Bernd Riexinger Mehr Demokratie wagen – Wirtschaftsdemokratie und Umverteilung als Perspektiven für einen sozialen und ökologischen Richtungswechsel Vortrag zur Eröffnung der Konferenz „The relationship between government, market and society in different development models“ – Peking, 14.10.2014 Ich freue mich über die Einladung zu dieser Konferenz und die Gelegenheit zur Eröffnung ein paar Überlegungen zum Thema Ökonomie, Staat und Demokratie aus der Perspektive der Partei DIE LINKE beitragen zu können. Ich bedanke mich daher ganz herzlich bei unseren chinesischen GenossInnen der Internationalen Abteilung des ZK der KP Chinas, insbesondere der Forschungsabteilung der Internationalen Abteilung des ZK und des China Forschungszentrum für Fragen der gegenwärtigen Welt (CCCWS) für die Einladung zu dieser Konferenz. Ebenso danke ich der Rosa Luxemburg Stiftung! Aus meiner Sicht als Vorsitzender einer Partei, die als Ziel die Transformation zu einem demokratischen Sozialismus hat, sind mit dem Thema dieser Konferenz zentrale Zukunftsfragen für die sozialistische Linke in Deutschland, aber auch international angesprochen. Es geht darum, Erfahrungen und Probleme mit Transformationsprozessen über den Neoliberalismus hinaus auszutauschen und gegenseitiges Lernen zu ermöglichen! Eine Frage dieser Konferenz lautet: Wie kann ein Verhältnis von Markt und Staat und zwischen dem Handeln von Regierungen und der „Zivilgesellschaft“ so gestaltet werden, dass die Stabilität und soziale Harmonie in der Gesellschaft gefördert werden? Ich möchte mich dieser Frage von zwei Ausgangspunkten aus nähern: (1) Schon Marx hat gezeigt, dass der Kapitalismus als Gesellschaftsformation sich notwendigerweise in unauflösbaren Widersprüchen bewegt. Die innere Dynamik, nicht nur der Produktionsweise, sondern der Gesamtheit der sozialen und politischen Verhältnisse bringt immer wieder gesellschaftliche Gegensätze, Spaltungen und Krisen hervor, die eine wirkliche soziale 1 Harmonie unmöglich machen. Das neoliberale Denken vor Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2007 wollte diese Einsicht ad absurdum führen: Mehr „freier Markt“ sollte zu höheren Profiten, diese zu mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung führen, bis der produzierte Reichtum auf dem Wege des Marktes bei allen Mitgliedern der Gesellschaft ankommt. Spätestens seit der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 und ihren verheerenden sozialen Folgen in vielen Ländern zeigt sich, dass dieses Denken in Illusionen über die gesellschaftlichen Verhältnisse gefangen ist und das neoliberale Projekt gescheitert ist! Aber: Marx wusste auch, dass manche Ideen die Kraft einer „materiellen Gewalt“ erlangen – gerade dann, wenn sie zur Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse unter der Herrschaft von Klassen beitragen. Es stellt sich daher die Frage: wie beurteilen wir die gegenwärtige Krise des neoliberalen Kapitalismus? Diese manifestiert sich natürlich in unterschiedlichen Gesellschaften auf sehr spezifische Weise. Zumindest im politischen Diskurs in Deutschland herrscht derzeit der Eindruck, die Krise sei vorbei oder unter Kontrolle. Ein Blick unter die Oberfläche des vermeintlichen „Erfolgsmodells Deutschland“ zeigt aber, dass wir trotz vordergründiger wirtschaftlicher Stabilität mit einer Krisentendenz des durch die Exportwirtschaft dominierten Entwicklungspfades zu tun haben. Diese hat ihren eigenen Anteil daran, dass der neoliberale Kapitalismus weiter in einer seit 2007 ungelösten, tiefgreifenden Krise steckt. Diese Krise betrifft das Verhältnis von einer durch die Finanzmärkte dominierten Ökonomie und einer unter neoliberalen Vorzeichen veränderten Staatlichkeit. Vieles spricht dafür, dass die Krisenzusammenhänge noch weiter reichen: Ich denke an die Klima- und Ressourcenkrise, die mit Mitteln des Marktes (wie den Emissionshandel) und auch alleine mit ökologischeren Technologien nicht gelöst werden kann! An die mit den sozialen Verwerfungen etwa in Europa verbundenen autoritären Veränderungen der „westlichen“ parlamentarischen Demokratien. Diese Krisenzusammenhänge werfen die Frage nach grundlegenden über den neoliberalen Kapitalismus hinaus weisenden Alternativen im Verhältnis 2 von Ökonomie, Staat und Demokratie mit großer Dringlichkeit auf! Ich möchte am Beispiel des vermeintlichen „Erfolgsmodell Deutschland“ Grenzen des export-dominierten und markt-orientierten Entwicklungspfades aufzeigen - und Alternativen für einen Einstieg in einen „sozial gerechten und ökologisch zukunftsfähigen Entwicklungspfad zur Diskussion stellen. (2) Der zweite Ausgangspunkt betrifft die Erfahrungen mit den Versuchen des 20. Jahrhunderts, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Sie haben eigene Widersprüche und Krisen hervorgebracht – die u.a. zum Untergang „realsozialistischer“ Gesellschaftsmodelle wie in der Sowjetunion und in der DDR geführt haben. Sozialismus-Versuche scheiterten an dem Versuch, die kapitalistischen Führungsmächte in der Systemkonkurrenz zu überflügeln. An der fehlenden Innovationskraft einer von oben, staatlich gelenkten Planwirtschaft. Damit aber auch am eklatanten Mangel von Demokratie nicht nur im Staat und der schwachen Ausprägung einer sozialistischen Zivilgesellschaft, sondern auch in der Ökonomie selbst. Die Frage nach dem Verhältnis von Ökonomie und Politik muss somit zentral als Frage der Demokratisierung von Ökonomie, Staat und Zivilgesellschaft gesehen werden! Der griechische Marxist Nicos Poulantzas formulierte schon vor dem Untergang der Sowjetunion und der DDR in den 70er Jahren, dass eine sozialistische Demokratie einen Weg jenseits von Sozialdemokratie und autoritärem Staat suchen müsse. Für die globale Linke und auch für meine Partei, die LINKE, wirft das die Frage auf, welche neuen Strategien die Linke für eine solche Demokratisierung von Ökonomie, Staat und Zivilgesellschaft verfolgen kann. Dabei kann es durchaus produktiv sein, Unterschiede und Parallelen zu den Herausforderungen in China mit dem Aufbau einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ zu diskutieren. Als Vorbereitung auf diese Konferenz habe ich versucht, mir einen Einblick in Diskussionen innerhalb der VR China zur weiteren Gestaltung der ökonomischen, sozialen und politischen Reformprozesse im Land zu verschaffen. Die VR China versucht, einen eigenen Weg zu gehen und innerhalb des Weltmarktes eine andere Entwicklungsrichtung zu verfolgen als die neoliberale und durch die 3 Finanzmärkte dominierte. Eine andere Globalisierung jenseits des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus kann zwar nicht alleine von China ausgehen – in Deutschland als zweitgrößter Exportnation, der EU und den USA stünden für eine grundlegende Abkehr vom neoliberalen Modell ebenso gewaltige Umbrüche an. Aber: Die Zukunft der Weltwirtschaft und einer demokratischen und sozial gerechten Steuerbarkeit der Klimakrise werden zweifellos maßgeblich auch in China entschieden! Eine sozial-ökologische und demokratische Weiterentwicklung des Weges zu einem Sozialismus chinesischer Prägung hätte zweifellos massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft - und könnte eine politische und kulturelle Ausstrahlungskraft entfalten, die Chinas Rolle in der Welt stärken würde! Mir ist bewusst, dass in der bisherigen Entwicklung gigantische Herausforderungen der Industrialisierung, der Urbanisierung, der Bekämpfung der Armut und des Ausbaus der Bildung bewältigt worden sind. Die Herausforderungen für eine Weiterentwicklung zu einem neuen sozialökologischen Entwicklungspfad sind ebenso gigantisch und komplex: etwa eine sozial gerechte, demokratische und ökologische Gestaltung der Urbanisierung, die ökologische Krise und die Frage einer zukunftsfähigen Produktions- und Konsumweise… Inspirierend und weitreichend fand ich dabei einen Gedanken und Anspruch, den der Präsident und Generalsekretär Xi Jinping in jüngster Vergangenheit ausgeführt hat: Er versteht Sozialismus – was ich für unterstützenswert halte – als „eine völlig neue Form von Gesellschaft“. Damit stellt sich die Frage nach einer „völlig neuen Weise des Regierens“. Dabei geht es um die Herausforderung der „Vertiefung von Reformen“, die das Verhältnis von Markt und Staat, von ökonomischer, sozialer und politischer Reform neu ausbalancieren mit dem Ziel „soziale Gleichheit, Gerechtigkeit und Wohlstand“ voranzubringen. Ich möchte diese Frage aufgreifen und zum Ende meines Vortrages versuchen, ein paar kurze Überlegungen aus der Diskussion der LINKEN in Deutschland um eine sozial-ökologische Transformation in zur Diskussion zu stellen: Wie könnten Einstiege in eine sozial-ökologische Wirtschaftsdemokratie als 4 Transformationsprojekt aussehen? Mit welchen offenen Fragen sind wir dabei konfrontiert? II. Das Exportmodell in Deutschland ist keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Blockade für eine soziale und ökologische Zukunft Mehr als 5 Jahre nach Beginn der tiefgreifenden Krise wird gegenwärtig von der Bundesregierung und den Parteien der Großen Koalition, von großen Teilen der Medien und der mainstream-Wissenschaft wieder das Loblied auf das „Modell Deutschland“ gesungen. Die Bundesregierung und Unternehmen verweisen darauf, dass die BRD gestärkt aus der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 hervorgegangen sei und die wirtschaftliche und soziale Lage besser sei als im EU-Durchschnitt. Dabei wird besonders die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie als Schlüssel und Motor der zukünftigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gepriesen. Ein Blick unter die Oberfläche zeigt jedoch die Kehrseiten, die fatalen Folgen des Versuches, durch neoliberale Politik das exportdominierte Entwicklungsmodell in der Krise fortzusetzen: Wie schon vor der Krise basiert die Stärke der deutschen Exportindustrie nicht nur auf der qualitativen Wettbewerbsfähigkeit auf Grund der hohen Spezialisierung der Industrie, insbesondere der Investitionsgüterindustrie und der hohen Qualifikation der Beschäftigten, sondern maßgeblich auf „Lohndumping“! Im Ergebnis der Agenda-Reformen der Regierung Schröder hat Deutschland mittlerweile die niedrigsten Löhne im privaten Dienstleistungssektor in der EU. Mit den sog. Hartz-Gesetzen (benannt nach dem früheren VW-Manager Peter Hartz) wurde eine Politik der systematischen Spaltung des Arbeitsmarktes durch Ausbau des Niedriglohnsektors und prekärer Beschäftigung vorangetrieben. Prekäre Beschäftigung ist fester Teil des Produktionsmodells geworden, unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen. Mehr als ein Viertel der Menschen arbeiten mittlerweile in prekären Arbeitsverhältnissen – sie können mit ihrer Arbeit weder ihre Existenz sichern noch ihre Zukunft planen! 5 Die Geschichte des vermeintlichen „neuen Jobwunders“ - der Verringerung der Arbeitslosigkeit seit dem Kriseneinbruch 2008f muss anders erzählt werden: Die staatlich geförderte Arbeitszeitverkürzung (Kurzarbeit) beruhte auf der erzwungenen Flexibilität der Beschäftigten (die vor der Krise massive Überstunden auf Arbeitszeitkonten aufbauten, die dann in der Krise abgebaut wurden). Das bedeutet auch, dass die Unternehmen auf flexible und längere Arbeitszeiten statt auf mehr Beschäftigung setzen. Zudem pendeln viele Menschen zwischen Erwerbslosigkeit und nicht-existenzsichernden, prekären Jobs. Die soziale Spaltung hat weiter zugenommen. Langzeiterwerbslose haben kaum eine Chance auf existenzsichernde Erwerbsarbeit und leben am Rande oder unterhalb der Armutsgrenze. Das Krisenmanagement der Bundesregierung seit 2008 setzt auf ein „weiter so“ mit Kurskorrekturen innerhalb des neoliberalen Rahmens. Die Korrekturen stärken die Rolle des Staates, etwa bei der halbherzigen Regulierung der Banken. Deutlicher ist da schon die Einführung des Mindestlohns, die maßgeblich auf den jahrelangen Druck u.a. der Gewerkschaften und der LINKEN zurückzuführen ist! Die Rolle des Binnenkonsums wird so etwas gestärkt, auch der leichte Anstieg der Reallöhne in den Jahren nach der Krise hat dazu beigetragen. Die Entwicklung der Reallöhne stagniert jedoch längst wieder. Die schon vor der Krise für den neoliberalen Finanzmarktkapitalismus prägende „Aneignung durch Enteignung“ wird fortgesetzt: die Unternehmen versuchen ihre Profite durch eine neue Welle der Restrukturierungen, durch Auslagerungen, Lohnsenkungen, längere Arbeitszeiten und Ausbau prekärer Arbeit zu sanieren. Es bleibt bei einer durch die Finanzmärkte angetriebenen Investitionsdynamik, die kurzfristige Investitionen und überdurchschnittliche Renditen sucht. Auch die Politik des Freihandels wird weiter verfolgt – wie der Versuch des USA-EU-Freihandelsprojekts TTIP zeigt. Gegen einen wachsenden Widerstand sollen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA (mit Kanada) durchgesetzt werden - mit verheerenden Folgen für die Arbeitsbedingungen und Löhne, für die öffentliche Gesundheitsversorgung und die staatlich organisierte Daseinsvorsorge in Deutschland! 6 Die Krisenursachen von 2008f. werden hingegen nicht beseitigt: die massive Umverteilung von „unten nach oben“, die Aufblähung der Finanzmärkte, die Schwächung der Konsumnachfrage durch Reallohnsenkungen und Prekarisierung, die geringe Investitionsdynamik und die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft. Die Politik der deutschen Bundesregierung in der sogenannten Euro-Krise zeigt, dass es ihr auch nicht darum geht, die massiven Ungleichgewichte in der EU und der Weltwirtschaft zu verringern. Vielmehr geht es darum, die dominante Position der deutschen Exportindustrie auf Kosten der anderen EU-Länder zu festigen - diese Politik hat bereits in die sog. EURO-Krise geführt und führt gegenwärtig zu einer sich vertiefenden Spaltung Europas! Die derzeitige Krisenpolitik sitzt einem dreifachen Irrglauben auf: - Dass man sich aus der Krise heraussparen kann - Dass eine stärkere Orientierung der Wirtschaftsstrukturen auf Exportkonzerne und Finanzmärkte-durch neoliberale Strukturreformen zu gesamtgesellschaftlich sinnvollen Investitionen und Arbeitsplätze führt - Dass sich innerhalb eines Wirtschaftsraums alle Länder am Leitbild der Exportnation orientieren können. Diese Rechnung geht nicht auf! Die Austeritätspolitik hat verheerende Folgen die Menschen in Griechenland, Spanien, Portugal, sie werden in eine Dauerkrise aus Arbeitslosigkeit, Verarmung und Zerstörung des öffentlichen Gesundheitswesens gestürzt! Die wirtschaftliche Stagnation in der EURO-Zone hält an, weil die Binnennachfrage abgewürgt wurde. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der EU nehmen weiter zu. Durch die Politik der EZB werden die Märkte für Staatsanleihen zwar zeitweilig stabilisiert. Der Grundwiderspruch, dass die Schuldtitel die Wirtschaftsleistung der betroffenen Länder bei weitem übersteigen, bleibt ungelöst. Im Kern geht es also darum, ob die Ansprüche der Vermögenden auf die Aneignung des zukünftigen gesellschaftlichen Reichtums (nichts anderes sind die Vermögenswerte auf den Finanzmärkten) staatlich gesichert und durch Lohnsenkungen etc. eingelöst werden – oder eben nicht. Eine Lösung der Krise kann es nur geben, wenn der Reichtum auf den Finanzmärkten durch massive Besteuerung 7 Auch in Deutschland kann es nicht dauerhaft ein exportgetriebenes Wachstum auf Kosten der anderen EU-Staaten geben. Für das deutsche Exportmodell gilt weiter, was auch vor der Krise galt: Die Exportorientierung geht mit einer schwachen Investitionsdynamik einher. Das Exportmodell zeichnet sich durch das Prinzip „profitieren, ohne zu investieren“ aus! Zwischen 2001 und 2007 waren Dreiviertel des Wirtschaftswachstums vom Export abhängig. Zugleich blieb die wirtschaftliche Dynamik relativ schwach: Wirtschaftswachstum mit 1,24% unter dem EU-Durchschnitt von 2.1%. Aufgrund der schwachen Konsumnachfrage und Rückgang staatlicher Investitionen wurde ein Großteil des gesellschaftlichen Reichtums im Ausland bzw. auf den Finanzmärkten investiert: Deutsche Banken finanzierten die private Verschuldung in den USA und waren die größten Kreditgeber für private und staatliche Verschuldung in den späteren Krisenländern Griechenland, Portugal, Irland und Spanien. Zum Teil wurden mit Krediten deutscher Banken teure Infrastrukturprojekte und Rüstungsgeschäfte bezahlt, die zur Verschuldung in Griechenland beitrugen. Es kommt zu einer tiefgreifenden Krise der gesellschaftlichen Investitionsfunktion: Derzeit haben wir als reiches Land vor allem in der Infrastruktur, den Krankenhäusern, in der Pflege, im Bildungs- und Erziehungsbereich Investitionsrückstände in Milliarden-Höhe! In vielen Regionen fehlen hunderttausende bezahlbare Wohnungen, auch bei der Finanzierung der Energiewende hin zu erneuerbaren Energien fehlen wichtige Zukunftsinvestitionen! Es zeigt sich immer mehr: Ohne eine Stärkung der öffentlichen Investitionen und eine deutliche Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums lassen sich notwendige Investitionen nicht auf den Weg bringen. Das „Erfolgsmodell Deutschland“ mit seit Jahren stagnierenden und sinkenden Löhnen, prekären Jobs für ein Drittel der Bevölkerung, Steuersenkungen für Unternehmen erweist sich als Zukunftsblockade. Es ist daher eine gefährliche Illusion, wenn die Bundesregierung und der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Gabriel trotz Kritik aus dem In- und Ausland an einem ausgeglichenen Haushalt festhalten und darauf hoffen, dass private Investitionen vom Himmel fallen. Die in der deutschen Verfassung seit 2008 verankerte Schuldenbremse ist 8 eigentlich eine Zukunftsbremse! Eine Lösung der Krise ist nur durch steigende Löhne, eine Umverteilung des Reichtums und öffentliche Investitionen möglich. Die LINKE kritisiert seit Jahren die ungerechte Verteilung der Einkommen und Vermögen auch in Deutschland: hier besitzt das 1% der Superreichen etwa 32% des gesamten Privatvermögens, während die „unteren“ 50% der Bevölkerung gar kein Vermögen mehr ansparen können. In seinem aktuellen Buch zeigt der französische Ökonom Thomas Piketty auf, dass wir eine Tendenz des neoliberalen Kapitalismus zur Oligarchisierung haben: eine kleine Elite von Vermögensbesitzern dominiert durch ihre finanzielle, wirtschaftliche und politische Macht die Entwicklung ganzer Gesellschaften und vererbt Reichtum, Macht und Privilegien. Die Konzentration von Macht und Vermögen auf der einen Seite, die Abwendung der Armen, Prekarisierten und Enttäuschten von den Parteien und der Beteiligung an Wahlen führt auch zur einer Krise der westlichen, parlamentarischen Demokratien. Diese Prozesse haben in einigen Ländern wie Griechenland oder Spanien zur Stärkung der linken Kräfte geführt. Insgesamt überwiegt jedoch in den letzten Jahren der Aufstieg rechts-populistischer und nationalistisch-chauvinistischer Kräfte etwa in den USA und in vielen Ländern der EU. Im Zuge des Krisenmanagements in der Europäischen Union werden die demokratischen Entscheidungswege umgangen und die Parlamente zunehmend entmachtet. Durch den Fiskalpakt sollen Austeritätspolitik und neoliberale „Reformen“ auf Dauer festgeschrieben - nach der Zustimmung durch die nationalen Parlamente sollen diese Verträge nicht mehr revidierbar sein - und im Zweifelsfall auch gegen nationale Parlamente durchgesetzt werden. Der Staat transformiert sich immer mehr zu einem „autoritären Wettbewerbsstaat“! Der Blick auf die Krisenzusammenhänge macht deutlich: Es greift daher zu kurz, einfach nur auf „mehr Staat“ zu setzen! Gefragt ist eine Umgestaltung des gesamten gesellschaftlichen Entwicklungspfades und des Staates selbst. Das stärkere Eingreifen des Staates in der Krise, bedeutet eben keinen Einstieg in eine andere gesellschaftliche Entwicklungsrichtung. Schon der italienische Marxist Antonio Gramsci hat mit Blick auf die Krise der 1930er davon 9 gesprochen, dass in den Krisen der Staat von größerer Bedeutung für die Herstellung der gesellschaftlichen Bedingungen der Kapitalakkumulation wird. Unter den bestehenden Kräfteverhältnissen kann das Eingreifen des Staates bedeuten, dass die Krise verlängert werde, so Gramsci: Die weiter dominanten Kräfte des bestehenden Entwicklungsmodells haben „nicht die Kraft, die Krise zu lösen, aber zu verhindern, dass Andere sie lösen, mithin nur die Macht die Krise zu verlängern“. Die Krise besteht darin, dass „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“. Das klingt erschreckend aktuell, finde ich! Die gegenwärtigen Krisenzusammenhänge lassen sich innerhalb der Verteilungs- und Kräfteverhältnisse des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus zwar bearbeiten, aber nicht lösen. Die Widersprüche im Verhältnis von Ökonomie und Staat nehmen zu, ebenso wie die sozialen und politischen Verwerfungen! Die dominanten Kräfte der transnationalen Konzerne und der großen Vermögensanleger auf den Finanzmärkten – der 1%- 10% der Superreichen - wurden durch die Krise noch gestärkt. Ihre Machtstellungen blockieren einen Richtungswechsel zu einem sozial gerechten und ökologisch zukunftsfähigen Entwicklungspfad! Welche Alternativen schlägt die Linke vor? Die LINKE versteht sich als gesellschaftspolitische Kraft, die eine grundlegende Alternative zum herrschenden Entwicklungsmodell gesellschaftlich mehrheitsund durchsetzungsfähig machen will. Dabei diskutieren und verfolgen wir eine Politik der Transformation: unmittelbare Reformschritte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen und der Lebensqualität der Mehrheit der Bevölkerung, die aus den unteren und mittleren Klassen kommt, sollen mit Strukturreformen verbunden werden. Dabei geht es zunächst um einen Bruch mit der neoliberalen Politik und der finanzmarktgetriebenen, exportdominierten Entwicklungsrichtung hin zu einem neuen „New Deal“, einem sozial gerechteren und ökologisch zukunftsfähigen Entwicklungspfad. Diese Strukturreformen sollen im Sinne einer „doppelten Transformation“ wirken: Als Einstiege in einen anderen Entwicklungspfad sollen sie zugleich die 10 Gesellschaft demokratisieren und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse so verschieben, dass Einstiege und Übergänge zu einem längerfristigen sozialistischen Transformationsprozess möglich werden. Es wäre sicherlich eine interessante Diskussion für diese Tagung, was in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten und Konjunkturen (Kräfteverhältnissen) in Deutschland und in China unter „sozialistischen Strukturreformen“ verstanden wird… Die radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und eine demokratische Steuerung der Investitionen sind Schlüsselfragen für eine Neugestaltung des Verhältnisses von Markt, Staat und Demokratie in der Krise. Als Einstiege in eine sozial-ökologische Transformation zielt die Politik der LINKEN darauf, mindestens vier Stränge miteinander zu verbinden: Erstens den Kampf gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse und für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums durch eine politische Lohnoffensive (die Stärkung der Gewerkschaften und Flächentarifverträge, eine stärkere Regulierung der Arbeitsmärkte) Zweitens die Umverteilung der Profite und Vermögen durch Steuergerechtigkeit Drittens die Stärkung des öffentlichen Eigentums und der Daseinsvorsorge durch ein Zukunftsinvestitionsprogramm für den sozial-ökologischen Umbau: - Finanzierung der Kommunen und Förderung von Rekommunalisierung im Bereich der Daseinsvorsorge - Ausbau von Gesundheit und Pflege; Erziehung und Bildung - Energiewende: durch Förderung erneuerbarer Energien in Form von dezentralen Energiegenossenschaften und Stadtwerken; Es gibt in manchen Regionen zivilgesellschaftliche Bewegung und Druck für ReKommunalisierungen - Förderung ökologischer Mobilitätswende: Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs - Ebenso mehren sich die Proteste von MieterInnen gegen rasante Mietsteigerungen und den Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Die 11 LINKE tritt dafür ein, Wohnen nicht dem Markt überlassen: Markt ist offensichtlich nicht das richtige Instrument, um den gesellschaftlichen Bedarf für das Grundbedürfnis nach gutem Wohnen zu organisieren. Viertens die demokratische Kontrolle der Banken und die Regulierung der Finanzmärkte. III. Ausblick: Wirtschaftsdemokratie für einen sozial-ökologischen Richtungswechsel Die Möglichkeiten, Einstiege in einen neuen, sozial gerechten und ökologisch zukunftsfähigen Entwicklungspfad durchzusetzen, hängen natürlich von den jeweiligen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab. Diese verändern sich dann grundlegend, wenn Regierungsmacht und Kämpfe der Menschen für gesellschaftliche Alternativen, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Initiativen und Gewerkschaften in eine produktive Wechselwirkung kommen! Die Herausforderungen eines sozial-ökologischen Entwicklungspfades sind für VR China und die BRD bzw. die EU als wirtschaftlichem und politischem Raum sehr unterschiedlich, aber es gibt Möglichkeiten voneinander zu lernen und es ist ein wichtige Aufgabe wissenschaftlicher und politischer Diskussionen wie hier in diesem Rahmen, gemeinsame Fragen und Herausforderungen herauszuarbeiten. Dazu abschließend nur einige kurze Überlegungen für die Diskussion: Ich sehe auch drei gemeinsame Herausforderungen und Fragen für eine Gestaltung eines sozial-ökologischen Pfadwechsels: (1) Wie kann die Exportabhängigkeit reduziert werden und eine ökologische Konversion der Industrien sowie eine ökologisch zukunftsfähige Energie- und Ressourcenpolitik vorangetrieben werden? Das sieht sicherlich für China anders aus, aber auch hier stellt sich die Frage, wie der entstandene gesellschaftliche Reichtum für eine soziale und ökologische Industriepolitik und öffentliche Infrastruktur verwendet werden kann. 12 (2) Stellt sich die Frage nach gemeinsamen Alternativen zur Finanzmarktsteuerung und dem neoliberalen Projekt des Freihandels - für eine gerechte und ökologisch zukunftsfähige Ordnung des Welthandels mit Entwicklungschancen für alle Gesellschaften Konkret geht es dabei ja auch darum, eine neue globale Blockkonfrontation von USA (und möglicherweise EU) auf der einen Seite und China und dem asiatischen Raum auf der anderen Seite zu verhindern. So wird das Freihandelsprojekt TTIP derzeit in den USA und der EU auch mit Verweis auf die Konkurrenz zur VR China vorangetrieben. Die LINKE kritisiert dieses Projekt als Angriff auf soziale, ökologische Standards und die Demokratie sowie als imperiales Projekt, das einer gerechten Globalisierung im Wege steht. Ich denke: Es bleibt die gemeinsame Verantwortung der EU und Chinas, für soziale, ökologische und demokratische Standards und Rechte sowie den Abbau regionaler Ungleichheiten in einer neuen Weltwirtschaftsordnung einzutreten. (3) Geht es um Verständigungsprozesse über den Charakter sozialistischer Transformation. Dabei stehen wir vor einer komplexen Problemkonstellation: Die Direktivplanung der gesamten Wirtschaftsprozesse durch die Partei ist im sowjetischen Modell und in der DDR gescheitert. Eine Steuerung der gesellschaftlichen Investitionen, ein rationaler Einsatz der gesellschaftlichen Gesamtarbeitskraft kann aber auch nicht über den Markt und den Anreiz der Profitmaximierung erfolgen. Auch die Antwort „mehr Staat“ greift schnell zu kurz, wenn sie nicht zugleich als Frage der Ausweitung der Demokratie in Staat, Zivilgesellschaft und der Ökonomie verstanden wird! Die Diskussion in der Partei die LINKE geht in die folgende Richtung: Unser Parteiprogramm versteht eine neu zu findende Form der „Wirtschaftsdemokratie als eine tragende Säule eines demokratischen Sozialismus“ im 21. Jahrhundert. Wirtschaftsdemokratie könnte ein Einstiegsprojekt in eine „doppelte Transformation“ (Dieter Klein) sein: eine sozial-ökologische und demokratisierende Alternative zum neoliberalen 13 Kapitalismus und Übergänge zu einer perspektivischen sozialistischen Transformation. Zentral ist eine Demokratisierung der Investitionsplanung und Steuerung u.a. durch - einen gesellschaftlichen Investitionsfond, der in öffentliches und genossenschaftliches Eigentum investiert. - Die Grundversorgung mit lebensnotwendigen Leistungen und Gütern zur Befriedigung der Grundbedürfnisse darf nicht dem Ungleichheit produzierendem Markt überlassen werden –sie muss durch eine öffentliche soziale Infrastruktur der Daseinsvorsorge organisiert und garantiert werden. Das wird auch als Commons oder als „InfrastrukturSozialismus“ diskutiert. Der wachsende gesellschaftliche Reichtum müsste primär in den Ausbau des sozialen Konsums in der öffentlichen Daseinsvorsorge (Gutes Wohnen, Gesundheitsversorgung, Pflege, Bildung, ökologische Mobilität für Alle) investiert werden. - Die Eigentumsfrage muss neu gestellt werden: die Schlüsselindustrien und der Finanzsektor müssen dem privaten Eigentum entrissen werden und demokratische gestaltet – es kann aber nicht alleine um Verstaatlichung gehen, ebenso sind Belegschaftseigentum, Genossenschaften gefragt. - Staatunternehmen wie Unternehmen der Privatwirtschaft müssen demokratisiert werden: Durch Ausweitung der Mitbestimmung in den Unternehmen, verbindliche Mitbestimmungsrechte auch bei Personal- und Investitionsentscheidungen; Wirtschaftsräte aus kommunaler und regionaler Politik, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Für China mit einem noch bedeutenden Staatssektor stellt sich die Frage anders als in Deutschland: Wie kann der Staatssektor eine wichtige Rolle 14 bei der ökologischen Modernisierung der Wirtschaft spielen? Wie kann eine gesellschaftliche Infrastruktur aufgebaut werden, die die Befriedigung der Grundbedürfnisse nicht dem Markt überlässt? - Wirtschaftsdemokratie braucht Zeit und eine Umverteilung der gesellschaftlichen Arbeit! Ein anderes Entwicklungsmodell müsste auch die Konsumgewohnheiten verändern durch Ausbau des kollektiven Konsums statt privatem Warenkonsum. Dafür ist die radikale Verkürzung der Arbeitszeit eine Schlüsselfrage. Die größte Herausforderung liegt in der Demokratisierung der Transformation zu einem neuen Entwicklungspfad! Das ist auch die Lehre aus dem Scheitern des Staatsozialismus in der Sowjetunion und der DDR. Daher interessiert mich besonders, welche Diskussionen hier in China zum Verhältnis von Markt, Staat und Demokratie geführt werden. Wie könnte die „Leitung der sozialistischen Modernisierung“ (Xi Jinping) aussehen? Das heisst auch: Wie kann „mehr Demokratie“, eine Beteiligung und demokratische Kontrolle durch die Arbeitenden und die Zivilgesellschaft, bei der Reform der Staatsbetriebe, der Planung der Wirtschafts- und Sozialpolitik und der Infrastruktur auf den verschiedenen Ebenen verwirklicht werden? Mit einer sozialen, ökologischen und demokratischen Weiterentwicklung der bisherigen Entwicklungsrichtung würde die VR China eine globale Vorreiterstellung einnehmen! Dann würde die Diskussion um eine „doppelte Transformation“ zu einem „demokratischen und ökologischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ auch in Europa auf neue Grundlagen gestellt. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit! Ich freue mich auf die Diskussion! 15