lernt sein, uch - Theatergemeinde Augsburg

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Kultur
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NUMMER 238
Jugend in
Lebensgefahr
Kultur kompakt
HEILIGSPRECHUNG
Mutter Bernarda war
„stark, klug, mystisch“
Theater Augsburg Ein Drama von
Ferdinand Bruckner
Papst Benedikt XVI. hat am Sonntag vier Menschen zu Heiligen der
römisch-katholischen Kirche gemacht. Darunter ist die Schweizer
Ordensfrau Maria Bernarda Bütler
(1848 –1924), die in Auw zwischen
Zürich und Luzern geboren wurde
und als Nonne in Kolumbien tätig
war. „Mutter Bernarda bleibt ein
leuchtendes Beispiel einer biblischen Frau: stark, klug, mystisch,
spirituelle Meisterin und hervorragende Missionarin“, hieß es bei
dem Gottesdienst über die erste
Schweizer Heilige. Außerdem erhob
Papst Benedikt XVI. die Nonne
Anna Muttathupandathu, die 1946
starb, als erste Inderin in den Heiligenstand. Aus Ecuador gehört nun
auch Narcisa de Jesus Martillo
Moran zu den Auserwählten. Sie ist
1869 in Peru gestorben. Der in
Neapel geborene Priester und Ordensgründer Gaetano Errico ist
der einzige Mann unter den neuen
Heiligen. (dpa)
VON RÜDIGER HEINZE
KUNSTMARKT
Experte: Finanzkrise
trifft auch die Kunst
Die internationale Finanzkrise wird
nach Auffassung des Frankfurter
Museumsdirektors Max Hollein
auch negative Auswirkungen auf
den Kunstmarkt und das Kultursponsoring haben. Zwar gelte
Kunst, ähnlich wie Gold, als stabile
Ersatzanlage, aber „wenn die Rezession erst einmal tiefer greift, wird
die Nachfrage nachlassen, und damit sinken dann auch die Preise“,
sagte der 39-Jährige in einem Spiegel-Interview. „Vor allem wird fürs
Erste die Zeit der richtig großen
Deals vorbei sein“, meinte der Leiter der Kunsthalle Schirn und des
Städel-Museums mit Blick auf die
zuletzt in London mit Rekordpreisen für Werke von Damien Hirst
boomende Gegenwartskunst.(dpa)
„DER VORLESER“
Filmproduzent Scott Rudin
springt ab
Ärger in Hollywood um die Filmversion von Bernhard Schlinks
Bestseller „Der Vorleser“. Produzent Scott Rudin ist von dem Projekt abgesprungen, weil er sich mit
seinen Kollegen Harvey und Bob
Weinstein überworfen hat. Rudin
und Regisseur Stephen Daldry
wollten mehr Zeit für die Nachbearbeitung des Filmmaterials, die
Weinsteins streben eine Premiere
am 12. Dezember an. (dpa)
FOTOKÜNSTLER
Andreas Gursky nimmt
Kaiserring entgegen
Der Fotokünstler Andreas Gursky
hat den Kaiserring 2008 der Stadt
Goslar (Niedersachsen) erhalten.
Der Düsseldorfer gilt als einer der
weltweit wichtigsten zeitgenössischen Fotografen. Er nahm die
Auszeichnung am Samstag bei einer
Feier in der historischen Kaiserpfalz entgegen. Gurskys Werke hätten sich „unauslöschbar dem kollektiven Bildgedächtnis eingeprägt“, so Laudatorin Marion
Ackermann. (dpa)
MONTAG, 13. OKTOBER 2008
Hier darf sich jeder sein eigenes Bild vom Objekt seiner Begierde machen – der entblößte Prinz ebenso wie die von seinem Kammerherrn gedungenen Schurken.
Foto: A.T. Schaefer/Theater Augsburg
Lieben will gelernt sein,
Leiden auch
Theater Augsburg Jan Philipp Gloger zeigt, dass Lessings
„Emilia Galotti“ eine Schule der Empfindsamkeit ist
VON ANGELA BACHMAIR
Augsburg Es heißt, dass die Zuschauer laut geweint hätten, als
Gotthold Ephraim Lessings „Emilia
Galotti“ vor fast einem Vierteljahrhundert in Braunschweig uraufgeführt wurde. Dieses Trauerspiel
wühlte die Menschen des Jahres
1772 gewaltig auf – und zwar nicht
nur, weil der Aufklärer Lessing darin der absolutistischen Unmoral
eine neue bürgerliche Moral des
Respekts als politisches Ideal gegenüberstellte, sondern auch, weil es
darin so überaus gefühlig zuging.
Da wird geliebt und gelitten, geworben, geküsst und verraten, gebrüllt und gekost, intrigiert und gemordet. Keiner ist nur gut oder nur
schlecht, jeder sehnt sich nach
Glück und Liebe – und keiner gewinnt, was er wünscht. Diese emotionale Fülle musste der Mensch zu
Lessings Zeiten erst zu empfinden
lernen, wollte er sich als gleichwertig mit einem Fürsten begreifen.
Eine Errungenschaft
Zu lieben und leiden war vormals
das Privileg der Aristokratie, alle
anderen hatten das Recht nicht
dazu. Lessing, mehr Theoretiker als
Dichter, lieferte dem sich entwickelnden bürgerlichen Subjekt nun
die Lernvorlage – mit Trauerspielen
wie „Miss Sara Samson“ und der bekannteren „Emilia Galotti“.
Der junge Regisseur Jan Philipp
Gloger konzentriert sich auf diese
kulturpolitische Errungenschaft der
„Empfindsamkeit“, zu der Lessing
seinen Beitrag leistete. Mit beherz-
ten Strichen nahm er fast alle herrschaftskritischen Elemente aus dem
Text, die das verlogene Leben bei
Hofe schildern. Der Schurke Angelo
ist gestrichen wie der fürstliche Rat.
Der feudalistische Hintergrund der
Tragödie fehlt – und damit verliert
Emilias zündender Monolog „Ich
will doch sehen, wer der Mensch ist,
der einen Menschen zwingen kann“,
viel von seinem egalitären Pathos.
Der Regisseur nimmt
den Text beim Wort
Was bleibt, sind die Menschen, ihre
Beziehungen, ihre Gefühle. Der
Prinz (André Willmund so liebenswert wie kaltschnäuzig, eigentlich
nicht wie ein Fürst, sondern eher
wie ein Banker in glücklicheren Zeiten) hat sich in das Mädchen Emilia
vergafft (bei Karoline Reinke lodert
hinter der Sittsamkeit eine kaum gezügelte Kraft). Sein Kammerherr
Marinelli (großartig Michael Stange
– ein Machiavelli, der aber immer
wieder in Selbstmitleid kippt) tut
skrupellos alles, um seinem Chef das
Objekt der Begierde zu besorgen.
Gloger, der schon in der vergangenen Spielzeit mit Goethes „Clavigo“ eine viel beachtete KlassikerInterpretation geliefert hatte, macht
aus der „Emilia“ nun aber keine Seifenoper von heute. Er nimmt Lessings Anliegen ernst und seinen
Text beim Wort. Behutsam sprechen die Akteure ihre Sätze, so als
müssten sie erst einmal testen, wie
sich das anfühlt, wenn man sagt „Ich
liebe sie.“ oder „Ich verachte ihn.“
Damit sich ihre Gefühle formen
können, brauchen sie noch optische
Hilfsmittel: Zunächst liefert sie der
Maler Conti (Philipp von Mirbach).
Dann kann auf die vier Seiten des
großen Holzwürfels, den Bühnenbildnerin Bettina Kraus auf die leere
Bühne gestellt hat, jeder das Bild
werfen, das er sich von Emilia
macht. Die Eltern (Ute Fiedler und
Klaus Müller – zwei Rationalisten,
deren Rechnung einer günstigen
Heirat nicht aufgeht) sehen das süße
Mädelchen, der Prinz und Emilias
Verlobter Appiani, der gemeuchelt
wird (sympathisch Oliver Bürgin)
eine jeweils andere Frau.
Nach den ersten emotionalen
Fingerübungen kommt die Sache in
Schwung: Die Drehtüren des Würfels wirbeln, Begehren kracht auf
Ablehnung (wenn Emilia und der
Prinz sich treffen), jeder agiert gegen jeden und sucht bei einem dritten Trost. Die vom Prinzen verlassene Gräfin Orsina (temperamentvoll Franziska Arndt) versucht, ihre
Wut nach dem Vorbild antiker Furien auszutoben, und nach all der
emotionalen Verwirrung kommt der
Tod, den Emilia von ihrem Vater
verlangt, geradezu beiläufig.
Die Fallhöhe ist so beträchtlich
wie erheiternd, wenn der Regisseur
diese schlüssige, spannende Zweistundenaufführung (zu der Sebastian Jakob Musik von Kurt Weill, Astor Piazolla und Pink Floyd beisteuert) in einen Schlager von Udo Jürgens münden lässt. „Liebe ohne
Leiden“ gibt es nicht – diese Erkenntnis ist für den gefühlserfahrenen Menschen des Jahres 2008 nur
noch trivial. Starker Applaus!
Wieder am 14., 17., 23. Oktober
O
Augsburg Einmal, die Premiere ist
etwa eine halbe Stunde alt, wendet
sich Freder kurz ans Publikum:
„Was gibt’s denn da zu lachen?“
Man wusste nicht recht, ob die Frage, die nicht im Text zu finden ist,
planvoll eingebaut oder improvisiert
wurde. Ohne Berechtigung war sie
jedenfalls nicht. Und hernach konnte man erfahren: Der Satz ist improvisiert worden – aus Unverständnis
über anhaltendes Gekicher.
1925 schrieb der österreichischdeutsche Autor Ferdinand Bruckner, als Künstler ein späteres Opfer
der Nazis, das Beziehungs- und
Selbstfindungsdrama „Krankheit
der Jugend“. Liest man das Stück
heute, fallen einem als erstes die nahezu atemlosen Schlagabtausche der
Dialoge auf, und als zweites die Aktualität des Stoffes, der sich wenig an
Ort und Zeit der Handlung bindet:
Wien, 1923.
Sieben junge Menschen, zwischen
18 und etwa 30, sechs (angehende)
Akademiker und ein Dienstmädchen, suchen ihre Zukunft – oder
wenigstens einen Stellungsvorteil
auf dem Weg dorthin. Dafür benötigen alle ausnahmslos eines: einen
Partner. Gebeutelt von Illusion und
Desillusion, von Erinnerung und
Zuversicht, von den Wallungen der
Gefühle und Hormone, von Wünschen und Ängsten, von Obsessionen und psychischen Auffälligkeiten, stolpern sie wild – und theatralisch stark komprimiert – von der einen Aussichtslosigkeit in die nächste. Die zynische und kaltschnäuzige
Hölle, das sind die anderen bei diesen Szenen einer Wohngemeinschaft
im Pensionshaus Schimmelbrot.
Marie bettelt nach Liebe
oder nach Schlägen
Ferdinand Bruckner hat Sartre und
in gewisser Weise Bergman vorweggenommen. Er lässt eine Jugend geballt zu Wort kommen, die in latenter Lebensgefahr schwebt, da sie ihren Platz noch nicht gefunden hat.
So sagt es Irene (selbstbewusst:
Christine Diensberg) im Stück
selbst, der man als einziger Zukunfts-Chancen einräumen möchte,
weil sie analytisch und hart gegen
sich selbst ist – während das Glück
aller anderen schlussendlich keinen
Pfifferling wert zu sein scheint: zu
träumerisch-weich der Dichter Petrell (Alexander Koll), zu verstört
der Mediziner Alt (undurchsichtig:
Daniel Breitfelder), zu konträr und
gezwungen-exzessiv das letzte Paar
des Abends, Marie und Freder (Philippine Pachl als nach Liebe oder
Schlägen bettelnde, frischgebackene
Doktorandin; Tjark Bernau als
schnöselig-glatter Freder).
Dazu kommen zum Finale: die
bestürzend naive Lucy, schön gespielt von Anna Maria Sturm (schon
auf dem Strich), die Männer- und
Frauenfresserin Desiree – durchaus
mit Charme gegeben von Ines Kurenbach (schon tot).
In der Schwebe zwischen
Gestern und Heute
In die Augsburger Komödie müssten Schüler und Studenten nun strömen. Das Stück, leicht bearbeitet,
geht vor allem sie etwas an. Auch
weil Regisseurin Anne Lenk und
Ausstatterin Halina Kratochwil, die
hier der Spießigkeits-Bühnenbildnerin Anna Viebrock eindrucksvoll
nacheifert, das Drama erstens in
perfekter Schwebe zwischen Gestern und Heute halten (Blümchentapete und Schmierseifengeruch einerseits, elektrische Zahnbürste und
Karaoke-Apparat andererseits) und
zweitens sinnstiftend-hintergründige Musikeinlagen einbauen.
Dieser Abend scharf zeichnender
Frauen, in den der Zuschauer umstandslos geworfen wird, gewinnt
erst peu à peu, dann schnell an
Fahrt. Im zweiten Teil drängen sich
Slapstick-Sekunden, Gekünsteltes,
Exaltationen fast schon bis zur überzeichneten Groteske. Ineinander
verschränkt spielt das Theater
Augsburg beide Schlüsse, die
Bruckner zu seinem Stück anbot.
Hass- und liebestoll fallen Marie
und Freder übereinander her –
gleich neben der toten Desiree.
Drei Menschen liegen aus drei
Gründen nebeneinander. Sie heißen
Liebessehnsucht, Sarkasmus, Depression.
O Nächste Aufführungen am
17., 18., 25. Oktober
Auch die charmante, lebenslustige Desiree (Ines Kurtenbach) gehört zu den jungen
Menschen ohne Zukunft.
Foto: A.T.Schaefer/Theater Augsburg
Wirtshaus-Szenen
Theater Ingolstadt „Mir san mir“ – Ein verfehltes Stück Bayern
VON PETER SKODAWESSELY
Der Stammtisch herrscht, und das ist nicht unbedingt witzig – auch im Auftragsstück
für das Theater Ingolstadt.
Foto: Christine Olma/Theater Ingolstadt
Ingolstadt Das ging voll in die (Leder-)Hose: Der Ingolstädter Intendant Peter Rein hatte bei dem aus
Mühldorf stammenden Münchner
Kabarettisten und Liedermacher
Werner Meier, wie es im Untertitel
hieß, „Ein Stück Bayern“ in Auftrag
gegeben. „Mir san mir“, das am
Samstag seine Uraufführung hatte,
sollte ein „musikalisch-satirischer
Abend“ werden, erwies sich aber als
weder witzig noch parodistisch.
Ein bayerisches Wirtshaus, in das
ein eben zum Dorf-Bürgermeister
gewählter „Ossi“ eingeheiratet hat-
te, musste als weißblauer Mikrokosmos herhalten. Bevölkert war die
Gaststube mit sämtlichen vom TVKomödienstadl her bekannten Figuren – samt „Preiß’“ in Lederhose
mit Gamsbarthut und umgehängtem
Bergsteigerseil. Da durften natürlich auch ein Schuhplattler-Auftritt
und eine „zünftige“ Rauferei mit
splitternden Maßkrügen nicht fehlen. Dies alles unter Bierzeltgirlanden, mit Kruzifix an der holzvertäfelten Wand neben ausgestopftem
Wolpertinger und Kachelofen.
Doch eine Aneinanderreihung
von Klischees und Vorurteilen
reicht nicht aus. Solche Vorlagen
müssen bearbeitet, zugespitzt und
übersteigert werden. Dies aber ließen Autor Werner Meier und Regisseur Peter Rein nahezu total vermissen. Immer wieder eingebaute mehr
oder weniger bekannte Lieder und
Songs mit mehr oder weniger verfremdeten Texten konnten daran
ebenso wenig ändern wie gelegentlich eingestreute tagesaktuelle kabarettistische Anspielungen. Und es
half auch kaum, dass dann und wann
der selige FJS von einer imaginären
Wolke herunter seine Kommentare
zum Geschehen gab.
Dass das über dreistündige Stück
dennoch einigermaßen unterhalt-
sam war, lag an den Schauspielern.
Sie gaben sich alle Mühe, trotz der
ideenarmen Vorlage und der wenig
einfallsreichen Regie gelegentlich
kleine Glanzlichter zu setzen. Chris
Nonnast als herrlich schmalziger
Carolin-Reiber-Verschnitt, Matthias Winde als zwischen Idealismus
und Realitätszwängen hin und her
gerissenes Dorf-Oberhaupt und Peter Greif als schmierige Graue Eminenz ragten in diesem angestrengtbemühten Bauerntheater besonders
heraus.
O
Wieder am 18. und 19. Oktober im
Großen Haus des Theaters Ingolstadt.
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