Presseaussendung Gehirnmodell aus der Organkultur

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IMBA Presseinformation
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27. August 2013
Gehirnmodell aus der Organkultur
Erstmals gelang es Forschern in einer Organkultur frühe Stadien
der menschlichen Gehirnentwicklung nachzubilden
Stammzellforscher Dr. Jürgen Knoblich, Gruppenleiter und stellvertretender Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und seinem Team ist es erstmals gelungen, aus
Stammzellen die frühen Entwicklungsstadien eines menschlichen Gehirns nachzubilden. Die Erkenntnisse der Forscher
liefern wichtige Einblicke in die frühe Gehirnentwicklung beim Menschen und erlauben es erstmalig, Erbkrankheiten des
Gehirns an einer menschlichen Organkultur zu untersuchen.
Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Organ, das die Natur hervorgebracht hat. Da sich die menschliche
Gehirnentwicklung grundsätzlich von der in Tieren unterscheidet, ist es schwierig die Ausbildung dieses faszinierenden
Organs in Tiermodellen zu untersuchen. Wiener Forschern ist es nun gelungen, die frühen Stadien der menschlichen
Gehirnentwicklung in einem speziell entwickelten dreidimensionalen Organkultursystem nachzubilden. Für die Herstellung
dieser sogenannten „mini brains“ verwendeten die Forscher embryonale Stammzellen und induzierte pluripotente
Stammzellen (iPS Zellen), die aus Patientengewebe gewonnen wurden. Sie konnten zeigen, dass Stammzellen die
unterschiedlichen Zelltypen des Gehirns ausbilden und dass diese Zellen sich in überraschend exakter und präziser Weise
so organisieren, wie im embryonalen Gehirn. Durch ein spezielles Kulturverfahren gelang es, die frühen Entwicklungsstadien
des Großhirns aber auch anderer Gehirnstrukturen, wie dem Hippokampus, nachzubilden.
Da iPS Zellen auch aus Patienten mit Gendefekten erzeugt werden können, erlauben diese Arbeiten erstmals, menschliche
Erbkrankheiten in einer Organkultur zu untersuchen. Die Forscher gewinnen damit wichtige Einblicke in die entscheidenden
Prozesse der menschlichen Gehirnentwicklung und konnten untersuchen, wie Erbkrankheiten diese Prozesse stören.
Ungeahnte Möglichkeiten
Normalerweise werden wissenschaftliche Versuche zuerst in Zellkultur und anschließend in Tiermodellen, wie der Maus
oder der Fliege, durchgeführt. Grundlegende Unterschiede in der Gehirnentwicklung machen es aber schwer, Erkenntnisse
in diesem Bereich vom Tier auf den Menschen zu übertragen. Die Stammzellforschung eröffnet hierbei völlig neue und
bisher ungeahnte Möglichkeiten. „Wie unsere Ergebnisse
zeigen, haben menschliche Stammzellen bemerkenswerte
Fähigkeiten sich selbst zu organisieren. Die Zellen
bilden, wenn man sie sozusagen sich selbst überlässt,
überraschend komplexe Strukturen aus, anhand derer man
auch die Aktivität der Nervenzellen und die Kommunikation
zwischen den Zellen studieren kann. So ist es anderen
Forschern bereits gelungen darm-, oder netzhautähnliche
Strukturen nachzubilden“, weiß Jürgen Knoblich, Letztautor
der Studie. „Derartige Modelle haben sehr großes Potenzial
für die Erforschung von Krankheiten und Entwicklung von
Medikamenten.“
IMBA
Institute of Molecular Biotechnology
of the Austrian Academy of Sciences
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Bedeutung für die Erforschung von Gehirndefekten
Die Forscher haben nicht nur gehirnähnliche Organoide gezüchtet, sondern diese auch bereits als Modelle für die
Nachbildung von Gehirndefekten genutzt. Dabei stehen so genannte Mikrozephalien im Vordergrund - aufgrund eines
Defekts in frühen Phasen der Gehirnentwicklung geht diese Erkrankung in der Regel mit geistigen Behinderungen
aufgrund eines deutlich zu kleinen Gehirns einher. In ihren früheren Arbeiten konnten die IMBA Wissenschafter bereits
zeigen, dass es in diesen jungen Stadien der Gehirnentwicklung auf die Richtung ankommt, in der sich die Zellen teilen.
Denn der ungehinderte Nachschub von Neuronen aus dem Stammzell-Reservoir und ihre korrekte Positionierung am
Bestimmungsort in der Hirnrinde sind wesentliche Voraussetzungen für die Gehirnentwicklung. Mikrozephalien konnten
zwar bereits im Mausmodell erforscht werden, jedoch führen dieselben Gendefekte in diesem Fall nicht zu denselben
Krankheitsbildern wie im Menschen. „Mit Hilfe unseres neu entwickelten Systems konnten wir Mikrozephalien aus
menschlichen Stammzellen erfolgreich in der Kultur nachstellen. In Zukunft möchten wir auch andere Krankheiten, die mit
entwicklungsbiologischen Störungen des Gehirns in Zusammenhang stehen könnten – etwa Autismus oder Schizophrenie
– in der Kultur nachbauen und erforschen“, fasst Jürgen Knoblich das Potenzial seiner Ergebnisse zusammen.
Innovative Kultursysteme
Das neue 3D Kultursystem hat eine große Bedeutung für die Zukunft der Stammzellforschung: Zum einen wird dadurch
die Zahl der Tierversuche verringert, und zum anderen ist es nun möglich, die Ergebnisse dieser Versuche besser auf den
Menschen zu übertragen. „Der entscheidende Vorteil des neuen Systems sind optimierte Kulturbedingungen, welche die
Übereinstimmung zwischen Kultur und tatsächlicher Gehirnentwicklung entscheidend verbessert haben“, erläutert Madeline
Lancaster, Erstautorin der Studie und Post-Doc bei Jürgen Knoblich. „Nach acht bis zehn Tagen entsteht in der Kultur
neuronales Gewebe, nach 20 bis 30 Tagen haben sich die Zellen zu unterschiedlichen Hirnregionen weiterentwickelt. Im
Durchschnitt können die Gehirn-Organoide die Entstehung von Gehirnstrukturen bis in die neunte Schwangerschaftswoche
imitieren“, erklärt Madeline Lancaster. Da in späteren Phasen die Sauerstoffversorgung durch die Blutbahn erfolgt, wurde
zu diesem Zeitpunkt das Limit der Modelle erreicht. Blutgefäße konnten in den Modellen noch nicht nachgebildet werden.
Relevanz für die Pharmaindustrie
Die Nachbildung menschlicher Gehirnstrukturen in Kultursystemen könnte in Zukunft auch in der pharmazeutischen und
chemischen Industrie von Bedeutung sein. So ermöglichen die Kulturen etwa die Testung von Medikamenten gegen
Gehirndefekte und andere neurologische Erkrankungen und erlauben, die Auswirkungen von Chemikalien auf frühe
Stadien der Gehirnentwicklung zu untersuchen.
Originalpublikation in Nature: „Cerebral organoids model human brain development and microcephaly“ DOI: 10.1038/nature12517
Jürgen Knoblich
Jürgen Knoblich, geboren 1963 in Memmingen, arbeitet seit 1997 in Österreich. Er ist seit Anfang 2004 Senior Scientist
am IMBA und wurde Anfang 2005 zum stellvertretenden wissenschaftlichen Leiter ernannt. Nach seinem Studium der
Biochemie an der Universität Tübingen und Molekularbiologie am University College London ging Jürgen Knoblich
zunächst an das Max-Plack-Institut für Entwicklungsbiologie und wechselte 1990 an das Friedrich-Miescher-Labor der
Max-Planck-Gesellschaft. Von 1994 bis 1997 war er annähernd vier Jahre als EMBO- und Howard Hughes Medical
Institute Post-Doc-Fellow an der University of California tätig. Im September 1997 kehrte er als Gruppenleiter an das
Institut für Molekulare Pathologie (IMP) nach Europa zurück.
Madeline Lancaster
Madeline Lancaster erwarb ihr Doktorat im Jahr 2009 in San Diego an der University of California, im Labor von Professor
Joseph Gleeson. Im Jahr 2010 wechselte die gebürtige Amerikanerin als Marie Curie Post-Doc-Fellow in das Team von
Jürgen Knoblich, wo sie an der Differenzierung von neuronalen Stammzellen forscht.
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IMBA:
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie ist ein international anerkanntes Forschungsinstitut mit dem Ziel,
molekulare Prozesse in Zellen und Organismen zu erforschen und Ursachen für die Entstehung humaner Erkrankungen
aufzuklären. Unabhängige wissenschaftliche Arbeitsgruppen arbeiten an biologischen Fragestellungen aus den Bereichen
Zellteilung, Zellbewegung, RNA-Interferenz und Epigenetik, ebenso wie an unmittelbaren medizinischen Fragestellungen
aus den Gebieten Onkologie, Stammzellforschung und Immunologie. Das IMBA ist eine 100% Tochtergesellschaft der
ÖAW. www.imba.oeaw.ac.at
ÖAW:
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist die führende Trägerin außeruniversitärer akademischer
Forschung in Österreich. Die 28 Forschungseinrichtungen betreiben anwendungsoffene Grundlagenforschung in
gesellschaftlich relevanten Gebieten der Natur-, Lebens- und Technikwissenschaften sowie der Geistes-, Sozial- und
Kulturwissenschaften. www.oeaw.ac.at
Bildmaterial zum Download finden Sie hier.
Wissenschaftlicher Kontakt:
Jürgen Knoblich
Dr. Bohrgasse 3
1030 Vienna
Austria
Tel.: +43 1 79044 - 4800
[email protected]
Pressekontakt:
Elena Bertolini
Communications Manager
Dr. Bohr-Gasse 3
1030 Wien
Tel: +43 1 797 30-3824
[email protected]
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