LB Schiller 3.0:klLB 11,5 x 18,7

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EI N E KLEI N E L AN DESB I B LIOTH EK
Herausgegeben von
Hermann Bausinger, Friedemann Schmoll,
Monique Cantré und Werner Witt
Band 1
Friedrich Schiller
Die Räuber
Der Verbrecher aus
verlorener Ehre
Eingeleitet und herausgegeben von
Monique Cantré
Klöpfer & Meyer
Inhaltsübersicht
Idol der Freiheit
Eine Einleitung von Monique Cantré
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Das Schauspiel »Die Räuber« folgt im Wesentlichen der 1895 von
Ludwig Bellermann herausgegebenen Ausgabe des Bibliographischen
Instituts Leipzig und Wien (Meyers Klassiker-Ausgaben).
Die Erzählung »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« folgt der
Weimarer Nationalausgabe von 1954. (Schillers Werke, 16. Band.
Erzählungen. Herausgegeben von Hans Heinrich Borcherdt.
Böhlau Verlag, Weimar 1954.)
In beiden Fällen wurden Schreibweise und Interpunktion behutsam
modernisiert.
© 2009 Klöpfer und Meyer, Tübingen.
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-940086-50-1
Redaktion: Andreas Vogt, Tübingen.
Umschlaggestaltung: Christiane Hemmerich
Konzeption und Gestaltung, Tübingen.
Herstellung, Gestaltung und Satz: niemeyers satz, Tübingen.
Druck und Einband: Pustet, Regensburg.
Mehr über das Verlagsprogramm von Klöpfer&Meyer
finden Sie unter www.kloepfer-meyer.de
Die Räuber
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Der Verbrecher aus verlorener Ehre
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Idol der Freiheit
Eine Einleitung
Friedrich Schillers (1759–1805) Werke sind ein prägender Bestandteil des deutschen Bildungskanons und der
Schullehrpläne. Bis heute ist darum auch das Interesse
an der Person des zweifellos berühmtesten Dichters aus
Württemberg wach. Selbst seine Knochen sind noch
immer für Schlagzeilen gut: DNA -Analysen haben im
Frühjahr 2008 zweifelsfrei geklärt, dass keiner der beiden Schädel in seinem Sarg in der Weimarer Fürstengruft ihm gehörte. Vermutlich hat den echten jemand
kurz nach der Beerdigung 1805 gezielt vertauscht, um
ihn vor dem Vermodern zu retten, denn es herrschte zur
damaligen Zeit ein wahrer Totenkopfkult und man war
überzeugt, von der Knochenform auf das Genie schließen zu können. Welche Magie musste für die Bewunderer des Geistesgiganten Schiller von seiner Hirnschale
ausgegangen sein!
Bevor die Gebeine Schillers 1826/27 vom Jakobskirchhof in die Fürstengruft umgebettet wurden, hat
sich auch Goethe der übersinnlichen Energiequelle des
Schädels bedient. Er hat ihn – oder was er dafür hielt –
für einige Wochen auf einem blauen Samtkissen unter
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einer Glashaube in seinem Haus aufbewahrt und poetisch darüber reflektiert: »Bei Betrachtung von Schillers
Schädel«. Goethe, der gemeinsam mit Schiller den
Klassiker-Gipfel deutscher Literatur darstellt, bereitete
mit seinem überschwänglichen »Epilog zu Schillers
Glocke« die Heroisierung seines Freundes vor.
Die kultische Verehrung hat für Friedrich Schiller
schon bald nach seinem allzu frühen Tod mit 45 Jahren
eingesetzt und sollte später alles, was jemals in Deutschland zu Ehren eines Dichters veranstaltet wurde, in
den Schatten stellen. Das große Schillerfest zu seinem
100. Geburtstag wurde 1859 drei Tage lang nicht nur
an allen Universitäten des Landes, in öÏentlichen
Reden und Zeitungsartikeln begangen, sondern auch
in über 440 deutschen Städten mit Umzügen gefeiert.
Das Fest schloss auch das Gedenken an die 1848/49erRevolution ein und wurde als Markstein für den Aufbruch in ein neues Zeitalter in Freiheit und Einheit
begriÏen.
Dafür nämlich stand das Werk Friedrich Schillers:
Für die Utopie eines von »Tyrannenketten« befreiten,
menschenwürdigen, brüderlichen Zusammenlebens:
»Seid umschlungen Millionen!« Thomas Mann fasste
in seiner Rede zum 150. Todestag des Dichters am
8. Mai 1955 – zehn Jahre nach der größten deutschen
Tyrannen-Katastrophe – im Stuttgarter Staatstheater
zusammen, was Schiller der Nachwelt hinterlassen
habe: Seinen »Willen zum Schönen, Wahren, Guten, zur
Gesittung, zur inneren Freiheit, zur Kunst, zur Liebe,
zum Frieden, zu rettender Ehrfurcht des Menschen vor
sich selbst.«
Im Taumel der Begeisterung der vielen Jubelfeste
wurde Friedrich Schiller auch als populäre Sympathiefigur vereinnahmt: als Mann des Volkes, Liebling der
Frauen, Dichter der Jugend. Zugleich wurde er in der
idealistischen Verklärung, wie ihn die Kolossalbüste seines Bildhauer-Freundes Johann Heinrich Dannecker
zeigt, in den Himmel gehoben. Und er war der mit Abstand meistgespielte deutsche Theaterautor. Es sollte
sich aber auch zeigen, dass sein Werk für völkische oder
auch sozialistische Ideologien nutzbar war. Er ist der
»strapazierfähigste Dichter Deutschlands«, kommentierte Marcel Reich-Ranicki.
Und so hat seine Wertschätzung auch die Delle in den
70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts überwunden, als es schick und vielleicht auch notwendig war,
Kritik an Schiller zu formulieren. Er galt plötzlich als
antiquiert, und seine Dramen wurden als wenig bühnentauglich, seine Figuren als blutleer abgetan. Zum
200. Todestag fand 2005 dann eine Rückbesinnung statt,
die mit der einstigen Schilleranbetung nichts mehr zu
tun hat, sondern nüchtern und kritisch-historisch auf
die Werke schaut, »von denen viele so belehrend wie
unterhaltend und einige auch eminent ›modern‹ sind«,
wie Professor Norbert Oellers, der Herausgeber der
Schiller-Nationalausgabe, schreibt.
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Johann Christoph Friedrich Schiller wurde am 10.
November 1759 in Marbach am Neckar als Sohn eines
Wundarztes und einer Gastwirtstochter geboren. Der
schwäbische Pietismus des Elternhauses und die despotische Herrschaft des württembergischen Herzogtums
bestimmten das geistige Klima, in dem er aufwuchs.
In Ludwigsburg besuchte er die Lateinschule zur Vorbereitung aufs geistliche Amt. Als dreizehnjähriger
Hochbegabter befahl ihn Herzog Carl Eugen gegen den
Willen der Eltern auf sein Eliteinternat, die »MilitairPflanzschule« auf der Solitude, ab 1781 die Hochschule
»Hohe Carlsschule« in Stuttgart, wo die Schüler für
den höheren Landesdienst gedrillt wurden. Die Eltern
mussten unterschreiben, dass er dem Herzog »übereignet« werde, um lebenslang dem Haus Württemberg zu
dienen. Unter strenger militärischer Zucht studierte
Friedrich Schiller zunächst Jura und dann Medizin.
Heimlich las er alles, was er an – vom Herzog verbotener – »schöner Literatur« bekommen konnte, und
heimlich schrieb er oft nachts oder auf dem Krankenlager nach etlichen Prosatexten und Gedichten sein erstes großes Drama »Die Räuber«.
Dieses konnte er zur Uraufführung ins kurpfälzische
Ausland schmuggeln, ans Nationaltheater Mannheim,
wo es am 13. Januar 1782 mit sensationellem Erfolg uraufgeführt wurde. Inkognito war Schiller zur Premiere
angereist, kam freilich ein wenig zu spät, weil er durch
ein »schmuckes Kellermädchen in Schwetzingen« auf-
gehalten worden war. Als er im Mai in Begleitung zweier
Damen zum zweiten Mal über die Grenze nach Mannheim reiste, flog er auf und bekam von seinem Herzog
eine vierzehntägige Arreststrafe aufgebrummt. Als es
dann auch noch diplomatische Verwicklungen mit der
Schweiz gab, weil in den »Räubern« der Kanton Graubünden als Gaunernest – »Athen der Jauner« – bezeichnet wird, erteilte Carl Eugen dem 23-Jährigen Schreibverbot. Nun war der Punkt erreicht, wo den ehrgeizigen
jungen Schriftsteller nichts mehr in seinem Vaterland
hielt. Zusammen mit einem Freund floh er am späten
Abend des 22. September 1782 aus Stuttgart.
Damit endete die schwäbische Epoche im Leben
Friedrich Schillers. Nur die Mundart kam ihm nicht abhanden; sein Leben lang sprach er schwäbisch, und in
seine Texte schlichen sich immer wieder schwäbische
Ausdrücke ein. Den Arztberuf gab er leichten Herzens
auf. Nach der Flucht und einem halben Jahr des Untertauchens in Thüringen wurde er in Mannheim als Theaterdichter angestellt. In der sumpfigen Rheinebene dort
erkrankte er schwer an Malaria und verlor seine Stelle.
Wie schon vorher war er wieder auf wohlhabende
Freunde angewiesen oder musste Schulden machen.
Die Frauen haben den jungen Schiller, der bis zum
Alter von 21 Jahren in Carl Eugens Bildungskaserne
mönchisch gelebt hatte und die Liebe nur aus Büchern
kannte, sehr interessiert. OÏenbar kam er bei den weiblichen »Nebengeschöpfen« auch gut an. Als er dann als
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Dreißigjähriger Charlotte von Lengefeld heiratete, war
er bereits ein berühmter Dichter und in Jena Professor
für Geschichte. Etwas pikant ist die freilich nicht gänzlich aufzudeckende Dreiecks-Beziehung mit Charlottes
hübscher Schwester Caroline. Aber mit Charlotte
führte er dann eine erfüllte Ehe, aus der vier Kinder entsprossen. »Wären wir beide nur gesund, wir bräuchten
nichts weiter, um zu leben wie die Götter«, schrieb er.
Krank war Friedrich Schiller praktisch Zeit seines
Lebens und mit 45 Jahren erlag er seiner Schwindsucht.
Aber er schonte sich auch nie. Um auch nachts am
Schreibtisch bleiben zu können, putschte er sich mit
KaÏee und Alkohol auf, neben dem Tabakschnupfen
rauchte er stark, und außerdem schädigten ihn die
Überdosen von Medizin, mit denen er sich – selbst ja
Mediziner – von den Fieberattacken, Malariaanfällen
und Lungenentzündungen zu kurieren suchte. Schiller
hat seine Literatur einem kranken Körper abgetrotzt.
Welch ein immenses Pensum er dabei bewältigt hat,
zeigt allein schon eine stichpunktartige Übersicht. Nach
der Flucht nach Mannheim veröÏentlicht er 1783 das
republikanische Trauerspiel »Die Verschwörung des
Fiesko zu Genua« und 1784 »Kabale und Liebe« mit der
unverhohlenen Kritik an der Feudalgesellschaft. 1785
geht er auf Einladung Christian Gottfried Körners nach
Leipzig, hier entsteht die Hymne »An die Freude«, und
er beginnt die Arbeit an »Don Carlos«. Schiller lässt die
sozialkritische Sturm-und-Drang-Periode hinter sich
und zieht nach Weimar um; 1787 erscheint das Trauerspiel »Don Carlos«, inzwischen umgeformt zum idealistischen Jambendrama. Bekanntschaft mit Herder und
Wieland. 1789 erhält Schiller eine undotierte Professur
für Geschichte in Jena. 1790 Heirat mit Charlotte von
Lengefeld, 1791 schwere Lungentuberkulose, die ihn
zur Aufgabe der Professur zwingt. 1791–93 verfasst er
die »Geschichte des dreißigjährigen Krieges«, 1792–96
ästhetische und philosophische Studien und 1793 »Über
Anmut und Würde« zu seiner Kunstauffassung. 1794
Freundschaft mit Wilhelm von Humboldt und Bündnis
mit Goethe. 1795/96 philosophische Gedankenlyrik.
1795 »Über die ästhetische Erziehung des Menschen«,
1796 »Über naive und sentimentalische Dichtung«.
Herausgabe der Zeitschrift »Die Horen« und 1797 zusammen mit Goethe des Almanachs »Xenien«. 1797/98
entstehen zahlreiche Balladen. 1799 erneuter Umzug
nach Weimar und Vollendung der »Wallenstein«-Trilogie. Unermüdliche Dramen-Produktion: 1800 »Maria
Stuart«, 1801 »Die Jungfrau von Orleans«, 1803 »Die
Braut von Messina«, 1804 »Wilhelm Tell«. Unter der
Arbeit an dem Trauerspiel »Demetrius« ist Friedrich
Schiller am 9. Mai 1805 in Weimar gestorben.
Neben Schillers Lyrik haben heute in erster Linie
seine Dramen (und ein üppiger Zitatenschatz daraus)
die Zeitläufte überdauert. Er wusste genau, dass er sein
Publikum am besten über die Unterhaltung erreichen
konnte, nämlich über packende Geschichten auf dem
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Theater. Bereits sein Bühnenerstling »Die Räuber« bewies, wie perfekt Schiller Spannung und Emotion handhabte. In seiner Rede über die »Schaubühne als eine
moralische Anstalt« (1784) spricht er von der »Bildung
des Verstandes und des Herzens« und vom »herrlichen
Zuwachs an Mut und Erfahrung« durch das Theatererlebnis, das er indes auch als ein Instrument der Aufklärung begreift. Mit den »Räubern« traf er politisch und
privat den Nerv seiner Zeit: Die Sehnsucht nach Freiheit – nach dem Ausbrechen aus der absolutistischen
Unterdrückung.
Zwei ungleiche Brüder sind die Hauptpersonen des
Schauspiels »Die Räuber«: Karl und Franz von Moor.
Karl ist der Lieblingssohn des Vaters, sieht gut aus und
ist als Intellektueller voll idealistischer Erwartungen an
das Leben. Als Erstgeborener soll er auch später die
Grafschaft Moor erben. Franz ist hässlich und unbeliebt
und voller Neid auf seinen Bruder, der mit Cousine
Amalia auch noch eine Geliebte hat, in die er selbst
verliebt ist. Als Karl nach wilden, ausschweifenden Studentenjahren in Leipzig gesittet nach Hause ins Fränkische und zu seiner Braut zurückkehren möchte, intrigiert Franz und lässt ihm einen gefälschten Brief des
Vaters zukommen, in dem dieser ihn angeblich verflucht und droht, ihn in den Kerker zu werfen, sollte er
im Schloss auftauchen. Karls Enttäuschung schlägt in
Hass und Rebellion gegen Gott und die Welt um. Mit
seinen ebenfalls zur Abkehr aus der Gesellschaft ent-
schlossenen Kommilitonen bildet er eine Räuberbande,
die ihn zum Hauptmann wählt und in den böhmischen
Wäldern untertaucht. Während es Karl bei ihren Raubzügen um die Bestrafung despotischer Geldsäcke geht
und er die Beute an Arme verteilt, finden seine Kumpane mehr und mehr Gefallen am brutalen, wahllosen
Rauben und Morden. Nach einer grausamen Befreiungsaktion eines Freundes, bei der viele unschuldige
Menschen sterben, packt Karl die Reue. Schließlich erkennt er seinen Irrtum, als Verbrecher ein freier Mensch
sein zu können. Doch eine Rückkehr in sein früheres
Leben ist ihm verwehrt. Mittlerweile hat Franz ohnehin
verbreiten lassen, Karl sei tot, und hat außerdem den
Auftrag erteilt, den Vater zu vergiften, um an des Bruders Erbe zu gelangen. Es kommt zu einem spektakulären »Showdown«, in dem sich der seiner Untaten
überführte Franz umbringt, Karl seine geliebte Amalia
auf deren Wunsch hin tötet und er sich selbst der Justiz
stellt.
Nach der Uraufführung 1782 soll das Mannheimer
Nationaltheater einem Augenzeugen zufolge »einem
Irrenhause« geglichen haben: »Rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum.
(…) Es war eine allgemeine Aufregung wie im Chaos,
aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.«
Mag dieser Schreiber auch dick aufgetragen haben, die
Wirkung der »Räuber« war heftig. Vor allem in Bayern
und Schwaben rotteten sich Jugendbanden zusammen.
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In Leipzig musste das Stück 1782 nach zwei Vorstellungen abgesetzt werden, weil es im Theater und in der
Stadt zu zahlreichen Diebstählen kam. »Stehlen, morden, huren, balgen«, das Räuberlied im 5. Akt, in dem es
auch heißt: »Ein freies Leben führen wir, / Ein Leben
voller Wonne«, wurde zum Kampflied in der badischen
Revolution 1848/49, und 1831 zogen im »GôgenAufstand« etwa 60 junge Handwerker und Weingärtner
aus Protest gegen Polizeiwillkür durch Tübingen und
sangen das Lied. Karl Moor ist der klassische Umstürzler, mit dem sich vor allem junge Leute, die gegen das
System aufbegehren, identifizieren können.
Mit dem Thema des Räuberwesens ist Schiller, wie
Horst Brandstätter dargelegt hat, schon als Kind in Berührung gekommen, denn zu jener Zeit gab es im Südwesten etliche Banden, die für große Aufregung unter
der Bevölkerung sorgten. Der 1760 in Vaihingen/Enz
hingerichtete Sonnenwirtle von Ebersbach, den Schiller
16 Jahre später in seiner Erzählung »Der Verbrecher
aus verlorener Ehre« porträtieren sollte, war bekannt
wie ein bunter Hund. Er stieß natürlich auf das von
Ernst Bloch festgestellte Schiller’sche »Interesse für
alles, was an einem Galgen hart vorbeistreifte oder dort
hängen blieb.«
In der »wahren« Geschichte »Der Verbrecher aus
verlorener Ehre« erhält der missgestaltete und als Kind
deshalb verspottete Sohn des Sonnenwirts, Friedrich
Schwahn, den Namen Christian Wolf. Er wird aus
Liebe zu einem flatterhaften Mädchen zum Wilddieb
und durch drakonische Strafen zum professionellen
Kriminellen, der schließlich auch mordet. Schiller erweist sich mit dieser Prosa als versierter Spannungsschriftsteller, freilich auf hohem literarischen Niveau.
Nach einer kommentierenden und die Vorgeschichte
zügig schildernden Einleitung lässt er seinen Christian
Wolf selbst zu Wort kommen. Dieser berichtet, wie er
in der entwürdigenden Festungshaft auf dem Hohentwiel unter üblen Ganoven und barbarischen Wärtern
selbst verrohte und gewissermaßen zum Selbstschutz
kriminelle Energie entwickelte. Wie er danach als ExSträfling keine Arbeit fand und zum Anführer einer
Räuberbande wurde. Und wie ihn sein Gewissen plagte.
Ihren Höhepunkt erreicht die Erzählung, als Wolf berichtet, wie er beim Wildern zufällig auf seinen Erzfeind, den Jäger Robert, stieß und sich in dieser wohlfeilen Gelegenheit zur Rache trotz größter Skrupel
nicht zurückhalten konnte, den Kerl zu töten. Kein
Thrillerautor könnte dies besser darstellen!
Bei der ersten VeröÏentlichung 1786 in der »Thalia«
trug die Novelle noch den Titel »Verbrecher aus Infamie«, wobei die Infamie passiv zu verstehen und auf
den Strafvollzug gemünzt ist. Die zweite, leicht abgemilderte Fassung publizierte Schiller 1792 in »Kleinere
prosaische Schriften«. »Der Verbrecher aus verlorener
Ehre« hat die Ehre allerdings nicht verloren, sondern sie
wurde ihm genommen. Christian Wolf alias Friedrich
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Schwahn wurde in die Kriminalität getrieben; er ist
nicht mit einer lasterhaften Seele auf die Welt gekommen. Schiller führt vor, dass die Gesellschaft mit
ihren unmenschlichen Strafgesetzen und ihrem Mangel
an Mitgefühl an ihm schuldig geworden ist. Mit dieser
Justizschelte plädiert er für ein fortschrittliches Strafrecht – und für Brüderlichkeit.
Die Räuber
Ein Schauspiel
Monique Cantré
Quae medicamenta non sanant, ferrum
sanat, quae ferrum non sanat, ignis sanat.
Hippokrates
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