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AKADEMIETHEATER
Nachrichten aus der Unterwelt
KATHARINA LORENZ. Der Jungstar des Burgtheaters spielt in Matthias
Hartmanns Inszenierung von Jelineks „Schatten (Eurydike sagt)“.
W
er kennt ihn nicht, den traurigen
Die konzertante Uraufführung des
AK ADEMIETHEATER
Mythos vom Sänger Orpheus
Schatten-Dramas fand im Rahmen eines
und Eurydike, seiner Frau, die
spartenübergreifenden Abends vor dem
Elfriede Jelinek
von einem Lüstling namens
letzten Sommer im Saal der Essener PhilSchatten (Eurydike sagt)
Aristaios sexuell belästigt wird, zu fliehen
harmonie statt, die Elfriede Jelinek auch
Do., 17. Jänner, 19.30
versucht, dabei auf eine Schlange tritt und
den Stückauftrag erteilt hatte. Da thronte
Regie: Matthias Hartmann
sterben muss. Orpheus, der ohne EuryJohanna Wokalek auf einem Haufen KleiBühne: Johannes Schütz
dike nicht leben kann, folgt ihr in den Hader und präsentierte als Eurydike in einer
Besetzung: Elisabeth Augustin, Brigitta
des und betört mit seinem Gesang die
Art Lecture Performance eine einstündige
Furgler, Sabine Haupt, Alexandra Henkel,
Chefs der Unterwelt, selbst der dreiköpVersion des Textes. In der Wiener TheaterKatharina Lorenz, Christiane von Poelnitz,
fige Höllenwachhund Cerberos hält die
fassung werden nicht eine, sondern gleich
Yohanna Schwertfeger, Lucas GregoroSchnauze, und bekommt Eurydike zurück
sieben Eurydikes zu sehen sein (siehe Inwicz, Nikolaus Habjan
unter der Bedingung, dass er sich auf dem
terview mit Matthias Hartmann S. 28). Eine
20. 1., 18.00, 25., 30. 1., 19.30 Uhr
Weg zurück ins Reich der Lebenden nicht
davon ist der Jungstar Katharina Lorenz,
umdreht, was er natürlich nicht schafft.
die zuletzt als Fiona-Grasser-Verschnitt in
Eurydike ist für immer verloren.
Elfriede Jelineks furioser Aktualisierung
von Oscar Wildes Ein idealer Mann zusamDieser Mythos nun wurde in den verschiedenen Künsten unzählige Male aufgegriffen und gestal- men mit dem Rest des Ensembles einen glorreichen Erfolg feitet, aber immer aus der Sicht des Orpheus mit Eurydike als erte und immer noch feiert. Jelinek-Texte scheinen ein guter
meist stummem Objekt der Begierde. Damit macht nun El- Resonanzboden zu sein für die aparte Schauspielkünstlerin,
friede Jelinek radikal Schluss. In ihrem neuen Stück, besser ge- die am Burgtheater ganz klassisch anfangen hätte sollen, in
sagt, in ihrer neuen Textfläche Schatten (Eurydike sagt) meldet der Rolle aller Rollen, dem Gretchen in Goethes Faust.
sich aus der Hölle die Nymphe zu Wort und zwar mit der beREGIEGROSSMEISTER
rüchtigten Wortgewalt der Nobelpreisträgerin, die darauf hinEigentlich hatte Katharina Lorenz gar nicht geplant, am
ausläuft, dass Eurydike den Mythos aus ihrer Sicht korrigiert,
demontiert und überschreibt. Wie, das wird die Inszenierung Burgtheater zu landen. Die 1978 in Leverkusen geborene
von Burgherr Matthias Hartmann zeigen, der die Erstauffüh- Schauspielerin – der berühmte Porträtmaler Kurt Lorenz war
ihr Großvater – debütierte 2003 am Schauspiel Hannover.
rung der Theaterfassung im Akademietheater herausbringt.
Schon drei Jahre später wurde sie für ihre Rollen, die sie unter
der Regie von Jürgen Gosch in Berlin und Hannover gespielt
hatte, in der alljährlichen Kritiker-Umfrage von Theater heute
zur
Nachwuchsschauspielerin des Jahres gekürt. Der mittlerSCHATTEN (EURYDIKE SAGT). Katharina Lorenz als eine
weile leider verstorbene Regiegroßmeister fragte sie dann
der sieben Eurydikes in Matthias Hartmanns Inszenierung.
auch, ob sie sich vorstellen könnte, das Gretchen in seinem
Faust zu spielen. Katharina Lorenz konnte. Jürgen Gosch hätte
im Herbst 2008 am Burgtheater noch in der Ära Bachler beide
Teile des Klassikers inszenieren sollen, aber das verhinderte die
Krebserkrankung, an der er schließlich auch starb. Damit war
für Katharina Lorenz anscheinend auch das Gretchen gestorben, stattdessen erhielt sie vom Burgtheater das Angebot in
Jan Bosses Ersatz-Inszenierung von Albees Wer hat Angst vor
Virginia Woolf? mitzuspielen, was sie sich nicht entgehen ließ:
„Das hat sich super gefügt. Ich hatte einige seiner Inszenierungen gesehen und wollte Jan Bosse immer schon mal kennenlernen und mit ihm arbeiten.“
Dann stand am Burgtheater der Amtsantritt von Matthias
Hartmann bevor. Der designierte Intendant hatte sich vom
schwerkranken Gosch die Erlaubnis für die Übernahme des
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FOTOS: REINHARD WERNER/BURGTHEATER (2)
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Faust-Projekts eingeholt und wollte dabei auch das Gretchen
mitnehmen. Und so kam es, dass Katharina Lorenz doch noch
die Rolle aller Rollen spielte und von Tobias Moretti als Faust I
verführt und in den Wahnsinn getrieben wurde. Jürgen Gosch
allerdings bleibt in der Erinnerung der Regisseur, der eine prägende Rolle in der Entwicklung von Katharina Lorenz gespielt
hat. „Er hat mich gelehrt“, denkt sie zurück, „sich niemals auszuruhen auf dem, was man meint, zu können oder gefunden
zu haben in der Erkundung einer Figur, sondern immer noch
weiter zu bohren und zu forschen.“
ENTDECKUNG DES ABENDS
Auch die „tolle Arbeit“ mit Matthias Hartmann an Faust I
zählt zu den wichtigen Stationen ihrer Entwicklung. Der Regisseur Hartmann hat ihr auf den Proben die Angst vor dem, von
so vielen berühmten Vorgängerinnen belasteten Gretchen ge-
nommen: „Er hat mich Dinge ausprobieren lassen, und wir haben zusammen so einen speziellen Humor entwickelt. Wir haben oft gelacht auf der Probe und die Rolle wurde dadurch
entheiligt und entstaubt. Das hat sehr geholfen, die Direktheit
und die Unmittelbarkeit zu finden, mit der ich das spielen
wollte.“ Das Resultat bei der Premiere im September 2009
wurde von der Kritik als „Entdeckung des Abends“ und darüber
hinaus als „Sensation“ gewertet: die „zugleich zeitgemäßeste
und textnaheste Interpretation des Gretchens seit langem“,
weil Katharina Lorenz kein einfältiges, dummes Ding, sondern
eine selbstbewusste junge Frau zeigte.
Die Schauspielkünstlerin blüht in der Regel dann auf, wenn
es dem Regisseur gelingt, auf der Probe einen angstfreien
Raum zu schaffen, in dem sie zusammen mit einem Ensemble
ein Stück zum Leben erwecken kann. „Ich habe schnell Angst“,
verrät sie, „und dann mache ich genauso schnell zu. Ebenso
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AKADEMIETHEATER
INTERVIEW
ABGESANG DER LIEBE Matthias
Hartmann über seine Inszenierung
BÜHNE: In dem Stück unterzieht Elfriede Jelinek den Mythos von
Orpheus und Eurydike einem Perspektiven- und Deutungswechsel.
Worauf läuft dieser Wechsel hinaus? Anders gefragt: Worum geht es
im Zentrum des Stücks?
HARTMANN: Jelineks Eurydike ist eine Nachfolgerin von Jackie,
BÜHNE: Was für eine Figur ist diese Eurydike in Ihrer Interpretation?
HARTMANN: Sie ist aus meiner Sicht nicht EINE Figur, deshalb wird
sie in meiner Inszenierung auch von sieben sehr unterschiedlichen
Frauen verkörpert, weil ich denke, dass diese Stimme aus der Perspektive einer Frau keine singuläre ist. Sie erzählt gewissermaßen
von einer kollektiven, weiblichen Erfahrung, die nicht nur komplex,
sondern auch in sich widersprüchlich und ambivalent ist. Und genau da wird es dann interessant.
BÜHNE: Dieselbe Frage stellt sich natürlich für Orpheus? Im Text erscheint er als eine Art Pop- oder Rockstar. Wollen Sie ihn als solchen
zeigen?
HARTMANN: Ja, unbedingt. Wir haben es ja hier mit einem Gegenwartstext zu tun. Die musikalische Ebene ist für mich als Regisseur natürlich entscheidend als Kontrast zu der Sprachgewalt
der Autorin. Eurydike und Orpheus befinden sich nicht nur in
zwei konträren Welten – also sie unten im Schattenreich und er
oben, als Sohn Apolls im Reich der Sonne –, sondern sie äußern
sich auch auf verschiedenen Ebenen. Sie kann nur endlos sprechen, er nur endlos singen.
BÜHNE: Das Stück spielt im Hades, im Reich der Schatten, also Toten.
Können und wollen Sie schon ein bisschen verraten, wie dieses Totenreich in Ihrer Inszenierung ausschaut?
HARTMANN: Johannes Schütz hat eine sehr konsequente, minimalistische, schwarze Bühne gebaut. Ich hüte mich aber davor,
mit dem Text kongruent zu gehen, deshalb probieren wir gerade
vieles aus mit Kostümen, Perücken, einer sprechenden Puppe,
Filmmaterial etc. Das erlaubt mir erst mal eine Verspieltheit, Leichtigkeit und auch Ironie, die ich brauche, um nicht erschlagen zu
werden von der Schwere des Textes. Ich empfinde das als eine
durchaus produktive Reibung. Eurydike spricht zwar aus dem Hades heraus, aber sie erinnert sich ja ständig an ihr Leben, den Biss
der Schlange auf der Wiese, ihre Kleidersucht, die Groupies auf
Orpheus’ Konzerten ...
BÜHNE: Was soll unterm Strich der Inszenierung herauskommen?
HARTMANN: Wenn ich das jetzt schon wüsste, würde ich hoffentlich aufhören, Theater zu machen, und mich stattdessen
der Mathematik widmen. (loh)
MATTHIAS HARTMANN: „Jelineks Eurydike ist eine
Nachfolgerin von Jackie, Lady Di oder Schneewittchen.“
wenn ich merke, dass der Regisseur kein Vertrauen in mich
hat oder ungeduldig wird, wenn ich für etwas zu lange brauche, dann ist es genauso aus. Aber man muss sich diese angstfreie Zone auch selber schaffen, indem man mutig bleibt und
darauf pfeift, ob man jetzt etwas falsch macht oder nicht.“
KONSUMRAUSCH
Die Schönheit mit den großen, unschuldigen Augen und
der erfrischenden, ungekünstelten Natürlichkeit, die sie auch
im Interview verströmt, wurde von Anbeginn ihrer Karriere in
das Rollenklischee des arglosen Mädchens wie etwa Alice im
Wunderland gesteckt. Der Anblick verleitet, in ihr die liebreizende Naive zu sehen, die sie aber nicht ist und der sie auf der
Bühne mit Hilfe ihrer außergewöhnlichen Begabung immer
wieder entkommt. Auch die zweite große Naive der Weltliteratur, die Katharina Lorenz dann gleich nach dem Gretchen am
Akademietheater spielte, die Desdemona in Jan Bosses Othello
zeigte sie nicht als erotisches Unschuldsopferlamm, sondern
aufmüpfig, kratzbürstig und selbstbewusst.
In Elfriede Jelineks Der ideale Mann wurde dann von Barbara Frey endlich ihr Talent als Mondäne entdeckt: Katharina
Lorenz spielt Lady Chiltern atemberaubend als Fiona-GrasserImitat. „Zuerst bin ich erschrocken über den Plan“, erzählt sie,
„weil ich gedacht habe, ich bin doch keine Kabarettistin, ich
kann das nicht, aber dann hat es unglaublichen Spaß gemacht,
das Sittenbild einer Society-Tussi zu zeigen, die Champagner
schlürft, Chips isst und über verhungernde Kinder in Afrika lamentiert.“ Und nun ist Katharina Lorenz erstmals in das Abenteuer verwickelt, aus einer Jelinekschen Textfläche ein Stück
mit Figuren zu basteln. Zum Zeitpunkt des Interviews kann sie
noch nichts Definitives sagen, außer dass sie eine von sieben
Eurydikes spielt, die jeweils die verschiedenen Themen personifizieren, die der Text anschlägt. Das Thema von Katharina Lorenz ist der Mode- und Konsumrausch, dem Eurydike auf Erden verfallen war: „Ich spreche darüber, dass sie ein Vermögen
für ihre Kleider ausgegeben hat, nur um dahinter zu verschwinden und ihre Angst zu verbergen. Und dass sie ihre Kleider im Jenseits eigentlich viel mehr vermisst als ihren Mann,
B
den Sänger.“
LOTHAR LOHS
FOTO: REINHARD WERNER/BURGTHEATER
Lady Di oder Schneewittchen aus ihren Prinzessinnendramen Der
Tod und das Mädchen I–V. Wieder verselbständigt sich eine Figur
und bricht mit ihrem eigenen Mythos. So auch Eurydike. Sie vermisst zwar ihre Kleider im Schattenreich, aber um „nichts im Tod“
will sie von ihrem narzisstischen Sängergatten Orpheus zurückgeholt werden. Sein so genanntes reales Reich, in dem es nur so
wimmelt von kreischenden Groupies, ist ihr unerträglich. Sie will
von seinem fatalen Blick zurück nicht festgehalten werden. Erlöst
gleitet sie zurück zu den Schatten, ins Körperlose, ins Nichts. Es
gibt einen zentralen Satz: „Das Größte aber ist, nicht geliebt zu
werden und nicht zu lieben.“
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BÜHNE 1 2013
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