Elemente der Algebra

Werbung
Elemente der Algebra
Dr. Theo Overhagen
Fachbereich 6 Mathematik
Universität Siegen
2005
I
Inhaltsverzeichnis
1 Mengen, Aussagen, Beweise
1.1 Beschreibung von Mengen, Aussageformen
1.2 Operationen für Aussagen und Mengen . .
1.3 Beweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . .
1.4 Kleiner Exkurs: Was ist Mathematik? . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
1
1
5
8
11
2 Algebraische Strukturen
2.1 Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Der Ring der ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2 Der allgemeine Ringbegriff . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.3 Der Restklassenring ZZ/m . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.4 Der Polynomring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Der allgemeine Körperbegriff . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Der Körper der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . .
2.2.3 Darstellung der komplexen Zahlen in der Zahlenebene
2.2.4 Moivre-Formeln und Kreisteilungsgleichung . . . . . .
2.3 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Der allgemeine Gruppenbegriff . . . . . . . . . . . . .
2.3.2 Die Untergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.3 Symmetriegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
15
15
15
16
17
19
21
21
22
24
25
26
26
29
31
3 Lösungen von algebraischen Gleichungen
3.1 Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Algebraische Gleichungen höherer Ordnung . . . .
3.2.1 Reelle Lösungen . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Komplexe Lösungen . . . . . . . . . . . . .
3.2.3 Auflösung von Gleichungen durch Radikale
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
34
34
39
39
40
41
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
INHALTSVERZEICHNIS II
Vorbemerkung
In der folgenden Vorlesung werden zunächst die Mengenoperationen und die grundlegenden aussagenlogischen Operationen sowie die verschiedenen grundlegenden Beweismethoden in der Mathematik behandelt.
Ausgehend von den schon eingeführten Zahlenmengen IN, ZZ, Q
I und IR werden die algebraischen Grundstrukturen Gruppe“, Ring“ und Körper“ eingeführt und ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten an
”
”
”
Beispielen verdeutlicht.
Weiter betrachten wir Gleichungen höheren Grades und – damit zusammenhängend – Nullstellen von
Polynomen und führen den Körper der komplexen Zahlen ein.
Literatur
A.Kirsch: Mathematik wirklich verstehen. Aulis, Köln 1987/1994.
H.Dittmann: Algebraische Strukturen und Gleichungen. Bayer.Schulbuchverlag, München 1972.
A.Beutelspacher: In Mathe war ich immer schlecht ...‘“. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1996.
”
1
1
1.1
Mengen, Aussagen, Beweise
Beschreibung von Mengen, Aussageformen
In der Mathematik hat sich eine eigene Sprache entwickelt, die dazu hilft, die zu betrachtenden Objekte
und ihre Eigenschaften genauer und unmißverständlicher zu beschreiben, als es die übliche Umgangssprache vermag. Ein wesentliches Element dieser Sprache ist der Begriff der Menge, die als Zusammenfassung bestimmter wohlunterschiedener Objekte aufgefaßt wird (Georg Cantor, 1845–1918). Dabei muß
man sorgfältig zwischen den Objekten, den Elementen, und dem neuen Ganzen, der Menge, unterscheiden. Weiter muß von jedem – wie auch gearteten Objekt (unserer Umgebung oder unseres Denkens)
feststehen, ob es zu dieser Menge gehört oder nicht.
Diese Definition führt zu logischen Widersprüchen, wie die Russellsche Antinomie zeigt: Betrachtet man die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten, dann kann man nicht
entscheiden, ob diese Menge sich selbst enthält oder nicht, denn beide Situationen führen auf einen
Widerspruch.
Dies war Ausgangspunkt zur Aufspaltung der Mengenlehre in die sog. naive Mengenlehre“ und die
”
axiomatische Mengenlehre“. In der axiomatischen Mengenlehre werden Kalküle entwickelt, die ein
”
Auftreten solcher Antinomien ausschließen, während die naive Mengenlehre im wesentlichen als Grundlage der mathematischen Sprechweise dient.
Enthält eine Menge nur wenige Elemente, etwa die Zahlen 2,5,7,9, dann kann man sie in der sogenannten
aufzählenden Schreibweise beschreiben:
Man benennt alle Elemente und schließt sie durch geschweifte Klammern ein: {2, 5, 7, 9}.
Bei Mengen mit unendlich vielen Elementen ist das nicht möglich. Manchmal gibt man typische Elemente
an und deutet durch Punkte an, welche anderen Objekte ebenfalls in der Menge enthalten sein sollen,
1 1 1
z.B. bei der Menge der Stammbrüche durch {1, , , , . . .}.
2 3 4
Im allgemeinen beschreibt man Mengen durch eine Bedingung, die ihre Elemente charakterisiert, d.h.
alle ihre Elemente haben diese Eigenschaft und kein anderes Objekt. Im Zusammenhang mit Zahlen
benutzt man oft eine Grundmenge indexGrundmenge und schränkt diese durch weitere Eigenschaften
ein.
Beispiele: Mit der Grundmenge IN ergeben sich z.B. die Mengen
(1) M1 = {x ∈ IN | x ist prim} = {2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, . . .},
(2) M2 = {x ∈ IN | x ist größer als 10} = {x ∈ IN | x > 10} = {11, 12, 13, 14, 15, . . .},
(3) M3 = {x ∈ IN | x ist Teiler von 30} = {1, 2, 3, 5, 6, 10, 15, 30}.
Die besondere Eigenschaft, die die Elemente der Mengen in den Beispielen charakterisierte, wurde immer
mit Hilfe einer Variablen x ausgedrückt. Setzt man statt dieser Variablen ein bestimmtes Element der
Grundmenge ein (also in den Beispielen eine bestimmte natürliche Zahl), dann erkennt man, ob die
Eigenschaft für dieses Element der Grundmenge erfüllt ist oder nicht.
Wir wollen eine solche Fragestellung, die eindeutig mit wahr oder falsch beantwortet werden kann,
eine Aussage nennen.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
2
Die Zusammenfassung von gleichartigen Aussagen für Elemente einer Grundmenge heißt Aussageform.
Zum Beispiel ist
x ist eine Primzahl“
”
eine Aussageform auf der Grundmenge der natürlichen Zahlen.
3 ist eine Primzahl“ oder 16 ist eine Primzahl“ sind entsprechende Aussagen, die entstehen, wenn
”
”
man für die Variable x bestimmte Elemente der Grundmenge einsetzt.
Wir bezeichnen im folgenden Aussageformen durch A(x).
Mit Hilfe von Aussageformen A(x) lassen sich nun Teilmengen einer Grundmenge G in der Form
M = {x ∈ G | A(x)}
beschreiben. M heißt dann Erfüllungsmenge der Aussageform A(x) über der Grundmenge G.
Ist z.B. Q
I die Grundmenge, A(x) die Aussageform 4x = 5, dann ist die zugehörige Erfüllungsmenge
M = {x ∈ Q
I | A(x)} =
n5o
4
5
und die Aussage A
ist wahr, die Aussage A(27) ist falsch.
4
Bemerkungen:
(1) Das Symbol A(x) soll keinen Funktionswert wie f (x) darstellen. Man kann natürlich jede Aussageform auch als Funktion auf der Grundmenge mit Wertebereich {wahr, falsch} auffassen.
(2) Dieselbe Aussageform beschreibt i.a. bei verschiedenen Grundmengen auch verschiedene Erfüllungsmengen.
Zum Beispiel ist für
M1 = {x ∈ IR | A(x)},
A(x) = (−2 < x < 1)
M2 = {x ∈ Q
I | A(x)},
und
M3 = {x ∈ ZZ | A(x)},
M4 = {x ∈ IN | A(x)}
M4 eine echte Teilmenge von M3 , M3 eine echte Teilmenge von M2 usw.
1
≥ 1} sind problematisch, da nicht entschieden werden kann, ob A(0)
x2
wahr oder falsch ist. Korrekterweise müßte die Grundmenge auf IR \ {0} eingeschränkt werden.
(3) Ausdrücke wie {x ∈ IR |
(4) Auch endliche Zahlenmengen kann man mit Hilfe von Aussageformen darstellen. Zum Beispiel ist
M = {3, 5, 6, 9} = {x ∈ IR | x = 3 oder x = 5 oder x = 6 oder x = 9}
= {x ∈ IR | (x − 3) · (x − 5) · (x − 6) · (x − 9) = 0}.
Dieselbe Menge kann i.a. mittels verschiedener Aussageformen beschrieben werden. Es gilt z.B.
√
√
{x ∈ IR | x2 ≤ 2} = {x ∈ IR | x ≥ − 2 und x ≤ 2}.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
3
Definition 1.1.1 Sei G eine Grundmenge. Die Aussageformen A(x) und B(x) heißen äquivalent,
wenn gilt
{x ∈ G | A(x)} = {x ∈ G | B(x)}.
Schreibweise: A(x) ⇔ B(x).
Bemerkungen:
(1) A(x) ⇔ B(x)“ ist eine Aussage, die feststellt, ob die entsprechenden Aussageformen äquivalent
”
sind oder nicht.
(2) Gleichungen und Ungleichungen sind spezielle Aussageformen. Ihre Erfüllungsmengen heißen Lösungsmengen. Zum Beispiel ist die Lösungsmenge der reellen Ungleichung
5(4x − 2) < 15x − 2(x − 16)
die Menge
L = {x ∈ IR | 5(4x − 2) < 15x − 2(x − 16)}.
Durch Umformen der Ungleichung erhält man die äquivalente – einfachere – Aussageform
{x ∈ IR | x < 6}.
Erlaubt sind dabei natürlich Umformungen, die die Lösungsmenge nicht verändern (Äquivalenzumformungen).
Zur Beschreibung von Mengen in der Ebene oder im Raum verwendet man Aussageformen mit 2 bzw.
3 Variablen, allgemein endlich vielen Variablen. Die Grundmenge ist dann entsprechend IR × IR bzw.
IR × IR × IR bzw. IRn . Zum Beispiel beschreibt
(1) {(x, y) ∈ IR2 | y = 2x + 5}
eine Gerade in der Ebene,
(2) {(x, y) ∈ IR2 | x2 + y 2 ≤ 4}
eine Kreisscheibe in der Ebene,
(3) {(x, y) ∈ IR2 | x2 + y 2 = 0}
die einpunktige Menge {(0, 0)} in der Ebene,
(4) {(x, y) ∈ IR2 | y ≤ x}
eine Halbebene,
(5) {(x, y) ∈ IR2 | 2y + x = x + 2y}
die ganze Ebene,
1
(6) {(x, y) ∈ IR2 | |x − 3| ≤ }
2
einen Streifen parallel zur y–Achse in der Ebene,
(7) {(x, y, z) ∈ IR3 | y = 2x + 5}
eine Ebene im Raum.
Ist bei einer Aussageform A(x) die Erfüllungsmenge gleich der Grundmenge, d.h. A(x0 ) ist für jedes
Element x0 ∈ G wahr, dann heißt A(x) allgemeingültig.
Zum Beispiel sind die Aussageformen A(x) = (x2 ≥ 0) und B(x) = (1 + 0 · x = 1) in der Grundmenge
IR allgemeingültig.
Man kann die Allgemeingültigkeit durch den Allquantor ausdrücken:
^
Die Aussage {x ∈ G | A(x)} = G ist gleichbedeutend mit
A(x)
x∈G
bzw.
∀x ∈ G : A(x).
1. Mengen, Aussagen, Beweise
Beispiel: Die Allaussage
”
^
x∈IR
x2 ≥ 0“ ist wahr, die Allaussage
”
^
x∈IR
4
x2 ≥ 1“ ist falsch.
Bemerkung: Üblicherweise schreibt man etwas schlampig z.B.:
(a + b)2 = a2 + 2ab + b2
Man zeige die Gültigkeit von
in IR.
Eine Aussageform kann aber nicht gültig oder ungültig sein. Genauer ist damit gemeint, daß man die
Gültigkeit der Allaussage
^
(a + b)2 = a2 + 2ab + b2
a,b∈IR
zeigen soll.
Bei manchen Aussageformen ist die Erfüllungsmenge leer, z.B. bei A(x) = (x2 = −1) über der Grundmenge IR.
Eine solche Aussageform heißt unerfüllbar.
Man ist aber i.a. an erfüllbaren Aussageformen bzw. lösbaren Gleichungen und Ungleichungen interessiert. Die zugehörige Erfüllungs- oder Lösungsmenge muß also mindestens ein Element enthalten. Das
wird mit dem Existenzquantor ausgedrückt:
W
Die Aussage {x ∈ G | A(x)} =
6 ∅ ist gleichbedeutend mit
bzw. ∃x ∈ G : A(x).
x∈G A(x)
Beispiel: Die Existenzaussage
”
_
x2 = 2“ ist wahr, die Existenzaussage
x∈IR
”
_
x∈IR
x2 = −1“ ist falsch.
Durch Quantifizierung, d.h. durch Voransetzen eines Quantors vor eine einstellige Aussageform entsteht
eine Aussage. Für zweistellige Aussageformen kann man die Variablen unabhängig quantifizieren.
Beispiel:
(1) Die Aussage
^ _
x + y = 0 ist wahr, die Aussage
_ _
_ ^
x + y = 0 ist falsch, die Aussage
_ ^
x · y = 0 ist wahr, die Aussage
x∈IR y∈IR
(2) Die Aussage
^ ^
y∈IR x∈IR
(3) Die Aussage
y∈IR x∈IR
x + y = 0 ist ebenfalls wahr.
x∈IR y∈IR
x + y = 0 ebenfalls.
y∈IR x∈IR
^ ^
y∈IR x∈IR
x · y = 0 ist falsch.
Bemerkung: An dem vorigen Beispiel (1) und (2) erkennt man, daß man die Quantoren
i.a. nicht vertauschen darf. Dagegen sind die Quantoren
^
x∈IR
jeweils vertauschbar und das Ergebnis wird auch kurz mit
und
^
x,y∈IR
^
y∈IR
bzw.
^
und
x∈IR
sowie die Quantoren
_
_
x∈IR
_
y∈IR
und
_
y∈IR
bezeichnet.
x,y∈IR
Ist eine bestimmte Aussage gegeben, dann erhält man durch die Operation Negation eine zweite
Aussage, die das logische Gegenteil der ersten darstellt, d.h. wahr ist, wenn die erste falsch war, und
falsch, wenn die erste wahr war.
Man stellt die Negation einer Aussage A durch nicht A“ oder ¬A“ dar.
”
”
1. Mengen, Aussagen, Beweise
5
Wie in der Umgangssprache wird das starre System, das nicht“ vor die√Aussage zu stellen,
oft aufge√
”
hoben. Man sagt z.B. es regnet nicht“ statt nicht es regnet“ oder x 6= 2 statt ¬(x = 2).
”
”
Man kann auch Aussageformen negieren. Die Negation wirkt sich dann bei Einsetzen der speziellen
Elemente aus, die die Aussageform zu einer Aussage machen. Weiter gilt: Doppelte Verneinung hebt
sich auf, d.h. ¬¬A = ¬(¬A) ist äquivalent zu A.
Will man eine Allaussage negieren, dann darf man nicht einfach die entsprechende Aussageform negieren:
Die Verneinung von Alle Schüler sind fleißig“ ist nicht Alle Schüler sind nicht fleißig“, sondern Es
”
”
”
gibt (mindestens) einen Schüler, der nicht fleißig ist“.
Entsprechendes gilt für die Verneinung von Existenzaussagen. Allgemein gilt:
Satz 1.1.2 Sei A(x) eine Aussageform (mit Grundmenge G). Dann gilt:
(a) Negieren einer Allaussage ergibt eine Existenzaussage mit der negierten Aussageform, d.h.
^
_
¬
A(x)
ist äquivalent zu
¬A(x) .
x∈G
x∈G
(b) Negieren einer Existenzaussage ergibt eine Allaussage mit der negierten Aussageform, d.h.
_
^
¬A(x) .
¬
A(x)
ist äquivalent zu
x∈G
1.2
x∈G
Operationen für Aussagen und Mengen
Wie im vorigen Abschnitt bei der Negation kann man Aussagen andere Aussagen zuordnen:
Definition 1.2.1 Gegeben seien zwei beliebige Aussagen A und B. Durch die folgende Wahrheitstafel
werden Operationen definiert, die A und B neue Aussagen zuordnen, die
• Negation (Schreibw. ¬),
• die Konjunktion (Schreibw. ∧)
• und die Disjunktion (Schreibw. ∨):
A
B
¬A
A∧B
A∨B
w
w
f
w
w
w
f
f
f
w
f
w
w
f
w
f
f
w
f
f
Die Symbole ¬, ∧ und ∨ heißen Junktoren, das Ergebnis der Operation verneinte Aussage“, Und”
”
Aussage“ und Oder-Aussage“.
”
1. Mengen, Aussagen, Beweise
6
Die logischen Operationen sind auch auf Aussageformen anwendbar. Die Wahrheitstafel ist aber erst
anwendbar, wenn man in die Aussageformen Werte eingesetzt hat, also die dazu gehörenden Aussagen
betrachtet.
Für Teilmengen MA , MB einer festen Grundmenge G gibt es die Operationen
• Komplement
MA := G \ MA ,
• Durchschnitt
MA ∩ MB := {x ∈ MA und x ∈ MB }
• Vereinigung
und
MA ∪ MB := {x ∈ MA oder x ∈ MB }.
Charakterisiert man das Ergebnis einer solchen Mengenoperation durch eine entsprechende Aussageform,
dann erhält man eine enge Beziehung zu den vorher betrachteten logischen Symbolen:
Umgangssprache
Aussageform
Erfüllungsmenge
Für x ∈ G ist A(x) wahr
A(x)
MA = {x ∈ G | A(x)}
Für x ∈ G ist A(x) falsch
¬A(x)
Komplement MA = G \ MA = {x ∈ G | ¬A(x)}
Für x ∈ G ist sowohl A(x) als
auch B(x) wahr
A(x) ∧ B(x)
Durchschnitt {x ∈ G | A(x)} ∩ {x ∈ G | B(x)}
Für x ∈ G ist A(x) wahr oder
B(x) wahr
A(x) ∨ B(x)
Vereinigung {x ∈ G | A(x)} ∪ {x ∈ G | B(x)}
Beispiele:
(1) {(x, y) ∈ IR2 | x2 − y 2 = 0} = {(x, y) ∈ IR2 | y = x} ∪ {(x, y) ∈ IR2 | y = −x}.
{(x, y) ∈ IR2 |x| + |y| = 4} =
{(x, y) ∈ IR2 | (x ≥ 0) ∧ (y ≥ 0) ∧ (x + y = 4)}
(2)
∪ {(x, y) ∈ IR2 | (x ≤ 0) ∧ (y ≥ 0) ∧ (−x + y = 4)}
∪
∪
{(x, y) ∈ IR2 | (x ≥ 0) ∧ (y ≤ 0) ∧ (x − y = 4)}
{(x, y) ∈ IR2 | (x ≤ 0) ∧ (y ≤ 0) ∧ (−x − y = 4)}
(3) Die Lösungsmenge L des linearen Gleichungssystems
ax + by = c
dx + ey = f
ist der Durchschnitt
L = {(x, y) ∈ IR2 | ax + by = c} ∩ {(x, y) ∈ IR2 | dx + ey = f }.
L ist einelementig oder besteht aus den Koordinaten der Punkte einer Geraden in einem kartesischen Koordinatensystem oder ist die leere Menge.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
7
Für beliebige Kombinationen von logischen Operationen, angewandt auf Aussagen, läßt sich das Ergebnis
mit Hilfe entsprechender Wahrheitstafeln feststellen. Aus der engen Beziehung zu den Mengenoperationen ergeben sich folgende Rechenregeln:
Satz 1.2.2 Seien MA , MB , MC beliebige Teilmengen einer festen Grundmenge G, MA := G \ A das
Komplement von MA , ∅ die leere Menge.
(a) Die Vereinigung ist eine assoziative und kommutative Operation mit neutralem Element ∅, d.h.
es gilt
MA ∪ (MB ∪ MC ) = (MA ∪ MB ) ∪ MC ,
MA ∪ MB = MB ∪ MA ,
MA ∪ ∅ = MA .
Weiter gilt
MA ∪ G = G,
MA ∪ MA = G,
MA ∪ MA = MA .
(b) Die Durchschnittsbildung ist eine assoziative und kommutative Operation mit neutralem Element
G, d.h. es gilt
MA ∩ (MB ∩ MC ) = (MA ∩ MB ) ∩ MC ,
MA ∩ MB = MB ∩ MA ,
MA ∩ G = MA .
Weiter gilt
MA ∩ ∅ = ∅,
MA ∩ MA = ∅,
MA ∩ MA = MA .
(c) Es gelten die beiden Distributivgesetze
(MA ∪MB )∩MC = (MA ∩MC )∪(MB ∩MC )
und
(MA ∩MB )∪MC = (MA ∪MC )∩(MB ∪MC ).
(d) Es gelten die deMorganschen Regeln“
”
MA ∪ MB = MA ∩ MB
und MA ∩ MB = MA ∪ MB .
Man kann nun mit Mengen und den oben definierten Verknüpfungen entsprechend rechnen wie mit
Zahlen und Addition und Multiplikation. Bei der Booleschen Algebra stützt man sich nicht auf Wahrheitstafeln, sondern geht analog wie bei den Zahlenmengen von der Gültigkeit elementarer Beziehungen,
den Axiomen, aus und beweist die Gültigkeit der weiteren Gesetze.
Beispiel: Für beliebige Teilmengen MA , MB , MC , MD einer Grundmenge gilt G
(MA ∪ MB ) ∩ (MC ∪ MD ) = (MA ∩ MC ) ∪ (MA ∩ MD ) ∪ (MB ∩ MC ) ∪ (MB ∩ MD ).
1. Mengen, Aussagen, Beweise
1.3
8
Beweisverfahren
In der Aussagenlogik faßt man die Aussagenverbindung wenn – dann“ genauso wie und“ und oder“
”
”
”
als logische Operation auf, die aus zwei Aussagen A und B eine neue Aussage herstellt: wenn A, dann
”
B“. Wir bezeichnen dies durch A ⇒ B und nennen die Operation Implikation. Die entsprechende
Wahrheitstafel ist
A
B
A⇒B
¬A
¬A ∨ B
w
w
w
f
w
w
f
f
f
f
f
w
w
w
w
f
f
w
w
w
Vergleich mit den Werten der Aussage ¬A ∨ B ergibt die Äquivalenz zu der Implikation A ⇒ B.
Umgangssprachlich formuliert man Sachverhalte etwas anders, wenn man den Wahrheitswert der Implikation kennt. So wird z.B. aus wenn Du Eis ißt, dann bekommst Du Bauchschmerzen“, etwa
”
• Weil Du Eis gegessen hast, hast Du Bauchschmerzen bekommen.
• Obwohl Du Eis gegessen hast, hast Du keine Bauchschmerzen bekommen.
• Obwohl Du kein Eis gegessen hast, hast Du Bauchschmerzen bekommen.
• Weil Du kein Eis gegessen hast, hast Du keine Bauchschmerzen bekommen.
Wichtig ist die Feststellung, daß die Implikation A ⇒ B nur dann falsch ist, wenn A wahr und B falsch
ist. Wenn also A falsch ist, dann kann B wahr oder falsch sein. In beiden Fällen ist die Implikation wahr.
Beweistechnisch bedeutet das, daß man mit Hilfe einer falschen Voraussetzung alles beweisen kann.
Natürlich kann der Junktor ⇒ auch auf Aussageformen angewendet werden. Dadurch entsteht eine
neue Aussageform A(x) ⇒ B(x), die nach Einsetzen genau der Werte x falsch wird, für die A(x) wahr
und B(x) falsch ist. Allgemein interessiert man sich bei Implikationen von Aussageformen nicht für die
zugehörige
Erfüllungsmenge, sondern dafür, ob die Aussageform allgemeingültig ist, d.h. ob die Aussage
^
A(x) ⇒ B(x) wahr ist.
x∈G
Beispiele:
(1) Die Aussageform wenn x < 3, dann x < 5“ wird sicher intuitiv als in IR allgemeingültig erkannt.
”
Das beinhaltet auch wahre Aussagen der Form 4 < 3 ⇒ 4 < 5“ oder 6 < 3 ⇒ 6 < 5“.
”
”
2
(2) Die Aussageform x < 3 ⇒ x < 10“ ist in IR nicht allgemeingültig, wie man durch Einsetzen von
”
x = −4 erkennt. Sie hat aber eine nichtleere Erfüllungsmenge.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
^
Für die Negation der Aussage
x∈G
¬
^
x∈G
9
A(x) ⇒ B(x) ergibt sich
_
_
_
A(x) ⇒ B(x) =
¬ A(x) ⇒ B(x) =
¬ ¬A(x) ∨ B(x) =
A(x) ∧ ¬B(x)
x∈G
x∈G
x∈G
und damit die logische Grundlage des Verfahrens zur Widerlegung einer Implikation.
Die Implikation A ⇒ B wird auch folgendermaßen ausgedrückt:
• Aus A folgt B.
• Wenn A, dann B.
• A ist hinreichend für B.
• B ist notwendig für A.
Man bezeichnet auch oft A als Voraussetzung, B als Behauptung, wobei eigentlich die Gültigkeit der
gesamten Implikation die Behauptung ist.
Die Implikation ist nicht symmetrisch, d.h. A ⇒ B ist i.a. nicht äquivalent zu B ⇒ A. Die zweite
Implikation heißt auch Umkehrung der ersten. Zum Beispiel gilt
^
(q ≤ 0) ⇒ (die Gleichung x2 + px + q = 0 ist in IR lösbar),
p,q∈IR
aber nicht die Umkehrung.
Die schon vorher eingeführte Äquivalenz von Aussageformen läßt sich durch Implikationen ausdrücken.
Aus folgender Wahrheitstafel folgt für Aussagen
A
B
A⇔B
A⇒B
B⇒A
(A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A)
w
w
w
w
w
w
w
f
f
f
w
f
f
w
f
w
f
f
f
f
w
w
w
w
d.h. die Aussagen
A⇔B
und
(A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A)
sind äquivalent.
Für zwei Aussageformen A(x) und B(x) ist wieder die Aussage A(x) ⇔ B(x) für die x ∈ G wahr, für
die – eingesetzt in die Aussageformen – A(x) und B(x) beide wahr oder beide falsch sind.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
10
Beispiele:
(1) Die Queen ist im Buckingham-Palast anwesend genau dann, wenn die englische Fahne gehißt ist.
(2) Die Aussageform
x+2<5⇔ x<3
ist allgemeingültig in IR, denn die Fälle
(x + 2 6< 5) ∧ (x < 3)
und
(x + 2 < 5) ∧ (x 6< 3)
können wegen der Monotonieeigenschaft der Addition in IR nicht auftreten.
(3) Die Aussageform
x<5⇔x<3
ist nicht allgemeingültig in IR, denn z.B. für x = 4 ist die zweite Aussage falsch und die erste wahr.
Die Äquivalenz der Aussagen A und B wird auch folgendermaßen ausgedrückt:
• Es gilt A genau dann, wenn B gilt.
• Es gilt A dann und nur dann, wenn B gilt.
• A ist notwendig und hinreichend für B.
Beispiele:
^
(1)
(n ist teilbar durch 3) ⇔ (die Quersumme von n ist teilbar durch 3).
n∈IN
(2)
^
(a = 0 ∧ b = 0) ⇔ (a2 + b2 = 0).
^
(p2 ≥ 4q) ⇔ ( die Gleichung
a,b∈IR
(3)
x2 + px + q = 0
ist in IR lösbar ).
p,q∈IR
Betrachtet man zu zwei Aussageformen A(x) und B(x) die Erfüllungsmengen MA und MB , dann entspricht der Implikation A(x) ⇒ B(x) die Mengen-Inklusion MA ⊆ MB , d.h. es gilt die Inklusion
genau dann, wenn
^
x ∈ MA ⇒ x ∈ MB .
x∈G
Es gilt
Satz 1.3.1 Seien G eine beliebige nichtleere Menge, MA , MB , MC Teilmengen von G. Dann gilt:
(a) ∅ ⊆ MA , d.h. die leere Menge ist Teilmenge jeder Menge.
(b) MA ⊆ MA , d.h. die Inklusion ist reflexiv.
(c) MA ⊆ MB ∧ MB ⊆ MC ⇒ MA ⊆ MC , d.h. die Inklusion ist transitiv.
(d) MA ⊆ MB ⇒ MA ∪ MC ⊆ MB ∪ MC .
1. Mengen, Aussagen, Beweise
11
(e) MA ⊆ MB ⇒ MA ∩ MC ⊆ MB ∩ MC .
(f ) MA ⊆ MB ⇒ MB ⊆ MA .
(g) MA ⊆ MB ∧ MB ⊆ MA ⇒ MA = MB .
Aus der letzten Beziehung ergibt sich, daß zu der Äquivalenz von Aussageformen die Gleichheit der
zugehörigen Erfüllungsmengen gehört.
Mit Hilfe der Aussagenlogik wird das Verständnis der wichtigen Beweisprinzipien Widerspruchsbeweis“
”
und Vollständige Induktion“ erleichtert:
”
Beim Widerspruchsbeweis beweist man nicht, wie eigentlich gefordert, die Allgemeingültigkeit der
Aussageform A(x) ⇒ B(x), sondern die Allgemeingültigkeit der Aussageform ¬B(x) ⇒ ¬A(x). Man
macht sich mit Hilfe zugehöriger Wahrheitstafeln leicht klar, daß beide Allaussagen äquivalent sind.
Bei der vollständigen Induktion hat man es mit einer Aussageform A(n) über der Grundmenge IN
zu tun, und es soll die Allgemeingültigkeit gezeigt werden. Dabei zerfällt der Beweis in zwei Teile, den
• Induktionsanfang, bei dem die Gültigkeit der Aussage A(1) gezeigt wird, und den
^
• Induktionsschluß, bei dem die Gültigkeit der Aussage
A(n) ⇒ A(n + 1) gezeigt wird.
n∈IN
——————————————————————————————–
^
Insgesamt ergibt sich
A(n).
n∈IN
Durch den Induktionsschluß wird die Richtigkeit von A(n + 1) nur dann gesichert, wenn A(n) wahr ist,
und sonst kann man über A(n + 1) keine Aussagen machen. Dadurch wird deutlich, daß beide Teile
– sowohl Induktionsanfang als auch Induktionsschluß – wesentlich für die korrekte Durchführung des
Verfahrens sind. Natürlich ist beim Induktionsschluß darauf zu achten, daß man kein n ausläßt, d.h.
daß die Erfüllungsmenge ganz IN ist.
Während beim Beweisprinzip des Widerspruchbeweises keine Einschränkung für die Grundmenge der
Aussageformen gilt, ist das Beweisprinzip der vollständigen Induktion fest mit der Zahlenmenge IN
verbunden. Das Induktionsaxiom
^
Ist X ⊆ IN, 1 ∈ X und
n ∈ X ⇒ n + 1 ∈ X, dann ist X = IN“
”
n∈IN
ist ein wesentlicher Teil der Definition der Menge der natürlichen Zahlen mit Hilfe der Peano-Axiome
und direkte Grundlage für die Durchführbarkeit des Beweisprinzips.
1.4
Kleiner Exkurs: Was ist Mathematik?
Als zukünftiger Mathematiklehrer sollte man auf die Frage vorbereitet sein, was die Mathematik als
Wissenschaft ausmacht.
Im Gegensatz zur oft geäußerten Meinung gehört Mathematik nicht zu den Naturwissenschaften wie
Physik, Chemie, Biologie:
Sie beschäftigt sich nicht mit realen Objekten und Vorgängen, sondern mit geistigen Gegenständen wie
Zahlen, Punkten, Geraden.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
12
Methodisch betrachtet sie ihre Aussagen nicht als gültig auf Grund hinreichend vieler Beobachtungen,
sondern leitet sie aus anderen (als gültig erwiesenen oder angenommenen) ab.
Andererseits unterscheidet sich die Mathematik von den anderen Geisteswissenschaften dadurch, daß
man nicht über die Gültigkeit der Aussagen diskutieren kann (Gedichtinterpretation, historischer Wahrheitswert der Bibel).
In seinem Buch In Mathe war ich immer schlecht ...“ gibt Beutelspacher vier Sichtweisen der Mathe”
matik als Wissenschaft an, die unterschiedliche Aspekte betonen und sich gegenseitig ergänzen.
1. Mathematik ist der Versuch, logische Strukturen zu erkennen
Ziel der Mathematik ist, logische Abhängigkeiten zwischen Aussagen zu erkennen.
Eine Aussage B wird also auf eine Aussage A zurückgeführt, d.h. man beweist die Implikation
A ⇒ B.
Dieser Ansatz führt dazu, daß man versucht, die ganze Mathematik oder Teilgebiete auf wenige Grundaussagen, die Axiome, zurückzuführen.
Euklid (ca. 300 v.Chr.) versuchte als erster, in seinen Elementen“ die Aussagen der euklidischen“
”
”
Geometrie auf wenige Axiome zurückzuführen. Vollendet hat das David Hilbert 1899 in seinem Buch
“Grundlagen der Geometrie“.
Ein anderes Beispiel sind die Zahlbereiche IN, Q,
I IR, C,
I die aus den Peano-Axiomen entwickelt werden.
Der Nachweis der Implikationen kann prinzipiell mit Hilfe von Wahrheitstafeln geführt werden, d.h.
Mathematik wird sehr formalistisch verstanden.
Ebenfalls untersucht man Abhängigkeiten zwischen Begriffen, z.B. in der Geometrie ( Jedes Quadrat
”
ist ein Rechteck“) oder der Analysis ( Jede differenzierbare Funktion ist stetig“).
”
Mathematik ist eine Sammlung von Ideen
Theoretisch ist Schach ein langweiliges, weil vorhersehbares Spiel: Die Anzahl aller möglichen Partien
ist endlich, d.h. wenn beide Spieler alle diese Möglichkeiten kennen, können sie (ohne zu spielen) vorhersagen, ob der Spieler mit weißen Figuren gewinnt, verliert, es ein Remis oder ein Patt gibt. Andererseits
ist diese Anzahl so groß, daß niemand alle Spielzüge kennt und praktisch der Spielausgang offen ist.
Gute Schachspieler ersetzen diese fehlende Kenntnis durch Strategien.
Analog ist es beim Beweis mathematischer Sätze: Theoretisch bedeutet ein Beweis, die entsprechende
Implikation mit Hilfe einer Wahrheitstafel nachzuprüfen oder eine Abfolge logischer Schlußregeln zu
finden, mit deren Hilfe aus der Voraussetzung A die Behauptung B folgt.
Praktisch funktioniert das nur bei wenigen Sätzen. I.a. braucht man zu dem Beweis eine oder mehrere
(manchmal auch viele) Ideen. Man kann aus der Behauptung nicht unbedingt erkennen, ob man zu dem
Beweis viele solcher Ideen benötigt, d.h. ob der Beweis schwer“ ist oder leicht“.
”
”
Ein Beispiel ist der sogenannte “große Satz von Fermat“ (1601-1665), der aussagt, daß für alle natürlichen
Zahlen n ≥ 3 die Gleichung
xn + y n = z n
keine Lösung mit natürlichen Zahlen x, y, z hat. Fermat stellte diese Behauptung 1637 auf, der Beweis
gelang aber erst 1994 Andrew Wiles (Princeton) und er umfaßt mehrere hundert Seiten schwierigster
Mathematik.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
13
Natürlich versucht man, Ideen, die bei bestimmten Problemen zum Erfolg geführt haben, auch bei
Beweisversuchen anderer Behauptungen zu verwenden. Beispiele sind die Beweismethoden des Widerspruchsbeweises oder der vollständigen Induktion. Eine weitere nützliche Idee vor allem bei kombinatorischen Problemen ist das Schubfachprinzip, das aussagt, daß bei Aufteilung von n Elementen einer
Menge in k < n Teilmengen eine dieser Teilmengen mindestens 2 Elemente enthält.
Beispiele:
(1) Die Behauptung Es gibt keine rationale Zahl x ∈ Q,
I die Lösung der Gleichung x2 = 2 ist“, kann
”
mit Hilfe des Widerspruchsbeweises zeigen. Als weitere Idee benötigt man die Tatsache, daß das
Quadrat einer natürlichen Zahl genau dann gerade ist, wenn die Zahl selbst gerade ist.
(2) Formeln für Summen natürlicher Zahlen wie
n
X
k=1
n
X
k=1
n
X
k=1
k := 1 + 2 + 3 + . . . + (n − 1) + n =
k2 := 1 + 4 + 9 + . . . + (n − 1)2 + n2 =
n(n + 1)
,
2
n(n + 1)(2n + 1)
,
6
k3 := 1 + 8 + 27 + . . . + (n − 1)3 + n3 = (1 + 2 + 3 + . . . + n)2 =
n2 (n + 1)2
4
beweist man mit Hilfe der vollständigen Induktion.
Das Beweisprinzip ist aber auf andere Problemstellungen anwendbar:
Zerlegt man die Zeichenebene durch n Geraden in verschiedene Gebiete ( Länder“), dann läßt sich
”
die entstehende Landkarte mit zwei Farben so färben, daß Länder mit einer gemeinsamen Grenze
(die nicht nur aus einem Punkt besteht) verschiedene Farben haben.
(3) Mit dem Schubfachprinzip beweist man z.B.:
(a) In jeder Gruppe von mindestens 2 Personen gibt es zwei, die die gleiche Anzahl von Bekannten innerhalb dieser Gruppe haben.
Wir betrachten als Teilmengen die Menge aller Personen, die dieselbe Anzahl Personen kennen, d.h. K0 enthält alle Einsiedler und Kn−1 alle der n Personen, die jede andere der Personen
kennen. Als Zusatzidee benötigt man die Tatsache, daß eine der beiden Mengen K0 und Kn−1
gleich der leeren Menge ist.
(b) Unter je sechs natürlichen Zahlen gibt es stets zwei, deren Differenz durch 5 teilbar ist.
Hier teilt man die Menge IN der natürlichen Zahlen so in 5 Teilmengen auf, daß zwei Elemente
derselben Teilmenge bei Division durch 5 jeweils den gleichen Rest haben.
(c) Unter je 5 Punkten,
die in einem Quadrat der Seitenlänge 2 liegen, gibt es immer 2, deren
√
Abstand ≤ 2 ist.
Hier teilt man das Quadrat in 4 Teilquadrate der Seitenlänge 1 auf.
Mathematik ist ein Werkzeug, die Welt zu beschreiben
Ein wesentlicher Grund für die zentrale Stellung der Mathematik in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, aber in neuerer Zeit in den Sozialwissenschaften ist, daß sie eine Sprache ist, um die auftretenden Phänomene und Probleme zu formulieren. Im Idealfall ergeben sich aus der Beschreibung auch
Ansätze für Lösungen.
1. Mengen, Aussagen, Beweise
14
Natürlich kann man nicht erwarten, daß die Mathematik alle Facetten des zu beschreibenden Vorgangs
wiederspiegelt - man erhält i.a. ein mathematisches Modell des realen Problems.
Ein Beispiel ist die Darstellung von Musik (Texten, Bildern) durch Zahlen in der Kommunikationsindustrie. Natürlich ist ein Ton etwas anderes als eine Folge von Nullen und Einsen und wird nur unvollständig dadurch repräsentiert. Gleichwohl ergeben sich aus der digitalen Codierung hervorragende
Möglichkeiten, Musik zu speichern oder über Datenkanäle verlustfrei zu übermitteln.
Mathematik ist eine Weise, die Welt zu erfahren
Durch Beschreibung der Welt durch mathematische Begriffe bringen wir nicht nur eine Struktur in unsere
Beobachtungen, sondern wir schärfen unser Wahrnehmungsvermögen für bestimmte Phänomene.
• Macht man sich den Symmetriebegriff bewußt, dann erkennt man viel mehr symmetrische (und
asymmetrische) Objekte als zuvor. Man kann z.B. auch schlüssig erklären, warum wir mit Begriffen
wie oben - unten“ und vorn - hinten“ weniger Schwierigkeiten haben als mit links - rechts“.
”
”
”
• Das Studium der Stetigkeit von Funktionen schärft das Bewußtsein für stetige und unstetige
Prozesse in der Umwelt.
• Die Beschäftigung mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung läßt uns abschätzen, wie groß ein eventuelles Bedrohungspotential (Unfallgefahr bei Reisen mit Auto, Bahn, Flugzeug) ist.
15
2
Algebraische Strukturen
2.1
Ringe
2.1.1
Der Ring der ganzen Zahlen
Bei der Erweiterung der Menge IN der natürlichen Zahlen zur Menge ZZ der ganzen Zahlen fordert man
das Permanenzprinzip:
Die Grundgesetze des Rechnens sollen auch in dem erweiterten Zahlbereich Gültigkeit haben.
Diese Grundgesetze sind:
(1) Axiom der Verknüpfung: Für beliebige a, b ∈ ZZ gibt es eindeutig bestimmte c, d ∈ ZZ mit
a · b = d (Produkt).
a + b = c (Summe)
(2) Axiom der Kommutativität: Für beliebige a, b ∈ ZZ gilt
a·b=b·a
a+b=b+a
(3) Axiom der Assoziativität: Für beliebige a, b, c ∈ ZZ gilt
(a · b) · c = a · (b · c)
(a + b) + c = a + (b + c)
(4) Axiom der Existenz des Einselements: Es gibt in ZZ genau eine bezüglich der Multiplikation
neutrale Zahl e, so daß für alle a ∈ ZZ gilt a · e = a. Bezeichnung für e: 1.
(5) Axiom der Distributivität: Für beliebige a, b, c ∈ ZZ gilt
a · (b + c) = a · b + a · c.
(6) Axiom der Lösbarkeit der Subtraktionsaufgabe: Für beliebige a, b ∈ ZZ ist die Gleichung
a + x = b in ZZ eindeutig lösbar.
Bemerkung: Die ersten fünf Rechenregeln gelten auch schon in IN, das letzte ist i.a. falsch.
Diese Grundgesetze legen schon das Addieren und Multiplizieren in ZZ vollständig fest. Die meisten
anderen Rechenregeln lassen sich daraus herleiten, z.B. die folgenden Regeln für das Rechnen mit der
(in den Axiomen nicht besonders hervorgehobenen) Zahl 0:
Satz 2.1.1
(a) Es gibt in ZZ genau eine neutrale Zahl e′ , so daß für alle a ∈ ZZ gilt
a + e′ = a.
Bezeichnung für e′ : Nullelement 0.
2. Algebraische Strukturen
16
(b) Zu jeder Zahl a ∈ ZZ gibt es eine eindeutig bestimmte Gegenzahl (−a) ∈ ZZ, so daß gilt
a + (−a) = 0.
(c) Für alle a ∈ ZZ gilt
−(−a) = a,
d.h. die Gegenzahl der Gegenzahl ist die ursprüngliche Zahl.
(d) Für beliebige a, b ∈ ZZ erhält man die Lösung der Subtraktionsaufgabe
a+x=b
als Summe von b und der Gegenzahl (−a) von a.
(e) Für alle a ∈ ZZ gilt
2.1.2
a · 0 = 0.
Der allgemeine Ringbegriff
Im vorigen Abschnitt zeigte sich, daß nur wenige Axiome ausreichten, um die Rechenregeln bezüglich
Addition und Multiplikation in ZZ (fast) vollständig als Folgerungen der Gültigkeit dieser Axiome herzuleiten. Dabei spielte die genaue Additions- und Multiplikationsvorschrift bei den Folgerungen keine
Rolle. Das bedeutet, daß diese Folgerungen für jede Menge mit zwei Verknüpfungen gelten, für die die
Axiome gültig sind. Man kann daher das vertraute Rechnen mit ganzen Zahlen in gewisser Weise auf
allgemeinere Mengen übertragen.
Definition 2.1.2 Sei R eine beliebige nichtleere Menge und f1 , f2 : R × R → R zwei Verknüpfungen.
Gelten dann für (R, f1 , f2 ) die Axiome des vorigen Abschnittes, dann heißt (R, f1 , f2 ) kommutativer
Ring mit Addition f1 , Multiplikation f2 und Einselement e.
Bemerkungen:
(a) Die Addition im allgemeinen Ring wird i.a. wie in ZZ mit + und die Multiplikation mit · bezeichnet.
Die Rechenvorschriften müssen aber (außer der Gültigkeit der Axiome) nichts mit der gewohnten
Addition bzw. Multiplikation in ZZ zu tun haben.
(b) Wir legen wieder wie in ZZ fest, daß Punktrechnung vor Strichrechnung“ durchzuführen ist. Das
”
spart das Setzen von Klammern ( z.B. im Vergleich zu dem Rechnen in der Mengenalgebra mit
Durchschnitt und Vereinigung).
(c) Gilt für f2 nicht das Kommutativgesetz, dann nennt man (R, f1 , f2 ) Ring mit Einselement.
Allerdings muß man – da die Reihenfolge bei der Multiplikation jetzt eine Rolle spielt – das
Distributivaxiom ersetzen durch die
Axiome der Distributivität: Für beliebige a, b, c ∈ ZZ gilt
a · (b + c) = a · b + a · c
und
(b + c) · a = b · a + c · a.
(d) Gilt außerdem nicht das Axiom der Existenz des neutralen Elements bezüglich der Multiplikation,
dann nennt man R einfach Ring.
2. Algebraische Strukturen
17
Beispiele:
(1) Die Menge GI := {. . . , −4, −2, 0, 2, 4, . . .} der geraden ganzen Zahlen ist mit der üblichen
Addition und Multiplikation ein kommutativer Ring (ohne Einselement).
(2) Die Menge der ungeraden Zahlen {. . . , −5, −3, −1, 1, 3, 5, . . .} ist mit der üblichen Addition und
Multiplikation kein Ring.
(3) Sei G eine nichtleere Menge. Die Potenzmenge P(G) := {X | X ⊆ G} erfüllt mit Vereinigungsund Durchschnittsbildung alle Axiome bis auf das Subtraktionsaxiom, ist also kein Ring.
2.1.3
Der Restklassenring ZZ/m
Wir betrachten die Menge M := {0, 1, 2, . . . , 11}. Um ähnlich wie in ZZ eine Addition und Multiplikation
zu definieren, ordnen wir die Elemente (statt auf der Zahlengeraden) auf einem Kreis an:
0
11
1
10
2
9
3
]
8
4
7
6
5
Die Summe s := a + b werde folgendermaßen errechnet:
Man gehe, ausgehend von 0, a Schritte in Pfeilrichtung, dann von dort aus weiter b Schritte, und lese
an der Stelle, an der man ankommt, die Summe s ab.
Das Produkt p := a · b werde (analog zum Produkt in IN auf dem Zahlenstrahl) folgendermaßen
bestimmt:
Man gehe, ausgehend von 0, a Schritte in Pfeilrichtung der Schrittlänge b und lese an der Stelle, an der
man ankommt, das Produkt p ab.
Natürlich kann man dieselbe Konstruktion für jede Menge mit m > 1 Elementen durchführen, d.h. man
kann zu beliebigen endlichen Mengen mit mindestens 2 Elementen eine entsprechende Addition“ und
”
eine Multiplikation“ definieren. Im obigen Beispiel wurde m = 12 in Anlehnung der Darstellung der
”
Tageszeit durch analoge Uhren gewählt.
Grundsätzlich kann man Verknüpfungen auf endlichen Mengen {a0 , . . . , am−1 } auch durch Verknüpfungstafeln mit m Zeilen und m Spalten beschreiben, bei denen an der Kreuzungsstelle der i-ten Zeile
und der j-ten Spalte das Ergebnis der Verknüpfung von ai−1 und bj−1 steht.
Für die oben definierte Addition und Multiplikation ergibt sich zum Beispiel
2. Algebraische Strukturen
für m = 4
und für m = 5
·
0
1
2
3
3
0
0
0
0
0
3
0
1
0
1
2
3
3
0
1
2
0
2
0
2
0
1
2
3
0
3
2
1
·
0
1
2
3
4
+
0
1
2
3
0
0
1
2
1
1
2
2
2
3
3
und
+
0
1
2
3
4
0
0
1
2
3
4
0
0
0
0
0
0
1
1
2
3
4
0
1
0
1
2
3
4
2
2
3
4
0
1
2
0
2
4
1
3
3
3
4
0
1
2
3
0
3
1
4
2
4
4
0
1
2
3
4
0
4
3
2
1
und
18
.
Wir betrachten nun die Division der ganzen Zahlen durch m mit Rest. Es treten nach Definition genau
die m Reste {0, 1, 2, . . . , m − 1} auf. Durch
a≃b
:⇔
bei Division von a bzw. b durch m ergibt sich derselbe Rest r
wird auf ZZ eine Äquivalenzrelation definiert, die ZZ in m Restklassen zerlegt.
Jeder der Reste liegt in genau einer Restklasse, d.h. man kann die Restklassen durch die Reste eindeutig
beschreiben. Es sei nun
a := {x ∈ ZZ | x dividiert durch m ergibt Rest a}.
Auf der Menge der Restklassen definieren wir eine Addition und eine Multiplikation:
Definition 2.1.3 Sei m ∈ IN, m > 1, und ZZ/m := {0, 1, . . . , m − 1} die Menge der Restklassen in ZZ
bezüglich m.
Für a ∈ a1 , b ∈ b1 sei
s := a + b,
p := a · b,
s1
der Rest von s,
p1
der Rest von p
bei Division durch m. Dann heißt
s1 := a + b
Summe
und
p1 := a · b
Produkt
von a und b.
Für diese beiden Rechenvorschriften gelten die Ring-Axiome, d.h.
Satz 2.1.4 Mit den beiden Rechenvorschriften aus der vorigen Definition ist (ZZ/m, +, ·) ein kommutativer Ring mit Einselement 1. Man nennt ihn den Restklassenring nach dem Modul m.
2. Algebraische Strukturen
19
Bemerkungen:
(1) Zwei ganze Zahlen a und b liegen genau dann in derselben Restklasse, wenn a − b durch m teilbar
ist. Zwei derartige Zahlen nennt man auch kongruent modulo m.
In der Restklasse 0 liegen genau die Vielfachen von m.
(2) Man überzeugt sich leicht davon, daß alle in diesem Abschnitt eingeführten Additionen bzw.
Multiplikationen übereinstimmen.
(3) Das Beispiel m = 4 zeigt, daß nicht alle Rechenregeln in ZZ aus den Axiomen des kommutativen
Rings mit Einselements hergeleitet werden können.
In ZZ gilt die Nullteilerfreiheit, d.h. aus a · b = 0 folgt a = 0 oder b = 0.
In ZZ/4 gilt das nicht, denn 2 + 2 = 0, aber 2 6= 0.
Man zeigt leicht:
In ZZ/m gilt die Nullteilerfreiheit genau dann, wenn m eine Primzahl ist.
2.1.4
Der Polynomring
Wir betrachten nun die Menge der Polynome
2
3
n
p(x) = a0 + a1 x + a2 x + a3 x + . . . + an x =
n
X
k=0
ak xk
mit n ∈ IN0 , a0 , . . . , an ∈ ZZ.
Dabei sei x zunächst nur ein Symbol, d.h. wir verstehen das Polynom nicht als Funktion auf z.B. der
Menge der reellen Zahlen.
x heißt Unbestimmte, die Zahlen ak , 0 ≤ k ≤ n Koeffizienten des Polynoms.
Zwei Polynome betrachten wir als gleich, wenn sie - abgesehen von Summanden mit Koeffizienten 0 dieselben Summanden haben. Zum Beispiel sind
p1 (x) = 3 + 7x2 + 25x4
und
p2 (x) = 3 + 0x + 7x2 + 0x3 + 25x4 + 0x8
verschiedene Darstellungen desselben Polynoms.
Der größte vorkommende Exponent von x, dessen zugehöriger Koeffizient ungleich Null ist heißt Grad
des Polynoms. Das obige Polynom hat also Grad 4.
Polynome der Form p(x) = a0 , a0 6= 0, haben Grad 0.
Dem Nullpolynom p(x) = 0 ordnen wir keinen Grad zu.
Man könnte die Menge dieser Polynome auch als Menge der Folgen ganzer Zahlen betrachten, die
höchstens endlich viele Glieder ungleich Null haben. In Zukunft bezeichnen wir diese Menge durch ZZ[x].
2. Algebraische Strukturen
20
Wir definieren nun Addition und Multiplikation in ZZ[x].
Definition 2.1.5 Seien m, n ∈ IN0 mit m ≤ n, p1 (x), p2 (x) ∈ ZZ[x] mit
p1 =
m
X
ak xk ,
p2 (x) =
k=0
n
X
bk xk .
k=0
Dann heißt
n
X
k=0
m·n
X
ck xk
mit
dk xk
mit
k=0
ck := ak + bk ,
dk :=
X
i+j=k
ai · bj ,
k = 0, . . . , n
Summe und
k = 0, . . . , m · n
Produkt
der beiden Polynome.
Bemerkungen:
(1) Für die Addition werden bei dem Polynom mit kleinerem Grad die fehlenden“ Koeffizienten mit
”
0 aufgefüllt.
Die Multiplikation entspricht dem Ausmultiplizieren der endlichen Summen (die die speziellen
Polynome darstellen,) und anschließendem Zusammenfassen gleicher Potenzen.
(2) Sind weder p1 (x), p2 (x) noch p1 (x) + p2 (x) gleich dem Nullpolynom, dann gilt
Grad p1 (x) + p2 (x) ≤ max Grad p1 (x), Grad p2 (x)
Grad p1 (x) · p2 (x) = Grad p1 (x) + Grad p2 (x).
und
Satz 2.1.6 ZZ[x] ist ein kommutativer Ring mit Einselement und heißt Polynomring über ZZ.
Bemerkung: Beim Beweis des Satzes benutzt man nicht die speziellen Eigenschaften von ZZ, sondern
nur, daß ZZ ein kommutativer Ring mit Einselement ist. Man könnte eine entsprechende Aussage für den
Polynomring
n
X
R[x] := {p(x) | n ∈ IN0 , p(x) =
ak xk , a0 , a1 , . . . , an ∈ R}
k=0
über einem beliebigen kommutativen Ring R mit Einselement machen.
Kann man in dem zugrundeliegenden Ring R auch dividieren, d.h. ist R ein Körper, dann existiert in
R[x] wie in ZZ eine Division mit Rest. Wir betrachten speziell den Polynomring Q[x]
I
über Q:
I
Satz 2.1.7 Seien p1 (x), p2 (x) ∈ Q[x]
I
und p2 (x) 6= 0. Dann gibt es eindeutig bestimmte Polynome
q(x), r(x) ∈ Q[x]
I
mit
p1 (x) = q(x) · p2 (x) + r(x)
und r(x) = 0 oder Grad r(x) < Grad p2 (x).
Bemerkung: Ist R ein kommutativer Ring mit Einselement, dann existiert
Xdie Division mit Rest in
n
R[x] für alle Polynome p1 (x), p2 (x) ∈ R[x] mit Teilerpolynom p2 (x) = x +
ak xk , n ∈ IN0 .
k=0
2. Algebraische Strukturen
2.2
Körper
2.2.1
Der allgemeine Körperbegriff
21
In der Menge der ganzen Zahlen kann man nicht dividieren - deshalb erweiterte man sie zur Menge der
rationalen Zahlen unter Beibehaltung der Regeln für die Addition, Multiplikation und für das Rechnen
mit Ungleichungen. Verallgemeinernd erhält man
Definition 2.2.1 Sei K eine beliebige Menge mit mindestens zwei Elementen, f1 , f2 : K × K → K
zwei Verknüpfungen und (K, f1 , f2 ) ein kommutativer Ring mit Nullelement 0. Zusätzlich gelte
(7) Axiom der Lösbarkeit der Divisionsaufgabe: Für beliebige a, b ∈ K mit a 6= 0 ist die
Gleichung
a · x := f2 (a, x) = b
in K eindeutig lösbar.
Dann heißt (K, f1 , f2 ) Körper mit Addition f1 und Multiplikation f2 .
Beispiele:
(1) Q
I und IR sind Körper.
(2) Streicht man in der Multiplikationstafel von ZZ/5 die 0-Zeile und die 0-Spalte, dann steht in jeder
Zeile und in jeder Spalte eine Permutation der Restklassen 1, 2, 3 und 4, d.h. das Axiom der
Lösbarkeit der Divisionsaufgabe ist erfüllt, ZZ/5 ist also ein Körper.
Genauso erkennt man aus der entsprechenden Multiplikationstafel, daß ZZ/4 kein Körper ist.
√
√
(3) Für die Menge Q[
I 2] := {a + b 2 | a, b ∈ Q}
I werde durch
√
√
√
√
√
√
(a + b 2) · (c + d 2) := ac + 2bd + (ad + bc) 2
(a + b 2) + (c + d 2) := a + c + (b + d) 2,
√
eine Addition und eine Multiplikation definiert. Dann ist Q[
I 2] ein Körper.
Für einen Körper muß man das Axiom der Existenz des Einselements nicht voraussetzen, denn wie im
Ring die Existenz des Nullelements aus der Lösbarkeit der Subtraktionsaufgabe folgt, gilt dies analog
für das Einselement und die Lösbarkeit der Divisionsaufgabe.
Satz 2.2.2 (a) Es gibt in K genau eine neutrale Zahl e′ bezüglich der Multiplikation, so daß für alle
a ∈ K gilt a · e′ = a. Bezeichnung für e′ : Einselement 1.
(b) Zu jeder Zahl a ∈ K, a 6= 0, gibt es eine eindeutig bestimmte Gegenzahl a−1 ∈ K, so daß gilt
a · a−1 = 1. Bezeichnung: inverses Element.
(c) Für alle a ∈ K, a 6= 0, gilt
Zahl.
(a−1 )−1 = a, d.h. die Gegenzahl der Gegenzahl ist die ursprüngliche
(d) Für beliebige a, b ∈ K, a 6= 0, erhält man die Lösung der Divisionsaufgabe
von b und der Gegenzahl a−1 von a.
(e) K ist nullteilerfrei, d.h. für alle a, b ∈ K folgt aus
ist.
a · b = 0,
a·x = b
als Produkt
daß einer der beiden Faktoren 0
2. Algebraische Strukturen
22
Analog zur Konstruktion von Q
I aus ZZ kann man allgemeine nullteilerfreie kommutative Ringe zu einem
Körper erweitern:
Satz 2.2.3 Sei R ein nullteilerfreier kommutativer Ring mit mindestens 2 Elementen.
In R × (R \ {0}) betrachten wir die Äquivalenzrelation
(a, b) ≃ (c, d)
Dann bilden die Äquivalenzklassen
:⇔
ad = bc.
a
mit Addition und Multiplikation
b
a c
ad + bc
+ :=
,
b d
bd
a c
ac
· :=
b d
bd
einen Körper.
Beispiel: Zu dem Polynomring ZZ[x] erhält man den Körper der (gebrochen) rationalen Funktionen
{
2.2.2
p(x)
| p(x), q(x) ∈ ZZ[x], q(x) 6= 0}.
q(x)
Der Körper der komplexen Zahlen
Da Quadrate reeller Zahlen stets nichtnegativ sind, hat die Gleichung x2 = −1 keine (reelle) Lösung.
Es besteht also eine ähnliche Situation wie bei der Lösbarkeit der Gleichung 3x = 7 innerhalb ZZ.
Für die Lösbarkeit der letzten Gleichung führte man die rationalen Zahlen ein. Analog erweitert man
IR:
√
(a) i := −1, d.h. die Zahl“ i mit i2 = −1, heißt imaginäre Einheit.
”
(b) Die Menge CI := {z = a + bi | a, b ∈ IR} heißt Menge der komplexen Zahlen.
Re z := a heißt Realteil, Im z := b Imaginärteil von z = a + bi.
Definition 2.2.4
Zwei komplexe Zahlen z1 = a1 + b1 i und z2 := a2 + b2 i heißen gleich, wenn a1 = a2 und b1 = b2 ,
d.h. wenn sie in Real- und Imaginärteil übereinstimmen.
Eine Zahl der Form bi (mit b ∈ IR) heißt Imaginärzahl.
(c) In CI seien folgendermaßen Addition und Multiplikation definiert:
z1 + z2 = (a1 + b1 i) + (a2 + b2 i) := (a1 + a2 ) + (b1 + b2 )i
z1 · z2 = (a1 + b1 i) · (a2 + b2 i) := (a1 · a2 − b1 · b2 ) + (a1 · b2 + a2 · b1 )i.
Bemerkungen:
(1) Man rechnet also in C,
I als ob i eine durch einen Buchstaben vertretene reelle Zahl sei, und ersetzt
jeweils i2 durch −1.
(2) Die Nichtlösbarkeit der Gleichung x2 = −1 in IR wird einfach durch Definition neuer Symbole behoben. Allerdings ist es möglich, daß eine solche Lösung grundsätzlich nicht existiert bzw. zu nicht
auflösbaren Widersprüchen führt. Schließlich kann man die Gleichung 0 · x = 1 auch nicht lösen
2. Algebraische Strukturen
23
und die Einführung eines Reziproken j := 0−1 von 0 führt bei Anwendung des Distributivgesetzes
zu
1 = 0 · j = (0 + 0) · j = 0 · j + 0 · j = 1 + 1 = 2.
Für die Definition von CI könnte man die Menge
IR2 := IR × IR := {(a, b) | a, b ∈ IR}
betrachten mit folgender Addition und Multiplikation
(a1 , b1 ) + (a2 , b2 ) := (a1 + a2 , b1 + b2 )
(a1 , b1 ) · (a2 , b2 ) := (a1 · a2 − b1 · b2 , a1 · b2 + a2 · b1 ).
Identifiziert man jetzt ein Zahlenpaar (a, 0) mit der reellen Zahl a, dann hat man ohne Definition
eines neuen Symbols eine Menge eingeführt, die genau dieselben algebraischen Eigenschaften hat
wie C,
I also als andere Darstellung derselben Menge aufgefaßt werden kann. (Addition und Multiplikation sind natürlich so definiert, daß sie genau der Addition und Multiplikation in CI entsprechen.
Das Paar (0, 1) entspricht der imaginären Einheit.)
CI kann man als 2-dimensionalen reellen Vektorraum auffassen.
(3) Mit Einführung der Imaginärzahlen werden alle in IR nicht lösbaren reinquadratischen Gleichungen
x2 = −a
mit a ∈ IR, a > 0,
√
lösbar. Die Lösungen sind nämlich x1,2 = ± a i.
Zu in IR nicht lösbaren gemischtquadratischen Gleichungen der Form
x2 + bx + c = 0,
b, c ∈ IR,
b2 − 4c < 0,
erhält man mit quadratischer Ergänzung die Lösungen x1,2 =
b
ip
±
4c − b2 .
2
2
Satz 2.2.5 Die Menge CI bildet mit der Addition und Multiplikation aus der vorigen Definition einen
Körper.
Bemerkung: Bei dem Nachweis der Lösbarkeit der Divisionsaufgabe zeigt man, daß das Reziproke
einer komplexen Zahl z = a + bi 6= 0 gleich
z −1 =
a2
a
b
− 2
i
2
+b
a + b2
ist. Dabei wird die 3. binomische Formel
(a + bi) · (a − bi) = a2 − b2 i2 = a2 + b2
benutzt. Die beiden Faktoren nennt man (zueinander) konjugiert komplexe Zahlen.
Ist z = a + bi, dann bezeichnet man die dazu konjugierte Zahl mit z, d.h. es gilt z = a − bi.
Es gilt z = z genau dann, wenn z ∈ IR, und z = −z genau dann, wenn z imaginär.
2. Algebraische Strukturen
2.2.3
24
Darstellung der komplexen Zahlen in der Zahlenebene
Die reellen Zahlen und die Rechenoperationen konnten sehr anschaulich auf der Zahlengeraden dargestellt werden. Verwendet man ein rechtwinkliges (kartesisches) Koordinatensystem, dann kann man
jeder komplexen Zahl z = a + bi umkehrbar eindeutig den Punkt der Ebene mit den Koordinaten (a, b)
zuordnen.
Die reellen Zahlen entsprechen den Punkten der x-Achse (auch reelle Achse genannt), die imaginären
Zahlen der y-Achse (imaginäre Achse genannt).
Die den Zahlen z und −z entsprechenden Punkte liegen symmetrisch bezüglich des Nullpunkts, die den
konjugierten Zahlen z und z entsprechenden Punkte symmetrisch bezüglich der reellen Achse.
−−
→
Stellt man die Punkte der komplexen Zahlenebene durch Ortsvektoren dar, d.h. durch Pfeile OP vom
Nullpunkt O zu dem entsprechenden Punkt P , dann läßt sich die Summe zweier komplexer Zahlen
−−→
durch Vektoraddition der zugehörigen Ortsvektoren darstellen, d.h. der Ortsvektor OP zu der Summe
−−→
−−→
von OP1 und OP2 ist die Diagonale des Parallelogramms OP1 P2 P .
y 6
Im (z1 + z2 )
Im z2
Im z1
O
3
P
P1
z1 + z2
z1
: P2
z2
Re z1
Re z2
Re (z1 + z2 )
x
Der Ortsvektor, der in der komplexen Zahlenebene die komplexe Zahl z = a + bi beschreibt, ist durch
die kartesischen Koordinaten eindeutig bestimmt.
Man kann ihn aber auch mit Hilfe der Polarkoordinaten festlegen: Dabei sei ϕ der Winkel zwischen der
positiven reellen Achse und dem Ortsvektor und r = |z| die Länge des Ortsvektors. ϕ heißt Argument
und |z| Betrag der komplexen Zahl z.
y 6
Im z
*
z
ϕ M
O
Re z
P
x
2. Algebraische Strukturen
25
Aus dem Satz des Pythagoras und der Trigonometrie folgt der Zusammenhang zwischen kartesischen
und Polar-Koordinaten
a = cos ϕ,
b = sin ϕ
bzw.

b


für a > 0
arctan



a

π


p
für a = 0, b > 0
|z| = a2 + b2 ,
ϕ= 2
.
b


+
π
für
a
<
0
arctan


a


π

−
für a = 0, b < 0
2
Aus den Additionstheoremen der trigonometrischen Funktionen folgt
z1 · z2 =
|z1 |(cos ϕ1 + i sin ϕ1 ) · |z2 |(cos ϕ2 + i sin ϕ2 )
= |z1 | |z2 | cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i sin(ϕ1 + ϕ2 ) .
Bei der Multiplikation zweier komplexer Zahlen multiplizieren also sich die Beträge und addieren sich
die Argumente. Damit ergibt sich eine geometrische Konstruktion des Produktes:
y 6
z = z1 · z2
z2
3
Y ϕ1
I
ϕ2
K
ϕ1
0
z1
1
x
Man verbinde z1 mit dem Punkt 1 (auf der reellen Achse) und konstruiere den Punkt z so, daß die
Dreiecke 01z1 und 0z2 z ähnlich sind.
2.2.4
Moivre-Formeln und Kreisteilungsgleichung
Als Verallgemeinerung der Multiplikationsformel zweier komplexer Zahlen in Polarform
z1 · z2 = |z1 | |z2 | cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i sin(ϕ1 + ϕ2 )
ergibt sich für die n-te Potenz einer komplexen Zahl
Satz 2.2.6 (Moivre-Formel) Für n ∈ IN, z = r(cos ϕ + i sin ϕ) gilt
n
z n = r(cos ϕ + i sin ϕ) = r n cos(nϕ) + i sin(nϕ) .
Die n-te Potenz einer komplexen Zahl mit Betrag r und Argument ϕ hat also das n-fache Argument nϕ
und als Betrag r n .
2. Algebraische Strukturen
26
Für die Umkehrung der Potenzierung, d.h. das Bestimmen der n-ten Wurzel einer komplexen Zahl
Z := R(cos α + i sin α) nutzen wir diese Formel aus.
In IR hat eine Gleichung der Form xn = a keine, eine oder zwei Lösungen. In CI gilt
Satz 2.2.7 Sei n ∈ IN, Z = R(cos α + i sin α) ∈ C.
I Dann hat die Gleichung
zn = Z
genau n komplexe Lösungen, nämlich
zk =
√
n
R(cos ϕk + i sin ϕk )
mit ϕk =
α
360o
+k
,
n
n
0 ≤ k ≤ n − 1.
Bemerkungen:
(1) Man erhält alle Lösungen der Gleichung in der komplexen Zahlenebene, indem man um den Null√
α
n
punkt einen Kreis mit Radius R zeichnet und darauf den Punkt z0 mit Argument bestimmt.
n
Die weiteren Lösungen sind die Punkte, die entstehen, wenn man, ausgehend von z0 , den Kreis in
n gleiche Teile teilt.
(2) Ist a reell, dann hat die
Gleichung z n = a genau n komplexe Lösungen. Da der Kreis um den
p
Nullpunkt mit Radius n |a| die reelle Zahlengerade (d.h. die reelle Achse) in genau zwei Punkten
schneidet, können höchstens zwei der komplexen Lösungen reell sein.
(3) Bei der Gleichung
zn = 1
ist die erste Lösung immer z0 = 1. Die n Lösungen heißen n-te Einheitswurzeln.
(4) Aus der Moivre-Formel folgt, daß sich bei Potenzierung einer komplexen Zahl mit Betrag 1 das
Argument ver-n-facht, d.h. es gilt ein entsprechendes Verhalten wie beim Exponenten einer Potenz.
Man kürzt daher die Polarform einer komplexen Zahl mit Betrag 1 oft durch eiϕ ab, also
eiϕ := cos ϕ + i sin ϕ.
(Euler-Formel)
Es gilt dann
z = r(cos ϕ + i sin ϕ) = reiϕ ,
e2πi = 1,
1
cos ϕ = (eiϕ + e−iϕ ),
2
2.3
Gruppen
2.3.1
Der allgemeine Gruppenbegriff
z n = r n einϕ
e−iϕ = cos ϕ − i sin ϕ,
1
sin ϕ = (eiϕ − e−iϕ ).
2i
Bisher haben wir (bei den Ringen und Körpern) Mengen betrachtet, für die zwei verschiedene Verknüpfungen gegeben waren. Beschränkt man sich auf die Betrachtung einer Verknüpfung, und gelten
die entsprechenden Axiome, dann nennt man die Menge Gruppe bezüglich dieser Verknüpfung.
2. Algebraische Strukturen
27
Definition 2.3.1 Sei M eine nichtleere Menge, ◦ eine Abbildung auf M × M . Gelten das
(1) Axiom der Verknüpfung: Für beliebige a, b ∈ M gibt es ein eindeutig bestimmtes c ∈ M mit
a ◦ b = c,
(2) Axiom der Assoziativität: Für beliebige a, b, c ∈ M gilt (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c),
(3) Axiom der Lösbarkeit der Aufgabe der Umkehrverknüpfung: Für beliebige a, b ∈ M sind
die Gleichungen a ◦ x = b und y ◦ a = b in M eindeutig lösbar,
dann heißt (M, ◦) Gruppe. Gilt zusätzlich das
(4) Axiom der Kommutativität: Für beliebige a, b ∈ M gilt a ◦ b = b ◦ a,
dann heißt die Gruppe kommutativ (oder abelsch).
Beispiele:
(1) Natürlich ist jeder Ring und jeder Körper kommutative Gruppe bezüglich der Addition, speziell
z.B. (ZZ, +), (IQ, +), (IR, +), (IC, +). Weiter ist für jeden Körper K mit Nullelement 0 die Menge
(K \ {0}, ·) kommutative Gruppe bezüglich der Multiplikation, speziell z.B. ({x ∈ IR|x 6= 0}, ·).
(2) Die 6. Einheitswurzeln
ǫ0 = 1,
√
1
ǫ1 = (1 + i 3),
2
√
1
ǫ2 = − (1 − i 3),
2
ǫ3 = −1,
√
1
ǫ4 = − (1 + i 3),
2
√
1
ǫ5 = (1 − i 3)
2
bilden bezüglich der Multiplikation (in C)
I eine kommutative Gruppe.
(3) Die Funktionen fn : IR \ {0, 1} → IR \ {0, 1}, 1 ≤ n ≤ 6, mit
f1 (x) = x,
f2 =
1
,
x
f3 (x) = 1 − x,
f4 (x) =
x
,
x−1
f5 (x) =
x−1
,
x
f6 (x) =
1
1−x
bilden eine Gruppe bezüglich der Hintereinanderausführung von Funktionen, d.h. bezüglich der
Verknüpfung
(fi ◦ fj )(x) := fi fj (x) .
Die Gruppe ist nicht kommutativ.
(4) Sei m ∈ IN, m > 1. Im Restklassenring ZZ/m heißt eine Restklasse a prim, wenn a und m
teilerfremd sind, d.h. 1 der größte gemeinsame ganzzahlige Teiler ist.
Es gilt dann nämlich, daß jedes Element b ∈ a zu m teilerfremd ist.
Die primen Restklassen in ZZ/m bilden bezüglich der Multiplikation in ZZ/m eine kommutative
Gruppe.
Ist speziell m eine Primzahl, dann besteht diese Gruppe aus den Restklassen 1, 2, . . . , p − 1.
(5) Die Bewegungen der Ebene, die eine vorgegebene Figur in der Ebene auf sich abbilden, heißen
Deckbewegungen der Figur.
Für ein gleichseitiges Dreieck sind das die 3 Geradenspiegelungen an den Mittelsenkrechten des
Dreiecks, die 2 Drehungen um den Mittelpunkt (Umkreismittelpunkt, Schwerpunkt) des Dreiecks
um 1200 bzw. 2400 gegen den Uhrzeigersinn und die identische Abbildung.
Die Abbildungen kann man untereinander durch die Bilder der Dreiecksecken unterscheiden:
2. Algebraische Strukturen
28
Sind die Dreiecksecken durch 1, 2 bzw. 3 bezeichnet, und kennzeichnet man durch (a b c) (mit
a, b, c ∈ {1, 2, 3}) die Deckbewegung, die die Ecke 1 auf die Ecke a, 2 auf b und 3 auf c abbildet,
dann werden die obigen Abbildungen in der angegebenen Reihenfolge beschrieben durch
b1 = (2 1 3),
b2 = (3 2 1),
b3 = (1 3 2),
b4 = (2 3 1),
b5 = (3 1 2),
b0 = (1 2 3).
Die Deckbewegungen des gleichseitigen Dreiecks bilden eine nichtkommutative Gruppe.
Bemerkungen:
(1) Sei (G, ◦) eine Gruppe, a ∈ G.
Eine Lösung der Gleichung a ◦ x = a heißt rechtsneutrales Element, eine Lösung der
Gleichung x ◦ a = a linksneutrales Element.
Wie beim Nullelement bzw. Einselement in Ringen und Körpern kann man zeigen:
Es gibt genau ein e ∈ G, so daß für alle a ∈ G gilt a ◦ e = a und e ◦ a = a. e heißt neutrales
Element.
Es gilt weiter: Ist für ein a ∈ G das Element e′ linksneutral oder rechtsneutral, dann ist e′ das
neutrale Element von G.
(2) Die Lösung der Gleichung a ◦ y = e heißt zu a rechtsinverses Element, die Lösung von x ◦ a = e
linksinverses Element.
Es gilt wieder: Ist x ∈ G zu a ∈ G rechtsinvers, dann ist x zu a auch linksinvers und umgekehrt.
x heißt inverses Element. Bezeichnung: a−1 .
−1
Wie bei Ringen und Körpern gilt: a−1
= a.
(3) Das zu dem Produkt“ a ◦ b inverse Element ist b−1 ◦ a−1 , und allgemein erhält man das Inverse
”
zu einem Produkt von n Elementen in G, indem man die Inversen der einzelnen Elemente in
umgekehrter Reihenfolge miteinander verknüpft.
Die Gruppen aus Beispiel (3) und (5) unterscheiden sich in ihren Elementen.
Ersetzt man allerdings formal in der Verknüpfungstafel von Beispiel (5) die Deckabbildung bj durch
fj+1 , 0 ≤ j ≤ 5, dann stimmt die Tafel mit der Verknüpfungstafel von Beispiel (3) überein. Zwischen
den beiden Gruppen gibt es also eine Zuordnung, die jedem Element der einen Gruppe genau ein
Element der anderen Gruppe zuordnet und umgekehrt (d.h. eine bijektive Abbildung), und die mit den
Gruppenverknüpfungen verträglich ist, d.h. es ist im Ergebnis gleichgültig, ob man zuerst in der ersten
Gruppe zwei Elemente miteinander verknüpft und das Produkt in die andere Gruppe abbildet, oder
ob man zuerst die beiden Elemente in die andere Gruppe abbildet und dann die Bilder miteinander
verknüpft.
Definition 2.3.2 Seien (G1 , ◦) und (G2 , •) Gruppen. Eine bijektive Abbildung f : G1 → G2 heißt
Isomorphismus, wenn für alle a, b ∈ G1 gilt f (a ◦ b) = f (a) • f (b). Die Gruppen heißen zueinander
isomorph.
Bemerkungen:
(1) Da in der Gruppentheorie die spezielle Gestalt der Gruppenelemente keine Rolle spielt, sondern
nur die Eigenschaften der Verknüpfung, kann man also zueinander isomorphe Gruppen mit Mitteln
der Gruppentheorie nicht voneinander unterscheiden. Das erklärt die Bezeichnung (isomorph =
von gleicher Gestalt, griech.).
2. Algebraische Strukturen
29
(2) Isomorphismus“ bedeutet in den verschiedenen mathematischen Teildisziplinen nicht genau das”
selbe. Es bezeichnet aber immer eine bijektive Abbildung zwischen zwei Mengen, die mit den für
die Teildisziplin wesentlichen Eigenschaften der Mengen verträglich ist.
Zum Beispiel ist in der Körpertheorie ein Isomorphismus eine bijektive Abbildung
f : K1 → K2
mit f (a + b) = f (a) ⊕ f (b) und f (a · b) = f (a) ⊙ f (b),
in der reellen Vektorraumtheorie (Linearen Algebra) eine bijektive lineare Abbildung
f : V1 → V2
mit
f (a + b) = f (a) ⊕ f (b) und f (α a) = α f (a),
α ∈ IR,
und in der Analysis eine bijektive stetige Abbildung, deren Umkehrabbildung auch stetig ist.
(3) Zwei endliche Gruppen (d.h. mit endlich vielen Elementen) können nur dann zueinander isomorph
sein, wenn sie gleich viele Elemente haben. Für unendliche Gruppen müssen ihre Kardinalzahlen
übereinstimmen.
Die Anzahl der Elemente einer Gruppe nennt man Ordnung der Gruppe.
(4) Eine nichtkommutative Gruppe kann nie zu einer kommutativen Gruppe isomorph sein. Die Gruppen aus den Beispielen (2) und (3) sind also nicht zueinander isomorph.
(5) Ist e das neutrale Element in G1 , e′ das neutrale Element in G2 , a ∈ G1 beliebig und sind G1 und
G2 isomorph (mit Isomorphie f : G1 → G2 ), dann gilt
f (e) = e′
und
−1
f (a−1 ) = f (a) .
(6) Alle Gruppen der Ordnung 2 sind zueinander isomorph, und desgleichen alle Gruppen der Ordnung 3. Weiter gibt es zwei Isomorphieklassen von Gruppen der Ordnung 4, und jede Gruppe der
Ordnung 4 liegt in einer der beiden Klassen.
Beispiel: Die Menge {10n |n ∈ ZZ} ist bezüglich der Multiplikation eine Gruppe, die isomorph
zur
Gruppe (ZZ, +) ist. Analog ist die Gruppe (IR, +) isomorph zur Gruppe {x ∈ IR | x > 0}, · .
2.3.2
Die Untergruppe
Hat eine Menge eine besondere Eigenschaft (Struktur), dann untersucht man Teilmengen, die dieselbe
Eigenschaft haben. Für Gruppen heißt das:
Definition 2.3.3 Sei (G, ◦) eine Gruppe, U ⊂ G eine Teilmenge. U heißt Untergruppe von G, wenn
(U, ◦) Gruppe ist.
Beispiele:
(1) Jede Gruppe (und damit auch Untergruppe) enthält das neutrale Element e, ist also nichtleer.
{e} ist die kleinstmögliche Untergruppe jeder Gruppe.
G ist ebenfalls Untergruppe und natürlich die größtmögliche Untergruppe von G.
(2) ZZ ist Untergruppe von (IQ, +), (IR, +) und (IC, +).
Q
I \ {0} ist Untergruppe von {x ∈ IR|x 6= 0}, ·) und {x ∈ C|x
I 6= 0}, ·).
(3) Die 3. Einheitswurzeln {ǫ0 , ǫ2 , ǫ4 } bilden eine Untergruppe der Gruppe der 6. Einheitswurzeln.
2. Algebraische Strukturen
30
(4) Die Teilmenge der Drehungen {b0 , b4 , b5 } ist Untergruppe der Deckabbildungen des gleichseitigen
Dreiecks.
Bemerkung: Eine Teilmenge U ist Untergruppe der Gruppe (G, ◦) genau dann, wenn die Teilmenge
gegenüber der Verknüpfung und der Inversenbildung abgeschlossen ist, d.h. wenn für alle a, b ∈ U gilt
a◦b∈U
b−1 ∈ U.
und
Beide Bedingungen kann man auch zusammenfassen zu:
Für alle a, b ∈ U ist
a ◦ b−1 ∈ U .
Wichtige und einfache Beispiele für Untergruppen sind die zyklischen Gruppen:
Satz 2.3.4 Sei (G, ◦) eine Gruppe, a ∈ G ein festes Element,
a0 = e,
an := a
. . ◦ a},
| ◦ .{z
n
Dann ist
−1
a−n := a
. . ◦ a−1}
| ◦ .{z
n
für n ∈ IN.
U := {an | n ∈ ZZ}
eine kommutative Untergruppe von G.
Sie heißt die von a erzeugte zyklische Gruppe.
Ist U endlich, dann heißt die Ordnung von U Ordnung des Elements a.
Beispiele:
(1) (ZZ, +) ist eine von dem Element 1 erzeugte unendliche zyklische Gruppe.
(2) {ǫ0 , ǫ2 , ǫ4 }, · ist eine von ǫ2 erzeugte zyklische Gruppe. ǫ2 hat Ordnung 3.
Bemerkung: Ist (G, ◦) eine endliche Gruppe, a ∈ G, dann bildet schon die Menge {an | n ∈ IN} der
Potenzen von a mit positivem Exponenten die von a erzeugte zyklische Untergruppe.
Sie ist endlich, d.h. es gibt mindestens zwei Potenzen mit am = an und 0 < m < n.
Es gibt weiter ein n ∈ IN mit an = e, und der kleinste dieser Exponenten ist gleich der Ordnung von a.
Wir betrachten nun eine Gruppe (G, ◦) und eine Untergruppe U . Sei a ∈ G ein beliebiges festes Element.
Dann ist die Menge der Produkte
a ◦ U := {a ◦ b| b ∈ U }
eine Teilmenge von G.
a ◦ U heißt die (Links-)Nebenklasse von a bezüglich U .
Beispiel: Sei U die Untergruppe der Drehungen in der Gruppe der Deckabbildungen des gleichseitigen
Dreiecks. Dann ergeben sich die Nebenklassen
b0 ◦ U = {b0 , b4 , b5 },
b1 ◦ U = {b1 , b2 , b3 },
b4 ◦ U = {b0 , b4 , b5 },
b5 ◦ U = {b0 , b4 , b5 }.
b2 ◦ U = {b1 , b2 , b3 },
b3 ◦ U = {b1 , b2 , b3 },
Die Nebenklassen in dem Beispiel sind entweder identisch oder disjunkt, und ihre Vereinigung ist ganz
G, d.h. sie haben dieselben Eigenschaften wie Äquivalenzklassen. In der Tat lassen sie sich auch durch
eine Äquivalenzrelation erzeugen:
2. Algebraische Strukturen
31
Satz 2.3.5 Sei (G, ◦) eine Gruppe, U eine Untergruppe von G. Weiter gelte
a∼b
a−1 ◦ b ∈ U.
⇔
Dann ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf G und die zugehörigen Äquivalenzklassen sind die Nebenklassen
bezüglich U .
Bemerkungen:
(1) Zwei Nebenklassen sind also gleich oder disjunkt. Ist a ∈ U , dann ist
a ◦ U = U.
(2) Durch
mit f (x) := b ◦ a−1 ◦ x
f :a◦U →b◦U
wird eine bijektive Abbildung zwischen a ◦ U und b ◦ U definiert.
Zwei verschiedene Nebenklassen bezüglich U sind also gleichmächtig und haben dieselbe Kardinalzahl wie U .
Hat U n Elemente, dann haben alle Nebenklassen n Elemente.
Satz 2.3.6 (a) Ist (G, ◦) eine endliche Gruppe mit Ordnung n, hat U die Ordnung m und gibt es k
verschiedene Nebenklassen bezüglich U , dann gilt
n = km,
die Ordnung der Untergruppe U ist also Teiler der Ordnung von G.
(b) Die Ordnung jedes Elements a einer endlichen Gruppe G ist Teiler der Ordnung von G.
(c) In einer Gruppe mit n Elementen gilt
2.3.3
an = e
für jedes Element a ∈ G.
Symmetriegruppen
Wir haben schon die Gruppe der Deckabbildungen eines gleichseitigen Dreiecks kennengelernt.
Ist statt des Dreiecks eine beliebige Figur (in der Ebene oder im Raum) gegeben, dann ist immer die
identische Abbildung (der Ebene oder des Raums) eine Abbildung, die die Figur (sogar punktweise)
auf sich abbildet. Es kann andere solcher Abbildungen geben, und die Menge der Abbildungen bildet
immer eine Gruppe bezüglich der Hintereinanderausführung. Diese Gruppe heißt Symmetriegruppe
der entsprechenden Figur.
Für ein regelmäßiges Fünfeck enthält die zugehörige Symmetriegruppe T10
• die identische Abbildung id der Ebene,
• die Drehungen d1 , d2 , d3 , d4 um den Umkreismittelpunkt um 720 , 1440 , 2160 und 2880
• sowie die 5 Spiegelungen s1 , s2 , s3 , s4 und s5 .
2. Algebraische Strukturen
32
Für die Verknüpfungstafel ergibt sich
id
d1
d2
d3
d4
s1
s2
s3
s4
s5
id
id
d1
d2
d3
d4
s1
s2
s3
s4
s5
d1
d1
d2
d3
d4
id
s3
s4
s5
s1
s2
d2
d2
d3
d4
id
d1
s5
s1
s2
s3
s4
d3
d3
d4
id
d1
d2
s2
s3
s4
s5
s1
d4
d4
id
d1
d2
d3
s4
s5
s1
s2
s3
s1
s1
s4
s2
s5
s3
id
d2
d4
d1
d3
s2
s2
s5
s3
s1
s4
d3
id
d2
d4
d1
s3
s3
s1
s4
s2
s5
d1
d3
id
d2
d4
s4
s4
s2
s5
s3
s1
d4
d1
d3
id
d2
s5
s5
s3
s1
s4
s2
d2
d4
d1
d3
id
s4
s3
s5
s2
s1
Außer der trivialen Untergruppe {id} enthält T10 die Drehgruppe D5 := {id, d1 , d2 , d3 , d4 } sowie die 5
von je einer Spiegelung erzeugten Untergruppen Sk := {id, sk }, 1 ≤ k ≤ 5. Weitere Untergruppen gibt
es nicht.
Jede der Untergruppen kann wieder als Symmetriegruppe einer ebenen Figur aufgefaßt werden. Diese
Figuren weisen weniger Symmetrien als das regelmäßige Fünfeck auf. Mögliche zugehörige Figuren zu
D5 und S1 sind
s1
Zur trivialen Untergruppe gehört schließlich eine unsymmetrische Figur.
Die Symmetriegruppe T12 eines regelmäßigen Sechsecks hat analog Ordnung 12 und besteht
• aus der identischen Abbildung id der Ebene,
• den Drehungen d1 , . . . , d5 um den Sechseckmittelpunkt um 600 , 1200 , 1800 , 2400 und 3000 ,
• sowie den Spiegelungen s1 , . . . , s6 an den 3 Diagonalen und den 3 Mittelsenkrechten der Seiten.
Sie hat als Untergruppen
• die triviale Untergruppe,
• 3 Untergruppen, die nur aus Drehungen bestehen, nämlich die volle Drehgruppe D6 , die Dreiecksdrehgruppe D3 = {id, d2 , d4 } und die Rechtecksdrehgruppe D2 = {id, d3 }.
• Weiter gibt es wieder die Untergruppen Sk , die aus der Identität und der Spiegelung sk bestehen
(mit 1 ≤ k ≤ 6).
2. Algebraische Strukturen
33
• Je 2 Spiegelungen an zueinander senkrechten Achsen bilden zusammen mit der Identität und der
Drehung um 1800 jeweils eine Gruppe, nämlich V4 = {id, s1 , s4 , d3 }, V4′ = {id, s2 , s5 , d3 } und
V4′′ = {id, s3 , s6 , d3 }.
Jede dieser Untergruppen ist isomorph zu der Symmetriegruppe eines allgemeinen Rechtecks.
• Schließlich gibt es 2 Untergruppen der Ordnung 6 mit jeweils 3 Spiegelungen an den Diagonalen
bzw. an den Mittelsenkrechten, der Identität und den Drehungen um 1200 und 2400 , nämlich
T6 = {id, d2 , d4 , s1 , s3 , s5 } und T6′ = {id, d2 , d4 , s2 , s4 , s6 }.
Die letzten beiden Untergruppen sind isomorph zu der Symmetriegruppe des gleichseitigen Dreiecks.
34
3
Lösungen von algebraischen Gleichungen
Unter der Lösung einer algebraischen Gleichung versteht man das Auffinden aller Nullstellen eines
vorgegebenen Polynoms
p(x) =
n
X
ai xi = an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 ,
i=0
an 6= 0,
(mit rationalen, reellen oder komplexen Koeffizienten), d.h. das Auffinden aller Zahlen x, die der Gleichung
p(x) = 0
genügen. n heißt Grad der Gleichung.
Ist der Grad des Polynoms 1, dann heißt die Gleichung linear, ist n = 2, dann heißt sie quadratisch
und für n = 3 kubisch.
Besonders im linearen und auch im quadratischen Fall betrachtet man auch Polynome mehrerer Variabler, z.B. die lineare Gleichung
k
X
p(x1 , . . . , xk ) =
aj xj = 0
j=1
oder die quadratische Gleichung
p(x, y) = a20 x2 + a11 xy + a02 y 2 = 0.
3.1
Lineare Gleichungen
Eine lineare Gleichung mit einer Unbekannten
ax = b
kann man mit elementaren Operationen (Subtraktion, Division) lösen.
b
Es ergibt sich x = .
a
Es gibt also genau eine Lösung, und diese liegt in dem gleichen Körper wie die Koeffizienten.
Nach Definition einer linearen Gleichung (d.h. Grad des Polynoms = 1) ist a 6= 0. Betrachtet man auch
den Fall a = 0, dann ergibt sich
Satz 3.1.1 Die Gleichung ax = b mit a, b ∈ Q
I (bzw. IR oder C)
I hat
(a) im Fall a 6= 0 die eindeutige Lösung x =
b
,
a
(b) im Fall a = 0 und b 6= 0 keine Lösung und
(c) im Fall a = 0 und b = 0 unendlich viele Lösungen (nämlich jedes x aus dem entsprechenden
Körper).
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
35
Für die lineare Gleichung mit zwei Unbekannten
2x + 3y = 5
erhält man die unendlich vielen reellen Lösungen
5 − 2x
, x ∈ IR}.
3
Betrachtet man die Paare als Koordinaten in einem kartesischen Koordinatensystem der Ebene, dann
bilden die entsprechenden Punkte der Lösungsmenge eine Gerade.
{(x, y) | y =
Für die lineare Gleichung mit drei Unbekannten
2x + 3y + z = 5
erhält man die unendlich vielen reellen Lösungen
{(x, y, z) | z = 5 − 2x − 3y, x, y ∈ IR}.
Betrachtet man wieder die Tripel als Koordinaten in einem kartesischen Koordinatensystem des Raums,
dann bilden die entsprechenden Punkte der Lösungsmenge eine Ebene.
Allgemein gilt: Eine lineare Gleichung mit mehreren Unbekannten
a1 x1 + a2 x2 + . . . + ak xk = b
hat unendlich viele Lösungen in dem entsprechenden Koeffizientenkörper.
Die Lösungs-k-Tupel bilden eine (k − 1)-dimensionale Hyperebene in einem k-dimensionalen (rationalen
bzw. reellen bzw. komplexen) Vektorraum.
Ein wichtiger Spezialfall sind die sogenannten homogenen linearen Gleichungen (mit b = 0). (Die
Gleichungen mit b 6= 0 nennt man inhomogen.)
Ihre Lösungs-k-Tupel liegen in einer Hyperebene durch den Nullpunkt des Koordinatensystems, also in
einem (k − 1)-dimensionalen Untervektorraum.
Beispiele: Der linearen Gleichung
2x + 3y = 0
2
entspricht die Gerade durch den Ursprung mit Steigung − , der linearen Gleichung
3
2x + 3y + z = 0
eine Ebene durch den Ursprung. Die Gerade durch den Ursprung in Richtung des Punktes (2|3|1) steht
senkrecht auf dieser Ebene.
Betrachtet man verschiedene Gleichungen mit denselben Koeffizienten a1 , . . . , ak und unterschiedlichen
b’s, dann sind die zugehörigen Hyperebenen zu diesen Gleichungen zueinander parallel. Der Vektor
(a1 , a2 , . . . , ak ) steht senkrecht auf allen diesen Hyperebenen (Hesse’sche Normalform).
Die Lösungen eines linearen Gleichungssystems bilden entsprechend den Durchschnitt der zugehörigen
Hyperebenen. Dieser Durchschnitt kann leer sein, wie das Beispiel des Gleichungssystems
5x + 6y = 8
10x + 12y = −3
zeigt, denn die zugehörigen Geraden sind parallel, haben also keinen gemeinsamen Schnittpunkt.
Ein homogenes System hat auf jeden Fall die Null-Lösung, ist also immer lösbar.
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
36
Für allgemeine lineare Gleichungssysteme gilt
Satz 3.1.2 Gegeben sei das lineare Gleichungssystem
k
X
aij xj = bi ,
j=1
1 ≤ i ≤ n.
(a) Ist (x11 , x12 , . . . , x1k ) eine spezielle Lösung dieses Gleichungssystem und (x01 , x02 , . . . , x0k ) eine beliebige
Lösung des zugehörigen homogenen Systems, dann ist
(x11 , x12 , . . . , x1k ) + (x01 , x02 , . . . , x0k ) := (x11 + x01 , x12 + x02 , . . . , x1k + x0k )
eine weitere Lösung des Gleichungssystems. Umgekehrt ist die Differenz zweier Lösungen des
inhomogenen Gleichungssystems Lösung des zugehörigen homogenen Systems.
(b) Ist das Gleichungssystem lösbar, dann hat es genau dann eine eindeutige Lösung (x11 , x12 , . . . , x1k ),
wenn das zugehörige homogene System nur die Null-Lösung besitzt.
Zur genauen Untersuchung der Lösbarkeit eines allgemeinen linearen Gleichungssystems benötigt man
weitreichende Hilfsmittel aus der Linearen Algebra. Im folgenden wollen wir nur das Gauß’sche Eliminationsverfahren vorstellen, mit dessen Hilfe man feststellen kann, ob das vorgelegte Gleichungssystem
lösbar ist, und mit dem man alle Lösungen bestimmen kann.
Die wesentlichen Informationen des Gleichungssystems stecken in den Koeffizienten aij und den Konstanten bi . Wir fassen diese Zahlen in Schemata zusammen, der sogenannten Koeffizientenmatrix


a11 a12 . . . a1k
 a21 a22 . . . a2k 


A :=  .
..
.. 
.
 .
.
. 
an1 an2 . . . ank
und der erweiterten Koeffizientenmatrix

a11
 a21

(A, b) :=  .
 ..
a12
a22
..
.
. . . a1k
. . . a2k

b1
b2 

..  .
.
an1 an2 . . . ank bn
Das Verfahren läuft in folgenden Schritten ab:
1. Man schreibe die erweiterte Koeffizientenmatrix (A, b) auf.
2. Man bringe A auf Zeilenstufenform und forme dabei die Spalte b entsprechend mit um. Das
Ergebnis sei (A′ , b′ ).
3. Man lese an b′ ab, ob es Lösungen gibt, und berechne diese gegebenfalls.
Die Matrix A′ = (a′ij ) heißt in Zeilenstufenform, wenn A′ die Nullmatrix (mit a′ij = 0 für alle 1 ≤ j ≤
k, 1 ≤ i ≤ n) ist oder wenn es eine natürliche Zahl r ≤ n gibt und eine streng monoton wachsende Folge
natürlicher Zahlen 1 ≤ j1 < j2 < jr ≤ k mit
aiji 6= 0
für 1 ≤ i ≤ r
und
aij = 0
für 1 ≤ i ≤ r, 1 ≤ j < ji
oder r < i ≤ n, 1 ≤ j ≤ k.
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
37


1 2 3
Beispiel: A = 0 0 4 hat Zeilenstufenform mit r = 2, j1 = 1, j2 = 3.
0 0 0


2 0 −1 4
0 1 1 0

B=
0 0 0 2 hat Zeilenstufenform mit r = 3, j1 = 1, j2 = 2, j3 = 4.
0 0 0 0


1 0 0 0
0 1 0 0

C=
0 1 1 1 hat keine Zeilenstufenform.
0 0 0 1
Die Umformung der erweiterten Koeffizientenmatrix geschieht mittels elementarer Zeilenumformungen, d.h.
(a) Vertauschung zweier Zeilen,
(b) Multiplikation einer Zeile mit einer Zahl ungleich 0,
(c) Addition eine Zeile zu einer anderen Zeile.
Für das Verfahren faßt man die beiden letzten Schritte zusammen: Man addiert das Vielfache einer Zeile
zu einer andern. Es gilt
Satz 3.1.3 Ist (A, b) erweiterte Koeffizientenmatrix zu einem linearen Gleichungssystem und entsteht
(A′ , b′ ) aus (A, b) durch elementare Zeilenumformungen, dann hat das zu (A′ , b′ ) gehörende lineare Gleichungssystem dieselbe Lösungsmenge wie das Ausgangssystem.
Bevor die notwendigen Umformungen allgemein beschrieben werden, soll die folgende Matrix A durch
elementare Zeilenumformungen in Zeilenstufenform gebracht werden:

0
−1

2
−3

5 1
8 3

4 −1
9 5
Addition Vielfaches
−−−−−−−−−−−−→
der 2.Zeile
Vertauschung
−−−−−−−−→
1. und 2.Zeile

−1
0

0
0


8 3
5 1

4 −1
9 5
−1
0

2
−3

8 3
5 1

0 1
0 −1
Addition Vielfaches
−−−−−−−−−−−−→
Addition Vielfaches
−−−−−−−−−−−−→
Es ist r = 3 und j1 = 1, j2 = 2, j3 = 3.
der 3.Zeile
der 1.Zeile

−1
0

0
0
8
5
0
0


−1
8
3
0
5
1


0
20
5
0 −15 −4

3
1
.
1
0
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
38
Satz 3.1.4 Jede Matrix A kann durch elementare Zeilenumformungen in eine Matrix A′ in Zeilenstufenform überführt werden.
Sei nun (A′ , b′ ) erweiterte Koeffizientenmatrix und A′ in Zeilenstufenform. Die Bedingung a′ij = 0 für
i > r entspricht den Gleichungen
b′i
=
k
X
a′ij xj
j=1
=
k
X
j=1
0 · xj = 0,
r < i ≤ n.
Gibt es also ein b′i 6= 0 mit i > r, dann hat das Gleichungssystem keine Lösung.
Gilt aber b′i = 0 für i > r, dann kann man wegen der Bedingung aiji 6= 0 die anderen Gleichungen beginnend mit der r-ten Zeile - nach xjr , xjr−1 , . . . , xj1 auflösen.
Beispiele:
(1) Für die Matrix A aus dem vorigen Beispiel und b1 = 0, b2 = 2, b3 = 1, b4 = 2 ergibt sich die
erweiterte Koeffizientenmatrix (A′ , b′ ) mit b′1 = 2, b′2 = 0, b′3 = 5 und b′4 = 1 6= 0, das zugehörige
Gleichungssystem hat also keine Lösung.
(2) Für b1 = 0, b2 = 2, b3 = 1, b4 = 1 ergibt sich b′1 = 2, b′2 = 0, b′3 = 5 und b′4 = 0. Aus der
3. Gleichung ergibt sich
x3 = 5.
Aus der 2. Gleichung
5x2 + x3 = 0
ergibt sich mit Einsetzen von x3
x2 = −1, und aus der 1. Gleichung
−x1 + 8x2 + 3x3 = 2
ergibt sich mit Einsetzen von x3 und x2
x1 = 5.
(3) Das Gleichungssystem
cx + 3y + 5z = 10
y + 5z = 6
2x + cy
= 4
hat
• für c 6= 2, c 6= −2 die eindeutige Lösung x = y =
4
6c + 8
,z=
,
c+2
5(c + 2)
• für c = −2 keine Lösung und
• für c = 2 die unendlich vielen Lösungen x = −4 + 5z, y = 6 − 5z, z ∈ IR beliebig.
Bemerkung: Ein lineares Gleichungssystem mit weniger Gleichungen als Unbekannten hat entweder
keine oder viele Lösungen.
Ist die Anzahl der Gleichungen gleich der Anzahl der Unbekannten, dann ist das Gleichungssystem
genau dann eindeutig lösbar, wenn die Zeilenstufenform der Koeffizientenmatrix eine Dreiecksmatrix
mit Diagonalelementen ungleich Null ist.
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
3.2
Algebraische Gleichungen höherer Ordnung
3.2.1
Reelle Lösungen
39
Wie das Beispiel der Gleichung
x2 + 1 = 0
zeigt, hat nicht jede algebraische Gleichung eine reelle Lösung. Für Gleichungen mit ungeradem Grad
liefert aber der Nullstellensatz der Analysis:
Satz 3.2.1 Jedes Polynom mit reellen Koeffizienten und ungeradem Grad hat mindestens eine reelle
Nullstelle.
Kennt man nun schon eine Nullstelle des Polynoms, dann kann man das Ausgangsproblem mit Hilfe der
Polynom-Division vereinfachen:
Satz 3.2.2 Ist pn (x) eine Polynom n-ten Grades und x1 eine Nullstelle von p(x), dann gibt es ein
Polynom pn−1 (x) vom Grad n − 1 mit
pn (x) = (x − x1 ) · pn−1 (x).
Bemerkung: Insbesondere folgt aus dem Satz, daß ein Polynom vom Grad n höchstens n Nullstellen
haben kann.
Erfolgreiches Erraten einer Lösung vereinfacht also das Problem der Bestimmung aller Lösungen. Im
Fall von normierten Gleichungen (d.h. an = 1) mit ganzzahligen Koeffizienten kann man die Menge
der rationalen Zahlen, die als Lösungen in Frage kommen, einschränken:
Satz 3.2.3 Bei einer normierten Gleichung
xn + an−1 xn−1 + an−2 xn−2 + . . . + a1 x + a0 = 0
mit ganzzahligen Koeffizienten ak ∈ ZZ, 0 ≤ k ≤ n, ist jede rationale Lösung ganzzahlig und Teiler von
a0 .
Bemerkung: Der Satz behauptet nicht, daß jede normierte Gleichung mit ganzzahligen Koeffizienten
ganzzahlige Lösung besitzt, sondern nur, daß eine etwaige Lösung entweder ganzzahlig oder irrational
oder komplex ist.
Beispiel: Die Gleichung
x3 + 5x2 + 11x + 15 = 0
hat Grad 3, also mindestens eine reelle Lösung x1 . Wenn sie rational ist, dann ist sie auch ganzzahlig
und Teiler von a0 = 15, also x1 ∈ {±1, ±3, ±5, ±15}. Die Gleichung kann keine positive Lösung haben,
und durch Testen der negativen Zahlen erhält man in der Tat eine Lösung x1 = −3. Polynom-Division
ergibt
x3 + 5x2 + 11x + 15 = (x + 3)(x2 + 2x + 5).
Das verbleibende Polynom 2. Grades hat als Nullstellen x2,3 = −1 ± 2i.
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
3.2.2
40
Komplexe Lösungen
Wie im vorigen Abschnitt gezeigt, hat zwar jede algebraische Gleichung mit reellen Koeffizienten und
mit ungeradem Grad eine reelle Nullstelle, aber für geraden Grad muß das nicht gelten. Mit Hilfe des
Fundamentalsatzes der Algebra ergibt sich, daß sogar jedes Polynom mit komplexen Koeffizienten
vom Grad n genau n Nullstellen in CI besitzt:
Satz 3.2.4 Jede algebraische Gleichung n-ten Grades mit komplexen Koeffizienten hat mindestens eine
Lösung in C.
I
Satz 3.2.5 (Fundamentalsatz der Algebra) Sei p(x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0
beliebiges Polynom mit komplexen Koeffizienten und Grad n.
ein
(a) p(x) läßt sich in Linearfaktoren zerlegen, d.h. es gibt x1 , x2 , . . . , xn ∈ CI mit
p(x) = an (x − x1 )(x − x2 ) · . . . · (x − xn ).
(b) p(x) hat in CI genau die n (nicht notwendig verschiedenen) Nullstellen x1 , x2 , . . . , xn .
(c) Faßt man in der Linearfaktor-Zerlegung gleiche Faktoren zusammen, dann ergibt sich
p(x) = an (x − y1 )α1 (x − y2 )α2 · . . . · (x − yk )αk .
Die verschiedenen yj , 1 ≤ j ≤ k, heißen Nullstellen von p(x) der Ordnung αj .
Umgekehrt kann man sich n komplexe Zahlen x1 , x2 , . . . , xn vorgeben. Jedes Polynom p̃(x), das genau
diese Zahlen als Nullstellen hat, stimmt mit dem Polynom
p(x) = an (x − x1 )(x − x2 ) · . . . · (x − xn )
bis auf den Faktor an überein, ist also ein (skalares) Vielfaches von p(x).
Für ein Polynom mit reellen Koeffizienten und komplexen Nullstellen gilt
Satz 3.2.6 Ist p(x) ein Polynom mit reellen Koeffizienten vom Grad n und z1 = x1 + iy1 eine komplexe
Nullstelle von p(x), dann ist auch z = x1 − iy1 eine Nullstelle von p(x).
Bemerkung: Die letzten beiden Sätze bilden die Grundlage für das wichtige Verfahren zur Integration
p(x)
rationaler Funktionen
in IR, der Partialbruchzerlegung:
q(x)
Hat das Nennerpolynom Nullstellen in CI \ IR, dann kann man q(x) entweder in Linearfaktoren in CI oder
in ein Produkt von linearen und quadratischen Faktoren in IR zerlegen. Beim zweiten Verfahren werden
jeweils 2 Linearfaktoren x − z und x − z zu dem reellen quadratischen Polynom x2 − x(z + z) + z · z
zusammengefaßt.
Ist der Grad des Zählerpolynoms der rationalen Funktion nicht kleiner als der Grad des Nennerpolynoms, dann zerlegt man mit Hilfe der Polynomdivision die rationale Funktion in ein Polynom und eine
echt gebrochen rationale Funktion. Anschließend zerlegt man letztere in eine Summe von gebrochen rationalen Funktionen, deren Nenner nur aus jeweils einem der obigen linearen oder quadratischen Faktor
oder Potenzen davon besteht.
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
41
Der Vergleich der Darstellung eines normierten Polynoms durch seine Koeffizienten und durch die
Linearfaktor-Zerlegung zeigt, daß die Koeffizienten sich aus den Nullstellen berechnen lassen:
Satz 3.2.7 (Koeffizientensatz von Vieta) Sind x1 , x2 , . . . , xn die Lösungen einer normierten Gleichung n-ten Grades
xn + an−1 xn−1 + an−2 xn−2 + . . . + a1 x + a0 = 0,
dann gilt
an−1 =
an−2 =
an−3 =
..
.
a0 =
−(x1 + x2 + . . . + xn )
x1 · x2 + x1 · x3 + . . . + xn−1 · xn
−(x1 x2 x3 + x1 x2 x4 + . . . + xn−2 xn−1 xn )
(−1)n x1 x2 x3 · · · xn .
Beispiele:
(1) Bei quadratischen Gleichungen x2 + a1 x + a0 = 0 ist a0 das Produkt und a1 die negative
Summe der beiden Lösungen. Zum Beispiel gilt für die beiden Lösungen x1 , x2 von
x2 + 8x + 15 = 0
x1 · x2 = 15 und x1 + x2 = −8, und durch Probieren erhält man x1 = −3, x2 = −5.
(2) Man kann den Koeffizientensatz von Vieta auch zur Probe verwenden. Zum Beispiel hat die Gleichung x2 − 2x + 5 = 0 die Lösungen x1,2 = 1 ± 2i, und die Probe ergibt
x1 + x2 = 2 = −a1 ,
3.2.3
x1 · x2 = 5.
Auflösung von Gleichungen durch Radikale
Für lineare und quadratische Gleichungen kann man die Lösungen direkt berechnen. Es gilt
x+a=0
2
x + px + q = 0
⇐⇒
x = −a
⇐⇒
x1,2
p
=− ±
2
r
p2
− q.
4
Die Bestimmung der Lösungen einer beliebigen algebraischen Gleichung nur mit Hilfe der algebraischen
Operationen Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division sowie des Wurzelziehens nennt man
Auflösbarkeit der Gleichung durch Radikale.
Eine Gleichung 3. Grades
x3 + ax2 + bx + c = 0
1
läßt sich durch kubische Ergänzung (bzw. durch die Substitution z := x + a) auf die etwas einfachere
3
Form
z 3 + 3p z + 2q = 0
3. Lösungen von algebraischen Gleichungen
42
(ohne quadratisches Glied) bringen. Die Nullstellen des neuen Polynoms werden durch die Cardanoschen Formeln (1545) beschrieben:
Ist ω eine 3. Einheitswurzel, die verschieden von 1 ist, und
q
q
p
p
3
3
2
3
u := −q + q + p ,
v := −q − q 2 + p3 ,
dann gilt
uv = −p
und die Lösungen der Gleichung sind gegeben durch
z1 = u + v,
z2 = ω u + ω 2 v,
z3 = ω 2 u + ω v.
Auch für eine Gleichung 4. Grades lassen sich Formeln für die Lösungen aufstellen, allerdings sind sie
noch komplizierter und damit ohne praktische Bedeutung.
Gleichungen vom Grad 5 oder höher lassen sich, wie Abel 1820 zeigte, nicht mehr allgemein durch
Radikale auflösen.
Auf Galois (1811-1832) geht die Charakterisierung der algebraischen Gleichungen zurück, die durch
Radikale auflösbar sind. Dabei werden Körpererweiterungen und spezielle Gruppen betrachtet.
Übliche Methoden zur Lösung algebraischer Gleichung vom Grad größer als 2 sind - neben dem Erraten
spezieller Lösungen und Reduktion der Gleichung - Näherungsverfahren.
Grundlage für das Aufsuchen der Nullstellen des zugehörigen Polynoms ist der Nullstellensatz für
stetige Funktionen aus der Analysis:
Ist für x1 < x2 das Produkt der Funktionswerte f (x1 ) · f (x2 ) kleiner Null, dann muß zwischen x1 und
x2 eine Nullstelle liegen.
Man erhält sie näherungsweise, indem man statt des Polynoms die Sehne (d.h. die Gerade durch
(x1 , f (x1 )) und (x2 , f (x2 )) ) oder die Tangente von f (x) durch (x1 , f (x1 )) betrachtet und die Nullstelle der zugehörigen linearen Funktion
y=
f (x2 ) − f (x1 )
(x − x1 ) + f (x1 )
x2 − x1
(Regula falsi)
bzw.
y = f ′ (x1 ) (x − x1 ) + f (x1 )
berechnet.
(Newton-Verfahren)
Index
Gauß’sches Eliminationsverfahren, 36
Gleichung
algebraische, 34
inhomogene lineare, 35
kubische, 34
lineare, 34
lineare homogene, 35
normierte, 39
quadratische, 34
Gleichungssystem
lineares, 35
Grad, 19, 34
Gruppe, 27
abelsche, 27
kommutative, 27
Ordnung, 29
zyklische, 30
Gruppenisomorphismus, 28
Äquivalenzrelation, 18
Abel, 42
Addition, 15–18, 21, 22
Allaussage, 4
Allquantor, 3
Argument, 24
assoziativ, 7, 15, 27
Aussage, 1
Oder-, 5
Und-, 5
verneinte, 5
Aussageform, 2
äquivalente, 3
allgemeingültige, 3
unerfüllbare, 4
Betrag, 24
Cantor, 1
Cardanosche Formeln, 42
Hilbert, 12
imaginäre Achse, 24
imaginäre Einheit, 22
Imaginärteil, 22
Imaginärzahl, 22
Implikation, 8
Induktion
vollständige, 11
Induktionsanfang, 11
Induktionsaxiom, 11
Induktionsschluß, 11
Inklusion, 10
invers, 28
inverses Element, 21
isomorph, 28
Deckbewegung, 27
deMorgan, 7
Disjunktion, 5
distributiv, 7, 15, 16
Division mit Rest, 20
Durchschnitt, 6
Einheitswurzel, 26
Einselement, 15, 16, 21
Element, 1
inverses, 28
linksinverses, 28
linksneutrales, 28
neutrales, 7, 28
Ordnung, 30
rechtsinverses, 28
rechtsneutrales, 28
Erfüllungsmenge, 2
Euklid, 12
Euler-Formel, 26
Existenzquantor, 4
Junktor, 5
Körper, 21
Körperisomorphismus, 29
Koeffizient, 19
Koeffizientenmatrix, 36
kommutativ, 7, 15, 27
Komplement, 6
kongruent, 19
konjugiert komplex, 23
Konjunktion, 5
Fermat, 12
Fundamentalsatz der Algebra, 40
Galois, 42
43
INDEX
lineare Abbildung, 29
Linearfaktor, 40
linksinvers, 28
linksneutral, 28
Menge, 1
leere, 7
Mengenlehre
axiomatische, 1
naive, 1
Modul, 18
Moivre-Formel, 25
Multiplikation, 15–18, 21, 22
Nebenklasse, 30
Negation, 4, 5
neutral, 28
Newton-Verfahren, 42
Nullelement, 15, 21
Nullpolynom, 19
Nullstelle
Ordnung einer, 40
Nullstellensatz, 42
nullteilerfrei, 19
Oder-Aussage, 5
Ordnung, 29, 30, 40
Partialbruchzerlegung, 40
Peano-Axiome, 11, 12
Permanenzprinzip, 15
Polarkoordinaten, 24
Polynom, 19
Polynomring, 20
Potenzmenge, 17
Produkt, 15–18, 20, 22
Quantor, 3, 4
Radikale, 41
Realteil, 22
rechtsinvers, 28
rechtsneutral, 28
reelle Achse, 24
reflexiv, 10
Regula falsi, 42
Restklasse, 18
prim, 27
Restklassenring, 18
Ring, 16
kommutativer, 16
mit Einselement, 16
Russellsche Antinomie, 1
Subtraktion, 15
Summe, 15–18, 20, 22
Symmetriegruppe, 31
transitiv, 10
Unbestimmte, 19
Und-Aussage, 5
Untergruppe, 29
Vektorraumisomorphismus, 29
Vereinigung, 6
Verknüpfungstafel, 18
Vietascher Koeffizientensatz, 41
vollständige Induktion, 11
Wahrheitstafel, 5
Widerspruchsbeweis, 11
Zahl
komplex, 22
Zeilenstufenform, 36
Zeilenumformungen
elementare, 37
Zerlegung in Linearfaktoren, 40
zyklisch, 30
44
Herunterladen