Wenn das Herz flattert - Medizintechnologie.de

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Trends in Diagnose und Therapie von Vorhofflimmern
Wenn das Herz flattert
Kommt das Herz aus dem Takt, kann das lebensbedrohlich sein.
Quelle: Fotolia/sudok1
24.11.2016 Vorhofflimmern erhöht das Risiko für einen Schlaganfall. Neben dem
klassischen Langzeit-Elektrokardiogramm stehen Medizinern verschiedene
Innovationen zur Verfügung, um die Herzrhythmusstörung so früh wie möglich
aufzuspüren und zu behandeln. Bei der Diagnose geht der Trend zu mobilen
Lösungen, die eine Fernüberwachung der Patienten ermöglichen. Bei der
Therapie steht eine medikamentöse Behandlung im Vordergrund. Jüngeren
Menschen mit Vorhofflimmern kann mit einer Katheterablation geholfen werden.
von Beate Wagner
Unermüdlich pumpt das Herz. Schon etwa in der vierten Schwangerschaftswoche
fängt es an zu zittern, schlägt dann beständig immer weiter bis zum Tod. Taktgeber im
rechten Vorhof des Herzens ist der sogenannte Sinusknoten. Er zieht sich 60 bis 80 Mal
in der Minute zusammen. Die Elektrizität, die dabei freigesetzt wird, greift auf beide
Vorhöfe über, erfasst das ganze Herz und setzt e sin Bewegung. Doch was ist, wenn die
Muskelpumpe aus dem Takt gerät? Wenn die Vorhöfe wie beim Vorhofflimmern ihr
eigenes Spiel treiben? „Beim Vorhofflimmern herrscht elektrisches Chaos in den
Herzvorhöfen“, weiß Wilhelm Haverkamp, Herzrhythmusexperte der Charité
Universitätsmedizin Berlin. „Das Herz schlägt zu schnell, zu langsam oder der
Herzschlag wechselt zwischen beiden Frequenzen.“ Es kommt zu Herzrasen, Müdigkeit,
Schwindel, Brustschmerzen und Atemnot.
Mit rund 1,8 Millionen Betroffenen ist Vorhofflimmern die häufigste
Herzrhythmusstörung in Deutschland. Nach Angaben der Deutschen Herzstiftung gibt
es europaweit etwa sechs Millionen Patienten, 70 Prozent sind zwischen 65 und 85
Jahre alt. Bei den über 74-Jährigen ist bereits heute jeder Zehnte erkrankt. Durch den
demographischen Wandel rechnen Experten in der nächsten Dekade mit doppelt oder
gar dreifach so vielen Betroffenen. Im Schnitt entwickelt jeder Vierte im Laufe des
Lebens diese Rhythmusstörung. Doch nur jeder zweite hat Beschwerden deswegen. Bei
den übrigen Betroffenen bleibt das Vorhofflimmern, das oft nur phasenweise besteht,
oft unentdeckt.
Vorhofflimmern führt oft zum Schlaganfall
Vorhofflimmern kann ernste Folgen haben. Jedes Jahr verursacht es geschätzt etwa
35.000 Schlaganfälle in Deutschland. Durch eine unregelmäßige elektrische Erregung
ziehen sich die Vorhöfe nicht mehr geordnet zusammen. Es bilden sich häufiger
Blutgerinnsel. Mit dem Blut in eine Hirnarterie geschwemmt, können diese wie ein
Pfropfen das Gefäß verstopfen – und einen sogenannten ischämischen Schlaganfall
auslösen. Das Risiko dafür liegt etwa fünfmal höher als bei Menschen ohne
Vorhofflimmern. „Schlaganfallpatienten mit Vorhofflimmern erleiden im Vergleich zu
Schlaganfallpatienten ohne Vorhofflimmern häufiger schwere Schlaganfälle“, sagt
Privatdozent Dr. Karl Georg Häusler, Oberarzt der Neurologischen Klinik der Charité.
„Zudem haben sie ein vergleichsweise hohes Risiko für einen erneuten ischämischen
Schlaganfall.“
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Bei wiederholten
Beschwerden
Im Notfall hilft Medizintechnik
durch
Langzeitstudie zum Schlaganfall-Rettungswagen Stemo
Vorhofflimmern
Rehabilitation To Go
verschreiben
Kardiologen
entweder ein
sogenanntes Antiarrhythmikum. Dadurch „springt“ der Herzrhythmus wieder in seinen
normalen Takt. Rast das Herz, reduzieren weitere Medikamente den Pulsschlag. Hilft
das akut alles nichts, führen sie eine sogenannte Kardioversion durch. Dabei
normalisiert sich der Herzrhythmus durch elektrische Ströme von außen zumindest für
eine Zeit. Die Gefahr eines Schlaganfalls durch chronisches Vorhofflimmern reduzieren
die Mediziner zusätzlich durch Medikamente, welche die Blutgerinnung hemmen. Ärzte
nennen das Antikoagulation. Das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall lässt sich
damit um etwa zwei Drittel senken.
Elektrokardiogramm bringt nicht immer Licht ins Dunkel
„Bei Patienten mit einem ischämischem Schlaganfall ist es wichtig, ein bis dato
unbemerktes Vorhofflimmern zu diagnostizieren, um die medikamentöse
Schlaganfallprävention zu optimieren“, betont Karl Georg Häusler anlässlich des WeltSchlaganfall Tages im Oktober in Berlin. „Aktuelle Leitlinien empfehlen daher bereits in
der Akutphase des Schlaganfalls eine Elektrokardiogramm (EKG)-Überwachung auf
einer Spezialstation für Schlaganfallpatienten, einer so genannten Stroke Unit.“ Da
Vorhofflimmern jedoch häufig nur phasenweise auftrete, sollte Häusler zufolge eine
weitere EKG-Aufzeichnung auch nach dem Aufenthalt auf einer Stroke Unit erfolgen,
um die Wahrscheinlichkeit eines erstmaligen Nachweises von Vorhofflimmern zu
erhöhen.
Diagnosetools für Patienten
Neben dem Langzeit-EKG sind
einige Innovationen auf dem Markt,
die der Ursache eines
unregelmäßigen Herzschlags
ebenfalls auf die Spur kommen
sollen. Eine davon ist das mobile
Tele-EKG. Der Arzt gibt es dem
Patienten bei Verdacht auf
phasenweise bestehendes
Vorhofflimmern mit nach Hause.
Spontane Episoden zeichnet das
Mit dem mobilen Tele-EKG können Patienten zu
Gerät auf, während es bei dem
Hause ihren Herzrhythmus überwachen.
Patienten außen auf der Brust liegt.
Quelle: Getemed AG
Ausgewertet wird das EKG
telemedizinisch, rund um die Uhr sind Experten erreichbar. Eine Studie des
Universitären Herzzentrums Hamburg zeigt: Drei Viertel von insgesamt knapp 12.000
EKG-Aufzeichnungen zeigten eine Rhythmusstörung an.
Auch die Apple Watch kann mit einem mobilen EKG ausgerüstet werden. Mit dem
Kardia Band lasse sich Vorhofflimmern in medizinischer Qualität erkennen, verkündete
der Chef des Anbieters AliveCor, Vic Gundotra, als das EKG-Armband Ende Oktober in
Europa auf den Markt kam. Das Gerät ist etwa so groß wie ein Fingernagel. Legt man
den Finger darauf, misst es den Herzrhythmus. Das ist neu. Bisher registrierten
Herzfrequenz-Sensoren in Fitness-Armbändern nur den Puls. Die Datenübertragung bei
dem Kardia Band erfolgt über Hochfrequenz-Töne, die vom Mikrofon der Apple
Watch erfasst werden. Lediglich auffällige EKG-Daten werden an den Arzt übermittelt.
Forscher vom Princess Margaret Hospital in Hongkong wollen mit dem Smartphone
Vorhofflimmern entdecken. Sie haben eine App entwickelt, die mit einem speziellen
Gehäuse für das Handy gekoppelt ist. Dieses Gehäuse leitet die Potenzialdifferenz, die
durch die elektrische Erregung des pumpenden Herzens entsteht, zwischen den
Händen ab und stellt sie auf dem Handy dar. Auf diese Weise konnten die
Wissenschaftler bei 101 von 13.000 Probanden Vorhofflimmern feststellen. Damit
haben sie zwar weit weniger diagnostiziert, als tatsächlich Vorhofflimmern hatten,
nämlich etwa 1.100. Aber dennoch steckt in Apps wie dieser das Potenzial für
Massenscreenings. Herzexperten fordern dies für Menschen ab 65 Jahre, wenn auch
mittels Pulstastung.
Ereignisrekorder zeichnet
Herzerregung auf
„In der Klinik sehen wir Menschen
mit Vorhofflimmern oft erst, wenn
sie bereits einen Schlaganfall
erlitten haben“, sagt Wolf-Rüdiger
Schäbitz, Chefarzt der Neurologie
im Evangelischen Krankenhaus
Bielefeld. „Haben die Patienten
einen kardioembolischen
Wenn bei Schlaganfallpatienten vermutet wird, dass
Hirninfarkt, für den wir ansonsten
ein bislang unerkanntes Vorhofflimmern ihren
keine Erklärung finden, steckt
Hirninfarkt verurschat hat, wird ihnen ein
wahrscheinlich ein unentdecktes
Ereignisrekorder eingesetzt.
Vorhofflimmern dahinter.“ Diesen
Quelle: BVMed
Schlaganfallopfern wird dann einen
sogenannter Ereignisrekorder
eingesetzt. „Er ist beim kardioembolischen Schlaganfall die wichtigste Maßnahme, um
ein Vorhofflimmern dingfest zu machen“, sagt der Neurologe. Als kardioembolisch gilt
ein Schlaganfall, wenn es mindestens eine Ursache im Herzen gibt, der Infarkt groß ist,
mit zentralen Beschwerden einhergeht und hirnversorgende Gefäße nicht verstopft
sind. Ursache können Störungen an den Herzklappen, eine Entzündung der
Herzinnenhaut oder ein akuter Herzinfarkt sein.
Die jüngste Generation dieser implantierbaren Herzmonitore ist nur etwas länger als
zwei Streichhölzer, funktioniert kabellos und wird bei örtlicher Betäubung unter die
Haut geschoben. Das Gerät zeichnet die Herzerregung kontinuierlich bis zu drei Jahren
lang auf. „Von unseren jährlich 2.500 Patienten mit Schlaganfall bekommen fünf bis
zehn Prozent solch ein Gerät implantiert“, sagt Schäbitz. „Bei jedem vierten stellt es in
einem Jahr sicher Vorhofflimmern fest.“
Medikamentöse Therapie mit Augenmaß
Anhaltspunkte, wer bei bekanntem Vorhofflimmern einen Hirninfarkt fürchten muss,
bietet der CHA2 DS 2 -VASc-Score. Er errechnet sich aus Begleiterkrankungen wie
Herzschwäche, Bluthochdruck, Diabetes, Gefäßleiden sowie dem Alter, Geschlecht und
früheren Schlaganfällen. „Bei einem hohen Score müssen die Patienten unbedingt eine
gerinnungshemmende Behandlung bekommen“, betont der Berliner Rhythmusexperte
Haverkamp. Viele Ärzte und Patienten haben jedoch große Angst vor unerwünschten
Blutungen. „So erhält nur knapp jeder zweite, eigentlich behandlungsbedürftige
Patient die lebensrettende Therapie“, bedauert der Kardiologe.
Umgekehrt ist es bei jüngeren Menschen mit Vorhofflimmern, die ansonsten gesund
sind. „Obwohl ihr Risiko für einen Schlaganfall im Vergleich zur normalen Bevölkerung
kaum erhöht ist, verschreiben Ärzte häufig Gerinnungshemmer und setzen sie dadurch
einem unnötigen Blutungsrisiko aus“, sagt Haverkamp. „Wir Rhythmusexperten
kämpfen seit Jahren dafür, dass die Antikoagulation in geordneten Bahnen verläuft und
diese paradoxe Situation endlich ein Ende hat.“
Katheterablation verödet
verdächtige Herzareale
Eine Alternative zur
medikamentösen Dauertherapie für
Patienten, die jünger als 65 Jahre
sind, ist die sogenannte
Katheterablation. Allein 2014
wurden in Deutschland geschätzt
etwa 60.000 Katheterablationen
bei Vorhofflimmern durchgeführt.
Mithilfe eines computergestützten
Vor allem für jüngere Patienten mit Vorhofflimmern
ist der Ablationskatheter eine Alternative zur
Dauermedikation.
Quelle: BVMed
3D-Mapping-Systems können
Kardiologen die Herzinnenwand abtasten und ein dreidimensionales Modell der
Lungenvenen und des Vorhofs erstellen. So ergibt sich ein genaues Bild von den
anatomischen und räumlichen Verhältnissen des Herzens. Werden dann der Herzvorhof
und die Herzkammer stimuliert, lässt sich das Herzgewebe orten, das an der
Entstehung oder Aufrechterhaltung der Rhythmusstörung beteiligt ist. Mithilfe des
Ablationskatheters wird das Areal verödet. Dabei schiebt der Arzt unter
Röntgenkontrolle einen ummantelten Metalldraht von der Leiste in den Vorhof bis zum
Herzen. Mit Hochfrequenzstrom oder Kälte verödet er einen bestimmten Bereich im
linken Vorhof und isoliert die Lungenvenen elektrisch, damit diese Impulse sich nicht
weiter ausbreiten. Studien zufolge haben etwa 70 bis 80 Prozent der Patienten danach
seltener erneute Rhythmusstörungen.
„Jungen Patienten mit großem Leidensdruck kann die Katheterablation helfen“, sagt
Haverkamp. „Bei älteren Menschen sind wir vorsichtiger, schließlich löst das Verfahren
bei einem Prozent der Patienten selbst einen Schlaganfall aus.“ Daten zur
Langzeitwirksamkeit gibt es bislang wenige. Das Verfahren hat noch einen weiteren
Nachteil. „Eine einzige Verödung reicht meist nicht aus, vor allem bei stark
Übergewichtigen kommt das Vorhofflimmern meist wieder“, sagt der Mediziner. Dass
sie bei vielen Ärzten dennoch hoch im Kurs stehe, habe einen einfachen Grund: „Für die
Kliniken sind wiederholte Ablationen ein lukratives Geschäft“, weiß Haverkamp. „Im Jahr
2015 erstatteten ihnen die Kassen je Ablation 8.200 Euro.“
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