6/2008 Daniel R. Schmeißer, Markus Hoyer, Jörg Maas und Sigrid Beeske Effektive Kundenansprache in komplexen Märkten Ergebnisse einer Segmentierung im Touristikmarkt Sonderdruck Sonderdruck Effektive Kundenansprache in komplexen Märkten Ergebnisse einer Segmentierung im Touristikmarkt Die Autoren Daniel R. Schmeißer, Diplom-Psychologe, ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von phaydon research+ consulting in Köln sowie Lehrbeauftragter für qualitative und psychologische Marktforschung im Masterstudiengang Wirtschaftspsychologie der Hochschule Fresenius. [email protected] Markus Hoyer, Diplom-Kaufmann, hat seit über zehn Jahren Erfahrung im Bereich Marketing und Marktforschung. Zunächst im Brand Management bei Procter & Gamble, dann als Projektleiter bei McKinsey & Company. Seit Ende 2006 ist er Leiter der Stabstelle Marktforschung bei forsa in Berlin. [email protected] Dr. Jörg Maas, Diplom-Ökonom, ist seit 13 Jahren in der Institutsmarktforschung tätig, gegenwärtig als Manager Business Development bei phaydon research+ consulting. Außerdem ist er Fachlehrer für Marketing, Marktforschung und Medienökonomie an der Rheinischen Fachhochschule und dem JosephDumont-Berufskolleg, Köln. [email protected] Dr. Sigrid Beeske, Diplom-Ökonomin, ist seit 1993 in der Marktforschung tätig. Als Bereichsleiterin Statistik und Datenanalyse ist sie bei forsa verantwortlich für die methodische Projektbegleitung insbesondere für multivariate Analysen, Modellentwicklung und Simulationsrechnungen. [email protected] 2| planung & analyse 6/2008 M oderne Segmentierungsansätze haben es nicht nur mit hybriden Verbrauchern zu tun, sondern auch mit Patchwork-Biografien, sich wandelnden Lebensphasen und dynamischen Märkten, die zusammengenommen marktübergreifende Segmentierungen zunehmend erschweren. Man ist sich inzwischen einig, dass – abhängig vom jeweiligen Markt – einstellungs- und verhaltensorientierte Segmentierungsansätze, die marktspezifische Merkmale als Klassifikationsvariablen einbeziehen, gegenüber rein soziodemografischen und Lifestyleorientierten (marktunabhängigen) Ansätzen vorzuziehen sind. Dazu müssen die Klassifikationsvariablen leicht messbar sein, so dass im Idealfall jeder Kunde einem Segment eindeutig zugeordnet werden kann und Zusammenhänge zu den abgeleiteten Maßnahmen bzw. marktrelevanten Verhaltensweisen für dieses Segment aufzeigbar sind. Eine besondere Herausforderung für die Segmentierung stellen Märkte mit komplexen, vorgelagerten und Lebensphasen-abhängigen Entscheidungsprozessen dar; ein solcher ist der Touristikmarkt, der auch aus folgenden Gründen besondere Aufmerksamkeit verdient: Medialer Aspekt: Das Internet und die Digitalisierung der Gesellschaft verändern speziell die Dienstleistungsbranche entscheidend und das innerhalb aller Stufen der Wertschöpfungskette. So wird nicht nur das klassische Durchstöbern von Reisekatalogen und Buchungen über das Reisebüro zunehmend durch das Internet substituiert; in sämtlichen Phasen des Reiseprozesses – von der Inspiration und Information, über die Buchung der Reise bis hin zur Nachbereitung – konkurrieren unterschiedliche Medien und Kanäle um die Gunst des Kunden. Globaler Aspekt: Reisen im Zeitalter der Globalisierung eröffnet neue Perspektiven und Ziele; immer mehr Nationen reisen und immer mehr Destinationen werden erschlossen, was für Touristik-Anbieter auch das Zusammenbringen kultureller Verschiedenartigkeiten bedeutet. Das bringt klare Implikationen für AnspracheTonalitäten und Angebote vor Ort mit sich (think global). Biografischer Aspekt: Präferenzen für bestimmte Länder oder spezielle Arten und Weisen, seinen Urlaub zu gestalten, stellen im Zeitalter des Individualismus eine Facette dar, Identitäten zu gestalten und diesen der sozialen Umwelt gegenüber Ausdruck zu verleihen. So repräsentieren Reiseofferten nicht nur Mittel zum Zweck, beispielsweise Erholung finden oder Kulturbedürfnisse stillen, sondern Anbieter müssen verschiedensten Empfindungen und Spannungsverhältnissen auf Nachfrager-Seite begegnen. Um diesen emotionalen Benefit von Reiseangeboten passend transportieren zu können, muss man seine Zielgruppe kennen. Es liegen zwar gerade in der Touristik umfangreiche Segmentierungsansätze vor, diese haben aber unseres Erachtens den Mangel, dass sie häufig nicht über eine konsistente Klassifikationsbasis verfügen; so werden in Reise-Typologien immer wieder Einstellungstypen (die Fun- und ActionUrlauber) mit Destinationsorientierung (der Strandurlauber) und soziodemografischen Merkmalen (die jungen Familien) vermischt. Diese mangelnde Trennschärfe erleichtert zwar die selektive Ansprache klar umrissener Bevölkerungsgruppen, indem sie zum Beispiel unterstellt, dass sich junge Familien hinsichtlich ihres Reiseverhaltens homogen verhalten, sie verstellt damit aber den Blick auf die Potenziale, die eine konsequent bedürfnisorientierte Ansprache von Reisenden nach marktrelevanten Einstellungs- und Motivmerkmalen auszeichnet. Der vorliegende Artikel stellt einen innovativen Ansatz vor, der in Kooperation zwischen phaydon und forsa entstanden ist, und der neben Einstellungs- und Verhaltensvariablen auch die Entscheidungsphasen im Reiseprozess in die Marktsegmentierung einbezieht (siehe Abbildung 1). Somit können die einzelnen Kontaktpunkte aufgezeigt werden, an denen Dienstleister entlang der Touristik-Wertschöpfungskette – vom Internetauftritt des Reiseanbieters über Katalogofferten und Reisebüroberatung bis hin zu Serviceund Dienstleistungsangeboten vor Ort – ihren Kunden erreichen können. Prägnante Handlungsempfehlungen für die einzelnen Phasen liegen in Folge auf der Hand. www.planung-analyse.de Sonderdruck Kurzfassung Segmentierungsansätze zeichnen sich im Zeitalter des hybriden Konsumenten zwar zunehmend durch marktspezifisches Vorgehen aus, verfügen aber häufig nicht über eine konsistente Klassifikationsbasis. Der vorliegende Artikel stellt am Beispiel des Reisemarktes einen innovativen Ansatz vor, der neben Einstellungs- und Verhaltensvariablen auch die Entscheidungsphasen im Reiseprozess in die Marktsegmentierung einbezieht. So wird die Ableitung von Vertriebs- und Marketingempfehlungen für Touristik-Anbieter nicht nur segmentspezifisch möglich, sondern auch phasenorientiert: Wie können Kunden in den jeweiligen Entscheidungsphasen je nach Segmentzugehörigkeit angesprochen werden? Der hier am Reisemarkt veranschaulichte Ansatz eignet sich in Folge für alle Branchen, in denen dem Verbraucherverhalten komplexe Entscheidungsprozesse vorgelagert sind und Produktpräferenzen je nach Lebensphase variieren. Zweistufiges Vorgehen bei der Segmentierung 1. Stufe: Ermittlung grundlegender Bedürfnisfelder und Einstellungen zum Reisen Im ersten Schritt wurde eine qualitative Typologie auf Basis von 40 ausführlichen Tiefeninterviews durchgeführt. Dabei wurden Reiseverhalten und Reisemotive sowie Einstellungen und Spannungsfelder zum Reisen über die verschiedenen Reisephasen hinweg exploriert: von der Inspiration über die Information, Buchung und Durchführung bis zur Nachbereitung der Reise. Die Ableitung der typenbildenden Kriterien erfolgte explorativ-gegenstandsbezogen (bottom-up) auf Basis der Annahme, dass sich die relevanten Vergleichsdimensionen aus der Herausarbeitung marktspezifischer Spannungsfelder, in der sich die Zielgruppe der Reisenden befindet, ergeben. 2. Stufe: Quantitativ-repräsentativer Ansatz bestehend aus Faktoren- und Clusteranalyse Im zweiten Schritt wurde eine bevölkerungsrepräsentative, quantitative Studie mit gut 1.500 Personen durchgeführt. Hier ging es um eine quantitative Segmentierung des deutschen Reisemarktes. Darüber hinaus sollte aufgezeigt werden, welche Segmente für Marketingbemühungen der jeweiligen Touristik-Anbieter besonders geeignet sind. Ausgehend von den Erkenntnissen der qualitativen Studie wurden 70 Einstellungsitems entwickelt, die alle relevanten Aspekte des Reisens, der Reisemotivation und der generellen Reisepräferenzen abdecken. Außerdem wurde das Reiseverhalten detailliert und separat in den verschiedenen Reisephasen erfasst sowie soziodemografische Merkmale erhoben. Unser Ansatz kann insofern als psychologisch-prozessorientiert charakterisiert werden, als dass er (a) psychologische Einstellungen als Klassifikationsvariablen in allen Phasen der Datenerhebung, Instrumentenerstellung und Analyse in den Vordergrund stellt, (b) die verhaltensrelevanten Merkmale getrennt nach verschiedenen Reisephasen erfasst und (c) die Dynamik des Reiseverhaltens in einem Modell der Lebensphasen, das heißt, 1 Zweistufiges Vorgehen der Marktsegmentierung 3| planung & analyse 6/2008 neben der Flexibilität der Typenzugehörigkeit (Stichwort: Segmentwanderung – das Reiseverhalten verändert sich über die biografischen Lebensphasen hinweg) berücksichtigt. Bezogen auf den Reisemarkt bedeutet speziell der letzte Aspekt, dass es darum geht zu verstehen, auf welche Art und Weise verschiedene Typen den Entscheidungsphasen begegnen, die mit einer Reise verbunden sind. So wird manche Station von einem Typ intensiv bearbeitet, während andere sie auf das Nötigste reduzieren. Solche Befunde liefern interessante Hinweise, welches Segment an welcher Stelle und auf welche Weise über die verschiedenen, zur Verfügung stehenden Medien und Vertriebskanäle (Reisebüro, Print, Online) abgeholt werden kann. Befragt wurden Urlaubsentscheider ab 18 Jahren, die in den letzten zwölf Monaten mindestens eine Urlaubsreise (= Reisen von mindestens fünf Tagen Dauer) unternommen haben und auch für die nächsten zwölf Monate eine solche Reise planen. Einstellungs-Segmentierung mit Betrachtung der Reise- und Lebensphase Als segmentbildende Merkmale wurden die Einstellungen zum Thema Reisen verwendet. Dadurch können über die reine Betrachtung des Reiseverhaltens hinaus die Reisemotive und Reisepräferenzen analysiert und für die segmentspezifische Marktbearbeitung herangezogen werden. Über die Einstellungen hinaus wurden die Lebensphasen und das Reiseverhalten in die Segmentanalyse mit einbezogen. So kann direkt überprüft werden, inwieweit die Einstellungen auch handlungsrelevant sind. Zunächst wurden 70 Einstellungsitems per Faktorenanalyse zu 16 Dimensionen zusammengefasst; anschließend wurden mittels Clusteranalyse die befragten Urlaubsreisenden nach den 16 Einstellungsdimensionen so gruppiert, dass die Segmente in sich möglichst homogen sind, untereinander aber deutliche Unterschiede in ihren Einstellungen aufweisen. Jede Dimension repräsentiert einen wesentlichen Aspekt der Motivstruktur von Urlaubsreisenden. Je nachdem, ob ein Segment ein über- oder unterdurchschnittliches Zustimmungsniveau auf den einzelnen Dimensionen aufweist, lassen sich die Charakteristika des Segmentes deutlich herausarbeiten. Jede der 16 Dimensionen lässt sich innerhalb von zwei übergeordneten www.planung-analyse.de Sonderdruck 2 Übersicht der faktorenanalytisch ermittelten Einstellungsdimensionen, gruppiert nach übergeordneten Spannungsfeldern (Sicherheit vs. Abenteuer; Convenience vs. Eigeninitiative) Spannungsfeldern verorten, nämlich Abenteuer vs. Sicherheit einerseits und Eigeninitiative vs. Convenience andererseits (siehe Abbildung 2). So gehören zur Gruppe Abenteurer beispielsweise fünf Einstellungsdimensionen: „Abgrenzung durch Herausforderung“, „Ausbrechen aus Routinen“, „Geistig-seelische Entwicklung“, „Natur erleben“ und „Spontanität“. In der Dimension „Abgrenzung durch Herausforderung“ finden sich Aussagen wie Bei einer Reise gehe ich gerne mal an mein Limit oder Mich reizen vor allem Länder, in die der Durchschnittstourist nie fahren würde. Wer hier überdurchschnittlich stark zustimmt, versteht den eigenen Urlaub als spannende Herausforderung an sich selbst, mit der man sich auch ganz bewusst von der breiten Masse ab- grenzen möchte. Insofern ist der Urlaub ein identitätsstiftendes Element der eigenen Persönlichkeit. Neun Segmente von Urlaubsreisenden Insgesamt hat unsere Studie neun Segmente von Reisenden identifiziert, die unterschiedliche Zustimmungsmuster im Hinblick auf die Einstellungsdimensionen aufweisen. Diese Einteilung ermöglicht einerseits eine differenzierte und nicht-triviale Betrachtung des Reisemarktes, ist andererseits aber auch noch nicht zu kleinteilig für eine segmentspezifische Ansprache (siehe Abbildung 3). Die sechs größeren der neun Urlaubssegmente repräsentieren insgesamt gut 80 Prozent aller Urlaubsreisenden. Die Segmente unterscheiden sich grundlegend durch ihre Motiv-, Einstellungs- und 3 Prozentuale Verteilung der neun Reisesegmente 4| planung & analyse 6/2008 Bedürfnisstruktur, was bedeutet, dass Marketing und Vertrieb unabhängig von soziodemografischen Merkmalen und Destinationspräferenzen Empfehlungen für die kommunikative und vertriebsmäßige Ansprache in den Zielsegmenten ableiten können. Die Segmente sind auf der anderen Seite aber auch hinsichtlich ihres Reise- und Informationsverhaltens (passive Variablen) in den verschiedenen Entscheidungsphasen so trennscharf, dass auch segmentspezifische Maßnahmen, zum Beispiel für den Pre- und After-Sales-Bereich, abgeleitet werden können. Und: Wer sein Angebot trotzdem an soziodemografischen Merkmalen (zum Beispiel junge Familien) ausrichten möchte, kann anhand der Segmenttypik überprüfen, welche unterschiedlichen Bedürfnislagen in der jeweiligen Kundenstruktur kommunikativ bedient werden müssen, zum Beispiel finden sich Familien mit kleinen Kindern genauso häufig unter den aktiven Naturliebhabern und den passiven Genießern – zwei Segmente, die soziodemografisch zwar ähnlich sind, sich aber psychologisch-motivational deutlich unterscheiden und daher unterschiedlich angesprochen werden müssen. Um aufzuzeigen wie unser psychologischentscheidungsorientierter Ansatz konkrete Hinweise für eine bedürfnisorientierte Ansprache durch Marketing und Vertrieb liefert, werden im Folgenden zwei Reisetypen herausgegriffen und detailliert beschrieben. Zwei Segmente im Profil: Der ausgeglichene Körperbewusste und der anspruchsvolle Kulturreisende Diese beiden ausgewählten Segmente sind in mehrerlei Hinsicht für Anbieter von Touristikdienstleistungen von Interesse: ● Für beide Gruppen stellt die jährliche Urlaubsreise ein bedeutendes Element im Alltag dar; der eingangs angesprochene emotionale Benefit ist von hoher Bedeutung und dementsprechend groß der Anspruch an die Reise. In Folge wird auf regelmäßige Reisen nicht verzichtet. ● Betrachtet man die Verteilung der Lebensphasen über die Segmente so zeigt sich, dass sich der anspruchsvolle Kulturreisende zur Hälfte aus jungen Urlaubern ohne Kinder und älteren Reisenden zusammensetzt. Die Best Ager machen beim Segment des ausgeglichenen Körperbewussten sogar 40 Prozent aus; hier sind jedoch auch mittelalte Reisende (24 Prozent) und Junge Reisende (13 Prozent) ohne Kinder verwww.planung-analyse.de Sonderdruck Abstract While in times of hybrid consumers segmentation is increasingly marked by a marketspecific approach, it often lacks a consistent classification basis. Using the example of the tourism market, this article presents an innovative approach that in addition to variables in attitude and behaviour also incorporates decision-making phases during the process of travel arrangements in the market segmentation. This not only allows for segment-specific sales and marketing recommendations for tour operators, but also for recommendations across various segments: how can customers be approached during the respective decision-making phases depending on which segment they belong to? The approach illustrated here using the example of the tourism market is therefore suitable for all sectors in which complex decision-making processes precede consumer behaviour and in which product preferences vary according to one‘s phase of life. treten, womit es über beide Segmente möglich ist, eine breite Bevölkerungsschicht abzudecken. ● Und: beide Segmente sind vom zur Verfügung stehenden Urlaubsbudget her attraktiv. So verfügt der ausgeglichene Körperbewusste bei einem überdurchschnittlichen Haushalts-Nettoeinkommen über das höchste pro Jahr zur Verfügung stehende Urlaubsbudget. Der anspruchsvolle Kulturreisende legt trotz nur durchschnittlichen Einkommens fast genauso viel in die Urlaubskasse. Was charakterisiert nun die beiden ausgewählten Segmente? Abbildung 4 legt ihre beiden Profile bezüglich der beschriebenen 16 Einstellungsdimensionen übereinander. Der ausgeglichene Körperbewusste Dieser Typus macht von allen Typen am meisten Urlaub im Jahr, das heißt, im Durchschnitt 3,3 Wochen. Er fährt gerne mit dem Partner oder einer Reisegruppe fort. Ihm gefällt das Reisen am besten als Kombination aus Natur, Kultur und Sport. Die körperliche Betätigung ist für ihn das wichtigste Motiv – zum Beispiel in Form von Outdoor-Sportarten wie Wandern und Fahrradtouren. Den Luxus von Wellness-Angeboten gönnt man sich anschließend quasi als Belohnung. Dieser Typ ist interessiert an Geschichte, Kulturellem und Einheimischen und tankt zwischendurch durch bewusstes Erleben der Natur auf. Der ausgeglichene Körperbewusste ist eine innerlich ausgeglichene Persönlichkeit, wünscht sich einen geregelten Tagesablauf sowie die beständige Beziehung zum Partner oder einer Reisegruppe, mit der man unterwegs ist. Der anspruchsvolle Kulturreisende Sein persönliches Motto lautet: Träume verwirklichen – und stolz darauf sein. Er möchte Urlaub machen, den der Durchschnittstourist nicht macht bzw. sich nicht leisten kann. Beispielsweise reizen ihn fremde, exotische Länder mit kulturellen Schätzen und unberührter Natur. Dazu gönnt er sich Luxus, um seinen Traum vom Urlaub wahr werden zu lassen. Beides dient dazu, sich von anderen Rei- 4 Der ausgeglichene Körperbewusste und der anspruchsvolle Kulturreisende im direkten Vergleich der Einstellungsdimensionen 5| planung & analyse 6/2008 senden abzuheben. Wo der anspruchsvolle Kulturreisende bereits gewesen ist, fährt er eher nicht mehr hin; Reisen bedeutet für seine Persönlichkeit nämlich die Herausforderung, immer Neues zu lernen. Er ist stolz auf bereiste exotische Länder – zum Beispiel Ägypten oder asiatische Staaten – und definiert sich darüber gegenüber seiner sozialen Umwelt. Die Reisen dieses Segments dauern im Vergleich eher etwas länger, sind teuer und finden meist mit dem Partner statt. Dem gemeinsamen Urlaub kommt hier die Bedeutung zu, die Zweisamkeit mit dem Partner zu pflegen bzw. auch neu zu beleben. Nur ein Fünftel dieses Segments hat Kinder, weshalb das Thema Familie nur eine untergeordnete Rolle spielt. Zum vergleichenden Verständnis der beiden aufgrund unter anderem ihrer Umsatzattraktivität ausgewählten Reisesegmente soll noch ihre Positionierung innerhalb der beiden Einstellungs-Dimensionen „geistigseelische Entwicklung“ und „körperliches Wohlbefinden und Sport“ betrachtet werden (siehe Abbildung 5). Diese beiden Dimensionen sind speziell für den Touristikmarkt von Bedeutung, weil die Angebotskommunikation je nach Ausprägung der Pole entsprechend zugespitzt werden sollte: Unter geistig-seelischer Entwicklung verstehen wir den Wunsch, sich im Urlaub auch Zeit zu nehmen, um über sich selbst und sein Leben nachzudenken und das Reisen überdies als spirituelle Suche zu verstehen. Starke Zustimmung auf dieser Einstellungsdimension steht außerdem für Offenheit gegenüber alternativen Lebenskonzepten. Vor allem der behütete Sinnsucher nutzt den Urlaub zu einer spirituellen Suche. Aber auch anspruchsvolle Kulturreisende wollen sich im Urlaub geistig-seelisch weiterentwickeln. Wer großen Wert auf körperliches Wohlbefinden und Sport im Urlaub legt, möchte im Urlaub nicht einfach nur aktiv sein, sondern Sport treiben und etwas für seine Fitness tun oder Wellness betreiben. Alles in allem geht es darum, seinem Körper gezielt – auf die eine oder andere Weise – etwas Gutes zu tun. Wie Abbildung 5 zeigt, ist die geistig-seelische Entwicklung für den ausgeglichenen Körperbewussten nur unterdurchschnittlich wichtig, dafür ist seine Präferenz für körperliches Wohlbefinden besonders ausgeprägt. Dieser Urlaubstyp möchte sich viel bewegen, Sport treiben und seinem Körper etwas Gutes tun. www.planung-analyse.de Sonderdruck 5 Die Reisetypen innerhalb der Einstellungs-Dimensionen geistig-seelische Entwicklung und körperliches Wohlbefinden und Sport Im Folgenden soll am Beispiel ausgewählter Segmente aufgezeigt werden, welche praktischen Ableitungen sich aus einem durchgängig konsistenten Segmentierungsansatz ergeben, denn es liegen prägnante Handlungsempfehlungen für Marketing und Vertrieb in drei Richtungen auf der Hand: 1. Segmentspezifisch bezogen auf einzelne Typen, 2. Segmentübergreifend bezogen auf Entscheidungsphasen des Reiseprozesses und 3. Segmentübergreifend bezogen auf unterschiedliche Lebensphasen. Fokus 1: Segmentspezifische Handlungsempfehlungen Welche Hinweise für Marketing und Vertrieb lassen sich für die beiden oben skizzierten Segmente ableiten? Dazu wird im Folgenden nach den eingangs erwähnten Reisephasen differenziert (siehe Abbildung 6). Der ausgeglichene Körperbewusste handelt nach dem Motto keine Experimente: Die Sicherheit, bei einem bekannten Reiseveranstalter gebucht zu haben, bietet ihm das gewünschte Fundament für einen aktiven Urlaub. Er kann somit als Stammkunde gewonnen und mit entsprechenden 6 Segmentspezifische Verhaltensweisen des ausgeglichenen Körperbewussten entlang der Reiseentscheidungs-Phasen 6| planung & analyse 6/2008 Bindungsmaßnahmen versorgt werden. Sein Reiseanbieter sollte ihn für die Inspirations- und Informationsphase mit hauseigenen Zeitschriften und Magazinen bedienen. Anregungen bezüglich neuer Destinationen sind jedoch nicht jährlich nötig, man reist auch gerne an bereits bekannte Orte, so dass Urlaubsangebote für Deutschland, Österreich oder Italien häufig genügen. Typgemäße Empfehlungen fokussieren Aktivurlaube wie Trekking oder Fahrradtouren, aufgelockert durch kulturelle Events aller Art. Aufgrund seines hohen Reisebudgets sind Niedrigpreis-Offerten nicht angebracht; sie verunsichern ihn zudem, was seinem Profil widerspricht. Für seine Aktivitäten wünscht er sich vor allem detaillierte Informationen, die ihn zuverlässig vor Ort leiten, wie zum Beispiel offizielle Tourismus-Organisationen oder umfangreiche Reiseführer. Er bucht seine Reise am liebsten direkt beim (vertrauten) Veranstalter oder direkt beim Hotel und sollte von beiden Stellen aktiv angesprochen werden. Aufgrund geringer Online-Buchungs-Affinität ist dieser Vertriebsweg weniger wichtig. Da der ausgeglichene Körperbewusste ein treuer Kundentyp ist, lohnt es sich, ihn im Rahmen eines After-Sales-Marketings nach der Heimkehr zu seinen gemachten Erfahrungen und seiner Zufriedenheit mit der Reise anzusprechen. Und wie sollten Anbieter von Touristikleistungen dem anspruchsvollen Kulturreisenden begegnen? Dieses Segment gibt gerne Geld für guten Service aus, weshalb sich dieser Aspekt hier in besonderem Maße durch das Durchlaufen der Reisephasen ziehen sollte. Bei der Inspiration zum Urlaub orientiert sich der anspruchsvolle Kulturreisende an den gängigen Vorstellungen vom Traumurlaub, die mit entsprechenden Fernsehberichten, Zeitschriftenbeiträgen oder Katalogen der Reiseanbieter eindrucksvoll vermittelt werden sollten. Die Tonalität der Ansprache sollte sich auf Selbstverwirklichung durch das Realisieren von Träumen beziehen. Der anspruchsvolle Kulturreisende wird gerne durch diverse Informationsquellen bedient, weshalb Anbieter einen Medien-Mix wählen sollten, das heißt, neben Katalogen auch Offerten über Internetseiten und Reisebüros machen. Dieser Reise-Typ tut sich mit der Auswahl des Urlaubsziels eher schwer, deshalb helfen unaufdringlich-verbindliche Beratung oder Reisebewertungsportale. Bucht der Typus des ausgeglichenen Körperbewussten auch einmal nur die Unterkunft, zeigt der www.planung-analyse.de Sonderdruck 7 Segmentszuordnung nach Lebensphasen anspruchsvolle Kulturreisende Aufgeschlossenheit gegenüber Pauschalangeboten mit Niveau, wie sie etwa in Form von Studienoder Rundreisen Umsetzung finden. Auch hervorragende Verpflegung, zum Beispiel in gehobenen Restaurants, kann enthalten sein. Favorisiertes Verkehrsmittel ist das Flugzeug; vor Ort kann dieser Typ – ähnlich wie der ausgeglichene Körperbewusste – durch Sehenswürdigkeiten oder kulturelle Events gewonnen werden, ein guter Rundum-Service ist hier jedoch unerlässlich. In Punkto Nachbereitung zeigt sich der anspruchsvolle Kulturreisende emsiger als sein im Rahmen dieses Artikels vorgestelltes Vergleichssegment: Der Traum der Reise findet erst in seiner Bearbeitung zuhause ein Ende; hier könnte man ihm etwa durch die Möglichkeit helfen, Reiseerfahrungen oder -bilder online zu stellen. Fokus 2: Auf Entscheidungsphasen bezogene Handlungsempfehlungen Doch ging es uns nicht nur um eine ausschließlich segmentspezifische Betrachtung: Der Ansatz ermöglicht es darüber hinaus, durch die Einbeziehung der markttypischen Verhaltensweisen (Mediennutzung, Buchungspräferenzen, Informationsprozesse etc.) in den unterschiedlichen Entscheidungsphasen der Reiseplanung, einzelne Vertriebsund Marketingprozesse auch segmentübergreifend abzustimmen. Hieraus wiederum lassen sich konkrete Empfehlungen ableiten, wie Kunden in den jeweiligen Entscheidungsphasen je nach Zugehörigkeit zu den Segmenten angesprochen werden müssen. So ist es beispielsweise für den Online-Reisevertrieb aufschlussreich zu betrachten, welche Segmente überhaupt Online-Buchungs- 7| planung & analyse 6/2008 möglichkeiten nutzen. Vor allem Segmente mit einem unterdurchschnittlichen Reisebudget wie der aktive Naturliebhaber oder der preissensible Partymacher buchen beispielsweise in OnlineReisebüros, aber auch viele der anspruchsvollen Kulturreisenden informieren sich dort häufig. Von Interesse ist auch, wer von Preisvergleichs- oder Bewertungsportalen angesprochen wird, oder wie sich die Integration von Bewertungen und Kommentaren anderer Reisender auf die Buchungsund Entscheidungsfindung auswirkt. So zeigt sich beispielsweise, dass sowohl der anspruchsvolle Kulturreisende als auch der preissensible Partymacher ihre Entscheidungsfindung in besonderem Maße durch Kommentare und Bewertungen anderer Reisenden absichern möchten. Reiseanbieter, die diesen Reise- und Kundentypus bedienen, unabhängig davon, ob dies online, über den Katalog oder das Reisebüro geschieht, würden hier gezielt von Maßnahmen profitieren, die erhöhte Glaubwürdigkeit durch die Einbindung von Nutzerbewertungen zur Verfügung stellen. Aber auch für die AfterSales-Phase eröffnet diese Herangehensweise spannende Hinweise für Marketing und Vertrieb. So lassen sich beispielsweise diejenigen Segmente, die ihre Reise gerne intensiv nachbereiten, im Rahmen von Reise-Guides oder Newslettern, gezielt über Angebote binden, die eine Nachbereitung ermöglichen, zum Beispiel das Hochladen von Bildern, Web-Fotoalben, Anbieter-seitige und personalisierte Reiseblogs etc. genen Merkmalsbereich hinsichtlich Einstellungs- und Motivmustern. Personen verändern aber auch Reisegewohnheiten und Präferenzen, sobald sie eine andere Lebensphase erreichen. Dynamische Segmentwanderungen gelten daher als normal, können aber in dem vorliegenden Modell besser antizipiert und bei der Entwicklung geeigneter Kundenbindungsinstrumente genutzt werden. Abbildung 7 gibt einen Überblick über sechs Lebensphasen, in die neben Alter und Berufstätigkeit auch das Alter der Kinder eingeflossen ist. Am Beispiel der oben skizzierten Segmente lässt sich die Segmentzugehörigkeit in Abhängigkeit von den Lebensphasen belegen. So sind die Reisenden mit Kindern (mit Klein- oder Schulkindern) in dem Segment der anspruchsvollen Kulturreisenden erwartungsgemäß unterrepräsentiert, interessanterweise zeigt sich aber ein vergleichsweise hoher Anteil von Jungen Reisenden ohne Kinder, die aufgrund des vorhandenen Einstellungsmusters auch entsprechend angesprochen werden können. Anders im Segment der ausgeglichenen Körperbewussten: Auch hier ist der Anteil der Familien mit Kindern niedrig; Kinderlose hingegen wandern mit zunehmendem Alter frühzeitig in dieses Segment, das vor allem durch die Gruppe der Älteren geprägt ist. Fazit Der hier am Reisemarkt vorgestellte zweistufige Ansatz ist in sich konsistent, einstellungsbasiert und prozessorientiert und ermöglicht daher die Ableitung sowohl von segmentspezifischen als auch segmentübergreifenden, auf Entscheidungs- und Lebensphasen bezogenen Handlungsempfehlungen. Damit eignet er sich prinzipiell für alle Branchen, in denen dem Verbraucherverhalten komplexe Entscheidungsprozesse vorgelagert sind und Produktpräferenzen je nach Lebensphase variieren. Fokus 3: Auf Lebensphasen bezogene Handlungsempfehlungen Viele Reiseanbieter richten ihr Angebot auf bestimmte Zielgruppen aus, die soziodemografisch und nach ihrer präferierten Urlaubs- und Reiseart unterschieden werden, zum Beispiel junge Familien mit Strand- und Meerurlaub. Dieser Ansatz ist pragmatisch, aber mit hohen Streuverlusten verbunden. Denn: Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (zum Beispiel junge Familien) umfasst einen sehr hetero- Literatur Rengelshausen, Oliver; Schmeißer, Daniel: Touristik 2.0. In: planung & analyse, 4/2007, S. 58-61. Maas, Jörg; Walter, Melanie: Anders auf die Daten schauen. Qualitative Typenbildung am Beispiel einer Reisestudie. In: planung & anylse, 6/2007, S. 69-73. www.planung-analyse.de