42 Tier BAUERNBLATT l 18. Juli 2015 ■ Aktuelle Studie zu bislang ungelösten Problemen Weniger Durchfall und Schwanzbeißen durch Wiesengraspellets? Durchfälle und Schwanzbeißen stellen große Probleme bei Absetzern dar. Wissenschaftler der Universität Gießen haben untersucht, ob die Verfütterung von Graspellets eine Lösung bietet. In jüngster Zeit häufen sich die Berichte, wonach die Ödemkrankheit bei Absetzferkeln wieder im Vormarsch ist. Bei Absetzern und Mastschweinen mit nicht kupierten Schwänzen stellt nach wie vor das Schwanzbeißen ein ungelöstes Problem dar. In Dänemark wurden in einem Jahr bei 0,64 % (von 20 Millionen) Schlachtschweinen Schwanzverletzungen festgestellt, in Finnland waren es sogar 1,7 %. Schwanzbeißen wird zunächst spielerisch (aus Langeweile oder auch Frustration) gezeigt und kann massiv verstärkt werden, wenn blutende Stellen am Schwanz auftreten. Innerhalb kürzester Zeit und ohne „Vorwarnung“ können mehrere Tiere der jeweiligen Gruppe betroffen sein. Schlimm wird es, wenn sich die Wunden infizieren, es zu aufsteigenden Infektionen und im Extremfall zur Lähmung der Hinterhand kommt. Es ist bekannt, dass das Schwanzbeißen (Achtung: das hat nichts mit Kannibalismus zu tun, bei dem Tiere Artgenossen oder Teile von ihnen fressen) von vielen Faktoren ausgelöst werden kann. Dazu zählen Zugluft, hohe Ammoniakkonzentration, Überbelegung, niedrige Temperatur, Mykotoxine im Futter und Parasitenbefall ebenso wie genetische Effekte, das Geschlecht und die Gruppenhaltung mit Strohauslauf gehalten. Sauen und Ferkel erhielten zur freien Aufnahme dasselbe Futter. Die Ferkel wurden im Alter von etwa 6,5 Wochen abgesetzt und verblieben bis zu einem Gewicht von zirka 27 kg in den Gruppenabteilen. Mit zirka zwölf bis 13 Wochen wurden sie an Mäster verkauft. Die Sauen kamen nach dem Absetzen zur erneuten Belegung in den Besamungsstall. Die Ferkel kannten sich also bereits aus der Säugezeit, ein Stallwechsel fand nicht statt. Die Gruppenbuchten besaßen Teilspaltenboden und einen abgetrennten „Ferkelruheraum“. Über einen Gang konnten die Ferkel in den überdachten Strohauslauf gelangen. Das Dach schützte die Tiere vor direkter Sonneneinstrahlung. Neben dem Stroh können die Ferkel Ketten, Förderbänder und Bälle zum Spielen nutzen. 5 % Graspellets in der Futterration sorgten dafür, dass Beißereien und Durchfall deutlich zurückgingen. Fotos: Prof. Steffen Hoy Rangposition in der Gruppe. Als Problem erweist sich, dass man nicht vorhersehen kann, wann und wo Schwanzbeißen auftritt. Es fehlt außerdem eine wirksame und schnelle Therapie. Schweine mit verletzten Schwänzen müssen sehr schnell aus der Bucht herausgenommen und einzeln aufgestallt werden. Oft ist dafür kein Platz vorhanden. In vielen Ländern weltweit wird daher zur Prophylaxe das letzte Teil des Schwanzes gekürzt. In der Bioschweinehaltung darf der Schwanz Datenerfassung auf dem Betrieb grundsätzlich nicht kupiert werden, das Schwanzbeißen gibt es aber auch dort. Unser Ziel war es, in einem Ökobetrieb zu untersuchen, ob die Zugabe von Graspellets (Bild) Durchfälle sowie Schwanz- und Ohrenbeißen verhindern kann. Die Untersuchung fand in drei Durchgängen mit Kontroll- und „Pellet“-Ferkeln (etwa 70 Tiere pro Durchgang und Variante) statt. Die Standardration für die Kontrolle enthielt 17,7 % Rohprotein, 5,0 % Rohfett, 4,4 % Rohfaser und besaß einen Energiegehalt von Untersuchungen 13,5 ME MJ/kg. Die Tiere konnten auf einem Biobetrieb ad libitum fressen. Zeitlich um eine Ab der dritten Säugewoche wur- Woche versetzt erhielten jeweils die den je sechs bis acht Sauen mit ihren „Pellet-Tiere“ die Standardration Ferkeln in einer gemeinsamen plus 5 % Wiesengraspellets in Bio- Abbildung 1: Weniger Ferkel mit Verletzungen des Schwanzes in Abbildung 2: Weniger durchfallkranke Ferkel in den Graspelletden Graspellet-Gruppen zu den unterschiedlichen Zeitpunkten Gruppen zu den unterschiedlichen Zeitpunkten Anteil verletzter Tiere (%) Anteil Tiere mit Durchfall (%) 60 50 * * p < 0,05 * p < 0,05 * 30 40 25 * 20 30 * 15 20 10 10 0 35 5 1 2 3 Kontrolle 4 5 6 Wiesengraspellets Bonitur-Zeitpunkte 1 – 7 = Haltungswochen 7 0 1 2 3 Kontrolle 4 5 6 Wiesengraspellets Bonitur-Zeitpunkte 1 – 7 = Haltungswochen 7 Tier ■ BAUERNBLATT l 18. Juli 2015 qualität zur freien Aufnahme. Diese Ration enthielt etwas weniger Rohprotein (17,5 %), Rohfett (4,9 %) und Energie (13,1 ME MJ/kg), dafür aber mehr Rohfaser (5,2 %). Die Fütterung erfolgte mit einer Spotmix-Anlage, die die Pellets mit der Standardration in die Breiautomaten blasen konnte. Im Trog wurde Wasser zugesetzt. Alle Ferkel hatten unkupierte Schwänze und wurden einmal pro Woche bezüglich möglicher Verletzungen an Ohren und Schwanz sowie der Kotkonsistenz bonitiert. Für die Bonitur wurden je vier Klassen pro Befund (Schwanz, Ohren, Durchfall) gebildet: 0 = keine Verletzungen an Ohren/Schwanz beziehungsweise kein Durchfall, 1 = leichte Verletzungen (Kratzer) beziehungsweise leichter Durchfall, 2 = mittlere Verletzungen (deutliche Bissspuren) beziehungsweise mittlerer Durchfall, 3 = schwere Verletzungen (massive Bissspuren) beziehungsweise schwerer Durchfall. Viel weniger Schwanzbeißen durch Graspellets In den ersten beiden Wochen nach dem Absetzen gab es kaum Schwanzbeißen. Mit zunehmender Haltungsdauer stieg vor allem bei den Tieren der Kontrollgruppe die Häufigkeit durch Schwanzbeißen verletzter Ferkel stark an (Abbildung 1). Am Ende der Aufzucht besaßen fast 57 % der Kontrollferkel Verletzungen durch Bisse ihrer Buchtengefährten. Demgegenüber traten bei den mit Wiesengraspellets gefütterten Ferkeln in den letzten beiden Haltungswochen statistisch gesichert niedrigere Prozentsätze an Lä- sionen durch Schwanzbeißen auf (11,1 % beziehungsweise 13,4 %). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es auch in Ökobetrieben ein massives Schwanzbeißen gibt. Das ist insofern bedeutsam, da die Ferkel neben der Stroheinstreu ein überaus reiches Angebot an Beschäftigung hatten (Ketten, Scheibenketten, Holz, Bälle) und einen überdachten Auslauf nutzen konnten. Diese Beschäftigungsmöglichkeiten konnten die Entstehung des Schwanzbeißens somit nicht verhindern. Dies weist zugleich darauf hin, dass Schwanzbeißen nicht in erster Linie durch Langeweile hervorgerufen wird. Ernährungsbedingte Faktoren (länger anhaltende Sättigung beziehungsweise Hunger) können wichtiger sein. Wiesengraspellets senken Anzahl der Durchfälle Die Zahl durchfallkranker Ferkel nahm von der ersten bis zur dritten Woche nach dem Absetzen zu. Die höchste Durchfallquote gab es in der dritten Aufzuchtwoche. Die Kontrollferkel hatten in der dritten Woche nach dem Absetzen mit 30 % eine sehr hohe Erkrankungsrate. Bei den mit Wiesengraspellets gefütterten Ferkeln betrug die Erkrankungshäufigkeit nur 7,3 % (Abbildung 2). Zu allen Zeitpunkten waren in der Kontrollgruppe signifikant höhere Prozentsätze erkrankter Ferkel zu finden. Es ist offensichtlich, dass die geringere Durchfallhäufigkeit mit der Beimischung von 5 % Graspellets im Zusammenhang steht. Für die Gesunderhaltung des Magen-Darm-Traktes und eine funktionierende Verdauung ist die Zugabe von Rohfaser als Ballaststoff wichtig. Futtermittel Ferkel mit Ohrverletzung. mit hohen Rohfasergehalten stimulieren die Darmtätigkeit und regen die Aktivität der Darmzotten an. Dadurch werden vermehrt Verdauungsenzyme produziert, und der Nahrungsbrei wird besser durchmischt. Außerdem fördert offenbar die Rohfaserzulage in Abhängigkeit vom Quellvermögen die Sättigung der Tiere. Durchfall fördert Schwanzbeißen Es konnte in der Untersuchung für jedes Ferkel das Auftreten von Durchfall und von Schwanzbeißen registriert werden. Durchfallerkrankungen gab es vor allem nach dem Absetzen bis zur 3./4. Aufzuchtwoche. Das Schwanzbeißen nahm da- gegen mit der Aufzucht immer mehr zu. Es bot sich daher an, einen möglichen Zusammenhang zwischen Durchfall und Schwanzbeißen zu untersuchen. Dabei wurden alle Ferkel, die im Laufe der Aufzucht an Durchfall erkrankten, zu der Gruppe „durchfallkrank“ zusammengefasst. Die Vergleichsgruppe bildeten Ferkel ohne Durchfall. Im Weiteren wurden aus den Ergebnissen der letzten Bonituren (6. und 7. Haltungswoche) zwei Gruppen gebildet: „Ferkel mit Verletzungen durch Schwanzbeißen“ und „Ferkel ohne Verletzungen“. Für die Auswertung wurden Graspellet- und Kontrolltiere zusammengefasst (n = 430). Es konnte nachgewiesen werden, dass ehemals durchfallkranke Ferkel zu etwa 60 % Verletzungen als Folge Abbildung 3: Weniger Schwanzverletzungen bei Ferkeln oh- Abbildung 4: Kaum Unterschiede zwischen Kontroll- und ne Durchfall nach dem Absetzen Graspelletferkeln bei Ohrenverletzungen Anteil verletzter Ferkel (in %) Anteil verletzter Tiere (%) 70 60 60,4 p < 0,01 50 40 30 29,3 20 10 0 Anzahl F erkel ohne Durchfall 324 mit Durchfall 106 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 * * p < 0,05 * 1 2 3 Kontrolle 4 5 6 Wiesengraspellets Bonitur-Zeitpunkte 1 – 7 = Haltungswochen 7 43 44 Tier BAUERNBLATT l 18. Juli 2015 ■ Tabelle: Schwanzverletzungen bei Ferkeln mit oder ohne Durchfall in beiden Fütterungsgruppen Kontroll-/Pelletgruppe Kontrolle Wiesengraspellets Durchfall n % Verletzungen nach Schwanzbeißen ohne mit ohne mit 147 86 177 20 46,9 74,4 14,7 0 von Schwanzbeißen hatten. Bei den Ferkeln ohne Durchfall waren es nur etwa halb so viel (29 %, Abbildung 3). Je stärker der Durchfall war, umso mehr Verletzungen durch Schwanzbeißen hatten die Ferkel. Alle Ferkel mit schwerem Durchfall hatten Schwanzverletzungen durch Bisse. Fast die Hälfte der Aufzuchtferkel mit starkem Durchfall hatte sogar mittel- bis hochgradige Verletzungen nach Schwanzbeißen. Wenn die Ferkel gesund bleiben, kann dem Schwanzbeißen vorgebeugt werden. Allerdings ist momentan nicht klar, wieder Zusammenhang zwischen Durchfall und Schwanzbeißen erklärt werden kann. Denn nicht die „Täter“, sondern die „Opfer“ weisen die Verletzungen am Schwanz auf. Durchfallkranke Ferkel haben niedrigere tägliche Zunahmen und sind demzufolge leichter als die gesunden Buchtengefährten. Es ist (Graspellets) beziehungsweise 18,7 % (Kontrolle) wurden nach dem Absetzen der Ferkel festgestellt. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind die Verletzungen die Folge von Rangkämpfen. Es ist bekannt, dass sich Ferkel bei derartigen Auseinandersetzungen in die Ohren beißen. Nicht zu erwarten war aber, dass diese Kämpfe entstanden, obwohl die Ferkel mit ihren Müttern bereits mehrere Wochen vor dem Absetzen gemeinsam in der Bucht gehalten worden waren. Zwei Wochen nach dem Absetzen ging der Prozentsatz von Ferkeln mit verletzten Ohren rasch auf Werte unter 5 % zurück (Abbildung 4). denkbar, dass sie als rangniedere Tiere häufiger am Schwanz gebissen werden. Man könnte sich auch vorstellen, dass der Geruch der (ehemals) mit Durchfallkot behafteten Anal- und Schwanzregion eine Rolle spielt. Auffällig ist, dass in der Gruppe mit Wiesengraspellets von den 20 Ferkeln mit Durchfall keines AnzeiVerluste in der chen von Schwanzbeißen besaß (Tie- Kontrollgruppe viel zu hoch! re ohne Durchfall = 14,7 %), in der Kontrollgruppe dagegen 74,4 % der Von den 202 Ferkeln, die mit WieDurchfallferkel Verletzungen nach sengraspellets gefüttert wurden, verSchwanzbeißen zeigten (Tiere ohne endeten fünf Tiere (= 2,5 %) wähDurchfall = 46,9 %) (Tabelle). rend der Aufzucht. Das ist zu tolerieren. Nicht akzeptabel sind dagegen Bei den Ohrenverletzungen die Verluste in der Kontrollgruppe. Von 257 eingestallten Ferkeln verenkaum Unterschiede deten 9,3 % (24 Tiere). Diese TierverZwischen den Kontrollferkeln und luste standen nicht im Zusammenden Graspellet-Ferkeln traten keine hang mit Schwanzbeißen. Die Ferkel großen Unterschiede in der Häufig- verendeten im Wesentlichen nach keit von Ohrenverletzungen auf. Die schwerem Durchfall. Der Schweinehöchsten Häufigkeiten mit 13,8 % halter verzichtete auf eine notwendi- ge Antibiotikabehandlung, da er die Ferkel dann nicht mehr als Öko-Tiere hätte verkaufen können. Nach den gesetzlichen Vorschriften der Schweinehaltungshygieneverordnung hätte der betreuende Tierarzt Maßnahmen zur Ursachenanalyse und zum Abstellen der Mängel einleiten müssen. Aus der Sicht des Tierschutzes sind dieser hohe Prozentsatz und diese Vorgehensweise nicht hinzunehmen und ein Verstoß gegen geltendes Recht. FAZIT 1. Die Zulage von 5 % Wiesengraspellets zur Standardration senkt signifikant die Häufigkeit von Schwanzbeißen und Durchfällen. 2. Die Prophylaxe von Durchfallerkrankungen beugt zugleich dem Schwanzbeißen vor. 3. Die Verfügbarkeit und die Preiswürdigkeit von Wiesengraspellets werden darüber entscheiden, ob sie in der breiten Praxis eingesetzt werden können. Prof. Steffen Hoy Universität Gießen [email protected]