Diagnostik und Therapie des Diabetischen Fußsyndroms (DFS) Simone van Haag und Frank Merfort Diabetologische Schwerpunktpraxis Grevenbroich Gut Mydlinghoven - Düsseldorf 2. – 3. Dezember 2011 Programm und Übersicht Referenten der Veranstaltung: Dr. med. Frank Merfort und Dr. med. Simone van Haag Diabetologische Schwerpunktpraxis Grevenbroich Freitag 02.12.2011 bis 17:00 Anreise und Einchecken 17:30 – 18:00 Uhr „Get together“ bei einem kleinen Imbiss 18:00 – 20:00 Uhr Begrüßung Einstieg in das Thema Samstag, 03.12.2011 08:30 – 10:00 Uhr Vertiefende Betrachtung diabetischer Szenarien des Klinikalltags anhand von Fallbeispielen - Erstmanifestation des Diabetes, Zufallsbefund - Behandlung der Hypo- und Hyperglykämie - Diabetologische Notfälle - Behandlung des Diabetikers auf der Intensivstation 10:00 – 10:30 Uhr Kaffeepause 10:30 – 12:00 Uhr Gestationsdiabetes und Diabetes in der Schwangerschaft 12:00 – 13:00 Uhr Mittagspause 13:00 – 14:30Uhr Das Diabetische Fußsyndrom Fallbeispiele der Teilnehmer: Was haben Sie auf Station seit dem „Basics“- Seminar erlebt? Refresher glykämische Interventionsstrategien: von Metformin über Inkretin zum Insulin Kurzes Update DDP-4-Hemmer und Inkretinmimetika 20:00 Uhr Abendessen im Hotel Forderungen der St.-Vincent-Deklaration ( 1989 - 1994 ) Reduktion diabesbedingter Erblindungen um mindestens 1/3 terminalen Nierenversagens um mindestens 1/3 von Amputationen um mindestens die Hälfte der Anzahl von Diabetikern, die an Herz-KreislaufErkrankungen versterben des Risikos einer diabetischen Schwangerschaft für Mutter und Kind Gründe für das Versagen von St.Vincent Mangelnde Bekanntheit 98 % der Ärzte kannten die St.-Vincent-Deklaration nicht Die Ziele waren zu hoch gesteckt Folgeschäden werden von Ärzten und Patienten nicht ernst genommen Was ist ein „Diabetischer Fuß“ ? Definition: Ein Diabetisches Fußsyndrom (DFS) ist definiert als Infektion und Destruktion von Gewebe an den Füßen von Diabetikern bei zugrunde liegender PNP und/oder PAVK Das Erscheinungsbild des „Diabetischen Fußes” kann sehr unterschiedlich aussehen Rhagade auf trockener schuppiger Haut Schwiele, Schwielenhämatom eingewachsener Zehennagel Abszess Ulcus Gangrän, Nekrose Epidemiologie und Ätiologie Wichtige epidemiologische Daten zum DFS - 25 % der Gesamtkosten für stationäre Behandlung von Diabetikern entfallen auf das DFS. 47 % aller Krankenhaustage bei Diabetikern entfallen auf die Behandlung des DFS. Etwa 7% der Diabetiker leiden an einem aktiven Fußgeschwür oder sind deswegen bereits einmal operiert worden. Das bedeutet: 300 000 Patienten mit behandlungsbedürftigem DFS. 30% der Diabetiker sind Risikopatienten für die Entwicklung eines DFS Das Risiko einer Amputation einer Extremität bei Diabetikern ist 15- bis 20fach höher als in der Normalbevölkerung. Etwa 50% aller nichttraumatischen Amputationen werden bei Diabetikern durchgeführt. Die Polyneuropathie hat die größte Bedeutung für die Entstehung eines diabetischen Fußes (48% PNP, 29% pAVK, 24% PNP/pAVK). Die Prognose des DFS ist bei reiner PNP am günstigsten, bei der Kombination von PNP und pAVK am ungünstigsten. Ätiologische Faktoren des DFS 1. 2. 3. 4. 5. 6. Neuropathie Makroangiopathie Mikroangiopathie venöse Insuffizienz Infektion Osteoarthropathie Die drei Formen des DFS 1. Der diabetische Fuß mit Neuropathie und Infektion ( neuropathische Fuß ) mit der Trias: - diabetische Polyneuropathie - Verletzung des Fußes an typischer, insbesondere druckexponierter Stelle - bakterielle Superinfektion mit rascher Tendenz zur Ausbreitung 2. Der diabetische Fuß mit peripherer arterieller Verschlußkrankheit ( ischämisch-gangränöser Fuß ) mit: - peripherer arterieller Verschlußkrankheit ( pAVK ) - zunächst akralen oder im Fersenbein gelegenen Nekrosen ( Gangrän ) 3. Der neuropathisch-makroangiopathische Fuß als Kombination aus beiden vorherigen Kranheitsbildern Diagnostik Diagnostik 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) Anamnese Inspektion der Füße Inspektion von Stand und Gang Palpation der Fußpulse, Auskultation der Arterien Neurologische Untersuchung mit Stimmgabel, Monofilament, Reflexhammer, Thermotip Nervenleitgeschwindigkeit Doppler- und Duplexsonographie, Angiographie Pedographie Röntgen Neurologisches Hilfsinstrumentarium Anamnese - Symptome und Veränderungen des neuropathischen Fußes (1) 1. Sensible Neuropathie - brennende stechende Schmerzen in Ruhe und besonders nachts - Ameisenlaufen - einschießende Schmerzen - Taubheitsgefühl, abgeschwächte Schmerzreize - Temperatur-Empfindungsstörung Anamnese - Symptome und Veränderungen des neuropathischen Fußes (2) 2. Motorische Neuropathie - Schwäche - Unsicherheit beim Gehen und Stehen - Muskelschwund im Bereich der Füße - Hammer- und Klauenzehen - Zusammenbrechen des Fußgewölbes Anamnese Symptome und Veränderungen des neuropathischen Fußes (3) 3. Autonome Neuropathie - trockene Füße durch gestörte Schweißbildung - rissige Haut - Rötung und Überwärmung der Füße durch vermehrte Durchblutung - wachsartig verdickte Haut - verminderte Beweglichkeit in den Gelenken (Cheiropathie) Klinisch relevante Kriterien zur Differentialdiagnostik des DFS mit Neuropathie bzw. pAVK Neuropathie pAVK Farbe der Haut rötlich blaß-livide Temperatur warm kühl painfull-painless unter Belastung vermindert normal tastbar abgeschwächt druckbelastet Akren Schmerz Vibrationsempfinden Fußpulse Lokalisation Welche Ziele verfolgen wir bei der Diagnostik des DFS ? 1. Patienten, die ein besonders hohes Risiko tragen, ein DFS entwickeln zu können, sollen frühzeitig identifiziert werden ( “feet at risk” ). 2. Eine Läsion, wenn sie denn vorhanden ist, soll frühzeitig erkannt und klassifiziert werden. 3. Nach der Klassifikation in bezug auf Ätiologie und Schweregrad soll die richtige Differential-Therapie eingeleitet werden. Klassifikation der Läsion nach WagnerArmstrong Grad 0 Keine Läsion 1 oberflächliches Ulkus 2 tiefes Ulkus bis zu Gelenkkapsel, Sehnen oder Knochen 3 tiefes Ulkus mit Abszedierung, Osteomyelitis, Infektion der Gelenkkapsel 4 begrenzte Vorfuß- oder Fersennekrose 5 Nekrose des gesamten Fußes Wagner 0 Wagner 1 Wagner 2 Wagner 3 Wagner 4 Wagner 5 Stadieneinteilung der pAVK nach Fontaine Stadium 1 2 3 4 fehlende Pulse bei Beschwerdefreiheit Claudicatio intermittens Ruheschmerz, beginnende trophische Störungen Trophische Störungen mit Gewebsuntergang Entstehung des typischen neuropathischen Fußes - Fußdeformität - Änderung der Druckverteilung Verstärkung der Hornhautbildung Hämatombildung unter der Hornhaut Bakterielle Besiedlung der Hämatome Zentral infizierter Gewebsdefekt Ulcus oder Malum perforans Auftreten eines um das Ulcus entstehenden Ödems Blutstase und Thrombenbildung im Ödemgebiet Ausbreitung der Infektion auf tiefere Gewebsschichten mit Osteomyelitis - Sepsis Entstehung des typischen neuropathischen Fußes 1) Fußdeformität / Druckbelastung / 3) Bakterielle Besiedlung / Hornhautbildung Ulcusbildung / Ödem 2) Einblutung 4) Ausbreitung der Infektion / Osteomyelitis / Sepsis Therapie Vor Einleitung der Therapie muss der Ausgangsstatus abgeklärt werden 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Feststellung des eigentlichen Ausmaßes der Läsion nach Säuberung der Wunde Entfernung von Hyperkeratosen Sondierung von Wundhöhlen und -taschen Markierung der Entzündungsausdehnung, um die zeitliche Entwicklung zu erfassen Sicherung des Keimspektrums aus der Tiefe, ggf. Blutkulturen Abklärung der Ätiologie, Differential-Diagnose Röntgen des Fußes Foto- und / oder Fußbogen-Dokumentation Die therapeutischen Maßnahmen bei DFS hängen ab von: Ursache der Läsion Ausmaß der Läsion Fortschreiten der Erkrankung Gesamtkonzept der Therapiemaßnahmen beim DFS lokale Wundbehandlungsmaßnahmen nahe-normoglykämische BZ-Einstellung systemische Antibiose konsequente Druckentlastung Gefäßoperationen (Revaskularisation) Phasen der Wundbehandlung Phase Zeitintervall nach Läsion biologischer Vorgang Entzündungsphase 24 - 48 h Granulationsphase etwa nach 72 h Auffüllen des DefekSpülen Feuchthalten tes mitund belastbarem der Wunde Gewebe Wundverschluß ab ca. 10. Tag Epithelisierung und Ende der feuchten Kontraktion Wundreinigung Entfernung von Nekrosen Wundgrundsäuberung Wundbehandlung Entfernung von Nekrosen Wundgrundsäuberung Entzündungs-/ Reinigungsphase Spülen und Feuchthalten der Wunde Granulationsphase Ende der feuchten Wundbehandlung Wundverschluss Medikamentöse Wundbehandlung Enzymatische Wundreinigung Varidase ® N (Streptokinase/Streptodormase) Fibrolan ® (Fibrinolysin/Desoxyribonuclease) Iruxol ® N (Kollagenase/Protease) Wundauflagen / Befeuchtung Tender-Wet ® (= Polyacrylat) Cutinova ® (= Hydropolymer, Polyurethan) Sorbalgon ® (= Alginat) Branolind ® -Gaze (= Fettgaze mit Perubalsam) Atrauman ® (= Fettgaze ohne Wirkstoff) Antiseptika Betaisodona ® (Polyvinylpyrolidon-Jod-Komplex) Octenisept ® (Octenidin) Jodoform ® -Gaze (in Diskussion) Silber-haltige Wundauflagen Antibiotika (oral oder systemisch) Leukase ® -Kegel (Framycetin) Biologische Wundbehandlung Maden Wachstumsfaktoren Regranex ® Medikamentöse Wundbehandlung Wundauflagen mit hoher Flüssigkeitsaufnahme Alginat-Kompressen (z.B. Sorbalgon®) Hydropolymere (= Polyurethan-Schäume) mit Supraabsober (z.B. Allevyn® oder Cutinova®) Hydrofaserverbände Polyacrylate (TenderWet ® active) Wundauflagen mit mäßiger Flüssigkeitsaufnahme Hydropolymere (= Polyurethan-Schäume) ohne Supraabsober (z.B. Mepilex®) Wundauflagen mit Flüssigkeitsaufnahme und –abgabe Hydrogele (z.B. Suprasorb®) Imprägnierte Gaze Atrauman®, Urgotül® (ohne Wirkstoff) Branolind® -Gaze (= Fettgaze mit Perubalsam Wundauflagen und deren bevorzugter phasengerechter Einsatz Medikamentöse Wundbehandlung Zu meiden sind: Topische Anwendung von Antibiotika Fucidine®-Salbe, Nebacetin®-Salbe Ausnahme: Leukase®-Kegel Topische Anwendung von Farbstofflösungen Mercurochrom®, Rivanol®, Gentianaviolett usw. Desinfektion H2O2, Jodoformgaze, Puder Vakuumtherapie Maden-Behandlung Konsequente Druckentlastung • • • • • • Verbandsschuh Entlastungsschuh (Vorfuß- / Fersen-) Orthese, Allgöwer-Schiene, Cast Therapieschuh Gehstützen Rollstuhl Vorfußentlastungsschuh Cast Fersenentlastungsschuh Orthese Prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung eines DFS bzw. eines Rezidivs 1. Ausführliche Schulung und Anleitung zur Eigenverantwortlichkeit des Patienten (Aufgabe des Diabetologen und der Diabetesberaterin) 2. Regelmäßige und engmaschige Inspektion der Nägel und Hornhaut-bildung im Bereich der Füße. Zusammenarbeit mit Fußpflege-Personal 3. Regelmäßige Kontrolle der PNP mit Stimmgabel-Versuch oder Mono-Filament.( Diabetologe u. Diabetesberaterin ) 4. Pedographie (fakultativ) 5. Verordnung und Kontrolle des Schuhwerks in Zusammenarbeit mit einem diabetologischen Schuhmacher. Schulung ¡ Ursachen und Folgen diabetischer Fußprobleme ¡ Selbsterfahrung: Bin ich Risikopatient? ¡ Vermeidung von Komplikationen, Prophylaxe ¡ Ratschläge bei Verletzungen und Problemen ¡ Kenntnis der Amputation - Notbremse „second opinion“ ¡ Kontrolluntersuchungen (wer, wie oft, wo?) Schuhversorgung „ Bei nahezu der Hälfte der Amputationen war die initiale Läsion durch Schuhe verursacht.“ Therapieschuh Kooperationspartner bei der Betreuung des DFS • • • • • Internist / Diabetologe Chirurg Gefäßchirurg Angiologe Orthopäde, Neurologe, Dermatologe • Fußpflegeeinrichtung • ambulanter Pflegedienst • Orthopädie-Schumacher “Strukturierte Versorgung“ des diabetischen Fußes in Deutschland (Soll-Zustand) Multidisziplinäre Behandlungsteams auf verschiedenen Versorgungsstufen Diabetes-Fuß-Station Diabetes-Schwerpunktpraxis / Fußambulanz Hausarztpraxis Diabetische Osteoarthropathie Charcot-Fuß Diagnostik - Charcot-Fuß Röntgenbild ABB2 Therapie - Charcot-Fuß ¡ Entlastung (2-Schalen-Orthese, Gips) für einige Monate => Knochenverfestigung ¡ Danach Anpassung von Maßschuhen ¡ Extreme Zurückhaltung mit chirurgischen Maßnahmen im akuten Stadium Chronischer Charcot-Fuß Chronischer Charcot-Fuß akuter Charcot-Fuß Therapie - Charcot-Fuß 2 - Schalen - Orthese Zusammenfassung Eine erfolgreiche Therapie des DFS mit dem Ziel die Amputationsrate um 50 % zu senken, so wie es die St. Vincent - Deklaration fordert, setzt ein interdisziplinäres Vorgehen voraus. Internist, Angiologe, Diabetologe, Chirurg, Schuhmacher und Fußpfleger sind hier gemeinsam gefordert. Wichtig ist es, Risikopatienten frühzeitig zu diagnostizieren und einer effektiven Behandlung zuzuführen. Die wesentlichen integralen Maßnahmen der Behandlung des DFS bestehen in der lokalen Wundversorgung, in einer guten BZEinstellung, in der Druckentlastung der Läsion, in einer systemischen Antibiose und ggf. Revaskularisation. Nach erfolgreicher Behandlung bleibt der Patient sein Leben lang ein Risikopatient für ein Rezidiv. Nur eine vernünftige Rezidivprophylaxe kann hier großes menschliches Leid verhindern und immense Kosten ersparen. Respekt vor dem Leben ist oberstes Gebot des ärztlichen Handelns! Auch ein Teil einer erkrankten Extremität, also eines Fußes, ist ein Stück Leben, nicht lebensunwert, sondern von herausragender Bedeutung für den Patienten.