schalltransport bis zum ovalen Fenster gestört ist.
Ist die Umwandlung der mechanischen Energie des
Schalls in ein bioelektrisches Signal gestört, spricht
man von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit
(⊡ Abb. 2.3). Unter einer auditiven Verarbeitungsund Wahrnehmungsstörung (zentrale Hörstörung)
versteht man die Störung der Verarbeitung (Hirnstammniveau) und Wahrnehmung (höhere auditorische Funktionen unter Einbeziehung kognitiver
Funktionen) dieser nervalen Impulse.
2
Schallleitungsschwerhörigkeit
Schallleitungsschwerhörigkeiten sind im Kindesalter außerordentlich häufig: bei jeder Tubenventilationsstörung (z. B. im Rahmen banaler Erkältungskrankheiten oder aber bei vergrößerten bzw.
chronisch entzündeten Rachenmandeln und bei
Gaumenspalten) bzw. bei jedem Paukenerguss ist
eine solche Schwerhörigkeit zu vermuten. Nach
Angaben aus den 1970er und 1980er Jahren litten
⊡ Abb. 2.2. Graphische Darstellung eines tonschwellenaudiometrischen Ergebnisses bei
typischer Schallleitungsschwerhörigkeit. Zwischen Knochenleitung und Luftleitung besteht
in den niedrigen Frequenzen
eine Dissoziation (sog. Mittelohrkomponente)
⊡ Abb. 2.3. Graphische Darstellung eines tonschwellenaudiometrischen Ergebnisses
bei typischer leichter Innenohrschwerhörigkeit (sog. C5-Senke). Kochen- und Luftleitung
verlaufen parallel
14
2
Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
ca. 200.000 Kinder der damaligen Bundesrepublik an chronisch-rezidivierenden Mittelohrerkrankungen.
Daneben können Störungen der Schallleitung
auch durch Traumen einschließlich Fremdkörper,
Infektionen, Fehlbildungen oder (selten) durch
gut- oder bösartige Tumore entstehen.
Traumen können entweder primär zu einer
Schädigung von Trommelfell und/oder Gehörknöchelchenkette oder sekundär (durch Auslösen einer Infektion) zu einer Hörstörung führen.
Häufig sind z. B. Trommelfelldefekte und/oder
Unterbrechungen der Gehörknöchelkette nach
Ohrfeigen.
Gerade im Kindesalter sind nicht selten
Fremdkörper (Erbsen, kleine Legosteine, Schrauben etc.) im Gehörgang zu finden. Werden sie
nicht umgehend entfernt, besteht die Gefahr einer sekundären Infektion mit Verschwellung des
Gehörgangs.
Fehlbildungen der Ohrmuschel stellen in erster
Linie ein ästhetisches Problem dar. Fehlbildungen
des Gehörgangs können als extrem enger Gehörgang, als Gehörgangsatresie oder als Verdoppelung
des Gehörgangs beobachtet werden.
Folgende Fehlbildungen des Mittelohres sind
bekannt:
▬ Fehlbildungen der Gehörknöchelkette (Malleus, Inkus, Stapes),
▬ Fehlbildungen der Binnenohrmuskeln,
▬ Gefäßanomalien,
▬ Fehlbildungen aufgrund von Keimversprengungen,
▬ kongenitales Epidermoid (kongenitales Cholesteatom),
▬ kongenitales Dermoid,
▬ Liquor-Mittelohrfisteln,
▬ indirekte (tranlabyrinthäre) Liquorfisteln,
▬ direkte (paralabyrinthäre) Fisteln.
▬ kombinierte Fehlbildungen.
Tumore der Ohrmuschel und des Gehörgangs sind
im Kindesalter selten.
Die klassische Therapie der Schallleitungsschwerhörigkeit ist die (operative) Beseitigung
des Schalltransporthindernisses, medikamentöse
Maßnahmen können vorgeschaltet sein (Beispiel:
Paukenerguss).
Schallempfindungsschwerhörigkeit
Ein bis zwei pro Tausend Neugeborene leiden an
einer sofort interventionspflichtigen (z. B. hörgerätepflichtigen) Innenohrschwerhörigkeit, d. h.
einer Schallempfindungsschwerhörigkeit. Neugeborene mit entsprechenden Risikofaktoren (insbesondere diejenigen, die nach der Geburt einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen,
⊡ Tabelle 2.1) haben ein zehnfach höheres Risiko,
an einer interventionspflichtigen Schallempfindungsschwerhörigkeit zu leiden.
Während die Ursache von Schallleitungsstörungen in der Regel einfach festzustellen ist, lässt
sich auch durch eine genaue Diagnostik nur bei
etwa der Hälfte aller kindlichen Innenohrschwerhörigkeiten die Ursache ermitteln.
Jegliche Störung funktionstragender Elemente
in der Cochlea (insbesondere Basilarmembran,
innere oder äußere Haarzellen einschließlich Stereozilien, Stria vaskularis, Axone) kann zu einer
Hörstörung führen. Da eine Endoskopie oder eine
Gewebeentnahme nicht möglich ist (die sofortige
Ertaubung wäre die sehr wahrscheinliche Folge!),
wird die Bestimmung des genauen Pathomechanismus im Einzelfall nur durch eine postmortale histologische Untersuchung des Felsenbeins
möglich sein. Die Konstellation verschiedener
Ergebnisse audiologischer Untersuchungen lassen allerdings Hinweise auf den Pathomechanismus zu.
Funktionsstörungen des Innenohres können
metabolisch, traumatisch (z. B. bei Schädelhirntraumen, Lärmtraumen) oder genetisch verursacht
sein. Sie können als reine Funktionsstörungen oder
als Funktionsstörung bei radiologisch nachweisbarer Fehlbildung der Hörschnecke (z. B. bei der
Mondini-Dysplasie) auftreten. Tumore des Innenohres sind nicht bekannt.
Typische Ursachen sind Fehlbildungen (kongenitale Folgezustände exogener Fetopathien und
echte Fehlbildungen durch Entwicklungshemmung), syndromale Erkrankungen (z. B. Pendred-,
Usher-, Alport-Syndrom), prä- und perinatale Asphyxie, Schwangerschaftsinfektionen, Einnahme
von teratogenen Medikamenten während der
Schwangerschaft, Geburtstraumen, Infektionen des
Labyrinths und Traumen. Etwa 50% aller hochgra-
15
Syndromale und nichtsyndromale Hörstörungen
2
⊡ Tabelle 2.1. Risikofaktoren für Schwerhörigkeit
Risikofaktoren, die bei Neugeborenen
einen Hörtest erforderlich machen:
 Postnatal erforderliche intensivmedizinische Behandlung (Risiko einer
beidseitigen Schwerhörigkeit 1–3%!)
 Kraniofaziale Anomalien
 Bekannte familiäre Schwerhörigkeit
 Intrauterine Infektion
 Perinatale Zytomegalieinfektion
Erstrebenswert ist ein Hörscreening bei allen Neugeborenen!
Risikofaktoren, die bei allen
betroffenen Kindern einen Hörtest
erforderlich machen:











Von Eltern geäußerter Verdacht auf eine Schwerhörigkeit
Ausbleiben altersentsprechender sprachlicher Fortschritte
Bakterielle Meningitis
Schädelhirntrauma mit Hör- oder Gleichgewichtsproblemen
Virale Labyrinthitis und Enzephalitis
Lärmtrauma
Einnahme ototoxischer Medikamente
Bekannte familiäre Schwerhörigkeit
Chronische Lungenkrankheiten
Diuretische Therapie
Wiederholte Mittelohrentzündungen und persistierender Paukenerguss
digen Innenohrschwerhörigkeiten im Kindesalter
gelten als vererbt (Frazer 1976).
Genetische Hörstörungen
Fortschritte bei der Identifizierung von Genen,
die für die Innenohrfunktion wichtig sind, haben
bereits jetzt zu einem besseren Verständnis der
Ätiologie von Schwerhörigkeiten geführt.
Rezessiv vererbte Schwerhörigkeiten sind in
der Regel hochgradig, treten häufig nur sporadisch
auf und sind deshalb schwer zu diagnostizieren.
Dominante sowie gonosomal kodierte Mutationen
lassen sich häufiger nachweisen. Insbesondere bei
x-chromosomal vererbten Hörstörungen weisen
männliche Betroffene einen ausgeprägteren Phänotyp auf, da männliche Familienmitglieder nur
ein x-Chromosom aufweisen. Klinisch sind die
weiblichen Genmutationsträger meist anhand einer leicht- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit zu
erkennen. Bei autosomal dominanter und mitochondrial ererbter Schwerhörigkeit ist der klinische
Verlauf innerhalb der Familie dagegen sehr ähnlich.
Mutationen im mitochondrialen Genom können
Ursache für nichtsyndromale Gehörlosigkeit sein,
allerdings reichen solche Mutationen allein für die
Ausbildung einer Hörstörung in der Regel nicht
aus. Es müssen wohl zusätzliche genetische oder
Umweltfaktoren (bisher aber nicht identifiziert)
hinzukommen. Inwieweit eine solche Kombination
z. B. auch für eine besondere Vulnerabilität des Innenohres gilt, die dann in Kombination mit einer
starken Lärmbelastung bei Jugendlichen (Diskobesuchen o. Ä.) zu einer Schwerhörigkeit führt, ist
noch nicht bekannt.
Syndromale und nichtsyndromale
Hörstörungen
Bei 70–75% aller Patienten mit genetisch bedingten Hörstörungen finden sich keine weiteren Fehlbildungen oder Krankheiten (nichtsyndromale
Hörstörungen), bei 25–30% der Patienten werden
weitere Fehlbildungen gefunden (syndromale Hörstörungen).
Es gibt beim Menschen über 300 Syndrome, bei
denen Hörstörungen unterschiedlichen Ausmaßes
bis zur Taubheit als Symptom vorkommen. Etwa
85% der nichtsyndromalen Hörstörungen werden
autosomal rezessiv vererbt, 13–15% werden autosomal dominant und 1–3% x-chromosomal rezessiv vererbt.
1995 war ein einziges Gen beim Menschen detailliert bekannt, das für eine nichtsyndromale Hör-
16
2
Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
störung verantwortlich gemacht werden konnte. Es
handelt sich um das Gen für den Transkriptionsfaktor P0U3F4 auf dem x-Chromosom. Mutationen
in diesem Gen verursachten eine Schallleitungsschwerhörigkeit aufgrund einer Stapesfixation und
eine progressive Schallempfindungsschwerhörigkeit, die in Taubheit einmündet und durch den
Untergang der Haarzellen im Corti-Organ bedingt
ist. In den Jahren 1997 und 1998 sind sechs weitere
Gene beschrieben worden, bei denen Mutationen
zu Schwerhörigkeit und Taubheit führen.
Das derzeit wichtigste Gen für die Differentialdiagnostik bei nichtsyndromalen Hörstörungen
bzw. Gehörlosigkeit ist das Gen für Connexin 26
(Cx26). Connexine sind Gap-junction-Proteine,
die an der interzellulären Kommunikation beteiligt sind. Es sind 13 verschiedene Connexin-Gene
bekannt, die unterschiedliche Funktionen haben.
Die kodierende Region für das Connexin 26 sind
790 Basenpaare auf dem Chromosom 13q11-q12.
Da diese Region klein ist, kann die kodierende Region bequem sequenziert werden. Man hat bei den
betroffenen Patienten unterschiedliche Mutationen
im Connexin-26-Gen gefunden – die häufigste
Mutation ist die Mutation 35deIG. Sie macht etwa
2/3 aller gefundenen Mutationen aus.
Bei Kindern unter 5 Jahren mit nichtsyndromaler Gehörlosigkeit bzw. Schwerhörigkeit, bei denen ein weiteres Geschwister betroffen ist und man
daher autosomal rezessive Vererbung annehmen
kann, findet man in etwa 50% der Fälle Mutationen
im Connexin-26-Gen.
Bei hörgestörten Kindern ohne betroffene Geschwister (sporadische Fälle) findet man in etwa
35% der Fälle Mutationen im Connexin-26-Gen.
Die Eltern der Kinder sind heterozygote Anlageträger.
Mindestens 2,8% aller Menschen sind heterozygot, d. h., sie sind Anlageträger. Das bedeutet,
dass jeder 36. Mensch heterozygot für eine Mutation im Connexin-26-Gen ist. Ist auch sein Partner
heterozygot, so hat das Paar ein Risiko von 25%
für ein Kind mit einer schweren Hörstörung bis
zur Taubheit.
Die klassische Therapie bzw. Habilitation besteht in der Versorgung mit Hörgeräten und ggf.
UKW-Funkanlagen sowie einem Hörtraining und
ggf. sonderpädagogischer Betreuung/Beschulung.
Auditive Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen
Angaben zur Prävalenz auditiver Verarbeitungsund Wahrnehmungsstörungen im o. g. Sinne liegen
nicht vor. Angaben zu »central auditory processing
disorders« (der in etwa korrespondierende Begriff
in der angloamerikanischen Literatur) berichten
eine Prävalenz von 10–20% bei älteren Erwachsenen und 2–3% bei Kindern. Das Geschlechtsverhältnis von Betroffenen wird auf 2:1 (männlich zu
weiblich) geschätzt.
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen beruhen auf einer Dysfunktion der
Afferenzen und Efferenzen der zur Hörbahn gehörenden Anteile des zentralen Nervensystems.
Es ist bisher nicht bekannt, ob diese Störung isoliert nur die Hörbahn betrifft oder ob vielmehr
ein generelles Defizit (z. B. Defizit der schnellen neuralen Kodierung) vorliegt. Aufgrund klinischer Beobachtungen kann allerdings vermutet
werden, dass einzelne Abschnitte der Hörbahn in
unterschiedlichem Maße von einer Dysfunktion
betroffen sein können. Die Kenntnis einer bevorzugten Dysfunktion auf bestimmten Abschnitten
der Hörbahn sollte zu einer Unterklassifizierung
einer im individuellen Fall vorliegenden auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung
führen (siehe Symptome). Eine besondere Form
dieser Schwerhörigkeit ist die auditorische Neuropathie (Ptok 2000): Hierbei sind zwar die (für
das Neugeborenen-Screening derzeit favorisierten
otoakustischen) Emissionen nachweisbar, die auditorisch evozierten Hirnstammpotentiale fehlen
aber oder sind deformiert. Diese Kinder können
ein weitgehend normales Tonschwellengehör haben, haben andererseits aber Schwierigkeiten beim
Sprachverständnis. Deshalb muss bei Kindern mit
einer Sprachentwicklungsverzögerung trotz audiometrisch nachgewiesenen normalen Tongehörs an
eine solche Störung gedacht werden.
Die genauen Ursachen einer auditiven Verarbeitungsstörung (zentrale Hörstörung, Fehlhörigkeit) lassen sich nicht nachweisen; vermutet
werden genetische Einflüsse, peri- und postnataler Sauerstoffmangel, Nikotin-, Alkohol-, Drogenund Medikamentenabusus während der Schwangerschaft, Frühgeburt oder Übertragung, schwere
2
17
Schweregrad
Ernährungsstörungen mit Toxikose und rezidivierende Mittelohrentzündungen und -ergüsse.
Klassische Therapieverfahren sind übend.
Hierbei werden einerseits Hörleistungen geübt,
andererseits metalinguistische und metakognitive
Fähigkeiten vermittelt. In besonderen Fällen kann
auch eine Hörgeräteversorgung oder eine Versorgung mit einer individuellen FM-Anlage erfolgen.
Mittlerweile gibt es auch für diese Kinder Angebote zur sonderpädagogischen Betreuung.
Schweregrad
Für die Einleitung eines adäquaten therapeutischen Prozederes ist nicht nur die Identifizierung
der Form der Schwerhörigkeit (Schallleitungs-,
Schallempfindungsschwerhörigkeit, auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung) mit der
Angabe der (ggf. vermuteten) Ursache eminent
wichtig, sondern auch eine Beschreibung des
Schweregrades.
Typischerweise bezieht sich die Einteilung nach
dem Schweregrad in der Regel auf den mittleren
Hörverlust im Hauptsprachbereich (⊡ Tabelle 2.2).
Diese Einteilung ist allerdings nicht ganz unproblematisch, da damit lediglich der Hörschaden
hinsichtlich des Tonschwellengehörs beschrieben
wird. Hauptaufgabe des Gehörs ist es aber, in
überschwelligen akustischen Signalen schnelle
Frequenz- und Intensitätsänderung zu detektieren
und damit gesprochene Sprache zu verstehen. Die
⊡ Tabelle 2.2. Die gutachterliche Bewertung kindlicher Schwerhörigkeiten
GdE (MdE)
1
2
3
Taubheit beiderseits (Hörreste für Lauterkennung nicht verwertbar, mittlerer Hörverlust für Töne
nach Röser durch Schallempfindungsstörung über 90 dB)
a) seit Geburt oder nach Frühertaubung (vor dem 9. Lebensjahr)
100%
b) nach Ertaubung vor voll gefestigtem Sprachbesitz und vor Abschluss der Schulbildung (9.–18.
Lebensjahr)
90%
c) bei sprachlichen Spätfolgen einer Spätertaubung (nach dem 18. Lebensjahr) mit schlechter
Sprachverständlichkeit
80%
Hörrestigkeit auf dem besseren Ohr (entspricht etwa der Möglichkeit zur Erkennung von Vokalen,
mittlerer Hörverlust für Töne durch Schallempfindungsstörung 90–80 dB)
a) bei Eintritt der Hörrestigkeit vor dem 9. Lebensjahr
90%
b) bei Eintritt der Hörrestigkeit im 9.–18. Lebensjahr
80%
c) bei sprachlichen Spätfolgen einer nach dem 18. Lebensjahr eingetretenen Hörrestigkeit mit
schlechter Sprachverständlichkeit
80%
An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (Satzverständnis ohne Absehen der
Sprache möglich zwischen laut am Ohr und 0,25 m, mittlerer Hörverlust für Töne durch Schallempfindungsschwerhörigkeit 80–60 dB, bei Schalleitungskomponente ggf. auch über 80 dB)
a) bei Eintritt des Schwerhörigkeitsgrades vor dem 9. Lebensjahr mit eingeschränktem Wortschatz
80%
b) bei normalem Wortschatz bzw. Eintritt des Schwerhörigkeitsgrades nach dem18. Lebensjahr und
schlechter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung
70%
4.
Hochgradige Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (sicheres Satzverständnis bei Umgangssprache
zwischen 0,25 m und 1 m, mittlerer Hörverlust für Töne ohne Berücksichtigung der Art der Schwerhörigkeit 60-50 dB), bei eingeschränkter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung je nach Schwerhörigkeitsgrad auf dem schlechteren Ohr
55–60%
5.
Mittelgradige Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (Satzverständnis bei Umgangssprache zwischen
1 und 4 m, mittlerer Hörverlust für Töne 50-40 dB), bei eingeschränkter Sprachverständlichkeit durch
gehörbedingte Artikulationsstörung je nach Grad der Schwerhörigkeit auf dem schlechteren Ohr
40–50%
18
2
Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
bei Erwachsenen gebräuchliche Einteilung nach
dem Grad der Sprachverständnisstörung (sprachaudiometrische Bestimmung des Gesamtwortverstehens und Hörverlust für Zahlen), insbesondere
für die Ermittlung des Grades der Behinderung, ist
bei Kindern häufig nicht möglich.
Eine solche Einteilung ist weiterhin problematisch, da sie das Hörvermögen »statisch« beschreibt. Kinder, die intermittierend schwerhörig
sind (z. B. durch rezidivierende Paukenergüsse),
leiden durchaus an einer relevanten Hörstörung.
Hier ist ggf. die Erstellung einer Jahreshörbilanz,
d. h. einer Beschreibung, wie häufig (i. S. kumulierter Zeiträume) Kinder an einer Schwerhörigkeit leiden, sinnvoll und sollte dann für das
weitere Prozedere wegweisend sein (Schönweiler
1992).
Selbst eine genaue Einteilung nach den Ergebnissen routinemäßig angewendeter sprachaudiometrischer Untersuchungen wird zentralen
Schwerhörigkeiten und Fehlhörigkeiten nicht gerecht. Hier kommt insbesondere dem Pädiater als
dem Arzt, der die Kinder kontinuierlich betreut,
die wichtige Aufgabe zu, im Anamnesegespräch
Hinweise auf eine relevante Einschränkung des
Sozialgehörs (d. h. der »Hörfähigkeit in der alltäglichen Kommunikationssituation«) zu finden.
Diagnostik
Hörstörungen können auf allen genannten Stationen (Ohrmuschel, Gehörgang, Trommelfell, Mittelohr, Innenohr, Hörnerv, Hirnstamm, auditorischer Kortex) entstehen. Eine exakte differentialdiagnostische und topodiagnostische Abklärung ist
die Vorbedingung für spezifische therapeutische
und/oder rehabilitative Maßnahmen.
Erkennung von Störungen des
Schalltransports bis zum Trommelfell
Vor der Durchführung von audiometrischen
Verfahren muss neben der Anamneseerhebung
zunächst eine kompetente Organuntersuchung
erfolgen. Diese beinhaltet neben der Inspektion
des Mastoids und des äußeren Ohrs eine bino-
kularmikroskopische Untersuchung des Gehörgangs und des Trommelfells. Hierbei lassen sich
bereits Störungen des Schalltransports bis zum
Trommelfell, z. B. Ceruminalpröpfe oder Gehörgangsatresien sowie Defekte des Trommelfells erkennen.
Erkennung von mittelohrbedingten
Schwerhörigkeiten
Zur audiometrischen Erkennung von mittelohrbedingten Schwerhörigkeiten werden neben der
Ohrmikroskopie (zur Erkennung z. B. von Defekten des Trommelfells oder der Gehörknöchelchen
wie beim Spontantyp III) die Tympanometrie, die
Stapediusreflexregistrierung und die Messung der
otoakustischen Emissionen eingesetzt.
Erkennung von cochleären
Schwerhörigkeiten
Hörtests zur Erkennung von cochleären Schwerhörigkeiten lassen sich grundsätzlich in sog. subjektive und objektive Untersuchungen unterteilen.
Unter subjektiven audiometrischen Tests versteht
man diejenigen Verfahren, bei denen Reaktionen
des Kindes auf akustische Reize (Reflexe, Bewegungen, Orientierungsreaktionen, Spielhandlungen,
Wiedergabe des Gehörten etc.) bewertet werden.
Daher wird bei diesen Untersuchungen nicht nur
die cochleäre Funktion, sondern auch in unterschiedlichem Maß die Funktion von Hirnstamm
und auditorischem Kortex überprüft. Bei allen
subjektiven Testverfahren ist zu beachten, dass für
die Kinderaudiometrie gepulste Sinustöne, Wobbeltöne und interessante Geräusche (z. B. Pfeifen, Hundegebell, Säuglingsgeschrei, Kinderlieder
u. v. m.) besser geeignet sind als Sinustöne. Geeignete akustische Stimuli sind auf CD erhältlich und
können wahlweise über Lautsprecher oder Kopfhörer dem Kind angeboten werden. Da deutliche
spektrale Unterschiede der verwendeten Stimuli zu
den in der Erwachsenenaudiometrie verwendeten
Sinustönen bestehen, müssen diese Besonderheiten bei der Interpretation der Befunde mit berücksichtigt werden.
19
Diagnostik
Subjektive Tests
Reflex- bzw. Reaktionsschwellenaudiogramm im freien Schallfeld
Die zunehmende Reifung der Hörbahn bedeutet, dass die Kinder bei immer leiseren Geräuschen reagieren und auch ein immer komplexeres Hörverhalten, wie z. B. die Lokalisation der
Schallquelle, entwickeln. Neugeborene reagieren
ab 80 dB, 3 Monate alte Säuglinge ab 60 dB, 6 Monate alte Säuglinge ab 50 dB, 1 Jahr alte Kinder ab
40 dB, 2 Jahre alte Kinder ab 20 dB und 4 Jahre alte
Kinder ab 10 dB (jeweils ein regelrechtes Gesamthörvermögen vorausgesetzt). Untersuchungen ergaben Standardabweichungen von +/–10 dB bei
Hörfrequenzen von 250 bis 8000 Hz als Ausdruck
der individuellen Variabilität dieser Hörbahnreifung. Die gemittelte Schallintensität, ab der eine
Reaktion des Kindes zuverlässig hervorgerufen
werden kann, wird, in Analogie zur Hörschwelle,
als Reaktionsschwelle bezeichnet. Indirekt erhält
der Untersucher auch eine Information über das
seitenbezogene Hörvermögen durch die Fähigkeit des Kindes, die Schallquelle zu lokalisieren.
Die Lokalisation ist allerdings nur dann möglich,
wenn sich die Hörschwellen beider Ohren nicht
mehr als 20 dB voneinander unterscheiden und
wenn das Kind das entsprechende Entwicklungsalter zur Lokalisationsfähigkeit erreicht hat. Unterscheiden sich die Schwellen beider Ohren um
mehr als 20 dB, geben die Reaktionen des Kindes
nur über die Schwelle des besser hörenden Ohres
Auskunft.
Bei Säuglingen sind innerhalb von 2 Sekunden
nach dem Reiz bei normalem Hörvermögen folgende unbewusste Hörreaktionen zu erwarten:
1. Wimpernzucken (Auropalpebralreflex),
2. leichtes Schütteln des Körpers,
3. Augenöffnen,
4. leichte Kopfbewegung zur Schallquelle,
5. eine kurze Bewegung von Armen oder Beinen,
6. reflektorische Atemhemmung,
7. eine Kombination von 1. bis 6.
Bei der reflektorischen Atemhemmung verharren
die Säuglinge meist in Inspiration, um der Schallquelle zu lauschen. Möglicherweise ist dies nicht
2
ein unbedingter Reflex, sondern sie erkennen die
eigenen Atemgeräusche als Störschallquelle und
versuchen, diese auszuschalten.
Zuwendungsaudiometrie
Der Begriff Zuwendungsaudiometrie wird für die
Art der Reaktionsaudiometrie (im weiteren Sinne)
verwendet, bei der die Zuwendungsreaktion zu
einer Schallquelle untersucht wird. Vom 4. Lebensmonat an beginnen Säuglinge, die Schallquelle
rechts und links zu lokalisieren. Diese Lokalisationsfähigkeit kann zur Bestimmung der Hörschwelle benutzt werden. Technische Voraussetzung ist eine Ringsumanordnung der Lautsprecher.
Die akustischen Stimuli werden unregelmäßig
wechselnd über Lautsprecher rechts und links angeboten. Die Kinder wenden den Kopf zur Schallquelle hin, wenn sie den Stimulus wahrgenommen
haben. Durch Verringerung der Stimulusintensität
kann die Reaktionsschwelle aufgesucht werden.
Spielaudiometrie mit operanter
Konditionierung
Die Spielaudiometrie mit operanter Konditionierung kann sowohl beim Tonschwellenaudiogramm
als auch beim Freifeldaudiogramm vom 2. Lebensjahr aufwärts angewendet werden. Es werden bewusste Hörreaktionen ausgewertet. In der Konditionierungsphase wird zunächst ein akustischer
Stimulus mit einer bestimmten einfachen, kurzen
Spielhandlung verbunden. Das Kind kann z. B.
beim Hören des Prüftons bunte Klötzchen in ein
Lochbrett stecken oder Spielsteine bewegen. In der
Testphase werden dann immer leisere akustische
Stimuli angeboten, die in der trainierten Weise
beantwortet werden sollen.
Operante Konditionierung mit visueller
positiver Verstärkung
Die Audiometrie mit visueller positiver Verstärkung (Visual Reinforcement Audiometry, Operant
Reinforcement Audiometry, Operant Head Turn
Procedure, Conditioned Head Turn Procedure)
kann nur in Freifeldtechnik angewandt werden.
In der Konditionierungsphase wird das Kind trai-
20
2
Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
niert, beim Wahrnehmen eines kurzen akustischen Stimulus eine bewusste Kopfdrehung zur
Seite auszuführen. Dazu wird ein über Lautsprecher dargebotener akustischer Stimulus innerhalb
eines definierten Zeitintervalls optisch bestätigt,
z. B. durch Aufleuchten einer seitlich angebrachten Signallampe oder durch ein seitlich angebrachtes sich bewegendes Spielzeug. Der optische
Stimulus wird dabei auf der gleichen Seite wie der
akustische Stimulus angeboten. In der Testphase
wird durch schrittweises Verringern der akustischen Stimulusintensität die Reaktionsschwelle
aufgesucht, wobei das Kind in Erwartung des
zusätzlichen visuellen Stimulus den Kopf bereits
zur untersuchten Seite dreht, bevor dieser visuelle
Stimulus aktiv wird.
In einer Modifikation werden wie beim oben
beschrieben Verfahren bewusste Hörreaktionen
operant konditioniert und visuell positiv verstärkt.
Dann werden die akustischen Stimuli nicht kurzzeitig, sondern so lange kontinuierlich angeboten,
bis das Kind reagiert. Wenn das Kind korrekt
reagiert hat, wird der akustische Stimulus abgebrochen und visuell bestätigt. Wenn innerhalb von
5 Sekunden keine Reaktion auf den akustischen
Stimulus erfolgt, wird das Kind darauf hingewiesen, dass aus einem der beiden Lautsprecher der
Ton kommt und aufgefordert, zu diesem Lautsprecher zu schauen oder auf ihn zu zeigen. Erfolgt
jedoch eine »Reaktion«, ohne dass ein akustischer
Stimulus angeboten wird, pausiert die Untersuchung für 5 Sekunden.
n-Alternative Forced-Choice Procedure
(n-AFC)
Das zu erkennende Merkmal wird in einem von
zwei oder mehreren Alternativen dargeboten. Der
Untersuchende muss sich für eine Antwortalternative entscheiden (»forced choice«). In der Regel
wird der Schwierigkeitsgrad in einem adaptiven
Algorithmus immer mehr gesteigert. Testabbruchkriterien werden vorher definiert und die Erkennungsschwelle über bestimmte statistische Verfahren errechnet. Insbesondere in der Psychoakustik
(z. B. in der Diagnostik von auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen) finden nAFC-Verfahren Anwendung.
BOEL-Test (Blicken Orienterar Efter Ljud)
Dieser Test ist für die Altersstufe 6–8 Monate sinnvoll. Dem zu untersuchenden Kind wird ein visueller Stimulus z. B. in Form eines sich bewegenden
Mobiles angeboten, das die Säuglinge aufmerksam beobachten. Gleichzeitig werden Geräusche
(Glöckchen und Rassel) mit annähernd bekanntem Frequenzspektrum und Lautstärke dargeboten. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass das
Kind die Schallquelle und deren Betätigung nicht
sehen kann. Eine Ablenkbarkeit von der Fixation
des visuellen Stimulus z. B. in Form einer Kopfdrehung zur Schallquelle hin wird als Hörreaktion
bewertet.
Auswertmodi
Die Bewertung der Hörreaktionen kann einerseits
durch den Untersucher erfolgen (Observer-Based
Behavioral Testing) oder andererseits automatisiert registriert werden (z. B. Crib-O-Gram; MultiChannel Infant Reflex Audiometry, MIRA).
Für die subjektive Bewertung sind prinzipiell zwei verschiedene Möglichkeiten beschrieben
worden:
▬ Ein Untersucher:
Die Reaktionen des zu untersuchenden Kindes
werden nur von einer Person, die gleichzeitig
die Schallreizanbietung steuert, ausgewertet.
Diese Bewertung ist aus der Erwachsenenaudiometrie gut bekannt, eignet sich aber wegen
der häufig nicht ganz eindeutigen Reaktionen
bei Kindern nur sehr bedingt.
▬ Zwei Untersucher:
Der erste Untersucher bietet dem Kind akustische Stimuli an, der zweite Untersucher beobachtet und bewertet die Reaktionen des
Kindes, ohne aber zu wissen, wann akustische
Stimuli gegeben wurden. Hierzu ist es notwendig, dass der zweite Untersucher weder
die Schallreize hört noch den ersten Untersucher bzw. die Betätigung des Audiometers
sieht. Er zeigt lediglich, z. B. durch Druck
einer Taste, an, wann er meint, eine Reaktion
des Kindes gesehen zu haben. Nur wenn der
Stimulus gegeben wurde und der das Kind
beobachtende Untersucher innerhalb von
21
Diagnostik
2 Sekunden anzeigt, dass er eine Reaktion
des Kindes gesehen hat, wird die Reaktion
als Hörreaktion verwertet. Durch diese Maßnahme soll vermieden werden, dass ein Untersucher allein, in Kenntnis der Stimulusapplikation und in Erwartung einer Reizantwort,
falsch-positive und falsch-negative Einschätzungen kindlicher Reaktionen abgibt.
Dieses Verfahren kann prinzipiell auch für
n-AFC-Verfahren eingesetzt werden. Hier erhält der zweite Untersucher Informationen
über die Alternativen (bzw. Intervalle) und entscheidet über beobachtetes Antwortverhalten.
Die unbewussten Hörreaktionen von Säuglingen
können auch automatisiert registriert werden.
Dazu sind spezielle Apparaturen notwendig, die
motorische Aktivitäten oder vegetative Reaktionen
als Reaktionen auf akustische Stimuli mit geeigneten Sensoren aufnehmen und mit entsprechenden Computerprogrammen als reizkorreliert oder
nicht reizkorreliert bewerten (z. B. Herzfrequenz
über eine EKG-Ableitung). Die Auswertung der
objektiv aufgezeichneten Reaktionen bzw. die Programmierung von Auswertroutinen beinhaltet jedoch eine subjektive Wertung.
Auswahl eines adäquaten
Hörprüfverfahrens
Bei der Wahl eines oder mehrerer der zahlreichen subjektiven Verfahren zur Überprüfung des
kindlichen Hörvermögens muss Folgendes immer
bedacht werden:
Das Hörvermögen von Säuglingen und Kleinkindern unterscheidet sich grundsätzlich vom
Hörvermögen Erwachsener. Auch die Folgen einer
Einschränkung des Hörvermögens sind bei Säuglingen und Kindern ganz unterschiedlich im Vergleich zu den Auswirkungen einer Schwerhörigkeit
im Erwachsenenalter.
Der Ablauf einer subjektiven Hörprüfung beim
Kind muss sich grundsätzlich nach dem Entwicklungsalter des Kindes richten, da die Hör- und
Wahrnehmungsleistungen ebenso wie das Verhalten während der Audiometrie in verschiedenen
Entwicklungsstufen unterschiedlich sind.
2
Das Lebensalter der Kinder ist nur ein Anhaltspunkt für das Entwicklungsalter. Bei frühgeborenen Säuglingen und entwicklungsverzögerten
Kindern ist das Entwicklungsalter nicht identisch
mit dem Lebensalter.
Häufig sind übermüdete oder hyperaktive Kindern mit der Hörprüfung überfordert, so dass der
Ablauf vereinfacht werden muss.
Ein negatives Testergebnis bei gleichzeitig unauffälligem Mittelohrstatus bedeutet nicht automatisch, dass eine cochleäre Schwerhörigkeit vorliegt.
Vielmehr können auch Störungen des zentralen
Hörens Ursache dafür sein, dass das Kind nicht
adäquat reagiert hat.
Objektive Hörtests
Objektive Hörtests sind keine wirklich objektiven
Hörtests, sie erfordern lediglich keine Mitarbeit des
Kindes. Bei den meisten sog. objektiven Hörtests
ist es sogar von Vorteil, wenn das Kind schläft. Die
Schallreizdarbietung erfolgt (halb-)automatisch,
gleichzeitig werden bestimmte neurobiologische
Reaktionen registriert. Auch hier erfordert die Bewertung der registrierten Biosignalantworten auf
den Schallreiz eine große Erfahrung, insbesondere
wenn die Reizantwort durch die durch Muskelaktivitäten hervorgerufenen elektrischen Signale überlagert ist. Bekannte objektive Hörtests sind die
Stapediusreflexmessung, die Messung otoakustischer Emissionen und die Messung akustisch evozierter Potentiale.
Stapediusreflexmessung
Bei der Stapediusreflexmessung wird der akustikofaziale Reflex, der im Hirnstamm mit dem Nervus
cochlearis als afferentem Schenkel und dem Nervus facialis als efferentem Schenkel verschaltet ist,
gemessen: Bei lauter überschwelliger Beschallung
mit Tonreizen (70–90 dB SL) oder mit weißem
Rauschen (40–50 dB SL) wird der durch einen
Seitenast des Gesichtsnerven versorgten Musculus stapedius aktiviert. Bei physiologischen Verhältnissen kommt es zu einer registrierbaren Änderung (Erhöhung) des akustischen Widerstands
am Trommelfell und zu einer Abschwächung der
22
2
Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
Schallübertragung. Der Stapediusreflex wird meist
bei Schallstimuli mit 500, 1000, 2000 und 4000 Hz
bei einem Sondenton von 220 Hz geprüft. Normalerweise ist die Reflexantwort ipsi- und kontralateral auslösbar bzw. registrierbar. Ist der akustische
Widerstand, z. B. durch einen Erguss im Mittelohr,
ohnehin deutlich erhöht, lässt sich der Stapediusreflex nicht mehr auslösen. Die Schwelle für den
Stapediusreflex liegt bei gesundem Gehör für die
genannten Töne zwischen 70 und 90 dB, bei ipsilateralen Messungen ist sie etwas niedriger als bei
kontralateralen Messungen. Bei Innenohrschwerhörigkeiten, zumindest bei gering- bis mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeiten, findet man
nicht selten eine normale Stapediusreflexschwelle.
Aufgrund dieses häufig anzutreffenden Metz-Recruitments ist es nicht möglich, nur aus den Reflexschwellen für Töne eine subjektive Hörschwelle,
die mit den tonaudiometrischen Ergebnissen korreliert, abzuschätzen. Bestimmt man allerdings die
Stapediusreflexschwellen für Töne, weißes Rauschen und Schmalbandrauschen, kann man aus
den gewonnenen Werten eine frequenzspezifische
subjektive Hörschwelle abschätzen, wobei 73% der
Schätzwerte innerhalb eines Fehlers von +/– 10 dB
liegen. Der Stapediusreflex kann nicht nur durch
akustische Reize, sondern auch taktil ausgelöst
werden. Stärkere taktile Reize an der Ohrmuschel
führen, ebenso wie das Anblasen des Auges, zu
einer Kontraktion des Musculus tensor tympani.
Zwar sind die durch ihn bewirkten ComplianceÄnderungen schwächer als beim Stapediusreflex
und halten nicht länger als 2 Sekunden an, können
aber dennoch zu Fehlinterpretationen führen.
Messung otoakustischer Emissionen
Die Messung otoakustischer Emissionen erlaubt
eine Aussage über die Funktion des aktiven Verstärkungsmechanismus in der Cochlea.
Für die Messung der transitorisch evozierten
otoakustischen Emissionen, die als Antwort auf
einen überschwelligen Schallreiz im äußeren Gehörgang gemessen werden können, wird in der
Regel ein 80 ms dauernder Klick verwendet, der
einen breitbandigen Reiz mit einem Frequenzspektrum bis 8 kHz darstellt. In den ersten 10 ms nach
dem Klickreiz treten überwiegend hochfrequente
Emissionen, im Zeitbereich 10–15 ms tieferfrequente Emissionen (entsprechend der »Laufzeit«
des Schallreizes bzw. der Emissionsantwort in der
Cochlea) auf. Seitdem die verwendete Software des
Gerätes zur Messung transitorisch evozierter otoakustischer Emissionen auch die Ergebnisse für die
einzelnen Frequenzbänder sichtbar macht, hat sich
gezeigt, dass anhand der Frequenzaufschlüsselung
der TEOAE-Ergebnisse durchaus Rückschlüsse auf
die frequenzspezifische Hörschwelle erlaubt sind.
Kleine »Einkerbungen« mit einer Frequenzbreite
bis 300 Hz im ansonsten regelrechten TEOAEAntwortspektrum gelten als physiologisch. Die
Sensitivität der TEOAE ist mit 98% sehr hoch, die
Spezifität beträgt ca. 73%. Ab einem Hörverlust
(im Tonaudiogramm) von mehr als 30 dB oder
bei Vorliegen von Tubenventilationsstörungen sind
keine sicheren Antworten mehr nachweisbar.
Die Messung Distorsionsprodukt otoakustischer Emissionen beruht auf der Erkenntnis, dass
die Cochlea wie ein nichtlinearer Verstärker arbeitet. Wird die Cochlea mit 2 Tönen, die im Frequenzverhältnis von 1:1,2 stehen und die in etwa
die gleiche Lautstärke (L1 = L2) haben, beschallt,
kommt es zu messbaren Verzerrungsprodukten.
Bei einer solchen Stimulation (F1 zu F2 = 1:1,2)
werden viele Verzerrungsprodukte gebildet. (Die
Verzerrungsprodukte lassen sich nach der Formel
n x F1 +/– m x F2 beschreiben.) Die breite klinische
Anwendung hat gezeigt, dass das Distorsionsprodukt 2 F1 – F2 in der Regel am lautesten ist und mit
einem Sondenmikrofon im Gehörgang registriert
werden kann. Dies bedeutet, dass bei der klinischen Anwendung die Amplituden in der Regel in
Bezug zum geometrischen Mittel der Frequenzen
F1 und F2 dargestellt werden, obwohl ja eigentlich
im Gehörgang die Emissionsfrequenz 2 F1 – F2
gemessen wurde. Extrem wichtig für die Interpretation, gerade bei Kindern, ist, dass zwar durchaus
bis zu einem Hörverlust von ca. 50 dB DPOAE
nachweisbar sein können, für den Nachweis eines
normalen Hörvermögens müssen aber die DPOAE
eine bestimmte Mindestamplitude haben.
Screening-OAE-Geräte zeichnen sich dadurch
aus, dass sie nur in einem begrenzten Frequenzbereich messen (z. B. 2–4 kHz) und dass die Ergebnisse signalstatistisch (z. B. durch Verfahren der
Binominalstatistik) bewertet werden.
23
Diagnostik
2
Messung akustisch evozierter
Potentiale
Untersuchungen der zentralen Hörbahn
Die Messung akustisch evozierter Potentiale ermöglicht eine topodiagnostische Zuordnung der
Schwerhörigkeit. Zur Abklärung einer peripheren Schwerhörigkeit eignen sich die Messung der
cochleären Mikrophonpotentiale (CM), des Compound Action Potentials (CAP) sowie des Nervensummenpotentials (SP). Die CM sind Potentiale,
die am apikalen Ende äußerer Haarzellen entstehen und die, zumindest bei niedrigen Frequenzen, entsprechend der Tonotopie ortsabhängig gemessen werden können. Bei höheren Frequenzen
weicht allerdings das Maximum in Richtung der
Cochleabasis ab. Die Intensität wird, am Ort der
charakteristischen Frequenz nichtlinear, fernab
der charakteristischen Frequenz linear kodiert.
Als CAP wird eine Verschiebung der Grundlinie
der cochleären Mikrophonpotentiale bezeichnet.
Das SP beruht vermutlich auf einer stimulusinduzierten Änderung der Gleichspannungsanteile
des Rezeptorpotentials der äußeren, möglicherweise auch der inneren Haarzellen. Die Freisetzung von Transmittern an den inneren Haarzellen in den synaptischen Spalt bewirkt konsekutiv
ein postsynaptisches Potential am distalen Ende
der afferenten, bipolaren Nervenzellen Typ I, die
im Ganglion spirale im Rosenthal-Kanal lokalisiert sind. Dies ist die Grundlage zur Entstehung
des CAP. Das CAP entspricht der Welle I in der
BERA. Die Zeitdauer des Schallreizes wird durch
die Zeitdauer der Aktivierung der Nervenfasern,
der Schalldruckpegel durch die Entladungsrate,
auch hier wieder nichtlinear respektive durch Rekrutierung benachbarter Fasern kodiert. Die Frequenz in Schwellennähe wird, da afferente Fasern
jeweils nur einer inneren Haarzelle zugeordnet
sind, nach Tonotopie und, allerdings nur bis zu
einer Frequenz von 5 kHz, der Phasenkopplung
verschlüsselt. Die Frequenzkodierung deutlich
oberhalb der Schwelle berücksichtigt zusätzlich
das Prinzip der überschwelligen Spreizung der
Frequenzdispersion bei einer Zentralfrequenz
von 1 kHz, d. h., hier wird das Tonotopieprinzip
quasi aufgeweicht. Die technische Durchführung
ist ähnlich wie die der Hirnstammaudiometrie
(s. unten), die ebenfalls Auskunft über die cochleäre Funktion gibt.
Für die Diagnostik zentraler Hörstörungen im
Säuglings- und Kindesalter ist die Hirnstammaudiometrie (brainstem-evoked response audiometry = BERA) unerlässlich. Die BERA wird mit
Klickstimuli oder Tonreizen durchgeführt. Die
meistens verwendeten Klicks erzeugen am Schallgeber breitbandige akustische Signale mit einem
Frequenzspektrum zwischen 1000 und 5000 Hz,
so dass trotz guten Hinweises auf die Hörschwelle
allgemein keine genauen frequenzspezifischen
Hörschwellenmessungen möglich sind. 1977 wurden erstmals Verfahren vorgestellt, mit gefilterten
Klickreizen oder mit Ton-Bursts akustisch evozierte Potentiale abzuleiten, die frequenzspezifisch
mit der Hörschwelle korrelieren. Die verwendeten
Tonstimuli von 2–10 ms Dauer führen gegenüber
kurzen Klicks zu verminderter Synchronisation
der cochleären und neuralen Reizantwort und zu
breiten und eingeschränkt frequenzselektiven Stimulationen der Cochlea. Deshalb wurde die Ableitung mittellatenter Potentiale vorgeschlagen, bei
denen die Synchronisation der Neuronen durch
Tonstimuli langer Dauer (um 10 ms) unkritisch ist.
Diese Methode hat sich in der Pädaudiologie nicht
durchsetzen können, da die Nachweisbarkeit mittellatenter Potentiale stark von individuellen zentralen Reifungsprozessen abhängig ist und während der häufig notwendigen Sedierungen oder
Narkosen generell nicht evozierbar sind.
Bei der Ableitung früher akustischer tonfrequenzevozierter Potentiale sind zusätzliche selektive Maskierungen notwendig, um die Reizantworten nicht zu prüfender cochleärer Abschnitte
zu unterdrücken und somit die Frequenzspezifität
zu verbessern. Die umfangreichste Literatur liegt
über die Notched-Noise-Maskierung vor. Hierbei
erfolgt eine Stimulation mit einem 2 ms dauernden
Ton-Burst, der mit einer Reizwiederholfrequenz
von 40/s angeboten wird. Dem Ton-Burst wird
ipsilateral ein Rauschen überlagert, das durch spezielle Filterung eine spektrale Kerbe im Bereich der
Frequenz des Ton-Bursts, den sog. Notch, aufweist.
Durch die hohe Reizfolgefrequenz von 40 Hz und
die Analysezeit von 22 ms tritt eine Überlagerung
früher Potentiale mit mittellatenten Potentialen ein
und führt zu einer Amplitudenverstärkung der
24
2
Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
Reizantworten. Die mittellatente Komponente ist
vom individuellen altersabhängigen Reifungszustand der Hörbahn abhängig und bei Säuglingen,
Kleinkindern und in Narkose nicht nachweisbar.
Prinzipiell ist bei Säuglingen und Kleinkindern die
Hirnstammaudiometrie in Sedierung oder Narkose einfach durchzuführen. Allerdings handelt
es sich um ein recht zeitaufwendiges Verfahren.
Durch eine computergestützte Online-Analyse der
evozierten Potentiale ist es aber heute möglich,
die Hörschwelle in 3–5 Minuten zu bestimmen.
Dadurch wird die Hirnstammaudiometrie auch für
Screening-Zwecke äußerst interessant.
Zur Differentialdiagnose cochleäre Schwerhörigkeit oder zentrale Hörstörung bewährt sich
der Vergleich von Ergebnissen der verschiedenen
audiometrischen Verfahren. So hat z. B. die breite
klinische Anwendung der TEOAE und DPOAE
gezeigt, dass es – viel häufiger als zunächst angenommen – Kinder gibt, bei denen die TEOAE bzw.
DPOAE-Ergebnisse auf einen normalen cochleären
Verstärker hinweisen, jedoch keine akustisch evozierten Hirnstammpotentiale messbar sind. Kann
ein Messartefakt sicher ausgeschlossen werden,
muss bei der Konstellation »fehlende akustisch
evozierte Hirnstammpotentiale und regelrechte
TEOAE bzw. DPOAE« von einer Hörminderung
ausgegangen werden, die ihren Ursprung in den
inneren Haarzellen oder weiter zentral hat. Für
diese Befundkonstellation wird der Begriff »auditorische Neuropathie« verwendet. Auch kann die
Konstellation »regelrechtes peripheres Hörvermögen (einschließlich regelrechter BERA-Ergebnisse)
und expressive Sprachstörung« ein Hinweis auf
eine zentrale (kortikale) Hörstörung sein.
Die BERA kann darüber hinaus eingesetzt werden, um zwischen mittelohrbedingten und nicht
mittelohrbedingten Schwerhörigkeiten zu unterscheiden, wenn man hintereinander Luft- und
Knochenleitungshörer verwendet.
Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen
Das Vorgehen zur Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen ist derzeit
weder im angloamerikanischen noch im deutsch-
sprachigen Raum einheitlich. Weitgehender Konsens besteht allerdings in der Literatur, dass sowohl
subjektive als auch objektive Testverfahren zum
Einsatz kommen müssen, die die verschiedenen
Aspekte der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung überprüfen. Hierzu zählen u. a. die folgenden neurophysiologisch bzw. psychoakustisch
basierten Verfahren:
Objektive Tests
Messung otoakustischer Emissionen, Stapediusreflexmessung mit Bestimmung der Dissoziation
zwischen Reflexschwelle für Sinustöne und der
für Terzbandrauschen, kontralaterale Stapediusreflexmessung, Ableitung akustisch evozierter
Hirnstammpotentiale mit Latenz- und Amplitudenauswertung, Messung des binauralen Interaktionsproduktes, Messung der Mismatch-Negativität,
Messung mittellatenter und später akustisch evozierter Potentiale.
Subjektive Tests
Tonschwellenaudiometrie, standardisierte Sprachaudiometrie, Überprüfung des Hörens im Störschall, dichotische Tests, Lautunterscheidungstests,
Hörtests mit zeitkomprimierter Sprache, Überprüfung der Hörmerkspanne, Hörtests zu basalen Hörverarbeitungsfunktionen wie Zeit- und Frequenzauflösung, Tests zur phonologischen Bewusstheit,
Untersuchungen zum Richtungsgehör, der Lautidentifikation und Lautdifferenzierung u. a.
Viele der genannten Tests sind nicht standardisiert und darüber hinaus in ihrer Wertigkeit
umstritten. Die Re-Test-Stabilität ist bei einigen
Tests nicht bekannt. Zur Bewertung muss eine Gesamtschau der Befunde standardisierter und nichtstandardisierter Tests, der Beobachtungen und der
Anamnese vor dem Hintergrund der allgemeinen
kognitiven Fähigkeiten des zu untersuchenden
Patienten erfolgen. Ziel der Diagnostik ist es, basierend auf den bisher vorhandenen neurophysiologischen und psychoakustischen Erkenntnissen
einerseits das symptomatische Defizit möglichst
exakt zu beschreiben, um andererseits Hinweise
auf die Natur (einschließlich Lokalisation) der
Dysfunktion zu gewinnen.
25
Literatur
Fazit
Eine Vielzahl von Erkrankungen des äußeren Ohres, des Mittelohres, des Innenohres oder der zentralen Hörbahnen können Hörstörungen verursachen. Wegen der erheblichen Konsequenzen einer nicht behandelten Schwerhörigkeit sollte eine
adäquate Therapie und Rehabilitation umgehend
eingeleitet werden. Hierfür ist es zwingend erforderlich, Art und Ausmaß der Schwerhörigkeit zu
kennen. Die heute zur Verfügung stehenden audiometrischen Verfahren erlauben in der Regel eine
dem Entwicklungsstand des Kindes angepasste, sichere differentialdiagnostische Abklärung.
Literatur
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Gummer AW, Hemmert W, Zenner HP (1996) Resonant tectorial membrane motion in the inner ear: Its crucial role in
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Ptok M (2000) Otoakustische Emissionen, Hirnstammpotentiale, Tonschwellengehör und Sprachverständnis bei auditorischer Neuropathie. HNO 48: 28–32
Schönweiler R (1992) Eine Untersuchung an 1300 Kindern zur
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2
3
Cochlear-Implant-Voruntersuchungen
I. Todt

Die Bedeutung der Voruntersuchungen vor einer
Cochlear-Implant-(CI)Operation ergibt sich aus dem
Wunsch, den Patienten mit dem für ihn individuell optimalen System zur Hörverbesserung zu versorgen. Aber
nicht nur der Hörerfolg des Patienten, sondern auch
der Erfolg eines ganzen Hörsystems hängt in erheblichem Maße von der Auswahl der richtigen Kandidaten
ab. Dies gilt für alle Hörsysteme, die eine Besserung des
Hörvermögens des Patienten vermitteln sollen.
Somit gilt es, bei der CI-Voruntersuchung zum einen eine Abgrenzung zu anderen Möglichkeiten der
Versorgung der Hörstörung zu ermöglichen. Ziel ist es,
mit dem CI ein der Versorgung mit Hörgeräten überlegenes Hörvermögen zu vermitteln. Zum anderen sollte
die Möglichkeit der CI-Versorgung an sich festgestellt
werden. Ebenso bedeutsam ist aber auch, eine präoperative Statuserhebung zu erbringen, um die Einflussnahme der Operation und des CI-Systems auf die
Strukturen des Felsenbeins feststellen zu können.
Unserer Einschätzung nach sollte die CI-Voruntersuchung neben der reinen medizinischen Indikationsstellung auch eine psychosoziale Beurteilung mit beinhalten. Hier sollte durch entsprechendes Fachpersonal
die Rehabilitationsfähigkeit des Patienten präoperativ
eingeschätzt werden. Eine realistische Einschätzung
des zu erwartenden Ergebnisses sollte vermittelt werden und der Patient sollte einen Eindruck über die
postoperativ auf ihn zukommende Rehabilitation erhalten. Der Patient muss präoperativ wissen, was auf
ihn zukommt, und sollte sowohl operativ, also in der
Klinik, als auch in Bezug auf die Rehabilitation keine
Überraschungen erleben. Hierbei ist es wichtig, dass
der Patient sich ohne Druck von außen frei für die CIVersorgung oder auch gegen sie ausspricht.
Die Indikation zur CI-Versorgung von medizinischer Seite beruht auf einer ganzen Reihe von Untersuchungen. In erster Linie sind hier Verfahren zu
nennen, die die Hörfähigkeit genauer beleuchten. Hier
können wir subjektive Verfahren von objektiven Verfahren trennen.
Subjektive Verfahren
Zu den subjektiven Verfahren rechnen wir die
Tonaudiometrie und die Sprachaudiometrie (Einsilber- und Mehrsilber-Testung). Mittels dieser
Tests können wir einschätzen, welche Hörschwelle
vorliegt und ob eine CI-Versorgung indiziert oder
gegebenenfalls eine Form der Hörgeräteversor-
28
3
Kapitel 3 · Cochlear-Implant-Voruntersuchungen
gung sinnvoller ist. Es ist absolut notwendig, sowohl Tonaudiometrie als auch Sprachaudiometrie durchzuführen, da sich von dem Ergebnis der
Sprachaudiometrie auf das Tonaudiogramm und
umgekehrt schließen lässt. Sollte hier eine Divergenz bestehen, kann ggf. eine Hörverarbeitungsstörung oder eine Neuropathie vorliegen und eine
andere Form der Versorgung/Unterstützung indiziert sein. Des Weiteren sollte auch eine sprachaudiometrische Testung mit Hörgeräten erfolgen.
Nur so kann eine Abgrenzung zwischen der evtl.
sinnvollen Optimierung der Hörgeräteversorgung
und der CI-Indikation erfolgen.
Da die Einschätzung, wann eine CI-Versorgung
sinnvoll erscheint und wann nicht, verschiedenen
variablen Einflussgrößen unterliegt, ist an dieser
Stelle kein Kriterium genannt, ab wann ein CI und
ab wann kein CI indiziert ist. Vielmehr sei darauf
hingewiesen, dass viele Faktoren diese Einschätzung beeinflussen. Hauptfaktor ist sicherlich das
Restgehör mit Hörgerät und das, dem jeweiligen
wissenschaftlichen Stand zufolge, wahrscheinlich zu
erreichende Verständnis mit dem CI. Dies unterliegt
wiederum Einflussfaktoren wie dem technischen
Stand der CI-Entwicklung, dem Restgehör, der Ertaubungsdauer, dem Spracherwerb und der Rehabilitationsfähigkeit des Patienten. Generell wird heute
aufgrund der umfangreichen Erfahrungen mit dem
CI und der technischen Entwicklung der Systeme in
Bezug auf das Restgehör deutlich früher implantiert
als vor 5 oder 10 Jahren. Es ist hier sicher am sinnvollsten, sich mit einem CI-Zentrum in Verbindung
zu setzen, das über aktuelle Entwicklungen auf diesem Gebiet auf dem Laufenden ist.
Objektive Verfahren
Neben den subjektiven Verfahren zur Hörschwellenbestimmung sollten immer auch objektive Verfahren angewandt werden. Hier seien, neben den
otoakustischen Emissionen (TEOAE, DPOAE) die
verschiedenen Formen der BERA (»brainstemevoked respones audiometry«) genannt.
Die Bestimmung von otoakustischen Emissionen sollte immer erfolgen, da mittels dieser
Verfahren eine objektive Hörschwellenbestimmung zwischen 30 dB und 50 dB möglich ist und
dies bei Kindern eine zusätzliche Auskunft zur
BERA- Schwelle geben kann. Dies gilt ebenso zur
Erkennung von erwachsenen Patienten, die ihre
Hörschwelle bewusst oder unbewusst falsch angeben (Aggravation, psychische Erkrankungen). Außerdem spielt die Beurteilung von otoakustischen
Emissionen bei der Erkennung von Patienten mit
auditorischer Neuropathie und zentralen Hörstörungen eine bedeutsame Rolle.
Die BERA-Untersuchung sollte bei Kindern
und Erwachsenen immer zusätzlich zu den subjektiven Verfahren der Hörschwellenbestimmung erfolgen, um die ermittelte Hörschwelle auf der Basis
eines objektiven Verfahrens zu bestätigen.
Die Beurteilung der BERA sollte immer unter gleichzeitiger oder zeitnaher Beurteilung der
durchgeführten radiologischen Verfahren erfolgen.
Wir können hinsichtlich der BERA-Verfahren
zwischen verschiedenen Stimuli unterscheiden.
Die Klick-BERA beruht auf der Stimulation des
natürlichen Hörweges über das Trommelfell. Bei
der Knochenleitungs-BERA erfolgt die Stimulation mittels eines Knochenleitungshörers über die
Kalotte. Bei der E-BERA erfolgt die Stimulation
elektrisch über eine transtympanale Sonde.
Die Bedeutung der BERA für die Indikationsstellung bei Kindern ist ungleich größer als bei
Erwachsenen, denn die Hörschwellenbestimmung
mittels Audiometrie (Spielaudiometrie) kann deutlich häufiger eine Unsicherheit hinterlassen, da
eine gewisse Abhängigkeit von der Kooperation
des Kindes besteht. Beim Erwachsenen kommt der
BERA eher die Funktion der Bestätigung der auf
der Basis subjektiver Verfahren ermittelten Hörschwelle zu.
Die Klick-BERA als Basisuntersuchung sollte
frequenzspezifisch erfolgen (Notch-noise-BERA).
Sollten sich hier keine Potentiale ableiten lassen
und in der erfolgten Computertomographie Verschattungen im Bereich von Mastoid und Mittelohr
befinden (flaches Tympanogramm), sollte immer
eine Knochenleitungs-BERA, möglichst ebenfalls
frequenzspezifisch, erfolgen.
Dies ist von großer Bedeutung, da durch das
Vorliegen einer Entzündung im Bereich des Mittelohrs die Schallübertragung eingeschränkt sein
und somit eine falsche Hörschwelle widergespiegelt werden kann.
29
Geschmack
Für die Bedeutung der gleichzeitigen Beurteilung von Verfahren der BERA und bildgebender
Verfahren finden sich noch zwei weitere Beispiele.
So kann eine chronische Entzündung im Bereich
der Felsenbeine, ermittelt durch eine Computertomographie, zu einem Absinken der Hörschwelle
führen, die sich in der BERA-Schwelle widerspiegelt. Hier sollte man eine operative Sanierung des
Mastoids vor einer möglichen CI-Operation aus
zweierlei Gründen durchführen: Zum einen kann
die Sanierung zu einem Anstieg der Hörschwelle
führen, die eine CI-Versorgung nicht mehr notwendig machen würde. Zum anderen sollte man
eine CI-Versorgung nicht in einem nichtsanierten Ohr durchführen, um die Möglichkeit einer
Keimverschleppung in die Cochlea zu minimieren
und die Einheilung des CI-Systems nicht zu gefährden.
Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung von
objektiven und bildgebenden Verfahren ist das
Fehlen von BERA-Potentialen und der fehlende
Hinweis in der Kernspintomographie auf einen
N. vestibulocochlearis (Hörnerv) als Voraussetzung für eine erfolgreiche CI-Versorgung. Hier
kann die E-BERA Hinweise auf die Anlage eines
Hörnervs geben. Die CI-Versorgung ohne bildgebenden Hinweis auf einen Hörnerv und fehlende
E-BERA-Potentiale wird kontrovers diskutiert.
Bildgebung
Bildgebende Verfahren sind als Grundvoraussetzung für eine CI-Versorgung zu sehen und sind
Teil jeder CI-Voruntersuchung. Neben der Beurteilung der Cochlea an sich ergeben sich Hinweise
auf Voroperationen, Anomalien und Infektionen.
Hier kommen sowohl die Computertomographie der Felsenbeine als auch die Kernspintomographie zur Anwendung.
Üblicherweise erfolgt die Durchführung eines
hoch-auflösenden CT der Felsenbeine, um die
Cochlea auf die Möglichkeit, eine CI-Elektrode
zu platzieren, zu beurteilen. Finden sich in der
CT Hinweise auf Veränderungen im Bereich der
Cochlea als Folge von Infektionen, Otosklerose
oder Anomalien, sollte eine Kernspintomographie
erfolgen. Aus den hieraus gewonnen Erkenntnis-
3
sen können sich dann wiederum Veränderungen
der Operationsverfahren ergeben. Die Möglichkeit,
generell immer ein CT und ein MRT durchzuführen, ist, insbesondere bei Kindern, ebenfalls
zu diskutieren. Das MRT ermöglicht, wie bereits
erwähnt, die Beurteilung der Anlage des N. vestibulocochlearis und zusätzlich die Füllung der
Cochlea mit Lymphe.
Promontorialtest
Die Anlage bzw. Funktion des N. vestibulocochlearis ist als Grundvoraussetzung einer erfolgreichen CI-Versorgung anzusehen. Daher erfolgt
die gesonderte Austestung. Dies geschieht üblicherweise mittels eines Promontorialtests. Hierbei
wird nach lokaler Betäubung von Trommelfell und
Gehörgang eine Sonde durch das Trommelfell auf
das Promontorium aufgebracht. Das Promontorium ist die knöcherne Struktur über der Cochlea.
An die Sonde wird eine elektrische Spannung angelegt, mittels derer ein Stimulus übertragen wird.
Hierbei kommt es zu einer Hörwahrnehmung.
Dies wird als Hinweis auf einen intakten Hörnerv
gewertet und ist als Grundvorausetzung für die
CI-Operation anzusehen.
Das Trommelfell verschließt sich nach Entfernung der Sonde üblicherweise nach kürzester
Zeit. Der Test kann bei nicht ausreichender Lokalanästhesie und großer Empfindlichkeit etwas
schmerzhaft sein.
Andere Verfahren haben sich bisher aufgrund
größerer Schmerzhaftigkeit oder unsicherer Potentialableitung nicht durchsetzen können.
Geschmack
Als weitere Testung innerhalb der CI-Voruntersuchung sollte eine Geschmacksprüfung durchgeführt werden. Da der Nerv (Chorda tympani),
der für die Vermittlung des Geschmacks auf der
jeweilige Seite der Zunge zuständig ist, recht nah
am operativen Zugangsweg zur Cochlea liegt,
besteht das Risiko der Verletzung und der Geschmacksbeeinträchtigung. Eine vorübergehende
postoperative Beeinträchtigung des Geschmacks
30
3
Kapitel 3 · Cochlear-Implant-Voruntersuchungen
auf der Seite der Zunge, welche operiert wurde, ist
nicht unüblich. Eine dauerhafte Beeinträchtigung
kommt hingegen sehr selten vor. Die Überprüfung
des Geschmacks der Zunge erfolgt mittels Lösungen, die auf die Zungenseite aufgebracht werden.
Hierbei werden die Qualitäten süß, sauer, salzig
und bitter getestet.
Gleichgewicht
In ähnlicher Weise verhält es sich mit dem Gleichgewichtssystem. Da die Cochlea und die Gleichgewichtsrezeptoren benachbart sind und einem
gemeinsamen Flüssigkeitshaushalt unterliegen,
kann eine Veränderung in einem System zu einer
Funktionsbeeinträchtigung des anderen Systems
führen. Dies ist mit der Einführung einer Elektrode in die Cochlea der Fall. Wir wissen heute,
dass das Auftreten von postoperativem Schwindel in engem Zusammengang mit der Positionierung der Elektrode steht. Glücklicherweise sind
die Schwindelbeschwerden in den meisten Fällen
vorübergehend, da, sollte es zu einem dauerhaften
Ausfall des Gleichgewichtsrezeptors der operierten
Seite kommen, die Rezeptoren der anderen Seite
diesen Ausfall kompensieren. Die Funktion der
Gleichgewichtsrezeptoren wird überprüft mittels
der Spülung von kaltem und warmem Wasser in
den Gehörgang zur Beurteilung der Bogengangsrezeptoren (kalorische Prüfung) und mittels akustischer Reize nach Aufbringen von Elektroden an
Hals und Kopf bei verdrehtem Kopf zur Beurteilung von Beschleunigungsrezeptoren (vestibulär
evozierte myogene Potentiale).
Bilaterale Versorgung
Mit der zunehmenden Anzahl an bilateralen Implantationen, stellt sich die Frage nach notwendigen Voruntersuchungen vor der bilateralen Versorgung. Erfolgt die Operation einzeitig, beispielsweise bedingt durch eine Meningitis mit Gefahr
der Obliteration der Cochlea, erübrigt sich die
Frage. Erfolgt die Operation zweizeitig, erscheint
der Zeitraum zwischen erster und zweiter Operation in Bezug auf die nochmalige Durchfüh-
rung eines CT wichtig. Fanden sich im CT vor
der ersten Operation Auffälligkeiten (Otosklerose)
sollte in jedem Falle ein zweites CT erfolgen, um
das Fortschreiten der Otosklerose beurteilen zu
können. Liegt ein Zeitraum von weniger als zwei
Jahren zwischen erster und zweiter Operation und
fand in der Zwischenzeit keine Infektion statt,
führen wir derzeit kein zweites CT durch. Eine
ton- und sprachaudiometrische Kontrolle erfolgt
in jedem Fall. Auf die nochmalige Durchführung
eines Promontorialtests bei regelrechtem Test vor
der ersten Implantation verzichten wir.
Eine besondere Bedeutung kommt der Geschmacks- und Gleichgewichtsprüfung zu. Diese
ist als absolutes Muss jeder bilateralen Versorgung
anzusehen. Hier muss bei einseitigem Verlust der
Geschmacks- und/oder der Gleichgewichtsrezeptoren die Möglichkeit eines beiderseitigen Verlusts
der Geschmacks- und Gleichgewichtsfunktion diskutiert werden. Es muss kritisch der Nutzen einer
bilateralen CI-Versorgung gegen das Risiko eines
Geschmacksverlusts oder einer bilateralen Vestibulopathie abgewogen werden.
Weiteres
In Bezug auf Patienten mit Restgehör, die allein
schon über ihr Tonaudiogram nachweislich über
eine Funktion des N. vestibulocochlearis verfügen,
ist die Notwendigkeit eines Promontorialtests kritisch zu diskutieren.
Patienten mit V. a. zentrale Schwerhörigkeit
sind auch heute noch schwierig zu diagnostizieren.
Hier bieten sich Verfahren wie das PET in Kombination mit der E-BERA oder das fMRT an, um
Hinweise auf die Lokalisation der Schädigung zu
bekommen.
Weiterführende Literatur
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Thieme, Stuttgart New York
Zeng FG, Popper AN, Fay RR (2004) Cochlear implants, auditory prostheses and electric hearing. Springer, Berlin
Heidelberg New York
4
Perioperatives Monitoring
objektiv-audiologischer Daten
im Rahmen der CochlearImplant-Versorgung
D. Basta

▬ Messung der Elektrodenwiderstände,
▬ Ermittlung der elektrisch evozierten Stapediusre-
Das Monitoring von objektiv-audiologischen Daten
während und nach der Operation hat die Aufgabe,
möglichst detaillierte Informationen über die technische und physiologische Funktion des implantierten
Cochlear-Implant(CI)-Systems zu ermitteln. Einerseits
soll dabei die fehlerfreie Arbeitsweise des Systems
nachgewiesen werden. Andererseits sind die erhobenen Daten von großer Bedeutung für die postoperative Nachsorge. So ergeben sich aus den Messungen
wichtige Anhaltspunkte für die Einstellparameter des
Sprachprozessors. Gerade bei Kindern oder bei anderen Patienten, die unzureichende Angaben über die
Wahrnehmung von Tonreizen geben können, werden
die objektiv ermittelten Daten herangezogen.
Letztendlich stehen die objektiven Verfahren des
CI-Monitorings zur Verfügung, um postoperative Komplikationen auszuschließen bzw. die Ursache von Rehabilitationsstörungen ermitteln zu können. Welche
Verfahren im speziellen Fall angewendet werden sollen, wird gemeinsam vom Operateur, dem Audiologen
sowie dem Rehabilitationspädagogen anhand der individuellen Gegebenheiten des Patienten entschieden.
Als Standard haben sich bisher folgende Verfahren
etabliert:
flexschwelle an mindestens drei Elektroden des
CI-Elektrodenträgers,
▬ Bestimmung der elektrischen Erregungsschwelle
des Hörnerven an mindestens vier Elektroden des
CI-Elektrodenträgers.
Erste Funktionsprüfung – die Messung
der Elektrodenwiderstände
Auf dem Elektrodenträger befinden sich je nach
Implantatmodell zwischen 12 und 22 Kontaktflächen. In der Cochlea werden diese von der Perilymphe umgeben, die aufgrund ihres Gehalts an
gelösten Salzen den elektrischen Strom sehr gut
leitet. Um eine Prüfung der fehlerfreien Elektrostimulation an allen Kontakten des Implantats nach
dem Einführen des sehr feinen und verletzlichen
Elektrodenträgers durchzuführen, wird während
der Operation nacheinander an allen Elektroden
ein schwacher Strom appliziert und die Leitfähigkeit bzw. der Widerstand in allen Stimulationsmodi
ermittelt. Das sind bis zu 2 monopolare und 2 bipolare Modi. Bei den monopolaren Modi (⊡ Abb. 4.1)
32
Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
Bipolar (BP, BP+1,.. BP+5)
E1
E22
Elektrodenarray
Common Ground
(CG)
Ballelektrode
E1
4
E22
Monopolar 1 (MP1)
Gehäuseelektrode
Monopolar 2 (MP2)
E3
E22
E3
E22
⊡ Abb. 4.1. Darstellung der vier verschiedenen Modi für die Überprüfung der elektrischen Stimulationsfähigkeit eines CochleaImplantats anhand der Elektrodenwiderstände
erfolgt die Stimulation zwischen Elektroden auf
dem Elektrodenträger und einer extracochleären
Ballelektrode unter der Kopfhaut (Modus 1) bzw.
dem Titangehäuse der Implantatelektronik (Modus
2). Im bipolaren Modus (⊡ Abb. 4.1) wird die Stimulation zwischen benachbarten Elektroden (mindestens eine inaktive Elektrode als Zwischenraum, BP)
oder zwischen einer Elektrode auf dem Elektrodenträger und nacheinander allen anderen intracochleären Elektroden (»common ground«, CG) getestet.
Diese Messungen werden auch postoperativ bei jeder Einstellung des Sprachprozessors durchgeführt,
um feststellen zu können, ob alle Elektroden auf
dem Elektrodenträger für die geplante Elektrostimulation verwendet werden können. Liegt ein sehr
hoher Widerstand in einem monopolaren Modus
vor (am häufigsten verwendeter Stimulationsmodus), kann die Elektrode nicht für die Stimulation
in dem Modus verwendet werden, da kein ausreichender Stromfluss zwischen der intracochleären
Elektrode und der extracochleären Gegenelektrode
(Gehäuse- oder Ballelektrode) möglich ist. Bei
der Messung im bipolaren Modus kann zusätzlich festgestellt werden, ob ein elektrischer Kurz-
schluss zwischen zwei Elektrodenkontakten (meist
infolge einer Beschädigung des Elektrodenträgers)
vorliegt. Wird ein Kurzschluss oder der Ausfall
von Elektroden intraoperativ ermittelt, kann sofort
der möglichen Ursache nachgegangen werden. Anzuführen wären dabei Luftblasen oder Bohrstaub
(entstanden bei der Eröffnung der Cochlea) auf
der Elektrodenoberfläche. In diesen Fällen kann
ein sonst vollständig intakter Elektrodenträger nach
eventueller Reinigung erneut inseriert werden. Außerdem kann auch die mechanische Beschädigung
des Elektrodenträgers während der Insertion in die
Cochlea durch den Chirurgen zu den oben genannten negativen Ergebnissen der Widerstandsmessung führen. Derartige Szenarien sind jedoch in der
aktuellen klinischen Praxis ebenso selten wie eine
herstellungsbedingte Fehlfunktion des Implantats.
Elektrisch evozierter Stapediusreflex
Der Stapediusmuskel kontrahiert sich infolge eines
positiven Reflexbogens bei Lautstärken über ca.
80 dB und hebt dadurch den Stapes (Steigbügel)
33
Bestimmung des elektrischen Dynamikbereichs
leicht an, wodurch die Mittelohrleitfähigkeit um
ca. 20 dB verringert wird. Diese Änderung in der
Beweglichkeit der Mittelohrkette kann im äußeren
Gehörgang anhand von Druckänderungen gemessen werden. Der Nachweis des Stapediusreflexes ist
ein wichtiger Teil der audiologischen Diagnostik
und kann Hinweise für die Differentialdiagnose
neurootologischer Krankheitsbilder geben. Er ist
nur bei Patienten auslösbar, deren Hörverlust aufgrund einer Innenohrschwerhörigkeit in der Prüffrequenz unter 80 dB liegt. Der Stapediusreflex
kann jedoch auch nach einer Ertaubung durch
elektrische Stimulation des Hörnervs bzw. der Spiralganglionzellen in der Cochlea ausgelöst werden
(Battmer et al. 1990). Das macht diesen Funktionstest für die Cochlea-Implantat-Diagnostik interessant. Vor allem bei den intraoperativen physiologischen Funktionstests hat sich die Überprüfung der
Schwellen des elektrisch evozierten Stapediusreflexes als sehr hilfreich erwiesen. Die Messung bietet
die Möglichkeit, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusagen, ob eine Stimulation der Hörbahn bei einer vorliegenden Elektrodenposition
mit normalen Stromwerten erreicht werden kann.
Sie gibt zudem Auskunft, ob die Signalleitung in
der unteren Hörbahn (bis zum oberen Olivenkomplex im Hirnstamm) funktionstüchtig ist.
Meist werden die Schwellen ermittelt, indem
die Stimulation an einer Elektrode des Elektrodenarrays in kleinen Schritten gesteigert wird und
der Chirurg mit Hilfe des Operationsmikroskops
die Kontraktion des Stapediusmuskels (bzw. die
Bewegung der ansetzenden Sehne) registriert und
angibt (semiobjektiv). Eine solche Vorgehensweise
wird für meist 3–4 Elektroden wiederholt und bietet vor allem die oben genannte qualitative Aussage.
Um die Schwellen exakt und objektiv bestimmen
zu können, kann das Auftreten einer Druckänderung im kontralateralen Ohr als Folge einer konsensuellen Reaktion bestimmt werden. Dabei ist
jedoch zu beachten, dass die zentrale Verarbeitung
nicht der bei ipsilateraler Stimulation entspricht.
Direkter und schneller ist die kontinuierliche Ableitung der EMG-Aktivität des Stapediusmuskels
während der Stimulation an einzelnen Elektroden.
Derartig exakt bestimmte Stapediusreflexschwellen
korrelieren gut mit den postoperativ empfundenen oberen Lautstärkewerten (Komfort-Level) und
4
können deshalb für die objektive Einstellung des
Sprachprozessors herangezogen werden (Caner et
al. 2007).
Bestimmung des elektrischen
Dynamikbereichs
Die Möglichkeiten einer postoperativen Hör- und
Sprachrehabilitation hängen zum großen Teil von
einem optimal angepassten Sprachprozessor ab.
Schlecht auf die individuelle physiologische Situation angepasste Prozessoren ermöglichen ein nur
unausgeglichenes Hören und erhöhen zudem den
Eindruck von Störgeräuschen. Obwohl die enorm
große neuronale Plastizität der zentralen Hörbahn
vor allem bei jungen Patienten in kurzer Zeit eine
Habituation an unterschiedlichste Höreindrücke
ermöglicht und somit das Hören im Laufe der Zeit
natürlicher erscheinen lässt, gehen Informationen,
die aufgrund unzureichender Prozessoreinstellungen nicht dargeboten werden, verloren. Um bei
Kindern und anderen Patienten, die schlecht reproduzierbare Angaben während der Prozessoreinstellung machen, alle Eigenschaften eines akustischen Signals möglichst ausgeglichen (natürlich)
anbieten zu können, wird objektiv möglichst exakt
je Elektrode ermittelt, wie viel Strom benötigt wird,
um gerade einen Ton bei elektrischer Stimulation
wahrzunehmen und wie viel Strom notwendig ist,
um angenehm laut zu hören. Vor allem der Verlauf
der Schwellen innerhalb des Elektrodenarrays (alle
Frequenzen ausgeglichen laut) ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Der absolute elektrische
Dynamikbereich (Hörschwelle bis angenehm laut)
kann insgesamt nachträglich bei allen Elektroden
gleichzeitig verschoben werden (ohne ihn aufzuweiten). Ein aufgrund der noch sehr experimentellen Messerfassung bisher selten angewendetes
Verfahren stellt hierbei die oben beschriebene
objektive Ermittlung der Stapediusreflexschwellen
mittels EMG dar. Vielmehr wird die von allen
Herstellern mittlerweile im Implantat integrierte
Möglichkeit der Messung von elektrisch evozierten Hörnervpotentialen verwendet. Dafür wurde
ein Messverstärker im Implantat installiert, der
telemetrisch (wie auch bei der Stimulation) angesteuert wird. Zudem wurde das Senden der Mess-
34
4
Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
⊡ Abb. 4.2. Messparadigma zur
Aufnahme von elektrisch evozierten
Hörnnervpotentialen mit Hilfe eines
Cochlea-Implantats. Die Stimulation
erfolgt zwischen einer Elektrode auf
dem Elektrodenträger in der Cochlea
und dem Implantatgehäuse. Das
Hörnervpotential wird zwischen
einer benachbarten Elektrode und
einer separaten extracochleären
Elektrode gemessen. Das Insert stellt
Hörnervpotentiale bei ansteigender
elektrischer Stimulation dar
Aufnahme
Aufnahme
ergebnisse vom Implantat ermöglicht (Reverse-Telemetrie). Um die elektrische Auslösbarkeit einer
physiologischen Reaktion am Hörnerv zu prüfen,
kann an einer beliebigen Elektrode stimuliert und
an einer benachbarten Elektrode die Reaktion registriert werden. Während der Stimulation dient
das Titangehäuse des Implantats als Referenzelektrode und bei der Ableitung der Antwort wird
eine weitere extracochleäre Elektrode als Referenz
verwendet (⊡ Abb. 4.2). Nur so kann die zeitliche
Trennung zwischen Stimulation und Aufnahme
sowie das benötigte gute Signal-Rausch-Verhältnis
ermöglicht werden. Wie bei den meisten Messungen biologischer Ströme werden alle Antworten
gemittelt. Da das gemessene Potential sehr klein
ist (ca. 50–500 μV) und mit sehr geringer Latenz
dem Stimulus folgt (ca. 500 μs), können zusätzlich
verschiedene Messparadigmen verwendet werden,
um eine gute Aufnahme zu ermöglichen. Dazu
zählen die Foreward-masker- oder die Alternatingpolarity-Technik. Mit Hilfe dieser Methoden wird
der Stimulusartefakt erkannt und aus der Messung
herausgerechnet. Die kleinste erkennbare neuronale Antwort wird für die Einstellung des Sprachprozessors herangezogen. Der für diese minimale
Reaktion benötigte Stromwert korreliert im Verlauf über die Elektroden bei den meisten Patienten
hinreichend gut mit der elektrischen Hörschwelle
(Basta et al. 2007). Die Ergebnisse dieser objektiven Messungen liegen jedoch oft deutlich über
Stimulation
Stimulation
den subjektiv angegebenen Werten und müssen im
Falle einer auf objektiven Messdaten basierender
Prozessoreinstellung mit Hilfe von Patientenangaben oder -reaktionen angepasst werden.
Funktionsprüfung der aufsteigenden
Hörbahn
Trotz regelmäßigen, sorgfältig erstellten Prozessoreinstellungen kann es bei CI-Patienten zu Verzögerungen in der Hör- und Sprachrehabilitation
kommen. In diesen Fällen besteht die Möglichkeit,
eine Funktionsprüfung der Erregungsleitung bzw.
der Signalverarbeitung in einzelnen Strukturen der
zentralnervösen Hörbahn durchzuführen. Dazu
können bildgebende Verfahren verwendet werden,
die eine Quantifizierung der Erregung in bestimmten zentralnervösen Strukturen bei Aktivierung
des Cochlea-Implantat-Systems ermöglichen. In
der Praxis findet vor allem die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) Anwendung. Die funktionelle Magnetresonanztomographie stellt aufgrund
des implantatinduzierten Bildschattens und der für
hoch auflösende Bilddaten notwendigen Entfernung des Haltemagneten aus dem Implantat eine
nachrangige Methode dar. Bei beiden Untersuchungen werden dem Patienten über den Audioeingang des Sprachprozessors Ton- oder Sprachsignale angeboten, die im Normalfall eine, vom
35
Funktionsprüfung der aufsteigenden Hörbahn
4
⊡ Abb. 4.3. Ergebnisse der Positronen-Emissions-Tomographie eines einseitig versorgten CI-Patienten. Die Rauten und Kreuze
zeigen die Aktivität am Anfang der zentralen Hörbahn (Nucleus cochlearis). Rauten markieren die implantierte Seite. Rechtecke
und Kreise stellen die Aktivität im Colliculus inferior (Mittelhirn) dar. Die Rechtecke geben dabei die Signale der implantierten
Seite an. Vom Zeitpunkt 5 bis 14 wurde über den Sprachprozessor stimuliert. Die Zunahme der Differenz zwischen der Aktivität
beider Seiten ist während der Stimulation im Nucleus cochlearis deutlich zu erkennen. Hingegen führt die Stimulation zu keiner
veränderten Aktivität im Colliculus inferior. Es liegt somit eine postoperativ erworbene zentrale Leitungsstörung vor
Grundumsatz verschiedene Aktivierung innerhalb
der Hörbahn hervorrufen. Diese Aktivierung ist
im PET-Bild als Kontrast sichtbar (⊡ Abb. 4.3).
Weit häufiger wird für die Funktionsprüfung
der zentralen Hörbahn die Ableitung evozierter
Potentiale eingesetzt. Dabei kann, wie auch in
der normalen audiologischen Praxis üblich, die
durch einen Stimulus erzeugte Aktivität in den
Zentren der Hörbahn als Summenaktionspotential
der erregten Neuronen von der Kopfhaut abgeleitet
werden. Den Stimulus bildet normalerweise ein
Ton mit definierter Frequenz und Lautstärke. Die
Zuordnung der gemessenen Aktivität zu bestimmten Abschnitten der Hörbahn erfolgt anhand der
für die Areale spezifischen Latenz. Diese Methode
kann in der gleichen Art und Weise auch für
die CI-Diagnostik verwendet werden, mit dem
Unterschied, dass anstelle eines Tons ein elektrischer Reiz die Erregung in der Hörbahn auslöst.
Dabei ist jedoch die Verkürzung aller Latenzen
infolge der direkten Stimulation des Nervus acusticus (Spiralganglien) zu beachten. Werden die
Nervenfasern direkt stimuliert, wird die Zeit für
die Weiterleitung des Signals im Mittel- und Innenohr sowie an der 1. Synapse zwischen Haarsinneszelle und Ganglienzelle eingespart. Zudem sind
meist die Antworten der ersten beiden Zentren
der Hörbahn aufgrund des geringen Zeitabstands
zum elektrischen Stimulus und seinem kapazitiven
Einfluss auf die Messerfassung nicht ableitbar. Die
Aktivität aller weiteren Verarbeitungszentren der
Hörbahn ist bis hin zu dem für die Wahrnehmung
zuständigen Areal (auditorischer Kortex) registrierbar. Die Untersuchung der elektrisch evozierten frühen (eBera, Hirnstamm und Mittelhirn,
bis ca. 10 ms), mittleren (eMLR, Thalamus, bis
ca. 60 ms) und späten (eCera, auditorischer Kortex, bis ca. 300 ms) Potentiale wird jedoch meist
aufgrund unterschiedlicher Anforderungen an die
Messeinstellung und verschiedener Dimensionen
der Antworten in separaten Messungen durchgeführt. In der CI-Praxis kommt der eBera die größte
Bedeutung zu. Sie ist wie die normale Hirnstammaudiometrie nicht von der Vigilanz des Patienten
abhängig und kann auch in Narkose durchgeführt
werden (Messungen während der Operation möglich). Da die abgeleiteten Potentiale sehr klein sind
(nV-Bereich), müssen zeitaufwendige Messwiederholungen (> 1000) und Mittelungen der Antworten
durchgeführt werden, um das Signal vom Rauschen
zu trennen. Aufgrund dieses Zeitaufwands findet
die Methode bisher keinen routinemäßigen Einsatz
in der objektiven Bestimmung der kanalspezifischen elektrischen Hörschwelle. Es ist jedoch zu
erwarten, dass sich die Korrelation zwischen den
objektiv ermittelten Schwellen und den subjektiven Patientenangaben in dem Maße verbessert, in
dem die objektiven Daten von möglichst höheren
Abschnitten der Hörbahn erfasst werden. Deshalb
werden oft bei Patienten mit verzögerter Entwick-
36
Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
4
⊡ Abb. 4.4. Ergebnisse des Electric Field Imaging. Das linke Bild zeigt die Resultate der kombinierten Widerstandsmessungen
zwischen den Elektroden des Cochlea-Implantat-Elektrodenträgers. Rechts sind daraus errechnete Modelle hinsichtlich des
dreidimensionalen Stromflusses in der Cochlea dargestellt
lung der Hör- und Sprachrehabilitation Prozessoreinstellungen auf der Basis von eBera-Messungen
erstellt. Potentiale später und mittlerer Latenz sind
aufgrund der Beeinflussbarkeit durch den Patienten weniger in ihrer Schwelle reproduzierbar und
werden deshalb eher zur Abklärung zentraler auditorischer Pathologien als zur Optimierung der
Sprachprozessorprogrammierung verwendet.
Monitoring der Elektrostimulation
in der Cochlea
Bei einigen Fragestellungen ist es hilfreich, exakte
Informationen über den individuellen Verlauf des
Stromflusses in der Cochlea und über die Ausbreitung der Erregung innerhalb der peripheren neuronalen Gewebe zu gewinnen. Um ein Bild über
den Stromfluss in der Cochlea zu erhalten, verwendet man eine Kombination von Widerstandsmessungen zwischen den Elektroden des Elektrodenarrays. Aus den Ergebnissen kann ein Modell
des individuellen Stromflusses in der dreidimensionalen Cochlea berechnet werden (⊡ Abb. 4.4).
Das als Electric Field Imaging (EFI) bezeichnete
Verfahren kann Anomalien hinsichtlich der Lage
der Elektrode in der Cochlea sowie Kurzschlüsse
zwischen den Elektrodenkontakten aufdecken. Die
räumliche Verteilung des Stimulationsstroms hat
auch für die Messung der Erregungsausbreitung
in der Cochlea (»spread of excitation«; SOE) eine
große Bedeutung. Im Gegensatz zum EFI werden bei der Messung des SOE aktive Antworten
der Hörnervfasern registriert. Es wird geprüft, ob
Spiralganglienzellen an benachbarten Elektrodenkontakten antworten, wenn an einem Elektrodenkontakt stimuliert wird. Die Messung gibt somit
Auskunft darüber, wie stark die Erregung bei einer
lokalen Stimulation streut (⊡ Abb. 4.5). Die Information darüber ist sehr wichtig, da jedem Elektrodenkontakt ein bestimmter Frequenzbereich im
Audiosignal zugewiesen ist. Wird bei der Stimulation eines Kontaktes der Bereich benachbarter
Elektroden miterregt, kommt es zu einer Verringerung der Tonhöhenunterscheidungsfähigkeit und
somit zu einem undifferenzierteren bzw. unnatürlicheren Höreindruck. Gerade weil sich die aktuelle Weiterentwicklung von CI-Systemen mit der
Verbesserung des Musikhörens beschäftigt, nimmt
die Bedeutung der Messung des SOE stark zu.
Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass
die Messung an den untersten Strukturen der Hörbahn (Hörnerv) erfolgt und somit vor allem die
individuellen physiologischen und medizintechnisch/anatomischen Vorraussetzungen einer guten
Frequenzunterscheidung getestet wird.
37
Objektivierung von postoperativen Beschwerdebildern
4
⊡ Abb. 4.5. Ergebnisse einer Messung der Erregungsausbreitung in der Cochlea (»spread of excitation«). Die Stimulation erfolgte
an Elektrode 5. Die Amplituden der Hörnervantworten werden mit zunehmendem Abstand zur Stimulationselektrode kleiner.
Das linke Insert zeigt Hörnervpotentiale bei Stimulation an Elektrode 5 und Ableitung an den Elektroden 8–11 [bei gleich bleibender Stimulationsstromstärke von 210 Einheiten (≈ 703 μA)]. Das rechte Insert beschreibt eine mögliche Quantifizierung der
Erregungsstreuung anhand des linearen Anstieges der auf- und abfallenden Flanke der Verteilung
Objektivierung von postoperativen
Beschwerdebildern
Medizintechnische und chirurgische Innovationen
der letzten 20 Jahre haben Cochlea-Implantate
zu einer sehr sicheren Therapieform entwickelt.
Neben den allgemeinen Risiken einer Operation
im Kopf-Hals-Bereich unter Vollnarkose kann die
Cochlea-Implantat-Operation im Einzelfall jedoch
sehr spezifische postoperative Probleme mit sich
bringen. Diese lassen sich durch verschiedene
Messverfahren objektivieren bzw. noch während
der Operation ausschließen.
Die häufigste Nebenwirkung aktueller Cochlea-Implantat-Operationen ist ein postoperatives
Schwindelgefühl. Meist ist dieser Schwindel von
kurzer Dauer und wird im Verlauf der ersten ein
bis zwei Wochen vollständig eliminiert. Einige
Patienten berichten jedoch über lang anhaltende
Schwindelbeschwerden, die ihre Lebensqualität
stark beeinträchtigen. Es hat sich gezeigt, dass
diese Schwindelbeschwerden meist mit einer gestörten Funktion der Otolithenorgane (speziell des
Sacculus) oder einer elektrischen Kostimulation
des Gleichgewichtsnerven einhergehen (Basta et
al. 2008). Das Auftreten des letzteren Effekts kann
intraoperativ ausgeschlossen werden, indem mit
einem maximal zu erwartenden Stromwert speziell
an den apikalen Elektroden stimuliert wird und
die reflektorischen Muskelantworten (als Potentiale) am tonisch aktivierten (gestreckten) Musculus
sternocleidomastoideus registriert werden. Treten
derartige Potentiale auf, liegt eine Kostimulation
des Nervus vestibularis vor. Falls diese nicht durch
eine Repositionierung der Elektrode behoben
werden kann, sollten die individuell ermittelten
Schwellen für die Kostimulation bei der Programmierung des Sprachprozessors beachtet werden.
Aufgrund der engen Lagebeziehung des Nervus
facialis zur Cochlea, wird seine ungestörte Funk-
38
4
Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
tion oft während der gesamten Operation anhand
der Aktivität der Effektoren (Teile der Gesichtsmuskulatur) überwacht. Postoperativ liegt eine
Gefahr der Funktionsbeeinträchtigung des Nervus
facialis in der elektrischen Kostimulation (Smullen
et al. 2005). Diese ist im Falle hoher Stromwerte im
monoploraren Modus (große Streuung der Erregung) deutlich beim Patienten zu beobachten und
wird von ihm auch klar als störend angegeben. In
der normalen Anwendung des Cochlea-ImplantatSystems sollte der Nervus facialis jedoch keinesfalls
mitstimuliert werden, um funktionelle Ausfälle infolge einer Parese zu vermeiden. Die Schwellen
für eine eventuelle Kostimulation können intraoperativ mit Hilfe der Registrierung der Aktivität
des Musculus orbicularis oculi und Musculus orbicularis oris bei intracochleärer elektrischer Stimulation ermittelt werden. Postoperativ kann eine
Ableitung der Aktivität dieser beiden Muskeln bei
aktiviertem Cochlea-Implantat-System Klarheit
über eine mögliche Kostimulation bringen. Wird
diese festgestellt, kann sie durch den Wechsel des
Stimulationsmodus (monopolar zu bipolar) oder
die Reduzierung des maximalen Stromlevels an
einzelnen Elektroden verhindert werden.
Literatur
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stapedius reflex in cochlear implant patients. Ear Hearing
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Neurotol 12: 113–118
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Smullen JL, Polak M, Hodges AV, Payne SB, Telischi FF, Balkany
TJ (2005) Facial nerve stimulation after cochlear implantation. Laryngoscope 115: 977–982
5
Technologisch-chirurgischer Fortschritt
bei der Cochlear Implantation
A. Aschendorff, K. Gollner, W. Maier, R. Beck, T. Wesarg, S. Kröger,
S. Arndt, R. Laszig
Sektion Cochlear Implant, Univ.-HNO-Klinik Freiburg
Einleitung
Die Cochlear-Implant (CI)-Versorgung ertaubter
und taub geborener Kinder und Erwachsener ist
eine heute allgemein akzeptierte Therapie. Technologisch-chirurgische Fortschritte, die allgemein
in der Medizin beobachtet werden, führen jedoch
auch bei der CI-Versorgung zu Veränderungen. So
erweitert sich die Indikation von der kompletten
beidseitigen Taubheit hin zur Resthörigkeit. Auch
das Alter bei Operation ist einer stetigen Veränderung unterworfen. Nicht nur werden Kinder immer
früher, heute idealerweise im Alter von etwa 12 Monaten, bei angeborener Taubheit mit einem CI versorgt; auch Erwachsene können selbst im hohen
Lebensalter von einer CI-Versorgung profitieren.
Implantate und Sprachprozessoren profitieren in
ihrer Weiterentwicklung von Verbesserungen der
Prozessortechnik, so dass die Größe der Implantate
reduziert werden kann, aber auch die Stromversorgungsmöglichkeiten (zum Beispiel Batterien oder
Akkus) weiter verbessert werden. Selbst die Operation unterliegt einer Weiterentwicklung, indem
heute in erster Linie minimal-invasive Verfahren
zur Anwendung kommen, wodurch die Operations- und Krankenhauszeit für die Patienten insgesamt reduziert werden konnte, dies unter Beachtung höchster Qualitätsstandards, um ein optimales
Ergebnis zu erreichen. Auch die in die Hörschnecke
eingeführten Elektroden unterliegen Weiterentwicklungen, so dass heute die von Lehnhardt beschriebene Soft-Surgery-Technik (Lehnhardt 1993)
einen sehr hohen Stellenwert hat. Die heute und
auch zukünftig einzusetzenden Elektroden werden
weitgehend atraumatisch sein und erlauben die Erhaltung eines Restgehörs. Um dem hohen Standard
der Cochlear-Implant-Versorgung in Deutschland
gerecht zu werden, halten wir Qualitätskontrollen
für unabdingbar, da wir zeigen konnten, dass die
Art der Positionierung einer Elektrode im Innenohr (idealerweise in der Scala tympani) einen Einfluss auf die möglichen Rehabilitationsergebnisse,
mindestens im Erwachsenenalter, hat. Weitere zukunftsträchtige Technologien wie die Navigation
oder der Einsatz von Operationsrobotern werden
zum Teil bereits realisiert und mögen weiterhin
helfen, in der Zukunft die chirurgischen Ergebnisse
noch zu verbessern. Im Folgenden gehen wir auf
die genannten Einzelpunkte ein.
Zur Indikation der Cochlear-ImplantVersorgung
Ende der achtziger Jahre war eine beidseitige komplette Taubheit Indikation für die Versorgung mit
40
5
Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
einem Cochlear Implant. Generell erfolgte zu dieser Zeit die CI-Versorgung einseitig, dabei wurde
nach Möglichkeit das Ohr mit der kürzestens
Taubheitsdauer und den anatomisch günstigsten
Bedingungen ausgewählt. Unklar war zu diesem
Zeitpunkt, ob die CI-Versorgung bei Mehrfachbehinderungen, Teilobliterationen oder sogar bei einem Restgehör erfolgversprechend sei. Die Erfolge
der CI-Versorgung (Lehnhardt und Aschendorff
1995) waren letzten Endes so überwältigend, dass
bereits 1993 Lehnhardt den Soft-Surgery-Zugang
vorschlug, um auch Resthörige von einem CI profitieren lassen zu können. Insgesamt hat sich zum
jetzigen Zeitpunkt ein Sprachverstehen von 30 %
Einsilbern mit Hörgerät auf dem besseren Ohr
(gemessen bei 70 dB SPL) durchgesetzt. Hier sind
jedoch in der Zukunft weitere Veränderungen in
Richtung eines besseren Restgehörs zu erwarten.
Betrachtet man die Hörschwelle vor Operation, so
ist im amerikanischen und englischen Raum ein
durchschnittlicher Hörverlust von > 70 dB im Reintonaudiogramm (Mittelung über die einzelnen Frequenzen) sowie ein Sprachverstehen < 50 % bereits
ein akzeptierter Standard. Eigene Untersuchungen bei erwachsenen Patienten, die ein CI an der
Universitäts-HNO-Klinik erhalten haben, zeigten
bei n=200 Erwachsenen einen mittleren Hörverlust
von rechts 86,1 dB (Standardabweichung 20,6) und
links 85,1 dB (Standardabweichung 21,5). Die mittlere Einsilberverständlichkeit für diese Erwachsenengruppe betrug 5 % Einsilber bei 70 dB mit Hörgerät (Bereich 0–25 %). Das bedeutet, dass heute
im Mittel zumindest in Deutschland die Patienten
relativ spät ein Cochlear Implantat erhalten, auch
das mittlere Einsilberverständnis zeigt, dass der
im Moment allgemein akzeptierte obere Bereich
von 30 % Einsilbern nicht erreicht wird. Dennoch
ist zu erwarten, dass mit weiteren Verbesserungen
der intracochleären Elektroden (s. u. Abschnitt Hybridversorgung) die Einschlusskriterien auf 50 %
Einsilber gemessen bei 65 dB SPL mit Hörgerät
steigen werden. Betrachtet man die Ergebnisse der
Rehabilitation, so ist unter diesen Voraussetzungen
zu erwarten, dass unsere Patienten mit CI über ein
signifikant besseres Sprachverstehen als vor der
Versorgung verfügen werden.
Während die Indikation bei beidseitiger kompletter Taubheit im Kindesalter mit fehlenden
Reizantworten in der BERA-Untersuchung sowie
fehlenden Potentialen in der Elektrocochleographie recht klar zu stellen ist, so findet sich bei
älteren Kindern, die ein Restgehör hatten und
dies durch eine Progredienz ihrer Schwerhörigkeit verloren haben, zumindest im Durchschnitt
ein schlechteres gemitteltes Reintonaudiogramm,
wenn diese Kinder dann tatsächlich ein Cochlear
Implant erhalten. Es scheint also sinnvoll, hier die
Indikation insbesondere bei der Versorgung älterer Kinder zu überdenken und wissenschaftlich
zu verfolgen, um genau diesen Patienten optimale
Rehabilitationsvoraussetzungen zu geben. So besteht aus unserer Sicht vermehrt Aufklärungsbedarf der betreuenden Kinderärzte, HNO-Ärzte
und Pädaudiologen.
Das Alter bei Cochlear-ImplantOperation
Voraussetzung der Cochlear-Implant-Versorgung
ist eine sichere Diagnose der beidseitigen hochgradigen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit
oder Taubheit sowie ein vertretbares chirurgisches
und anästhesiologisches Risiko. Betrachten wir
beispielsweise die an der Universitäts-HNO-Klinik Freiburg versorgten Patienten (n>1300), so
findet sich für Kinder zur Zeit ein Altersgipfel zwischen 1 und 2 Jahren, das mittlere Alter
der erwachsenen Patienten liegt bei knapp über
40 Jahren. Während im englischsprachigen Raum
(USA und Großbritannien) eine CI-Versorgung
im Kinderalter regelmäßig erst ab dem Alter
von 12 Monaten erfolgt (dies bedingt durch die
Vorgaben der FDA=US amerikanische gesetzliche Regulierungsbehörde und weiterer gesetzlicher Vorgaben), so findet sich in Deutschland
die Tendenz, Kinder bereits innerhalb des ersten
Lebensjahres zu operieren. Bedingt durch immer
mehr Geburtskliniken, Kinderärzte und HNOÄrzte, die an einem Neugeborenen-Hörscreening
teilnehmen, kann bei angeborener Taubheit oder
an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit eine sichere Diagnose bereits im Alter von 4 Monaten
gestellt werden. Erfolgt dann zügig eine Hörgeräteversorgung beidseits, die jedoch nicht zum
Einsetzen einer Sprachentwicklung führt, so ist
41
Zur Entwicklung der Implantate aus chirurgischer Sicht
in Zukunft zu erwarten, dass Kinder im Alter
zwischen 6 und 10 Monaten mit einem CI versorgt werden können (Gross et al. 2004). Das
chirurgische Vorgehen bei sehr jungen Kindern
im Alter < 12 Monate verlangt jedoch spezielle
Voraussetzungen von der implantierenden Klinik.
So ist neben einer sicheren chirurgischen Technik
mit kurzen Operationszeiten, idealerweise unter
einer Stunde, die anästhesiologische Betreuung
durch spezialisierte Anästhesisten erforderlich.
Der Blutverlust während der Operation muss minimal sein und Möglichkeiten der kinderintensivmedizinischen Betreuung müssen zur Verfügung
stehen. Aus eigener Erfahrung kann die Operation
auch im Alter von < sechs Monaten unproblematisch sein. Unser jüngstes Kind wurde im Alter
von 123 Tagen nach bakterieller Meningitis mit
beginnender Obliteration simultan beidseitig mit
einem Cochlear Implant versorgt. Dennoch stellt
dieses Vorgehen heute noch eine Ausnahme dar.
Sinnvoll erscheint die CI-Versorgung sehr junger
Kinder in hochspezialisierten Zentren durchzuführen, um die perioperativen Risiken so gering
wie möglich zu halten.
Bei Erwachsenen ist generell die CI-Operation als unproblematisch anzusehen. Dennoch
beobachten wir in letzter Zeit eine Veränderung,
indem auch ältere Patienten zunehmend mit einem CI versorgt werden (unser ältester Patient
war zum Zeitpunkt der CI-Operation 82 Jahre
alt). Angesichts des demographischen Wandels
in Deutschland ist zu erwarten, dass in Zukunft
das mittlere Alter bei CI-Versorgung von heute
knapp über 40 Jahren deutlich ansteigen wird.
Auch hier bestehen aus anästhesiologischer Sicht
Herausforderungen, da mit zunehmendem Alter zusätzliche Erkrankungen, insbesondere des
Herz-Kreislauf-Systems, eine Operation erschweren können. So ist auch für die Versorgung älterer
Patienten eine verlässliche Operationstechnik und
kurze Operationszeit zu fordern, um die perioperative Morbidität so gering wie möglich zu halten.
Die Ergebnisse nach CI-Versorgung im höheren
Lebensalter sind ausgezeichnet. Eigene Untersuchungen, aber auch internationale Erfahrungen,
zeigen auch für ältere Erwachsene vergleichbar
sehr gute Ergebnisse (Orabi et al. 2006, Vermeire
et al. 2005).
5
Zur Entwicklung der Implantate
aus chirurgischer Sicht
Standard in der CI-Versorgung ist heute der Einsatz intracochleärer Elektroden mit unterschiedlicher Kanalzahl (22 bei Nucleus-Implantaten,
16 bei Advanced Bionics-Implantaten, 12 bei
Med-El-Implantaten) sowie die Verwendung von
teilimplantierbaren Systemen, das heißt, dass nach
wie vor ein sogenannter Sprachprozessor getragen wird. Dieser nimmt über ein Mikrophon die
Hörsignale auf, codiert sie und sendet sie an das
Implantat. Auch die Stromversorgung erfolgt über
den Sprachprozessor. Die Signalübertragung erfolgt transkutan, das heißt durch die intakte Haut,
wobei die sogenannte Spule des Sprachprozessors
über einen inneren und äußeren Magneten gehalten wird. In der Entwicklung der Implantate zeigt
sich eine deutliche Verkleinerung; auch wurden
Keramikkapseln mittlerweile weitgehend verlassen.
Zum Einsatz gelangen Metalle wie Platin-IridiumLegierungen, umhüllt von Silikon. Hierbei hat sich
gezeigt, dass für diese Implantate eine sehr hohe
Biokompatibilität besteht. Allergische Reaktionen
stellen Raritäten dar. Aufgrund der Verkleinerung
der Implantate ist eine sichere Platzierung auch
bei Kindern mit noch sehr dünnem Schädelknochen heute sicher durchzuführen; auch dies ist
eine Voraussetzung für die CI-Versorgung immer
jüngerer Kinder. Während noch initial Bedenken
bestanden, ob eine intracochleäre Elektrodenpositionierung nicht zu einer Traumatisierung des
weitgehend tauben Innenohres mit anschließender
neuraler Degeneration führen könne (Simmons
1969, Schindler und Merzenich 1973 und Clark
et al. 1975), ist es mit den heutigen Implantaten
möglich, eine Insertion, also das Einführen des
Elektrodenträgers weitgehend atraumatisch durchzuführen (Clark 1977, Klenzner et al. 2004, Richter
et al. 2001). Zur Verfügung stehen heute gerade,
vorgeformte, perimodioläre, kurze oder lange
Elektroden, die je nach anatomischer Situation
verwendet werden können.
Auch die Sprachprozessoren haben eine Weiterentwicklung durchgemacht, dies insbesondere
bedingt durch Fortschritte in der Computertechnologie. So ist heute die Verwendung eines
HdO- (Hinter dem Ohr) Sprachprozessors selbst-
42
5
Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
verständlich. Dadurch werden im Gegensatz zu
den früheren Taschenprozessoren unsere Patienten weitgehend nicht mehr durch störende Kabel
eingeschränkt. Dennoch ist hier insbesondere im
Hinblick auf die Versorgung von Kleinstkindern
eine weitere Verkleinerung der Systeme zu fordern.
Die Sprachkodierungsstrategien, die für jeden Implantattyp, je nach Hersteller, spezifisch verwendet
werden, zeichnen sich heute durch immer schnellere Kodierungsstrategien, fortschrittliche Sprachund Musikkodierungen sowie durch den Einsatz
virtueller Kanäle aus. Dadurch soll eine feinere
Darstellung des Klang- und Sprachspektrums erreicht werden, um nicht nur das Sprachverstehen, sondern auch das Musikhören (z. B. MP3000/
Nucleus, HiRes/Advanced Bionics, FSP/Med-El)
zu verbessern. Bereits die Sprachvorverarbeitung
bemüht sich heute, die aus der Hörgerätetechnologie bekannten Techniken einzusetzen, in denen
beispielsweise das Hintergrundrauschen, also der
Störlärm, weitgehend reduziert wird. Die Weiterentwicklung der Sprachkodierungsstrategien ist
insbesondere für das Sprachverstehen von Bedeutung. Bisherige Untersuchungen konnten bei Verwendung fortschrittlicher Kodierungsstrategien
gegenüber den herkömmlichen (z. B. MPEAK, CIS,
CA) mehrheitlich eine Verbesserung des Sprachverstehens nachweisen; dies ist auch für die derzeit
in Erprobung befindlichen zu erwarten.
In Erprobung befinden sich zurzeit erste vollimplantierbare Systeme. Problematisch ist dabei
die reduzierte Empfindlichkeit des unter Haut und
Muskulatur liegenden Mikrophons, das auch körpereigene Geräusche (z. B. Blutfluss, Kaugeräusche
etc.) überträgt. Auch bedingt die notwendige Implantation eines Akkus das Potential einer Reimplantation, da diese nur eine beschränkte „Lebenszeit“ von einigen Jahren haben. Dieser Akku muss
darüber hinaus regelmäßig wieder aufgeladen werden. Weitere Entwicklungen sind hier abzuwarten,
bevor ein klinischer Einsatz möglich wird.
Chirurgischer Zugang zum Cochlear
Implant
Die Cochlear-Implant-Operation stellt heute einen weitgehend standardisierten chirurgischen
Eingriff dar. Die einzelnen Operationsschritte
werden im Folgenden erläutert. Während initial
die sogenannte erweiterte endaurale Inzision, mit
einem großen Hautschnitt über 10 cm, eine weite
Verbreitung gefunden hatte, wird diese Inzision
heute nur noch bei spezieller Indikation (z. B. bei
Versorgung von Radikalhöhlen, speziellen Hauterkrankungen und anderen) angewendet. Durchgesetzt hat sich seit etwa 5 Jahren ein minimal-invasiver Zugang (Aschendorff et al. 2005). Hierbei
folgt vergleichbar mit dem Zugang zur Tympanoplastik eine relativ kurze retroaurikuläre Inzision
(⊡ Abb. 5.1). Nach unserer Erfahrung handelt es
sich hierbei um einen sehr sicheren Zugang, der
in jedem Alter angewendet werden kann. Voraussetzung dafür ist eine verlässliche Blutversorgung. Auch muss jedweder chirurgische Zugang
die Möglichkeit einer Reimplantation erlauben. Es
ist heute davon auszugehen, dass es z. B. bei der
Versorgung von Kleinkindern mit einer Lebenserwartung von über 80 Jahren in ihrem Leben
zu technischen Ausfällen und Reimplantationen
kommen wird.
Dem Hautschnitt schließt sich die Mastoidektomie, das Ausbohren des Warzenfortsatzes, sowie
die Anlage eines Knochenbettes für das Implantat
und die Elektrodenträger an. Dies erscheint von
besonderer Bedeutung, um eine Migration des Implantates zu vermeiden. Zwar gibt es im Rahmen
der Verkleinerung des Hautschnitts immer wieder
Berichte, ein Knochenbett nicht mehr anzulegen
und das Implantat bei nur geringer Knochendichte
nicht zu fixieren. Hiervon muss jedoch dringend
abgeraten werden, um kein Risiko für Revisionsoperationen durch eine Migration des CI einzugehen
Um einen Zugang zur Hörschnecke, dies vom
Mittelohr aus, zu erreichen, wird über die Mastoidektomie eine sog. posteriore Tympanotomie
angelegt (⊡ Abb. 5.2). Dabei wird vom Warzenfortgang ein Zugang zwischen Nervus facialis
(Gesichtsnerv) und der Chorda tympani (Anteil
des Geschmacksnervs) gefräst. Die Cochleostomie, die Eröffnung der Hörschnecke, folgt den
Grundsätzen der Soft-Surgery-Technik (Lehnhardt
1993). Dabei wird der Knochen anterior-inferior
des runden Fensters abgeflacht, bis das Endost
der Scala tympani dargestellt wird. Diese wird
43
Chirurgischer Zugang zum Cochlear Implant
⊡ Abb. 5.1. Nach Implantation mit retroaurikulärem Hautschnitt
⊡ Abb. 5.2. Blick in das Mastoid nach posteriorer Tympanotomie (1: kurzer Amboss-Fortsatz, 2: posteriore Tympanotomie,
3: Promontorium, Ort der Cochleostomie)
schlitzförmig eröffnet und der Elektrodenträger
in die Hörschnecke eingeführt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das sorgfältige Abdichten der
Cochleostomie, z. B. mit kleinen Muskelstückchen.
Dies erfolgt einmal, um eine sichere Narbenbildung um den Elektrodenträger herum zu erreichen
und um möglichen Infektionen vorzubeugen. Darüber hinaus ist diese Abdichtung von Bedeutung
bei das Restgehör erhaltenden Operationen, um
einen Austritt von Perilymphe mit der Möglichkeit des Verlusts des Restgehörs zu vermeiden.
Die Soft-Surgery-Technik wurde ursprünglich für
einen geraden Elektrodenträger entwickelt, kann
jedoch modifiziert ebenfalls mit dem Ziel des
Restgehörerhalts für andere Elektrodenträger (z. B.
5
Contour-Advance-Elektrode/Cochlear sowie FlexEAS-Elektrode/MedEl) angewandt werden. Wieder
im Fokus ist heute die Insertion eines Elektrodenträgers über das runde Fenster direkt. Hierbei werden sehr zarte, gerade Elektrodenträger (HybridLElektrodenträger/Cochlear) verwendet. Dazu muss
der knöcherne Überhang des runden Fensters abgefräst werden, anschließend erfolgen eine sehr
kleine schlitzförmige Eröffnung der Membran des
runden Fensters und dann die Insertion des Elektrodenträgers. Ziel ist hier ebenfalls die Erhaltung
eines Restgehörs (s. unten).
Herausfordernd kann für den Operateur die
Implantation bei Obliteration oder Ossifikation
der Cochlear sein. Eine derartige intracochleäre
Einengung des normalerweise flüssigkeitsgefüllten Raumes tritt insbesondere nach bakterieller
Meningitis auf. Auch wenn heute die Dringlichkeit der CI-Versorgung nach bakterieller Meningitis außer Zweifel steht (Aschendorff et al. 2005),
kann sich eine intracochleäre Verknöcherung
dennoch als erhebliche Erschwernis der Operation herausstellen. Hierzu wurden Techniken entwickelt, entweder einen Teil der Schnecke aufzufräsen, dies unter mikroskopischer Kontrolle mit
entsprechendem Mikroinstrumentarium. Ebenso
wurden spezifische Elektrodenträger (Double Array/Cochlear) entwickelt, um nach Auffräsen sowohl der Basalwindung der Hörschnecke als auch
der zweiten Windung der Hörschnecke das Platzieren von möglichst vielen Elektrodenkontakten
in der Nähe des Hörnerven zu erlauben. Bei einer
kompletten Ossifikation ist es jedoch möglich,
dass eine CI-Versorgung nicht mehr erfolgreich
ist, dann stellt sich heute die Frage des Einsatzes
eines ABI (Auditory Brainstem Implant), um eine
völlig verknöcherte Hörschnecke mit eventuell
degeneriertem Hörnerven direkt zu überbrücken.
Erste Ergebnisse hierzu erscheinen vielversprechend und ermöglichen bei beidseitiger kompletter Ossifikation eine auditorische Ankopplung
(Coletti 2006).
Ebenso von besonderer Bedeutung ist die CIVersorgung im Rahmen von Fehlbildungen. Untersuchung von Jackler 1987 zeigten, dass in der
Computertomographie, die regelmäßig vor der
CI-Operation durchgeführt wird, bei angeborener
Taubheit Fehlbildungen des Innenohres mit einer
44
5
Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
Häufigkeit von etwa 15–20 % zu beobachten sind.
Während diese anatomischen Veränderungen zu
erheblichen chirurgischen Schwierigkeiten bei der
Platzierung intracochleärer Elektroden führen können und dementsprechend früher eine Kontraindikation zur CI-Versorgung darstellten, werden heute
auch komplexe Innenohrfehlbildungen erfolgreich
mit einem CI versorgt. Hierbei hat sich der Einsatz neuester Technologie, nämlich der Navigation,
bewährt (Schipper et al. 2004). Gleichzeitig erlaubt heute die Anwendung der intraoperativen
3D-Volumen-Computertomographie eine direkte
Kontrolle des chirurgischen Ergebnisses, also der
Elektrodenposition. Dies erlaubt eine Verbesserung der chirurgischen Qualität, verhindert gleichzeitig Komplikationen, reduziert die Operationszeit und den Operationsaufwand und verhindert
zusätzliche operative Eingriffe. Allerdings stehen
aufgrund der Kosten derartige Systeme nur in
hochspezialisierten Zentren zur Verfügung. Dennoch ist anzunehmen, dass sie aufgrund der genannten Vorteile eine weitere Verbreitung finden
werden. Eigene Erfahrungen zeigen, dass mittels
intraoperativer Navigation und intraoperativer
radiologischer Kontrolle die sichere Elektrodenplatzierung auch bei komplexesten Fehlbildungen
sicher durchführbar ist.
Elektroakustische Stimulation,
Hybrid-Cochlear-Implant
Bedingt durch die guten Erfahrungen in der Implant-Rehabilitation resthöriger Patienten sowie
die Forschungsergebnisse über einen möglichen
Restgehörerhalt bei Cochlear-Implant-Operation
werden heute Systeme entwickelt, die neben einer
sicheren chirurgischen Elektrodeninsertion mit
Erhalt des Restgehörs einen späteren gleichzeitigen Gebrauch von Sprachprozessor und Hörgerät an einem Ohr erlauben. Hierdurch erwartet
man Synergien zwischen der Elektrostimulation
des Hörnervs und der gleichzeitigen akustischen
Stimulation des noch funktionsfähigen Innenohres. Insbesondere das Sprachverstehen im Störlärm und auch die Musikwahrnehmung sollen
hierdurch verbessert werden. Insbesondere bei
Vorliegen eines sehr guten Restgehörs im Tiefton-
a
b
⊡ Abb. 5.3a,b. a Blick durch die posteriore Tympanotomie nach
Freilegen des runden Fensters (Pfeil: Rund-Fenster-Membran),
b Insertion einer Hybrid-Elektrode durch das runde Fenster
bereich kommen diese CI-Systeme zum Einsatz.
Ursprünglich schlugen von Illberg et al. (1999)
die Verwendung eines kürzeren Elektrodenträgers, der über eine Cochleostomie in Soft-Surgery-Technik eingeführt wird, in Kombination
mit einem Med-El-Implantat vor. Aktuell wird
eine Multicenter-Studie durchgeführt, bei der
ein ebenfalls kürzerer Elektrodenträger über das
runde Fenster in die Scala tympani inseriert wird
(⊡ Abb. 5.3). Die Ergebnisse von von Illberg et al.
und folgende sowie erste Ergebnisse der HybridL-Multicenter-Studie (Leitung: Prof. Dr. T. Lenarz) sind erfolgversprechend. Insbesondere aus
chirurgischer Sicht erscheint die Insertion eines
kürzeren Elektrodenträgers über das runde Fenster mit einer hohen Sicherheit das Restgehör zu
erhalten. Weitere Ergebnisse, vor allem zum Langzeitverlauf, sind jedoch abzuwarten.
45
Qualitätskontrolle
Die derzeitige Indikation für eine elektroakustische Stimulation wird bei maximal 50 % Einsilbern mit Hörgerät bei 65 dB SPL auf der zu implantierenden Seite gesehen.
Qualitätskontrolle
Nicht nur in der Industrie, auch im medizinischen Bereich gewinnt die Kontrolle der Qualität an zunehmender Bedeutung. In einer von
uns durchgeführten PORT-Studie (Postoperative
Rotationstomographie, Aschendorff et al. 2004,
2005 und 2007) untersuchten wir die intracochleäre Elektrodenposition nach Einsatz eines Contour- oder Contour Advance-Elektrodenträgers.
Ziel der Untersuchung, die bei erwachsenen
CI-Patienten mit progredienter Schwerhörigkeit
ohne Fehlbildung durchgeführt wurde, war die
Fragestellung, wie häufig es tatsächlich gelang,
eine Elektrode innerhalb der Scala tympani zu
platzieren. Dazu erhielten erwachsene Patienten postoperativ eine der Computertomographie
ähnliche Untersuchung (Rotationstomographie
bzw. 3D-Volumen-CT). Mittels dieser Technik ist
es heute möglich, die intracochleäre Lage innerhalb der verschiedenen Scalen der Hörschnecke
zu bestimmen. Ziel jeder Cochlear Implantation
ist heute die Insertion eines Elektrodenträgers
möglichst in der Scala tympani. Dies einmal aus
anatomischer Sicht, da die Scala tympani ein
größeres Volumen aufweist. Auch erlaubt sie die
Platzierung der Elektroden näher am Hörnerven. Darüber hinaus ist ein Restgehörerhalt und
ein weitgehend atraumatisches Inserieren des
Elektrodenträgers nur über die Scala tympani zu
erreichen. In einem ersten Studienabschnitt hatten wir wider Erwarten eine hohe Rate an Scala
vestibuli-Insertionen gefunden. Diese Ergebnisse
beeinflussten direkt die chirurgische Qualität und
veränderten die Positionierung der Cochleostomie, so dass im weiteren Verlauf nun eine Scala
tympani-Insertionsrate von 84 % gegenüber initial nur 33 % erreicht wird. Bei Verwendung
des Contour advance-Elektrodenträgers konnten
wir ebenfalls beobachten, dass aufgrund des verbesserten anatomischen Verständnisses und der
Optimierung des Elektrodenträgers im Vergleich
5
zum früheren Contour-Elektrodenträger eine Dislokationsrate, d. h. das Übertreten der Elektrode
aus der Scala tympani in die Scala vestibuli, von
71 auf 22 % gesenkt werden konnte. Das bedeutet
also, dass die Kontrolle der chirurgischen Qualität einen direkten Einfluss hat auf das chirurgische Vorgehen. Es stellte sich darüber hinaus
die Frage, ob denn tatsächlich die Elektrodenlage
einen Einfluss auf die Rehabilitationsergebnisse
hat. Interessanterweise konnte bei einer Untersuchung von 43 erwachsenen Patienten, ebenfalls
mit progredienter Schwerhörigkeit ohne Fehlbildungen, eine signifikante Abhängigkeit der Rehabilitationsergebnisse von der Elektrodenlage
gezeigt werden (Aschendorff et al. 2007). Dabei
zeigte sich in der Cochlear-Implant-Versorgung
für alle Patienten eine erhebliche Verbesserung
im Vergleich zum präoperativen Hörvermögen.
Dennoch zeigte eine statistische Auswertung,
dass eine Implantation in die Scala tympani vorteilhaft ist und die Ergebnisse signifikant besser
waren als nach einer Insertion in die Scala vestibuli. Entsprechend werden heute weltweit Anstrengungen unternommen, eine möglichst hohe
Insertionsrate in die Scala tympani zu erreichen,
dies einmal durch Verbesserungen der Cochleostomietechnik oder aber durch Insertionen über
das runde Fenster.
Demgegenüber muss erwähnt werden, dass in
Ausnahmefällen anatomische Situationen bestehen, die zu einer Insertion in die Scala vestibuli
zwingen können. Dies kann der Fall sein bei einer
Teilobliteration / Vernarbung der Hörschnecke,
z. B. nach Meningitis oder Labyrinthitis. Eigene
Untersuchungen, aber auch Berichte von Bacciu
et al. 2002 sowie Kiefer et al. 2000 zeigen, dass in
diesen Fällen eine Scala vestibuli-Insertion vorteilhaft ist und die Rehabilitationsergebnisse ausgezeichnet sind. Zu bedenken ist allerdings, dass
bei diesen Patienten regelmäßig eine extrem kurze
Taubheitsdauer vorliegt, die diese sehr guten Ergebnisse erklären mag. Eigene Erfahrungen bei der
Scala vestibuli-Insertion nach Meningitis zeigen
ebenfalls exzellente Ergebnisse. Dennoch ist die
chirurgische Qualitätskontrolle von Bedeutung
und beeinflusst das chirurgische Vorgehen und
trägt damit zur Verbesserung der Rehabilitationsergebnisse bei.
46
Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
Fazit
5
Die Cochlear-Implant-Versorgung erfolgt heute
in standardisierter Weise, die eine Implantation
praktisch in jedem Lebensalter ermöglicht. Eine
verlässliche Operationstechnik hilft, das chirurgische Ergebnis zu verbessern und damit optimale
Voraussetzungen für die Rehabilitation zu schaffen.
Weitere technische Verbesserungen werden in Zukunft erfolgen. Auch sie lassen erwarten, dass der
Hörerfolg mit einem Cochlear Implant, zukünftig
auch bilateral, weiter verbessert wird.
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6
Die Entwicklung minimal-invasiver
chirurgischer Verfahren zur
Cochlear-Implant-Versorgung
A. Ernst, I. Todt

Es ist das Ziel eines jeden CI-Chirurgen, möglichst
atraumatisch und schonend im Rahmen des operativen Vorgehens das Implantat und insbesondere die
Elektrode einzusetzen, um so die Belastung für den
Patienten möglichst zu minimieren bei gleichzeitig erhaltener, hoher Qualität der Versorgung.
Dabei gibt es einige wichtige Eckpunkte zu berücksichtigen:
▬ Die äußerlich sichtbare Schnittführung hinter dem
Ohr sollte so klein wie möglich dimensioniert werden.
▬ Trotz minimal-invasiver Schnittführung muss jederzeit eine optimale Übersicht über das Operationsfeld garantiert sein, so dass bei Arbeiten
unter dem Operationsmikroskop und mit dem
Diamantbohrer jederzeit eine gute Sicht auf das
Operationsfeld gewährleistet ist und so auch intraoperative Gefahrensituationen oder anatomische
Besonderheiten jederzeit sicher beherrscht werden können.
▬ Es sollten möglichst alle Elektroden in das Innenohr (die Cochlea) unter Sicht und so atraumatisch
wie möglich (vgl. »soft-surgery technique«) eingeführt werden.
Wenn man diesen heutigen Standard bedenkt und die
historische Entwicklung der CI-Chirurgie nachverfolgt,
so wird der immense Fortschritt in der Versorgung von
tauben und ertaubten Patienten im Bereich der Chirurgie deutlich. Dies soll auf den nächsten Seiten etwas
umfänglicher beschrieben werden.
Der Beginn der Cochlear-ImplantChirurgie
Die Cochlear-Implant-Chirurgie (CI-Chirurgie)
ist in ihren Anfängen mit dem Namen W.F. House,
G. Clark und E. Lehnhardt verbunden. Diese
Chirurgen waren erfahren in der Chirurgie des
Felsenbeins bzw. des Ohres, konnten mit einem
Operationsmikroskop, den dafür erforderlichen
Mikroinstrumenten und insbesondere den Diamantfräsen souverän umgehen. Die chirurgische
Anatomie des Ohres und des Felsenbeins ist eine
komplexe und komplizierte Angelegenheit, da
sich Hirnnerven (z. B. der Gesichtsnerv), große
blutführende Gefäße und Blutleiter (z. B. der
Sinus sigmoideus) sowie das Hör- und Gleichgewichtsorgan (Labyrinth) auf engstem Raum
begegnen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrun-
48
Kapitel 6 · Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur Cochlear-Implant-Versorgung
6
⊡ Abb. 6.1. Beginn der CI-Chirugie in den 80er Jahren (Nucleus 22, COCHLEAR AG): Schnittführung, Implantatelage und Systemkonfiguration im Überblick
gen und dem Spezialistenwissens konnten die
oben genannten Chirurgen so – mit individuellen
Variationen – Zugangswege entwickeln, die eine
sichere Einführung der CI-Elektrode ermöglichten bei gleichzeitig gutem, nicht verrutschendem
Sitz des Implantatkörpers (⊡ Abb. 6.1). Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang,
dass im frühen Anfangsstadium der CI-Chirurgie
auch extracochleäre Elektroden zur Anwendung
kamen. Diese befanden sich außerhalb des Innenohres und wurden auf die Außenwand des
Innenohres (das Promontorium) oder das runde
Fenster aufgeklebt bzw. dort platziert (Banfai et
al. 1978). Prinzipiell waren die Chirurgen sich
darüber einig, dass das Vorgehen zur CochleaImplantation standardisiert werden sollte und neben einer variablen Schnittführung ein Zugang
über den Warzenfortsatz (das sog. Mastoid), die
Nische des Gesichtsnervs (Recessus facialis) in
das Mittelohr erfolgen sollte (Clark 1978; Lehnhardt u. Hirshhorn 1987). Die Öffnung in das
Mittelohr (posteriore Tympanotomie) birgt besonders das Risiko der Gesichtsnervverletzung
(Fazialisparese) in sich. Auf diese Weise waren
jedoch die relevanten Strukturen, die für das Einführen der Elektrode notwendig sind, besonders
gut, sicher und gleichzeitig anatomisch geschützt
durch die knöcherne Umgebung zu erreichen.
Unklar blieb viele Jahre, wie die Schnittführung
gestaltet und wo das eigentliche Implantat platziert werden sollten. Daneben wurde häufig diskutiert, ob eine drahtlose oder eine transkutane
Verbindung (Steckerprinzip) für eine Verbindung
zum Sprachprozessor sinnvoll wäre (Clark 2003).
49
Standardisierung der Operationstechnik
6
Standardisierung der
Operationstechnik
Prinzipiell war man sich Anfang der 80er Jahre
einig geworden, dass der Eingriff so dimensioniert sein sollte, dass auch beim Wachstum des
kindlichen Schädels keine Verschiebungen des Implantats auftreten dürfen, dass die Operation so
risikolos wie jede andere Ohroperation verlaufen
sollte und dass der Hautmuskellappen über dem
Implantat sicheren Schutz bieten sollte. Mittlerweile war man von transkutanen Steckverbindungen abgekommen, so dass das eigentliche Implantat komplett unter der Haut verschwinden konnte.
So entwickelte Pyman und Clark ein standardisiertes Vorgehen für das seinerzeit technologisch am
weitesten entwickelte CI (Nucleus 22) (Lehnhardt
u. Hirshhorn 1987; Clark 2003). Unter antibiotischem Schutz wurde der Ohrbereich rasiert und
ein in die Scheitelregion führender Hautschnitt
entwickelt (⊡ Abb. 6.2), der das über dem Implantat liegende Areal der Hautmuskelschicht möglichst nicht tangiert. So sollte vermieden werden,
dass Infektionen sich in diesem Bereich ausbreiten
können und über dem Implantat die Hautschicht
zerstört werden würde (Clark 2003). Es wurde
dann eine Mastoidektomie mit Freilegen des kurzen Ambossfortsatzes durchgeführt. Dies umfasst
ein weitgehendes Ausbohren der lufthaltigen Zellen im Warzenfortsatz unter Belassen überhängender Knochenränder mit Darstellung des Eingangs
zum Mittelohr. Oberhalb, auf der Oberfläche des
knöchernen Schädels, wurde ein Knochenbett gebohrt, das hinter der Schnittführung lag, sodass in
das Knochenbett nach Ausmessen mit einer Schablone das Implantat eingesenkt werden konnte
(⊡ Abb. 6.3). Dieses wurde mit Fäden fixiert und
ein schmaler knöcherner Tunnel führte zum Mastoid, in das die Elektrode geführt werden konnte.
Als nächsten Operationsschritt eröffnete man
den sog. Chorda-facialis-Winkel, d. h. eine dünne
Knochenlamelle zwischen dem Geschmacksnerv
(Chorda facialis) in der hinteren Gehörgangswand
und dem Gesichtsnerv wurde mit einer feinen
Diamantfräse eröffnet. Hier bestand auch schon
damals die Gefahr einer Gesichtsnervverletzung
bei anatomisch-untypischem Verlauf. Entlang der
hinteren Gehörgangswand ging man dann weiter
⊡ Abb. 6.2. Klassische Schnittführung (nach Clark/Lehnhardt)
aus den 80er bzw. 90er Jahren zur Cochlea-Implantation
⊡ Abb. 6.3. Anlage des Implantatbettes (nach Lehnhardt) in
den 80er Jahren
in Richtung Mittelohr vor, bis man den Zugang
zum Mittelohr erreicht hatte und man dann auf
das Amboss-Steigbügel-Gelenk und die Steigbügelsehne schauen konnte. Dann erfolgte mit einem
dünnen Diamantbohrer (1-mm-Diamantbohrer)
die Eröffnung des Innenohres (»Cochleostomie«).
Die Cochleostomie (⊡ Abb. 6.4) sollte möglichst
in der Nähe des runden Fensters erfolgen. Das
Einführen der Elektroden gelingt im Allgemeinen
bis zu einer Tiefe von mindestens 20 mm, oft auch
bis zu 25 mm, so dass seinerzeit alle 22 Elektro-
50
6
Kapitel 6 · Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur Cochlear-Implant-Versorgung
⊡ Abb. 6.4. Aufsicht auf das eröffnete Innenohr (»Cochleostomie«)
den gut in der basalen und mittleren Windung
des Innenohres platziert werden konnten. Mittels
Spezialinstrumenten (»the claw«) konnte man den
Elektrodenträger sanft vorschieben (Clark 1978).
Wenige Jahre später entwickelte aus diesem
Standard heraus Lehnhardt die sog. »soft surgery
technique«, bei der nach Freilegen des Endostes
(Knochenhaut) am Innenohr vorher Healon in das
Innenohr eingespritzt wurde, um so ein möglich
gleitend-atraumatisches Einführen des Elektrodenträgers zu ermöglichen.
Nach der Hautnaht sollte möglichst ein Druckverband angelegt werden, um hier eine Hämatombildung zu minimieren. Erst später wurde das operative Vorgehen auch für Fehlbildungen des Ohres
und/oder des Schädels (z. B. Mondini-Dysplasie)
oder für spezielle Krankheitszustände (z. B. chronische Mittelohrentzündung) modifiziert (s. unten; Issing et al. 1998).
Chirurgische Spezialversorgung
bei Begleiterkrankungen des Ohres
und des Felsenbeins
In den 90er Jahren etablierte sich die CochleaImplantation als chirurgische Standardtechnik bei
taub geborenen Kindern und bei ertaubten Erwachsenen. Insbesondere im kindlichen Bereich
(Ernst et al. 1998) ergab sich die Notwendigkeit,
Kinder nach durchgemachter Meningitis, bei denen die Gehörschnecke bereits teil- oder komplett
⊡ Abb. 6.5. Im Rahmen des intraoperativen, neurophysiologischen Monitorings überprüft während der Operation ein
Ingenieur (im Bild vorn) die Funktionsfähigkeit der benachbarten Hirnnerven und des dann eingesetzten Implantates –
während dieser Messungen hat der Operateur (im Bild hinten)
dann ein paar Minuten Pause
verknöchert war, ebenfalls zu versorgen und Kinder mit angeborenen knöchernen Fehlbildungen
zu versorgen. Hierfür wurden verschiedene Techniken entwickelt, die darauf beruhten, entweder
Teile des Innenohres separat frei zu legen (Bohren
einer Rinne für das Einsenken von Elektroden)
oder durch alternative Zugangswege (z. B. Einführen des Elektrodenträgers in die Scala vestibuli der
zweiten Windung aufwärts) Abhilfe zu schaffen,
wenn ein normales Einführen der CI-Elektrode
in die untere Windung des Innenohres aus anatomischen Gründen unmöglich war. Speziell für
solche Fälle wurden auch Sonderelektroden (z. B.
»double array«) entwickelt, die eine Versorgung
ermöglichten.
Diese CI-Spezialversorgungen erfordern ein
hohes technisches Können seitens des Chirurgen
und eine optimale intraoperative Überwachung
durch intraoperatives, neurophysiologisches Monitoring (⊡ Abb. 6.5) des Gesichtsnervs und ggf.
auch des Gleichgewichtsnervs (Nölle et al. 2003;
Ernst et al. 2006).
Im Bereich der Erwachsenen tauchte das Problem auf, dass Patienten mit einer über Jahrzehnte
bestehenden chronischen Mittelohrentzündung ertaubten, so dass hier eine Technik entwickelt werden musste, die einerseits sicher die Entzündung
beseitigt und andererseits die Einführung eines
51
Minimal-invasive Cochlea-Implant-Chirurgie
Cochlea-Implantats ermöglicht. Hierzu etablierte
sich der sog. »Blindsackverschluss« des äußeren
Gehörgangs nach subtotaler Petrosektomie, wodurch die chronische Mittelohrentzündung ausgeräumt werden konnte (Issing et al. 1998). In
seltenen Fällen gelang sogar die Versorgung mit
einem Cochlea-Implantat bei erhaltenem Hörnerv,
obwohl an diesem ein gutartiger Tumor (Akustikusneurinom) lag, der funktionsschonend unter
Erhalt des Nervs entfernt werden konnte (Nölle et
al. 2003).
Besondere anatomische Situationen (z. B. erweiterter innerer Gehörgang mit Austreten von
Liquor bei Cochleostomie bzw. hochstehendem
N. facialis oder vorspringendem Sinus sigmoideum) sind Situationen, mit denen der erfahrene
CI-Chirurg in der Regel umzugehen weiß, da dazu
spezielle Richtlinien des Vorgehens entwickelt
wurden (Clark 2003).
Auch hier muss betont werden, dass ein optimaler Operationserfolg von der präoperativen
Planung (Durchführung entsprechender radiologischer Spezialuntersuchungen, einschließlich hoch
auflösendem Felsenbein-CT sowie MRT) und einem hoch entwickelten intraoperativen neurophysiologischen Monitoring (⊡ Abb. 6.5) zur Vermeidung von Komplikationen abhängen (vgl. Jöhr et
al. 2008).
Minimal-invasive Cochlea-ImplantChirurgie
Nachdem sich die CI-Chirurgie zu einer sicheren
und komplikationsarmen Methode der Patientenversorgung innerhalb der ersten 20 Jahre ihrer
stürmischen Entwicklung entwickelt hatte, begann
man Modifikationen einzuführen, die vor allem
dazu dienen sollten, das Vorgehen so atraumatisch und für den Patienten so wenig belastend
wie möglich zu gestalten. Ein wichtiger Punkt war
dabei, die Schnittführung zu modifizieren und zu
minimieren (⊡ Abb. 6.6), so dass eine kleine retroaurikuläre Inzision ausreichend wäre. Dies gelang
auch weitgehend, so dass heute eine 3–5 cm lange
Schnittführung hinter dem Ohr zur Cochlea-Implantation in den meisten Fällen üblich und möglich ist. Ausgenommen von diesem Vorgehen sind
6
⊡ Abb. 6.6. Minimal-invasive Hautschnittführung zur CochleaImplantation (im oberen Rand ist auf der Haut der spätere Sitz
des CI markiert)
Fälle der Spezialversorgung (s. oben), bei denen
eine Beseitigung begleitender Ohrerkrankungen
notwendig ist oder bei denen veränderte anatomische Verhältnisse ein modifiziertes Vorgehen
erforderlich machen. Während man unterschiedlicher Auffassung über die Ausdehnung der Mastoidektomie war und ist, hat sich weitgehend die
Durchführung der Cochleostomie in der Nähe
des runden Fensters etabliert (Todt et al. 2005;
2008; Roland et al. 2007), um so die Scala tympani
der Basalwindung zu treffen. Damit soll eine Verletzung der Basilarmembran ausgeschlossen und
gleichzeitig vermieden werden, dass postoperativ
Gleichgewichtsstörungen auftreten, wie sie gelegentlich bei Insertion in der Scala vestibuli möglich sind (Todt et al. 2008). Hierzu dient ebenfalls
das IOM, bei dem intraoperativ überwacht werden
kann, in welchem Umfang der Chirurg seine Elektrode optimal platziert (Ernst et al. 2006, 2008).
Während in den 80er Jahren die Elektrode
»einfach« in das Innenohr »vorgeschoben« wurde,
versucht man heute, durch eine Optimierung der
Elektrodenposition zu erreichen, dass diese möglichst nah an der Schneckenspindel (d. h. modiolusnah) liegt. Hierzu wurde von Todt et al. (2005,
2008) die sog. »Pull-back-Technik« etabliert, mit
deren Hilfe sich eine deutlich verbesserte und mit
geringeren Stromstärken auskommende elektrische
Stimulation des Hörnervs realisieren lässt.
In jüngster Zeit sind daneben einige chirurgische Besonderheiten beschrieben worden, wie sie
bei der Cochlea-Implantation sehr junger Klein-
52
6
Kapitel 6 · Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur Cochlear-Implant-Versorgung
kinder (unter einem Jahr) zu berücksichtigen sind
(Jöhr et al. 2008). Insbesondere die Besonderheiten des anästhesiologischen Managements, der
Blutstillung und kardiopulmonaler Risikofaktoren
wurden dabei betont (Jöhr et al. 2008).
Bei Erwachsenen wurde kürzlich (Labadie et al.
2008) beschrieben, dass mit Hilfe einer computerisierten Software (»computer-aided surgery«) ein
dünner Kanal bis zum Innenohr gebohrt werden
konnte, sodass der Hautschnitt noch verkleinert
werden kann. Dieses Vorgehen erscheint bei normalen anatomischen Verhältnissen durchaus möglich, ist jedoch in der Kindheit und bei möglichen
Besonderheiten mit zu großen Risiken hinsichtlich
der Verletzung wichtiger Strukturen behaftet.
Zusammenfassend kann man nach über 10.000
weltweit durchgeführten CI-Operationen feststellen, dass sich die CI-Versorgung als sicheres, für
die Patienten segensreiches und auch für die Allgemeinheit als kosteneffizientes Verfahren etabliert
hat, das noch eine große Zukunft vor sich hat (z. B.
Vollimplantat).
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7
Bilaterale CI-Versorgung heute
T. Steffens

Seit den ersten Anfängen der direkten Hörnervstimulation zur Reaktivierung des Hörens bei Taubheit im Jahre
1950 (CIark 2003) blicken wir heute auf weltweit über
140.000 Menschen, die mit einem CI versorgt wurde. In
Deutschland kommt man nach einer Schätzung auf der
Basis von Herstellerangaben zum Stichtag 01.11.2007
auf etwa 16.000 CI-Träger. Davon wurden etwa 1200
Patienten, also ca. 7%, auf beiden Ohren (bilateral)
versorgt. Aus der Patientenstatistik des Bayerischen
Cochlear Centrums an der Universitäts-HNO-Klinik in
Regensburg lässt sich exemplarisch die Geschichte der
bilateralen (beidseitigen) Implantation im Zusammenhang mit Meilensteinen der technischen Entwicklung
der CI-Systeme (Implantat und Sprachprozessor) darstellen. Den entscheidenden Anstoß zum Start eines
klinischen Programms zur bilateralen Implantation gab
die Einführung kleiner Hinter-dem-Ohr-(HdO-)Sprachprozessoren. Obwohl alle Hörvorteile einer bilateralen
Implantation auch mit der Technik der Taschenprozessoren (große, in der Tasche oder am Gürtel zu tragende Sprachprozessoren) realisiert werden konnten,
ergaben Patientenbefragungen, dass der tägliche Umgang mit zwei Taschenprozessoren als zu aufwendig
angesehen wurde. Alle befragten CI-Träger gaben der
Anwendung von HdO-Sprachprozessoren den Vorzug.
Die bei den ersten bilateral implantierten Patienten
erzielten Hörvorteile waren subjektiv wie objektiv so
überzeugend, dass sich in Regensburg schon ab dem
ersten Jahr nach Einführung der bilateralen Implantation etwa die Hälfte der Patienten bzw. Eltern gehörloser Kinder für eine bilaterale Versorgung entschlossen.
Dieser Trend ist bis heute ungebrochen.
Die Vorteile des binauralen Gehörs
Das sog. binaurale Gehör bezeichnet die Eigenschaft unseres Hörsystems, die von beiden Ohren empfangenen Schallsignale so miteinander
zu verarbeiten, dass wir besondere Fähigkeiten
und dadurch Hörvorteile gewinnen, die mit nur
einohrigem Hören nicht erzielt werden können.
Das binaurale Gehör entfaltet seine Hörvorteile
vor allem unter den schwierigen Bedingungen des
Sprachverstehens im Störgeräusch und beim Richtungshören. Generell lassen sich zwei Klassen von
Effekten identifizieren, die dem binauralen Hören
zugrunde liegen:
1. der rein physikalisch-akustische Effekt des
Schallschattens durch den Kopf, der unabhän-
54
Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
gig vom Stand der Hörentwicklung genutzt
werden kann und
2. neurophysiologisch basierte Effekte der binauralen Informationsverarbeitung im auditorischen System, die erst durch Training der
beteiligten Neurone mit Hilfe von Hörsignalen
etabliert werden müssen.
um mehr als 20 Prozentpunkte verbessert werden,
das Satzverstehen sogar um mehr als 40 Prozentpunkte. Die Größenordnung des Zugewinns an
Sprachverstehen ist aber sehr von den raumakustischen Bedingungen abhängig und reduziert sich,
wenn das Störgeräusch aus mehreren Richtungen
kommt, z. B. durch mehrere Störschallquellen oder
Nachhall.
Der Schallschatten des Kopfes
Neurophysiologische Effekte
7
Trifft Schall auf ein festes Hindernis, wird er dann
vom Hindernis zurückgeworfen, wenn die Schallfrequenz (Tonhöhe) so hoch ist, dass die damit verbundene Schallwellenlänge kleiner als die Größe
des Hindernisses ist. Ähnlich wie die optische Erscheinung eines Lichtschattens ist der Schallpegel
hinter dem Hindernis deutlich niedriger als seitlich davon oder davor. Beim Hören stellt der Kopf
ein solches Hindernis dar. Kommt der Schall z. B.
von links, tritt auf dem rechten Ohr der Schallschatten auf, wodurch die Lautstärke erheblich reduziert wird. Der Kopfschatteneffekt vermindert
hohe Frequenzen über 1 KHz (Wellenlänge kleiner als Kopfdurchmesser) um bis zu 20 dB, tiefe
Frequenzen unter 1 KHz wegen ihrer größeren
Wellenlängen nur um 0–6 dB (Blauert 1974; Tyler
et al. 2003). Der Effekt des Schallschattens durch
den Kopf muss nicht erlernt werden, sondern steht
jedem Hörer unmittelbar zur Verfügung. Beim
Sprachverstehen im Störgeräusch ist er von besonders großem Nutzen, wenn ein Störgeräusch
vor allem aus einer seitlichen Richtung kommt
und gleichzeitig Sprache entweder von vorne auf
beide Ohren oder von der Gegenseite auf das der
Störgeräuschquelle abgewandte Gegenohr gelangt.
Der, durch den Schallschatten auf dem Gegenohr
verminderte Störgeräuschpegel, führt dort zu einem verbesserten Signal-Rausch-Verhältnis (Differenz zwischen Sprach- und Störgeräuschpegel)
und verbessert damit das Sprachverstehen. Die
Größenordnung der Verbesserung des Sprachverstehens bei CI-Patienten ist individuell sehr
verschieden und kann hier nur exemplarisch als
typische, von vielen Patienten erreichte Größenordnung angegeben werden. Bei bilateral versorgten CI-Trägern kann durch den Kopfschatteneffekt
das Verstehen von Einzelworten typischerweise
Die neurophysiologischen Effekte des binauralen
Gehörs stehen uns nicht sofort mit dem Beginn des
Hörens zur Verfügung. Sie müssen durch Training
der beteiligten Neurone auf der Basis von akustischen Reizen, die zur Stimulation von Hörbahn
und Hörkortex (Bereich der Hörverarbeitung in
der Großhirnrinde) führen und dadurch spezifische Neuronenverknüpfungen auslösen, erworben
werden. Sie entwickeln sich bei normal hörenden
Kindern erst in den ersten Lebensjahren und erreichen die größten Hörvorteile erst im Alter von
12–15 Jahren.
Wesentliche Prozesse des binauralen Gehörs
laufen in der Hörbahn ab. Die Hörbahn beginnt
direkt hinter dem Innenohr und besteht aus dem
Hörnerv und einer Vielzahl hoch spezialisierter
Nervenzellen, deren Aufgabe es ist, die im ursprünglichen Schallsignal enthaltene Information
vorzuverarbeiten und an den Hörkortex weiterzuleiten. Schon auf der Hörbahn werden die Signale
des linken und des rechten Ohrs das erste Mal direkt miteinander in Beziehung gebracht und damit
die erste Stufe des binauralen Gehörs geschaffen.
Dadurch werden wesentliche Elemente des Richtungshörens und eine Verbesserung des Sprachverstehens im Störgeräusch oder Nachhall realisiert.
Die Signalvorverarbeitung muss aber den beteiligten Neuronen im Hirnstamm durch aktives Hören
erst antrainiert werden. Erst durch beidohriges Hören können sich die entscheidenden Nervenzellen
richtig miteinander verknüpfen und ihre Signalverarbeitungsprozesse optimieren. Die Hörbahn reift
durch ausreichende beidseitige Stimulation und
erlangt ihre endgültigen binauralen Fähigkeiten
bei normal hörenden Kindern in den ersten beiden
Lebensjahren. Das Gleiche gilt für den Hörkortex,
55
Neurophysiologische Effekte
der die vorverarbeiteten Signale aus der Hörbahn
zu einer identifizierbaren Hörwahrnehmung aufbereitet. Auch wenn die Reifung der Hörbahn
schon abgeschlossen ist, verbessern die kortikalen
neuronalen Verknüpfungen des Sprachverstehens
und des Richtungsgehörs weiterhin ihre Wirksamkeit durch fortlaufendes Training im Verlauf der
folgenden Jahre. Bei normalhörenden Kindern
lassen sich beispielsweise altersabhängige Verbesserungen des Sprachverstehens unter schwierigen
Störgeräuschbedingungen durch fortlaufendes
Neuronentraining bis zur Pubertät nachweisen.
Fehlt innerhalb dieser kritischen Zeitspannen zur
Entwicklung des binauralen Gehörs eine adäquate
beidseitige akustische Stimulation, können sich die
notwendigen neurophysiologischen Prozesse nicht
oder nur unzureichend entwickeln.
Die nachfolgend beschriebenen neurophysiologisch basierten Effekte des binauralen Gehörs
ermöglichen ein verbessertes Sprachverstehen im
Störgeräusch und das Richtungshören. Als grober
Anhaltspunkt für die Größenordnung der binauralen neurophysiologischen Hörvorteile bei CIPatienten, die vor ihrer Ertaubung normal gehört
haben und über ein voll entwickeltes binaurales
Gehör verfügten, werden typische Ergebnisbereiche von bilateral implantierten spätertaubten Erwachsenen aus einer Übersichtsarbeit von Ching
et al. (2007) vorgestellt.
Binaurale Rauschunterdrückung. Die größte
neurophysiologisch basierte Verbesserung des
Sprachverstehens im Störgeräusch bewirkt die
binaurale Störgeräuschunterdrückung im Hirnstamm (»binaural squelch«). Sie entsteht durch die
vergleichende Verarbeitung der Nervensignale beider Hörbahnen (Zurek 1993). Bei CI-Trägern kann
eine Störgeräuschreduktion von 1–2 dB nachgewiesen werden. Die daraus resultierende Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses kann zu
einer Verbesserung des Sprachverstehens von 5–15
Prozenzpunkten für Einzelwörter und 10–30 Prozentpunkten für Sätze führen.
Binaurale Redundanz. Einen graduell schwächeren Effekt stellt die binaurale Redundanz dar. Sie
basiert auf der gegenseitigen Ergänzung der Hörinformationen beider Seiten und führt zu einer
7
Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnis von
ca. 1 dB, entsprechend einer Verbesserung des
Sprachverstehens von Einzelwörtern von 5 Prozentpunkten und von Sätzen um 10–15 Prozentpunkte.
Binaurale Summation. Der dritte neurophysiologische Effekt stellt die binaurale Summation dar.
Die doppelte Schallverarbeitung durch zwei Ohren
führt zu einem stärkeren zentralen Erregungsmuster. Dieser Effekt wirkt sich vor allem in Ruhe
aus und hat die Wirkung einer Erhöhung der
Sprachlautstärke von 1–3 dB. Die Verbesserung
des Sprachverstehens beträgt hierbei ca. 5–20 Prozentpunkte für Einzelwörter und 10–45 Prozentpunkte für das Satzverstehen.
Richtungshören. Die Fähigkeit zum Erkennen
der Richtung in der Horizontalebene, aus der ein
Schallsignal kommt, basiert auf der neuronalen
Verarbeitung von Zeitunterschieden des Eintreffens der ersten Wellenfront des Schallsignals und
auf Schallpegel- und Klangunterschieden zwischen
den Ohren, wenn ein Schallsignal aus einer seitlichen Richtung den Kopf erreicht. Das Richtungshören wird auch als Lokalisation bezeichnet. Die
Zeitunterschiede der ankommenden Schallwelle
zwischen beiden Ohren werden schon kurz hinter
dem Innenohr durch spezielle Nervenzellen auf
der Hörbahn, die Zeitunterschiede zwischen der
linken und rechten Hörbahn verarbeiten, detektiert und in speziellen Bereichen des Hörkortex zu
einer Richtungsempfindung umgewandelt (Møller
2000). Die daran beteiligten Neurone müssen ihre
Arbeit aber auch erst durch beidohriges Hören
trainieren. Gleiches gilt für den Hörkortex, der
sowohl die im Hirnstamm ermittelten Zeitunterschiede, als auch die Pegel- und Klangunterschiede
dann abschließend zu einem Richtungseindruck
zusammenfügt. Das beste Lokalisationsvermögen
erreicht ein Normalhörender erst ab etwa 15 Jahren (Röser 1965). Erwachsene Patienten, die vor
der Ertaubung normal gehört haben, konnten also
in ihrer Kindheit ein Richtungsgehör entwickeln.
Mit der bilateralen CI-Versorgung können sie diese
Fähigkeit reaktivieren und ein eingeschränktes Lokalisationsvermögen zurückgewinnen (Laszig et
al. 2004). Das Richtungshören mit CI erlernen die
56
Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
Patienten innerhalb von etwa einem Jahr Hörerfahrung mit zwei CIs (Tyler et al. 2006). Typische
Werte für die gerade noch erkennbare Richtungswinkeländerung aus der Vornerichtung liegen bei
ca. 25° (Brown u. Balkany 2007, zum Vergleich
1–2° für Normalhörende), mit einem CI war nur
ein Richtungsunterschied von etwa 50–70° zu erreichen. In einigen Fällen wurden jedoch sogar
Werte in der Größenordnung von Normalhörenden erzielt (Seeber et al. 2004).
Untersuchung zum Hörvorteil
sequentiell bilateral implantierter
Kinder
7
Die Entwicklung des Hörsystems bei gehörlos geborenen Kindern unterscheidet sich wesentlich im
Vergleich erst spät ertaubter Patienten, da sie ohne
eine bilaterale Implantation kein binaurales Hören
entwickeln können. Weil wesentliche Prozesse des
binauralen Gehörs in der Hörbahn ablaufen, muss
für eine rechtzeitige bilaterale Implantation der
Zeitraum der Hörbahnreifung beachtet werden,
innerhalb dessen sich die für das binaurale Hören
notwendigen Neuronenverknüpfungen aufbauen.
Nach den bisherigen Erkenntnissen erscheint da-
⊡ Abb. 7.1. Röntgenbild
eines Kindes mit bilateraler
CI-Versorgung
für eine beidseitige CI-Versorgung innerhalb der
ersten beiden Lebensjahre notwendig zu sein. Eine
bilaterale Implantation (⊡ Abb. 7.1) kann innerhalb
einer einzigen Operation (einzeitig) oder sequenziell (nacheinander, zweizeitig) in zwei Operation
mit einem Zeitabstand dazwischen durchgeführt
werden. Die einzeitige bilaterale Implantation hat
generell den Vorteil, dass sich das Hörsystem sofort
an die beidseitige Stimulation anpassen kann und
stellt die beste Möglichkeit zur frühzeitigen bilateralen CI-Versorgung gehörlos geborener Kinder
dar. Bei einer frühzeitigen sequentiellen bilateralen
Implantation sollte darauf geachtet werden, dass
der Zeitraum zwischen beiden Implantationen nur
einige Monate beträgt, um noch während der natürlichen kritischen Periode der Hörbahnreifung
eine beidseitige Hörbahnstimulation zu erzielen.
Aber auch für einseitig implantierte Kinder besteht
auch noch nach Jahren des einohrigen Hörens die
Möglichkeit, mit einer späten Implantation des
zweiten Ohres ein, wenn auch wahrscheinlich geringer ausgebildetes binaurales Hören zu erreichen. Da die bilaterale Implantation erst seit etwa
7 Jahren als klinisches Verfahren in größerer Zahl
angewendet wird, könnten noch viele Kinder mit
einer späten bilateralen Implantation ein besseres
Hörvermögen als mit nur einem CI erzielen.
57
Untersuchung zum Hörvorteil sequentiell bilateral implantierter Kinder
Die Größe der Hörvorteile im Störgeräusch
und beim Richtungshören in alltäglichen Hörsituationen von frühzeitig einseitig implantierten
Kindern, die sequentiell mit unterschiedlichen
Zeitabständen auf dem zweiten Ohr implantiert
wurden, wurde an einer Gruppe von 20 Kindern
untersucht (Steffens 2007). Der Zeitraum zwischen
den Implantationen betrug zwischen ½ und 7 Jahren. Zum Zeitpunkt der Untersuchung hatten die
Kinder zwischen 5 Monaten und 4½ Jahren bilaterale Hörerfahrung. Für die Bestimmung des
Sprachverstehens im Störgeräusch wurde ein Rauschen auf ein Ohr, das Sprachsignal auf das andere
Ohr gerichtet. Diese Situation ist vergleichbar mit
einer Unterhaltung im Störgeräusch, bei der z. B.
Straßenverkehrsgeräusche von einer Seite kommen
und der Sprecher von der anderen Seite spricht, so
dass ein Ohr vor allem den Störschall aufnimmt,
das andere die Sprache. Wurden beide Implantate aktiviert, konnte eine mittlere Verbesserung
des Sprachverstehens im Vergleich zum einohrigen
Hören von 37% auf der erstimplantierten Seite und
39% auf der zweitimplantierten Seite nachgewiesen
werden. Mit Hilfe der Alters- und Hördaueran-
ma
7
gaben lassen sich wichtige Zusammenhänge mit
der Höhe des bilateralen Hörgewinns nachweisen. So spielte das Alter bei zweiter Operation
(3–9 Jahre) für den Hörgewinn keine entscheidende Rolle. Wichtiger war der Abstand zwischen
beiden Operationen. Es zeigte sich eine geringe
Tendenz, dass die Ergebnisse bei kürzerer Wartezeit auf das zweite CI von unter 2 Jahren besser
ausfielen, als bei einem längeren Abstand von 3 bis
7 Jahren. Die größten Hörgewinne konnten nach
mindestens 1–2 Jahren bilateraler Hörerfahrung
erzielt werden. Ein sehr wichtiges Ergebnis ergab
sich im Vergleich der Verbesserung des Sprachverstehens im Störgeräusch und der Hörleistung
mit dem ersten CI alleine. Die größten Zugewinne
ergaben sich bei den Kindern, die mit ihrem ersten
CI nur mittlere oder schlechte Ergebnisse erzielten.
Sie profitierten am meisten von der bilateralen Versorgung (⊡ Abb. 7.2).
Zur Untersuchung des Richtungshörens sollten die Kinder angeben, aus welchem von drei
Lautsprechern das Schallsignal kam: links, rechts
oder von vorne. Mit beiden CIs konnten im Mittel 75% der dargebotenen Richtungssignale richtig
xim
ale
Ver
b
ess
eru
ng
⊡ Abb. 7.2. Der mittlere bilaterale Hörgewinn durch 2 CIs in Prozenzpunkten (durchgezogene Linie) im Vergleich mit dem
Sprachverstehen bei einohrigem Hören mit dem ersten CI war umso größer, je geringer das einohrige Sprachverstehen war und
lag bei vielen Kindern in der Nähe des maximal möglichen Gewinns (gestrichelte Linie, Differenz des einohrigen Sprachverstehens zum maximalen Sprachverstehen von 100%)
58
Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
erkannt werden. Mit nur einem CI dagegen nur
58% auf dem erstimplantierten Ohr und 51% der
Richtungssignale auf dem zweitimplantierten Ohr.
Die sequentiell im Abstand einiger Jahre bilateral
implantierten Kinder entwickelten erst nach etwa
1–2 Jahren beidseitigem Hörens ihre maximale
Lokalisationsfähigkeit. Der minimal erkennbare
Richtungsunterschied sequentiell bilateral implantierter Kinder liegt typischerweise in der Größenordnung von 20° und ist damit wesentlich geringer
im Vergleich zu etwa 50° mit nur einem CI (Litovsky et al. 2006).
7
Sozialrechtliche Grundlagen
und medizinische Indikation
Nachdem die vielfältigen Verbesserungen der Hörfähigkeit durch die beidseitige Implantation dargelegt wurden, werden im Folgenden die sozialrechtlichen Grundlagen, also die Frage des Rechtanspruchs auf eine bilaterale Versorgung, und die
Faktoren, die der medizinischen Indikation zugrunde liegen, erläutert.
Sozialrechtliche Grundlagen
Der Rechtsanspruch eines beidseitig hörbehinderten Menschen auf eine beidseitige CI-Versorgung
ist durch die Sozialgesetzgebung im Sozialgesetzbuch (SGB) IX und V eindeutig festgelegt. In § 1
(»Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in
der Gesellschaft«) des SGB IX (Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen) ist grundsätzlich
festgelegt: »Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem
Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in
der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu
vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken«. Daraus
hat das Bundessozialgericht das Recht der Patienten auf Versorgung mit Hörhilfen, und damit auch
die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen genau definiert: »Soll ein Hilfsmittel die Ausübung einer beeinträchtigten Körperfunktion unmittelbar ermöglichen, ersetzen oder erleichtern
(z. B. Prothesen), ist grundsätzlich ein Hilfsmittel
zu gewähren, das die ausgefallene bzw. gestörte
Funktion möglichst weitgehend kompensiert, also
den umfassendsten Gebrauchsvorteil bietet«. Der
Hörbehinderte hat damit das Recht auf Maßnahmen, so das Bundessozialgericht, die es ihm ermöglichen, soweit wie möglich mit Normalhörenden gleichzuziehen [Urteil vom 16.09.2004 (B 3
KR 20/04 R, SozR 4-2500 § 33 Nr.9)], selbst wenn
erhebliche Mehrkosten für die bestmögliche Versorgung entstehen [Urteil vom 06.06.2002 (B 3 KR
68/01, SozR 3-2500 § 33 Nr.44)].
Auf der Basis der höchstrichterlichen Urteile
ist die vieldiskutierte Frage nach dem Recht auf
eine bilaterale Versorgung explizit schon bis zu
den Landessozialgerichten positiv für die Patienten entschieden worden [z. B. in Bayern: LSG FSB:
Urteil vom 08.12.2005 (L4 KR 6/05)]. Das Recht
auf die bilaterale Versorgung basiert demnach auf
dem festgestellten Grundbedürfnis auf beidseitiges Hören: »Eine zusätzliche Verbesserung (Anm.
d. V.: im Vergleich zur einseitigen Versorgung) für
bestimmte Lebensbereiche habe nur dann eine
Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge, wenn es sich um Lebensbereiche handelt, die zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Entgegen der Auffassung der
Beklagten (Anm. d. V.: der Krankenkasse) und
in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der
Beigeladenen geht der Senat davon aus, dass nicht
nur Hören, sondern beidseitiges Hören zu den
Grundbedürfnissen zählt. Deshalb ist im Fall der
Klägerin die Versorgung des zweiten Ohres notwendig. Unbestritten ist, dass der Ausgleich der
Behinderung der beidseits tauben Klägerin durch
die Versorgung nur eines Ohres nicht vollständig
erreicht ist. Die Versorgung ist zweckmäßig.« Da
sich dieses Urteil auf die Grundsätze der rechtskräftig entschiedenen o. g. höchstrichterlichen Urteile des Bundessozialgerichts stützt, wurde eine
Revision nicht zugelassen. Besonders hervorzuheben ist abschließend, dass die Rechtsprechung
keine Altersgrenze für das Recht auf weitestgehende Gleichstellung mit Normalhörenden kennt.
Dementsprechend ist die bilaterale Implantation
allen Patienten, vom Säugling bis zum betagten
Senior zu gestatten, wenn die medizinische Indikation gegeben ist.
59
Sozialrechtliche Grundlagen und medizinische Indikation
Medizinische Indikation
Die derzeit gültige Rechtslage gibt unmittelbar den
Rahmen für die medizinische Indikation vor. Es
geht erstens darum zu entscheiden, ob ein hörbehinderter Mensch signifikant schlechter als ein
Normalhörender hört. Zweitens, bei zutreffendem
Ergebnis, die Art von Hörhilfe zu ermitteln, die
den Patienten am weitesten mit Normalhörenden
gleichziehen lässt. Für jedes Ohr ist getrennt zu
bewerten, ob der größtmögliche Hörerfolg mit einem Hörgerät oder einem CI zu erzielen ist. Sollte
sich dabei eine gemischte Versorgung ergeben, ein
Ohr mit Hörgerät, die andere Seite mit CI, ist nach
einer ausreichenden Gewöhnungszeit zu klären,
ob der Patient mit den unterschiedlichen Höreindrücken von Hörgerät und CI tatsächlich einen
Hörvorteil gegenüber dem Hören mit dem CI alleine erreichen kann. Sollte dies nicht der Fall sein,
ist die Implantation der zweiten Seite indiziert.
Unabhängig von dem Recht auf weitestgehende
Hörrehabilitation bestehen starke medizinische
und audiologische Gründe für die beidseitige CIImplantation.
Im Falle einer Ertaubung durch Meningitis
(Hirnhautentzündung) ist eine schnelle einzeitige
beidseitige Implantation aufgrund der Gefahr einer
Verknöcherung der Innenohren angezeigt. Eine
Verknöcherung kann dazu führen, dass keine CIElektrode mehr in das Innenohr eingeführt werden
kann oder nur eine Teileinführung gelingt, die zu
einem wesentlich schlechteren Hörergebnis führt.
Im Falle der einseitigen CI-Versorgung bei
beidseitiger Taubheit ist zu berücksichtigen, dass
nur ein Hörorgan nutzbringend stimuliert wird, die
andere Seite davon aber keinen Gewinn hat. Je länger die nur einseitig CI-Versorgung besteht, desto
größer ist die Gefahr einer Degeneration der Hörbahn auf der brachliegenden unversorgten Seite, da
durch den Ausfall der Hörzellen (innere Haarzellen) der Hörnerv auf der unversorgten Seite nicht
mehr stimuliert wird. Es kommt durch diese Inaktivität im Laufe der Zeit zu einer Verminderung
der Hörnervenfasern, wodurch die Hörergebnisse
einer anschließenden CI-Versorgung verschlechtert werden können. Aus Untersuchungen bei normal hörenden Tieren ist ein teilweise dramatischer,
unumkehrbarer Abbau neuronaler Strukturen der
7
Hörbahn nach einer Ertaubung bekannt (Spöndlin
1984; Spöndlin u. Schrott 1989; Hardie u. Shepherd
1999; Glueckert et al. 2005). Zumindest im Tierexperiment konnte diese Neurodegeneration durch
elektrische Nervenstimulation mittels eines CI nur
aufgehalten, nicht aber im Sinne eines neuen Nervenfaserwachstums umgekehrt werden (Coco et al.
2007). Neueren Untersuchungen zufolge sind diese
Ergebnisse bei Tieren insofern mit Vorsicht auf den
Menschen zu übertragen, da die Degeneration des
Hörnervs beim Menschen möglicherweise langsamer als bei den Versuchstieren ablaufen könnte
(Fayad u. Linthicum 2006; Nadol u. Eddington
2006).
Bei Kindern besteht die Gefahr, dass bei früher Ertaubung noch vor Beendigung der Reifung
von Hörbahn und Hörzentrum durch eine nur
einseitige CI-Versorgung zusätzlich zur Nervendegeneration eine umfangreiche Fehlentwicklung
der Hörbahn und des Hörzentrums resultiert. Bei
nur einseitiger Stimulation reift nur der Hörbahnanteil der stimulierten Seite (Steffens 2004). Der
unstimulierte Teil und die Neurone, die für das binaurale Gehör den Vergleich beider Hörbahnseiten
durchführen, werden nicht trainiert, was zu einer
funktionellen Fehlentwicklung der Hörbahn führt.
Bisher ist die Frage noch offen, ob bei frühzeitiger
einseitiger Versorgung eine Hörbahnfehlentwicklung in späteren Lebensjahren noch vollständig
korrigiert werden kann.
Nicht nur die Nervensignalverarbeitung im
Hirnstamm weist bei nur einseitiger Implantation
drastische Veränderungen gegenüber normal hörenden Kindern auf, auch die zentrale Hörverarbeitung im Hörkortex zeigt große physiologische
Abweichungen gegenüber Normalhörenden (Ponton u. Eggermont 2001). Leider muss auch für die
zentrale Hörverarbeitung eine kritische Zeitspanne
angenommen werden, nach der eine Neuorganisation der Neurone im Hörkortex vom einseitigen
zum binauralen Hören nicht mehr effizient vorgenommen werden kann, die Hörergebnisse mit dem
zweiten CI nicht mehr verbessert werden können
und die Hörfähigkeit des »neuen« zweiten Ohres
alleine wesentlich hinter der des erstimplantierten
Ohres bleibt. Generell gilt, dass beide Ohren einzeln
und unabhängig voneinander betrachtet werden
müssen und für jedes einzelne Hörorgan nur eine
60
7
Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
frühe Implantation zu bestmöglichen Hörergebnissen führen kann. Nach derzeitigem Wissen besteht
die ideale Zeit zur beidseitigen Implantation, unabhängig ob simultan oder sequentiell zweiseitig, in
den ersten beiden Lebensjahren. Werden gehörlos
geborene Kinder zwar sehr frühzeitig, also im 1.
oder 2. Lebensjahr auf dem ersten Ohr implantiert,
besteht für das unversorgte zweite Ohr nach den
bisherigen Erkenntnissen die Gefahr, dass das binaurale Hören nicht mehr oder nicht ausreichend
erlernt werden kann, wenn die zweite Implantation
erst zwischen dem 4. bis 7. Lebensjahr durchgeführt wird. Ab etwa dem 12. Lebensjahr scheint das
zweite Ohr für ein binaurales Hören in der Mehrheit der Fälle nicht mehr geeignet zu sein (Sharma
et al. 2002; Sharma et al. 2005), die Hörergebnisse
auf diesem Ohr bleiben enttäuschend. Allerdings
beruhen diese Aussagen noch auf einer begrenzten
Anzahl von Patienten. In Zukunft wird die steigende Zahl an bilateral implantierten Kindern eine
genauere Einschätzung der kritischen Zeiträume
ermöglichen.
Die Degeneration und Fehlentwicklung der
Hörbahn und die reguläre Entwicklung des Hörzentrums im Gehirn können nach heutigem Wissen also nur mit einer frühzeitigen Stimulation
beider Ohren verhindert werden. Die Argumentation, bei nur einseitiger Implantation ein Ohr
für technisch fortschrittlichere Implantate in »Reserve« zu halten, ist deswegen höchstens noch für
einen sehr kurzen Zeitraum von wenigen Monaten
zu verantworten. Ohne besondere Aufklärung und
expliziter Zustimmung der Erziehungsberechtigten
ist eine nur unilaterale Implantation aufgrund der
drohenden Fehlentwicklung der Hörbahn und des
Hörzentrums im Gehirn nicht zu vertreten. Was
nützt in späteren Jahren ein bessere CI-Technik
oder andere Möglichkeiten der Hörrehabilitation
(z. B. nachwachsende Hörzellen), wenn das Hörzentrum im Gehirn die neuen Signale nicht mehr
angemessen verarbeiten kann? Hier muss aber
auch erwähnt werden, dass ein Restgehör auf dem
nichtimplantierten Ohr unbedingt so gut wie möglich genutzt werden sollte, z. B. durch ein Hörgerät,
selbst dann, wenn es alleine nicht mehr zu einem
nutzbaren Sprachverstehen führt, um wenigstens
ein minimales Hörtraining für dieses Ohr zu gewährleisten. In nicht wenigen Fällen konnte so
bei einer späteren Implantation der Seite mit dem
Restgehör ein besseres initiales Hörvermögen, sowohl binaural als auch alleine auf der zweiten Seite,
erzielt werden als bei Patienten, die das zweite Ohr
nicht gefördert hatten.
Ein pragmatischer, für die Patienten aber relevanter Aspekt für die bilaterale Implantation stellt
abschließend die Tatsache dar, dass nur in Ausnahmen beide Ohren die gleiche Hörfähigkeit mit
CI aufweisen. In der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle gibt es eine Seite mit besserem Sprachverstehen als die Gegenseite. Da es vor einer Implantation oft nicht sicher möglich ist, das bessere Ohr zu
prognostizieren, stellt die bilaterale Implantation
dem Patient mit Sicherheit das Ohr mit der höchsten Hörleistung zur Verfügung.
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7
8
Cochlea-Implantate für gehörlose
Kinder gehörloser Eltern?
A. Leonhardt

Das Cochlea-Implantat ist eine technische Hörhilfe, die
ursprünglich für ertaubte Personen entwickelt wurde.
In seiner heutigen Erscheinungsform kennen wir es
seit den 80er Jahren. Die Anfänge der klinischen Anwendung lagen aber bereits in den 70er Jahren mit
einem noch einkanaligen und transkutanen Implantat,
das heute keine Anwendung mehr findet.
Recht bald nach der Versorgung ertaubter Personen zeigte sich, dass diese von einem Cochlea-Implantat (nach einer entsprechenden Hörtrainings- und
Übungsphase) erheblich profitieren können, vor allem
dann, wenn der Zeitpunkt der Ertaubung noch nicht
weit zurücklag (vgl. u. a. Lehnhardt u. Aschendorff
1993, Lehnhardt 1997, 1998). Ertaubte Personen haben
bereits gelernt zu hören und können neben allgemeinen Erfahrungen und Wissen auch auf Erfahrungen mit
dem Hören, konkret auf ein akustisches Erinnerungsvermögen, zurückgreifen. Sie sind zudem im Vollbesitz
der Sprache und haben diese vormals auf auditivem
Weg erlernt. Sie müssen nach der CI-Versorgung ihren
neuen Höreindruck mit dem früheren »in Deckung«
bringen bzw. die neuen akustischen Reize verarbeiten
lernen. Das gelingt erfahrungsgemäß umso besser, je
kürzer die Ertaubungsdauer ist. Heute werden Perso-
nen, die ihr Gehör verlieren oder erheblich eingebüßt
haben, zeitnah zum Ertaubungszeitpunkt mit CI versorgt oder bei progredienten Hörstörungen, wenn das
Ausmaß des Hörverlustes hochgradig bzw. an Taubheit
grenzend ist und die Person sich zu einer CI-Versorgung entschließt. Die Dauer des Taubseins oder der
an Taubheit grenzenden Hörstörung hat sich damit
erheblich verkürzt.
⊡ Abb. 8.1. Hören lernen macht Spaß – erstes, im Alter von
einem Jahr bilateral versorgtes CI-Kind gehörloser Eltern
64
Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
Der Weg zum CI für prälingual
gehörlose Kinder
8
Während sich das Cochlea-Implantat relativ rasch
als echte Alternative für ertaubte Personen etablieren konnte, galt das CI für (geburts-)gehörlose
Kinder als umstritten. Man verfügte in den 80er
Jahren über keinerlei wissenschaftliche Studien
über den Erfolg und die langfristige Wirksamkeit
eines CI. Die Gehörlosen nahmen im Gegensatz
zu den Ertaubten, die in hohem Maße dankbar waren, wieder über ein Hören zu verfügen,
eine kritische Haltung gegenüber dem CochleaImplantat ein. Trotz hitzig geführter Debatten entschloss sich Lehnhardt 1988 zur CI-Versorgung
von noch sehr jungen Kindern. Es handelte sich
u. a. um ein 1½-jähriges Mädchen und um einen im Alter von 3 Jahren nach einer Meningitis
ertaubten Jungen, der etwa ein Jahr nach der
Ertaubung das CI erhielt. Beide Implantationen
verliefen so erfolgreich, dass man sich zu weiteren
Frühversorgungen entschloss (Lehnhardt 1997,
27f.). Diese Implantationen gelten deutschlandweit als die Geburtsstunde der CI-Versorgung von
(jungen) Kindern.
Wenn zunächst auch nur zögerlich, dann
aber kontinuierlich ansteigend, konnte sich das
Cochlea-Implantat schrittweise als echte Alternative zu konventionellen Vorgehensweisen für
gehörlose Kleinkinder etablieren. Während in der
Anfangszeit auch ältere Vorschulkinder und jüngere Grundschulkinder mit CI versorgt wurden,
werden heute prälingual gehörlose Kinder etwa
um das erste Lebensjahr (teilweise auch früher)
implantiert. Bei vielen dieser Kinder zeigt sich,
dass ihnen bei angemessener rehabilitationspädagogischer Förderung eine altersentsprechende
oder -nahe Hör- und Sprachentwicklung möglich ist. Die zumeist hörenden Eltern gehörloser
Kinder sehen im Cochlea-Implantat eine Chance,
ihrem Kind ein Hören zu ermöglichen. Sie verbinden damit die Hoffnung auf eine möglichst
altersgerechte (Laut-)Sprachentwicklung ihres
Kindes, die wiederum die Kommunikation mit ihrem Kind und letztendlich seine Integration in die
Welt der Hörenden erleichtern soll. Nach nahezu
20 Jahren Erfahrung mit der CI-Versorgung von
jungen hochgradig hörgeschädigten Kleinkindern
gilt diese heute als etablierte Maßnahme. Nahezu
alle hörenden Eltern wählen heute diesen Weg für
ihr Kind. Die schrittweise Umsetzung des universellen Neugeborenenhörscreenings trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass die Eltern frühzeitig um
die Hörschädigung ihres Kindes wissen, sich rasch
über Rehabilitationsmöglichkeiten umfassend informieren (Leonhardt u. Wendels 2007) und sich
mit Alternativen für ihr Kind auseinandersetzen.
Für die hörenden Eltern erweist sich diese frühe
Diagnose – wie auch die zu einem späteren Zeitpunkt – zunächst als ein Schock. Sie haben aber
im Gegensatz zu einer späten Diagnose nicht das
Gefühl, »etwas verpasst oder übersehen« zu haben. Erleichternd wirkt hier offensichtlich auch,
dass sich die Säuglinge zunächst wie (normal-)
hörende entwickeln und Defizite noch nicht offen
zum Tragen kommen.
Gehörlose Eltern und CI-Kinder?
Anders als bei hörenden Eltern stellt sich die Situation dar, wenn die Eltern ebenfalls gehörlos
sind. Lange Zeit galten gehörlose Kinder gehörloser Eltern nicht als potenzielle Kandidaten für ein
Cochlea-Implantat. Dies wurde erst zum Thema
fachwissenschaftlicher Diskussionen, als sich Mitte
der 90er Jahre erste gehörlose Eltern entschlossen,
ihr gehörloses Kind bzw. ihre gehörlosen Kinder
mit CI versorgen zu lassen.
In Deutschland handelte es sich um zwei Familien mit je zwei gehörlosen Kindern, die aus
heutiger Sicht zum Zeitpunkt der Implantation
relativ alt waren (Begall 1995; Wittasek 2000), aber
auch aus der Schweiz (Bastian 1997) oder den USA
(Chute et al. 1995) wurden vergleichbare Beispiele
bekannt. Als besonders spannend erwies sich der
Fall einer vierköpfigen Familie, in der Eltern und
beide Söhne (damals sechs und drei Jahre alt) gehörlos waren und alle vier nahezu zeitgleich mit CI
versorgt wurden. Erwartungsgemäß konnten die
Kinder größeren Gewinn als ihre Eltern aus dem
CI ziehen (Begall 1995).
Nachdem weitere Familien bekannt geworden
waren, in denen die Eltern gehörlos bzw. hochgradig hörgeschädigt und deren Kinder CI-versorgt
waren – es handelte sich hier jedoch um Einzelfälle
65
Forschungsfragen und Forschungsmethoden
– wurde das Thema zum Gegenstand fachwissenschaftlicher Untersuchungen. Im Rahmen einer
Pilotstudie beschäftigte sich der Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik von 2001
bis 2004 zunächst mit allgemeinen Fragestellungen
zur CI-Versorgung gehörloser Kinder gehörloser
bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern. Aufbauend auf den Ergebnissen dieses Projekts wird seit
2006 ein Nachfolgeprojekt bearbeitet, in dessen
Zentrum die Erarbeitung von Informationsmaterialien für gehörlose bzw. hochgradig hörgeschädigte Eltern über die CI-Versorgung von Kindern
und die Evaluation dieser Materialien steht. Kennzeichnend für dieses Projekt, aber auch für die
sich verändernde Situation ist, dass in diesem von
Anfang an gehörlose Elternpaare mitarbeiten, die
Eltern CI-versorgter Kinder sind, und damit über
einschlägige Erfahrungen verfügen.
Hintergründe der
Forschungsaktivitäten
Während das zweite Forschungsprojekt sich unmittelbar aus den Ergebnissen des ersten Projektes
ergab, bildeten folgende Überlegungen die Basis
für die Initiierung des ersten Projektvorhabens:
Fast alle Gehörlosen fühlen sich der Gehörlosengemeinschaft und deren Kultur zugehörig.
Verbunden damit ist der Gebrauch (und die Wertschätzung) der Gebärdensprache, die ihnen eine
barrierefreie Kommunikation mit anderen Gehörlosen ermöglicht.
Von der Gehörlosengemeinschaft wurde das CI
anfänglich vehement abgelehnt. Diese Ablehnung
bestand auch noch zum Zeitpunkt der ersten CIVersorgungen von gehörlosen Kindern gehörloser
Eltern.
Gehörlose Eltern erleben die Gehörlosigkeit
ihres Kindes weit weniger problematisch als hörende Eltern. Sie verfügen über die Erfahrung,
dass man auch mit Gehörlosigkeit ein sinnerfülltes
und reichhaltiges Leben führen kann. Auch können sie über Gebärden von Anfang an mit ihrem
gehörlosen Kind kommunizieren. Sie sind damit
in einer anderen Position als hörende Eltern, die
zum Zeitpunkt der Diagnose der Gehörlosigkeit
ihres Kindes nahezu immer erstmalig mit dem
8
Phänomen »Gehörlosigkeit« konfrontiert sind und
entsprechend verunsichert reagieren.
Fachwissenschaftlich wurden bisher – wenn
überhaupt – hörende Kinder (Leonhardt u. Grüner
2001a,b; Grüner 2004; Funk 2004) hörgeschädigter
Eltern diskutiert. Mit dem Beginn der CI-Versorgung von gehörlosen Kindern hörgeschädigter
Eltern ergibt sich neben hörenden und hörgeschädigten Kindern hörgeschädigter Eltern eine weitere
Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die fachwissenschaftlich und pädagogisch zu begleiten ist,
nämlich die CI-Kinder.
Forschungsfragen und
Forschungsmethoden
Wie erwähnt, wurde das erste Projekt als Pilotstudie konzipiert, um zunächst erste Informationen
über die Zielgruppe zu erfahren. Im Einzelnen
wurde folgenden Forschungsfragen nachgegangen:
▬ Was sind die Motive der gehörlosen bzw. hochgradig hörgeschädigten Eltern, ihr Kind (oder
ihre Kinder) mit CI versorgen zu lassen?
▬ Wie reagierte bzw. verhielt sich das soziale Umfeld der Familien auf deren Entscheidung, ihr
gehörloses Kind/ihre gehörlosen Kinder mit CI
versorgen zu lassen?
▬ Welche Kommunikationsformen herrschen innerhalb der Familie vor? Wie gestaltet sich die
Hör-Sprech-Spracherziehung der Kinder?
▬ Wie sieht die Betreuung und Förderung dieser
Kinder im Rahmen der Frühförderung und
vorschulischen Erziehung aus und welche Beschulungsformen (Schule für Hörgeschädigte/
allgemeine Schule) werden gewählt oder anvisiert?
▬ Wie beurteilen die Eltern ihre Entscheidung
für eine CI-Versorgung ihres Kindes bzw. ihrer
Kinder zum Interviewzeitpunkt?
▬ Welche Probleme gab und gibt es im Rehabilitationsprozess?
Dem Charakter einer Pilotstudie entsprechend,
ging es zunächst um das Erfassen grundlegender Informationen. Zu diesem Zweck wurden
leitfadengestützte Interviews mit hörgeschädigten
Eltern durchgeführt, die für ihr Kind bzw. ihre
66
Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
Kinder eine Cochlea-Implantat-Versorgung in Anspruch genommen hatten.
Ausgewählte Ergebnisse
Wer gab den Anstoß zur
Auseinandersetzung mit dem CI?
Teilnehmer der Studie
8
Die Interviews der ersten Studie wurden in 18 Familien durchgeführt, zu denen insgesamt 22 CI-versorgte Kinder gehören. In vier dieser Familien waren jeweils zwei Kinder Cochlea-Implantat-Träger.
Das Alter der Kinder zum Zeitpunkt der Implantation zeigte eine erhebliche Spannbreite: Das
jüngste wurde mit 8½ Monaten und das älteste
mit 8½ Jahren mit Cochlea-Implantat versorgt.
Zum Zeitpunkt des Interviews waren die Kinder
zwischen 1;8 und 15;10 Jahren. Der Erfahrungszeitraum mit dem CI lag von 5 Monaten (kürzester
Zeitraum) bis 9;2 Jahren (längster Zeitraum).
Die Auswahl der Familien erfolgte danach, ob
beide Elternteile gehörlos oder hochgradig hörgeschädigt und eines oder mehrere ihrer Kinder CIversorgt sind sowie der Wohnort in Deutschland,
Österreich oder der deutschsprachigen Schweiz
liegt. Die Eltern müssten ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme am Interview signalisieren.
In Abhängigkeit vom Wunsch der Eltern wurde
das Interview lautsprachlich oder gebärdensprachlich unter Einbezug eines Gebärdensprachdolmetschers durchgeführt. In Einzelfällen war auf
Wunsch der Eltern ein hörendes Familienmitglied
anwesend.
Alle befragten Familien fühlten sich der Gehörlosengemeinschaft zugehörig.
Der Anstoß zur Auseinandersetzung mit einer möglichen CI-Versorgung des Kindes bzw.
der Kinder kam entweder unmittelbar nach der
Diagnose vom diagnostizierenden Arzt oder von
den Pädagogen der Einrichtungen, in denen das
Kind betreut wurde. Zum Zeitraum des ersten
Projekts waren das vorzugsweise die Erzieherinnen der schulvorbereitenden Einrichtung bzw. des
Kindergartens, vereinzelt auch Lehrer der Grundschule oder Frühförderinnen. Im zweiten Projekt
verlagerte sich dies ausschließlich in Richtung der
Frühförderinnen.
Zu Beginn der CI-Versorgung gehörloser Kinder gehörloser bzw. hochgradig hörgeschädigter
Eltern waren es nicht selten die hörenden Großeltern/Großmütter, die die Auseinandersetzung mit
dem CI forcierten. Sie motivierten die Eltern des
Kindes, sich mit der Cochlea-Implantat-Versorgung auseinanderzusetzen, da sie im CI für ihr
Enkelkind eine Möglichkeit sahen, ihm den Hör-,
Sprech- und Sprachlernprozess zu erleichtern.
In Einzelfällen war es auch der Wunsch des
Kindes selbst. Hier handelte es sich um ältere
Kindergartenkinder oder jüngere Grundschüler. Sie hatten das CI bei anderen Kindern ihrer Kindergartengruppe bzw. ihrer Schulklasse
kennen gelernt und wollten dann ebenfalls ein
CI haben. Hier reagierten die (gehörlosen bzw.
hochgradig hörgeschädigten) Eltern auf den
Wunsch des Kindes bzw. gaben dem Drängen des
Kindes nach.
Pro und Contra Cochlea-Implantat
⊡ Abb. 8.2. Eltern gehörlos, ein Sohn schwerhörig mit Hörgeräten, ein Sohn CI-Träger
Alle von uns befragten Eltern gaben an, dass sie
dem CI ursprünglich ablehnend gegenüberstanden. Die Gründe dafür waren vielfältig. So waren
ihnen Beispiele bekannt, bei denen das CI keinen
Nutzen brachte. Sie befürchteten, dass die Technik noch nicht ausgereift sei, und äußerten, dass
67
Ausgewählte Ergebnisse
sie anfänglich auch Angst vor dem medizinischen
Eingriff hatten. Ebenso gab es das Argument, dass
die gesamte Familie »eben gehörlos« sei und dies
für sie auch in Ordnung und akzeptabel wäre.
Eine besonders ablehnende Haltung gegenüber
dem CI entstand und entsteht immer dann, wenn
die Eltern das Gefühl haben, dass die Pädagogen
oder Ärzte die Entscheidung für ein CI forcieren
wollen. Hierdurch fühlen sich die gehörlosen bzw.
hochgradig hörgeschädigten Eltern unter Druck
gesetzt. Dieses Gefühl ruft eher Reaktanz als Akzeptanz hervor. Ein weiteres Gegenargument der
befragten Eltern aus der Anfangszeit der Forschungsarbeiten war die aus ihrer Sicht unsichere
Prognose des Nutzens einer CI-Versorgung. Dieses
Argument verwenden die Eltern der aktuellen Studien nicht mehr.
Da sich die interviewten Eltern trotz ihrer anfänglichen Ablehnung und/oder Verunsicherung
letztlich dann doch für eine CI-Versorgung ihres
Kindes bzw. ihrer Kinder entschieden, stellt sich
die Frage, welche Motive für das Umdenken ausschlaggebend waren. Hier ist besonders die Vielfalt
der Argumente auffallend. Ein wesentlicher Aspekt
war die Optimierung der Lebensqualität und der
Zukunftschancen für das Kind. Die Eltern hofften, dass durch das Cochlea-Implantat der Hör-,
Sprech- und Sprachlernprozess erleichtert wird.
Durch die verbesserten Kompetenzen in diesen
Bereichen erwarteten sie eine leichtere und einfachere Lebensbewältigung für ihr Kind.
Auch beobachteten die Eltern den Rückgang
an gehörlosen Schülern an den Gehörlosenschulen. Da immer mehr hörende Eltern für ihr Kind
den Weg der CI-Versorgung in Anspruch nehmen, geht die Zahl der Schüler in den Schulen für Gehörlose immer weiter zurück, so dass
die Klassen für Gehörlose – sofern sie überhaupt
vorhanden sind – jahrgangsübergreifend gebildet
werden müssen und in diesen oftmals auch gehörlose Schüler mit weiteren Behinderungen lernen.
Die hörgeschädigten Eltern bezweifelten, dass ihre
Kinder unter diesen Umständen optimal gefördert
werden könnten. Zugleich schätzten die Eltern die
Hör- und Kommunikationssituation ihres Kindes
(ohne CI-Versorgung) jedoch so ein, dass es die
Anforderungen eines Unterrichts mit schwerhörigen Schülern nicht würde bewältigen können.
8
Mit der Entscheidung für die CI-Versorgung
waren aber auch sehr weit reichende Hoffnungen
verbunden: Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen
wegen der Entfernung zwischen Wohn- und Schulort während der Woche im Internat wohnen zu
müssen, erhofften einige gehörlose bzw. hochgradig hörgeschädigte Eltern vom CI eine wohnortnahe, also integrative Beschulung ihres Kindes.
Dem Hören gegenüber wurde aber auch Wertschätzung geäußert: Hören sei etwas, dass das Leben bereichern könne (z. B. Hören von Musik, einfachere Kommunikation mit Hörenden, Erleben
der akustischen Umwelt). Im Zentrum der Äußerungen stand stets auch der leichtere Lautspracherwerb für ihr Kind mit dem Cochlea-Implantat.
Äußerungen wie »das Kind soll es besser haben als
die Eltern«, waren kennzeichnend für die Meinung
der Eltern.
Nicht zuletzt äußerte man auch die Sorge
vor späteren Vorhaltungen des Kindes, ihm die
Möglichkeit einer CI-Versorgung vorenthalten zu
haben.
⊡ Abb. 8.3. Fußballfan Markus, CI-Träger
68
Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
Das soziale Umfeld – Reaktionen
Gehörloser und der Gehörlosengemeinschaft
8
Geht man der Frage nach, ob und welchen Einfluss die Versorgung der Kinder auf die Kontakte
bzw. das Verhältnis zu anderen Gehörlosen hatte,
ist zwischen der Zeit »vor der Implantation« und
»nach der Implantation« zu unterscheiden. Für
den Zeitabschnitt »vor der Implantation« lassen
sich im Verhalten und Vorgehen der gehörlosen
und hochgradig hörgeschädigten Eltern im Wesentlichen zwei Strategien beobachten. Die eine
bestand darin, dass die Eltern ihre Überlegungen
zum CI zielorientiert gegenüber anderen Gehörlosen thematisierten und sich mit ihnen und deren
Meinung auseinandersetzten. Die andere Strategie
von Eltern war, dass sie ihre Überlegungen bzw.
ihr Vorhaben bewusst verschwiegen, um einer
Auseinandersetzung von vornherein aus dem Weg
zu gehen und eine Konfrontation mit entgegengesetzten Auffassungen zu vermeiden.
Für den Zeitabschnitt »nach der Implantation«
stellte sich das Bild recht einheitlich dar. Alle Eltern
berichteten, dass ein Teil der Kontakte zu anderen
Gehörlosen abgebrochen sei. Auch fühlten sie sich
unter Erfolgsdruck. Sie beschrieben verschiedene
Vorkommnisse, bei denen sie beobachtet hatten,
wie Gehörlose hinter ihren Kindern Geräusche
machten und so prüften, ob sie tatsächlich hören
können.
Gründe der Gehörlosen gegen das CI
Analysiert man die ablehnende Haltung von Gehörlosen gegenüber dem Cochlea-Implantat genauer, so kristallisiert sich heraus, dass unter den
Gehörlosen zum Teil falsche und zum Teil veraltete Vorstellungen über das CI vorherrschen. So
ist in der Vorstellung der Gehörlosen noch immer
das mehrkanalige extracochleäre Implantat der
70er/80er Jahre präsent. Es handelt sich hier um
ein Implantat, das seit ca. 20 Jahren keine Anwendung mehr findet und Personen, die ehemals mit
diesem versorgt wurden, sind heute reimplantiert
bzw. wurden mit neuen, modernen CI-Systemen
versorgt. Auch wurde dieses Implantat damals
überwiegend geburtsgehörlosen Jugendlichen (und
Erwachsenen) eingesetzt. Der Hörerfolg dieser Patientengruppe blieb beschränkt: Zum einen war
das CI-System damals noch nicht ausgereift und
zum anderen wissen wir heute, dass sich gehörlose
Babys und Kleinkinder wesentlich besser für ein
Hörenlernen mit CI eignen als Jugendliche. Durch
Forschungen von Schlote und Klinke und dessen
Arbeitsgruppe ist inzwischen bekannt, dass die
sensiblen Phasen zum Erlernen des Hörens im
frühen Kleinkindalter liegen (Schlote 1989; Klinke
1997, 1998; Klinke et al. 2001).
Neben der einseitig negativ geprägten Wahrnehmung des Cochlea-Implantats seitens eines
Teils der Gehörlosen wird mitunter noch die Auffassung vertreten, dass das CI die Gehörlosengemeinschaft sowie die Gebärdensprache und Gehörlosenkultur bedrohe. Aber auch hier kommt es
zunehmend zu differenzierteren Sichtweisen (vgl.
Gerkens auf der Podiumsdiskussion »Was bedeutet
das CI für die Gehörlosenkultur?«, dokumentiert
von Hermann 2002).
Vergleich der CI-Versorgung
von Kindern hörender Eltern mit
der von hörgeschädigten Eltern
Hörende Eltern und CI
Betrachtet man die Anfänge der CI-Versorgung
von Kindern hörender Eltern mit der von Kindern
hörgeschädigter Eltern, so zeigen sich Parallelen,
die jedoch zeitversetzt abliefen. Als Ende der 80er
Jahre sich erstmalig die Möglichkeit zur Implantation bei jungen gehörlosen Kindern eröffnete,
verhielten sich die Eltern zögerlich, die Hörgeschädigtenpädagogen eher ablehnend und selbst
Mediziner, die sich nicht oder noch nicht mit der
CI-Versorgung beschäftigt hatten, verwiesen auf
das Fehlen von Langzeitstudien. Dennoch gingen
erste Eltern diesen Schritt. Wie man Gesprächen
mit ihnen entnehmen muss, taten sie das erst nach
reiflicher Überlegung, zahlreichen Kontroversen
mit Freunden, Bekannten und Fachleuten sowie
tiefgründiger Auseinandersetzung. Erst danach –
folglich war es bei keinem Elternpaar eine Spontanentscheidung – entschlossen sie sich, ihr Kind
69
Zufriedenheit der Eltern mit der Cochlea-Implantation
mit CI versorgen zu lassen. Diese Eltern begleiteten dann den Rehabilitationsprozess ihres Kindes
hoch motiviert und hoch engagiert.
Heute ist die CI-Versorgung hochgradig hörgeschädigter Kinder Alltag geworden. Fachwissenschaftlich geht es nicht mehr darum, ob ein
Cochlea-Implantat bei hochgradig hörgeschädigten Kleinkindern in Frage kommt oder nicht.
Dieser Grundsatzfrage ist fortführenden Fragestellungen gewichen. Heute stehen beispielsweise die
bilaterale Versorgung oder die Gestaltung des Rehabilitationsprozesses bei Kindern nichtdeutscher
Herkunft, vor allem dann, wenn auch die Eltern
nicht oder nicht ausreichend über Kenntnisse der
deutschen Sprache verfügen, im Mittelpunkt. Mit
Letzterem verbunden sind Überlegungen zur bilingualen Förderung, hier bezogen auf zwei gesprochene Sprachen, z. B. deutsch und türkisch oder
deutsch und russisch usw.
Hörgeschädigte Eltern und CI
Als die ersten Wünsche hörgeschädigter Eltern
nach CI-Versorgung ihrer Kinder an die Ärzte
und Pädagogen herangetragen wurden, reagierten beide Berufsgruppen verunsichert. Niemand
konnte sich anfänglich vorstellen, wie eine Rehabilitationsmaßnahme mit Eltern zu gestalten ist, die
den Hörlern- und Sprachlernprozess ihrer Kinder
nur begrenzt begleiten können. Nicht zuletzt waren
die hörgeschädigten Eltern in mehrfacher Hinsicht
im Konflikt: Sie wollten optimale Entwicklungschancen für ihr Kind, waren verunsichert, welche Langzeitwirkungen eine CI-Versorgung haben
wird, es fehlte an Erfahrungen und sie fühlten sich
in erster Linie der Gehörlosengemeinschaft zugehörig, ebenso ihrer Sprache und Kultur. Noch weit
weniger als bei den hörenden Eltern war bei den
gehörlosen bzw. hochgradig hörgeschädigten Eltern die Entscheidung für das CI eine Spontanentscheidung. Die Phase der Entscheidungsfindung
war mit zahlreichen Gesprächen und seelischen
Auseinandersetzungen verbunden, deren Resultat
dann aber zielorientiert verfolgt und in der Diskussion mit anderen Gehörlosen getragen wurde.
Auch hier handelte es sich um hoch motivierte
und hoch engagierte Eltern.
8
⊡ Abb. 8.4. Eltern gehörlos, beide Kinder bilateral CI-versorgt
Heute wird die CI-Versorgung von einer wachsenden Zahl gehörloser bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern für ihre Kinder in Anspruch
genommen. Letztendlich haben sich die meisten
Gehörlosen bzw. hochgradig Hörgeschädigten spätestens in der Zeit der Schwangerschaft Gedanken
darüber gemacht, ob sie eine CI-Versorgung für
ihr Kind in Anspruch nehmen würden oder nicht,
falls das Kind gehörlos zur Welt kommt. Diese, zunächst fiktive Entscheidung, wird, wenn das Kind
auf der Welt ist, noch einmal neu durchdacht und
neu entschieden. Eine beträchtliche Zahl der gehörlosen Erwachsenen hat in der Rolle als Eltern
Ablehnung zugunsten von Aufgeschlossenheit und
Interessiertheit abgelegt. Im Gegensatz zu den ersten CI-Versorgungen gehörloser Kinder gehörloser
bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern kommt
es kaum noch vor, dass die Implantation durch
hörende Bezugspersonen forciert wird. Die hörgeschädigten Eltern entscheiden zunehmend selbst
und frühzeitiger, so dass sich das Implantationsalter der Kinder dem der Kinder der hörenden
Eltern angleicht.
Zufriedenheit der Eltern mit der
Cochlea-Implantation
Zum Zeitpunkt der Interviews verfügten die von
uns befragten Eltern über mindestens fünf Monate bis maximal neun Jahre und zwei Monate
Erfahrung mit der CI-Versorgung ihres Kindes
70
8
Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
bzw. ihrer Kinder. Alle Eltern betonten ihre grundsätzliche Zufriedenheit mit der CI-Versorgung. Sie
schätzten auch zum Interviewzeitpunkt ihre Entscheidung als richtig ein und würden nach den
bisher gemachten Erfahrungen ihr Kind wieder
mit CI versorgen lassen. Alle Kinder tragen ganztägig das Cochlea-Implantat bzw. die Cochlea-Implantate; einige der Kinder bzw. Jugendlichen sind
inzwischen bilateral versorgt.
Ambivalente Gefühle äußerten die Eltern bezüglich der sprachlichen Entwicklung der Kinder. So gaben sie an, den Stand der Hör- und
Sprachentwicklung ihres Kindes bzw. ihrer Kinder
nicht einschätzen zu können. Gleiches gilt für den
Umfang des ergänzenden Absehens bei der Lautsprachperzeption. Sie offenbarten aber auch ihre
Ängste bezüglich eines Totalausfalles des Implantats und einer Reimplantation.
Probleme im Rehabilitationsprozess
Alle Interviewpartner bemängelten den fehlenden
Kontakt zu Familien in vergleichbarer Situation. Die
hörgeschädigten Familien mit CI-Kindern wohnen
bundesweit verstreut, was den Kontakt untereinander einschränkt. Dieser Kontakt wäre jedoch wünschenswert, da er wesentlich zu ihrer Stabilisierung
beitragen und den Austausch untereinander befördern könnte. Die Eltern wünschen sich mehr Austauschmöglichkeiten und ihren Kindern mehr Sozial- und Spielkontakte zu gleichaltrigen, hörenden
Kindern im Wohnumfeld, also der unmittelbaren
Nachbarschaft. Durch Letzteres erhoffen sich die
Eltern alltägliche, natürliche Sprachangebote, die es
ihren Kindern ermöglicht, Sprache in Alltagssituationen zu erlernen. Durchweg betonen sie für die
alltägliche Kommunikation in der Familie (und bei
Zusammensein mit anderen Hörgeschädigten) die
Rolle der Gebärdensprache.
Noch nicht allen CI-Zentren gelingt es ausreichend, die gehörlosen Eltern in die Förderzeiten
bzw. pädagogischen Angebote während der RehaTage einzubeziehen. Viele der befragten Eltern
fühlten sich zu wenig in die Förderarbeit integriert,
wobei sie zum Ausdruck brachten, dass sie keine
Rehabilitationszeiten mit ausschließlich gehörlosen bzw. hörgeschädigten Eltern wünschten.
Es wird eingeschätzt, dass jüngeren Kindern
vielfältigere Förderangebote zur Verfügung stehen.
Ältere Kinder hingegen erhalten lediglich HörSprech-Sprachförderung im Rahmen des Unterrichtsalltags.
Insgesamt hat sich gezeigt, dass es vor allem gilt,
die Erstinformation für die gehörlosen bzw. hörgeschädigten Eltern über die CI-Versorgung von
Kindern zu verbessern. Sie geht oftmals zu schnell,
wird mitunter nicht im Beisein von Gebärdensprachdolmetschern durchgeführt und ist zu wenig
auf die Gehörlosen zugeschnitten. Die Folgen sind
nicht selten Missverständnisse und Unzufriedenheit auf Seiten der hörgeschädigten Eltern.
Abschließende Bemerkungen
Zum Wohlbefinden der hörgeschädigten Eltern
könnten wesentlich Selbsthilfegruppen beitragen.
In jüngster Zeit haben sich die ersten zwei etabliert. Diese gilt es, mit Rat und Tat zu unterstützen,
da sie wesentlich dazu beitragen können, ähnlich
erlebte Probleme zu bewältigen, offene Fragen zu
beantworten und sich bei Schwierigkeiten wechselseitig soziale Unterstützung zu gewährleisten.
Aktuelle Aktivitäten des Lehrstuhls für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der Universität München richten sich auf die Erstellung von
Informationsmaterialien für Gehörlose bzw. hochgradig Hörgeschädigte über die CI-Versorgung
von Kindern. Diese sollen neutral, sachlich und
⊡ Abb. 8.5. Lars und Malte beim Spielen
71
Literatur
objektiv informieren sowie unter dem Aspekt der
Text- und Inhaltsgestaltung auf die Zielgruppe zugeschnitten sein. Als wissenschaftliche Basis für die
Textgestaltung wird der mehrdimensionale Verständlichkeitsindex nach Langer et al. (2006) herangezogen. Die Erarbeitung der Materialien erfolgt
in Zusammenarbeit von Vertretern des Lehrstuhls
für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der
Universität München und des CIC Schleswig-Kiel
mit gehörlosen Elternpaaren, deren Kinder CITräger sind. Die Broschüre und der Flyer sollen
Gehörlosen bzw. hochgradig Hörgeschädigten,
aber auch anderen Personen mit Kommunikationsproblemen, z. B. Eltern mit Migrationshintergrund und eingeschränkten Deutschkenntnissen,
den Informationszugang über die CI-Versorgung
von jungen Kindern erleichtern.
Literatur
Bastian E (1997) Der Weg zum CI. Der Entscheidungsprozess
gehörloser Eltern für ihr gehörloses Kind. In: Diller G,
Gall V, Ilberg C v et al. (Hrsg) Aktuelle Aspekte der Indikation, Rehabilitation und Technik. 3. Friedberger CochlearImplant-Symposium vom 13.–14. Juni 1997. Eigendruck,
Niddatal, S 76–92
Begall K (1995) Versorgung Gehörloser mit dem CochleaImplant. Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter, Vaduz, S 59–90
Chute PM, Kretschmer RE, Popp AL et al. (1995) Cochlear implant performance in a deaf child of deaf parents. A case
study. Ann Otol Rhinol Laryngol Suppl 166: 316–318
Funk H (2004) Das nicht-gehörte Kind. Brandes und Apsel,
Frankfurt a.M.
Grüner B (2004) Die Sprachentwicklung hörender (Vorschul-)
Kinder hochgradig hörgeschädigter bzw. gehörloser Eltern. Kovač, Hamburg
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Klinke R (1997) Hören als zentralnervöser Verarbeitungsprozeß. Hörgeschädigtenpädagogik 51: 355–370
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des Hörens – Erlernen des Sprechens. Luchterhand, Neuwied Kriftel Berlin, S 77–95
Klinke R, Kral A, Hartmann R (2001) Sprachanbahnung über
elektronische Ohren – So früh wie möglich. Dtsch Ärztebl
98: A3049–A3053
Langer I, Schulz von Thun F, Tausch R (2006) Sich verständlich
ausdrücken. Reinhardt, München Basel
Lehnhardt E (1997) Das Cochlear-Implant von den Anfängen bis zur verlässlichen Hilfe für gehörlose Kinder. In:
8
Leonhardt A (Hrsg) Das Cochlear-Implant bei Kindern
und Jugendlichen. Ernst Reinhardt, München, S 19–30
Lehnhardt E (1998) Entwicklung des Cochlea-Implantats und
das Cochlea-Implantat. Projekt in Hannover. In: Lenarz
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New York, S 1–8
Lehnhardt E, Aschendorff A (1993) Prognostic factors in 187
adults provided with the Nucleus Cochlear Mini-System
22. In: Fraysse B, Deguine O (eds) Cochlear implants. New
perspectives. Adv Otorhinolaryngol 48: 146–152
Leonhardt A (2008) Gehörlose Eltern und Kinder mit CI. Schnecke 19: 12–15
Leonhardt A, Grüner B (2001a) Hörende Kinder hörgeschädigter Eltern. Erste Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt
zur Sprachentwicklung von hörenden Kindern hochgradig hörgeschädigter und gehörloser Eltern. Hörgeschädigtenpädagogik 55: 28–34
Leonhardt A, Grüner B (2001b) Lautunterscheidungs- und
Lautbildungsfähigkeit von hörenden (Vorschul-)Kindern
hochgradig hörgeschädigter und gehörloser Eltern. Eine
Untersuchung anhand des Lautunterscheidungstests
(LUT) und des Lautbildungstests (LBT) für Vorschulkinder.
Sprache, Stimme, Gehör 25: 118–123
Leonhardt A, Wendels S (2007) Auf zu neuen Ufern – wie das
Neugeborenenhörscreening die Frühförderung hörgeschädigter Kinder verändert. Erste Teilergebnisse eines
Projekts zur Entwicklung eines Beratungskonzeptes für
Familien mit beim Neugeborenenhörscreening hörauffälligen Kindern in Frühförderstellen. Sonderpädagogische
Förderung 52: 87–98
Schlote W (1989) Grundlagen der neurophysiologischen Entwicklung von Kindern im Vorschulalter. Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter, Vaduz, S 38–60
Wittasek N (2000) Ein »Märchen«. Schnecke 11: 28, 45
9
Die Deutsche Cochlear Implant
Gesellschaft e.V.
20 Jahre CI-Selbsthilfe in Deutschland – Anlaufstelle
für Ratsuchende
T. Ringhut
20 Jahre CI- Selbsthilfe
Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V.
hat sich seit ihrer Gründung 1987 zu einem Dachverband mit zwischenzeitlich 10 Regionalverbänden und über 80 CI- Selbsthilfegruppen entwickelt. Eine kleine Gruppe von engagierten Ärzten,
Technikern, Fachkräften und Betroffenen hat in
Hannover vor 20 Jahren eine Basis geschaffen, die
es Betroffenen heute möglich macht, auf ein stetig
wachsendes Selbsthilfenetzwerk zuzugreifen. Den
Gründern gebührt daher ein hohes Maß an Respekt und Dankbarkeit für ihre Weitsicht und ihr
herausragendes Engagement.
CI-Selbsthilfe heute – selbstbewusst
und sichtbar
Heute nimmt die CI-Selbsthilfe und damit die
Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft (DCIG)
eine wichtige Stellung in der CI-Versorgung ein.
Betroffene sind nicht mehr ausschließlich Patienten, sondern aktive und vor allem selbstbewusste
Ratsuchende und Ratgebende, Menschen, die sich
in Gruppen austauschen, gegenseitig bestärken
und ihre Bedürfnisse und Vorstellungen öffentlich machen. Eine starke Entwicklung. Selbsthilfe
ist nicht mehr nur noch eine Ergänzung der CIVersorgung, sondern eine Komplettierung.
Unter dem Motto »taub und trotzdem hören« arbeitet der Selbsthilfe-Bundesverband heute
ehren- und auch hauptamtlich in den Bereichen
Information, Aufklärung, Beratung, Interessenvertretung und Öffentlichkeitsarbeit für und mit CITrägern.
Förderung von CI-Trägern
Kernaufgabe des Verbandes ist die Förderung von
Hörgeschädigten, die mit einem Cochlea-Implantat
(CI) oder anderen Hilfsmitteln versorgt worden sind
oder versorgt werden wollen. Hierzu setzen sich
die Engagierten neben der Interessensvertretung auf
Bundesebene vor allem in der persönlichen und
individuellen Beratung vor und nach der Implantation ein. Diese Beratung findet nicht nur im Zweiergespräch statt. Ratsuchende erhalten vor allem
in Selbsthilfegruppen wichtige Unterstützung durch
Gleichbetroffene. Die Grundsätze der Selbsthilfe
finden in diesen Gruppen aktive Anwendung und
74
Kapitel 9 · Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V.
ermöglichen den »Neulingen« wichtige Orientierung. Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Solidarität, Selbstvertretung und Wahrung der Integrität
stehen im Vordergrund. Beratung von Betroffenen
durch Betroffene hat sich nicht nur traditionell bewährt, sondern ist auch ein Modell mit Zukunft. Die
Anzahl an Neugründungen von CI-Selbsthilfegruppen im Bundesgebiet steigt in den vergangen Jahren
merklich an. Dies liegt nicht nur an der wachsenden
Anzahl von CI-Trägern, sondern an der Erkenntnis,
dass die CI-Selbsthilfe für Betroffene einen hohen
Nutzwert erbringt. Die DCIG unterstützt deshalb
aktiv Neugründungen von Selbsthilfegruppen.
Die CI-Selbsthilfe hat sich zu einer selbstbewussten und öffentlichkeitsorientierten Komponente in der deutschen CI-Landschaft entwickelt.
Ein sichtbares Zeichen für das gewachsen Selbstbewusstsein der CI- Selbsthilfe ist die Etablierung des
Deutschen CI-Tages. Durch eine Vielzahl an Aktionen rund um die Themen CI und Hörschädigung
macht er Bedürfnisse von Betroffenen bundesweit
sichtbar. Der 2005 zum ersten Mal ins Leben gerufene Aktionstag fördert die Wahrnehmung des
Themas Hörbehinderung in der Bevölkerung und
ruft zur Solidarisierung auf. Der CI-Tag reiht sich
somit in eine Liste erfolgreicher Aktionstage zu
unterschiedlichsten Themen in Deutschland ein.
Information und Öffentlichkeit
Hand in Hand
9
Die Wichtigkeit von Information und Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der CI-Träger in Deutschland
wurde von den Aktiven bereits früh erkannt. Seit
rund 15 Jahren ist das Hauptinformationsmedium
des Verbandes die Zeitschrift »Schnecke«. Die
Verbandszeitschrift der DCIG hat sich zu einer
Fachzeitschrift für die Themen Cochlea-Implantat,
Schwerhörigkeit, Taubheit, Tinnitus, Hörgeräte
und Hörhilfsmittel im deutschsprachigen Europa
entwickelt. Mit einer Auflage von 5500 Exemplaren zeichnet sie sich durch die Kombination
wissenschaftlicher Fachbeiträge mit Erfahrungsberichten aus. Diese Konstellation bietet dem Leser
einen besonders tiefen Einblick in die Problematik
der Hörschädigung und ihrer Bewältigung.
In der Hörgeschädigten-Selbsthilfe stellt das
Internet eine wichtige Kommunikationsmöglichkeit dar. Die Internetseiten des Verbandes bieten
Informationen rund um das Cochlea-Implantat
und ermöglichen Interessierten, bereitgestellte
Informationsblätter zu Hause auszudrucken. Die
Barriere, durch hohen Aufwand an neutrale Informationen zu gelangen, wurde so gesenkt. Die Seiten geben außerdem eine Übersicht zu Anlaufstellen im Bundesgebiet, so dass konkrete persönliche
Kontakte zu regionalen Gruppen gefördert werden.
Den virtuellen Austausch von emotionalen und
sachlichen Themen ermöglicht das 2006 entwickelte Forum der Website. Auch hier soll nach dem
Prinzip der Selbsthilfe der Informationstransfer bei
CI-Trägern aktiv gefördert werden.
Da die Anzahl der CI-Träger in Deutschland im
Vergleich zu anderen Betroffenengruppen noch
relativ klein ist, hat sich die DCIG größeren Verbänden angeschlossen. Dadurch wird die Einflussnahme auf politischer Ebene gestärkt. Die DCIG
ist heute Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft
Selbsthilfe, der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten-Selbsthilfe und Fachverbände und
der European Association of Cochlear Implant
Users. Diese bewusst entwickelten Netzwerke auf
Bundesebene ermöglichen einen Informationsaustausch, der ohne diese wichtigen Partner, insbesondere mit Blick auf künftige Entwicklungen
unmöglich wäre.
Vernetzung und Kooperation
– Aufgaben für die Zukunft
Die wichtigste Aufgabe der Deutschen Cochlear
Implant Gesellschaft e.V. bleibt, neben der Beratung, die Stärkung der CI-Selbsthilfe und ihrer Kernkompetenzen. Als Kernkompetenzen der
Selbsthilfe sind die Bereitstellung von Erfahrungswissen zur Unterstützung des professionellen Handelns und die Stärkung von Eigeninitiative auch
künftig hervorzuheben.
20-jährige Erfahrung in der Verbandsarbeit
zeigt, dass eine wechselseitige Akzeptanz und
Wertschätzung von Profession und Betroffenen die
75
Vernetzung und Kooperation – Aufgaben für die Zukunft
Basis für eine positive Weiterentwicklung des CI
Versorgungssystems darstellen. Kooperation und
Vernetzung um den höchstmöglichen Nutzen für
CI-Träger zu erreichen, sind deshalb Kernaufgaben
für die Zukunft.
»Betroffenheit macht stark und ein gemeinsamer
Wille kann Berge versetzen.«
Kontakt
Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V.
Rosenstraße 6
89257 Illertissen
Tel.: 07303/3955
Fax: 07303/43998
E-Mail: [email protected]
Internet: www.dcig.de
9
Stichwortverzeichnis
78
Stichwortverzeichnis
A
Akustikusneurinom 51
Alter 40
− bei Operation 39
Altersgrenze 58
Anpassung des Sprachprozessors
5
auditive Verarbeitungsstörungen
16
auditive Wahrnehmungsstörungen
16
auditory brainstem implant 43
B
bakterielle Meningitis 43
beidseitige (bilaterale) Versorgung
2
beidseitige Implantation 59
BERA 28
bilaterale Implantation 56
bildgebende Verfahren 34
binaurale Redundanz 55
binaurale Störgeräuschunterdrückung 55
binaurale Summation 55
binaurales auditorisches
System 6
binaurales Gehör 53
binaural squelch 55
Biokompatibilität 41
Blindsackverschluss des äußeren
Gehörgangs 51
BOEL-Test (Blicken Orienterar Efter
Ljud) 20
Bundessozialgericht 58
C
chronische Mittelohrentzündung
50
Cochlea-Implantat (CI) 1
Cochlear-Implant-Chirurgie 47
− Cochleostomie 49
− extracochleäre Elektroden
48
− Fazialisparese 48
− posteriore Tympanotomie
48
Cochleostomie 42
computer-aided surgery 52
Computertomographie 43
D
Degeneration der Hörbahn
59
demographischer Wandel 41
double array 50
DPOAE 28
E
E-BERA 28
Effekte, neurophysiologische
54
einzeitig 56
electric field imaging 36
elektrische Hörschwelle 35
elektroakustische Stimulation
7, 44
− Hybrid-L 7
Elektrodenlage 45
Erhalt des Restgehörs 44
evozierte Potentiale 35
F
Fehlbildungen 43
Fehlentwicklung 59
Fenster, runde 43, 44
fMRT 30
Förderung von CI-Trägern 73
Frequenzunterscheidung 36
G
Gehör, binaurales 53
genetische Hörstörungen 15
Geschmacksprüfung 29
Gleichgewichtsstörungen 51
Gleichstellung mit Normalhörenden 58
Global Consensus Group on
Cochlear Implant Reliability 4
Grundbedürfnis auf beidseitiges
Hören 58
Grundlagen, sozialrechtlichen 58
H
Hautschnitt 4
− J- oder C-förmiger 4
− kleine Inzision 4
Hirnhautentzündung 59
Hörbahn 34, 54
Hörgerät 60
Hörnervpotentiale, elektrisch
evozierte 33
Hörschwelle, elektrische 35
Hörstörungen
− Formen 11
− Genetische 15
− nichtsyndromale 15
− Syndromale 15
Hörverarbeitung, zentrale 59
Hörvorteile 57
Hybrid-Cochlear-Implant 44
I
Impedanzen 5
Implantatausfall 3
Implantation
− beidseitige 59
− bilaterale 56
− sequentiellen bilateralen 56
Implantatsysteme 1
79
Stichwortverzeichnis
Indikation 39
− medizinische 59
− zum Cochlear-Implantat 2
Integritätstest 3
K
kalorische Prüfung 30
Klick-BERA 28
Knochenbett 42, 49
Knochenleitungs-BERA 28
Kopfschatteneffekt 54
Ko-Stimulation 37
kritische Zeitspanne 55
kumulative Überlebensrate 3
Neural Response Imaging 5
Neural Response Telemetry
5
neurophysiologische Effekte
54
Notch-noise-BERA 28
NRI 5
NRT 5
Nucleus-Contour-Elektrode 4
Nucleus-Implantat 1
O
Obliteration 3, 43
Operationsschritte 42
Ortskodierung 2
Ossifikation 43
L
Labyrinthitis 45
Landessozialgericht 58
Lokalisation 55
M
Mastoidektomie 42
medizinische Indikation 59
Meningitis 45, 50, 59
− bakterielle 43
Messungen 32
minimal-invasiver Zugang 42
Missbildungen 3
Mondini-Dysplasie 50
Monitoring 31
− intraoperatives 50
− neurophysiologisches 50
N
Navigation 44
Nervus facialis 38
P
PET 30
Petrosektomie, subtotale 51
posteriore Tympanotomie 42
postoperative Probleme 37
Potentiale, evozierte 35
Probleme, postoperative 37
Promontorialtests 29
Prozessoreinstellung 33
Prüfung, kalorische 30
Pull-back-Technik 51
Q
Qualitätskontrolle 45
R
Rechtsanspruch 58
Redundanz, binaurale 55
Rehabilitationsergebnis 45
Reifung der Hörbahn 55
Restgehör 40
Resthörigkeit 2
Richtungshören 6, 54
runde Fenster 43, 44
S
Scala tympani 42, 45
Scala vestibuli 45
Schallempfindungsschwerhörigkeit 14
Schallleitungsschwerhörigkeit
13
Schnittführung, minimal-invasive
47
Schwindelgefühl 37
sequentielle bilaterale Implantation 56
Signal-Rausch-Verhältnis 54
Soft-Surgery 40
Soft-Surgery-Technik 39, 42,
47
Sozialgesetzbuch 58
sozialrechtliche Grundlagen 58
Spielaudiometrie 19
Sprachkodierungsstrategie 42
Sprachprozessor 41
Sprachverarbeitungsstrategien
2, 6
− Continous Interleaved Sampling
(CIS)-Strategie 6
− MP3000-Strategie 6
− Reizfolgeraten 6
Sprachverstehen
− im Geräusch 6
− im Störgeräusch 54
spread of excitation 36
Stapediusreflex 33
Stapediusreflexschwelle 5, 6
Stimulation, Elektroakustische
44
Störgeräuschunterdrückung,
binaurale 55
Summation, binaurale 55
System, mehrkanaliges 2
80
Stichwortverzeichnis
T
Telemetrie des Implantats 3
TEOAE 28
Tympanotomie, posteriore 42
V
Verfahren, bildgebende 34
Verknöcherung 59
vestibulär evozierte myogene
Potentiale 30
voll-implantierbare Systeme 42
3D-Volumen-Computertomographie 44
3D-Volumen-CT 45
W
Widerstand 31
Z
Zeitunterschiede 55
zentrale Hörverarbeitung 59
Zuwendungsaudiometrie 19
zweizeitig 56
Printing: Krips bv, Meppel, The Netherlands
Binding: Stürtz, Würzburg, Germany
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