Meinungsmache aus der Zentrale

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Informationsgehaltes auf einer
Skala von 1-10:
Schriftliche
Kurzbewertung:
Christoph Schult; Christoph Seidler
Meinungsmache aus der Zentrale
http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,138662,00.html
Der Text „Meinungsmache aus der Zentrale“ von Schult und Seidler handelt von
innerparteilichen Möglichkeiten zum Informations- und Datenaustausch. Unter
den Augen der Parteiführung können Mitglieder frei und mit weniger Hemmung
mit anderen Parteimitgliedern über verschiedene und zum Teil auch brisante
Themen diskutieren.
Vom Kreisvorsitzenden bis zum Parteigänger kann jeder in den Mitgliedernetzen
debattieren. Die Parteien, insbesondere die größeren, sind stark daran
interessiert ihre Netze weiter auszubauen, da die Informationen (Themen) ohne
Verzögerung und ohne Druck- und Versandkosten an die Basis der Parteien
gelangen. Daraus folgt, dass selbst unbedeutende Funktionäre täglich neu auf
die Führungspolitik eingeschworen werden und die Parteien geschlossener sind.
Das Problem allerdings ist, dass die Parteimitglieder und -funktionäre vom
Angebot zunächst überzeugt werden müssen.
Die SPD zum Beispiel versucht dies mit Informationsveranstaltungen zu
erreichen. Darüber hinaus ist die Frage bedeutsam, wie viele Informationen die
Führung preisgeben will, weil das Risiko besteht, dass wichtige und geheime
Daten an die Öffentlichkeit gelangen. Ein weiteres Problem ist, dass nicht alle
Parteigänger die Möglichkeit besitzen, über das Internet die oben genannten
Dienste zu nutzen, da der Anschluss fehlt.
Ferner sind die Parteioberen kaum in den Foren anwesend, wodurch sich das
Mitgliedernetz zu einer Einbahnstraße und Klagemauer entwickelt. Das
wahrscheinlich gewichtigste Problem besteht darin, dass ca. 28 Millionen
Deutsche (mehr als ¼ der Bevölkerung) das Internet auf keinen Fall nutzen
wollen.
CDU, Mitgliedernetz, Intranet, parteiinterne Diskussionsforen, exklusive
Informationen, Desinteresse, Klagemauer
8
Der Text stellt deutlich die Vor- und Nachteile des Mitgliedernetzes dar. Er ist
informativ, in sich schlüssig, vergleicht aber vorwiegend die Parteien
untereinander.
Aufgaben:
1. Nenne die Möglichkeiten eines Mitgliedernetzes.
2. Welche Probleme und Risiken bestehen bei Mitgliedernetzen?
3. Fördert das parteiinterne Intranet die politischen Einflussmöglichkeiten der Mitglieder oder dient es
mehr oder minder nur als „Meinungsmache“ der Zentrale?
Meinungsmache aus der Zentrale
Von Christoph Schult und Christoph Seidler
Mittels elektronischer Vernetzung können die Parteien erheblich schneller und flexibler
werden. Über ein Intranet für Mitglieder und Funktionäre erreichen die Parolen aus den
Zentralen im Sekundentempo auch die entlegensten Winkel der Republik - und das Echo
kommt prompt.
Ganz offen diskutierten die CDU-Mitglieder über den Rücktritt der Parteivorsitzenden. "Angela Merkel
ist in ihrer X-Beliebigkeit nicht zu überbieten", beschwerte sich einer. "Kann diese Frau die CDU noch
glaubhaft vertreten?", fragte ein anderer. "Es wird höchste Zeit, dass die CSU bundesweit tätig wird",
forderte ein Dritter.
Und das alles unter den Augen der Parteiführung. Doch die Rücktrittsforderungen blieben ohne
Wirkung. Denn sie kamen auf keinem Parteitag und keiner CDU-Fraktionssitzung zur Sprache,
sondern im Internet. Dort betreibt die Partei ein virtuelles Diskussionsforum für ihre Mitglieder.
Wer herein will, muss sich mit Namen und Parteibuch-Nummer anmelden. Ob Kreisvorsitzender oder
einfacher Parteigänger, jeder kann auf CDUNet mit jedem debattieren. Darüber hinaus erhalten die
Mitglieder dort Zugang zu Handbüchern und Argumentationshilfen. Sie sollen dem Parteivolk den
Wahlkampf vor Ort erleichtern.
Durch das Mitgliedernetz spart die Parteiführung nicht nur Druck- und Versandkosten, sie erfährt auch
ohne Umschweife, wie die Basis auf Themen wie Gentechnik oder Einwanderung reagiert. "Das
Authentische ist für die Meinungsbildung extrem wichtig", weiß Thomas Heilmann, Chef der
Werbeagentur Scholz & Friends und Leiter der Internetkommission der CDU.
Mindestens ebenso dient das Intranet den Parteioberen zur Vermittlung ihrer Strategien. Wie man
Parteifunktionäre elektronisch auf Linie bringt, das weiß man auch im Berliner Willy-Brandt-Haus
mittlerweile ganz gut. Jeden Morgen bekommen die tausend ans Intranet der SPD angeschlossenen
Rechner in Bundes- und Landesgeschäftsstellen direkt von "General" Franz Müntefering eine Art
Tageslosung mit auf den Weg. [...]
Ich habe gesprochen!
Die tägliche Meinungsmache aus der Zentrale zeigt den Vorteil innerparteilicher Vernetzung: Auch
vergleichsweise unbedeutende Funktionäre an der Basis werden täglich neu eingeschworen auf die
Politik der Führungsspitze. Geht alles gut, wird die Partei so schlagkräftiger und geschlossener.
In den Ohren der Berliner Spitzenfunktionäre klingt das großartig. Daher feilen die große Parteien an
ihrer internen Vernetzung. Die Ersten waren die Liberalen, die bereits 1996 ein Intranet einführten.
Dann zogen CDU und ihre Schwester CSU mit Mitgliedernetzen nach. Die SPD versorgt bislang nur
einen ausgewählten Kreis von Funktionären mit mehr oder weniger exklusiven Informationen. In
Zukunft soll das Intranet für alle eingetragenen Sozialdemokraten betriebsbereit sein.
Die Grünen, einst an der Front des basisdemokratischen Fortschritts, hinken dagegen der Entwicklung
hinterher. Weil die Parteimitglieder nur dezentral in den Landesverbänden betreut werden, könnte bei
einem internen Netzwerk nicht einmal überprüft werden, wer rein darf und wer nicht. Daran wird sich
mindestens bis Ende 2001 nichts ändern. Und auch die PDS steckt noch in den digitalen
Kinderschuhen; was hier fehlt, ist das Geld.
Die innerparteiliche Vernetzung birgt aber auch Risiken. "Konfliktpotenziale gibt es," sagt der
Gießener Politikwissenschaftler Christoph Bieber, "weil sich die internen Kommunikationswege
verändern." Das heißt, die Parteimitglieder und -funktionäre müssen zunächst einmal vom Nutzen des
neuen Angebotes überzeugt werden.
So trommelte die SPD mit Informationsveranstaltungen in allen Bezirken für ihr Online-Projekt. Wie
erfolgreich das Werben war, wird sich nach dem offiziellen Start am 1. Juli zeigen. "Die Akzeptanz ist
hoch," ist sich SPD-Sprecher Michael Donnermeyer sicher. Die Genossen haben sich mit dem für
Hunderttausende Nutzer ausgelegten SPD.online ein wahres Großprojekt aufgehalst, an dem sie sich
leicht verheben könnten, meinen Kritiker. [...]
Das blau-gelbe Angebot der FDP, Internet Intern, kommt da deutlich magerer daher. Interne
Diskussionsforen, Feedbackmöglichkeiten, Chat mit Entscheidungsträgern? Fehlanzeige. Durchaus
nützlich hingegen ist ein Expertenmakler für Partei-veranstaltungen und eine Durchwahlliste der
Berliner Bundesgeschäftsstelle.
Informationen freigeben - Aber wie viel?
Doch gleich wie reichhaltig bestückt sie sind, die Mitgliedernetze der Parteien haben stets mit einem
Problem zu kämpfen: Wie viele exklusive Informationen kann und will die Führung preisgeben? Wenn
eine Partei wie die SPD für rund 800.000 Mitglieder politisch brisante Daten ins Netz stellt, ist es nur
eine Frage der Zeit, bis sie an die Öffentlichkeit gelangen.[...]
Gegen zu viel Inhalt spricht aber auch, dass viele Parteigänger noch gar keinen Netzzugang haben.
Sie würden vermutlich meutern, wenn es bestimmte Inhalte ausschließlich für Parteimitglieder gäbe,
die online sind. Das bedeutet wiederum, dass wenig besondere Inhalte in den internen Netzen zu
finden sind, wodurch diese wiederum für neue Nutzer uninteressant bleiben.
Auch bei den Christdemokraten nutzen gerade einmal zwei Prozent der Parteibuchträger das
CDUNet. "Wenn wir 700.000 Leute darauf schulen wollen, wie sie das Internet intelligent nutzen,
braucht das einige Zeit", rechtfertigt sich Internetsprecher Heilmann. Doch ob vor allem die
altgedienten CDU-Recken den Kneipenstammtisch gegen den Computer eintauschen wollen, bleibt
fraglich. Rund 28 Millionen Deutsche wollen das Internet sogar "auf keinen Fall nutzen", ergab kürzlich
eine Forsa-Umfrage.
Und selbst diejenigen, die die Mitgliedernetze täglich nutzen, sind nicht begeistert. Denn nur selten bis
gar nicht beteiligen sich die Parteioberen an den Netzdiskussionen. Im Forum der CDU beklagte dies
einer als kommunikative Einbahnstraße. "Leider ist das nur noch eine virtuelle Klagemauer", schrieb
er im Januar. Angela Merkel hat sich bis heute nicht gemeldet.
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