3. Die grüne Wirtschaft

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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
NAT/590
Grüne Wirtschaft – Förderung
einer nachhaltigen Entwicklung
in Europa
Brüssel, den 23. Mai 2013
STELLUNGNAHME
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
zum Thema
Grüne Wirtschaft – Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in Europa
Initiativstellungnahme
_____________
Berichterstatterin: Joana AGUDO I BATALLER
Mitberichterstatter: Pedro NARRO
_____________
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Rue Belliard/Belliardstraat 99 — 1040 Bruxelles/Brussel — BELGIQUE/BELGIË
Tel. +32 25469011 — Fax +32 25134893 — Internet: http://www.eesc.europa.eu
DE
-1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 15. November 2012, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Grüne Wirtschaft – Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in Europa.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 26. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom
23. Mai) mit 108 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
*
*
*
1.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sieht in der Entwicklung der inklusiven
grünen Wirtschaft die größte Herausforderung, der sich Europa in den kommenden Jahren
stellen muss, um seine Stellung als globale Wirtschaftsmacht aufrechtzuerhalten. Auf der
Rio+20-Konferenz plädierte die EU für eine grüne Wirtschaft als eine Form der nachhaltigen
Entwicklung. Sie muss nun dementsprechend handeln. Hierfür ist ein Wirtschaftsmodell vonnöten, in dem öffentliche Investitionen vorrangig in grüne Forschung, Entwicklung und Innovation fließen und angemessene Anreize für diesbezügliche Privatinvestitionen definiert werden, um zum einen die Produktionstätigkeit anzukurbeln, um schneller aus der aktuellen Krise
zu kommen, und zum anderen bei der Inangriffnahme dieser dritten industriellen Revolution
eine führende Rolle im wirtschaftlichen und sozialen Bereich zu spielen.
1.2
Angesichts der grundlegenden und notwendigen Änderungen der Produktions- und Verbrauchsmuster ist die Einbindung der Zivilgesellschaft in die Umstellung auf eine inklusive grüne
Wirtschaft auf allen Ebenen, insbesondere auf sektorieller und territorialer (europäischer,
nationaler und regionaler) Ebene nach Meinung des Ausschusses eine Grundvoraussetzung.
Um Widerstände gegen diese Umstellung und ihre negativen Auswirkungen so weit wie möglich abzufedern, muss sie partizipativ gehandhabt werden. Durch Partizipation können wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte nachhaltig bewältigt werden.
1.3
Der Ausschuss nimmt mit Sorge zur Kenntnis, dass die ökologischen steuerlichen Anreize in
den letzten Jahren aufgrund der Sparpolitik mit ihren dramatischen Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung erheblich gekürzt wurden. Der Internationale Währungsfonds (IWF)
hat eingeräumt, dass die negativen realen Auswirkungen dieser Sparmaßnahmen auf die Produktionstätigkeit weitaus größer sind als bislang angenommen.
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-21.4
Der Ausschuss betont, dass mit der Entwicklung der inklusiven grünen Wirtschaft die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa steigen. Grüne Arbeitsplätze entstehen
nicht nur in einigen neuen Sektoren, sondern auch durch die Ökologisierung der Produktionsverfahren und der Produkte in allen Sektoren. Für eine gerechte Umstellung auf eine grüne
Wirtschaft sind aktive Beschäftigungsmaßnahmen zur Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze ebenso erforderlich wie Berufsbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer. Der Beschäftigung von Frauen und jungen Menschen in diesen Sektoren kommt eine
Schlüsselfunktion für grünes Wachstum zu.
1.5
Der Ausschuss weist darauf hin, dass es einer zwischen den Sozialpartnern abgestimmten
Industriepolitik bedarf, um die Anstrengungen im Bereich technologische Innovation zu koordinieren und den Umbau der Produktionsinfrastruktur in vielen europäischen Sektoren anzustoßen, die von dem Aufbau einer CO2-armen und ressourcenschonenden Wirtschaft betroffen
sind. Hierfür sind auch erhebliche Investitionen seitens der Unternehmen erforderlich.
1.6
Nach Meinung des Ausschusses muss die EU die Ziele der Strategie für nachhaltige Entwicklung in all ihre Politiken integrieren, insbesondere in die Europa-2020-Strategie und ihre
sieben Leitinitiativen. Die verschiedenen EU-Strategien müssen kohärent sein und die jeweils
zuständigen Kommissionsmitglieder mit einer Stimme zu diesem Thema sprechen. So sollte
die Europäische Kommission insbesondere die Halbzeitüberprüfung der Europa-2020-Strategie nutzen, um ihre Nachhaltigkeitsaspekte zu konsolidieren und sie mit der europäischen
Strategie für nachhaltige Entwicklung zu verschmelzen. Es müssen Indikatoren zur Messung
der Qualität des Wachstums festgelegt und angewendet werden, die seine Überwachung und
Bewertung ermöglichen.
1.7
Der Ausschuss unterstreicht die Rolle, die das Europäische Semester und der Jahreswachstumsbericht beim Monitoring der Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung spielen können und sollten. Er erachtet die Abschaffung umweltschädlicher Beihilfen und die länderspezifischen Empfehlungen für die Einführung von Umweltsteuern sowie die Empfehlungen zu
Abfall- und Wasserbewirtschaftung und verbessertes Recycling als notwendig. In diesen
Bereichen müssen die Mitgliedstaaten mehr Ehrgeiz an den Tag legen und weitreichendere
Ziele verfolgen.
1.8
Der Ausschuss bringt dahingehende Bedenken zum Ausdruck, dass der mehrjährige Finanzrahmen der EU für 2014-2020 einen grundlegenden Widerspruch enthält: der Löwenanteil der
EU-Mittel wird nicht in diejenigen Wirtschaftssektoren investiert, die den höchsten CO2-Ausstoß (Wohnungsbau, Energie, Industrie und Verkehr) aufweisen, um ihre Umstellung auf eine
grüne Wirtschaft zu erleichtern. Daher sind eine erhebliche Aufstockung der Mittel sowie ihre
effiziente und wirksame Verwendung unerlässlich.
1.9
Nach Ansicht des Ausschusses müssen insbesondere Fortschritte im Bereich Umweltsteuern
erzielt werden, auch in Bezug auf steuerliche Anreize für Unternehmen, die Reinvestitions-
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-3fonds für Klimaschutzmaßnahmen einrichten, wobei die Verwaltung dieser Fonds in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern erfolgen muss.
1.10
Betreffend die Handelspolitik der EU merkt der Ausschuss an, dass die Einführung von mit
der CO2-Steuer vergleichbaren Abgaben für diejenigen Länder in Betracht gezogen werden
sollte, die internationale Emissionsreduktionsverpflichtungen nicht akzeptieren, um die Gefahr
von Verlagerungen zu bannen.
2.
Einleitung
2.1
Die OECD und das UNEP legten 2011 umfassende Berichte über die grüne Wirtschaft vor.
Die ILO legte ein "Green Jobs"-Programm auf. Die grüne Wirtschaft im Rahmen von nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung war auch ein Hauptthema der Rio+20-Konferenz im Juni 2012.
2.2
Auf EU-Ebene wurde 2006 die Europäische Strategie für nachhaltige Entwicklung überarbeitet. 2009 wurde das Energie- und Klimaschutzpaket geschnürt mit dem Ziel der Verringerung
der Treibhausgasemissionen um 20%, der Verbesserung der Energieeffizienz um 20% und
der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch um 20% bis 20201.
Für 2025 und 2030 muss die EU eine umfassendere THG-Reduktion erreichen. 2011 nahm
die Europäische Kommission die Leitinitiative "Ressourcenschonendes Europa"2, den "Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050"3, die
"Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020" und den "Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa"4 an.
2.3
Der Ausschuss hat stets das Konzept der Ökologisierung der Wirtschaft als Beitrag für eine
nachhaltige Entwicklung unterstützt und dabei betont, dass den Vorschlägen der Zivilgesellschaft für den Wandel hin zu einer inklusiven grünen Wirtschaft in der europäischen und
nationalen Politik ein vorrangiger Stellenwert eingeräumt werden muss, wobei insbesondere
eine enge Zusammenarbeit zwischen allen gesellschaftlichen Interessenträgern vonnöten ist.
Daher hat er sich in mehreren Stellungnahmen mit diesen Aspekten und den aufeinanderfolgenden Vorschlägen der Europäischen Kommission befasst und darauf hingewiesen, dass die
Ökologisierung der Wirtschaft und die Verbesserung der Governance an die Förderung von
Nachhaltigkeit in Produktion, Beschäftigung und Verbrauch, eine Strategie für die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie das EU-Maßnahmenpaket für den Klimawandel gekoppelt sein müssen.
1
2
3
4
Für einen Überblick siehe COM(2011) 21 final, Anhang 1 und http://ec.europa.eu/clima/policies/package/index_en.htm.
COM(2011)21 final.
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0112:FIN:DE:PDF.
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0571:FIN:DE:PDF.
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-43.
Die grüne Wirtschaft
3.1
Die inklusive grüne Wirtschaft muss auf die Schaffung eines Gleichgewichts zwischen wirtschaftlichem Wohlstand, stärkerem sozialem Zusammenhalt und besserem Schutz und rationaler Nutzung der natürlichen Ressourcen abheben, die unser Wohlergehen und das künftiger
Generationen sicherstellen. Ziel ist die Entmaterialisierung der Produktion, d.h. die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Verbrauch natürlicher Ressourcen sowie von Umweltverschmutzung und Abfallerzeugung.
3.2
Laut ILO tragen grüne Arbeitsplätze zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Unternehmen und Wirtschaftssektoren auf ein nachhaltiges Niveau, zur Senkung des Verbrauchs an
Energie, Rohstoffen und Wasser, zur Ökologisierung der Wirtschaft und zum Abbau der
Treibhausgasemissionen bei. Das Konzept der grünen Arbeitsplätze ist relativ dynamisch, da
der Verlauf der Trennlinie zwischen grünen und nicht grünen Arbeitsplätzen von der technologischen Innovation abhängt. Daher entstehen grüne Arbeitsplätze nicht nur in einigen neuen
Sektoren, sondern auch durch die Ökologisierung der Produktionsverfahren und der Produkte
in allen Sektoren.
3.3
Die Entwicklung der grünen Wirtschaft wird von zwei grundlegenden Vektoren bestimmt,
einem von den Klimaschutzmaßnahmen geleiteten Vektor und einem sich aus dem zunehmenden Wettbewerb der Schwellenländer um die immer geringeren und teureren Rohstoffe
ergebenden Vektor.
3.4
Die grüne Wirtschaft steht nicht nur für eine Austarierung zwischen neuen und traditionelleren Sektoren (die am technologischen Vektor hin zu einer CO2-armen Wirtschaft ansetzt),
sondern auch für eine ökologische Modernisierung der Produktions- und Verbrauchsmuster,
bei der die Ziele der Erhöhung des Mehrwerts der Unternehmen und der Verbesserung ihrer
ökologischen Nachhaltigkeit – im Sinne von Materialersparnis, Energieeffizienz, Arbeitsorganisation sowie der Beziehung zwischen den Arbeitnehmern und ihrem Unternehmen – im
Hinblick auf die Steigerung der Produktivität sämtlicher Faktoren integriert werden.
3.5
In den letzten Jahren sind die Belastbarkeitsgrenzen der Erde klar zu Tage getreten, sowohl in
Bezug auf das Volumen der für einen steigenden Bedarf verfügbaren natürlichen Ressourcen
als auch die Absorptionskapazität unseres Planeten für Abfall und Umweltverschmutzung.
3.6
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit müssen ebenfalls berücksichtigt
werden: das vermehrte Auftreten von extremen Wetterbedingungen, die Zunahme der Ozonund Partikelkonzentration in der Atmosphäre und ihrer Toxizität angesichts höherer Temperaturen sowie die Wiederausbreitung bereits ausgerotteter Infektionskrankheiten auf dem europäischen Kontinent.
3.7
Der Umbau der Energieerzeugungs- und -transportinfrastruktur in den wichtigsten Industrieund den meisten Schwellenländern in den kommenden Jahren muss auf die Umstellung einer
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-5kohlenstoffintensiven Wirtschaft auf eine neue, CO2-arme Wirtschaft ausgerichtet sein, in der
Energie überwiegend aus erneuerbaren und sauberen Energieträgern ohne Klimagas– oder
Schadstoffausstoß erzeugt wird.
3.8
Diese Umwälzung der Produktion, von einigen als dritte industrielle Revolution bezeichnet,
wird nicht ohne Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit insbesondere derjenigen
Länder (wie die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten) mit einer Nettoimportabhängigkeit bei
Energie und Rohstoffen sein. Daher haben viele OECD-Länder bereits seit 2009 ehrgeizige
Konjunkturprogramme aufgelegt, in denen Investitionen in grüne Infrastruktur sowie grüne
Forschung, Entwicklung und Innovation im Mittelpunkt stehen, um zum einen die Produktionstätigkeit anzukurbeln, um schneller aus der aktuellen Krise zu kommen, und zum anderen bei der Inangriffnahme der aktuellen Umstrukturierung der Industrieproduktion eine führende Rolle zu spielen.
3.9
Die Mittel für diese Programme wurden jedoch in vielen EU-Mitgliedstaaten u.a. aufgrund
der Sparmaßnahmen erheblich gekürzt – wie auch der EU-Haushalt. Der Chefökonom des
Internationalen Währungsfonds (IWF) hat eingeräumt, dass die widersprüchlichen Auswirkungen dieser Sparpolitik auf die Produktionstätigkeit weitaus umfangreicher sind als bislang
angenommen; laut einer in 28 Ländern durchgeführten Studie beträgt der Fiskalmultiplikator
der seit 2008 andauernden Krise zwischen 0,8 und 1,75.
3.10
Diese Verlangsamung der Entwicklung der grünen Wirtschaft kann erhebliche Probleme für
viele EU-Länder zeitigen, zumal das Technologiegefälle zwischen Industrie- und Schwellenländern gegenwärtig weitaus geringer und dynamischer ist. Es ist nicht gesichert, dass die EU
insgesamt die Speerspitze der CO2-armen Industrieländer sein wird. Dies könnte langfristig
starke Spannungen innerhalb der EU verursachen, da ihre Fähigkeit in Frage gestellt werden
könnte, eine wirtschaftlich fortgeschrittenere und ökologisch nachhaltigere Gesellschaft mit
stärkerem sozialem Zusammenhalt zu schaffen. Die EU ist derzeit allerdings in verschiedenen, eindeutig zukunftsfähigen Industriebranchen in Bezug auf Technologie und Produktion
marktführend.
3.11
Durch die Umstellung auf eine grüne Wirtschaft mit den notwendigen Investitionen und
Anreizen steigen die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa. Dabei dürfen jedoch keinesfalls die derzeitigen Produktionstätigkeiten, die die wirtschaftliche Grundlage der EU-Mitgliedstaaten bilden, vergessen werden. Auch zahlreiche der derzeit in äußerst
umweltschädlichen Industriesektoren angesiedelten Arbeitsplätze werden zu grünen Arbeitsplätzen, sofern Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, zur Senkung des Rohstoffverbrauchs und zur Verringerung der Umweltverschmutzung ergriffen werden. Einige
Beispiele: der Straßenverkehr mit den Unternehmen, die Elektro- und Hybridfahrzeuge entwickeln und bauen, sowie Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr; der öffentliche Hoch- und
5
IMF Working Paper WP/13/1: "Growth Forecast Errors and Fiscal Multipliers", Olivier Blanchard und Daniel Leigh, Januar 2013.
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-6Tiefbau mit dem Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken, die erhebliche Energieeinsparungen im Vergleich zum Flug- und herkömmlichen Schienenverkehr für die Fahrgäste bieten;
der Bausektor mit der energetischen Sanierung von Wohnbauten, die einen hohen Energieverbrauch aufweisen. Diese Umstellung muss im Rahmen des Auf- und Ausbaus des sozialen
Dialogs und der sozialen Konzertierung sowie der Kollektivverhandlungen derart erfolgen,
dass das Ergebnis im Sinne von Beschäftigung (qualitativ und quantitativ) und Gleichstellung
(in Bezug auf Arbeitsbedingungen sowie Löhne und Gehälter) positiv ausfällt. Allerdings gibt
es nur in acht EU-Mitgliedstaaten eine offizielle Definition für grüne Arbeitsplätze. Die Folge
sind unterschiedliche Prognosen aufgrund vielfältiger Definitionen und Methodologien.
4.
Der Beitrag der Zivilgesellschaft zu einem gerechten Übergang zu einer grünen Wirtschaft, in der technologische Innovation der bestimmende Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist
4.1
Der Entwicklungsgrad der Produktionskräfte sowie die außerordentliche Sensibilisierung und
der enorme Druck der Zivilgesellschaft in Sachen Nachhaltigkeit und Umwelt sind die völlig
neuartigen Wesensmerkmale dieser dritten industriellen Revolution. In Europa ist der hohe
Stellenwert von Umweltorganisationen, Verbraucherverbänden, Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und weiteren Akteuren der Zivilgesellschaft Garant dafür, dass mit den bevorstehenden Änderungen eine Wirtschaft geschaffen wird, die im Dienste einer besser steuerbaren, nachhaltigeren, sozialeren und umweltbewussteren Entwicklung steht. Dies war in den
früheren industriellen Revolutionen undenkbar, in denen nur die Entscheidungen der einzelnen Unternehmen den Technologie- und Produktionswandel bestimmten.
4.2
Die ILO hat in ihrem im Juni 2009 angenommenen Globalen Beschäftigungspakt (Global
Jobs Pact) ausdrücklich festgehalten, dass "der soziale Dialog ein unverzichtbarer Mechanismus zur Konzeption von Politiken [ist], die den innerstaatlichen Prioritäten angepasst sind.
Außerdem bietet er eine starke Grundlage, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer für ein Engagement für das gemeinsame Handeln mit Regierungen zu gewinnen, das zur Überwindung der
Krise und für eine nachhaltige Erholung notwendig ist." Es bedarf einer zwischen den Sozialpartnern abgestimmten Industriepolitik, um die Anstrengungen im Bereich technologische
Innovation zu koordinieren und den Umbau der Produktionsinfrastruktur in vielen europäischen Sektoren anzustoßen, die von der Umstellung auf eine CO2-arme und ressourcenschonendere Wirtschaft betroffen sind.
4.3
Die technologische Innovation ist integraler Bestandteil der grünen Wirtschaft. Daher sollten
die Sektoren, Unternehmen und Technologien, die die Ökologisierung der Wirtschaft vorantreiben, eine höhere öffentliche und private finanzielle Unterstützung erhalten, da sie die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken. Diesbezüglich hat die Deutsche Bank zur Orientierung privater Investitionen folgende Sektoren als vorrangig für den
Klimaschutz eingestuft:


Erzeugung umweltfreundlicher und erneuerbarer Energieträger;
Infrastrukturen und Managementsysteme für die Energieversorgung;
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-7






im Verkehrsbereich Förderung von Schienenverkehr und Seeschifffahrt sowie mittelfristig von Hybridfahrzeugen und Biokraftstoffen, die in Bezug auf die Bodennutzung nicht
im Wettbewerb mit dem Nahrungsmittelanbau stehen;
grüne Chemie und Forschung im Bereich neue Materialien;
Grundstoffindustrien, die energieeffizienter arbeiten, eine geringere Rohstoffabhängigkeit
aufweisen und zunehmend neue, weniger verunreinigende Materialien einsetzen (einschl.
Eisen- und Stahlindustrie, CO2-arme Herstellungsprozesse für Zement usw.);
bauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden und zur Stärkung ihrer Eigenenergieerzeugungskapazitäten;
Abfallbewirtschaftung;
Landwirtschaft (u.a. umweltfreundliche Dünge– und Schädlingsbekämpfungsmittel);
Wasserreinigungs-, -dekontaminierungs- und -entsalzungssysteme.
4.4
Den Schwierigkeiten der europäischen KMU, ausreichende Finanzierungsmittel für die erforderlichen Investitionen in Öko-Innovationen zu erhalten, muss besonderes Augenmerk gewidmet werden.
4.5
Damit die Innovation auch wirklich zum Wettbewerbsfaktor werden kann, müssen Praktiken
zur Stärkung der Partizipation der Arbeitnehmer im Geschäftsmodell berücksichtigt werden.
Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass die Teilhabe der Arbeitnehmer an der Arbeitsorganisation und der Unternehmensplanung ganz klar ein innovationsfördernder Faktor ist,
mit dem Produktionssteigerungen erzielt werden können. Hierfür müssen die Arbeitsbeziehungen und das System der Kollektivverhandlungen sowie ihr Bezug zum Unternehmensmanagement modernisiert werden.
4.6
Die Partizipation der Arbeitnehmer in den Unternehmen ist eines der wichtigsten Elemente
zur Förderung einer technologischen Führungsstellung Europas in vielen Sektoren und zur
Sicherstellung seiner Exportkapazität. Sie darf nicht nur aus dem Blickwinkel der Verteilung
des erwirtschafteten Wohlstands gesehen werden, da sie als solche ein grundlegender Faktor
für die Schaffung dieses Wohlstands ist, was auch von den Unternehmen anerkannt wird6.
Die Innovationsschwierigkeiten sind großteils durch starre Organisationsstrukturen bedingt,
in denen der Arbeitnehmer als "Werkzeug" wahrgenommen wird.
5.
Grüne Wirtschaft in der EU-Politik
5.1
Auf der Rio+20-Konferenz plädierte die EU für eine inklusive grüne Wirtschaft, die Fortschritte auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung ermöglicht. Die Europäische Kommission will nun die nachhaltigen und inklusive Entwicklung einschl. der Ökologisierung der
Wirtschaft in den Mittelpunkt ihrer Follow-up-Maßnahmen für Rio+20 stellen. Für die unver-
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Siehe das EPOC-Projekt der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EPOC = Employee
Direct Participation in Organisational Change – direkte Arbeitnehmerbeteiligung im organisatorischen Wandel).
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-8zichtbare Einbindung der Zivilgesellschaft in diesen Prozess müssen die Regierungen den
sozialen Dialog aufbauen.
5.2
Für die Umsetzung der Leitinitiative "Ressourcenschonendes Europa" und des Fahrplans für
ein ressourceneffizientes Europa richtete die Europäische Kommission 2012 eine europäische
Plattform für Ressourceneffizienz, die European Resource Efficiency Platform (EREP), ein,
die 2013 einen Halbzeitbericht und 2014 einen Schlussbericht vorlegen wird und Vorschläge
für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft in folgenden Bereichen erarbeitet: "Framework
conditions for investment in RE" (Rahmenbedingungen für Investitionen in die grüne Wirtschaft), "Setting objectives and measuring progress" (Zielsetzung und Fortschrittsbewertung) –
hier muss ein Set belastbarer Indikatoren über das BIP hinaus aufgestellt werden, an denen
die Ergebnisse dieser Maßnahmen in den betroffenen Sektoren wie auch die Auswirkungen
auf die Gesellschaft insgesamt gemessen werden (Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Wiederverwertungsanteil, Energieeffizienz und Rohstoffnutzung, Anteil erneuerbarer Energieträger, Verringerung der Verschmutzung) – und "Circular
economy/greening the economy" (Kreislaufwirtschaft/Ökologisierung der Wirtschaft).
5.3
Forschritte im Bereich Umweltsteuer und Abbau der hohen Beihilfen für fossile Energieträger
in vielen EU-Ländern sind besonders wichtig, da die Preise vieler Produkte und Dienstleistungen die Gesamtproduktionskosten nicht korrekt wiedergeben und die Verschmutzungskosten
nicht einrechnen. Freiwillige Maßnahmen für die Umweltkennzeichnung reichen nicht aus,
schon gar nicht in einer Krise wie der aktuellen, in der für immer mehr Verbraucher der Preis
eines Produkts und nicht seine Umweltqualität ausschlaggebend ist. Um eine Umweltsteuerpolitik in weiten Kreisen konsensfähig zu machen, müssen ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und ihre sozialen Folgen für die Bürger – die nunmehr mit
dem Schlagwort "Energiearmut" bezeichnet werden – berücksichtigt sowie zusätzliche Maßnahmen zu ihrer Abfederung getroffen werden (industrie- und handelspolitischer Art sowie
zur Unterstützung der schwächsten sozialen Gruppen). Außerdem müssen steuerliche Anreize
für eine Reinvestition der Unternehmensgewinne in Maßnahmen zur Verringerung der CO2Emissionen und weiterer umweltschädlicher Auswirkungen gegeben werden (über Reinvestitionsfonds für Klimaschutzmaßnahmen), wobei die Reinvestition dieser Mittel in den Unternehmen unter Mitsprache der Arbeitnehmer erfolgen muss.
5.4
Die Europäische Kommission nahm ihren Vorschlag für ein 7. Umweltaktionsprogramm an,
in dem der Beitrag der Umweltpolitik für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft umrissen
wird. Dieses Programm muss noch von EP und Rat angenommen werden. Der EWSA hat
dazu mit einer gesonderten Stellungnahme beigetragen7. Der mehrjährige Finanzrahmen der
EU für 2014-2020 enthält indes einen grundlegenden Widerspruch: der Löwenanteil der EU-
7
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen
Parlaments und des Rates über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der EU für die Zeit bis 2020: Gut leben innerhalb der
Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten", ABl. C 161 vom 6. Juni 2013, S. 77.
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-9Mittel wird nicht in diejenigen Wirtschaftssektoren investiert, die den höchsten CO2-Ausstoß
(Wohnungsbau, Energie, Industrie und Verkehr) aufweisen.
5.5
Zur die Handelspolitik der EU ist anzumerken, dass aufgrund der Einführung der CO2-Steuer
vergleichbare Abgaben für diejenigen Ländern festgelegt werden müssen, die internationale
Emissionsreduktionsverpflichtungen nicht akzeptieren, um die Gefahr von Verlagerungen zu
bannen. Eine CO2-Abgabe bedeutet eine Beeinträchtigung des freien Handels; dies wurde
allerdings von der internationalen Staatengemeinschaft in anderen Fällen sehr wohl akzeptiert, beispielsweise im Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, in dem die Möglichkeit vorgesehen ist, durch Handelsbeschränkungen seine Einhaltung durchzusetzen, da der
freie Handel kein Selbstzweck ist, sondern zur nachhaltigen Schaffung von Wohlstand beiträgt. Es ist zweifelsohne wichtiger, eine klimawandelbedingte weltweite Katastrophe zu verhindern, als die globalen Märkte für emissionsintensive Produkte offen zu halten.
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschusses
Henri MALOSSE
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