Fortbildungsartikel verfügbar

Werbung
G
N
TB
©© photos.com PLUS
ZE
E
Zertifizierte
Zertifizierte
Fortbildung
Fortbildung
in Zusammenarbeit
in Zusammenarbeit
mitmit
3
Punkte
R
Besser hören
IFIZIE
RT
FO
PflegeKolleg
Ohrerkrankungen im Alter
Schwerhörigkeit als Symptom
RT
ILDU
Von Reizen überflutet
Hörsturz und Tinnitus ganzheitlich betrachten
Pflegemanagement bei Hörstörungen
Verständlich kommunizieren – So geht‘s
Besser hören
©© Ingo Bartussek / Fotolia
PflegeKolleg
Ohrerkrankungen im Alter
Schwerhörigkeit als Symptom
Hörstörungen bei Senioren werden häufig mit „Altersschwerhörigkeit“ gleichgesetzt.
Doch Schwerhörigkeit ist zunächst ein Symptom, das allein oder in Kombination mit
anderen Ohr-Leitsymptomen auftreten kann. Dahinter verbergen sich mitunter Komplikationen einer Grunderkrankung, die eine zügige Therapie erfordern. Der folgende
Beitrag vermittelt Hintergrundwissen für den Pflegealltag.
K E Y WO R DS
Schwerhörigkeit
Schallleitungsschwerhörigkeit
Schallempfindungsschwerhörigkeit
Presbyacusis
Hörgerät
E
ine akute Hörminderung ist normalerweise
immer ein Anlass, sofort einen HNO-Arzt aufzusuchen. Chronisch progrediente Hörverluste werden dagegen in ihrem Ausmaß oft falsch eingeschätzt. Oft fällt daher der Umgebung auf, dass
ein Mensch schlecht hört. Mit dem Mini-Audio-Test
(MAT, Abb. 1), einem einfachen, schnell durchzuführenden Fragebogen, können auch im Pflegealltag Hinweise zum Vorliegen einer relevanten
Schwerhörigkeit gewonnen werden, die einer weiteren fachärztlichen Diagnostik bedürfen. Dagegen
sind Onlinetests, Hörweitenprüfung sowie das Verwenden von Knistern und Rascheln sind wegen der
hohen Varianz bei der Ausführung keine adäquaten
Methoden.
Erkrankungen und Therapie von
Hörstörungen
Bei vielen Ohrerkrankungen kommt die enge anatomische und funktionelle Beziehung des äußeren,
mittleren und inneren Ohres sowie der Ohrtrompete (Tuba auditiva), des Nasenrachenraumes und der
benachbarten Luftwege zum Tragen. Auch ein
scheinbar komplikationsloser Verlauf einer Erkrankung kann daher schnell und unvorhersehbar zu einer Mitbeteiligung der benachbarten Strukturen
führen. Ebenso kann eine primär nicht otogene Erkrankung zu einer Ohrkomplikation führen.
30
Akute Erkrankungen
Äußeres Ohr (Otitis externa): Abgesehen von einer
banalen Verstopfung durch Cerumen ist hier in erster Linie die durch ihre Schmerzen außerordentlich
unangenehme bakterielle Otits externa zu nennen.
Auslösend sind oft Manipulationen im äußeren Gehörgang. Begünstigend wirken ein Diabetes mellitus, konsumierende Grunderkrankungen und immunsuppressive Behandlungen. Die Therapie sollte
gezielt lokalantibiotisch erfolgen, wobei eine subtile
Gehörgangsreinigung durch den HNO-Arzt unter-
D E FI N ITI O N
Als Schwerhörigkeit wird jede Minderung des
Hörvermögens bezeichnet, als deren Folge akustische Informationen nur eingeschränkt wahrgenommen werden. Sie kann akut auftreten oder
schleichend beginnen. Man unterscheidet eine
Schallleitungsschwerhörigkeit von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit. Hiervon abzugrenzen sind noch die neurale und zentrale
Schwerhörigkeit, bei der die Störung auf der
Ebene des Hörnervs bzw. der Hörbahn liegt. Alle
Formen der Schwerhörigkeit können auch kombiniert auftreten.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
stützend wirkt. Jede nichtärztliche Manipulation am
Gehörgang ist verboten und stellt wegen der Gefährdung der innen liegenden Strukturen einen pflegerischen Fehler dar. Das gilt insbesondere für Reinigungsversuche mit Wattestäbchen.
Mittelohr (Otits media): Der überwiegende Teil der
akuten Mittelohrentzündungen bei älteren Menschen ist bakterieller Genese. Daher ist zu Beginn
eine HNO-ärztliche Diagnostik indiziert. Symptomatisch hierfür sind Fieber, starke Otalgie und eine
eitrige Rhinorrhoe. Nicht selten kommt es auch zu
einer eitrigen Otorrhoe, die ihrerseits eine Otits externa auslösen kann. Diese Otitiden sollten primär
antibiotisch durch einen HNO-Facharzt behandelt
werden.
Nicht selten kommt es bei einer Otits media sekundär – bei viralen Infektion durch Varizella zoster (Zoster oticus) auch primär – zu einer entzündlichen Reaktion an der Basis der Hörschnecke (toxische Innenohrbeteiligung). Verursacht wird sie
durch den Übertritt von Toxinen über die semipermeablen Membranen des Innenohres mit entsprechender Funktionseinschränkung für die oberen
Frequenzen. Schreitet die Krankheit fort, kann die
Entzündung auf das komplette Labyrinth übergreifen und auch Tinnitus und (Dreh-)Schwindel verursachen. Als schwere Komplikation einer Otitis
media kann es zu einer Mastoiditis kommen, die einer zügigen chirurgischen Sanierung des Warzenfortsatzes bedarf.
Abb. 1: Der MiniAudio-Test (MAT)
kann nach entsprechender Einweisung auch von
Pflegekräften
durchgeführt werden.
Chronische Erkrankungen
Mittelohr: Chronische Mittelohrentzündungen
können symptomarm sein. Je nach Ausmaß der
Schädigung tritt eine Schallempfindungschwerhörigkeit zur Schallleitungsschwerhörigkeit hinzu. Bei
chronischen Defekten des Trommelfells und/oder
der Gehörknöchelchenkette ist meist nur eine Operation (Tympanoplastik) als Behandlung möglich.
Einen Sonderfall stellt das Cholesteatom dar.
Hierbei kommt es, zu einer epitympanalen Trommelfellretraktion und nachfolgend zu einem Adhäsivprozess des Trommelfelles an Mittelohrstrukturen. Eine bakterielle Superinfektion führt zu einer
lokalen Destruktion der Umgebung. Nur eine operative Sanierung (Tympanoplastik) kann diesen
Teufelskreis durchbrechen.
Äußeres Ohr: Chronisch Gehörgangsentzündungen
sind oft sehr hartnäckig und bedürfen einer subtilen Diagnostik und Therapie. Ätiologisch kommen
mechanische Reizungen („Q-Tip-Abusus“), allergische Irritationen, eine chronische Cortisonapplikation, die Anwendung von nutzlosen bis gefährlichen
Hausmitteln (Zwiebelwickel, Ohrkerzen, warmes
Öl) sowie bakterielle und mykotische Fehlbesiedlungen in Betracht. Oft findet sich ein Mischbild.
Wegen der oft unübersichtlichen Anatomie und der
Nähe zu Trommelfell und Mittelohr sind eine Gehörgangsreinigung und Medikamentenapplikation
oder operative Maßnahmen (z.B. beim
Gehörgangschole­
steatom) nur beim HNO-Arzt
möglich.
Chronische Innenohrschwerhörigkeit im Alter
(Presbyacusis): Von einer relevanten Schwerhörigkeit sind 79% der Personen zwischen 61 und 70 Jahren, 88% zwischen 71 und 80 Jahren und 98% der
noch älteren Menschen betroffen. Eine chronisch
progrediente Innenohrschwerhörigkeit wird vom
Betroffenen oft nicht bewusst wahrgenommen oder
zumindest in ihrem Ausmaß nicht richtig eingeschätzt. Hier sind eine genaue Anamnese und der
Einsatz des MAT zielführend. In erster Linie ist
beim Erwachsenen, insbesondere beim älteren Menschen eine abnutzungsbedingte Presbyacusis ursächlich, jedoch können auch genetische oder lärmbedingte Schwerhörigkeiten für einen schleichenden
Hörverlust verantwortlich sein. Die differentialdia-
Innenohr und Hörsturz: Akute Innenohrerkrankungen äußern sich meist mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit, gelegentlich in Kombination
mit einem Tinnitus und (Dreh-)Schwindel, Ohrdruck und Schmerzen. Nichtentzündliche akute
Hörminderungen werden ohne klare Ätiologie unter dem Begriff „Hörsturz“ subsummiert.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
Jede nichtärztliche Manipulation
am Gehörgang
stellt wegen der
Gefährdung der
innen liegenden
Strukturen einen
pflegerischen Fehler dar.
31
PflegeKolleg
Besser hören
Fazit für die Pflege
— Hörstörungen spielen bei der Versorgung alter
Menschen eine wichtige Rolle. Daher sollten Pflegekräfte die wichtigsten Krankheitsbilder kennen, die mit einer Hörminderung einhergehen.
— Erste Hinweise auf eine Hörminderung und die
Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung
kann im Pflegealltag der Mini-Audio-Test (MAT)
liefern.
— Bei der chronischen Altersschwerhörigkeit ist
eine frühzeitige Hörgeräteversorgung wichtig.
Nur so lässt sich eine funktionelle Degeneration
der Hörbahn verhindern.
gnostische Abgrenzung gelingt nur durch eine breite audiologisch-otoneurologische, HNO-ärztliche
Untersuchung.
Eine unbehandelte, altersbedingte Schwerhörigkeit hat vielfältige Auswirkungen. So erhöht sich bei
schwerhörigen Senioren das Risiko, eine Demenz
zu entwickeln, an einer Depression zu erkranken,
eine Sturzkrankheit zu entwickeln oder einen kognitiven Leistungsverlust zu erleiden. Hinzu kommen sozialer Rückzug, mangelnde Bewegung und
intellektuelle Verarmung.
Bei Presbyacusis
ist eine möglichst
frühe Hörgeräteversorgung anzustreben, damit es
nicht zu einer
„Entwöhnung“
der Hörrinde
kommt.
32
Hörgeräte frühzeitig einsetzen
Eine Presbyacusis kann durch Hörgeräte ausgeglichen werden. Hierbei ist eine möglichst frühe Versorgung anzustreben, weil durch den schleichenden
Hörverlust die Hörrinde von der Interpretation der
nicht gehörten Frequenzen langsam „entwöhnt“
wird. Dieses kann eine funktionelle Degeneration
der Hörbahn zur Folge haben, die eine Hörgeräteversorgung nach zu langer Hörabstinenz unmöglich macht. Der Patient hat vergessen, „wie Hören
geht“ und kann es wegen der zugrundeliegenden
Synapsendegeneration nicht mehr neu erlernen.
Fatalerweise ist ein Einzelgespräch in ruhiger
Umgebung oft auch bei stark fortgeschrittener Presbyacusis relativ gut möglich. Daher fällt es nicht immer leicht, den Betroffenen zu einer Hörgeräteversorgung zu motivieren. Hier erweist sich das Gespräch mit den Angehörigen oft als sehr hilfreich.
Auch eine strukturierte Anamnese, in der gezielt
auch andere Hörsituationen (im Nebengeräusch
und Hall) abgefragt werden, kann wertvolle Hinweise geben. Derzeit sind nur circa 16% der bedürftigen Personen mit einem Hörgerät versorgt. Gleichwohl wäre es fatal, jeden schwerhörigen älteren
Menschen ohne weitere HNO-ärztliche Diagnostik
einfach mit Hörgeräten zu versorgen. Hier kann es
unter Umständen zu lebensgefährlichen Komplikationen kommen.
In den meisten Fällen ist eine beidohrige Hörgeräteversorgung erforderlich, weil sich nur Defizite
beim räumlichen Hören (stereophone Defizite) ausgeglichen werden können. Auch nach einer erfolgreichen Hörgeräteversorgung sind regelmäßige
fachärztliche Kontrollen erforderlich. Nur so können schleichende Schädigungen des Gehörgangs
oder Zweiterkrankungen (z.B. ein On-Set-Akustikusneurinom), die durch die Presbyacusis in ihrer
Symptomatik larviert werden, rechtzeitig entdeckt
werden. Bei hochgradig Schwerhörigen werden heute auch bei Erwachsenen zunehmend operative
Hörhilfen und Hörprothesen (Cochlea-Implantat,
CI) angewandt. Die Indikationsstellung hierzu
kann nur durch einen HNO-Arzt erfolgen. Mit den
heutigen Festbeträgen lässt sich in den meisten Fällen ein guter Ausgleich der Schwerhörigkeit ohne
hohe Zuzahlungen realisieren.
Hörnerv (Akustikusneurinom)
Entzündliche und traumatische Erkrankungen des
Hörnervens gehen meist auch mit einer Innenohrbeteiligung einher und führen zu einer (zentralen)
Schallempfindungsschwerhörigkeit. Als dritthäufigster benigner Tumor des ZNS geht das Akustikusneurinom von Schwann-Zellen des achten Hirnnervens aus. Größere Tumoren können bei extrameatalem Wachstum zu einer Verdrängung des
Hirnstammes führen. Durch die heutige Stufendiagnostik sind Akustikusneurinome früh erkennbar
und letale Verläufe selten geworden. Prinzipiell
muss bei jeder akuten Hörminderung eine Beteiligung des Hörnervens ausgeschlossen werden. Therapeutisch stehen beim Akustikusneurinom verschiedene Behandlungsmethoden zur Verfügung.
Literatur bei den Verfassern
Beriwan Akcicek
Wissenschaftliche
Dokumentationsassistentin
WIAHNO Bad Bramstedt
Maienbeeck 1
24576 Bad Bramstedt
Dr. med. Jan Löhler
Wissenschaftliches Institut für angewandte HNO-Heilkunde (WIAHNO)
Deutscher Berufsverband der HNOÄrzte e. V.
Maienbeeck 1, 25476 Bad Bramstedt
[email protected]
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
Besser hören
©© Nagels Blickwinkel / Fotolia
PflegeKolleg
Von Reizen überflutet
Hörsturz und Tinnitus
ganzheitlich betrachten
Ein plötzlicher einseitiger Hörverlust wirkt bedrohlich und ist es auch. Meist steckt ein
so genannter Hörsturz dahinter, der zeitnah fachärztlich behandelt werden sollte. Geschieht das nicht, können bleibende Einbußen des Hörvermögens und chronische Ohrgeräusche (Tinnitus) die Folge sein.
K E Y WO R DS
Hörsturz
Tinnitus
Hörwahrnehmung
Stress
34
A
uf kaum mehr Raum als einer Fingerkuppe
sorgt ein kleines Organ im Innenohr für
Phantastisches: Die Aufnahme von Geräuschen, Lauten und Sprache und deren Umwandlung
in Nervenimpulse. Aber das „empfänglichste“ von
allen Sinnesorganen ist auch das empfindlichste. So
steht es der Zunahme der Umweltgeräusche, der
akustischen Belastung in Verkehr, Beruf oder Freizeit weitgehend hilflos gegenüber. Die Möglichkeiten, sich gegen eine Reizüberflutung abzuschirmen,
sind sehr begrenzt: Das Ohr ist immer offen, auch
nachts, wenn wir schlafen. Die Folge ist, dass unser
Hör-System oft vollständig überreizt ist. So treten
Schädigungen am Hörorgan wesentlich häufiger auf
als früher.
Plötzlicher Hörverlust – der Hörsturz
Ein Hörsturz wird definiert als in der Regel einmaliger, plötzlicher, meist einseitiger Innenohrhörverlust ohne erkennbare Ursache. Da die Hörschnecke
(Cochlea) im Innenohr entwicklungsgeschichtlich
aus dem Gleichgewichtsorgan hervorgegangen ist
und eng mit ihm verbunden bleibt, kann in bis zu
30% der Fälle ein einmaliger Schwindel hinzukommen. Die Funktionsstörung des Innenohrs kann
über alle Hörfrequenzen variieren, führt aber nur
selten zur vollständigen Taubheit. Tritt ein Hörverlust öfter auf, handelt es schon sich definitionsgemäß nicht mehr um einen Hörsturz, sondern beispielsweise um Endolymphschwankungen oder um
eine immunvermittelte Hörstörung.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
Es gibt zahlreiche Theorien zu den möglichen,
letztlich aber eben nicht bekannten Ursachen eines
„Hörsturzes“. Zwei Erklärungsansätze sind:
Durchblutungsstörung: Die gängigste Erklärung
sieht eine Durchblutungsstörung als auslösendes
Ereignis. Wahrscheinlich kommt es dabei zu einem
kurzfristigen Zusammenbruch der Energieversorgung im Innenohr. Ebenso wahrscheinlich muss es
sich dabei um eine vorübergehende Verminderung
der Durchblutung handeln. Bei einer dauerhaften
Durchblutungsstörung des Innenohrs würde das
Ohr ertauben. Dies ist zum Glück nur selten der Fall.
Schädigung durch Viren: Der zweite Erklärungsansatz für ein Hörsturzgeschehen geht von einer
Schädigung durch Viren aus. Hierbei werden eine
Reihe von Viren, die so genannten neurotropen
Viren verdächtigt. Dazu gehören Mumps-, Herpes
zoster-, Masern-, Influenza-, Adenoviren. Diese befallen mit Vorliebe Nerven und somit auch den Hörund den Gleichgewichtsnerv.
In moderaten Fällen ist Abwarten erlaubt
Das akute Auftreten eines plötzlichen Hörverlusts
gilt in Deutschland zwar als HNO-Eilfall, nicht aber
als Notfall. Daher kann bei moderaten Hörverlusten und bei vornehmlich Tieftonverlusten zwei Tage
auf eine häufig spontane Besserung gewartet werden. Es kann dabei günstig sein, die Betroffenen aus
dem Arbeits- und familiären Umfeld zu lösen, um
so eine gewisse Abschirmung zu erreichen. Unterstützend wirken Entspannungsmaßnahmen wie die
Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen (PMR).
Bei größeren Hörverlusten wird (absteigend) hochdosiert Cortison eingesetzt, vorzugsweise als Infusionsbehandlung. Inzwischen ist auch eine Lokalbehandlung am Innenohr möglich. Dabei wird das
Medikament durch das Trommelfell gespritzt (intratympanal) und ins Mittelohr appliziert.
Meist werden bei akut auftretenden Hörminderungen oder Tinnitus Rückbildungsraten von 70–
80% erreicht. Eine positive Beeinflussung des Hörsturzes durch die Gabe von Medikamenten gegen
eine Virusausbreitung konnte nicht gesehen werden.
Auch wenn sich der Hörverlust oft wieder gut zurückentwickelt, ist es sinnvoll, die Umstände ernst
zu nehmen, über die das hoch sensible Hörorgan
plötzlich „gestürzt“ ist. Hier können Weichen gestellt werden zur Vorbeugung weiterer Ereignisse
oder anderer Krankheitsformen wie etwa Erschöpfungszuständen. Oft muss aber erst ein TinnitusLeiden hinzukommen, um genauer hinzuhören.
Tinnitus – wenn die Hörfilter versagen
„Tinnitus“ bezeichnet (fast) alle Hör-Wahrnehmungen, die nicht durch Laute von außen bedingt sind.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
Unterschieden werden subjektive und objektive
Ohrgeräusche.
Subjektive Ohrgeräusche: Den überwiegenden Anteil von Tinnitus machen subjektive Ohrgeräusche
aus. Diese können an allen Stellen der Hörverarbeitung vom Mittelohr bis zur Wahrnehmung des
Schallsignals im Großhirn auftreten. Meist finden
sich ursächlich Schädigungen im Innenohr (Hörsturz, Lärmschäden), Endolyphschwankungen im
Innenohr oder Übererregbarkeiten bzw. Fehlsteuerungen bei den Nervenaktivitäten im Innenohr.
Aber auch bei bestem Hörvermögen kann es zu einer Senkung der Wahrnehmungsschwelle für das
seit der Geburt wahrnehmbare ganz normale
Grundrauschen kommen.
Werden Menschen in einer schalldichten Kammer absoluter Stille ausgesetzt, so entsteht innerhalb kurzer Zeit ein akustischer Eindruck. Das liegt
daran, dass das Innenohr wegen seiner ständig aktiven Sinneszellen von Geburt an ein sehr lauter Ort
ist. In etwa vergleichbar ist dies mit einer Ton-Anlage, die beim Einschalten des Stroms ein durchaus
hörbares, meist leises Grundrauschen erzeugt. Daher ist auch hörgesunden Menschen im Prinzip
schon immer ein Ohrgeräusch vorhanden. Es wird
meist nur nicht als solches wahrgenommen und –
was noch wichtiger ist – nicht dauerhaft beachtet.
Bei kleinen organischen Änderungen, wie leichten oder langsam hinzugekommenen Hörverlusten,
ermöglichen meist innere „Hörfilter“, Änderungen
dieses Grundmusters wegzufiltern. Es gelangt daher nicht als veränderter Höreindruck, also Tinnitus, ins Bewusstsein. Dies ist dann möglich, wenn
die „Hörfilter“ geschwächt oder aufgebraucht sind,
wenn wir nach Arbeitsüberlastung „ent“-nervt sind
oder zu viel Stress „um die Ohren“ hatten.
Hörfilter sind Funktionssysteme, die gewohnte
oder nicht notwendige Töne, wie beispielsweise das
Ticken einer Uhr, unterdrücken und ablenken, bevor sie in die Wahrnehmung gelangen.
Eine vorüberge­
hende Durchblu­
tungsstörung des
Innenohr gilt als
gängigster Auslö­
ser für einen Hör­
sturz.
Objektive Ohrgeräusche: Diese sind nicht nur für
die Betroffenen, sondern auch für Untersuchende
H O H E R LE I D E N SD RUCK
Circa 10% der Bevölkerung können dauerhaft
einen Tinnitus wahrnehmen. 0,5–1% der Bundesbürger leiden so ernsthaft an der Wahrnehmung
des Tinnitus, dass sie wegen der Folgestörungen,
wie Schlaflosigkeit oder depressiver Entwicklungen bis zur Gefährdung der Arbeitsfähigkeit, einer psychosomatischen oder psychiatrischen
Behandlung bedürfen.
35
PflegeKolleg
Entscheidend für
das Leiden am
Tinnitus ist, wie
sehr sich die
Betroffenen vom
Ohrgeräusch
gestört fühlen.
Besser hören
hör- und messbar. So können Ver- und Anspannungen der Mittelohrmuskeln oder ruckartige Öffnungsbewegungen der Ohrtrompete durchaus gehört werden. Bei krankhaft veränderter Ohrtrompete sind auch Atemgeräusche hörbar. In ganz seltenen Fällen stellen sich Gefäßmissbildungen als
Ursache des Ohrgeräusches heraus. Diese klopfen
im Rhythmus des Herzschlages an als pulsierendes
Ohrgeräusch.
Eine Frage der Wahrnehmung
Unabhängig von der Art der Tinnitus-Entstehung ist
für das Leiden am Tinnitus entscheidend, wie sehr
sich die Betroffenen von dem neuen, meist als unangenehm empfundenen Ohrgeräusch gestört fühlen.
Es war eine entwicklungsgeschichtliche Notwendigkeit und überlebenswichtig für den Menschen,
sich neu auftretenden Geräuschen sofort und in
höchster Alarmbereitschaft zuzuwenden. Je nach
Ursache des Geräusches waren dann die drei wichtigsten Reaktionen: angreifen, fliehen oder sich tot
stellen. Nur wenn etwas Vertrautes identifiziert werden konnte, durfte sofort Entspannung einkehren.
So sind aus evolutionärer Sicht folgende Punkte
wichtig:
1.Erkennen der Geräuschquelle (ja/nein)
2.Bewertung (positiv oder negativ)
3.Reaktion (meist unwillkürlich)
Aus diesem Grund erfordert auch ein Tinnitus als
unbekannter, meist negativ bewerteter neuer Hör­
eindruck so viel Aufmerksamkeit. Dabei stellen sich
Reaktionen ein, in dem sich viele Anteile unserer
ursprünglichen Muster wiederfinden lassen.
Nicht selten liegen
hinter dem
Tinnitus-Leiden
weitergehende
Probleme verborgen.
36
Fazit für die Pflege
— Der Hörsturz ist ein HNO-Eilfall. In moderaten
Fällen kann bis zu zwei Tage auf eine spontane
Besserung gewartet werden.
— Auch wenn die genauen Ursachen eines Hörsturzes noch immer im Dunkeln liegen, erweisen sich
Abschirmungsmaßnahmen und Entspannungsverfahren als hilfreich. Bei größeren Hörverlusten
erfolgt eine hochdosierte Cortisontherapie.
— Ein chronisches Tinnitusleiden entsteht häufig
als Folge eines Hörsturzes. Nicht selten liegen
dahinter aber auch weiter gehende Probleme
verborgen.
legte Schritte dazu bei, sowohl die Tinnituswahrnehmung als auch die Verarbeitung der zugrundeliegenden Problematik zu verbessern.
Ganzheitliche Betrachtung notwendig
Die Behandlung des akuten Tinnitus ist zuerst im
Bereich der HNO-Heilkunde zu suchen. Sie entspricht der Behandlung eines Hörsturzes (s.o.),
wenn der Tinnitus akut mit einem erkennbaren
Hörverlust einhergeht. Eine wichtige Grundlage ist
aber auch die Aufklärung über das Tinnitus-Geschehen, um den aufreibenden Kreislauf zwischen
Tinnitus und Aufmerksamkeit zu beenden.
Bei einer gleichzeitig bestehenden Schwerhörigkeit helfen Hörgeräte, die „Außenwahrnehmung“
zu verstärken. Sie minimieren so die „Innenwahrnehmung“ Tinnitus und verhelfen zudem zu einer
verbesserten Kommunikation. Nicht selten zeigt
sich aber auch, dass hinter dem Tinnitus-Leiden
weitergehende Probleme verborgen liegen. Dies gilt
für ernsthafte depressive Verstimmungen ebenso
wie für massive Konflikte in Familie oder am Arbeitsplatz. Das weitere Bemühen, den Tinnitus doch
noch „auszulöschen“, kann dann das Krankheitsausmaß sogar noch steigern. Kann ein stimmiges
psychosomatisches Wirkmuster erarbeitet werden,
tragen meist schon kleinere, aber langfristig ange-
Prof. Dr. Gerhard Hesse
Tinnitus- Klinik
Große Allee 50
34454 Bad Arolsen
[email protected]
Dr. med. Herbert Schaaf
Tinnitus- Klinik
Große Allee 50
34454 Bad Arolsen
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
PflegeKolleg
Besser hören
Pflegemanagement bei Schwerhörigkeit
Verständlich kommunizieren –
So geht‘s
Immer mehr schwerhörige Menschen werden in den verschiedenen Aktionsbereichen
der Pflege professionell versorgt – vor allem in der Altenpflege. Dennoch mangelt es
Pflegekräften häufig an Strategien, um auf diese besondere Herausforderung zu reagieren. Was also tun, wenn das Hörgerät pfeift und die Kommunikation mit dem Patienten
zu scheitern droht?
Schwerhörigkeit und Demenz –
Verwechslung nicht ausgeschlossen
Verantwortlich für dieses Phänomen ist das oft
identische, für die Umwelt befremdlich anmutende Interaktionsverhalten auditiv und kognitiv leistungsgeminderter Menschen. Ein typisches Beispiel hierfür findet sich in einem unangemessenen
und/oder verlangsamten Reagieren auf Handlungsanweisungen. Weitere, eine „Verwechslung“ begünstigende parallele Verhaltensauffälligkeiten
zeigen sich in verstärktem Misstrauen, verminderter Kooperationsbereitschaft, leichter Ablenkbarkeit, begrenzter Konzentrationsfähigkeit sowie in
Monologisieren, sozialem Rückzug und Desorientierung.
Diese Auffälligkeiten resultieren bei beiden
Krankheitsbildern aus einer eingeschränkten Kommunikationskompetenz. Dieser liegt bei dementiell
Erkrankten jedoch eine Hirnleistungsstörung zu
Grunde. Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf
fällt es Menschen mit Demenz immer schwerer,
lautsprachgebundene Informationen zu „begreifen“,
sprachliche Zusammenhänge zu erfassen und in
den lautsprachlichen Äußerungen des GesprächsHeilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
partners eine Sinnhaftigkeit zu erkennen. Im Gegensatz dazu wird die eingeschränkte Kommunikationskompetenz bei schwerhörigen Menschen
durch die nachfolgend beschriebene defizitäre Hörwahrnehmung hervorgerufen. Eine pathologische
Störung der Hirnleistung im Sinne einer Demenz
liegt bei der Schwerhörigkeit primär nicht vor.
Eine nicht erkannte oder nicht adäquat behandelte Schwerhörigkeit kann aber dementielle Erkrankungen begünstigen oder bereits vorhandene Defizite, etwa im Anfangsstadium einer Demenz, verstärken. Nicht selten treten Schwerhörigkeit und
Demenz im „Doppelpack“ auf. Beide Erkrankungen
potenzieren sich dabei sowohl im Ausmaß der
K E Y WO R DS
Schwerhörigkeit
Hörgeräte
Demenz
Kommunikation
Pflegeprozess
ABEDL
Hörtaktik
©© Alex Raths / iStock
B
eim Umgang mit schwerhörigen Patienten geraten Pflegefachkräfte oftmals an die Grenzen
ihrer kommunikativen Kompetenz. Vielfach
bedienen sie sich dann einer scheinbar effektiven
Lösungsstrategie: Sie sprechen laut oder schreien
den hörbeeinträchtigten Gesprächspartner sogar an.
Die Folgen: Kommunikationssituationen können
eskalieren, die Interaktion wird gestört, die Vertrauensbeziehung leidet. Nicht selten zieht sich die
schwerhörige Klientel sogar aus dem Pflegeprozess
zurück. Oft werden diese Folgen als physische, psychische und/oder kognitive Leistungseinschränkung z. B. im Sinne einer Demenz fehlinterpretiert..
37
PflegeKolleg
Bei Hörstörungen
kann es zu
einer erheblich
beeinträchtigten
Verständigung
kommen.
Besser hören
Kommunikationsstörung als auch hinsichtlich der
Verhaltensauffälligkeiten. Die Gestaltung des Pflegeprozesses muss deshalb die individuellen kommunikativen Ressourcen, Probleme und Bedürfnisse der schwerhörigen Patienten/Bewohner berücksichtigen.
Schwerhörigkeit ist pflegerelevant
Im pflegerischen Alltag stellt die gesprochene Sprache das gebräuchlichste Verständigungsmittel zwischen Pflegefachkraft und Patienten dar. Ihre Funktionalität ist eng an ein intaktes Hörvermögen der
Kommunikationspartner gebunden. Schwerhörigkeit torpediert diese Kompetenz: Akustische Signale, wie die gesprochene Sprache, werden leiser und/
R I CHTI G E R UM GAN G M IT
H Ö RG E R ÄTE N
— HG nur mit desinfizierten, trockenen Händen
berühren
— Das HG vor jedem Einsetzen und Herausnehmen ausschalten (Vermeidung von Rückkopplungseffekten)
— HG abends herausnehmen. Das beugt Dekubiti vor und senkt den Energieverbrauch. Bei
bettlägerigen Patienten HG tagsüber nur intermittierend einsetzen
— Otoplastiken mit weichem Tuch/Tupfer (ggf.
leicht mit Wasser befeuchtet) oder mittels
dafür vorgesehener Sets reinigen.
— HG vor Feuchtigkeit und Hitze schützen und
nur in dafür vorgesehenen, gepolsterten Behältnissen aufbewahren.
— Manipulationen mit spitzen Gegenständen
(Kanülen) sowie die Anwendung von Desinfektionsmitteln grundsätzlich unterlassen!
V E R B R E ITE TE S LE I D E N
Schwerhörigkeit in all ihren Ausprägungen gehört zu den facettenreichsten sensorischen Beeinträchtigungen. In Deutschland sind etwa 13
Mio. Menschen ab dem 14. Lebensjahr davon
betroffen. Experten gehen davon aus, dass sich
die Prävalenz dieser auditiven Leistungsminderung in den nächsten Jahren drastisch erhöht.
Als ursächlich hierfür beschrieben werden sowohl die steigende Lebenserwartung als auch
eine erhöhte Lärmbelastung in deren Folge vermehrt auch junge Menschen von Schwerhörigkeit betroffen sind.
38
oder bruchstückhaft „gehört“. Daher kann es zu einer erheblich beeinträchtigten Verständigung kommen.
Das bedürfnisorientierte Pflegemodell von Monika Krohwinkel zu Grunde legend, beruht die Pflegerelevanz der Schwerhörigkeit auf einer hörminderungsbedingt beeinträchtigten Kommunikationsfähigkeit. Diese resultiert in einer Einschränkung der ABEDL (Aktivitäten, Beziehungen und
existenziellen Erfahrungen des Lebens) „Kommunizieren“. Erfordert die Kompensation dieser Einschränkung eine pflegefachliche Intervention – im
Sinne von Beratung, Anleitung, Unterstützung oder
Übernahme –, liegt gemäß Krohwinkel ein Pflegeproblem vor. Das Spektrum hörminderungsbedingter Pflegeprobleme erstreckt sich aber über nahezu
alle ABEDL-Bereiche.
Pflegeanamnese:
Aktiv zuhören und beobachten
Die Pflegeanamnese bietet eine Möglichkeit,
Schwerhörigkeit und hieraus resultierende Kom­
munikationsprobleme frühzeitig zu erkennen. Ein
oftmals schwieriges Unterfangen, da hörgeminderte Patienten/Bewohner ihr „Hörproblem“ kaum
thematisieren. Es empfiehlt sich, Fragen bezüglich
des Hörvermögens erst gegen Ende des Anamneseinterviews einfließen zu lassen. Dieses Vorgehen
unterstützt den Aufbau einer Vertrauensbeziehung
und erlaubt im Gesprächsverlauf eine eingehende
Beobachtung des Befragten hinsichtlich seines
Kommunikations- und Interaktionsverhaltens. Anzeichen einer Hörminderung offenbaren sich beispielsweise in häufigem Nachfragen, hoher Konzentration auf Gesicht und Lippen des Gesprächs­
partners, inhaltlichen Missverständnissen, hilfesuchenden Blicken zu Angehörigen oder dem typischen „Aufrichten“ der Ohrmuschel mit Hilfe der
Hand.
Auch aktives Zuhören kann Hinweise auf eine
mögliche oder bereits diagnostizierte Höreinbuße
liefern. So erwähnen Patienten/Bewohner beiläufig
die nuschelige Aussprache der Enkelin oder das
„bewusst“ leise Sprechen der Tochter. Angehörige
wiederum beanstanden beispielsweise die erhebliche Lautstärke des Fernsehers oder ein Nichttragen
vorhandener Hörgeräte.
Auch die Erwähnung einer bereits Jahre zurückliegenden HNO-ärztlichen Untersuchung sollte
aufhorchen lassen. Häufig erweist sich die Verlegung des Gehörgangs durch Cerumenpfröpfe als
ursächlich für ein „Hörproblem“. Ein weiteres Indiz
findet sich in Aussagen zu Arbeitsplatz und Beruf.
So sind etwa Straßenbau- und Fabrikarbeiter täglich einem erhöhten Lärmpegel ausgesetzt, in dessen Folge häufig eine Einschränkung des Hörvermögen anzutreffen ist.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
Standardisierte Screeningverfahren
Neben Pflege- und Überleitungsberichten, Arztbriefen etc. sind standardisierte Screeningverfahren
eine weitere Möglichkeit zur Identifizierung einer
vorliegenden Schwerhörigkeit. Hierzu zählen der
Flüstertest (nach Macphee, Growther, McAlpine
1988) sowie der Mini-Audio-Test oder MAT (Seite
31). Ein zusätzlicher pflegerelevanter Aspekt findet
sich im Ausmaß der durch die Hörstörung hervorgerufen Behinderung auf das soziale und emotionale Leben und Erleben schwerhöriger Menschen.
Eine diesbezügliche Einschätzung ermöglicht zum
Beispiel das Hearing Handicap Inventory for the Elderly–Screening (HHIE-S) nach Ventry, Weinstein
1982. Alle drei Testverfahren können nach entsprechender Einweisung von Pflegefachkräften durchgeführt werden.
Die Pflegeplanung
Ergibt sich der Verdacht auf Schwer­hörigkeit, dürfen – nach vorangegangener Instruktion – auch
Pflegekräfte den Gehörgang mittels eines Otoskops
inspizieren. Dabei lässt sich rasch erkennen, ob beispielsweise der Gehörgang durch Cerumen verlegt
ist. In solchen Fällen ist eine HNO-ärztliche Abklärung zeitnah zur pflegefachlichen Befunderhebung
zu planen. Sollte darüber hinaus – u. a. im Vorfeld
von kognitiven Testungen – die Ausprägung einer
Hörminderung verlässlich zu beurteilen sein, kann
zusätzlich eine audiome­trische Testung disponiert
werden. Beide Maßnahmen bedürfen der Anordnung des behandelnden Arztes.
Mit Blick auf hörgeräteversorgte Patienten/Bewohner bildet die Handhabung von Hörgeräten ein
Hauptproblem der pflegefachlichen Intervention.
Vor allem älteren Schwerhörigen fällt der Umgang
mit den oft filigranen Hilfsmitteln schwer. Potenzielle Pflegeprobleme ergeben sich u.a. beim Einsetzen und Herausnehmen der Hörgeräte, beim Batte-
riewechsel, dem Beheben von Funktionsstörungen
oder in der Pflege dieser Hilfsmittel. Meist geraten
auch professionelle Pflegekräfte hier an die Grenzen
ihrer Fachlichkeit. Sehr häufig liegen Hörgeräte daher ungenutzt in der Nachtschrankschublade.
Nach Einweisung
können auch
Pflegekräfte
Screeningtests
durchführen.
Hörgeräte richtig handhaben
Die Bandbreite der Pflegeziele reicht von der Terminierung der HNO-ärztlichen Untersuchung über
die Beratung beim Einlegen der Batterien bis hin
zur Anleitung beim Einsetzen oder der Übernahme
von Reinigung/Pflege der Hörgeräte. Manche Funktionsstörungen bei Hörgeräten äußern sich durch
„nervtötendes“ Pfeifen. Um dieses Geräusch abzustellen, brauchen die Patienten häufig pflegerische
Unterstützung (Tab. 1). Wichtig ist auch eine präzise, zeit- und platzsparende Dokumentation der
Hörstörung, der Hörgeräteversorgung und ggf. der
Ausprägung der Hörminderung. Ist die Diagnose
nicht HNO-fachärztlich gesichert, muss der „Verdacht auf Schwerhörigkeit“ dokumentiert werden.
In Abstimmung mit dem Patienten sollten auch
zeitliche Vorgaben bezüglich der Tragedauer (Benutzung) vorhandener Hörgeräte in die Planung
einfließen. Das Tragen eines Hörgerätes darf jedoch
nicht erzwungen werden! Eine weitere technische
Unterstützung ist die so genannte Conferette. Dieser einfach zu handhabende Kinnbügel-Hörverstärker kann u.a. bei Verständigungsproblemen mit
leicht- bis mittelgradig schwerhörigen, nicht mit
Hörgeräten versorgten Patienten/Bewohnern eingesetzt werden und sollte in jeder Einrichtung vorgehalten werden.
Das Tragen eines
Hörgerätes darf
nicht erzwungen
werden.
Ausführung des Maßnahmenplans
Eine erfolgreiche Patientenversorgung erfordert das
Verständnis lautsprachgebundener Informationen
seitens der schwerhörigen Klientel. Lautes Sprechen
oder gar Anschreien sind dabei weder wertschät-
Tab. 1: Was tun, wenn das Hörgerät (HG) pfeift?
Ursache
Intervention
HG sitzt nicht korrekt im Ohr
HG herausnehmen und erneut einsetzten
HG befindet sich im „falschen“ Ohr
(besonders häufig bei Im-Ohr-Systemen)
HG herausnehmen, seitliche Zuordnung kontrollieren
(rote Markierung = rechts / blaue Markierung = links), in das
„richtige“ Ohr einsetzen
Lautstärkeregler zu hoch aufgedreht
Lautstärke verringern
Lautstärkeregler defekt
Akustiker kontaktieren
HG sitzt zu locker im Ohr
Akustiker kontaktieren
Schallschlauch defekt
Akustiker kontaktieren
Schallschlauch verstopft
Schallschlauch reinigen, Funktion testen
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
39
PflegeKolleg
Besser hören
TI PP
Das Beheben von Funktionsstörungen des Hörgerätes, die Inspektion des Gehörgangs oder der
Einsatz der Conferette scheitern im Pflegealltag
nicht selten an fehlendem Equipment. Hier kann
der „etwas andere Notfallkoffer“ (nach M. Decker-Maruska und A. Reske als „ReDeMa“ bezeichnet) Abhilfe schaffen. Neben Batterien in
unterschiedlichen Größen beinhaltet er einen
Batterietester, einen Stetoclip zur Funktionstestung von Hörgeräten sowie ein Otoskop zur Inspektion des Gehörgangs.
Planen Sie ausreichend Zeit für die
Patientengespräche ein.
40
zend noch zielführend und können fremdaggressives Verhalten nach sich ziehen. Auch die Kommunikation mittels der Deutschen Gebärdensprache
ist keine Option, da Schwerhörige nur selten über
derartige Kenntnisse verfügen. Des Weiteren überschätzen Pflegefachkräfte in der Regel das „von den
Lippen lesen“. Beim Mundabsehen – so die korrekte Bezeichnung – versuchen hörbeeinträchtigte
Menschen anhand der Mundbewegungen des Gesprächspartners charakteristische Mundbilder für
bestimmte Laute und Worte zu erkennen, um die
gesprochene Sprache visuell zu dechiffrieren. Diese
Methode erfordert eine deutliche Aussprache des
Gegenübers. Da nur etwa ein Drittel aller deutschen
Sprachlaute absehbar sind, wird Mundabsehen insbesondere für ältere Schwer­hörige zum fehlerträchtigen Großprojekt.
Um dennoch den bestmöglichen Kommunikationserfolg zu erzielen, müssen Informationsausfälle
mit Hilfe der Hörtaktik, also zusätzlichen Informationsquellen ausgeglichen werden. Dazu zählen neben dem Mundabsehen, Mimik und Gestik sowie
die uneingeschränkte Denk-, Kombinations- und
Konzentrationsfähigkeit des Betroffenen. Das Prinzip der Hörtaktik ist aber nur dann erfolgversprechend, wenn der guthörende Gesprächspartner bestimmte „Verhaltensregeln“ beachtet. Dazu gehören:
—Langsam und deutlich sprechen, nicht überartikulieren
—In angemessener Lautstärke reden, nicht schreien
—Blickkontakt herstellen und halten
—Mimik, Gestik und Körpersprache bewusst einsetzen
—Gesprächsthema benennen und einen Themenwechsel ankündigen
—Auf gute Lichtverhältnisse und eine korrekte Positionierung des Gesprächspartners achten
—Störgeräusche ausschalten
—Mit Verständnisfehlern rechnen
—Grammatikalisch korrektes Deutsch benutzten
Fazit für die Pflege
— Hörstörungen erschweren die Kommunikation
mit dem Patienten erheblich und können so die
Pflegebeziehung und den Pflegeprozess beeinträchtigen. Sie sollten daher schon bei der
Pflegeanamnese systematisch erfasst werden.
— Für einen bestmöglichen Kommunikationserfolg müssen Schwerhörige Informationsausfälle mit Hilfe zusätzlicher Informationsquellen
(Hörtaktik) ausgleichen.
— Pflegekräfte unterstützen diesen Prozess, indem
sie wichtige Verhaltensregeln berücksichtigen.
—Offene Fragen stellen (Wer? Wie? Wo?), geschlossene vermeiden. Ja/Nein-Antworten garantieren
nicht zwingend ein inhaltliches Verständnis.
—Fremdworte, komplizierte Fachbegriffe und
Schachtelsätze vermeiden
—Räumlich Nähe und Distanz beachten (optimale
Entfernung 0,5 bis 1 Meter)
—Eine mögliche Sehbehinderung berücksichtigen
und ausgleichen
—Geduld und Verständnis zeigen, auch wenn Sie
das Gesagte mehrfach wiederholen müssen
—Ausreichend Zeit für ein Gespräch einplanen
—Wichtige Informationen ggf. für den Patienten
aufschreiben.
Achtung: Auch wenn der Patient bereits mit einem
Hörgerät versorgt ist, sind diese Verhaltensregeln
einzuhalten. Denn: Hörgeräte sind keine „Verstehgeräte“!
Die Evaluation
Die kontinuierliche Auswertung der Interventionsresultate hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Zielerreichung charakterisiert den zumeist letzten Schritt
des Pflegeprozesses, die Evaluation. Hier ist beispielsweise zu eruieren, ob die Cerumenentfernung
zum festgesetzten Zeitpunkt durchgeführt wurde
und zum erhofften Erfolg führte. Ist dies nicht oder
nur teilweise der Fall, muss ein Re-Assessment erfolgen.
Mechthild Decker-Maruska
Krankenschwester
Case Managerin DGCC/FHM
Pflegetrainerin
Krankenhaus Plettenberg gGmbH
Ernst-Moritz-Arndt-Straße 17
58840 Plettenberg
[email protected]
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
R
TB
1. Weshalb wird Schwerhörigkeit nicht selten
mit einer Demenz verwechselt?
A Schwerhörige Menschen weisen deutliche
kognitive Einbußen auf.
B Eine Verwechslung ist ausgeschlossen.
C Aufgrund eines oft identischen, befremdlich anmutenden Interaktionsverhaltens auditiv und kognitiv
leistungsgeminderter Menschen.
2. Welches Screeningverfahren eignet sich im
Pflegealltag zur Feststellung von Hörstörungen?
A Es gibt keine geeigneten Screeningverfahren.
B Der Mini-Audio-Test (MAT).
C Knistern und Rascheln.
3. Wann sollten Sie im Rahmen der Pflegeanamnese Fragen zum Hörvermögen stellen?
A Gleich zu Beginn des Anamnesegesprächs.
B Fragen zum Hörvermögen sind nicht notwendig.
C Gegen Ende des Gesprächs, um erst das Kommunikationsverhalten des Patienten zu beobachten.
4. Womit können Pflegekräfte die Hörtaktik
schwerhöriger Menschen unterstützen?
AÜberartikulation.
B Eingeschränkte Gestik und Mimik.
C Ausschaltung von Störgeräuschen.
5.
A
B
C
Was erschwert das Erkennen von Hörstörungen?
Akutes Auftreten.
Chronisch progrediente Verläufe.
Hörstörungen lassen sich immer zeitnah und
eindeutig erkennen.
Name, Vorname
Straße
ILDU
6. Welcher Anteil der Senioren im Alter zwischen
71 und 80 Jahren ist von einer relevanten
Schwerhörigkeit betroffen?
A88%
B50%
C98%
7. Welche Strategie gilt für die Hörgeräteversorgung von Menschen mit Presbyacusis?
A Der Einsatz von Hörgeräten sollte so lange wie
möglich hinausgezögert werden.
B Hörgeräte sollten möglichst früh eingesetzt werden.
C Hörgeräte kommen nur in Ausnahmefällen zum
Einsatz.
8. Wann ist bei einem Hörsturz zunächst
Abwarten erlaubt?
A Bei moderaten Hörverlusten im Tieftonbereich.
B Bei größeren Hörverlusten.
CImmer.
9. Für die Entstehung eines Hörsturzes gibt es
verschiedene Erklärungsansätze. Welcher zählt
nicht dazu?
A Als mögliche Ursache gelten vorübergehende
Durchblutungsstörungen im Innenohr.
B Potenzielle Ursache sind Infektionen mit neurotropen Viren.
C Als Ursache gilt ein Knalltrauma.
10. Was versteht man unter einem Hörfilter?
A Funktionssysteme, die gewohnte oder nicht notwendige Geräusche unterdrücken und ablenken.
B Ein technisches System zur Abschwächung
externer Geräusche.
C Funktionssysteme, die wichtige Geräusche verstärken.
☐ Ich bin Abonnent/in von HEILBERUFE und möchte gegen
Gebühr (5 €/pro Zertifikat) postalisch teilnehmen.
☐ Ich habe kein HEILBERUFE Abo und möchte gegen Gebühr
(7,50 €/ pro Zertifikat) postalisch teilnehmen.
G
FO
(Es ist jeweils nur eine Antwort richtig.)
3
Punkte
E
ZE
IFIZIE
RT
Besser hören
RT
N
PflegeKolleg Fragebogen
Fernfortbildung
zum Mitmachen
Mit dem HEILBERUFE
PflegeKolleg können sich
alle Pflegekräfte unkompliziert fortbilden. Wenn
Sie 9 der 10 Fragen richtig
beantworten, erhalten Sie
ein anerkanntes Zertifikat,
das Ihnen 3 Punkte im
Rahmen der Registrierung beruflich Pflegender
(RbP – www.regbp.de)
beim Deutschen Pflegerat
(DPR) sichert.
So nehmen Sie teil
Am einfachsten füllen Sie
den Fragebogen unter
www.heilberufe.de
online aus. Unmittelbar
nach der Teilnahme erfahren Sie, ob Sie bestanden
haben und können sich
Ihr Zertifikat gleich ausdrucken.
Per Post senden Sie den
Fragebogen an:
Springer Medizin
Redaktion HEILBERUFE
Heidelberger Platz 3
14197 Berlin
(Fax: 030 82787 5505)
Die Online-Teilnahme ist
für Abonnenten der Zeitschrift HEILBERUFE
kostenlos; von NichtAbonnenten sowie bei
postalischer Einsendung
wird eine Bearbeitungsgebühr erhoben.
Teilnahmeschluss
ist der 29.02.2016
PLZ/Ort
E-Mail
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2015; 67 (10)
Datum/Unterschrift
41
Herunterladen