www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Einführung in die Kultur- und Sozialanthropologie Themenfelder – Fallbeispiele – Theorien Elke Mader WS 2011 Diese Zusammenfassung beinhaltet die Inhalte der VO Einführung in die KSA, der VO Propädeutikum KSA und eine Zusammenfassung der Pflichtliteratur „Small Places – Large Issues“ von Eriksen (ethnomitschriften). ________________________________________________________ Kapitel 1: Einführung – Vergleich und Kontext Definitionen - (Vergleichende) Untersuchung von kulturellem und sozialem Leben - Wichtigste Methode: Teilnehmende Beobachtung - Interaktion von spezifischen und allgemeinen Aspekten von Kultur und Gesellschaft - Fremdkulturelle Kontexte und eigene Gesellschaft - Konstruktion und Destruktion des Eigenen und des Fremden Kultur- und Sozialanthropologie als globale Disziplin - Verschiedene Sprachen/Traditionen - Unterschiedliche Perspektiven/Machtverhältnisse - Koloniale/postkoloniale Wurzeln und Zusammenhänge Regionale Vielfalt: alle geographischen Zonen, ländlicher/städtischer Bereich Thematische Vielfalt: diverse Facetten von Kultur und Gesellschaft, verschiedene Lebensbereiche Die Kultur- und Sozialanthropologie interessiert sich für die gesamte menschliche Gesellschaft und versucht die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede des menschlichen Zusammenlebens zu verstehen. Balance zwischen Unterschieden und Gemeinsamkeiten Universalismus vs. Realismus Claude Lévi-Strauss: Anthropologie beschreibt wie unterschiedlich Menschen sein können, aber versucht auch herauszufinden in welchem Sinn man behaupten kann, dass alle Menschen etwas gemeinsam haben. 1 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Anthropologie: „Kenntnisse vom Menschen“ Sozialanthropologie: „Kenntnisse vom Menschen in der Gesellschaft“ Kulturanthropologie: „Kenntnisse vom kultivierten Menschen“ -> Kenntnisse über die Aspekte der Menschheit, die nicht natürlich, jedoch erworben sind. Kultur (Clifford Geertz) …Fähigkeiten, Vorstellungen und Formen des Verhaltens, welche Personen sich als Mitglied der Gesellschaft erworben haben. …erworbene, kognitive und symbolische Aspekte der Existenz. …Bedeutungssystem, welches von einer Gruppe geteilt wird. Gesellschaft Im Gegensatz zu Kultur bezeichnet „Gesellschaft“ eine soziale Organisation von menschlichem Leben, Strukturen von Interaktion und Machtverhältnissen. Kulturrelativismus Kulturrelativismus bezeichnet die Annahme, dass Kulturen nur aus sich heraus erklärbar sind. Diese Position würde im Extremsten dazu führen, dass jegliche Vergleiche unmöglich wären, was zu einem Nihilismus führen würde. Des Weiteren ist zwischen einem theoretisch-methodischem Kulturrelativismus und einem ethischen Kulturrelativismus zu unterscheiden, d.h. in der jeweiligen Forschung muss die Gesellschaft für sich alleine gesehen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man deswegen auch einen ethischen/moralischen Relativismus vertreten muss, d.h. jegliche Handlungen von Personen gleichmütig zu sehen (z.B. Mord, Vergewaltigung). Anthropologie und ihre Kennzeichen - Anthropologie = „Lehre vom Menschen“ - KSA = „vergleichend und empirisch; die wichtigste Methode zum Sammeln von Daten ist die Feldforschung; der Mittelpunkt der KSA ist global. - KSA = ein interdisziplinäres Fach, d.h. KSA hat zahlreiche Berührungspunkte mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. - Forschungsgegenstand: alle Gesellschaften (und nicht nur die außereuropäischen) - Die KSA vergleicht zwar Kulturen, verzichtet jedoch auf Wertungen! Ethnozentrismus …Menschen vom eigenen Aussichtpunkt bewerten und sie in eigenen Worten beschreiben. Bsp.: Die Annahme, dass Besitz für alle Menschen von zentraler Bedeutung für das allgemeine Wohlbefinden ist, geht vom Stellenwert von Besitz in unserer Gesellschaft aus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es in anderen Gesellschaften ebenso der Fall ist. 2 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Darüber hinaus geht Ethnozentrismus häufig mit einer Wertung einher, welche jedoch nicht mit der KSA vereinbar ist. Bedeutung vom Universalen und dem Partikulären in der Anthropologie Als Universalien werden jene Phänomene bezeichnet, welche in irgendeiner Form in allen Gesellschaften auftauchen. Von Universalien kann man meist nur bis zu einem bestimmten Grad sprechen, denn sobald man näher darauf eingeht, erkennt man Unterschiede, d.h. das Partikuläre. Der Einzelfall ist immer jenes vor Ort beobachtbare Verhalten (z.B. das Zusammenleben von Mann und Frau in einem gemeinsamen Haushalt). Nun stellt sich die Frage, ob ein derartiges Phänomen auch in anderen Gesellschaften vorhanden ist, bzw. wie unterschiedlich die jeweiligen Einzelfälle sind (z.B. Mann und Frau stehen in einem besonderen Verhältnis, aber leben nicht zusammen oder es lebt eine Frau mit zwei Männern zusammen etc.). Somit stellen Universalien eher Kategorisierungen dar, um Kulturen miteinander zu vergleichen. Es besteht immer die Gefahr, dass die durch Kategorisierung die Forschungsergebnisse in eine bestimmte Form gepresst werden bzw. (unbewusst) modifiziert werden um in bereits vorgefertigte Schemen zu passen. Dies führt wiederrum dazu, dass die Forschungsergebnisse verfälscht werden. Beispiel: Die Frage ob der Mensch universell marktwirtschaftlich denkt ist umstritten, jedoch grundlegend in der Forschung, da ich über des vorgefertigte Schema von Markt das Verhalten der Menschen interpretiere/analysiere. Themenfelder Begriffe * Forschungsobjekt: gedanklich/materiell * Phänomen: griechisch für „die Erscheinung“, ein mit den Sinnen wahrnehmbares einzelnes Ereignis * Thema: Gedanklicher Mittelpunkt, Gegenstad bzw. Grundgedanke einer wissenschaftlichen Arbeit oder eines literarischen Werkes (Bsp. Wissenschaftlich: Adam Kuper – The invention of primitive society; literarisch: Daniel Defoe – Robinson Crusoe) * Feld: Raum, Grenze, Rahmen (z.B. Fußballfeld -> Regeln); physisch oder gedanklich * -felder: Verschiedene Definitionen und Anwendungen bei einzelnen Forschern (Handlungsfeld, Machtfeld) * Kontext: lateinisch für „zusammenlegen, verflochten“; Zusammenhang, Umfeld; wesentlich für die Analyse von Funktion und Bedeutung; Phänomene werden in verschiedenen Kontexten untersucht, z.B. familiär, regional, global, ethnisch, ökonomisch, transnational etc. 3 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 *Fallstudien: Einzelfall (z.B. Rechtsfall), Partikulärer Fall (besonderer Fall), Fallstudie: Beschreibung und Analyse von einer Gruppe von Phänomenen (case study) Ethnographische Fallstudien: - Spezifische Phänomene und Kontext (Ort – Zeit – Gruppe von Menschen) - Teil von Forschungsfeldern verschiedener wissenschaftlicher Kontexte Disziplinäre und interdisziplinäre Kontexte: Ökonomische Anthropologie Disziplinär Materielle Kultur Ergologie (Werkzeuge) Religion, Ritual Verwandtschaft Gender Soziale Organisation Poltische Organisation Interdisziplinär Wirtschaftswissenschaft Geographie Biologie Botanik Geschichte Forstwirtschaft Landbau Beispiel Fallstudie: Molas in Kuna Molas sind durch Applikationstechnik verzierte Baumwollstoffe. -> Kontexte: Gender, Produktion, Transkulturelle Beziehungen Kuna: indigene Gesellschaft mit ca. 40 000 Einwohnern. Kuna Yala: „Land der Kuna“ (Politischer Begriff: „Kampf ums Land“) San Blas: Inseln vor der karibischen Küste Panamas und Kolumbiens. Kontexte in Kultur und Gesellschaft der Kuna 1.) Gender Anthropologie Männer: Dorfvorsteher, Führungspositionen; Redekunst, Wissen über Mythen, Gesänge. Frauen: Einfluss auf öffentliches Leben; Hebammen, Heilerinnen; Handlungs- und objektorientierte Aufgaben. Veränderung durch die Vermarktung von molas: + Neue Einkünfte + Verschiebung des Status der Frau + Mehr politisches Mitspracherecht für Frauen + Stärkere Spezialisierung unter den Produzentinnen (Hierarchie) 2) Ökonomische Anthropologie - Bis zum 20.Jahrhundert: Eigenbedarf durch Landbau und Fischfang - Erste Hälfte des 20.Jahrhunderts: Kokospalmen/Kokosnüsse im Tausch gegen Gebrauchsgegenstände (Männer) - Umwelteinflüsse zerstören Palmen und ändern dadurch die Ökonomie 4 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 - Männer betreiben Landarbeit in anderen Regionen, Frauen bleiben im Dorf MOLAS: Vom Gebrauchsgegenstand zur Warenproduktion für den globalisierten Markt. * Neue ökonomische Organisationsformen durch Molawirtschaften * Kooperativen: NGO’s * Neue Formen der Zusammenarbeit (International, Entwicklungsgesellschaft) 3.) Anthropologie der Mythen # Mythe von Herkunft der molas und ihre Herstellungstechniken # Kalú: mystischer Ort in entlegenen und gefährlichen Zonen der Landschaft # Kalú tuipis: beherrscht die Lebenswelt der Frauen # Olonaguedili: Mutter der molas, Tochter eines Schamanen 4.) Urbane Anthropologie + Verkauf von molas ist Motiv für Migration + Kuna Gemeinschaften in Panama City 5.) Anthropologie der Migration - Vergleich: Otavalos (Ecuador) -> Migration weltweit in Zusammenhang mit Verkauf von Kunsthandwerk - Vergleich: Shipibo (Peru) -> Verkauf von Töpferei und Migration nach Lima ________________________________________________________ Kapitel 2: Kurze Geschichte der Anthropologie Notiz, Erikson: Es gibt keine völlig objektive, neutrale Geschichte der Anthropologie. Proto- Anthropologie Die ersten Studien über kulturelle Vielfalt wurden schon im 5. Jahrhundert vor Christi im antiken Griechenland von Herodotos über die „wilden“ Menschen gemacht. Die ersten philosophischen Relativisten waren die Sophisten in Athen. Das Interesse an kultureller Vielfalt und der menschlichen Natur stieg in der Zeit der Renaissance, als Konsequenz der intellektuellen Freiheit. Ein weiterer Grund war die Entdeckung und Eroberung neuer Länder. Johann Gottlieb von Herder, Gründer der Sturm und Drang-Bewegung, meinte dass jedes Volk seinen eigenen Geist und somit Werte und Gewohnheiten hat. 5 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Victorian Anthropologie Im 19. Jahrhundert begann der Glaube an die soziale Evolution -> Evolutionismus. Die ersten allgemeinen Theorien über kulturelle Vielfalt stellten Henry Main und Lewis Henry Morgan auf. Maine: Unterschied zwischen Status und vertraglich festgelegte Gesellschaften. StatusGesellschaften basieren auf Verwandtschaft und Mythologie, währenddessen vertraglich festgelegte Gesellschaften auf individuellen Verdienst und Erfolg beruhen. Morgan: Evolutionäres Schema mit sieben Stufen (von niederer „Wildheit“ bis zur Zivilisation) -> beeinflusste Karl Marx und Friedrich Engels sehr. Außerdem sah er Verwandtschaft als wichtigen Aspekt um Gesellschaften zu verstehen und legte es als wichtigstes Fach der Anthropologie fest. Weitere wichtige Forscher waren Edward Tylor und James Frazer im späten 19. Jahrhundert. Taylor: beeinflusste Darwin’s Denken über Kultur. „Kultur oder Zivilisation, im weiten ethnographischen Sinn gesehen, ist ein Komplex, der Kenntnisse, Glaube, Kunst, Moral, Sitten und viele andere Fähigkeiten und Gewohnheiten inkludiert, die von Menschen als Mitglied der Gesellschaft erworben wird.“ Frazer: Studien über Mythologie und Religion. Sein größtes Projekt sollte zeigen, wie sich das Denken vom magischen über das religiöse bis zu wissenschaftlichen entwickelte. Im Zentrum der Theorien stehen die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung von sozialen Institutionen (z.B. politische Ordnung, Ehe, Religion). Diese Entwicklung wurde in universellen Stufenabfolgen gedacht. Boas und der Kulturrelativismus Kennzeichen: * Ablehnung gegenüber Evolutionismus und deren universelle Methoden. * Partikularistische Zugänge: Jede Kultur muss aus sich selbst verstanden werden. * Alle Gesellschaften oder Kulturen haben ihre eigene, einzigartige Geschichte. (Historischer Partikularismus) * Kultureller Wandel gefährdet die einzigartigen Kulturen. * Four-Field-Approach: Kulturanthropologie, Physische Anthropologie, Archäologie und Linguistik. * Intensives Datensammeln steht im Vordergrund. * Anthropologie muss sich politisch für die gefährdeten indigenen Populationen einsetzten. Bronislaw Malinowski …beschrieb die Voraussetzungen und Anforderungen bei ethnographischer Feldforschung: - Notwendigkeit die lokale Sprache richtig zu lernen. 6 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 - Sich am täglichen Leben in der Gesellschaft, in der geforscht wird, beteiligen. ~ um die Kategorien der Leute „von innen heraus“ lernen zu können. ~ um die oft subtilen Verbindungen zwischen den verschiedenen sozialen Institutionen und kulturellen Vorstellungen verstehen zu können. - Hatte die Ansicht, dass alle Institutionen einer Gesellschaft miteinander verbunden sind und betonte, dass alle sozialen und kulturellen Phänomene im ganzen Kontext gesehen werden müssen. -> Ansicht, dass angeborene menschliche Bedürfnisse die treibende Kraft für die Entwicklung sozialer Organisationen ist (biopsychoogica functionalism). Alfred Radcliffe-Brown -> Strukturfunktionalismus: Versuch der Entwicklung einer „Naturwissenschaft der Gesellschaft“, die die universellen Gesetze der sozialen Integration formulieren würde. -> Sah das handelnde Individuum auf analytischer Ebene als unwichtig und betonte stattdessen die sozialen Institutionen (inklusive Kinship, Normen, Politik etc.) und die Verbindungen. Das führt dazu, dass die meisten sozialen und kulturellen Phänomene als funktionell in dem Sinn gelten, dass zur Erhaltung der gesamten sozialen Struktur (Strukturfunktionalismus) dienen. -> Er zeigt wie Gesellschaften in seiner Sicht integriert sind und wie soziale Institutionen sich stärken und zur Erhaltung der Gesellschaft beitragen. Französische Anthropologen und ihre theoretischen Positionen * Emile Durkheim (Soziologe) * Marcel Mauss: Theorie des Tausches, Körpertechiken * Claude Lévi-Strauss: - Strukturalismus - Ersten großen Theorien nach dem 2. Weltkrieg: Theorie über den menschlichen Geist („human mind“) - Inspiriert durch Struktur-Linguistik, Mauss‘ Theorie des Tausches (exchange) und die Ablehnung von Lévi-Bruhl’s Theorie des einfachen Geistes (primitive mind) Lévi-Strauss wandte dieses Modell bei Kinship-Systemen und Mythologien an. Der Strukturalismus hatte großen Einfluss auf die Anthropologie und andere Disziplinen in Frankreich. Kritik am Strukturalismus: nicht falsifizierbar, da er sich nicht auf überprüfbare Eigenschaften des menschlichen Geistes bezieht (z.B. Denken in binären Gegensatzpaaren). * Louis Dumot: Holistischer Ansatz statt Individuumszentriertheit. Beispiel aus Indien, wo sich seiner Meinung nach die Menschen als Akteure, welche in ein Netz von Bindungen (Verpflichtungen, commitments) und soziale Beziehungen verwoben sind und nicht als Individuen sehen. 7 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Schulen und deren Kennzeichen seit den 50er Jahren + Evans-Pritchard erkennt, dass die Suche nach den „Naturgesetzen der Gesellschaft“ vergeblich ist. -> Verschiebung des Interesses von Funktion zu Bedeutung. + Frederik Barth geht stärker auf das Individuum als auf den Akteur ein und entwickelt eine Art Spieltheorie. + Symbolismus: Symbole als Schlüssel der Gesellschaft. + Kognitive Anthropologie: Muster von geteiltem Wissen, kulturelle Innovation, wie Wissen über Zeit/Raum vermittelt. Was Leute in unterschiedlichen Gruppen wissen und wie das Wissen die Sichtweisen und Wahrnehmungen der Menschen verändert und wie sich das Verhältnis zu ihrer Umwelt dadurch gestaltet. + Neo-Evolutionismus: Kritik und Weiterentwicklung des klassischen Evolutionismus. + Neo-Marxismus + Kulturelle Ökologie: untersucht die Beziehungen zwischen einer gegebenen Gesellschaft und ihrer Umwelt (einschließlich der Lebewesen und der Ökosysteme, die Lebensformen der Lebewesen unterstützen). Zentrales Argument: die Umwelt (geographische Gegebenheiten) ist ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung ihrer sozialen Organisation und anderen sozialen Institutionen. Und wie die Kultur sich durch Anpassungen an die Umwelt verändert. + Generell lassen sich keine klaren Schulen definieren, es ergeben sich immer mehr differenzierte Schwerpunktsetzungen, Forschungsfelder etc. ________________________________________________________ Vorlesung: Kolonialismus Definition Kolonialismus ist ein Phänomen, das mit Eroberung zu tun hat. Es handelt sich um eine etablierte Herrschaftsbeziehung zwischen einer Minderheit und einem anderen kulturellen Kontext. Ein Land wird erobert, die Herrschaftsschicht wechselt und es entstehen andere Formen von Kolonialismus: Die Gesellschaft verändert sich, neue Strukturen werden durch die Kolonialherrschaft eingeführt. Es geht sehr oft mit einer Rechtfertigungsideologie einher, indem die Herrscher ihre gesellschaftliche Ordnung moralisch rechtfertigen. * Viele verschiedene Formen von Kolonialismus/Kolonien * Europäische Kolonien, Römisches Reich, Azteken, altes China etc. * Europäischer Kolonialismus am 12.10.1492. Kolonialität - Fortdauern kolonialer Strukturen 8 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 - Von Ökonomie und Machtverhältnissen geprägt - Be- bzw. Abwertung von einer Gruppe von Menschen (z.B. Sklaven) Kolonialismus und Kolonialität als Forschungsfeld der KSA -> geschichtlich, strukturelle Gegebenheiten für Forschungsfragen, Kulturkontakt und kulturelle Verflechtungen + Historische Perspektive: Kolonialismus und koloniale Kultur + Fortbestehen der Auswirkungen der europäischen Kolonisation bis heute, z.B. Migrationsströme; kulturelle, ethnische Hierarchien + Entkolonialisierung + Verhältnis Kolonialismus/Postkolonialismus Kolonialismus und anthropologisches Wissen # Frühe Phase des Kolonialismus: tierische Kolonien in Amerika # Kolonien bis ins 20.Jahrhundert # Nach Ende der Kolonien, neue Phase: Postkolonialismus # Wissen über beherrschte Menschen, auch um sie besser beherrschen zu können # Amerika: Kolonisierte Gruppen -> Native Americans Fallbeispiel Lateinamerika * Kolonialismus beginnt 1420 in Lateinamerika (keine Aufzeichnungen von Beginn an) * 12.10. Columbus Day in USA, Nationalfeiertag in Spanien -> Columus ist in Amerika angekommen. * Erstes großes europäisches Kolonialsystem der Neuzeit * Heute noch stark von Kontinuität geprägt (europäische Mitglieder in Regierung, selten indigene) Grundlagen der Erforschung komplexer Gesellschaften - Die Wurzeln der Gegenwart in der Vergangenheit aufdecken. - Nicht auf eine Kultur, Religion oder Gesellschaft beschränken - Vielfalt der Verflechtungen, durch welche sich die verschiedenen Kulturen wechselseitig beeinflussen Synchrone Dimensionen: Netzwerk von Gruppenbeziehungen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt existiert. Diachrone Dimensionen: Geschichte der einzelnen Gruppen und ihrer Beziehungen Eric Wolf + Weltumspannendes Gefüge von Produktion, Zirkulation und Macht Beispiele: * Kolonisation Lateinamerikas durch die Iberer; * Sklavenhandel; * Handel- und Eroberungspolitik in Asien Conquista und Kolonialismus - Conquista=Eroberung 9 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 - Aneignung von Territorien und Ressourcen: requerimiento - Kolonialherrschaft Reconquista *“Wiedereroberung“ Spaniens durch christliche Könige * 1492 – Fall von Granada – Vertreibung der Mauren und Juden – „Entdeckung“ Amerikas Ideologie der reconquista: * Nicht-Christen=Feinde * Unterwerfung, Ausmerzung des „anderen Glaubens“ * Ketzerei, Inquisition, autodafé (Verbrennung) -> prägt Spanien und Lateinamerika bin ins 18.Jahrhunder und darüber hinaus Conquista + Vertrag von Tordesillas 1494 + Aufteilung der neuentdeckten Territorien zwischen Spanien und Portugal + Zerstörung lokaler Herrschaftsstrukturen und Kulturen + Größter Völkermord in der Geschichte der Menschheit (ca. 20% der indigenen Bevölkerung überlebte) Die Iberer in Amerika - Mitte des 16. Jahrhunderts: Extension des spanischen Habsburgerreiches - Europäische Systeme eingeführt und ökonomische Bereiche zerstört - Feudale Strukturen - Koloniale Verwaltung und Gesellschaftsstrukturen encomienda (weltlich), redución (kirchlich) * Herrschaft über die lokale Bevölkerung sowie Aneignung und Kontrolle ihrer Arbeitskräfte (Leibeigene) -> Ländereien als Lehen vergeben * Machtmissbrauch, Ausbeutung * geht in hacienda (Privateigentum) über Indianische Gemeinschaften unter spanischer Kolonialherrschaft + Zerschlagung des alten Machtapparates und der Verwaltung + Indianischer Adel als Teil des spanischen Tributwesens + Neue Ansiedlung der durch Gewalt/Krankheit dezimierten Bevölkerung + Entstehung von synkretischen (vermischten) Ritualen Schmuggler, Piraten und Maroons (Maroons=Nachfahren geflohener Schwarzafrikaner) - Gesamte Abschöpfung von materiellen Gütern sollte von den Kolonien nur ins Mutterland gehen. - Ausgedehnter unerlaubter Handel mit China. - Schmuggel von Silber aus den spanischen Kronländern. 10 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 - Französische und englische Piraten. - Aufständische indianische Gemeinschaften. Sklavenhandel auf Zuckerplantagen -> Vor dem 19.Jahrhunder war Zucker ein Luxus; Anbau in Brasilien und in der Karibik. -> Konsumgewohnheiten änderten sich -> Sklaven Der transatlantische Dreieckshandel „Das erste Dreieck verband Britannien mit Afrika und der Neuen Welt: Fertigwaren wurden an Afrika verkauft, afrikanische Sklaven an Amerika und amerikanische tropische Produkte (Zucker) an das englische Mutterland und seine auf Import angewiesenen Nachbarn.“ Der koloniale Blick * „otherring“: Konstruktion und Abwertung von Andersartigkeit * „Zahme“: Anpassung an europäische Religion, Politik, Werte * „Wilde“: Nicht unterworfene und nicht-angepasste Indianer Eric Wolf Verflechtungen ~ Industrielle Revolution und aufstrebender Kapitalismus im 19.Jahrhundert ~ Entstehung neuer Warenströme ~ Einbindung anderer regionaler Kulturen und Ökonomien in das weltumspannende Netzwerk. Kolonialismus in Lateinamerika ~ Konzentration auf globale ökonomische Prozesse und Machtverhältnisse ~ Wesentlich für Verständnis von Kultur und Gesellschaft in Lateinamerika ~ Einfluss von der Weltsystemtheorie (Emanuel Wallenstein) ~ Weniger Augenmerk auf lokale Akteure und verschiedene Formen von agency (Wirkungsmacht) der Beherrschten Endkolonialisierung/Indigene Politik + Ab 1970 panindianische Bewegung für indigene Rechte (Landrechte, kulturelle Rechte, eigene Rechtsprechung) Kolonialismus, Kolonialität und Wissen - Wissen über Andere - Europäische Neuzeit und Moderne: Kolonialistisches sammeln und klassifizieren - Einordnung in Entwicklungsprozessen - Eurozentrisches Verständnis von Wissen - Hierarchie von Wissenssystemen ~ Europa: Anspruch auf universelle Wahrheit 11 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 ~ andere Wissenssysteme als unwahr abgewertet - Kolonialistische Epistemologie (Erkenntnistheorie) Dekolonisation von Wissen + Indigene nicht Objektive, sondern Subjektive der Forschung + Universitäten für interkulturelles Wissen Kolonialismus und Wissensproduktion: Wissen über indigene Kulturen in Amerika in Zusammenhang mit Kolonialismus entstanden -> „Situiertheit“ von Wissen Chronisten und Missionare - Ethnographische und historische Quellen - Quellenkritik - Berichte (relaciones) - Missionierung Bordbuch von Kolumbus # Erste Beschreibung der Eingeborenen Amerikas und ihrer Lebenswelt -> Ethnographie # Reflexionen über ihr Wesen und ihre Kultur -> Kulturtheorie Mystische Bilder vom Anderen *Wilde *sanfte und unschuldige Wesen in einem Paradies *willfähige Untertanen *zum Christentum hingezogen Indianer: Keine eigenständigen Subjekte mit einer eigenen (etwa gleichwertigen) Kultur. Teil der Landschaft, unschuldige Naturkinder und dazu prädestiniert den Europäern Güter zu überlassen. „Cemiskut“ + fremde Götter=Dämonen bzw. Teufel + Europa der Inquisition und der Hexenverbrennung + Verwendung von psychoaktiven Substanzen, erweiterte Bewusstseinszustände=“Sprache mit dem Teufel“. + Muster von Repräsentation von Umgang mit indigenen Religionen, Heilkunde und der Bewertung psychoaktiver Substanzen. Krieger und Kannibalen - Krieg spielt eine wichtige Rolle im sozialen und kulturellen Gefüge der Tupinampá. - Rituale, soziale Hierarchien. - Konzept von Person und Macht. - Kannibalismus. - Allianz mit Franzosen. 12 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Hans Staden * Zwischen 1525 und 1528 in Hessen geboren. * Reiste 1547 im Dienst portugiesischer Seefahrer und Händler nach Brasilien. * Wurde bei der Jagd nach Tupinampá entführt und war ein Jahr in Gefangenschaft. * Hielt Erlebnisse und Beschreibungen der Lebenswelt seiner „Gastgeber“ fest. * Wurde von den Tupinampá als eine Art Schamane (pajé) betrachtet. * Ist mit einem französischen Schiff entkommen, das ihn gegen Handelsware eintauschte. * Beobachtende Teilnahme und ethnographischer Text * Teil 1: Erlebnisse und Erfahrungen * Teil 2: Wissenschaftlich beschreibender Stil * Materielle Kultur, Aspekte des sozialen und kulturellen Lebens, Beschreibung ist distanziert und objektiviert Dynamik einer colonial frontier - ökonomische, politische und kulturelle Prozesse - verschiedene Akteure, Interessen, Konzepte und Handlungsweisen - mit verschiedenen indianischen Gruppen verbündet - komplexes Geflecht von Allianzen, Handelsbeziehungen und Feindschaften - noch keine eindeutigen Herrschaftsverhältnisse Sind Indianer Menschen? Frage: Welche Art von Wesen sind Indianer und wie sind sie zu behandeln? -> Verschiedene Ansichten. Sepulveda: Indianer = minderwertig; Vernichtung ist ein gottesgefälliges Werk; „guerra justa“ = gerechter Krieg. Las Casas: Indianer = bereits mit christlichen Wesenszügen ausgestattet; differenzierte Darstellung des Anderen. Differenzen und Identitäten: Lateinamerika -> Klassifizierung der „Anderen“ -> (Kolonial)Herrschaft -> Aspekt der Ausübung von Macht -> Konstruktion von Identitäten -> Multiple Identitäten -> Kulturelle Vermischungsprozesse -> Politische und analytische Konzepte -> raza – biologische und ethno-kulturelle Bedeutungen -> Weiße, Schwarze, Indianer -> stark ausgeprägte Hierarchien; Rassismus -> neue Bedeutung im Rahmen von transnationaler Latino-Kultur in den USA 13 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 „mezcla intercultural“ ~ inter/transkultureller Austausch und Aneignungsprozesse ~ soziale Konstruktion von Kulturkontakt Prozesshafter Charakter kultureller Hybridisierung + spezifische Dynamik im Rahmen eines permanenten Kulturwandels + Orte der Hybridität, in denen kulturelle Symbole neu verhandelt, mit neuen Bedeutungen versehen und somit neu interpretiert werden -> z.B. materielle Kultur, Ritual und Performance Transkulturalität # Aneignung von neuem, kulturellem Material # Verlust; Aufgabe oder Ersetzung des Eigenen # Schaffung eines neuen kulturellen Phänomens Synkretismus - Vermischungsprozesse bei religiösen bzw. spirituellen Konzepten und Praktiken - Immer wieder mit anderen Bedeutungen und Bewertungen versehen Kreolisierung * Neue Eliten der Kolonialzeit (Kreolen) * „Neue Sprachen“ (Karibik), die aus der Vermischung zweier oder mehreren Sprachen entstehen * Tiefgreifende, langfristige kulturelle Vermischungsprozesse mestizaje ~ Verschmelzen der indianischen und europäischen Bevölkerung zum Zweck der Bildung von homogenen Nationen und Nationalstaaten. ~ Unter der Herrschaft der weißen Eliten. ~ Indianische Kulturen in der Vergangenheit glorifiziert. ~ In der Gegenwart abgewertet. blanqueamento ~ „Weißerden“ – erstrebte gesellschaftliche Entwicklung in Richtung „weiß“ ~ Betrifft indianische und afroamerikanische Bevölkerung ~ Kulturelle Phänomene ~ Modernisierung Sklaverei und „Rassendemokratie“ -> Bewertung der körperlichen und kulturellen Merkmale von AfoamerikanerInnen -> Widerstand und Analyse ________________________________________________________ 14 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Kapitel 3: Feldforschung und ihre Interpretation Feldforschung und Ethnographie Ethnographische Feldforschung ist die wichtigste Quelle für neues Wissen über Gesellschaft und Kultur. Sie wird durch einen langen Feldaufenthalt und teilnehmende Beobachtung gekennzeichnet. Auch andere qualitative und quantitative Methoden können angewendet werden, je nach Forschungsfrage. Die ethnographische Feldforschung ist eine Methode, bei der die eigene Persönlichkeit eine wichtige Rolle spielt und dies kann zu Schwierigkeiten führen wie zum Beispiel: ungewohnte Umgebung/Essen etc., fehlende Rückzugsmöglichkeiten, Sprachprobleme, „schlechte“ Informanten, eigene Vorurteile, Zeitoder Geldmangel. Wenn man als Forschen am täglichen Leben einer Gesellschaft teilnimmt, ist es beinahe unvermeidbar, dass man Regeln bricht. Grundlegende Methoden um in einem Forschungsfeld Daten zu sammeln sind neben der teilnehmenden Beobachtung zum Beispiel das Führen von Interviews oder das Erstellen von Statistiken. Die teilnehmende Beobachtung ist die Basis für jede Feldforschung und hat den Zweck so tief wie möglich in das soziale und kulturelle Feld einzudringen. Nutzt man die teilnehmende Beobachtung als Methode, muss man versuchen nicht aufzufallen damit die Menschen in der Gesellschaft ihr alltägliches Leben weiterführen ohne äußere Einflüsse. Verhältnis von Theorie und empirischen Daten Theorie und empirische Daten bilden das Fundament jeder empirischer Wissenschaft. Keine Forschung kann alleine auf Theorien oder Fakten basieren. Grundlegend lassen sich zwei Zugänge unterscheiden: (1) Deduktion: Ein deduktiver Zugang bedeutet, dass von einer Theorie ausgegangen wird, welche nun die Empirie (verschiedene Einzelfälle) zu erklären versucht. (2) Induktion: Ein induktiver Zugang bedeutet, dass von der Empirie (den untersuchten Einzelfällen) auf eine größere Theorie geschlossen wird. In der Forschungspraxis werden beide Zugänge meist wechselweise verwendet, d.h. mit den erhobenen Daten wird eine Theorie gebildet, welche wiederrum geprüft wird. Generell kann man das Ziel der Anthropologie darin sehen, dass sie versucht die Empirie zu ordnen, strukturieren und gemeinsame Muster zu finden, d.h. eine theoretische Abstraktion. 15 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Anthropologie zu Hause Grundsätzlich unterschied sich die Anthropologie von der Soziologie durch (1) die Betonung von teilnehmender Beobachtung und Feldforschung, sowie durch (2) das hauptsächliche Forschen in Entwicklungsländern. Dies hat sich jedoch geändert und seit überall geforscht wird, werden „bequemere“ Forschungsgebiete bevorzugt. Forscht man jedoch in der Heimat, kommt das Problem der „Heimblindheit“ auf. Anthropologische Monographie und ihre Probleme Die klassische ethnographische Monographie hatte ihre Blütenzeit zwischen 1920 und 1950 und war eine umfassende Darstellung der Lebenswelt einer Gesellschaft, welche meist anhand eines Beispieldorfs skizziert wurde. Sie enthielten Beschreibungen der materiellen Kultur, der Feste, Rituale, Verwandtschaftssysteme usw. Ein wesentlicher Kritikpunkt an diesen klassischen Monographien liegt zum einen im spezifischen Entstehungskontext, nämlich zu eine Zeitpunkt, wo es aufgrund der Kolonialisierung meist zu massiven gesellschaftlichen Umbrüchen kam, welche wiederrum jedoch nicht thematisiert wurden. Eine zweite wesentliche Veränderung in der Wissenschaft führte zum Verschwinden der Monographie: die zunehmende Spezialisierung innerhalb der Disziplin, welche dazu führte, dass die einzelnen Wissenschaftler sich nicht mit allen Aspekten gleichzeitig beschäftigen kann. Dies führte nun dazu, dass heute nur noch Teilaspekte einer Gesellschaft untersucht werden können. Ein wichtiger Kritiker war Clifford Greetz, welcher das ethnographische Schreiben in den Bereich der Fiktion und nicht der wissenschaftlichen Literatur zuordnete, da eine ethnographische Beschreibung lediglich die Ansicht und Eindrücke einer Person wiedergäbe, welche jedoch subjektiv sind und nicht wie von der Wissenschaft gefordert, objektiv. Eine weitere Veränderung ist auch, dass die ehemals kolonisierten Gesellschaften nun auch ihre eigene Wahrnehmung selbst beschreiben, d.h. die beforschten Gruppen schreiben zurück. „Emisch“ und „ethisch“ Die Unterscheidung emisch-ethisch wurde von Marvin Harris in Anleitung an die linguistische Unterscheidung phonemisch-phonetisch in die Anthropologie übernommen. Der emische Zugang kann auch als „native point of view“ bezeichnet werden, d.h. die Begriffe und Erklärungen, welche von den Mitgliedern einer Gesellschaft verwendet und verstanden werden. Der ethische Zugang ist jener in der Wissenschaft, welcher eine gewisse Abstraktion beinhaltet und einen Vergleich mit anderen Gesellschaften zulässt. 16 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Beide Zugänge spielen in der Kultur- und Sozialanthropologie eine Rolle. Je nach Forschungsfrage entscheidet sich welcher Zugang gewählt wird. Ein emischer Zugang ist demnach ein deskriptiver Ansatz, d.h. man beschreibt die Konzepte der untersuchten Gruppen. Ein ethischer Zugang ist ein analytischer Ansatz, da er mittels abstrakter Begriffe auch eines Vergleich mit anderen Gesellschaften möglich macht. Beispiel Mythenforschung: der emische Zugang gibt den Mythos wieder und die Erklärungen und Bedeutungszusammenhänge, wie sie von der jeweiligen Gesellschaft interpretiert werden und welche Rolle der Mythos in bestimmten Ritualen spielt. Der ethische Zugang versucht den Mythos in seiner abstrakten Form zu übersetzten um somit Muster zu identifizieren, um diese wiederrum mit Mythen aus anderen Kulturen zu vergleichen. ________________________________________________________ Kapitel 4: Die soziale Person „Jungelkinder“, die von Kultur und sozialer Gesellschaft isoliert aufwachsen und von Tieren erzogen werden, sind unfähig mit Menschen zu kommunizieren. -> Menschen sind soziale Produkte; der Charakter ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich durch Lernen; Menschen werden durch die kulturelle und soziale Welt geprägt. Es gibt auch angeborene Bedürfnisse, aber es gibt immer sozial erschaffene Wege, diese zu befriedigen. Nature-nurture-Debatte Unter dieser Debatte versteht man die Frage, ob das menschliche Verhalten stärker von der biologischen/genetischen/natürlichen Seite oder der kulturellen Sozialisation geprägt ist. Generell zeigt sich, dass die genetische Variation zwischen den Menschen gering, die kulturelle Variation jedoch sehr groß ist (nicht nur zwischen verschiedenen Kulturen, sondern auch zwischen den Mitgliedern einer Kultur). Außerdem zeigt sich, dass Kultur in allen Gesellschaften eine zentrale Rolle spielt. Natur und Ökologie * Alle Menschen sind gleich nahe/fern zur Natur. * Nähe zur Natur hat nichts mit einfacher/komplexer Technologie zu tun. * Alle Menschen sind gleich kultiviert. 17 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Natur und Gesellschaft: Tabelle Culture Cultural universals Cultural variation Nature Genetic universals Genetic differences Sharing Variation Cultural universals & Cultural variation: Kern des Interesses der Kultur- und Sozialanthropologie; alle Menschen sind gleich kultiviert; Kultur mobilisiert Unterschiede. Genetic universals: Genetische Eigenschaften aller Menschen (Körpergröße, Körpermerkmale); Moderne KSA: Fokus weniger auf biologische Eigenschaften sondern auf die Variation aufgrund des Sozialen. Genetic differences: Aufgrund der enormen genetischen Ähnlichkeit aller Menschen ist es ein unwichtiges Feld 99,8% der Menschen haben dieselben Gene. Sprache ist einerseits ein „cultural universal“, andererseits differenzieren sich Menschen wieder anhand ihrer Sprache. Zwei Konzepte von Natur (1) Die äußere Natur, das Ökosystem (2) Die innere Natur, die menschliche Natur -> Beide stehen im Gegensatz zur Kultur! Lévi-Strauss: „jede menschliche Gesellschaft unterscheidet zwischen Kultur und Natur.“ Alle Gesellschaften ziehen eine Grenze zwischen sich, als Menschen und Kulturwesen und der Umwelt. Lediglich wo diese Grenze verläuft ist kulturabhängig. Außerdem gibt es ein Wechselspiel der ständigen Beeinflussung, d.h. der Mensch greift aktiv in die Natur ein, aber die Natur hat einen ständigen Einfluss auf die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft. Beispiel BaMbuti: * Die Jäger und Sammler sehen den Wald als Subjekt, weil er sie mit Nahrung versorgt. * Die Bodenbauern sehen ihn als Objekt, welcher sie ständig in ihrer Lebensweise stört, da die geordneten Felder immer wieder zuwachsen. -> An diesem Beispiel wird deutlich, dass Natur mit Ökonomie zu tun hat und sich wiederrum auf die symbolische Wahrnehmung auswirkt. 18 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Begriffe für die Analyse einer sozialen Person In der Kultur- und Sozialanthropologie, wie auch in anderen Sozialwissenschaften geht es um die Interaktion zwischen Personen/Akteuren/Individuen. Hinter diesen Beziehungen stehen bestimmte Vorstellungen und Theorien. Akteur: ein bewusst intentional (zweckbestimmt) Handelnder. Dies kann eine Person sein, aber auch eine Ansammlung (z.B. Partei). Eine Kritik an diesem Konzept liegt darin, dass nicht alle Handlungen bewusst gemacht werden, sondern bereits auf kulturabhängigen Konventionen, Normen etc. aufbauen, welche bereits so stark verinnerlicht sind, dass sie unbewusst getroffen werden. Individuum: beruht wörtlich auf der Annahme der „Unteilbarkeit“. In der Kultur- und Sozialanthropologie stößt man mit diesem Konzept wiederrum an seine Grenzen, wenn man sich etwa mit Schamanismus beschäftigt, wo der Schamane sich seelisch vom Körper trennen kann und verschiedenen Seelen besitzt, welche gleichzeitig an verschiedenen Orten sein können. Aber auch in anderen Kontexten ist es schwierig anwendbar, wenn sich etwa die Mitglieder einer Gesellschaft als Teil dieses Ganzen verstehen und nicht als abgetrennte, isolierte Einheit. Person: bedeutet „Maske“, was wiederrum in eine öffentliche und eine private Person unterschieden werden kann. Dieses Konzept weißt schon auf den Status und die Rolle hin. Status: ist grundsätzlich ein soziales Verhältnis. Jeder Mensch hat in verschiedenen Kontexten einen unterschiedlichen Status. Dieses Verhältnis kann entweder zugeschrieben oder erreicht werden. Beispiel: Kind ist ein zugeschriebener Status, das ist man ob man will oder nicht. Ingenieur hingegen wäre ein erreichter Status. Der soziale Status beinhaltet verschiedenste Rechte und Pflichten, die man anderen gegenüber hat und damit sind auch Erwartungen verknüpft. Eine Person kann verschiedene Statusse zur selben Zeit haben und die Kombination aus allen macht di Person aus. Rolle: ist dem Status zugeschrieben, d.h. es wird ein gewisses Verhalten erwartet. Bei ungewünschten Abweichungen kommt es zu Sanktionen. Der Unterschied zwischen sozialen Status und Rolle ist ähnlich dem von einer Rollenbeschreibung in einem Drehbuch und dem Schauspieler, der dann diese Rolle spielt. Der einzige Unterschied zwischen Schauspieler und sozialem Akteur ist, dass der eine nicht weiß, dass er spielt. Macht: ist ein Begriff, der in den Sozialwissenschaften eine soziale Rolle spielt. Dabei unterscheiden sich aber die Zugänge: So versteht May Weber Macht als die Möglichkeit einer Person eine andere dazu zu bringen etwas zu tun (handlungszentrierte Zugang). Karl Marx hingegen versteht Macht als etwas, was einem System immanent ist, d.h. jedes System beinhaltet Machtverhältnisse (systematischer Zugang). 19 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Wechsel zwischen den Rollen * Sozialer Status nicht für jede Situation genau definiert. * Jede Rolle verlangt Interpretation. * Akteure müssen ihren Status auswählen und ihre Rolle interpretieren, bevor sie agieren. Rollentheorie nach Goffmann * Back-Stage: wir fühlen uns sicher, sind wir selbst und zeigen Gefühle. * Front-Stage: wir leben unsere Rolle, „impression management“. Goffmann zeigt klar die Existenz sozialer Konventionen, die alles beeinflussen was wir tun. Sogar absolut spontane Aktionen müssen durch soziale Kanäle um verstanden zu werden. -> Komplett ohne Routinen, Ritualen und sozialen Konventionen ist das Leben leer! Die Anthropologie des Körpers * Der Körper wurde immer schon ethnographisch beschrieben. * Erst ab 1970 wird der Körper als sozial-kulturelle Einheit gesehen (Mary Douglas). * Der Körper wird als kulturell handelnd oder als passive Leinwand gesehen, auf der die Kultur ihre Spuren hinterlässt. ________________________________________________________ Kapitel 5: Soziale Organisation Die Anthropologie erhält viel von ihrem empirischen Material durch Studien lokaler Gemeinden. Anthropologische Analysen basieren auf detaillierten Beschreibungen von kulturellen und sozialen Organisationen in einem begrenzten System (Dörfer, städtische Umgebungen). Die sozialen Gesellschaften sind aus der Verwandtschaft entstanden. Das älteste System war die soziale Organisation. Eine zweite Form war das politische System, welches auf Besitz basiert (politische Gesellschaft=Staat). Was der Staat in komplexen Gesellschaften leistet, leistet die Verwandtschaft in den einfachen. Jedes soziale System hat Regeln. Diese Regeln, ob sie öffentlich gemacht werden oder einfach eine stillschweigende Übereinkunft sind, nennt man Normen. Einige Normen betreffen alle Mitglieder einer Gesellschaft, andere nur kleine Gruppen, während wieder andere, wie z.B. die Menschenrechte, wertvoll für die gesamte Menschheit sind. Positive Sanktionen ziehen Belohnung nach sich, negative Bestrafungen. Die Möglichkeit Sanktionen einzuführen, stellt die Macht in jeder Gesellschaft dar. Erst durch die Sanktionen bekommen die Normen ihre Gültigkeit. Soziale Institutionen (Familie, Polizei etc.) haben die soziale Kontrolle als eine ihrer Aufgaben ernannt, mit dem Ziel, Übertretungen zu verhindern. 20 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Normen unterliegen einer ständigen Veränderung, sie können zum Beispiel an Wichtigkeit verlieren (Blasphemie). Regeln und Norme geben an, wie man mit Werten umgeht, wie man sich in der Gesellschaft zu verhalten hat, sind aber trotzdem keine exakten Instruktionen. Der Mensch muss im realen Leben improvisieren und selbstständige Entscheidungen treffen. Sozialisation… …ist der Prozess, in dem man ein vollständige Mitglied der Gesellschaft wird, das Wissen und die Fähigkeit erwirbt als Mitglied der Gesellschaft zu funktionieren. Das Ziel der Sozialisation ist letztlich, dass Menschen, Normen und Formen von Verhalten gegenüber der Gesellschaft verinnerlicht werden. Lebensabschnitte und Übergangsriten Lebensabschnitte sind zum Beispiel gekennzeichnet durch: Taufe, Konfirmation, Firmung, bar mizvah etc. Der Schritt ins Erwachsenenleben ist oft charakterisiert durch vorübergehendes Leid, Entzug oder Verlust. Beschneidung der Genitalien oder Körpertatoos funktionieren als sichtbares Zeichen um als erwachsen zu gelten. Gleichzeitig werden wichtige Erkenntnisse erworben und man gilt als eine neue Art von sozialer Person. In dieser Übergangsphase steht man gefühlsmäßig außerhalb der Gesellschaft. Die Kandidaten sind das erste Mal fähig sich selbst und die Gesellschaft von außen zu betrachten und diese vielleicht kritisch zu reflektieren. Die Entwicklung einer sozialen Person kann als Zusammenspiel zwischen Individuum und Gesellschaft gesehen werden. Der Haushalt Die kleinste Einheit in der Sozialanthropologie ist die Familie bzw. der Haushalt. Definition: Ein Haushalt ist dort, wo Menschen regelmäßig ihre Hauptmahlzeit zusammen einnehmen. Beispiele der lokalen Organisation 1) Fulani: Die Fulani leben in Westafrika, zwischen dem Senegal und dem Sudan als Hirtennomaden. Die wichtigste ökonomische Grundeinheit ist die Kernfamilie oder der Haushalt. Die Haushalte bei den Fulani sind dadurch gekennzeichnet, dass sie überaus flexibel sind und von saisonalen, ökonomischen Veränderungen beeinflusst sind. 2) Dogon: Die Dogon leben in Mali und Bukina Faso als sesshafte Ackerbauern. In ihrer sozialen Organisation spielt das Dorf eine zentrale Rolle. Die Hauptautorität liegt beim Hogon, welcher von einem Ältestenrat bestimmt wird, welcher sich wiederrum aus den Linienoberhäupten zusammensetzt. 21 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Es gibt auch Verbindungen und Allianzen zu anderen Dörfern. Diese sind nicht auf gemeinsame Lineages begrenzt, sondern stehen auch in Verbindung mit religiösen Riten. 3) Yanomamö: Die Yanomamö leben in Brasilien und Venezuela als Gartenbauer. Durch den Brandrodungsfeldbau ergibt sich eine halbnomadische Lebensform, d.h. man lebt für die „Lebensdauer der Gärten“ (etwa 4 Jahre) in einem Dorf und zieht dann weiter um eine neue Fläche zu roden. Als Autoritäten treten nur ein Dorfvorsteher und ein Schamane in Erscheinung. Die Position des Dorfvorstehers muss verdient werden und wird nicht vererbt. Obwohl die Arbeitsteilung sehr offen ist, gibt es dennoch Gründe, warum man sich in einer dörflichen Struktur zusammenschließt, allen voran aufgrund von Konflikten mit Nachbarn und Ritualen. Bei allen drei Gesellschaften spielt Verwandtschaft eine wichtige Rolle. Die zwei Ebenen, auf welchen sich die Unterschiede ergeben, liegen zum Einen in der Größe der wichtigsten ökonomischen Einheit, also z.B. Familie bzw. Dorf und zum Anderen in der politischen Organisation, d.h. vererbte Autorität bzw. erworbener Status. Das Dorf In nahezu keinem Haushalt gibt es totale Selbstständigkeit. Es gibt immer eine Vielzahl an Problemen (politisch, ökonomisch, religiös etc.), welche außerhalb des Haushaltes gelöst werden müssen. ________________________________________________________ Kapitel 7: Verwandtschaft und Abstammung Verwandtschaft ist so wichtig, weil sie für Existenz, Karriere, Ehe, Schutz und soziale Identität sorgt. In vielen Gesellschaften ist es die wichtigste Institution. Inzest und Exogamie Exogamie: Heiratsordnung nach der nur außerhalb des eigenen sozialen Verbandes geheiratet werden darf. Inzest: Sexuelle Beziehung mit nahen Blutsverwandten. -> Inzesttabu: Alle Gesellschaften vermeiden Inzest; Unterschiede in wer in diese Tabus eingeschlossen ist (Cousin, Großcousin). Maßnahmen sind nicht universell streng, aber die Ehe mit engen Blutsverwandten wird strikt vermieden. Soziale Vorteile des Inzesttabu: Erweiterung der Gruppe/Familie durch die Aufnahme neuer Mitglieder. Formen von Verbindungen über die Verwandtschaft hinaus. Vermutung von Anthropologen: * man fühlt sich kaum gegenseitig attraktiv, wenn man gemeinsam aufwächst. * man fühlt sich wegen dem Instinkt nicht sexuell anziehend. 22 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Lévi-Strauss: Männer teilen Frauen in Schwestern und (Ehe)Frauen ein und nur die (Ehe)Frauen sehen sie als potenziellen Sexualpartner. Inzestverbot nötigt Menschen aus der eigenen Familie raus zu gehen und andere kennenzulernen -> Fundament der menschlichen Gesellschaft. In manchen Gesellschaften wird vorgeschrieben Verwandte zu heiraten, aber nie sehr enge Verwandte -> Endogamie: Heiratsordnung, in der nur innerhalb eines bestimmten Verbandes, z.B. Stamm, Naturvolk, Kaste, geheiratet werden darf. Körperschaften (Corporate Groups) sind Gruppen, die als Gesamtheit agieren. Verwandtschaft: Fortpflanzung, Überlieferung kultureller Werte und Wissen zwischen den Generationen. Wichtig auch für die Politik: man braucht die Unterstützung der Verwandten für eine erfolgreiche politische Karriere. In anderen Gesellschaften schließen sich Familien bei wirtschaftlichen Investitionen zusammen. In vielen Gesellschaften formt die Verwandtschaftsgruppe normalerweise die Basis für eine politische Stabilität und Forschung politischer Interessen. Erbe, Erbfolge, Nachkommen Weitergabe von Besitz, Rechten und Pflichten von einer Generation zur nächsten. Regeln, die das Erbe regeln werden oft auf verschiedene Weise angefochten und interpretiert. Es gibt keine universelle Verbindung zwischen Verwandtschaftsregeln und Erbregeln. Quelle von Streitigkeiten und Unstimmigkeiten. Sechs mögliche Prinzipien der Weitergabe von Verwandtschaftsgruppenangehörigkeit und anderen Besitz von Eltern zu Kinder: (1) Patrilinear: Weitergabe durch die väterliche Abstammung (nur Männer können weitergeben, Frauen können aber empfangen). (2) Matrilinear: Weitergabe durch die mütterliche Abstammung. (3) Double: Mancher Besitz wird durch die väterliche und mancher durch die mütterliche Abstammung weitergegeben. (4) Kognatisch: Weitergabe durch die väterliche und mütterliche Abstammung zweiseitig. (5) Parallel: Männer geben an Söhne, Frauen an Töchter weiter. (6) Crossing/alternating: Männer geben an Töchter, Frauen an Söhne weiter. Alle Verwandtschaftssysteme gestalten Verwandtschaftsbeziehungen zur mütterlichen und väterlichen Seite. Aber Rechte, Normen und Gruppenangehörigkeit geben meistens einer Seite Vorrang. Zu (1) Patrilineare Systeme konzentrieren alle Werte/Besitz in dem Prinzip der Abstammung durch 23 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 die Nachkommen der männlichen Linie: Erbfolge, Erbe, Besitzrechte, Ehepartner, Wohnort, Kinder, politische Rechte. Frauen in patrilinearen Systemen sind Außenseiter und werden manchmal mit Gefahren assoziiert (Afrika: Frauen = Hexen). Ihre Verwandten leben weit weg in anderen Gesellschaften und weil sie Fremde in der Gesellschaft sind, sind sie manchmal eine Gefahr für den Zusammenhalt der Abstammung. Ein Mann muss sich manchmal zwischen seiner Abstammung und seiner Kernfamilie entscheiden. Zu (2) Viele Gruppen in Melanesien, Afrika und Nordamerika haben ein matrilineares System. Es ist nicht einfach das Gegenteil vom patrilinearen System, es ist wesentlich komplizierter. Normalerweise kontrollieren auch hier Männer Politik und Wirtschaft. Trobriand Inseln: Jede matrilineare Abstammungslinie hat ein männliches Oberhaupt. Wichtige Besitze werden von Mann zu Mann vererbt – gewöhnlich von dem Bruder der Mutter zum Ego. Der Bruder der Mutter ist eine Autorität zu den Kindern seiner Schwester. Der Vater soll lieb und sanft sein. Unterschiede zwischen dem patrilinearem und matrilinearem System MATRILINEAR PATRILINEAR gewöhnlich politisch von Männern dominiert gewöhnlich politisch von Männern dominiert Erbe, Landrechte etc. werden vom Bruder der Mutter zum Sohn der Tochter weitergegeben. Erbe, Landrechte etc. werden vom Vater zum Kind (meistens Sohn) weitergegeben. Ego ist Mitglied derselben Verwandtschaftsgruppe wie die Mutter, die Mutter der Mutter, der Bruder der Mutter etc. Ego ist Mitglied derselben Verwandtschaftsgruppe wie der Vater, der Vater des Vaters, der Bruder des Vaters etc. Die Schwester der Männer sichern den Fortbestand der Gruppe. Die Frauen der Männer sichern den Fortbestand der Gruppe. Zu (4) In Europa sind meist väterliche und mütterliche Seite gleich wichtig. Wir haben zum Beispiel keinen Unterschied zwischen der Mutter der Mutter und der Mutter des Vaters. In vielen Gesellschaften wird der Name des Vaters an die Kinder weitergegeben, aber in den letzten Jahren behalten viele Frauen ihren Namen und geben ihn an ihre Kinder weiter. 24 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Clans und Lineages Clan: man nimmt an, dass man einen gleichen Ahnen hat, kann es jedoch nicht beweisen und nicht alle Zwischenmitglieder angeben. Lineages: man kann mit allen Zwischenmitgliedern einen gleichen Ahnen angeben und nachweisen. Lineages sind kleiner Gruppen als Clans. Conical clans: sind hierarisch geordnet und haben meist einen Führer für alle Ebenen. Segmentary clans: sind nicht hierarisch geordnet und sehen alle Mitglieder als Verwandte; unterscheiden jedoch zwischen nahen und fernen Verwandten; keine politischen Oberhäupter. Wichtigste treibende Kraft des menschlichen Tuns ist die Fortpflanzung. Männer tun ihr Bestes um genetisches Material zu verbreiten und Frauen suchen Männer, die sie und ihren Nachwuchs beschützen. Kultur und Gesellschaft sind Nebeneffekte dieses angeborenen Bedürfnisses. ________________________________________________________ Kapitel 8: Heirat und Verbindungen Oftmals geht es bei der Heirat nicht um romantische Gefühle, sondern um die Zusammenführung von Gruppen und die Bildung von Allianzen. Die arrangierte Ehe ist weit verbreitet. In einigen Kulturen wird Liebe in der Beziehung sogar als negativ empfunden, da dies zu Eifersucht und Auflösung der „Geschäftsbeziehung“ führen kann. Entgegen der Annahmen kommen Scheidungen in „traditionellen“ Kulturen häufiger vor als in manchen westlichen Gebieten. Mitgift und Brautwert Mitgift: Braut bringt Geschenke von ihrer Familie mit in die Ehe. Brautwert: Verwandtschaft des Bräutigams gibt Ressourcen an die Verwandtschaft der Braut weiter. Diese Zahlung gibt dem Mann Rechte über Frau und Kinder. Levirat: Witwe heiratet einen Bruder ihres verstorbenen Mannes. Sororat: Witwer heiratet eine Schwester seiner verstorbenen Frau (meist ist die Verwandtschaftsgruppe der Frau dazu verpflichtet, dem Witwer die tote Frau durch eine Neue zu ersetzten). Der Brautpreis erschafft eine Art vertragliche Bindung zwischen den lineages, also eine Art Zeichen des gegenseitigen Vertrauens. „Moieties“ und Heirat Die simpelste Form des Frauentausch ist der Schwesterntausch: du gibst mir deine Schwester, dafür bekommst du meine. In lineages ist es meistens so, dass Frauen zwischen zwei Gruppen „getauscht“ werden und nicht zwischen Individuen. Die Gesellschaften sind in 25 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 sogenannten Hälften geteilt -> Moieties, Man spricht hier auch von sogenannter crosscousin-marriage. Frauentausch und Rangdifferenzen In vielen Gesellschaften gibt es das System des zyklischen Tausches. Hier wird zwischen mehr als nur zwei Gruppen der Frauentausch betrieben: Gruppe A gibt Frau an Gruppe B Gruppe B gibt Frauen an Gruppe C Gruppe C gibt Frau an Gruppe D Gruppe D gibt Frau an Gruppe A In diesem System muss eine Frau durch eine andere eingetauscht werden. Hierbei wird zwischen den Gebern und den Nehmern unterschieden, es herrscht ein asymmetrisches Allianzsystem. Es gibt Rangdifferenzen zwischen den Gruppen. Hinsichtlich der Ausschließung der Kernfamilie bei Eheschließungen sind alle Gruppen exogam organisiert. Endogam organisierte Gruppen findet man zum Beispiel in den europäischen Königshäusern oder in den indischen Kasten, wo es meist darum geht über die Heirat Ressourcen weiterzugeben. Elementaren und komplexe Strukturen Vier fundamentale Kinship-Beziehungen nach Lévi-Strauss: Bruder-Schwester, EhemannEhefrau, Vater-Sohn, Bruder der Mutter – Sohn der Schwester „Komplexe“ Systeme inkludieren noch mehr Beziehungen als die vier Fundamentalen. Lévi-Strauss meint, dass elementare Systeme nur positive Regeln haben und komplexe nur negative, weshalb es in diesen Systemen keine langzeitigen Allianzen zwischen kin-Gruppen gibt. Positive und negative Heiratsregeln Lévi-Strauss beschreibt die cross-cousin Heirat als fundamentalen Ausdruck von Wechselseitigkeit zwischen kin-Gruppen in einem elementaren kinship system. Diese Gruppen haben sowohl positive als auch negative Heiratsregeln. Verwandtschaft, Natur und Kultur In Europa sehen sich die Menschen näher verwandt zu ihren Geschwistern als zu ihren Cousinen und auch enger verwandt zu denen ersten Grades als zu denen zweiten Grades. Klassifizierende kinship-Systeme gibt es auch kinship Begriffe, die eher von sozialer Organisation ausgehen als von biologischem kinship. In europäischen kinship Terminologien werden manche angeheirateten Onkel und Tanten klassifiziert. Die Verwandtschaft von Schwager und Schwägerin muss teilweise auch erst sozial erschaffen werden. Einige gemeinsame Nenner * Regelungen bezüglich Exogamie und Endogamie. * Allianzen zwischen Gruppen oder Personen werden forciert. 26 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 * Soziale Organisation, wo die Mutter die ersten Jahre mit den Kindern zusammenlebt. * Reproduktive Institutionen und Erbschaftsregelungen. * Formen lokaler Organisation mit politische, ökonomischen und andere Dimensionen, welche auf kinship basieren. Verwandtschaft und Bürokratie Auch nach dem Prozess der Modernisierung sind auf kinship basierende Organisationen in vielen Gesellschaften sehr wichtig. Kinship kann essentiell für Karriereaussichten, politische Beziehungen, Wohnsitz und viele mehr sein. Kinship Organisationen basieren auf Loyalität, während bürokratische Organisationen auf abstrakte Prinzipien der Loyalität basieren, wie z.B. auf das Gesetz oder vertragliche Obligationen. In einem bürokratischen System würde es als unfair gelten, Verwandte zu bevorzugen. In der kinship Beziehung wäre diese Behandlung nicht unfair, sondern ein Zeichen von Loyalität und Solidarität. Die Beziehung der beiden ist immer in einem empirischen Kontext zu untersuchen (Max Weber). Beide Beziehungen funktionieren Simulant. Ein Mensch kann beide Ideale in unterschiedlichen Situationen verfolgen. Metaphorische Verwandtschaft In Nationalstaaten ist es heute unmöglich clan- oder lineage-basierende Organisationen aufrecht zu erhalten, da jeder von vielen Menschen abhängig ist, mit denen er/sie nicht verwandt ist. Die Nation unterstützt, anders als die lineage, eine Gemeinde von Menschen, die einander nicht kennt. Verwandtschaft in der heutigen Anthropologie * Kinship bildet eine der institutionellen Domänen, welche als universelle Komponente in der Gesellschaft erdacht ist. * Kinship hat etwas mit der Reproduktion von menschlichen Wesen und deren Beziehungen zu tun. * Jede Gesellschaft soll für verschiedene soziale Absichten die genealogischen Beziehungen einsetzten um unter Menschen zu existieren. Monogamie und Polygamie …die Frage, ob eine Ehe aus zwei oder mehreren Eheleuten besteht. Polyandrie: eine Frau heiratet mehrere Männer. Polygynie: ein Mann heiratet mehrere Frauen. Verwandtschaft und Gender In Studien wird meist die männliche Perspektive eingenommen, Frauen haben einen Platz in den Studien (Ehefrau, Mutter, Schwester etc.). 27 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Heute gibt es eine wachsende Literatur, welche versucht das soziale Leben von einer genderneutralen Perspektive oder sogar vom Blickwinkel der Frau aus, zu betrachten. ________________________________________________________ Vorlesung: Genderanthropologie Soziale Differenzierung und Ungleichheit sind universelle Probleme. Es gibt keine einzige Gesellschaft in der alle Personen exakt die gleichen Rechte, Pflichten oder einen gleich starken Einfluss haben. Begriffe Geschlecht …umfasst mehrere Bedeutungsebenen. * chromosomale, hormonelle, somatische Ausstattung von Lebenswesen. * Kurzbezeichnungen von „Geschlechtsorganen“ in der Medizin. * Zusammenfassung der sozialen und osychologischen Aspekte der Geschlechtszugehörigkeit usw. Sex …biologisches Geschlecht oder die praktische Ausübung von Sexualität. Gender …Geschlecht als kulturelle/soziale Konstruktion, was Mann-und-Frau-Sein bedeutet, welcher Art die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in verschiedenen Kulturen sind, stellt das Ergebnis kultureller und sozialer Prozesse dar. Themenfelder * Genderbeziehungen: Machtverhältnisse, Aufgabenteilung. * Konstruktion und Repräsentation von Gender: Narration, Performanz, Mythe, Rituale, Filme, Kunstwerke, Literatur. * Gender im Kontext: soziale Gegebenheiten, auch in Zusammenhänge mit anderen Lebensbereichen (Erziehung, Berufsfelder). Geschlecht und Gender Es gibt zwei Arte Geschlechterunterschiede zu betrachten: * Biologische Aspekte: körperliche Unterscheide zwischen Mann und Frau (Aussehen etc.). Auf dieser Ebene ist von „Sex“ im Gegensatz zu „Gender“ die Rede. * Geschlechterunterschiede, die sich auf kultureller und sozialer Ebene auswirken. Hier spricht man von „Gender“. „Gender Studies“ wurden in der anthropologischen Forschung oft vernachlässigt. Die Vernachlässigung verbessert sich zunehmend seit den 1970er Jahren und „Gender“ wurde zu einem zentralen Thema dieser Disziplin. 28 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Geschlechtliche Unterscheidungen wurden vom Menschen kreiert. Gender und Arbeitsteilung Bereits in Gesellschaften mit einfacher Arbeitsteilung wird „Frauen- und Männlichkeit“ unterschieden. Beispiel einer Jäger-Sammler-Gesellschaft: Männer sind Jäger, Frauen Sammler und bilden die Hauptnahrungsquelle und trotzdem wird ihre Arbeit nicht als gleich wichtig bzw. wichtiger angesehen. Das Private und die Öffentlichkeit Frauen sind fast universell für den Haushalt zuständig, während Männer für die Beziehungen zwischen dem Haushalt und der Öffentlichkeit zuständig sind. Die Unterordnung der Frau wird oft durch biologische Gegebenheiten geklärt (Periode, Schwangerschaft, Stillen etc.). Queer Theory Beziehungen zwischen Genitalien, Geschlechtsidentitäten, sexuellen Identitäten und sexuellen Praktiken. Z.B. mehrere Geschlechter in Gesellschaften oder positive/negative Bewertung von Homosexuellen in der Gesellschaft. Male Bias =männerzentrierte Interpretation von Lebenszusammenhängen und Sozialisationsbedingungen. * Korrektur der männlichen Sichtweise. * Kritische Auseinandersetzung mit vorliegenden ethnographischen Arbeiten. * Weibliche Ethnographien: verstärkt Frauen in der Feldforschung; Gabriele Herzog Schröder. Geschlecht, Identität, Macht * Konstruktion von Gender. * Identität und Ritual. * Machtfelder von Männer und Frauen. * Machtverteilung, Gender und soziale Organisation. * Weiblicher (feministischer) Standpunkt in „männerdominierter Gesellschaft, die sexistische Wissenschaft betreibt.“ Herzog-Schröder: kriegerische Rituale sind nicht nur männlich, auch Weiblichkeit wird rituell konstruiert (Männer werden oft von Frauenritualen ausgeschlossen und daher gibt es wenig Aufzeichnungen). Alter Wie das Geschlecht ist auch das Alter ein universelles Prinzip der Unterscheidung und Klassifizierung. In vielen Gesellschaften steigt der Rang einer Person automatisch wenn sie älter wird, unabhängig vom Geschlecht. Alter wird oft mit tiefer Erfahrung und Weisheit assoziiert. In modernen industriellen Gesellschaften genießen Menschen keine besondere 29 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Autorität. Kinder und Jugendliche müssen erst sozialisiert werden. Sie werden einerseits als unschuldig (perfekt) und andererseits als noch nicht kultiviert (nicht perfekt) angesehen. Geschlecht und Alter snd die fundamentalsten Kriterien für soziale Differenzierung. Lebensabschnitte nach Colin Turnball (1) Kindheit: gekennzeichnet durch die Abhängigkeit von Anderen und den Erwerb kultureller Kategorien. (2) Adoleszenz: Zeit zwischen Kindheit und Reife, man entwickelt sexuelle Reife und bereitet sich auf die volle soziale Verantwortung vor. (3) Jugend: Stufe zwischen Adoleszenz und Erwachsensein, wird als Periode höherer Bildung beschrieben (diese gilt nicht als universelle Lebensstufe). (4) Erwachsensein: scheint langweilig zu sein, ist geprägt von Arbeit, Verantwortung und Routine. (5) Fortgeschrittenes Alter: Physisch und mentale Defekte setzten ein, aber „Herz und Seele“ sind vitaler denn je, da die Personen viel Erfahrung gesammelt haben. Das Altern und der Übergang zwischen Lebensstufen hat nicht in allen Gesellschaften dieselbe Bedeutung. ________________________________________________________ Kapitel 12: Austausch und Konsumtion Wirtschaft ist kein eigenständiger Sektor und läuft nicht ohne Interrelationen zu anderen Bereichen. Die Ansichten bezüglich Wert und Netzten variieren zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Individuen. In der Anthropologie kann Wirtschaft in zwei Teilbereiche beschrieben werden: (1) Der eine ist systemisch, wie die Produktion, Aufteilung und der Konsum von materiellen und nicht-materiellen Gütern in einer Gesellschaft. (2) Der zweite ist Akteur-bezogen, wie das Individuum aus den vorherrschenden Meinungen versucht den Wert zu maximieren. Diese zwei Perspektive, oft als substantivistisch und formalistisch bezeichnet, entsprechen jeweils der Spannung in der Sozialwissenschaft zwischen Akteur-zentriert und systemorientiert. Die Wirtschaft als Teil einer sozialen Totalität Beispiel: Malinowski – Trobriand Insulaner Die „Wilden“ wurden nicht von materiellen Bedürfnissen getrieben, dafür haben sie eine hochentwickelte Religion und regulierte gesellschaftliche Aufgaben, die viel eher „Bedürfnisse“ erfüllen. In einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft ist Geld das Hautantriebsmittel und exkludiert sich damit vom Rest der Gesellschaft. 30 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Geschenke als total-soziales Phänomen Das Schenken von Yamwurzeln unter den Trobriandern kann mit dem Taschengeld europäischer Eltern an ihre Kinder verglichen werden. In beiden Fällen wird von den Rezipienten keine Rückzahlung erwartet, aber zum Beispiel mit einer Hilfestellung der Verwandten unter den Trobriandern bzw. eine entsprechende Gegenleistung der Kinder gegenüber ihrer Eltern, beispielweise wenn diese alt geworden sind. Mit Geschenkten lassen sich Friede, Freundschaft oder (politische) Loyalität schaffen. „Wenn Freunde Geschenken machen, kann man genauso sagen, mit Geschenken macht man sich Freunde.“ (Sahlin) Wenn Leute Geschenke ablehnen, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass derjenige keine moralische Verbindung eingehen will. Der Potlatch, Reziprozität und Macht Potlatch ist ein Fest bei den Nordwesteküsten-Indianern. Diese lebten vor allem als Fischer, Jäger und Sammler und sind/waren durch eine starke Hierarchie gekennzeichnet. Im Rahmen dieser Feste kommt es zu einer kompetitiven Gabenverteilung durch rivalisierende Chiefs. Ziel ist es, seine eigene gesellschaftliche Position/den Rang der Gesellschaft zu stärken indem man den „Gegner“ mit dem Verschenken von Gütern zu übertrumpfen versucht, d.h. durch Großzügigkeit. Ein dadurch entstehender Nebeneffekt ist eine Art Versicherung, da auf diese Weise Güter über einen längeren Zeitraum angespart und in Notzeiten auch verwendet wurden und zum anderen bei den Festen auch an die gesamte Gesellschaft verteilt wurde. Kula ist ein Tauschsystem, welches zwischen teilweise weit voneinander entfernten Inseln im westlichen Pazifik stattfindet. Dabei werden Halsketten im Uhrzeigersinn und Armbänder gegen den Uhrzeigersinn zwischen Personen getauscht. Das Besondere an diesem System ist, dass es in erster Linie kein ökonomisches Interesse befriedigt. Wiederrum geht es um den Status von Personen, welcher mit dem Besitz von besonders begehrten Stücken verbunden ist. Dabei spielen, neben dem erlangen von Status und Macht, auch das das Weitergeben von Stücken, d.h. Großzügigkeit eine Rolle. Malinowski, welcher dieses System erforschte, konnte damit die Verflechtung von ökonomischen, rituellen und sozialen Prozessen zeigen (Funktionalismus). Drei Formen der Verteilung (Karl Polanyi) (1) Die Reziprozität ist das vorherrschende Prinzip von „gift economies“, wie egalitären Gesellschaften Melanesiens, die durch Beschenkung soziale Interpretation gewährleisten. (2) Bei der Redistribution werden einer zentralen Distanz (Institution, Herrscher) vor allen Mitgliedern einer Gesellschaft Güter abgetreten, die dann wieder auf alle verteilt werden. (Hierbei wird ein Machthaber legitimiert und gleichzeitig die Bedürfnisse der Ärmsten befriedigt). 31 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 (3) Die dritte Form ist das Marktprinzip, wo vertraglich gesicherte Beziehungen zwischen den Tauschenden bestehen. Der Markt ist anonym und folgt abstrakten Regeln. So wird beispielsweise eine unpersönliche Art der Interaktion vorausgesetzt (Supermarktverkäufer, Kassierer). Geld In den meisten Regionen gibt es Regeln was, wie verkauft werden darf. Selbst in modernen kapitalistischen Gesellschaften gibt es generelle Übereinkünfte, dass manche Dinge, wie zum Beispiel Freundschaft, nicht gekauft werden können. Am Beispiel der Trobriander sieht man wiederrum wie schwer der Tauschhandel sein kann, wenn es keine abstrakten Größen gibt um den Wert der Tauschmittel zu bestimmen. In weiten Teilen Westafrikas hatte sich ein „primitives Geld“ entwickelt. Man konnte sich mittels Muscheln bestimmte Güter kaufen. Allerdings keine speziellen Dinge wie Ländereien oder Dienstleistungen. „Stone Age Economics“ – Marshall Sahlins Marshall Sahlins kritisierte in seinem Werk ‚Stone Age Economics‘ die formalistische Annahme eines rationalen Akteur als die universale Grundlage der Wirtschaft, welcher die Grundlage der klassischen Ökonomie darstellte. Nach dieser Betrachtungsweise ist es das Ziel jedes Individuums, seinen Gewinn zu maximieren. Er zeigte anhand von Jäger-SammlerGesellschaften, wie etwa der KUNG, dass diese den Gewinn nicht maximieren, sondern optimieren. Ein weiterer Kritikpunkt am Formalismus, welcher Sahlins und auch Karl Polanyi formulierten, war, dass es nicht nur die marktwirtschaftliche Form der Ökonomie gibt, sondern eben auch die reziproke und die redistributive Form, welche jeweils auch im Zusammenhang mit anderen Institutionen und Bereichen der Gesellschaft stehen und wo nicht, wie etwa im Kapitalismus, die Ökonomie eine eigenständige Institution darstellt. Dieses, dem Formalismus gegenüberstehenden Ansatz, nennt man Substantivismus. ________________________________________________________ Vorlesung: Ökonomische Anthropologie Die ökonomische Anthropologie untersucht wie Menschen in sozialen Gruppen die materielle Welt benutzen um sich zu erhalten, d.h. um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ökonomie ist kein isolierter Faktor, sondern ein „kulturelles Produkt“ -> gilt für moderne und traditionelle Gesellschaften. Es gibt nicht nur eine Wirtschaftsform für ökonomisches Handeln. Subsistenzformen/Wirtschaftsweisen * Aneignende/erwerbende Subsistenzform -> Jagen, Sammeln, Fischfang. * Produzierende Subsistenzform -> Bodenbau, Viehzucht, Industriegesellschaft. * Ethnographie lokaler wirtschaftlicher Aktivitäten und des ökonomischen Systems. * Zusammenhang zwischen Subsistenzformen und Gesellschaftstypen. * Weltweite Systematik der Wirtschaftsformen und ihrer Absicht. 32 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 * Untersuchung des Verhältnisses von ökonomischen Handeln, sozialen Organisationsformen und natürlicher Umwelt. Marcel Mauss und „Die Gabe“ Marcel Mauss: maßgeblicher Vertreter der Sozialanthropologie des 20. Jahrhunderts; Verständnis sozialer Systeme; soziale Phänomene in ihrer Totalität; soziale Systeme sind für Mauss Netzwerke von reziproken Verpflichtungen, die im rituellen Austausch von Gütern und Dienstleistungen verwirklicht werden. In „Die Gabe“ verglich Marcel Mauss verschiedene Gesellschaften und deren Tauschsyste,e und erkannte, dass der Gabentausch reziproke Beziehungen erzeugt und domit einen gesellschaftlichen Zusammenhang herstellen kann. Für ihn fordert/verpflichtet jede Gabe eine Gegengabe, ansonsten würde eine Schuld bzw. eine Abhängigkeit entstehen. Dadurch, dass der Gabentausch in vielen Institutionen eine Rolle spielt bezeichnet er die Gabe auch als „totales gesellschaftliches Phänomen“. Marshall Sahlins + einer der einflussreichsten Anthropologen des 20. Jahrhunderts + Ökonomische Anthropologie: Tausch/Distribution/Reziprozität; Arbeit/Gesellschaft. Überflussgesellschaft? * Argumentation von Sahlins. * Annahme der klassischen und neoklassischen Wirtschaftstheorie: Bedürfnisse sind unendlich, aber die Mittel knapp. * Tragödie der Konsumgesellschaft: Es sind so viele Güter verfügbar und nur so wenige kann man erreichen. Jede Entscheidung für etwas bedeutet gleichzeitig Verzicht auf etwas anderes. * Kung-Bedürfnisse sind sehr beschränkt, die Mittel diese zu befriedigen aber unendlich und im Überfluss vorhanden. * Mobilität und Mäßigung bringen diese Ziele der Jäger/Sammler mit ihren technischen Möglichkeiten zusammen. Sahlins Schlussfolgerung - Jede technische Innovation hat nicht Arbeit erspart, sondern mehr Arbeit ermöglicht. - Menge der Arbeit pro Kopf. - Menge des Hungers der Welt nimmt zu. - Entwicklung der Wirtschaft wirkt bereichernd und gleichzeitig verarmend. - Aneignend in Beziehung zur Natur. - Enteignend in Beziehung zum Menschen. - Armut ist keine Beziehung zur Natur, sie ist ein Verhältnis zwischen Menschen. ________________________________________________________ 33 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Kapitel 13: Produktion, Natur und Technologie Schon Mitte des 18.Jahrhundert zeigte sich in der Philosophie der Aufklärung, dass es einen Zusammenhang zwischen Umweltbedingungen und Lebenswege gibt. * Der Fortschritt in der Technologie und Wissenschaft Europas liegt an dem rauen Klima, welches die Bewohner zwingt einfallsreich/erfinderische/originell und bissig zu sein um zu überleben (Montesquieu). * Der Geograph Ellsworth Huntington sprach sich für einen klimatischen Determinismus, in einer Originalstudie, aus, wo er die statische Beziehung zwischen Regentagen und das Ausleihen von Büchern in der Bibliothek von Bosten zeigt. An sonnigen Tagen borgen sich die Bewohner weniger Bücher aus. Es besteht kein Zweifel, dass die Natur die Grenzen der möglichen Optionen zur Menschlichkeit bestimmt. Kulturelle Ökologie und der Marxismus Parallelen: - Beide betonen die Wichtigkeit der materiellen Gegebenheiten/Einflüsse im sozialen und kulturellen Wechsel. - Beide wenden sich gegen die Soziologie. - Beide würden behaupten, dass die „menschliche Natur“ in einer grenzenlosen Anzahl auf verschiedenen Wegen geformt werden kann. - „Objekte“ Faktoren betonen die Wichtigkeit der Gegebenheiten außerhalb des menschlichen Bewusstseins liegend. Unterschied: - In der Rolle der menschlochen Tätigkeit und des sozialen Widerspruchs. Die kulturelle Ökologie beschäftigt sich eher mit dem Zusammenspiel zwischen demographischen Gegebenheiten, der ökologischen Anpassung und der Technologie in der Bedeutung der historischen Veränderung. Marxismus: Der Hauptwiderspruch der Gesellschaft liegt in der sozialen Organisation der Beziehungen zwischen Technologie und Besitz, zwischen Arbeit und Kapital (in kapitalistischen Gesellschaften) bestehender „Klassenkampf“. Menschliche Veränderungen von Ökosystemen Menschen reagieren nicht automatisch auf Umwelteinflüsse, auch wenn dadurch ihre Handlungen indirekt und direkt beeinflusst werden. Einige Anthropologen haben eine zutreffende Formel entwickelt, welche die genauen Zusammenhänge zwischen der Anzahl von Tieren und der Überlebenschancen für Haushalte und ökologische Nachhaltigkeit in einer gegebenen Umgebung darstellt. 34 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Fulani Untergrenze der Überlebenschance: 21 Kühe und ein Bulle für einen jungen Haushalt. Obergrenze: Große Herde ist abhängig von der sozialen Eingrenzung; eine zu große Herde würde zur Abtragung der Weide führen – Verwüstung. Dieses Denken neigt eigentlich dazu den Glauben zu festigen, dass die Gesellschaft selbstregulierend handelt, da sie nicht an den ökologischen Bedingungen um ihr Überleben zehren -> stimmt nicht ganz: es beeinflusst uns sehr. Menschen sind fähig ihr Ökosystem selbst zu bestimmen. Es besteht ein fortbestehender, notwendiger und gegenseitiger Austausch zwischen Gesellschaft und Umwelt. Es scheint als gäbe es zwei zusammenhängende Faktoren, die die Prozesse des Wechsels in der ökologischen Umwelt dramatisch beschleunigt. (1) Technologischer Wechsel – schließt eine verstärkte Ausbeutung natürlicher Ressourcen und eine erhöhte Energieversorgung ein. (2) Bevölkerungswachstum – häufig, aber nicht immer, das Ergebnis eines technologischen Wechsels. Technologie Technologien und Techniken sind kulturelle Produkte, die Teile der laufenden Prozesse in der Gesellschaft bilden und deshalb nicht getrennt von diesen Beziehungen erforscht werden können. Techniken formen unsere Beziehungen, aber unsere Beziehungen formen auch Techniken. Die Bedeutung des Traktors ergibt in der Produktion auf verschiedene Arten von Gesellschaft Sinn, sogar wenn er sich wandelt, ist der konkrete produktive Prozess überall ähnlich. Trotzdem ist es offensichtlich, dass die Technologie die Gesellschaft und Kultur häufig nicht schwer beeinflusst. Produktionssysteme und ihre Kennzeichen Es werden einige Systeme unterschieden bzw. nach verschiedenen Kriterien geordnet: * Kapitalistisches System: Privatbesitz (des Produktionsvermögen) * Sozialistisches System: Staatsbesitz * Verschiedene „vorkapitalistische“ Systeme Die Verhältnisse zwischen Produktion (Besitz und die Fähigkeit, die Arbeitsleistung anderer zu kontrollieren) und die Belastung der Produktion (Rohstoffe, Technologien) stellen eine Produktionsweise dar, die als ausschlaggebend für gesellschaftliche Organisation erachtet wird. In anderen Worten: die Unterschiede zwischen ökonomischen Systemen klassifiziert Gesellschaften anhand der dominanten Existenzweise. Folge Typologien weisen einige Zusammenhänge zwischen Existenzweisen und anderen Aspekten der Kultur und Gesellschaft auf (einschließlich die Technologie und die menschlichen Beziehungen). 35 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 (1) Jäger und Sammler (Wildbeuter) Ist keine produzierende, sondern eine aneignende Subsistenzform, welche sich durch kleine, mobile Gesellschaften kennzeichnet, welche auf Kleinfamilien basieren und egalitär zusammeneben. Ein weiteres Kennzeichen ist, dass es keine Vorratswirtschaft gibt (immediate return). (2) Hortikulturalismus (Gartenbau) Diese sind durch eine geschlechtliche Arbeitsteilung und durch einfache Technologien gekennzeichnet. Durch die Methode des Brandrohngsfeldbau kommt es zu einer seminomadischen Lebensweise. (3) Agrikulturalismus (Ackerbau) Unterscheidet sich durch den Gartenbau durch die Verwendung von Pflug und Zugtieren, eine differenzierten Arbeitsteilung, eine stärkerer Hierarchie und sesshafte Lebensweise. (4) Pastoralismus (Hirtennomaden) Kennzeichnet sich durch eine flexible, nomadische Lebensweise, welche in den meisten Fällen mit einer symbolischen Beziehung zu benachbarten Ackerbauern einhergeht. (5) Peasants Diese Bezeichnung bezieht sich auf Ackerbauern, welche innerhalb einer Weltökonomie produzieren. Sie sind nicht mehr subsistenzfähig, sondern produzieren für den Markt und brauchen diesen auch um selbst Waren zu kaufen. Auch Grund und Boden sind eine Ware (und nicht wie bei Ackerbauern der Besitz von Lineage, welcher nicht verkauft werden kann). (6) Industriegesellschaft Diese, meist größeren Gesellschaften, kennzeichnet eine komplexe Arbeitsteilung, anonyme Marktwirtschaft, zentralisierte Staaten und geschriebene Gesetzte. Kapitalismus als ein System der Produktion Während des 20.Jahrhunderts und steigend seit dem 2.Weltkrieg sind Völker auf der ganzen Welt zu Teilnehmern einer globalen Weltwirtschaft geworden. Der Kapitalismus ist nicht die dominante Weise der heutigen Produktionswelt, aber er legt ein Limit für andere Produktionsformen fest. Wallenstein unterteilt das kapitalistische Weltsystem in drei verschiedene Bereiche: (1) Der Kern. (2) Die Semi-Peripherie. (3) Die Peripherie (Afrika, Lateinamerika, ein Großteil von Asien): die ökonomische Entwicklung hängt von den Investitionen und Bedürfnissen der Kernbereiche ab. Die Wirtschaft in diesen Bereichen ist den unberechenbaren Bewegungen in Marktpreisen, geringeren Löhnen und niedrigen Investitionsraten unterworfen. Häufig ist es möglich Armut und Klassenunterschiede in Ländern der Dritten Welt an der heimischen Staatsmacht zu erkennen (z.B. Kongo). 36 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Heutzutage findet man auch viele Rohstoffproduzenten, die sich zu Industrieländern entwickelt habe. Unterschied zwischen Bauern und Lohnarbeitern Bauern: ~ sind örtlich integriert ~ sind keine Bürger ~ dürfen nur Anfragen an ihre Verwandten und örtlichen Machthabern richten ~ verwenden keine Technologie ~ sind an ihr Land gebunden, Landarbeiter können ersetzt werden und ihre Arbeit wechseln Lohnarbeiter: * wirken in einem globalen System der Produktion des Verkaufs und des Verbandes mit * werden zu Bürgern/Staatsangehörigen in mehreren Hinsichten * sind in etlichen namenlose Strukturen integriert, welche dazu beitragen ihr Leben zu formen * können ihr Gehalt überall ausgehen, alles kaufen * zahlen der Regierung Steuern * müssen die schriftlich festgehaltenen Gesetzte des Landes befolgen * können gewisse Anforderungen gegenüber dem Staat stellen ________________________________________________________ Vorlesung: Anthropologie der Natur # Eigenständiges Forschungsfeld # Verhältnis von Mensch und Natur, Kultur und Natur # Beziehung zwischen Gesellschaft und Umwelt -> Neue Themen: Anthropologische Auseinandersetzung mit Klimawandel und Umweltproblemen Natur ist nicht nur eine Ressource, auch Gegebenheiten wie Landschaft etc. sind ein Teil von verschiedenen Praktiken der Kultur. Natur des Menschen -> Zwei Dimensionen 1. Teil der „Natur“ – Ähnlichkeiten mit Tieren, Instinkten -> Biologie: Naturwissenschaften 2. Teil der „Kultur“ – Anders als Tiere; Lernen, Sprache, Symbole -> Kultur- und Sozialwissenschaften Mensch, Kultur und Natur Symboltheoretische Ansätze * „Natur“ = Begriff = Symbol = Wort = Kultur 37 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 * „Natur“ = Teil eines kulturspezifischen Bedeutungs- und Wertsystem * Verschiedene Kulturen haben unterschiedliche Begriffe bzw. Auffassungen von Natur * Untersuchungsgegenstand: Unterschiedliche Vorstellungen und Praktiken in Zusammenhang mit Natur und ihre sozialen Auswirkungen Materialistische Ansätze * „Natur“ = Materie = materielle Basis für menschliches Leben * „Natur“ = Natürliche Umwelt = Habitat * „Natur“ -> Subsistenz (Wirtschaftsformen) -> Sozialorganisation -> Kultur (Kulturökologie) * Differenz „Kulturen“ durch unterschiedliche Umweltbedingungen begründet * Untersuchungsgegenstand: Interaktionsformen Mensch/Natur und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft/Kultur Biologische Ansätze * Mensch = Natur = Gene = Rasse * Differenzen zwischen Menschen(gruppen) biologisch begründet * Natur = Differenz zwischen Menschen(gruppen) * Bewertung der Differenz und ihrer Auswirkungen. Soziobiologische Ansätze * Mensch = Natur = Gene = Produkt der Evolution * Natur: allgemeine Basis für menschliche Gesellschaft/Kultur * soziale und kulturelle Phänomene durch evolutionistische Theorien erklärt/begründet (Adaption, Selektion) Synthetische Ansätze * Neue Entwicklungen * Zusammenfügen unterschiedlicher Facetten des Verständnisses von Mensch, Natur und Kultur * Natur und Kultur = gemeinsamer Prozess Tim Ingold Skills = Fähigkeiten der Menschen -> weder genetisch noch kulturell bedingt, entstehen durch Interaktion mit bestimmter Umwelt mittels bestimmten Praktiken, sowohl biologisch als auch kulturell. Historische Ökologie - Interaktionen/Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt im historischen Kontext - Lange historische Zyklen - Menschliches Handeln -> Einfluss der Menschen auf die Umwelt -> Veränderung von Landschaft -> Verschiedene Typen von Gesellschaften beeinflussen Umwelt auf unterschiedliche Weise 38 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Anthropologie und Klimawandel + Indigene Gruppen (in gefährdeten Gebieten) betroffen + Unterschiedliche lokale Praktiken/Probleme in Bezug auf den Klimawandel + Wie Menschen auf Mensch-Umwelt-Ereignisse und Klimakatastrophen reagieren + Ressourcen sind in Gefahr (indigene Völker, z.B. Inuits) ________________________________________________________ Kapitel 14: Religion und Ritual Religion ist ein schwer definierbarer Begriff, welcher sich in den letzten hundert Jahren auch immer wieder verändert hat. So ist beispielsweise die frühere Abgrenzung zu Heidentum, Aberglaube und Magie heute nicht mehr haltbar. Folgende Autoren haben versucht mit bestimmten Definitionen und Unterscheidungen das Wesen der Religion zu beschreiben: Clifford Geertz hat folgende Punkte herausgearbeitet: ein Symbolsystem, welches tiefe Gefühle und eine Ordnung erzeugt, welche durch eine „Aura der Gewissheit“ glaubhaft erscheint. Dabei wird sowohl die Welt erklärt (Ontologie), also auch eine Handlungsweise vorgegeben (Moral). Dieser symbolische Zugang, welcher in ähnlicher Form auch schon von Evans-Pritchard verwendet wurde, bezieht sich vor allem auf die Sicht derer, welche dich Religion praktizieren (emischer Zugang). Emile Durkheim unterschied zwischen dem Heiligen (Sakralen) und dem Profanen (Alltag), wobei er annahm, dass diese Unterscheidung universell sei. Eine weitere Unterscheidung ist zwischen mündlichen und schriftlichen Traditionen, wobei letztere durch eine weite Verbreitung (in verschiedenen Kulturen), Dogmatismus, Glaubensbekenntnis (durch Konvertierung) und Ausschließlichkeit gekennzeichnet wird. Im Gegensatz dazu, sind mündliche Traditionen stärker in anderen sozialen Praktiken verankert. Eine weitere Unterscheidung wurde von Robert Redfield getroffen, nämlich zwischen little und great traditions. So versteht er unter great traditions etwas große Glaubenssysteme (z.B. Christentum), neben welchen aber auch gleichzeitig, nebenbei little traditions (z.B. Glaube an den „bösen Blick“) praktiziert werden können. Religionen beschäftigen sich auch mit dem Tod. Dabei kommt der Ahnenverehrung ein wichtiger Stellenwert zu. Zentral dabei ist, dass kein Bruch zwischen Leben und Tod gesehen wird, sondern eine Kontinuität zwischen diesen. Dies zeigt sich etwa an dem Beispiel der Kaguru. Bei den Kaguru ist der Ackerboden jeweils der Besitz der Lineages. Damit sind die Ahnen dieser Lineages Besitzer und spielen somit in den Ritualen, welche sich mit der Fruchtbarkeit des Bodens, aber auch in weiterer Folge mit der Mädcheninitiation beschäftigen, eine zentrale Rolle. 39 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Jede Religion, wie auch alle Arten von Ideologien, müssen gleichzeitig einen politischen Auftrag rechtfertigen und eine bedeutungsvolle Weltsicht für dessen Mitglieder bereitstellen. Rituale Rituale lassen sich allgemein als der „soziale Aspekt von Religion“ bezeichnen, welcher meist an bestimmte Regeln gebunden ist. Ähnlich wie bei der Religion gibt es keine endgültige Definition, sondern wieder eine Vielzahl an Autoren, welche bestimmte Aspekte herausgearbeitet haben. Max Gluckman beschrieb die rituelle, theatralische Verspottung des neuen Königs in Südafrika. Dabei wird, ähnlich des mittelalterlichen Karnevals, die soziale Hierarchie für einen abgegrenzten Zeitraum umgekehrt, was zum einen soziale Spannung löst, aber gleichzeitig auch die herrschende Ordnung bestärkt, dadurch, dass klar ist, dass es sich um die Ausnahme und nicht um die Regel handelt. Eine kulturökologischen Ansatz vertritt Roy Rappaport, welcher anhand der Tsembaga Maring, Schweinezüchter und Gartenbauern zeigte, wie ökologische Faktoren Auslöser für einen Ritualzyklus sein können, an dessen Ende die Stabilisierung des Systems stehen könnte. Wenn zu viele Schweine vorhanden sind, dass sie bereits Gärten zerstören, beginnt ein Ritual, wobei zum einen Schweine geschlachtet werden, aber zum anderen Kriege gegen Nachbarn geführt werden um mehr Platz zu schaffen. Edmund Leach zeigte in seiner Arbeit über die Kachin, dass Mythe und Rituale nicht notwendigerweise Stabilität erzeugen müssen. Bei den Kachin gibt es zwei Prinzipien: gumsa (Hierarchie) und gumlao (Egalität). Die Gesellschaft oszilliert nun zyklisch zwischen den zwei Polen. Die Mythen und Rituale sind nun so beschaffen, dass sie durch kleine Veränderungen sowohl das eine oder andere Prinzip unterstützen können. Dadurch wird diese Instabilität nicht nur ermöglicht, sondern auch gefördert. Maurice Bloch wies in seiner historischen Analyse darauf hin, wie zentrale Aspekte, Motive (z.B. der Widerspruch von Segen und Gewalt) erhalten bleibt, auch wenn es zu großen soziokulturellen Veränderungen kommt. Weiters kritisierte er, dass durch die Komplexität von Ritualen die meisten Analysen daran scheitern, dass sie nur einseitig sind (d.h. nur funktionalistisch oder nur interpretativ) sind. Seiner Meinung nach muss eine Analyse vielseitiger sein. Rituale sollen also eine Verbindung der Beziehungen zwischen den indischen und den spirituellen Bereichen bieten. Die Definition klingt sehr leicht, aber in Wirklichkeit gibt es sehr komplexe Theorien darüber. Eine Perspektive meint, dass Rituale Macht legitimieren und deshalb wichtige Bewegungsmittel der Ideologie sind. Eine andere Perspektive: Die Fähigkeit des Rituals ist es den Leuten die Möglichkeit zu gehen, über ihre Gesellschaften ihre Rolle in dieser zu reflektieren. 40 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Genereller Punkt: die Bedeutung des Nutzens; Religion und Wissen wird nur dann wichtig, wenn ein Nutzen besteht. Verschiedene Arten von Wissen werden relevant in einer bestimmten Situation. Daher muss es nicht unbedingt eine praktische Unterscheidung zwischen beispielsweise dem Glauben an die Bibel und die wissenschaftlichen Theorien geben, solange die beiden Bereiche separat gehalten werden. Genauso ist es mit den Kachin: man kann sowohl gumlao als auch gumsa Werte befürworten, jedoch nicht gleichzeitig. ________________________________________________________ Vorlesung: Religion und Weltbild Religionsanthropologie: Untersuchung unterschiedlicher Glaubensvorstellungen und spirituellen Praktiken, sowie deren kulturelle Einbettung. Religion ist auch mit anderen Lebensbereichen verflochten: Soziale Beziehungen, Wertvorstellungen, Genderbeziehungen, Vorstellung von Gesundheit und Krankheit, politische Organisation, wirtschaftliche Zusammenhänge. Soziale Organisation von religiösen Gruppen/Institutionen * Interne Prinzipien der Organisationen (Hierarchie, Egalität) * Einzelne Akteure (Schamanen) oder Gruppen (Priesterschaften, Orden) Soziale Organisationsformen im tibetischen Buddhismus: - Hierarisch strukturierte Klöster und religiöse Schulen - Männer meist in zentralen Positionen - Offen für Laien und Mitglieder anderer Religionen Verhältnis von Konflikt, Gewalt und Religion + Religion als Teil von Haltungen/Prozesse wie Intoleranz, Ausgrenzung und Abwertung + Religiöse Ansprüche auf „Wahrheit“ + 9/11; „riots“ in Mumbai/Irland, Kreuzzüge + Religion = Teil eines Gefüges von multiplen Komponenten von Konflikten + Gewalt meist in Widerspruch zu allgemeinen ethischen Grundsätzen der Religion Religion ist ein Symbolsystem ~ Zielt darauf ab starke, umfassende, dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen ~ Formuliert Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung Interpretative Theorie der Kultur # „Dichte Beschreibung“ = genaue Beobachtung, Beschreibung und Deutung # Arbeit des Ethnographen: „besondere geistige Anstrengung“ # KSA: „keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzten sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutung sucht. 41 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Religion und Weltbild ° Weltbilder sind Gefüge von Vorstellungen und Konzepten; Gefüge von (kollektiven) Repräsentationen ° Matrix für Produktion von Bedeutung ° Weltbild/Weltanschauung -> Ideologie -> Gefüge von Glaubenssätzen/Religion Weltbild: Tapisserie „Die Schöpfung“ Konzepte von Zeit und Raum, Verhältnis von Mensch und Natur, Gott, Moral, soziale Ordnung, Arbeit/Wirtschaft. Animismus/Totemismus Prinzipien der Konstruktion sozialer Realität, welche sich primär in den Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung manifestieren (Phillipe Descola). Schamanismus * Interaktion mit spirituellen Wesen * „Hilfsgeister“ * Spirituelle Reisen in verschiedene Ebenen des Kosmos, z.B. bei Titelbegleitung, Heil- und Jagdrituale Mircea Eliade - Religionswissenschaftler, Philosoph, Schriftsteller - Seine Forschung war sehr lange die Grundlage für die Schamanismus-Forschung - Eliade: Schamanismus ist nicht an bestimmte geschichtlichen, gesellschaftlichen oder geographischen Kontexte gebunden - Transhistorische und transkulturelle Erscheinungen Rituale: Symbole, Handlungen und Performance Rituale sind spezifische Formen des performativen und symbolischen Handelns, die mit vielen Bereichen des Lebens verbunden sind. Sie sind prozessual, transformativ, dynamisch, aber auch durch eine beständige Wiederholung von Handlungsabläufen gekennzeichnet. Viktor Turners Analyse von Symbolen Für ihn sind Symbole multivokal/mehrdeutig, damit meint er, dass ein Symbol für mehrere Dinge steht und verschiedene Interpretationen/Lesearten zulässt. Dadurch können sich mehr Menschen damit identifizieren oder verbunden fühlen, obwohl sie unterschiedlich sind. Dies hat wiederrum zur Folge, dass über diese gemeinsame Identifikation mit einem Symbol eine Solidarität hergestellt wird und zur Gruppenbildung- und bindung beiträgt. Diese Funktion wird auch bei säkularen Symbolen deutlich, wie etwa bei Flaggen. Verschiedene Formen von Rituale + Übergangsriten + Jahreszeiten-Rituale 42 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 + Heilrituale + Profane/sakrale Rituale + Öffentliche/private Rituale Ritual/Religion - Ritualforschung seit dem 19.Jahrhundert - Religion im Mittelpunkt des Interesses - Gegenwärtige Theorien über das Ritual haben eher wenig mit Religion zu tun - Fragen nach Form, Funktion und Wirkungsmacht von Ritualen - Repräsentieren und stärken soziale, kulturelle oder politische Ordnungen oder stellen sie in Frage - Konstruktion von Unterschieden und deren Markierung - Überbrückung und Überschreitung von sozialen, kulturellen, kognitiven oder auch fachlichen Grenzen Ritual und Symbol * Ritual: aktive Form der Kommunikation * Beruht auf der Fähigkeit, komprimierte Symbole aufzunehmen und zu interpretieren Mary Douglas * Körper fungiert als ein Symbol für Gesellschaft * Ausdruckmittel für Soziales * Untersuchung von (Initiations)Ritualen * Konstruktion von Gender, Tabus und Reinheit (z.B. in Zusammenhang mit Menstruation) Ritualtransfer, Raum, Globalisierung # Rituale als Teil von globalen kulturellen Prozessen # Migration # Transnationale Räume # Transkulturelle Praktiken # Tourismus Losar – Tibetische Neujahrsrituale in Nepal + eines der größten Feste im tibetischen Jahresablauf + Zeit für besondere religiöse Zeremonien, Besuch bei Verwandten/Freunde + Soziale und religiöse Komponente + Mondkalender + Tibetische Exilgemeinschaft Ritualtransfer Weihnachten - Symbole und Konsumgüter - Transkulturelle Prozesse 43 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 - In unterschiedlichen kulturellen Konstellationen neu kontextualisiert - Zusammenhang mit Globalisierung Rituale und Medien ° Vielfältige Interaktionsweise ° Veränderungen des rituellen Raumes ° Repräsentation von Ritualen in den Medien ° Durch Medien erweiterte Teilnahme an Ritualen ° Medien als Raum ritueller Praxis Mythen und andere Geschichten „Myth is not a story told, ut a reality lived.“ (Malinowski) „Begibt man sich auf die Suche nach den Strukturen, die den Mythen zugrunde liegen, so forscht man nach den logischen Strukturen des Denkens.“ (Lévi-Strauss) „All myth are stories, but not all stories are myth.“ (Doninger) Vielfalt: Inhalt, Figuren (Handlungsträger) - Lebenswelt der Menschen - Natur und Übernatürliches - Götter, Dämonen, Geister, Trickster - Mythen – Sagen – Märchen - Ursprung der Dinge - Wünsche, Gefühle, Konflikte - Regeln des Zusammenlebens in einer bestimmten Gesellschaft Ausdrucksformen und Weitergabe * Mündlich oder schriftlich * Tanz, Theater * Objekte, bildliche Darstellung * Film, Videospiele „Der Mythos ist eine äußerst komplexe kulturelle Realität, die sich aus vielen und einander ergänzenden Perspektiven erörtern und interpretieren lässt!“ (Eliade) Mythenanalyse: Kontext + Traditionelle Erzählungen in ihrem sozialen, religiösen und kulturellen Kontext + Teilnehmende Beobachtung und Dialog mit den mythmakers + Erkenntnisse über die Bedeutung von Mythen im Leben des Menschen Die Struktur der Mythen ~ Mythen als Zeichensystem und sprachliches Gefüge ~ Suche nach Gesetzmäßigkeiten des Mythos als sprachliches System 44 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 ~ Mythen erzählen = Produktion von Bedeutung ~ Bedeutungen -> organisieren und regulieren (soziale) Praktiken Strukturale Anthropologie: Claude Lévi-Strauss -> Mythologie, Weltbild, Verwandtschaft, Heirat, Ritual, symbolische Ökologie ° Methodische und theoretische Grundlagen der strukturalen Anthropologie ° Sprachwissenschaft ° Soziologische Ansätze von Emile Durkheim ° Bedeutung = Effekt in differenzieller und oppositioneller Relation zu anderen Zeichen ° Bedeutungs- und Sinnsysteme in menschlichen Kulturen -> „semiologische“ Merkmale wie Sprache Mythen und Veränderung - Wandelbarkeit von Mythe - Eigenschaften, die Mythen per se innewohnen und sich in verschiedenen Kontexten sowie unter vielfältigen Konditionen manifestieren. Verschiedene Dimensionen der Veränderungsprozesse # Inhaltselemente # Szenerien, Orte der Erzählung # Darstellungsformen # Verbindung mit Ritual und Alltagsleben # Räumliche und (trans)kulturelle Verbreitung # Medien der Zirkulation # Tradierung Aneignung, Hybridisierung, Plastizität * Verhältnis von Veränderung und Kulturkontakt * Mythen sind mit verschiedenen Formen interkultureller Kommunikation und Interaktion vernetzt * Bestandteil größerer transkultureller Prozesse * Machtverhältnisse: Missionierung, Kolonialismus und Globalisierung Mythen und Filme - Kontinuität der Erzählstoffe - Bedeutung der Handlungsträger - Formen der Konstruktion von Bedeutung - Ähnliche soziale und kulturelle Bedeutung und Funktion Helden, Trickster und andere Figuren -> Mythen/Filme: Kontinuität der Charakerisierung der Handlungsträger -> Joseph Cambell: The hero woth thousand faces 45 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 -> Heldenfiguren; ihre Funktion und Sequenz von Heldenmythen -> Konstruktion von Gender Lee Dumond: Drei Achsen der Bedeutung (1) Tier Artifakt/Maschine (2) Wir/Eigene Sie/Andere (3) Leben Tod Mythische Figuren und Motive im Kino * Konstruktion von Bedeutung * Dekontextualisierung („Ausbauen“) und Rekontextualisierung („Wieder Einbauen“) von Inhaltselementen Captain Jack Sparrow als Trickster ° Schöpferische Kraft, die Gutes wie Böses bewirken kann und die Welt in Bewegung versetzt ° Zwielichtige und vieldeutige Gestalt ° Handlungen sind ambivalent ° Überschreitet Grenzen zwischen: Richtig und Falsch; Gut und Böse; Ernst und Clownerie; Erfolg und Versagen Vgl. Odysseus Mythische Motive und mythischer Kode in Pirates oft he Carribean - Piratengeschichten - Mythologie des Meeres und der Seefahrt - Mythologie der Entdeckungszeit etc. Mythologie der Seefahrt + Argonauten, Odyssee + Irrefahrten + Fliegender Holländer + Monster und Meeresungeheuer Geschichten des Kolonialismus ~ Schätze und Schatzsucher ~ Materielle und inmaterielle Schätze ~ Abenteuer/Quest ~ Prozess der Aneignung und seine Folgen ~ Verfluchter Aztekenschatz von Konquistadoren gestohlen und von Piraten erbeutet Ferne Gewässer und Ufer * Raum des Ungewöhnlichen, des Monströsen oder einer verkehrten Welt * Antikes Weltbild und seine mythische Geographie * Schatzinseln und Kannibalen * Das Ende der Welt ________________________________________________________ 46 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Kapitel 17: Ethnizität Ethnizität ist zweifellos einer der zentralsten Begriffe und eines der zentralsten Forschungsfelder der Kultur- und Sozialanthropologie seit drei bis vier Jahrzehnten. Das anthropologische Verständnis von Ethnizität umfasst verschiedene Aspekte. Zentral dabei ist, dass es sich nicht um etwas Konkretes, sondern um einen Prozess handelt. Dieser Prozess ist eine Kommunikation/Interaktion zwischen mindestens zwei Gruppen, welche in einem bestimmten Verhältnis stehen und sich voneinander abgrenzen wollen. Dabei ist festzuhalten, dass die beiden Gruppen viel gemeinsam haben müssen, denn sonst wäre eine Abgrenzung nicht nötig. Bei dieser Form von Abgrenzung spielen auch Stereotypen eine Rolle, welche positiv oder negativ, auf eigene oder andere Gruppen bezogen sein kann und die Heterogenität von Gruppen ignoriert. Des weiteren ist Ethnizität immer sehr situationsabhängig, d.h. in bestimmten Situationen tritt Ethnizität in den Hintergrund und andere Differenzierungen spielen eine wichtigere Rolle (z.B. Geschlecht, Bildung, Klasse). Außerdem muss man zwischen ethnischer Identität (dem reinen Gruppen-Wir-Gefühl) und einer ethnischen Organisation (Politik) unterscheiden. Hierbei hat Don Handelmann vier Kategorienn unterschieden, je nach Stärke der politischen Organisation von ethnic category über ethnic network und ethnic association bis hin zu ethic community. Auch die Geschichtsschreibung spielt eine wichtige Rolle in der Konstruktion von Ethnizität, dadurch, dass die eigene Rolle und Bedeutung und die Legitimierung der Ordnung hervorgehoben wird (d.h. eine Art Ursprungsmythe). Ethnizität kann auch ausgedrückt werden in * Prestigekonsum = demonstrativer Konsum * Religiöse Kulte * Friedfertige Phänomene Ethnizität ist eine Beziehung zwischen Gruppen, deren Mitglieder sich gegenseitig als kulturelle unverkennbar erachten. Eriksen: Die Idee von isolierten Gruppen ist absurd, denn erst durch den Kontakt mit anderen entdecken wir, wer wir selbst sind. Stereotypen=simplifizierende Beschreibungen kultureller Eigenschaften durch andere Gruppen; individuelle Variationen werden nicht in Betracht gezogen. Ethnische Stereotypen=oftmals moralisch verurteilend. Solche Bilder können Gruppenzusammenhand und Selbstbild stärken und Grenzen verhärten. 47 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Dichotomisierung: bezieht sich auf die Artikulation ethnischer Beziehungen durch gegenseitige Verneinung. Komplementarisierung: Ausdruck ethnischer Beziehungen innerhalb einer gemeinsamen Sprache, in der beiden Gruppen als kulturell unverwechselbar und als strukturell äquivalent betrachtet werden. Die analytischen Perspektiven von Ethnizität fokussieren sich auf: - soziale Konstruktion und Aufrechterhaltung ethnischer Grenzen. - die Verwendung von Geschichte als Mythos um Grenzen aufrecht zu halten. - die Kommunikation kultureller Differenzen. - den situationsbedingten Charakter sozialer Identifikation. Die Verlagerung von Klassenanalyse zu Analyse ethnischer Beziehungen ist symptomatisch für eine „ethnification“ von Politik und Identifikation in vielen Teilen der Welt. Ethnische Kategorie: durch Endogamie und Mythen der Herkunft wird Ethnizität über Generationen hinweg reproduziert. Ihre soziale Relevanz außerhalb von Verwandtschaftsorganisationen ist vernachlässigbar. Ethnisches Netzwerk: interpersonelles System der Interaktion, was von einem Fluss von Werten begleitet wird, die ethnische Linien folgen. Ethnische Assoziation: besteht aus einer zielgerichteten kollektiven Organisation, die nach gemeinsamen Zielen strebt, die für die ethnische Gruppe als Ganzes definiert werden. Ethnische Gemeinschaft: hier existiert eine ethnische Gruppe mit klarer territorialer Basis (=höchste Ebene ethnischer Eingliederung). ________________________________________________________ Kapitel 19: Anthropologie und die Widersprüche der Globalisierung Die Welt ist schon länger nicht mehr so, wie wir sie gewohnt waren, oder vielleicht so wie wir sie uns vorgestellt haben. Wichtig: * sie verändert sich schon immer * selbst im Mittelalter gab es kosmopolitische Stämme * es gab schon immer Kommunikation zwischen den Gesellschaften * Phänomene: kultureller Imperialismus – Globalisierung der Kulturen * Sorge um dieses Phänomen schon in den 1920ern (Malinowski) * Anthropologien 1920er: Bali warnten vor Massentourismus und Kulturzerstörung * 1960er-1970er gab es große Sorge innerhalb der Disziplin vor der Ausrottung einzelner Kulturen Schwerpunkt der Forschung auf traditionell lebende Menschen 48 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 * Seit einigen Jahren neuer Schwerpunkt: verschiedene Vernetzungen, neue Komplexitäten beim wachsenden Kontakt zwischen den Kulturen Wo sind wir jetzt?! Beinahe alle Gesellschaften sind in verschiedenen Graden in größere, ökonomische, politische, kulturelle Systeme integriert. Für manche ist die Auswirkung im täglichen Leben kaum spürbar, auch wenn sie als Lohnarbeiter Teil der monetären Gesellschaft geworden sind. Für viele änderte sich das Leben jedoch fundamental: # Azande (Sudan): Lohnarbeiter von Baumwoll- und Erdnussfarmen. # Yanomamö (Venezuela): Bodensätze (z.B. Gold) wurde in ihrem Gebiet gefunden professionelle Sprecher reisen um die Welt um für ihre Rechte zu kämpfen sie leben zum Großteil noch von Gärtnerei tragische Wende durch den Krankheitserreger Masern. # Mundurucú (Brasilien): Lohnarbeiter von Kautschukplantagen. # Dogon (Mali): seit französischer Kolonialisierung Friede mit Erzfeind der Fulani (Franzosen schützen die Dogon) Territorium wurde wesentlich größer leiden unter Dürre in der Sahelregion zum Großtei in den Nationalstaat Mali integriert -> Kinder besuchen Schulen, lernen Französisch -> Industrieprodukte: Radio, Fahrrad, Fabrikkleidung -> Neue Religionszugehörigkeit: Islam # Nuer und Fur (Sudan): im Bürgerkrieg involviert leiden an Dürre und politischer Situation # Trobriand Inseln: Veränderung in Politik und Ökonomie Verwandtschaftssysteme und zeremonieller Austausch sind noch vorhanden, jedoch mit anderer Bedeutung!! Die wichtigste Aufgabe der Anthropologie kann es nicht länger sein fremde Kulturen zu beschreiben, sondern vielmehr die Darstellung der Prozesse, die in verschiedenen Variationen und Stufen im globalen System bei der Veränderung von lokalen Leben zur Teilhabe am globalen Geschehen haben. Thema der Anthropologie im „globalen Zeitalter“: Beziehung zwischen Lokalem und Globalen. Begriff Globalisierung bedeutet nicht, dass wir alle identisch werden. Begriff Modernisierung führt zu Themen wie Kapitalismus, moderner Staat, Individualismus. Moderne Technologien führen zu + Loslösen kultureller Phänomene von Plätzen (Jugendkultur, Prestigegüter, beliebte Filme; Phänomene existieren im Globalen und Lokalem). + Kommunikation weltweit (Flugzeug, Telefon, Internet „Raum“ ist nicht länger ein Puffer zwischen Kulturen). Modernität und Globalisierung Der Staat und das Bürgertum sind beinahe das universelle Prinzip der sozialen Organisation (wenn auch in vielen Varianten). Wenn es auch Menschen gibt, die wenig Kontakt mit dem 49 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Staat haben, so können sie ihm trotzdem nicht entkommen Monopol von Steuern und legitime Gewalt hat der Staat überall. Lohnarbeit und Kapitalismus sind weltweit verbreitet. Kapital ist von Territorien losgelöst (Produktion in Billigländern). Konsum ist von Geld dominiert. Produktion und Tausch werden weniger bedeutsam. Politik und Ökonomie sind weltweit in ein abstraktes, anonymes Netzwerk von Investitionen, Austausch und Migration integriert. „Butterfly effects“: Der Flügelschlag eines Schmetterlings weht seinen Wind bis nach Wien. Konsequenz: Politische Ereignisse, sowie Umweltkrisen und Klimawandel betreffen die ganze Welt. Entwicklung von NGO’s, UNO, Rotes Kreuz, Amnesty International tragen zum weltweiten Diskurs über Moral und Politik bei. Ereignisse und Phänomene veranlassen die Menschen ihre Identität als Weltbürger wahrzunehmen. Die Betrachtungen erfolgt aber immer vom eigenen lokalen Standpunkt. In diesem Sinne sind Phänomene lokal und global zugleich. Global verbreitet und lokal interpretiert. ________________________________________________________ Vorlesung: Globalisierung, Migration, Urbane Anthropologie Der Begriff Globalisierung geht mit dem Phänomen, dass durch verschiedene technische Entwicklungen der Prozess nach dem zweiten Weltkrieg beginnt, der die Welt und ihre Akteure in diesem Netz der Verflechtungen immer mehr verpflichtet, Hand in Hand. - Neue Formen und Bedienungen der Nachbarschaft - Marshall McLuhan: Welt = globales Dorf - Medien schaffen Gemeinsamkeiten ohne „sence of place“ Homogenisierung vs. Kreolisierung * Vereinheitlichung: „McDonaldisierung“, „Cocacolanisation“; Verwestlichung führt zu Zerstörung kultureller Vielfalt. * Differenzierung: transkulturelle Prozesse, Hyperkulturalität Kreolisierung, Hybridisierung, Globalisierung Globalisierung ist ein Zusammenspiel von Vereinheitlichung und Differenzierung. Globalisierung + Roberson Roland, Bauman Zygmunt + Phänomene, die sowohl lokale als auch globale Auswirkungen haben und sich auch verbinden lassen. + Lokale Auswirkungs- und Erscheinungsebene der weltumspannenden Globalisierung. 50 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Kulturelle Verflechtungen # Orientalismus exotisieren des Anderen; umfasst eine Annäherung, aber auch eine Entfremdung anderer Welten. # Kulturelle Baukästen: Mensch in verschiedenen Epochen und Regionen. # Kreolisierung (Vermischung von großen Teilen), Hybridisierung, Transkulturalität. Arjun Appadurai Konfiguration von Menschen und Traditionen nicht holistisch begrenzt oder ortsgebunden zu betrachten. Fünf Dimensionen von cultural flows 1. Ethnoscapes: Ethnische Landschaften (unterschiedliche Konfigurationen, die sich durch die gemeinsame Kultur auszeichnen, aber nicht mehr so stark an bestimmte Orte gebunden sind, sondern zirkulieren). 2. Mediascapes: Medienlandschaften. 3. Technoscapes: Technische Landschaften. 4. Financescapes: Finanzielle Landschaften 5. Ideoscapes: Ideen Die fünf Dimensionen sind auch miteinanderverflochten! Deterritorialisierung: Bewegung ist ein wichtiger Aspekt 10% der Weltbevölkerung bewegt sich in Migrationsprozessen. Marc Augé: „Age of Supermodernity“ * Objekt der Anthropologie verändert * Untersuchung des „Rohmaterials der Anthropologie“ * Komponenten „stapeln sich“ * Lokale Modelle des Umgangs mit anderen * Interaktion mit Konditionen der supermodernity Überfluss an Ereignissen, Raum (Alltag in Medien integriert), Individualisierung der Referenzen (viel Informationsaustausch betrifft Individuen) Organisation des Raums (lokal/global): Handlungsräume, symbolische Räume, Mobilität, Kommunikation Ulf Hannerz: Cosmopolitans Menschen, die sich gerne und intensiv mit anderen Dingen auseinandersetzten ( offene Haltung gegenüber anderen Kulturen). Die Hyperkulturalität drückt eine allgemeine Promiskuität kultureller Formen aus anderen Räumen und Zeiten aus. Migration Definitionen - Bewegung, Wanderung von Individuen oder Gruppen im geographischen und sozialen Raum 51 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 - Räumliches Bewegen zur Veränderung des Lebensmittelpunkts von Individuen oder Gruppen über eine bedeutsame Entfremdung. - Der auf dauerhaft angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft. Motive + Flucht (Krieg, Gewalt, politische Verfolgung) 2009: 43,3 Millionen Menschen betroffen + Not (Armut, Naturkatastrophen) + „Gutes Leben“: Verbesserung der ökonomischen und sozialen Situation (Finanzielle Unterstützung der Familie im Herkunftsland; Familiäre Probleme/Gender; bessere Ausbildung/berufliche Perspektiven) The Anthropology of Refuges and Displacement * Flucht, Vertreibung = Erzwungene Migration * Anthropologische Fragestellungen: - Verständnis des Prozesses von Flucht/Vertreibung - Verschiedene Akteure und kulturelle Dimensionen (Religion) - Welchen Stellenwert hat Gender? - Wie verändern sich soziale Beziehungen und kulturelle Praktiken durch Flucht/Vertreibung? Indische Dispora # Verschiedene Migrationsformen # Roma 5.-10. Jahrhundert Naher Osten, Europa # Händler (Bali, Malaysia, China, Persien, Zentralasien) # Britischer Kolonialismus (billige Arbeitskräfte) z.B. Afrika, Karibik # Postkoloniale Migration GB, USA, Niederlande, Golfstaaten Arbeitsmigration ° Beziehungen zwischen Migranten und Gesellschaft/Kultur ° Netzwerke ° Vergleich zwischen den sozialen und kulturellen Organisationsformen in Herkunftsland und Migration Unterschiedlicher Status in Migrations- und Herkunftsland ° Remittances finanzielle Transaktionen von Migranten in ihr Heimatland (nur in Afrika ist die Entwicklungshilfe größer als die Remittances) Transnationalismus - Gestaltung des Lebens in neuen Land - Keine Vermischung, sondern Ausbreitung - Transnationale Familien: Teil lebt in China, anderer Teil wandern Familie steht aber im Kontakt 52 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Von der Dispora zur Internet-Familie -> Migration: Familie deterriorialisiert -> Kommunikationsschwierigkeiten -> Briefe, Telefon, E-Mail Bollywood und Transnationalismus: Handlung der Filme, Rezeption, Konstruktion von Identität, transkulturelle Prozesse Beispiele: (1) Rushdie „The satanic verses“ Kein Buch über den Islam, vielmehr über die Bedingungen im Exil. Rushdie zeigt wie sich der Perspektivenwechsel auswirkt – Zweifel und Ungewissheit erscheinen über die Vergangenheit. ethnische Revitalisierung führt zu Kontinuität mit der Vergangenheit ontologische und persönliche Sicherheit. Das Gegenteil sind Bewegungen in Richtung Individualismus, ungewisse Ambivalenz. Anthropologische Herangehensweise an das Thema empirisch (Erfahrung). (2) McLuhan „The global village“ Ein Konzept mit einer Darstellung der neuen kulturellen Situation der Welt zu erstellen (Veränderungen bedingt durch Massenmedien, hauptsächlich Fernsehen). McLuhan sagt: die Welt wurde zu einem Ort, welchen er „the global village“ nennt Diesen Begriff bezeichnet Eriksen als ungesund, da damit zwei wichtige Level vermischt werden: Micro (Interaktion) und Macro (Anonymität) Level! Anthropologische Forschung im Bereich Globalisierung hat die Aufgabe die Beziehungen zwischen dem Globalen und dem Dorf, dem lokalen Umfeld, darzustellen. Paradoxer Effekt der Globalisierung: die Welt wurde größer und kleiner zugleich. Kleiner, da man rasch weite Reisen unternehmen kann und beinahe überall nach den gleichen Standards leben kann und größer, da man Kenntnis über entfernte „exotische“ Regionen der Welt hat und die Differenzen dadurch bewusst werden. Johann Friedmann: Ethnische und kulturelle Fragmentierungen und moderne Homogenisierung sind zwei gegensätzliche Sichtweisen vom aktuellen Geschehen auf die Welt. Da sind einerseits Bewegungen in Richtung Integration in größere Systeme (z.B. Weltmarkt) und andererseits lokale Betonung der kulturellen Einzigartigkeit. (3) Sahlins „the indigenization of modernity“ „Traditionelle“ Bewegungen oft als ethnisch oder nationalistisch präsentiert. Weiters sagt er, dass das Wort „Kultur“ jeder auf den Lippen hat alle erkennen, dass sie eine Kultur haben. Vor einiger Zeit hatten sie das wahrscheinlich kaum bemerkt, aber heutzutage sagte ein Neu Guineaner zu einem Anthropologen: „Wenn wir keinen Kastom hätten, wären wir nur wie der weiße Mann.“ Ob als §indigenization of modernity“ oder „modernisation of indigenity“ Kultur wird häufig als politische Ressource angesehen und verwendet. 53 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 (4) Sjoberg: Ainu Studie in Japan über die Ainu (japanische Minderheit). Offiziell haben sie keinen Minderheitsstatus, da die japanische Regierung die Existenz von Minderheiten ignoriert. Die Ainu wurden als unterentwickelte Gruppe kategorisiert (wie indigene Menschen), sie wurden systematisch diskriminiert (sehen wie Europäer aus -> sind hässlich), verloren ihre traditioellen Rechte auf Land und litten unter hohen Alkoholiker Raten und Arbeitslosigkeit. Die Gruppe schien zu verschwinden bis es um 1970/80 zu einer ethnischen Revitalisierungsbewegung kam. Die Strategie war die Präsentation von Ainu-Kultur als Ware. Rituale, traditionelle Kleidung, Handwerkkunst, Speisen wurden wiederbelebt und „touristisiert“. Ainu haben vielleicht erkannt, dass sie eine Kultur besitzen, die es Wert ist zu respektieren, doch die Sprache haben sie in eine globale ersetzt, die des globalen Warentausches. Beide Strategien (3 und 4) scheinen als kultureller Selbstmord. Die Kongolesen verwenden zum Ausdruck von Prestige fremde Symbole und die Ainu drücken ihre Identität in Form von Handelswaren aus, adaptiert für den Weltmarkt. Die anthropologische Frage ist nicht nach Authenzität der Kulturen, sondern nach dem Erfolg ihrer Strategien. ________________________________________________________ Vorlesung: Visuelle Anthropologie - Schaffung und Auswertung visueller Informationen über menschliche Gesellschaften - Zeichnungen, Fotos, Filme, Videos oder Computerspiele Zwei Forschungsbereiche + Untersuchung von verschiedenen Formen von visueller Kultur und Kommunikation + Untersuchung von kulturellen und sozialen Prozessen mit den Mitteln visueller und audiovisueller Medien Visuelle Anthropologie = Anthropologie des Visuellen Bilder, Malerei, Fotographie, Film, Video, Fernsehen, Plastik, Objekte, Körpersprache, Tanz, Theater Schnittstellen mit anderen Fachdisziplinen - Kommunikationswissenschaften - Kunstwissenschaften - Film- und Medienwissenschaften - Cultural Studies - Museumswissenschaften Unterschiedliche Formen und Systeme visueller Kommunikation * Alltagspraktiken * Ritual, Performance 54 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Beispiel: Visuelle Repräsentation von islamischer Mode im Internet (Modetipps; Werbung; Kommunikation) Praxis des Visuellen zwischen Produktion und Rezeption Lebensweltliche Kontexte und gesellschaftliche Diskurse, in denen die untersuchten Bilder, Artefakte und Bewegungen produziert werden, in denen sie zu sehen sind und ihre Wirkung entfaltet. Spielfilm und Kio als Orte kultureller Bedeutungsproduktion # Inhalte und Kontexte # Kulturelle Aspekte vom alltäglichen Leben, politische Aspekte etc. # Inhaltsanalyse, ethnographische Methoden Produktion Zirkulation Inhalte Rezeption Ethnographische Rezeptionsforschung * Umgang und Gebrauch von/mit Film, Fernsehen, Video/DVD, Computer * Rezeptions- und Aneignungsprozesse * Lokale und globale Dimensionen Fans: „Sind Menschen, die langfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie extremen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und die in emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/oder Geld investieren.“ Fans und partivipatory culture: Intensive Interaktion mit Inhalten/Bedeutungen von Filmen und anderen visuellen Medien. Theodor Koch Grünberg ~ Pionier der Methode der Feldforschung - Teilnehmende Beobachtung - Visuelle Anthropologie ~ Indigene Kulturen im Amazonasgebiet ~ Forschungsfelder: Sprechen etc. Die „Anfänge der Kunst im Urwald“ # 500 Zeichnungen von Künstlern verschiedener indigener Völker in Nordwestbrasilien # Breites Spektrum von Motiven und Stilen # Bringt der künstlerische Kreativität der „Naturvölker“ viel Interesse und Achtung entgegen 55 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Ethnographischer Film - Dokumentation von Ereignissen (Wiederholbarkeit) - Diskussion von wissenschaftlichen Fragestellungen - Präsentation von Zusammenhängen (für eine breite Öffentlichkeit) - Förderung der interkulturellen Kommunikation . Protagonisten/Zuschauer . Protagonisten/Filmemacher - Als Methode der ethnographischen Forschung Hinsichtlich der filmischen Umsetzung kann das Filmen als eine Erweiterung der ethnographischen Methode betrachtet werden. Visuelle Anthropologie als ethnographische Methode * 1980er und 1990er Jahre * Debatte um visuelle Methoden * Neue Spielarten des Umgangs mit visuellen Medien * Stärkerer Einfluss der „Gefilmten“ in den ethnographischen Film * „Elicitation“: Anhand gemeinsam gerichteten Materials reflektierten die Personen über das Geschehene das Visuelle dient als Anstoß um Gespräche zu führen. Sahra Pink -> Soziale und sozialisierende Rolle der Fotographie -> Kontext des Fotographierens und der Rezeption ________________________________________________________ Vorlesung: Medien und Internet Massenmedien lassen sich in drei grobe Kategorien einteilen: (1) „Traditionelle“ Medien (Theater) (2) Druckmedien (Zeitung, Buch) (3) Elektronische Medien (inklusive digitale Medien; TV, Radio, Internet) Medieneigenschaften: Typologien nach Peterson - „ausstrahlende“/sendende Medien (TV, Radio) - „zirkulierende“ Medien (Zeitung, Buch) - „dargestellte“ Medien (Poster, Plakat) - „interaktive“ Medien (Internet, www-Applikationen) Grundsätzlich sind Medien Kommunikationsmittel, die es Menschen erlauben auf unterschiedliche Art und Weise miteinander in Kontakt zu treten: verbal – non-verbal, individuell – kollektiv etc. In der Medienanthropologie geht es um die Mediasierung von Kommunikation in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten und unter spezifischen historischen, politischen oder ökonomischen Bedingungen. 56 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Ethnographie der Medienrezeption + Analytischer Wechsel in der Medienforschung von Medientexten/inhalten zu Medienreziepten/Konsumenten und deren täglichen Leben + Ethnographie als Weg/Methode/Konzept/Strategie + Analyse von Medienrezeption als „Ereignis“ situierte Handlungen, die beschreiben und kontextualisiert werden können + Unterschiedliche Formen von Medien-Sozialitäten, z.B. „diskursive Gemeinschaft“ als „voreingenommene Gemeinschaft“ Konstruktion von Identitäten + Medienkonsument = Medienproduzent und visa versa Digitale Medien Medienproduktion ist ein soziokultureller Akt, der nicht nur die Erstellung von Medieninhalten beinhaltet, sondern auch die Generierung von Identitäten, Interpretationen, Subjektivitäten, Status und Bedeutung. Medienproduzenten generieren nicht nur Medientexte, sondern auch sich selbst als soziale Personen im Gegensatz zu anderen. Indigene Definition ° Ginsburg: „Kultureller Aktivismus“ Prozess der Instrumentalisierung von Medientechnologien für politische und kulturelle Zwecke ° Indigene sind zumeist auf Unterstützung von nicht-indigenen Aktivisten angewiesen: ethnisch moralische Fragen ° Mediennutzung und Produktion a) führen zu sprachlicher Anpassung, „Akulturation“, ökonomische und/oder politische Abhängigkeit b) ermöglichen Öffentlichkeit, Netzwerke und Interessensvertretungen, erlauben Kultur und Sprache zu revitalisieren oder politisch zu agieren Indigene Informations- und Kommunikationstechnologien Landzelius unterschied zwischen „insearch“ und „outsearch“ in der indigenen Nutzung von Internettechnologien. Insearch-Aktivitäten sind zum Beispiel: - gesundheitliche Vorsorge mittels Internet (Telehealth) - politische Propaganda für lokale Wahlen (e-voting) - Bildungsinitiativen und Projekte (e-learning/e-teaching) - Kultur- und Sprachvitalisierung mittels IKT Outsearch-Aktivitäten sind zum Beispiel # touristische/ökonomische Kooperationen # Mobilisierung von Unterstützung und Solidarität # Zivilgesellschaftliche Aktivitäten 57 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Fallbeipiel 1: Internet für First Nations in Kanada + Kuhkenah Network (K-Net) beginnt 1994 als Bullet Board System für Highschoolschüler entwickelt + K-Net ist ein Netzwerk/Organisation/Programm, das First Nations im nordwestlichen Ontario mit Breitband-Internet und diversen Services versorg Probleme der First Nations * In Gemeinschaften (Reservate), die zwischen 300 und 1000 Einwohnern zählen, gibt es: ° schlecht entwickelte Infrastruktur ° keine weiterführenden und höheren Schulen ° nur grundlegende Gesundheitsversorgung ° wenige Arbeitsplätze * Die Menschen sehen sich also oftmals gezwungen Familie, Freunde und Gemeinschaft zu verlassen, um in den urbanen Zentren ihre Ausbildung fortzuführen, sich ärztlich versorgen zu lassen oder einen Job zu finden führt zu Verständigungsproblemen, schulischen Problemen, lokaler Ökonomie und Systeme/Verbindungen leiden. @ Internet für die Gemeinschaft: K-Net unterstützt Gemeinschaften mit diversen Internettechnologien und Services, die alle darauf abzielen die Menschen in den indigenen Gemeinschaften zu halten. @ Internet für die Gesundheit: Telehealth/Telemedicine erlaubt es den Menschen in den Gemeinschaften zumindest rudimentär untersucht zu werden, ohne bei jeder Kleinigkeit oder Nachbehandlung in ein weit entferntes Spital fliegen zu müssen. @ Internet für die Bildung: Keewaytinook Internet High School erlaubt es 14-jährigen Schülern auch noch die 5. Und 6. Klasse im gwohnten sozialen und kulturellen Umfeld zu absolvieren. @ Internet für die Ökonomie: Breitband-Internet erlaubt die Etablierung von Web-basierten und unterstützten Geschäften und Unternehmen, lokales Handwerk global zu verkaufen oder den Tourismus zu fördern. Fallbeispiel 2: Indigene Medienanwendungspraktiken „MyKnet.org“: Social Networking für First Nations in Kanada – Identitätskonstruktion, Vergemeinschaftungsformen, ethnographische Feldforschung # MyKnet.org:“Territorium im Cyberspace“, steht Mitgliedern des KO Tribal Council und anderen Indigenen kostenlos und weben frei zur Verfügung # Zirka 30 000 User # Vor allem von Jugendlichen genutzt – für Jugend konzipiert (in den Gemeinschaften=50% jünger als 20 Jahre) # Kommunikation verlagert sich auf MyKnet.org # Benutzer produzieren aktiv Webseiten (Repräsentation) # Inhalte unterschiedlichster Art werden (re)präsentiert mit unterschiedlicher Bedeutung 58 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 und Relevanz # Soziale Netzwerke werden im WWW ausgebaut und übertragen MyKnet.org: Theoretische und methodische Fragestellung - Konzepte von Identität und Repräsentation + kulturelle Identitätskonstruktion + soziale Identitätskonstruktion + ethnische Identitätskonstruktion + kulturelle Repräsentationsformen - Online Vergemein- und Vergesellschaftungsformen + „Virtuelle Gemeinschaften“ + Soziale Netzwerke + Alternative Modelle - Ethnographische Feldforschung + Herausforderung und Probleme Materialien + Werkzeuge und Hilfsmittel Forschungsthemen einer Cybernetethnographie (Hakken) * die Charakteristika der sozialen Akteure, die den Cyberspace (als sozialen Raum) konstruieren * die Identitäten, die diese sozialen Akteure konstruieren * die Micro-Verhältnisse, die diese Akteure mittels IKT miteinander eingehen (z.B. Freundschaftsverhältnisse) * die Meso-Verhältnisse, die von den sozialen Akteuren in Online-Netztwerken oder Gemeinschaften auf lokaler Ebene eingegangen werden. Identitätskonstruktion in MyKnet.org ° Neue Medien und IKT eröffnen neue Möglichkeiten und Herausforderungen ° Wichtig bleibt die selbst-bestimmende Kontrolle über diese mediatisierten Räume, in denen unterschiedliche Diskurse, Interaktionen, Bilder im Kontext der sozialen Lebenswelten indigener Menschen entstehen Landzelius: „indigenous cyberactivism“ ° Homepages von Individuen, Gruppen, Kollektiven und Gemeinschaften Allen gemeinsam ist, dass sie sich als Teil einer First Nation, als Teil einer Gemeinschaft, als Teil einer Familie und als Individuum begreifen. ° Mittels dieser Repräsentation erobern sich die First Nations a) das Recht auf Repräsentation und b) Möglichkeiten sich Vorurteilen und Marginalisierung entgegen zu stellen. MyKnet.org: Diskussionsfelder/Kontexte - Infrastruktur und Nutzung . Bandbreite für myKnet möglichst niedrig halten 59 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 . Etwa 70% des Datenverkehrs von Siaux Laokaut in die KO - Gemeinschaften trotzdem wegen MyKnet.org-User und Inhalte: . beleidigende Inhalte sollen entfernt werden . Homepage/User suspendiert bzw. gesperrt . Knet=Autorität/Überwachungsorgan - Moral und Panik von Erwachsenen . „Online Bullying“: generell hohe Selbstmordrate unter Jugendlichen . Auswirkung auf Drogenmissbrauch und schulische Leistungen - MyKnet.org als Indikator für psychischen Zustand und als Ursache für unerwünschtes Verhalten - MyKnet.org im Kontext von Familie, Schule, Arbeitsplatz Ethnographie als „Vermittlerin“ in IKT-Projekten * Ethnographen vermittelt zwischen -> global und lokal -> online und offline durch das Verbinden diverser sozialer Lebenswelten und dem Folgen sozialer Beziehungen. * Um eine Hierarchisierung zu vermeiden ist dabei das eine nicht der Kontext des anderen * Holistische Sichtweise, z.B. das Internet als materielle Kultur ________________________________________________________ Vorlesung: Tourismusanthropologie Tourismus kann man als Einheit betrachten, er hat aber auch viele einzelne Aspekte, die man für sich betrachten kann. Tourismus ist ein Symbol von Globalisierung. Menschen sind in Bewegung (Migration) und so ist auch Kultur in Bewegung. Die Möglichkeiten manchen Tourismus global. Definitionen + kulturelles Phänomen + temporärer Ortswechsel ohne fixe Niederlassung und keine Erwerbstätigkeit + komplexes Netz aus Faktoren, Konsequenzen, Bedingungen „Alle reisen, aber niemand will Tourist sein!“ Werbeslogans versuchen zu vermitteln, dass wo man hinreist, keine Touristen sind (unberührte Natur, „Einheimische“) Tourismusbranche # Größte und intimste Industrie der Welt # Veränderung von Menschen/Orten # Direkter Kontakt zu Menschen wird gefördert # Eroberung neuer Kultur- und Naturräume 60 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 Tourismusanthropologie - Ökonomische, politische, soziokulturelle Auswirkungen der Reisebranchen - Kulturelle Veränderungen und Verflechtungen - Bedeutungen von Begegnungen - „Innenleben“ – Motivationen, Vorstellungen, Einstellungen, Träume Erklärungsansätze * Graburn, Turner: Rausch, Fiktion, Prestigegabe * Entensberger: von Alltag entfliehen, Suche nach unberührter Landschaft, Vergnügung und Erlebnis - Hennig: maginäre Geographie, Vorstellungskraft, Sehnsüchte, Träume Fallbeispiel: Konstruktion und Repräsentation touristischer Räume bei Diavorträgen ° Transportierte Reiseeindrücke ° Ausschnitte der Wirklichkeit ° Flüchtlinge Schnappschüsse ° Fiktive Räume ° Abzug kollektiver Imaginationen ^Touristischer Blick ^Interprestations- und Wahrnehmungsraum John Urry: Tourist Gaze – der touristische Blick + These, dass es vielen Touristen nicht um Authentizität geht, sondern um Erfüllung der Vorstellungen und Erwartungen. + Tourist Gaze wird konstruiert durch die bisherigen Erfahrungen im Touristischen, aber auch nicht im touristischen Kontext. + Es sind jene Informationen, die Touristen vor ihrer Abreise durch Freunde, Reiseführer, Internet etc. wahrnehmen die schließlich auch die Vorstellung und Erwartung über das jeweilige Reiseziel bestimmen. + Touristen beurteilen nicht das Abbild der Realität, sondern die Realität nach dem Abbild. Mac Canell: Staged Authenticity – Inszinierte Wirklichkeit # Anordnungen sozialer Räume in Vorderbühnen (front stages) und Hinterbühnen (backstages) # Vorderbühnen für die oberflächlichen und alltäglichen Begegnungen zwischen Touristen und Bereisten. Inszenierung: Bereiste Völker als aktive Akteure der Tourismusindustrie Probleme mit dem Authentizitätsbegriff/Konzept Authentizität als touristische Erwartungshaltung aber nicht als Evalierungskriterium von Kulturen Ethnotourismus 61 www.ksa-nadine.jimdo.com 2011 * Hauptattraktion: Bereiste Menschen und ihre „Bräuche * Touristische Zielgebiete in peripherer Lage * Suche nach Authentizität (Gegenpol zu „moderner“ Gesellschaft) * Geringe Anzahl an Reisende * Kurze Dauer der „Begegnung“ Beispiel: China – Ethnische Themenparks Thailand – „Menschenzoos“ ________________________________________________________ ________________________________________________________ 62