Frauenherzen schlagen anders – TakoTsubo etc. (Sendungeb im RBB im Frühjahr 2011) Infotext: Beate Wagner und Constanze Löffler Herzinfarkte galten lange Zeit als Männersache. Und man ging davon aus, dass Frauen, die einen Infarkt erleiden, seltener als Männer die typischen Infarktsymptome aufweisen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Auch bei Frauen sind Herzinfarkte jetzt eine der führenden Todesursachen und inzwischen weiß man, dass sich die Anzeichen für einen Herzinfarkt bei Frauen und Männer doch ähneln. Tatsache ist auch, dass eher Frauen von einer besonderen Form des Herzinfarktes betroffen sind, bei der nicht das Verstopfen eines Herzkranz-gefäßes Ursache ist, sondern Stresshormone die Pumpfunktion des Herzens lahmlegen. Bauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit – nicht nur medizinische Laien denken bei diesen Beschwerden eher an einer Magenreizung als an einen Herzinfarkt. Vor allem für Frauen kann dadurch kostbare Überlebenszeit verloren gehen. Denn zwei Drittel aller weiblichen Herzinfarktpatienten schildern erst auf gezielte Nachfragen die "typischen" Herzinfarkt-Symptome wie plötzliche Schmerzen in der linken Brust. Im Vordergrund stehen für sie Symptome wie Erbrechen, Übelkeit, Rückenschmerzen oder verstärkte Atemnot. Folge: Der behandelnde Arzt verkennt die dringende Situation, Frauen erreichen die Klinik zu spät. Noch vor 20 Jahren galt der Herzinfarkt weitgehend als Männerkrankheit. Einer EMNID-Umfrage zufolge hat sich daran bis heute nur wenig geändert: 61 Prozent der befragten Frauen glauben heute immer noch, dass der Herzinfarkt vor allem Männer bedroht. Auch einer Umfrage der Charité zufolge wusste nur ein Drittel der Befragten, dass Herzkreislauferkrankungen auch bei Frauen weit verbreitet sind und der Herzinfarkt zu den führenden Todesursachen zählt – noch vor Krebs. Herzinfarkt ist auch Frauensache Besonders gefährdet sind Frauen nach der Menopause, die stark übergewichtig sind und/oder Diabetes mellitus haben. Studien haben gezeigt, dass die Zuckerkrankheit bei Frauen mit einem dreifach höheren Herzinfarkt-Risiko einhergeht. Doch auch bei jüngeren Frauen ist der Herzinfarkt keine Seltenheit. Im Unterschied zu Männern: • tritt der Herzinfarkt bei Frauen rund zehn Jahre später auf. Der Grund sind die Geschlechtshormone. Bis zu der Hormonumstellung in den Wechseljahren wirken Östrogene schützend auf das weibliche Gefäßsystem. Ist die Hormonumstellung abgeschlossen, gleicht sich das Herzinfarktrisiko beider Geschlechter an. • geht er oft mit Symptomen wie Oberbauchbeschwerden, Schmerzen zwischen den Schulterblättern oder im Kiefer, Müdigkeit oder Übelkeit einher. • werden Frauen durch die unklaren Beschwerden häufig später behandelt. Laut dem Berliner Herzinfarktregister werden Frauen mit Herzinfarkt etwa 30 Minuten später in eine Klinik eingeliefert, oft sind sie älter und schwerer erkrankt als männliche Patienten. Sie leiden häufiger an Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie, Herzinsuffizienz und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung. Seite 1 von 8 • entspricht die Behandlung der Patientinnen seltener der offiziellen Leitlinie. So wird nur bei der Hälfte der Patientinnen nach einem Herzinfarkt das verschlossene Herzkranzgefäß mit einem Ballonkatheter wieder eröffnet. Bei Männern wird der Katheter bei 69 Prozent angewendet. • erhalten Frauen nach Entlassung aus der Klinik seltener Betablocker oder Statine, um einem erneuten Herzinfarkt vorzubeugen. • sinkt die Rate der Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen bei Frauen weniger. Zwischen 40 und 55 Jahren steigt sie sogar an. Experten führen das unter anderem darauf zurück, dass sich die Lebensstile der Geschlechter angleichen. Frauen, die unter 50 Jahren einen Herzinfarkt erleiden, sind zu 80 Prozent Raucherinnen. Besonders gefährlich ist die Kombination von Rauchen und Antibabypille – betroffene Frauen haben ein vierfach erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt. • führt Stress bei Frauen häufiger zum Herzinfarkt oder anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jedes Jahr sterben rund 30.000 Frauen an dem akuten Verschluss der Herzkranzgefäße. Das sind 36 Prozent aller Patientinnen. Männer überleben einen Herzinfarkt zu 44 Prozent. Gründe für die schlechtere Überlebenschance von Frauen sind neben der unterschiedlichen Symptomatik auch die Diagnostik. So weiß man, dass bestimmte Untersuchungsmethoden bei Frauen eher versagen als bei Männern. Klar wird das beim so genannten Elektrokardiogramm (EKG). Mit der Routinemethode misst der Arzt die elektrische Aktivität der Nerven im Bereich des Herzens. Schnell und einfach lässt sich so die Herzfunktion beurteilen, zumindest beim Mann. Bei Frauen hingegen ist das EKG weniger aussagekräftig, ihre Herzen sind besser mithilfe der sogenannten Echokardiografie, eine Ultraschalluntersuchung, durchschaubar. Mediziner setzen jedoch diesen sehr viel ergiebigeren Ultraschall bei Frauen seltener ein als bei Männern. Ähnlich ist die Situation mit der Herzkatheteruntersuchung. Ärzte schieben dabei einen dünnen Schlauch durch das Gefäßsystem bis in das Herz und prüfen die Funktion der Herzkranzgefäße, des Herzmuskels und der Herzklappen. Bei Frauen wird die Untersuchung immer noch sehr viel seltener eingesetzt als bei Männern. Bei Frauen mit auffälligem Befund sind jedoch unbedingt weitere Untersuchungen wie zum Beispiel die Stress-Echokardiografie angezeigt. Hier erhöht der Arzt die Pumpleistung des Herzens medikamentös und analysiert sie dann mithilfe von Ultraschall. Das Echo stellt also die Bewegungen der Herzwände unter Belastung dar. Außerdem kann die Myokard-Szintigraphie helfen. Sie stellt die Durchblutung des Herzens mit Hilfe radioaktiver Marker fest. Der weibliche Organismus folgt eigenen Regeln Studien zeigen, dass die Geschlechter auch genetisch und hormonell unterschiedlich ausgestattet sind, ihr Stoffwechsel und die Immunabwehr nach eigenen Regeln funktionieren. Darüber hinaus sind weibliche Herzkranzgefäße kleiner und zierlicher. Sie verlaufen häufiger geschlängelt und neigen dazu, schneller zu reißen. Dadurch lassen sie sich schlechter mit einem Stent versorgen. Dieses Drahtgeflecht, das Herzkranzgefäße öffnet und stabilisiert, lässt sich jedoch leichter in großen Adern fixieren. Problematisch ist zudem, dass Frauen und Männer die gleichen Medikamente in der gleichen Dosierung nehmen – obwohl Frauen im Schnitt kleiner, leichter und weniger muskulös sind. Häufige Folge: mehr Nebenwirkungen, Komplikationen und Überdosierungen. Hintergrund ist, dass Frauen auch in der klinischen Forschung lange Zeit unterrepräsentiert waren. Vor zehn Jahren war gerade mal jeder vierte Teilnehmer großer Studien weiblich. Heute wird etwa ein Drittel der Studien auch mit Frauen durchgeführt. Im deutschen Arzneimittelgesetz ist ein klar definierter Frauenanteil in klinischen Studien erst seit wenigen Jahren verankert. Denn lange sah man es als zu hohes Risiko an, Frauen im gebärfähigen Alter in klinische Tests einzubinden, weil diese jederzeit schwanger werden und die Gefahr einer Schädigung des Ungeborenen nicht ausgeschlossen werden konnten. Seite 2 von 8 Broken Heart Syndrom: auch typisch Frau Doch nicht nur der akute Gefäßverschluss kann das weibliche Herz gefährden. Wenn Menschen beispielweise ein seelisch oder körperlich stressiges Ereignis durchleben, schüttet der Körper extrem viele Stresshormone aus. Das führt dazu, dass die Patienten – meistens sind es Frauen – starke Herzschmerzen, Luftnot und Todesangst bekommen. Die Symptome sind also ganz ähnlich einem "echten" Herzinfarkt. Zwar ist bei der auch Tako-Tsubo-Syndrom genannten Erkrankung auch die Pumpfunktion des Herzmuskels gestört. Ursache ist jedoch nicht eine verstopfte Herzkranzarterie, sondern der Effekt der Stresshormone auf das Herz. Es kommt zu Rhythmusstörungen, die Betroffenen befinden sich in einer akut lebensbedrohlichen Situation. Bis heute kennen Experten den genauen Mechanismus dabei noch nicht. Entdeckt wurde das Krankheitsbild überdies erst Anfang der 90iger Jahre. Seinen Namen verdankt es dem Röntgenbild. Da bei dem Broken Heart Syndrom vor allem die Herzspitze nicht mitpumpt, sieht das Herz im Röntgenbild aus wie eine japanische Tintenfischfalle (Tako Tsubo). Behandelt werden die Patientinnen wie bei einer starken Herzschwäche, ihr Zustand wird stabilisiert, sie werden überwacht. In den meisten Fällen bildet sich die eingeschränkte Pumpfunktion zurück, so dass die Patientinnen keine bleibende Herzschwäche zurückbehalten. Dafür aber ist es wichtig, dass Ärzte das Tako-Tsubo-Syndrom immer als mögliche Differentialdiagnose im Hinterkopf haben. Nachbehandlung auch für Frauen wichtig Wenn Frauen einen Herzinfarkt oder eine andere schwere Herzerkrankung durchlebt haben, ist es zudem wichtig, dass Ärzte sie auch in der anschließenden Rehabilitation angemessen behandeln. Bisher gibt es auch hier eine klare Geschlechterverteilung. Die meisten Rehabilitationskonzepte sind auf jüngere, berufstätige Männer ausgerichtet, sie nehmen die Angebote auch deutlich häufiger wahr. Unter den weiblichen Patientinnen nutzen diese Chance nur rund 20 Prozent. Zum einen liegt das daran, dass Frauen nach dem Krankenhausaufenthalt eher wieder ihren familiären Pflichten nachgehen. Zum anderen haben sie auch andere Bedürfnisse. Frauen verarbeiteten ihre Erkrankung anders als Männer. Sie wünschen sich mehr psychische und soziale Betreuung und möchten bei den sportlichen Übungen intensiver überwacht werden. Frauen suchen auch in der Nachbetreuung öfter als Männer das persönliche Gespräch mit dem Arzt und Therapeuten. Frauenherzen schlagen anders Herz ist Herz – oder gibt es Unterschiede zwischen Männer- und Frauenherzen? rbb PRAXIS hat bei Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, Leiterin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) an der Charité-Universitätsmedizin Berlin und am Deutschen Herzzentrum Berlin, nachgefragt. Seite 3 von 8 Herzinfarkte sind mittlerweile die häufigste Todesursache bei Frauen. Jährlich versterben knapp 90.000 Frauen. 145.000 ereilt ein Infarkt. Offenbar reagieren Herz und Kreislauf des schwachen Geschlechts auf bestimmte Risikofaktoren besonders empfindlich. So haben Frauen, die rauchen, ein erhöhtes Infarktrisiko. Wer dann noch die Pille schluckt, steigert die Gefahr zusätzlich. Und nicht zuletzt sind Frauen stressanfälliger. Fazit: In den letzten 40 Jahren hat sich das Herzinfarktrisiko bei Frauen versechsfacht. Interview mit Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, Direktorin des GiM an der Charité: * Herz ist Herz – oder gibt es Unterschiede zwischen denen der Männer und der Frauen? Ja, ganz beträchtliche. Frauen bekommen häufiger einen Herzinfarkt als Männern. Und sie bekommen ihren Herzinfarkt in der Regel zehn Jahre später; dafür geht es ihnen danach schlechter als Männern. * Wie sieht es mit anderen Herz-Kreislauferkrankungen aus? Auch da haben Frauen mehr Pech: Schlaganfälle, Herzenge (Angina pectoris) und Herzschwäche (Herzinsuffizienz) sowie Komplikationen durch kaputte Herzkranzgefäße ereilen Frauen häufiger als Männer. Und der weibliche Herzmuskel ist weniger dehnbar. * Was könnten die Gründe dafür sein? Das ist nach wie vor unklar. Wohl spielen die weiblichen Sexualhormone eine wichtige Rolle. Östrogene beispielsweise wirken schützend auf das Herz¬Kreislauf¬System, Progesteron hingegen wirkt sich eher ungünstig aus. Dafür erlebt die Frau während der Schwangerschaft ein natürliches Herztraining. Das Herz arbeitet intensiver und wird in dieser Zeit um etwa 30 Prozent größer. Danach bildete sich der Herzmuskel langsam zurück. Ihr Risiko für einen Herzinfarkt steigt also erst nach ihrer reproduktiven Phase. * Welche Rolle spielen genetische Unterschiede? Die Geschlechtschromosomen könnten eine weitere Ursache sein: Frauen haben zwei XChromosome, auf jedem sind circa 1.500 Gene verschlüsselt. Auf dem männlichen Y-Chromosom sind lediglich 70 Gene codiert. Frauen müssen also ein Chromosom abschalten, um die gleiche Ausgangssituation wie die Männer zu haben. Offenbar entgehen bis zu 15 Prozent der Gene diesem Off-Schalter. Möglicherweise ist das überflüssige Material der Grund für die gesundheitlichen Unterschiede. * Wie wirken sich die Geschlechterunterschiede bei den Medikamenten aus? Durch eine andere Wirksamkeit. Nehmen wir einmal den Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS). Der Blutverdünner kann Männer vor Schlaganfall und Herzinfarkt schützen. Bei Frauen beugt er zwar einem Schlaganfall vor, reduziert aber nicht die Gefahr eines Infarkts. Zweites Beispiel Gerinnungshemmer: Bei der Einnahme müssen Frauen häufiger mit Blutungskomplikationen rechnen als Männer. * Haben Frauen gegenüber Männern denn überhaupt einen gesundheitlichen Vorteil? Ja, einen beträchtlichen: Sie leben länger. * Werden medizinische Behandlungen zukünftig mehr auf Frauen zugeschnitten sein müssen? Davon bin ich fest überzeugt. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Und damit tauchen Krankheiten auf, die es früher bei weitem nicht in dem Ausmaß gab: Schlaganfälle, Infarkte, Diabetes. Es wird deshalb eines Tages individualisierte Medizin nötig sein. Frauen reagieren nun mal anders auf Medikamente, und sie haben einen anderen Krankheitsverlauf. * Vielen Dank für das Gespräch, Frau Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek. Das Gespräch führte Constanze Löffler. Genermedizin: Frauen sind anders Bauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit – für einen Herzinfarkt sind das eher ungewöhnliche Beschwerden. Nicht so bei Frauen: Bei zwei von drei weiblichen Herzinfarktpatienten verläuft der Notfall so, sie haben meist nicht die typisch starken Schmerzen in der linken Brust. Folge: Der behandelnde Arzt verkennt die dringende Situation, Frauen ereichen die Klinik rund eine Stunde später als Männer und werden weniger intensiv behandelt. Auch im Alltag macht sich der "kleine Unterschied“ bemerkbar: Sie sorgt sich um ihr Gewicht und geht regelmäßig zum Arzt. Er schlägt bei Tisch oder der Kneipe gern mal über die Stränge und meidet die Vorsorge. Wen also wundert es, dass Frauen hierzulande durchschnittlich sechs Jahre länger leben? "Nur zum Teil führen wir das auf eine gesunde Lebensführung zurück“, sagt Vera Regitz-Zagrosek, Kardiologin Seite 4 von 8 und Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung der Berliner Charité. "Studien zeigen, dass die Geschlechter auch genetisch und hormonell unterschiedlich ausgestattet sind, ihr Stoffwechsel und die Immunabwehr nach eigenen Regeln funktionieren.“ Seit Jahren forscht Zagrosek zum Thema Gendermedizin. Sie untersucht, warum (herzkranke) Frauen immer noch schlechter dran sind als ihre männlichen Leidensgenossen. "Wenn Ärzte die Geschlechtsunterschiede stärker berücksichtigen und in die Therapie einbeziehen würden, könnte sich das ändern“, sagt Regitz-Zagrosek. Bis heute scheinen sich jedoch nur wenige Kollegen dafür zu interessieren. Denn auch Diagnostik und Therapien sind oft noch auf das starke Geschlecht zugeschnitten. Beispiel Elektrokardiogramm (EKG): Beim Mann taugt die Methode, um die Herzfunktion schnell und einfach zu beurteilen. Frauen profitieren hingegen mehr von der so genannten Echokardiografie. Dennoch wird der Ultraschall bei ihnen seltener eingesetzt. Die Liste der Ungleichbehandlung ist beliebig erweiterbar: 70 Prozent der Lebendspender von Nieren sind Frauen – weltweit. Frauen selbst werden jedoch sehr viel seltener Nieren verpflanzt als Männer. Bei den Herztransplantationen sieht es ähnlich brisant aus: Frauen erhalten weniger Spenderherzen als Männer. Und: Auch in Studien, die die Wirksamkeit neuer Medikamente erproben, sind sie bisher kaum eingebunden. Vorsciht bei Medikamenten ! Frauen sind nicht nur anders krank, bei ihnen wirken auch bestimmte Arzneimittel anders Digitalis (Fingerhut) Die Arznei aus dem Fingerhutextrakt gehört zu den ältesten Herzmedikamenten. Das Risiko, unter Digitalis zu sterben, ist für Patientinnen mit Herzinsuffizienz jedoch deutlich häufiger als Patienten. Seite 5 von 8 Gerinnungsmedikamente In gleicher Dosis drohen bei Frauen mehr Blutungen. Arzneien, die über die Niere ausgeschieden werden Weibliche Nieren arbeiten langsamer, Arzneien bleiben länger im Körper und werden schnell überdosiert. Acetylsalicylsäure (ASS) Niedrig dosiert soll sie vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützen. 2006 bewies eine Studie das Gegenteil: Bei Frauen unter 65 Jahren reduziert ASS das Risiko für einen Schlaganfall, nicht jedoch für Herzinfarkt. Bei Männern ist es umgekehrt. Gesund bleiben –gleiche Chancen fürmann und Frau ? anders Deutschland – Vorzeigeland in Sachen Medizin: Exzellent die Technik, bestens die Versorgung, Top die Ärzte. Doch auch die deutschen Wissenschaftler beginnen sich erst seit wenigen Jahren einem bekannten Phänomen zu stellen: Frauen sind anders krank. Frauen und Herzinfarkt Beispiel Frauen und Herzinfarkt: ein dramatisch unterschätztes Problem. In Deutschland sind Herzkreislauferkrankungen und Herzinfarkte bei Männern zwar Todesursache Nummer eins; aber auch jede dritte Frau stirbt daran. Und auch beispielsweise skandinavische und polnische haben ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt. Allein die Französinnen scheinen herzgesünder zu sein. Die Symptome des Herzinfarktes beim Mann wie Luftnot, Brustenge und ausstrahlende Schmerzen in der Brust stehen in den Lehrbüchern, die der Frau nicht unbedingt. So können unklare Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Hals- und Nackenschmerzen durchaus Signale für einen Herzinfarkt sein. Doch nicht nur die unterschiedlichen Symptome, auch die Frauen selbst verzögern die Diagnose: Sie kommen in der Regel ein bis zwei Stunden später in die Klinik als Männer. Oft weil sie es aufgrund der unklaren Symptome gar nicht für notwendig erachten – obwohl bei ihnen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht vorliegen. Und obwohl ein Elternteil oder beide am Herzinfarkt starben. Oder weil sie eigene Beschwerden als besonders soziale Wesen erst einmal in den Hintergrund schieben. Fatal, denn dadurch verzögert sich der Behandlungsbeginn. Selbst im Krankenhaus angekommen, werden Frau benachteiligt: Man diagnostiziert sie weniger ausführlich, und sie bekommen weniger intensive, weniger umfassende medikamentöse Therapien. Nur recht wenige Frauen sind sich überhaupt der Gefahr eines Herzinfarktes bewusst. Die überwiegende Mehrheit fürchtet sich vor Brustkrebs und anderen schweren Erkrankungen. Viele meinen, durch das weibliche Geschlechtshormon Östrogen gegen Herzinfarkte geschützt zu sein. Zunächst stimmt das: In der Regel erleiden Frauen erst nach den Wechseljahren, wenn die Wirkung der Östrogene nachlässt, einen Herzinfarkt. Das ist immerhin zehn Jahre später als die Männer. Dafür geht es ihnen aber danach schlechter als Männern. Auch bei anderen Herz-Kreislauferkrankungen haben Frauen mehr Pech: Schlaganfälle, Herzenge (Angina pectoris) und Herzschwäche (Herzinsuffizienz) sowie Komplikationen durch kranke Herzkranzgefäße ereilen Frauen häufiger als Männer. Zum Thema Herzkreislauferkrankungen bei Frauen weiß man heute schon viel – umgesetzt wird das Wissen jedoch nur schleppend. Ein Beispiel: Herzkatheter-Untersuchungen erhalten Frauen dem European Heart Survey zufolge seltener als Männer.Ein Grund dafür könnte sein, dass die KatheterUntersuchung bei Frauen komplizierter ist, weil die weiblichen Herzkranzgefäße einen geringeren Querschnitt haben und viel gewundener sein können. Die Herzschwäche, die die Experten als Herzinsuffizienz bezeichnen, ist eine weitere Erkrankung, die sich bei Männern und Frauen mit unterschiedlichen Formen präsentiert. Männer haben überwiegend eine Störung der Pumpfunktion, das heißt, das Herz pumpt das Blut nicht ausreichend vorwärts. Frauen haben häufiger eine Störung der Füllung des Herzens, das heißt, das Herz dehnt sich nicht ausreichend. Für diese gestörte Dehnung des Herzmuskels gibt es bislang so gut wie keine Leitlinien für Diagnostik und Therapie. Eine neue Ultraschallmethode, bei der die Wandbewegung des Herzens kontrolliert wird, soll entsprechende Probleme früher, leichter und schneller aufdecken. Möglicherweise ergeben sich dadurch neue Wege zur Diagnostik und Abgrenzung einer bei Frauen häufigen Herzschwäche. Doch die Frauen sind nicht nur im Nachteil: Aus dem international angesehenen Deutschen Herzzentrum in Berlin hört man, dass bei Herztransplantationen der Langzeitverlauf bei Frauen besser ist. Allerdings können bei Frauen in der Frühphase mehr Komplikationen auftreten. Seite 6 von 8 Rehabilitation und Frauen Die Frau – das soziale Wesen: Job und Kinder, Hund und Katz, Eltern und Verwandte, alle wollen geund verpflegt sein. Und genau diese Verpflichtungen sind bei Frauen jeden Alters die Hauptgründe dafür, dass sie einen bitter nötigen stationären Aufenthaltes ablehnen. Experten stellten in einer Studie fest, dass nur 30 bis 40 Prozent der Frauen, die Anspruch auf eine Rehabilitation hätten, diese auch tatsächlich durchführen. Zum einen liegt das daran, dass Frauen zu wenig über Rehabilitation und Anspruch aufgeklärt werden. Sie bekommen beispielsweise zu wenig Information, was eine Rehabilitation überhaupt bewirken kann. Und sind sich in den seltensten Fällen über die Konsequenzen im Klaren, wenn sie die Rehabilitation nicht nutzen. Ein weiteres Negativ-Beispiel: Frauen erleiden zwar ebenso häufig Unfälle wie Männer, sie gehen aber mit Verletzungen anders um. So bleiben Frauen nach Unfällen gar nicht oder kürzer in der Klinik als Männer. Daraus können Spätfolgen mit möglicherweise Jahrzehnten Invalidität entstehen. Und auch nach einem Klinik-Aufenthalt sieht es mit der häuslichen Versorgungssituation von alleinstehenden Patientinnen nicht gut aus. Durch die zunehmende Versingelung und damit Vereinsamung vor allem in den Großstädten haben viele Patientinnen überhaupt keine Bezugsperson, die ihnen hilft, wenn sie einmal gehandicapt oder erkrankt sind. Gerade bei einer Herzattacke kann diese Einsamkeit dafür verantwortlich sein, dass ältere und alleinstehende Frauen niemanden mehr alarmieren können. Geschlechterunterschiede Nicht nur Herzinfarkt und koronare Herzerkrankungen, auch neurologisch-psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen und Morbus Alzheimer, entzündliche und rheumatische Erkrankungen, nach Organtransplantationen oder bei Nierenerkrankungen – überall gibt es ganz erhebliche Unterschiede im Krankheitsverlauf bei Frauen und Männern. Auch auf der Dialyse, der Station für Nierenerkrankungen, begegnet man gravierenden Geschlechtsunterschieden: Männer sind deutlich häufiger von Nierenversagen betroffen. Die Ursachen für den Ausfall der Nieren sind aber für beide Geschlechter gleich: Vor allem Bluthochdruck und Diabetes mellitus machen die Nieren kaputt. Kranke Nieren zu haben ist dramatisch: Die Dialyse ist mühevoll, das Leben von Verzicht geprägt. Als Ausweg bleibt oft nur die Transplantation. Und wieder zeigt sich die Frau als soziales Wesen: Sie sind es, egal ob in westlichen oder in EntwicklungsLändern, die eher bereit sind, eine Niere zu spenden. So liegt die Bereitschaft von Frauen für eine Lebendspende bei 70 Prozent, bei Männern bei 30 Prozent. Doch obwohl Frauen häufiger bereits sind, eine Niere zu spenden, empfangen sie seltener eine. Weil sie die notwendigen Untersuchungen nicht so schnell durchlaufen wie die Männer und damit später auf die Liste kommen. Und weil Frauen länger brauchen, um sich für eine Transplantation zu entscheiden. Vielleicht aus Gewissensbissen, niemandem eine gesunde Niere "wegnehmen" zu wollen oder vielleicht auch wegen einer mangelnden Aufklärung. Am Lebensbeginn nimmt man die Unterschiede zwischen den Geschlechtern noch sehr wohl wahr: So werden in der Bundesrepublik auf 100 Mädchen 106 Jungen geboren. Dafür sterben im weiteren Leben in allen Altersperioden mehr Jungen als Mädchen. Die Frau lebt im Durchschnitt 81 Jahre, der Seite 7 von 8 Mann wird dagegen nur knapp 76 Jahre alt. Noch wissen wir nicht, warum die Männer früher sterben. Vielleicht sterben Männer früher, weil Stress ihre Biologie schädigt. Zudem liegen die Männer beim Alkoholmissbrauch weit vorn. Beim Nikotin sieht es inzwischen etwas anders aus: Noch rauchen die Männer mehr, in den letzten Jahren haben die Frauen beim Nikotinkonsum allerdings aufgeholt. Außerdem könnte es sein, dass Frauen durch ihre spezifischen Geschlechtshormone länger leben als Männer. So wissen wir mittlerweile, dass Östrogen im Herzen, an den Gefäßen und im Gehirn wichtige schützende Effekte hat. Und es gibt noch weitere physiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern: • Frau ist durchschnittlich 1,65m groß und wiegt 67 Kilo. • Mann ist 1,77m und bringt 81 Kilo auf die Waage. • Der Körperfettanteil der Frau beträgt 26, der des Mannes nur 20 Prozent. Im Alter wächst die Differenz: Die Seniorin kämpft mit 34 Prozent Körperfett, der Senior nur mit 25 Prozent. • Mit dem Wasseranteil verhält es sich gerade umgekehrt: Eine junge Frau hat einen Anteil von 53 Prozent, im Alter nur noch von 46 Prozent. Beim Mann nimmt der Anteil von 64 auf 53 Prozent ab. Cardio Berlin: Geschlechterspezifik bei den Herz- KreislaufErkrankungen im Fokus Das internationale Gutachtergremium hat einen neuen Standort des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislaufforschung (DZHK) bestimmt. Berlin mit der Charité - Universitätsmedizin Berlin, das Max-Delbrück Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) sind nun einer von insgesamt sieben Standorten des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislaufforschung. „Einen wichtigen Impuls auch für die geschlechterspezifische Forschung“ nennt Prof. Dr. Vera Regitz Zagrosek, Leiterin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité, die Entscheidung. Die drei Partner wollen ihre Herz-Kreislauf- und Stoffwechselforschung unter dem Stichwort »Cardio Berlin« bündeln. Prof. Vera Regitz-Zagrosek hatte den erfolgreichen Berliner Antrag koordiniert. Das Vorhaben, so die Wissenschaftlerin, habe ausdrücklich auch die Unterschiede bei Männern und Frauen in Bezug auf kardiologische Erkrankungen im Fokus. „Mit solchen guten Rahmenbedingungen können wir jetzt verstärkt mit neuen Erkenntnissen bezüglich der Geschlechterunterschiede zwischen Männern und Frauen bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen rechnen.“ Die sieben Standorte sind neben Berlin, Frankfurt, Göttingen, Greifswald, Hamburg/Kiel/Lübeck, Heidelberg/Mannheim und München. Sie wurden aus über 30 Anträgen ausgewählt. Finanziert wird das DZHK wie die weiteren Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent von den Ländern. Seite 8 von 8