Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ Potenziale der außerschulischen Bildung in Kooperation mit Schule 11. Dezember 2008 Bildungsstätte der Sportjugend Berlin DGB Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin Helmut-Gollwitzer-Haus, Bildungsstätte der Evangelischen Jugend Jugendbildungsstätte Haus Kreisau Jugendbildungsstätte Kaubstraße e.V. Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein ver.di Jugendbildungsstätte JugendBildungsstätte Berlin-Konradshöhe e.V. Eine Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Berliner Jugendbildungsstätten, des Landesjugendring Berlin e.V. und der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin. Vorwort Liebe Kolleginnen und Kollegen, Die Veranstaltung bot Raum, das Spannungsfeld zwischen einem subjektorientierten und einem eher funktionsbezogenen Bildungsansatz zur Befähigung junger Menschen zur Politikteilhabe in den Blick zu nehmen. Subjektorientierte Bildung zielt auf die Entfaltung der Kräfte jedes einzelnen Kindes bzw. Jugendlichen ab. Sie setzt dabei konkret an dessen spezifischen Erfahrungen, Bedürfnissen und Interessen an. Ihr Anliegen ist es, dass Kinder und Jugendliche eigene Vorstellungen davon entwickeln, wie sie leben möchten, entsprechend ihre eigenen Interessen artikulieren und sich auf der Grundlage dieser Selbstkompetenzen an gesellschaftlichen, auch schulischen und politischen Aushandlungsprozessen beteiligen können. Peter Ogrzall die vorliegende Broschüre dokumentiert die Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft der Berliner Jugendbildungsstätten beim Landesjugendring Berlin e.V. in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin „Demokratie - lernen & erfahren. Potenziale der außerschulischen Bildung in Kooperation mit Schule“ am 11.12.2008 in der Berliner Stadtmission in BerlinTiergarten. Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten. Aufgabe politischer Bildung in und außerhalb von Schule ist es, junge Menschen zu befähigen, sich an gesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozessen zu beteiligen. Wie kann politische Bildung so gestaltet werden, dass junge Menschen nicht nur theoretisch verstehen, welches die Wesensmerkmale einer parlamentarischen Demokratie sind, sondern sich auch ihrer praktischen Möglichkeiten bewusst werden, die eigenen Interessen zu vertreten und damit etwas zu bewirken? Wie kann politische Bildung dazu beitragen, Demokratie nicht nur als Staatsform, sondern auch als Lebensform attraktiv zu machen? Im Gegensatz dazu steht der Ansatz einer eher funktionsbezogenen Bildung, der von gesellschaftlichen Notwendigkeiten wie der Stärkung der Zivilgesellschaft ausgeht und allgemein zur politischen Teilhabe auffordert. Dabei werden Inhalte thematisiert, die nicht notwendigerweise aus den Lebensumständen und der Weltsicht der Jugendlichen heraus entstehen, sondern ihnen nur „vorgesetzt“ werden und daher abstrakt bleiben. Heute ist außerschulische Bildung zunehmend von Drittmitteln aus Sonderprogrammen abhängig, die Bildung von vornherein in den Dienst eines spezifischen Anliegens stellen, dies zudem zeitlich befristet. Ebenso müssen sich Schulen nach Lehrplänen richten, die Bildungsziele von vornherein festschreiben. So ist die Frage, wie Bildung angesichts dieser funktionsbezogenen Zielsetzungen dennoch einen subjektorientierten Ansatz verfolgen kann. Wie können Träger der außerschulischen Bildung dabei mit Schulen kooperieren? Wie wirkungsvoll sind diese Kooperationen in der Praxis? Und welche konkreten Kooperationsmöglichkeiten gibt es? Im ersten Teil der Fachveranstaltung wurden zwei Impulsreferate gehalten, die sich der Problematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln annäherten. Zunächst sprach Prof. Dr. Albert Scherr von der Pädagogische Hochschule Freiburg zu dem Thema “Demokratie braucht Beteiligung. Subjektorientierter versus funktionsbezogener Bildungsansatz in der Demokratiebildung.” Der zweite Beitrag kam von Prof. Dr. Iris NentwigGesemann von der Alice Salomon Hochschule Berlin. Ihr Vortragsthema lautete: “Wirkung von Demokratiebildung am Beispiel der Evaluation eines Projekts der außerschulischen Jugendbildung in Kooperation mit Schule”. Im Anschluss an die Vorträge bestand die Möglichkeit zur Diskussion mit den Referenten. In einem zweiten Veranstaltungsteil ging es um die Praxis der außerschulischen politischen Bildung, vor allem in Kooperation mit Schulen. Es wurden subjektorientierte Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 1 Ansätze des Demokratielernens und -erlebens dargestellt, wie sie die außerschulische Jugendbildung in Schulen und andernorts anwendet. In drei Arbeitsgruppen stellten die Berliner Jugendbildungsstätten eigene Seminarkonzepte aus diesem Themenfeld vor. Schwerpunkte waren: Angebote für Auszubildende, Schülervertretung und Demokratietraining / Betzavta. Eine Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit dem Thema: „Ich bin wichtig“ - Projekte mit Auszubildenden zu Recht und Gerechtigkeit und zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements” Hier stellte die Bildungsstätte Haus Kreisau ihr Partizipationsprojekt für Jugendliche im Bauhandwerk vor. Zudem wurde das Seminarkonzept der DGB-Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin „Recht und Gerechtigkeit“ vorgestellt. Die zweite Arbeitsgruppe befasste sich mit dem Thema “Mitbestimmung und Demokratie in der Schule” Die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein berichtete von ihrem Projekt „Mitmischen possible – Schule , wie wir sie uns vorstellen!“, in dessen Rahmen Zukunftswerkstätten mit Schülervertretungen durchgeführt werden. Die Jugendbildungsstätte Sportjugend stellte ihren Ansatz „Mehr Demokratie in der Schule“ vor. Die dritte Arbeitsgruppe setze sich mit dem Thema “Demokratietraining - oder: Wie gehen wir eigentlich miteinander um?” auseinander. Die ver.di JugendBildungsstätte präsentierte die Methode Betzavta als Training für Demokratie und Toleranz. 2 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Die Fachveranstaltung hat interessante, teils neue Perspektiven auf die Thematik eröffnet und unterschiedliche methodische Ansätze der Demokratiebildung aufgezeigt. Wir hoffen, einen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass das Thema zunehmend in das Bewusstsein der Verantwortlichen in Bildung und Politik dringt und Schulen das Angebot der Jugendbildungsstätten im Feld der Demokratiebildung zu schätzen wissen und noch stärker in Anspruch nehmen. Berlin, den 11.12.2008 Peter Ogrzall im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Berliner Jugendbildungsstätten Prof. Dr. Albert Scherr Prof. Dr. Albert Scherr, Pädagogische Hochschule Freiburg die analytische und die normative Bedeutung des Subjektbegriffs für die Theorie und Praxis politischer Bildung etwas näher dargestellt werden. Subjektivität als Schlüsselbegriff kritischer politischer Bildung 1. Begriffliche Grundlagen: Subjektivität jenseits der Idee des autonomen, männlichen bürgerlichen Subjekts Prof. Dr. Albert Scherr Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Annahme, dass kritische politische Bildung ihre Aufgabenstellung zentral darin sieht, Kinder, Jugendliche und Erwachsene (1) zu befähigen, politische Ereignisse und Strukturen in Hinblick auf darin eingelassene Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu analysieren, (2) die Verschränkungen der eigenen Lebenssituation und der eigenen Erfahrungen mit Gesellschaftspolitik verständlich zu machen und (3) zu ermutigen und zu qualifizieren, eigene Interessen politisch zu artikulieren. Kritische politische Bildung zielt also nicht auf Akzeptanzbeschaffung für das bestehende politische System und die Vermittlung vermeintlich eindeutiger demokratischer und menschenrechtlicher Normen (s. dazu Hormel/Scherr 2004, 131ff.), sondern darauf, Individuen in die Lage zu versetzen, die ihnen in demokratischen Verfassungen versprochene Position des mündigen Bürgers auch tatsächlich wahrzunehmen. Dies setzt zentral die Entwicklung subjektiver politischer Kompetenz, d.h. eines Wissens um die eigene Fähigkeit und die eigene Zuständigkeit für politische Angelegenheiten voraus. Denn die Überzeugung, befähigt und berechtigt zu sein, politische Angelegenheiten zu verstehen und sich in politische Auseinandersetzungen einzumischen, ist eine notwendige Grundlage für Wissensaneignung, Artikulation und Partizipation (s. Scherr 1995). Im Folgenden soll vor diesem Hintergrund die empirische, Die Begriffe Subjekt bzw. Subjektivität stehen für unterschiedliche theoretische Bemühungen in der Philosophie, Sozialphilosophie und Soziologie, in denen geltend gemacht wird, dass menschliche Individuen mehr und anders sind bzw. sein können und sollen als Marionetten, die an den Fäden politischer Herrschaftsverhältnisse, ökonomischer Zwänge, kultureller Einflusse, sozialisatorischer Prägungen sowie innerer Zwänge (Gene, Triebe) hängen. Grundlegend für die Rede von Subjekten und Subjektivität ist demgegenüber die Annahme, dass Menschen eigensinnig auf soziale Erwartungen reagieren sowie in der Lage sind, sich bewusst mit den sozialen und psychischen Bedingungen und Einflüssen, denen sie unterliegen, auseinander zu setzen; sie verfügen über die Möglichkeit, eigene Vorstellungen über ein gutes und anstrebenswertes privates und gesellschaftliches Leben und Zusammenleben zu entwickeln und zu realisieren (s. als Überblick zu den relevanten Theorien etwa Daniel 1981; Vogel 1983; Scherr 1992; Meueler 1993; Keupp/Hohl 2006). Dies verbindet sich, insbesondere in der Traditionslinie der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, mit der Annahme, dass die Subjektivität der Individuen, die Fähigkeit und das Interesse, sich nicht bestimmen zu lassen, sondern sich selbst zu bestimmen, eine auch normativ positiv zu bewertende Qualität ist. Zur Verdeutlichung: Bereits Immanuel Kant sah in der Fähigkeit, sich des eigenen Verstandes ohne die Leitung anderer zu bedienen, die Grundlage einer aufgeklärten Gesellschaft (Kant 1785/1980, 53ff.). Karl Marx fasste seine Utopie einer nachkapitalistischen Gesellschaft bekanntlich in der Formel von der „freien Assoziation der freien Individuen“ zusammen. Theodor W. Adorno (1966:, 90) argumentierte, dass es in einer „Erziehung nach Auschwitz“ darauf ankomme, der „Besinnungslosigkeit … entgegenzuarbeiten“, denn „die Menschen sind davon abzubringen, ohne Reflexion auf sich selbst nach außen zu schlagen“. Bei Kant, Marx und in der Kritischen Theorie wird nun jedoch keineswegs unterstellt, dass Individuen de facto bereits vernünftig-selbstbestimmungsfähige Subjekte sind. Vielmehr wird Subjektivität als ein Potential verstanden, dass sich in Abhängigkeit von den sozialen Bedingungen entfaltet - , oder dessen Entfaltung aber blockiert wird. Insbesondere die spätere kritische Theorie hat sich mit den vielfältigen Einschränkungen, Formierungen und Deformationen von Subjektivität im entwickelten Kapitalismus befasst (s. dazu Vogel 1983; Ritsert 2001). Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 3 Prof. Dr. Albert Scherr In einflussreicher Weise setzen Michel Foucaults Analysen die Untersuchung der sozialen Formierungsprozesse fort: Foucault weist insbesondere nach, dass es nicht genügt, Formen des Verbots und der Repression in den Blick zu nehmen, sondern zu untersuchen, wie bestimmte Bedürfnisse und Wünsche sozial hervorgebracht werden (s. etwa Foucault 1997). Dagegen rücken die britischen ‚Cultural Studies’ in den Blick, dass selbst der Medienkonsum gerade nicht zureichend als Beeinflussung verstanden werden kann, sondern eigensinnige Aneignungs- und Umdeutungsprozesse umfasst (s. Hall 2004) hen, sondern hat sich damit auseinanderzusetzen, dass Subjektivität nur als soziale Subjektivität sinnvoll zu denken ist, als Fähigkeit zu Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung von Individuen, die gesellschaftlichen (ökonomischen, politischen, kulturellen, rechtlichen) Zwängen und Einflüssen unterliegen und die ihre Subjektivität nur in sozialen Beziehungen entwickeln können. Knapp angedeutet sind damit unterschiedliche Theorielinien, die sich einer je spezifischen sozialwissenschaftlichen Perspektive mit dem widersprüchlichen Zusammenhang von gesellschaftlicher Bestimmtheit und individueller Selbstbestimmung befassen. Kritische Bildungstheorien (s. dazu ausführlicher etwa Grubauer u.a. 1992; Marotzki/Sünker 1992; Meueler 1993; Scherr 1997; Meyer-Drawe 2001; Höffer-Mehlmer 2003; Scherr 2005) sehen vor diesem Hintergrund die – oder jedenfalls eine zentrale - Aufgabe von Pädagogik darin, pädagogische Kontexte und Prozesse so zu gestalten, dass sie der Entwicklung von Subjektivität, von Selbstwertgefühl, Selbstachtung, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmungsfähigkeit förderlich sind. • Welche Ermöglichungen, Formierungen und Begrenzungen von Subjektivität gehen mit je konkreten gesellschaftlichen Lebensbedingungen sozialer Klassen, Schichten und Milieus einher? Der Rekurs auf den Subjektbegriff bietet eine, jedoch eine keineswegs unproblematische Grundlage für Bildungstheorien. Denn insbesondere feministische, postmoderne und poststrukturalistische Theorien haben geltend gemacht, dass die positive normative Beanspruchung des Subjektbegriffs mit Ausblendungen einhergeht: Die Idee des von anderen unabhängigen und in diesem Sinne autonomen Subjekts wird hier als eine Denkfigur dechiffriert, die sich am historischen Modell des männlichen besitzbürgerlichen Individuum orientiert, das seine grundlegenden sozialen Bindungen und Abhängigkeiten verdrängt und verleugnet (s. dazu zur Lippe 1975; Mayer-Drawe 2001). Sie blenden den Preis aus, den andere dafür zahlen, dass sich männliche bürgerliche Individuen als autonome Subjekte inszenieren und imaginieren können (s. Hall 2004a). Vor dem Hintergrund dieser Kritiken ist es zwingend, Subjektivität nicht als Unabhängigkeit misszuverstehen, sondern als konstitutiv soziale Subjektivität zu fassen: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmungsfähigkeit sind Potentiale, die sich biographisch und lebenspraktisch in sozialen Beziehungen entfalten; Prozesse der Subjekt-Werdung führen auch nicht zur Überwindung sozialer Bindungen und Abhängigkeiten, sondern idealiter zur Entwicklung von selbstbestimmter Urteils- und Handlungsfähigkeit bei gleichzeitiger Anerkennung des eigenen Angewiesenseins auf soziale Beziehungen und Bindung. Ein Verständnis von Bildung als Subjekt-Bildung kann also nicht naiv von einem Verständnis von Subjektivität als Selbstbestimmung des unabhängigen Einzelnen ausge- 4 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 In einer gesellschaftstheoretischen Perspektive sind vor diesem Hintergrund u.a. folgende Fragestellungen für Subjekttheorien und subjektorientierte Bildung zentral: • Wie sind jeweilige Ausprägungen von Subjektivität mit Strukturen sozialer Ungleichheit, mit Macht- und Herrschaftsverhältnissen, mit gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen sowie mit Fremd- und Selbstzuordnungen zu kollektiven Identitäten verschränkt? • Wodurch werden Individuen befähigt bzw. behindert, sich bewusst mit den gesellschaftlichen Einflüssen und den eigenen inneren Zwängen auseinanderzusetzen und um auf dieser Grundlage zu begründbaren und verantwortbaren Verständnis eigener Interessen und Überzeugungen zu gelangen? • Wie kann die Subjektivität in einer Weise gedacht werden, die nicht mit den Verkennungen und dem Überlegenheitsbewusstsein männlich-bürgerlicher Subjektivität einhergeht? Wie können Subjekt- und Bildungstheorien den Herausforderungen gerecht werden, die aus der feministischen, postmodernem und postkolonialen Kritik resultieren? • Wie kann Pädagogik Prozesse der Distanzierung und Überschreitung im Verhältnis zu gesellschaftlich auferlegten Subjektivitätsformen sowie die Entwicklung politischer und moralischer Urteilsfähigkeit ermöglichen? 2. Die Unhintergehbarkeit von Subjektivität in der politischen Bildung Gängige Konzepte der Politikdidaktik setzen als selbstverständlich voraus, dass ihre Adressaten sich als Bürger einer demokratischen Gesellschaft begreifen, die politisch interessiert sind und sich zumindest an Wahlen beteiligen – oder aber jedenfalls, dass Teilnehmern politischer Bildung ein solches Selbstverständnis durch Wissensvermittlung über die Geschichte und Gegenwart demokratischer Gesellschaften nahegelegt werden kann. Dabei wird gewöhnlich ignoriert, dass die Idee des mündigen Bürgers keineswegs selbstevident ist sowie Distanz und Desinte- Prof. Dr. Albert Scherr resse im Verhältnis zu den Institutionen und Strukturen der verfassten Demokratie auch nicht zureichend als eine bloß irrationale Haltung, als Ausdruck eines Wissensdefizits oder individueller Lernblockaden verstanden werden können. Denn es gibt ja durchaus rationale Gründe für eine Sichtweise, die davon ausgeht, dass die Chancen des Einzelnen gering sind, für eigene Argumente und Überzeugungen im politischen Diskurs Resonanz zu finden oder durch politische Beteiligung Interessen durchsetzen zu können. Entscheidender ist im vorliegenden Argumentationszusammenhang aber, dass die Entstehung und Verfestigung subjektiver politischer Kompetenz bzw. Inkompetenz soziologisch zu erklären ist: Die in einschlägigen Untersuchungen immer wieder deutlich werdende Korrelation zwischen formalem Bildungsniveau sowie Geschlecht einerseits und dem geäußertem politischem Interesse andererseits bringt zum Ausdruck, dass Positionen in der Struktur sozialer Ungleichheiten, also im Gefüge der sozialen Klassen und Schichten und den damit zusammenhängenden Milieuverortungen eng mit Wahrnehmungen des Politischen und eigenen Haltungen im Verhältnis zum Politischen verbunden sind. In einschlägigen empirischen Studien (s. Scherr 1995; Vester u.a. 2001) wird deutlich, dass die Vorstellung, politische Kommunikation und politische Beteiligung seien gewöhnlich eine Sache der relativ Privilegierten, zu der die Benachteiligten keinen Zugang finden, nach wie vor verbreitet ist. Entsprechend diagnostizieren Michael Vester u.a. (2001, 13f.) eine „Krise der politischen Repräsentation“ in Folge der wachsenden Distanz zwischen den ökonomischen und politischen Eliten und den Volksmilieus. Der Subjekttypus des sich als mündiger und politisch kompetenter Bürger begreifenden Individuums kann folglich keineswegs als empirischer Normalfall vorausgesetzt werden. Die Theorie und Praxis politischer Bildung muss vielmehr klassen-, schichten- und milieutypisch ausgeprägten Formen politischer Subjektivität und damit zusammenhängende Ausprägungen der Nähe und Distanz zu den Formen politischer Artikulation und Repräsentation in Rechnung stellen. Politische Bildung als Subjektbildung, d.h. als Unterstützung von Prozessen, in denen Individuen und soziale Gruppen lernen können, sich als Subjekte politischen Denkens und Handelns zu begreifen, steht folglich vor der Aufgabe, sich mit sozial verankerten, klassen-, schichten- und milieubezogenen Kompetenz- und Inkompetenzuschreibungen auseinanderzusetzen. Zudem trifft politische Bildung auf Subjekte, die in Sozialisationsprozessen und in der Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen eine für sie selbst gültige Sichtweise der sozialen Wirklichkeit, eigener politischer und moralischer Überzeugungen sowie eigener Bedürfnisse und Interessen entwickelt haben. Die – in der Regel durch die Kommunikation in Peer-Groups, Cliquen, Freundeskreisen usw. – abgestützten Deutungs-, Handlungs- und Wahr- nehmungsmuster sind nun nicht beliebig verfügbare und veränderbare Elemente der eigenen Subjektivität und als solche ein unhintergehbarer Bezugspunkt von Bildungsprozessen. Exemplarisch deutlich wird die damit für die politische Bildung verbundene Problematik in einer von Klaus Holzkamp (1993, 45) vorgelegten Analyse von Lernwiderständen, mit denen antirassistische Bildung zu rechnen hat. Holzkamp weist darauf hin, dass auch politisches Wissen und politische Einstelllungen kein problemlos vom eigenem Selbstverständnis abspaltbares Element sind und dass Versuche, diese durch bessere Argumente und überlegenes Wissen zu verändern, folglich als Bemühungen erlebt werden können, die eigene Subjektivität zu beeinflussen, was Abwehr provozieren kann: Ihre Vorurteile, ihre Einstellungen, also sie selbst sollen geändert werden. Dies bedeutet aber, dass .... das traditionelle konservative Postulat der Asymmetrie zwischen der Position des allwissenden Lehrers als Subjekt pädagogischer Einwirkungen und der Position der unmündigen, kognitiv und moralisch verbesserungswürdigen SchülerInnen als Objekt dieser Einwirkungen ... befestigt wird. (....) So kommt es in dieser Konstellation zu einem permanenten, mehr oder weniger verdeckten Kampf zwischen dem Lehrer, der den Zu-Erziehenden ihre rassistischen Vorurteile ausreden will, und den SchülerInnen Eine vergleichbare Problematik hat Niklas Luhmann (1987: 177f.) als „Verdoppelung der Ablehnungsmotive“ thematisiert: Versuche der pädagogischen Einflussnahme können als solche wahrgenommen und ablehnt werden, wenn der Adressat pädagogischer Bemühungen sich nicht in die Position desjenigen begeben will, der darauf verwiesen ist, sich erziehen, belehren oder aufklären zu lassen. Eine politische Bildung, die darauf gerichtet ist, den Widerstand gegen eine Infragestellung eigener Erfahrungen und Überzeugungen aufzubrechen, kann folglich in eine Konfrontationsfalle geraten: Die Adressaten wehren Informationen und Argumente gerade deshalb ab, weil sie wahrnehmen, dass Pädagogen versuchen, auf sie einzuwirken und dies als einen illegitimen Versuch bewerten, sie zu beeinflussen oder gar zu manipulieren. Dann entwickelt sich eine Dynamik der Konfrontation, in der jeder weitere Versuch zu argumentieren als unzulässiger Übergriff auf die eigene Person zurückgewiesen wird. Eine damit zusammenhängende, aber etwas anders gelagerte Problematik ist darin zu sehen, dass politische Bildung vielfach schlicht in Unkenntnis der Erfahrungen, des Wissens und der Überzeugungen ihrer Adresstaten agiert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie auf Seiten des Adressaten fehlendes Wissen oder aber die Verbreitung falscher Überzeugungen, z.B. von Vorurteilen, Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 5 Prof. Dr. Albert Scherr schlicht unterstellt (s. dazu Scherr/Schäuble 2008). Daraus resultiert dann ein Arrangement von Bildungsprozessen, das gerade nicht an die Sichtweisen und Fragestellungen der Adressaten anknüpft, sondern mit unausgewiesenen Unterstellungen darüber operiert, welche Wissensdefizite und welche Fragestellungen zu bearbeiten sind. Entsprechend kommen Didaktiken der politischen Bildung vielfach ohne eine gründliche empirische Fundierung aus, die themenbezogen genau aufzuweisen hätte, bei welchen Adressatengruppen mit welchen Überzeugungen zu rechnen ist und warum diese sich den jeweiligen Adresstaten als plausibel oder ggf. auch als alternativlos und zwingend darstellen. In der Folge muss politische Bildung mit Desinteresse und ggf. mit Abwehrhaltungen rechnen, denen die Wahrnehmung zu Grunde liegt, dass die eigenen Fragestellungen und Interessen nicht ernst genommen, sondern ggf. lediglich methodisch im Interesse der Motivationsbeschaffung instrumentalisiert werden – oder auch nur rituell angefragt werden, um eine teilnehmerorientierte Haltung zu inszenieren. 3. Subjektbildung vs. Subjektivierung Auch im aktuellen Diskurs zu den Erfordernissen einen Bildung in der sog. Wissensgesellschaft wird Bildung in bestimmter Weise als Eigentätigkeit des sich bildenden Individuums bestimmt: Lebenslanges Lernen ist weitgehend vom Einzelnen selbst verantwortetes Lernen, d.h. Lernen, bei dem der Lernende durch ein vielfältiges Netzwerk von Lernangeboten und Lernmöglichkeiten steuert. Das gilt selbst in der frühen Kindheit, in der Eltern weitgehend den Bildungsweg bestimmen. Dieses selbstgesteuerte Lernen beinhaltet die Nutzung fremd organisierter Lernangebote ebenso wie das Selbstorganisieren von Lernen. Es setzt gerechte Zugangsmöglichkeiten und kompetente Lernberatung voraus. (BMBF 2004) Diese politische Akzentuierung von Selbstverantwortung, Selbststeuerung und Selbstorganisation von Lernprozessen weist auf der semantischen Ebene und hinsichtlich ihrer methodischen Implikationen ersichtlich eine Übereinstimmung mit subjekttheoretischen und reformpädagogischen Bildungskonzepten auf. Dies trägt dazu bei, dass tradierte Konfliktlinien erodieren und sich das einschlägige methodische Repertoire von Konzepten selbstgesteuerten Lernens in Schulen wachsender Beliebtheit erfreut. Diese methodische und semantische Affinität sollte jedoch nicht dazu verleiten – und gerade darin besteht eine zentrale Problematik von Versuchen, den aktuellen Bildungsdiskurs als Chance zu begreifen – zu übersehen, dass es dabei keineswegs um Bildung als Moment der Selbstkonstitution selbstbestimmungsfähiger Subjekte geht. Vielmehr geht es um Bildung als Element einer solchen Subjektivierung, in der die politisch eingeforderte Selbstverantwortung 6 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 sich am Ziel einer „Ausrichtung des eigenen Lebens an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen“ (Lemke/Krasmann/Bröckling 2000,30) orientiert. Eine disziplinierte, an starren normativen Vorgaben orientierte „methodische Lebensführung“ (Max Weber) wird schrittweise ersetzt durch die Verpflichtung, eigene Qualifikationen permanent in Hinblick auf unbestimmte Erwartungen, aber im Wissen um die Gefahr des Scheiterns, zu optimieren, auf prekäre Arbeitsverhältnisse verwiesen oder arbeitslos zu werden. Funktionalisierung für gesellschaftliche Zwecke und Förderung der Entfaltung individueller Subjektivität werden in der Folge nicht mehr als Widerspruch gedacht, sondern verschmelzen ... zu einem neuen Typ funktionaler Subjektivität. Plakativ formuliert: Durch selbsttätigen, flexiblen und selbstverantwortlichen Wissenserwerb modularisieren sich die Subjekte umgebungs- bzw. marktgerecht. ‚Kompetenz/Kompetenzerwerb’ und ‚lebenslanges Lernen’ bilden Schlüsselkonzepte im Diskurs über die Wissensgesellschaft, in dem Subjekte als umfassend, lebenslang und individuell ‚angemessen’ förderungs- und entwicklungsfähig dargestellt werden (Maasen 2006: 191). Es steht zu befürchten, dass von Bildung als zweckfreier, nicht auf gesellschaftliche Funktionalität ausgerichteter Selbstbildung bzw. als politischer Bildung, die auf die Befähigung zu Gesellschaftskritik zielt, unter solchen Bedingungen wenig übrig bleibt. Selbst die ehemaligen akademischen Elfenbeintürme werden in Dienstleistungseinrichtungen zur Erzeugung vermeintlich marktgängiger Qualifikation umgebaut. 4. Folgerungen für die Theorie und Praxis subjektorientierter politischer Bildung1 Grundlegend für eine subjektorientierte politische Bildung ist ein Verständnis von Bildung als ein dialogischer Prozess, der darauf zielt Selbstbildungsprozesse anzuregen, zu ermutigen, zu unterstützen und zu qualifizieren (s. dazu grundlegende Freire 1970; vgl. Meueler 1993 und Scherr 1997). Eine so verstandene Bildungsarbeit verzichtet keineswegs darauf, relevantes Wissen verfügbar zu machen und ist von einer sog. Teilnehmerorientierung ebenso zu unterscheiden wie von einem solchen Konstruktivismus, der mit der Annahme operiert, dass alle Wirklichkeitskonstruktionen gleichermaßen begründet und berechtigt seien. Denn eine dialogische Orientierung setzt die Bereitschaft und die Fähigkeit, den Standpunkt des Anderen ernst zu nehmen ebenso voraus, wie die Bereitschaft und die Fähigkeit, eigene Standpunkte offenzulegen und zu vertreten. Eine dialogische Orientierung schließt also Kontroversen im Sinne des Streits um die Wahrheitsfähigkeit und die moralische Rechtfertigbarkeit unterschiedlicher politischer Überzeugungen nicht aus, sondern ein. Prof. Dr. Albert Scherr Im Unterschied zu einer Pädagogik, die auf Belehrung setzt oder naiv von der Überzeugungskraft des besseren Arguments ausgeht, ist für eine dialogische und subjektorientierte Bildungsarbeit aber die Annahme entscheidend, dass jeder gute Gründe hat, die eigenen Überzeugungen für gut begründet und für rechtfertigbar zu halten. Bildungsarbeit besteht entsprechend darin, Situationen herzustellen, in denen die Chance besteht, sich wechselseitig die je eigenen guten Gründe darzulegen und darauf zu setzen, dass dies zu produktiven Irritationen im Sinne von Lernprozessen führt, in denen eine Hinterfragung der bisher fragloser Sichtweisen und das Nachdenken über Alternativen möglich wird (vgl. Rorty 2003, 241ff.). Eine solche politische Bildung zielt darauf, Lern- und Reflexionsprozesse zu ermöglichen und anzustoßen, aber nicht auf Versuche, diese durch eine gezielte Einflussnahme zu erzwingen. Dabei wird davon ausgegangen, dass es in diesem Prozess zentral darauf ankommt, in eine solche Auseinandersetzung jeweilige Sichtweisen und diesen zu Grunde liegenden Erfahrungen einzutreten, die anerkennt, dass die Adressaten politischer Bildung sich selbst als politisch und moralisch urteilsfähige Individuen sehen und subjektiv gute Gründe haben, diejenige Positionen einzunehmen, die sie beziehen. Jeweilige Positionen stehen in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang mit biografisch erworbenen und nicht einfach preiszugebenden Grundlagen des eigenen Selbst- und Weltverständnisses sowie mit den in Bezugsgruppen geteilten Überzeugungen. Bildungsprozesse sind folglich darauf verwiesen, solche Möglichkeiten zu eröffnen, in denen die kritische Überprüfung eigener politischer Wissensbestände und Überzeugungen als subjektiv zugängliche und anstrebenswerte Chance erlebt werden kann - also gerade nicht als Zwang oder Zumutung, sich das Wissen und die Überzeugungen jeweiliger Pädagogen zu eigen zu machen. Notwendiger Ausgangspunkt subjektorientierter und dialogischer Bildungsarbeit sind deshalb die Prozesse, in denen Jugendliche und Erwachsene sich selbst in Auseinandersetzung mit - in ihren sozialen Milieus, in Gleichaltrigengruppen und in den Massenmedien -gesellschaftlich zirkulierenden Informationen und Deutungsangeboten ihnen begründet und plausibel erscheinende Sichtweisen aneignen, die es ihnen erlauben, die für sie bedeutsamen alltäglichen Erfahrungen sowie für sie interessante gesellschaftliche Sachverhalte und Entwicklungen zu verstehen. Aus den obigen Überlegungen folgt des Weiteren eine solche Konzeption von Bildungsangeboten, die darauf zielt, den Lerngegenstand nicht allein didaktisch aus einer wissenschaftlichen Analyse des Lerngegenstandes abzuleiten, sondern seine Relevanz und seine Dimensionen zugleich auch aus Sicht der Adressaten zu bestimmen. Wenn also z.B. Jugendliche annehmen, dass es tatsächlich bedeutsame Unterschiede zwischen Juden und Nicht-Juden sowie gute Gründe für Distanz und ggf. für Feindseligkeit gegenüber Juden gibt, ist es sinnvoll, diese subjektiven ‚Wahrheiten’ im Rahmen von Bildungsprozessen nicht von vornherein zu indiskutablen Vorurteilen zu erklären, sondern in eine Auseinandersetzung mit ihnen einzutreten, die Jugendlichen zunächst die Möglichkeit gibt, ihre Sichtweisen und Begründungen zu artikulieren. Denn die Möglichkeit eigene Standpunkte zu formulieren, ist eine zwingende Voraussetzung für daran anschließende Prozesse, in denen zu erarbeiten ist, was die Problematik der jeweiligen Sichtweise ist. Zweifellos berührt politische Bildungsarbeit in solchen und anderen Fällen menschenrechtliche, demokratische und moralische Grundsätze, die nicht als jederzeit revidierbar betrachtet werden können und für die entsprechend gilt, dass darauf bezogen nicht jedwede Sichtweise als gleichermaßen gültig und legitim gelten kann. Vielmehr besteht notwendigerweise die Zielsetzung und Erwartung, dass Bildungsprozesse zu einer Distanzierung und Kritik von Vorurteilen und Feindbildern, antidemokratischen und menschenrechtswidrigen Positionen führen. Es kann folglich nicht Einzelnen überlassen werden, welche Schlussfolgerungen sie aus der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen ziehen. Dies kann jedoch nicht dadurch gewährleistet werden, dass abzulehnende Überzeugungen von vornherein mit dem Hinweis auf Recht und Moral tabuisiert von weiterer Bearbeitung ausgeschlossen werden sowie dass diejenigen diskreditiert werden, die sie äußern. Denn dies verschließt jede Möglichkeit des weiteren Dialogs mit denjenigen, deren Überzeugungen verändert werden sollen. Bildungsarbeit kann folglich allein darauf hoffen, dass eine konsequente dialogische Orientierung entsprechende Lernprozesse ermöglicht und muss sich entsprechend auch den Grenzen ihrer Möglichkeiten bewusst sein. Bildung kann ermöglicht und unterstützt, aber eben – jenseits psychotechnischer und ideologischer Manipulationen – nicht erzwungen werden. Bildungsarbeit ist also auch nicht als ein ‚Kampf’ gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus misszuverstehen und sie kann rechtliche Grenzziehungen nicht ersetzen. Im Grenzfall des drohenden Scheiterns sind PädagogInnen darauf verwiesen, Grenzen zu markieren, indem sie ihre eigenen Positionen inhaltlich, rechtlich und moralisch ausweisen und möglichst auch so erklären, dass jeweilige Adressaten die Gründe und Motive nachvollziehen können. Grundlegend für eine subjektorientierte und dialogische Bildungsarbeit sind pädagogische Prozesse, in denen Jugendliche bzw. Erwachsene sich als respektierte Dialogpartner erleben können, in denen sie also nicht als Zu-Erziehende und Zu-Belehrende adressiert werden. Bildungsangebote sollten deshalb die Möglichkeit bieten, sich mit einem jeweiligen Lerngegenstand auseinander zu setzen und dabei selbst zu entscheiden, ob und in welchen Formen sie bereit sind, sich auf eine Artikulationen eigener Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 7 Prof. Dr. Albert Scherr Erfahrungen und Gewissheiten einzulassen. Literatur Anzustreben sind damit Arbeitsbündnisse, in denen den Adressaten grundsätzlich ein gemeinsames Interesse an der Erarbeitung moralisch und politisch vertretbaren Überzeugungen unterstellt wird. Der zentrale Ansatzpunkt subjektorientierter politischer Bildung liegt so betrachtet in der Initiierung von Lern- und Bildungsprozessen, die auf das Bedürfnis reagieren, die soziale Wirklichkeit zu verstehen und die darauf ausgerichtet sind, Jugendliche und Erwachsene zu einer Überprüfung sowie zu einer Auseinandersetzung mit alternativen Verstehens- und Handlungsmöglichkeiten anzuregen. Adorno, Theodor W. 1970: Erziehung nach Auschwitz, in: Ders. (Hg.): Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt, S. 88-104 Anmerkungen: 1) Die folgenden Formulierungen greifen auf ältere Texte zurück, nicht zuletzt auf eine gemeinsam mit Barbara Schäuble verfasste Publikation (Schäuble/Scherr 2008). BMBF (Hg.) 2004: Strategie für Lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn Daniel, Claus 1981: Theorien der Subjektivität. Frankfurt Foucault, Michel 1979: Sexualität und Wahrheit. Frankfurt Freire, Paolo (1970): Pädagogik der Unterdrückten. Reinbek Grubauer, Franz u.a. (Hg.) 1992: Subjektivität – Bildung – Reproduktion. Weinheim Hall, Stuart (2004): Kodieren/Dekodieren. In. Ders., Gesammelte Schiften 4. Hamburg, S. 66-80 Hall, Stuart (2004a): Wer braucht ‚Identität‘?. In: Ders., Gesammelte Schiften 4. Hamburg, S.167-187 Höffer-Mehlmer, Markus (Hg.) 2003: Bildung: Wege zum Subjekt. Hohengehren Holzkamp, Klaus 1993: Lernen. Eine subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt/M. Hormel, Ulrike/Scherr, Albert 2004: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden Kant, Immanuel 1785/1980: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, in: Ders. (Hg.): Werkausgabe Band XI. Frankfurt, S. 53-61 Keupp, Heiner/Joachim Hohl (Hg.) 2006: Subjektdiskurse im gesellschaftlichen Wandel. Bielefeld Lemke, T./Krasmann, S./Bröckling, U. 2000: Gouvermentalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologie, in: Diess.(Hg): Gouvermentalität der Gegenwart. Frankfurt/M., S. 7-40 Luhmann, Niklas 1987: Sozialisation und Erziehung, in: Ders. (Hg.): Soziologische Aufklärung 4. Wiesbaden, S. 173-181 Maasen, S. 2006: Wissensgesellschaft, in: Scherr, Albert (Hg.): Soziologische Basics. Wiesbaden, S. 193-198 Marotzki, Winfried/Sünker, Heinz (Hg.) 1992: Kritische Erziehungswissenschaft– Moderne– Postmoderne. Weinheim Mayer-Drawe, Käte 2001: Illusionen von Autonomie. Münster 8 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Prof. Dr. Albert Scherr Meueler, Erhard 1993: Die Türen des Käfigs. Stuttgart Ritsert, Jürgen 2001: Soziologie des Individuums. Darmstadt Rorty, Richard 2003: Wahrheit und Fortschritt. Frankfurt Scherr, Albert (1995): Soziale Identitäten Jugendlicher. Opladen Scherr, Albert (2003): Subjektbildung als Distanzierung. 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Frankfurt zur Lippe, Rudolf 1975: Bürgerliche Subjektivität: Autonomie als Selbstzerstörung. Frankfurt Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 9 Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann, Alice Salomon Hochschule Berlin Wirkung von Demokratiebildung am Beispiel der Evaluation eines Projekts der außerschulischen Jugendbildung in Kooperation mit Schule ihren Ursprung allein in dem Inneren der Seele und kann durch äußere Veranstaltungen nur veranlaßt, nie hervorgebracht werden“. Dies ist keinesfalls als Legitimation für den päda-gogischen Rückzug zu verstehen, vielmehr heißt es: Wir können und müssen ‚veranlassen‘, wir müssen Motor dafür sein, dass Heranwachsende Bildungsprozesse vollziehen können, die auf einer demokratischen Grundhaltung beruhen, wir müssen eine Partizipationskultur etablieren und mit ihnen gemeinsam praktizieren, die ihnen wirklich gesellschaftliche Teilhabe, Mitgestaltung und Verantwortungsübernahme zugesteht und abfordert! Partizipation von Kindern und Jugendlichen kann und muss zum einen politisch etabliert und geschützt werden. So heißt es etwa im Koalitionsvertrag von 2005: „ Kinder und Jugendliche in politische, planerische und zukunftsorientierte Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse einzubeziehen, ist für die Zukunftsfähigkeit eines demokratischen Gemeinwesens unverzichtbar“. Das ist ohne Zweifel eine wichtige politische Standortbestimmung bzw. Absichtserklärung. Letztlich erweist sich der Erfolg, die Wirkung solcher Ideale aber immer erst in der Praxis, in Projekten, in denen Kinder und Jugendliche Verantwortung übertragen und Teilhabe tatsächlich ermöglicht wird! Sind Erwachsene bereit, ihre Entscheidungsmacht mit Kindern und Jugendlichen zu teilen? Respektieren Sie z.B. Konfliktlösungen, die diese für angemessen erachten? Sind Sie auch selbst be-reit, sich demokratischen Beschlüssen unterzuordnen? Das evaluierte Projekt: Peer-Mediation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann Kinder und Jugendliche müssen demokratische Beteiligung zunächst erfahren, also konkret erleben in Kontexten, in denen Demokratie gelebt, vorgelebt und mit ihnen gemeinsam praktiziert wird. Demokratie lernen ist dann mehr als ein Lernprozess im Sinne der Aneignung von Wissen und Kompetenzen, sondern ein Bildungsprozess, in dem sich das Verhältnis der Heranwachsenden zu sich selbst und zur Welt verändert, ein Prozess der Ausbildung und Habitualisierung einer Haltung, die einen neugierigen, respektvollen und demokratischen Umgang mit dem Vertrauten und dem Fremden und Anderen ermöglicht. Lernprozesse sind didaktisierbar – Bildungsprozesse nicht oder zumindest nicht vollständig. Dies heißt für die Erwachsenen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, seien dies Lehrer/innen, Sozialpädagog/innen, Sozialarbeiter/innen oder andere Professionelle, dass es nicht reicht, demokratisches Verhalten zu lehren bzw. zu unterrichten, sondern dass es gilt, einen pädagogischen Bezug her-zustellen, mit Kindern und Jugendlichen eine pädagogische Beziehung einzugehen, in die der/die Pädagoge/Pädagogin sich als Professionelle/r und als Mensch einbringt. Wie hat Humboldt dies formuliert? „Bildung hat 10 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 In dem Projekt, das von Ralf Bohnsack und der Autorin als externe Evaluatoren von 2002 bis 2004 begleitet wurde, wurden Schüler/innen aus den 7. bis 10. Klassen mehrerer Berliner Oberschulen durch Mitarbeiter/innen der Jugendbildungsstätte Kaubstraße zu Peermediator/innenen ausgebildet (vgl. Jugendbildungsstätte Kaubstraße 1999). Die Pädagog/innen arbeiteten dabei eng mit jeweils ein oder zwei Lehrer/innen zusammen, die auf schulischer Seite für die Projektimplementierung und Begleitung der Schüler/ innen zuständig waren. Die Evaluation hat ergeben , dass ein derartiges Projekt unter bestimmten Bedingungen tatsächlich dazu geeignet ist, Jugendliche zu beteiligen, sie in die Verantwortung zu nehmen, damit erstaunliche persönliche Bildungsprozesse anzuregen und zumindest wichtige Impulse zur Entwicklung einer partizipativen und demokratischeren Schulkultur zu geben. Der empirisch durchaus begründete Optimismus, was das Entwicklungs- und Veränderungspotential von Heranwachsenden angeht, steht dabei der Schwerfälligkeit strukturell-organisatorischer und organisationskultureller Bedingungen der Institution Schule gegenüber, die sich viel stärker als bislang auf die Herausforderungen einlassen müsste, die damit verbunden wären, wenn man nicht nur von Partizipation und demokratischer Beteili- Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann gung von Kindern und Jugendlichen redet, sondern ernst damit macht. Zu den Ergebnissen der Evaluation vgl. Nentwig-Gesemann/Bohnsack 2005; Nentwig-Gesemann/ Bohnsack/Streblow 2005; Nentwig-Gesemann/Bohnsack/ Fritzsche 2007. Methoden der Evaluation Bevor ich zu einigen Ergebnissen der Evaluation komme, möchte ich ein paar kurze methodische Anmerkungen machen: Mit Hilfe qualitativer Forschungsmethoden sollte hier explizit, so der Auftrag der Stiftung, ein Einblick in die Tiefen- und Prozessstruktur der Projektpraxis geworfen werden. Auf der Grundlage von komplexen Fallstudien in zwei ausgewählten Schulen, sollte nicht nur rekonstruiert werden, was die Ausbildung zu Peermediatoren und die Etablierung von Peer-Mediation in der Schule leistet, sondern auch wie dies geleistet wird, wie und warum sich also angestrebte Wirkungen entfalten oder auch nicht. Die Evaluation bezog sich auf den gesamten Prozess von der Ausbildung der Schüler in der Jugendbildungsstätte bis zur Implementierung der Mediation in den beiden ausgewählten Schulen. Im Rahmen der Einbeziehung verschiedener Perspektiven wurden Gruppendiskussionen sowohl mit den professionell Beteiligten – Pädagogen der Jugendbildungsstätte und Lehrer der Schulen –, als auch mit verschiedenen Mediatoren- und Schülergruppen durchgeführt. Die Rekon-struktion dieser Mehrperspektivität ist wichtig, weil es die Realität, die eine ‚richtige’ Sichtweise nicht gibt, sondern sich erst die verschiedenen Erfahrungen und Perspektiven der Beteiligten wie bei einem Puzzle zu einem verdichteten Bild zusammensetzen lassen. Zu den methodischen Aspekten einer qualitativen, dokumentarischen Evaluationsforschung vgl. Bohnsack/ Nentwig-Gesemann 2006; Nentwig-Gesemann 2006. Zentrale Evaluationsergebnisse: Bildungsprozesse der Mediator/innen Die Beteiligung am Mediationsprojekt, die Ausbildung zum Mediator, zur Mediatorin und die Arbeit in der Schule, hat bei den Jugendlichen zum Teil erstaunliche Entwicklungsund Bildungsprozesse angeregt. Insbesondere die selbst in gewaltförmige Auseinandersetzungen verstrickten Jungen, die an der Mediationsausbildung teilnahmen, distanzierten sich zunehmend von eskalierendem, konfliktträchtigem Verhalten. Der mit der Ausbildung verbundene Zuwachs an sozialen und kommunikativen Kompetenzen, das Einüben konstruktiver bzw. kommunikativer Konfliktbearbeitungsstrategien erweiterte ihr eigenes Handlungsrepertoire in Konfliktsituationen auch außerhalb der Peer-Mediation. Beispielhaft sei hier ein kurzer Ausschnitt aus einem Gespräch wiedergegeben, der verdeutlicht, dass sich tatsächlich grundlegende Orientierungen veränderten und damit zunächst der Umgang mit Konflikten, in die die Mediatoren selbst nach wie vor verstrickt waren. Juan: ick bin früher also (.) bin ick gerne vielleicht so (.) also der Draufhauer also, von mir selber aus, und (.) ick hab mich früher sehr viel sehr schnell reizen lassen und (.) vielleicht auch dadurch weil (.) man hat ja auch wieder andere Ansichten, dann sagt man, ach, machst du lieber nicht, kann sein dass da ne Anzeige kommt oder so (…) na gut dann lässt man es lieber sein und (.) und tritt lieber n Schritt zurück, sagt (mit veränderter ruhiger Stimme) lass mich doch in Ruhe, n bisschen quatschen, (.) und dann is (.) sind beede Seiten glücklich. und (.) na ja (.) jetzt (.) quatscht man eher als druffzuhauen. also von meine Seite aus jetzt. Wir erkennen hier, dass sich auf der Grundlage einer Reflexion der Konfliktsituation und des eigenen Verhaltens, des Vorschaltens einer kurzen ‚Denkzeit‘ vor der spontanen Eskalation, das, was vorher impulsiv und unkontrollierbar geschah, gar nicht mehr zu entfalten vermochte. Die Fähigkeit in Konfliktsituationen „einen Schritt zurückzutreten“, wie Juan das hier beschreibt, ist bei vielen Jugendlichen ebenso wenig selbstverständlich vorhanden, wie ein Grundvertrauen darin, dass man über Konflikte auch miteinander reden und sie auf diese Weise lösen kann. Im Rahmen der Ausbildung zu Mediatoren machten die Jugendlichen zum einen die Erfahrung, von den Pädagog/innen ernst und in die Verantwortung genommen zu werden – ihnen wurde etwas zugemutet, und damit eben auch zugetraut. Zum anderen prägte sich auch eine andere Kommunikationskultur heraus: Anders als in Schule und Unterricht vielleicht möglich, erlebten die Jugendlichen mit den Mitarbeiter/innen der Jugendbildungsstätte auf Reziprozität beruhende Formen der Kommunikation auf Augenhöhe. Die Einhaltung kommunikativer Regeln, der respektvolle Umgang miteinander – beides wichtige Bestandteile der Ausbildung zum Mediator, zur Mediatorin, wurde den Jugendlichen zunehmend wichtig und sie forderten ein entsprechendes Verhalten immer wieder auch von den Pädagog/innen. Diese Erfahrung, auch von Erwachsenen die Einhaltung kommunikativer Regeln einfordern zu können, ist letztlich grundlegend für Partizipation und Beteiligung in einem enthierarchisierten Kontext, in dem gleiche Regeln für alle gelten, seien dies nun Erwachsene oder Jugendliche. Wie nachhaltig sich bei den Mediator/innen die Überzeugung ausprägte, dass Konflikte tatsächlich diskursiv gelöst werden können und sollten, dokumentiert sich auch in folgendem Zitat: „so wie wir reden, können wir denen die Gründe warum sie auf den los gehen wollen, (.) aus m Mund nehmen und wegschaffen“. Diese Grundhaltung wurde auch aufrechterhalten, als die eigene diskursive, auf Kommunikationen beruhende Strategie einmal keine Wirkung zeigte. So erzählte eine Gruppe von Mediatoren, dass sie in eine Massenschlägerei verwickelt wurden, nachdem der Versuch, mit den anderen Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 11 Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann zu reden, misslang: „wir standen da wirklich da und haben uns sag ich mal auf die Nase hauen lassen. (.) ja weil (.) ähm wir sind denn so, auch wenn wir mal eine reinkriegen oder so, wir versuchen weiter mit denen zu reden“. Die Jungen mussten vom Unfallarzt behandelt werden und die Polizei war einige Wochen lang auf dem Schulhof präsent. Gleichwohl hielt die Mediatorengruppe an der Überzeugung fest und untermauerte dies mit vielen Beispielen, dass sie mit ihrem Ansatz der gewaltfreien Konfliktlösung letztlich „Erfolg“ haben und zwar sowohl bei persönlichen Streitfällen, als auch auf andere bzw. auf das gesamte Schulklima bezogen. Die Jugendlichen konnten durch die Mediationsausbildung und -tätigkeit soziale und kommunikative Kompetenzen erwerben und ausbauen, die weit über die Mediation selbst hinauswirkten, zum Beispiel in die Herkunftsfamilien hinein. Sie gewannen an Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Sicherheit: Sie konnten anderen dabei helfen, Konflikte konstruktiv zu lösen, und es gelang ihnen auch selbst besser, den Alltag „ohne Gewalt“ zu gestalten. Indem sich die Haltung ihnen gegenüber veränderte: man traute ihnen nämlich zu, nicht nur die eigenen Konflikte gewaltfrei zu lösen, sondern auch bei Konflikten der Mitschüler erfolgreich zu vermitteln, veränderte sich auch der Anspruch der Jugendlichen sich selbst gegenüber. Sie bemühten sich zunehmend, so formulierten sie dies selbst, um „vorbildlicheres“ Verhalten. Für die anderen Schüler und Schülerinnen in diesem Sinne ein Vorbild, ein positives Modell sein zu wollen – dies war nur möglich auf der Grundlage der erfahrenen Anerkennung und Unterstützung der begleitenden Erwachsenen in dem Projekt und auch des Sicherheit vermittelnden Gemeinschaftsgefühls der Mediator/innen untereinander. Nachdem ich nun einen Einblick in die Bildungsprozesse der Mediatoren gegeben habe, sollen nun die Erfahrungen der Schüler/innen mit der Mediation und die Umsetzung des Angebots in den Schulen dargestellt werden. Erfahrungen der Schüler/innen mit der Mediation: Die Bewertung der Mediation und die erlebte Mediation Betrachtet man das, was insbesondere diejenigen Schüler/ innen, die uns von den Lehrern als einerseits gewalttätig, andererseits als radikale ‚Mediationsgegner’ präsentiert wurden, als Einschätzung und Bewertung des Projekts explizit formulierten, erschien das Mediationsangebot kaum akzeptiert und weitgehend wirkungslos: Es wiederholten sich Äußerungen wie, die Mediatoren seien sowieso „beknackt“, „schwach“, „Loser“, „Opfer“ und die Mediation, die man niemals freiwillig in Anspruch nehmen würde, „nütze eh nix“. Als Grund für diese ablehnende Haltung erwies 12 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 sich allerdings die Furcht – insbesondere von Jungen – davor, den „Respekt“ der Mitschüler dann zu verlieren, wenn sie Konflikte nicht selbst mit Gewalt bzw. deren Androhung ‚lösen’ konnten. „man hat dann nicht mehr diesen Respekt auf dem Schulhof. (...) den man davor hatte, wenn man zu einem zum Beispiel sagt, ach komm, wir schlagen uns nicht, komm, wir gehen zu den Mediatoren. (...) also auf unserer Sprache, man ist ein Opfer (...) man gilt dann als Vollidiot“. Ein ‚harter Kern’ insbesondere älterer, männlicher Schüler mit traditionellen Männlichkeitsvorstellungen, lehnte es nach außen vehement ab, mit der Peer-Mediation einen Gesprächsrahmen anzuerkennen, der von kommunikativer Reziprozität und Regelhaftigkeit geprägt ist. Dies ließ sich aber als ein Muster lediglich verbaler Distanzierung identifizieren, das einen bestimmten Zweck erfüllte: Die Inanspruchnahme der Mediation konnte auf dieser Grundlage als nicht freiwillig dargestellt und damit legitimiert werden. Dieselben Jugendlichen erzählten nämlich in den Gruppendiskussionen durchaus von positiv erlebten und erfolgreichen Mediationen. Eine zentrale Bedingung für ein Gelingen in dieser Form war allerdings, dass Peer-Mediation nicht als schulischer Sanktionierungsmechanismus instrumentalisiert wurde – etwa mit der Drohung verbunden, einen Tadel zu erhalten oder von der Schule verwiesen zu werden, wenn man nicht zur Mediation ginge. Wenn die Beteiligung an der Mediation tatsächlich freiwillig erfolgte, wenn sich die Schüler die Mediatoren selbst aussuchen konnten, wenn es sich nicht um bereits dramatisch eskalierte Konflikte handelte, die von den Lehrern nicht mehr zu lösen waren, dann wurde die Peer-Mediation als Deeskalationsstrategie wahr-genommen und angenommen. „aber die Lehrer lassen ja irgendwie auch einem (.) die Chance dazu gar nich. die geben gleich n Tadel oder machen gleich ne Anzeige; ziehen die Polizei mit rein, also wir sprechen ja aus Erfahrung“ Der Kritik gerade an den formalisierten Bestrafungs- und Ausgrenzungsmechanismen der Institution Schule steht ein Plädoyer gegenüber, bestimmte Konflikte zunächst im innerschulischen Gesprächsrahmen zu bearbeiten. Eine Mediation – durch respektierte Peer-Mediatoren oder Erwachsene –wird als „Chance“ zur Konfliktklärung akzeptiert, wenn damit eine Eskalation – z.B. durch die Einbeziehung der Polizei oder schuldisziplinarische Maßnahmen – vermieden werden konnte. Lehrer, die in diesem Sinne agierten oder aber sich aus der pädagogischen Verantwortung zurückzogen, konnten keine Partner in einem Prozess gemeinsamer Verantwortungsübernahme und ko-konstruktiver Gestaltung schulischer Kultur sein. Mehrfach erzählten Schüler, dass Lehrer mit dem Unterricht fortfuhren, obwohl Mitschüler sich prügelten oder aber Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann sich bei Auseinandersetzungen auf dem Schulhof mit dem Argument heraushielten, ein Eingreifen sei Aufgabe der Mediatoren. Einen positiven Kontrast bildeten – auch in den Augen der Jugendlichen – diejenigen Lehrer, die sich auf eine reziproke, partnerschaftliche Beziehung zu den Schülern einließen, deren aktive Beteiligung und Übernahme von Verantwortung einforderten, sie zur Mit-Gestaltung der Schulkultur ermutigten und in Entscheidungsprozesse einbezogen. Die Suche nach durchsetzungsfähigen und verlässlichen Bezugspersonen In allen Gruppendiskussionen mit den Schülern – auch mit den als ‚auffällig’ etikettierten – dokumentiert sich der Wunsch nach emotional zugewandten, verlässlichen und durchsetzungsfähigen Bezugs- bzw. auch Autoritätspersonen, die sich nicht auf institutionell vorgegebene Sanktionierungsmechanismen zurückziehen, sondern ernsthaft um einen Aushandlungsprozess mit den Jungendliche bemüht sind. In Bezug auf die Konfliktschlichtung durch Gleichaltrige erwies sich als wichtige Bedingung für die Akzeptanz bzw. die Ablehnung der Mediation, welcher Art die Konflikte waren: Bei massiven Streitfällen, die sich über den schulischen Rahmen hinaus erstrecken, in denen Waffen zum Einsatz kamen und z.B. auch Bandenstrukturen eine Rolle spielten, erwies sich die Einschaltung von Peer-Mediation als massive Überforderung der Mediatoren. Unter Androhung von Ordnungsmaßnahmen angeordnete Mediationen wurden als verlängerter Arm der Institution Schule empfunden, blieben wirkungslos bzw. schadeten dem Ansehen der Mediatoren. Der Gestaltungsspielraum, den die Mediatoren bei derartig eskalierten Konflikten hatten, war tatsächlich auf ein Minimum reduziert; dementsprechend wurden sie auch von den involvierten Schülern in diesen Fällen nicht als kompetent betrachtet und nicht respektiert. „mit so einer großen Sache kann man nicht zu den Streitschlichtern; (...) was sollen da Schü-ler bitte machen? also wenn die Polizei grad mal so mit uns klar kommt was solln da die Schüler machen?“. Wir haben bei unserem Einblick in die Peer-Mediation überwiegend positive Beispiele gesehen: Vielfach gelang es in der Mediation, eine einvernehmliche Konfliktlösung zu ermöglichen, mit der alle Beteiligten zufrieden waren – auch wenn sie dies zum Teil nur schwer zugeben konnten: So gelang es den Mediatoren, bei alltäglichen Konflikten – wie z.B. verbalen Provokationen, Beleidigungen oder Prügeleien – erfolgreich zu moderieren, einen Rahmen für gelingende Kommunikation zu etablieren und die Streitenden beim Finden einvernehmlicher Kompromisslösungen zu unterstützen. Wenn es nicht darum ging, institutionelle Ziele oder Auflagen zu erfüllen, wenn die Streitenden die Mediatoren selbst auswählen konnte, dann stellte die Mediation eine wirkungsvolle Alternative zu herkömmlichen Sanktionierungsverfahren dar. „ich bin neu in diese Klasse gekommen, von dem; in seine Klasse, (.) ah: is unsere Lehrerin kurz rausgegangen, (3) danach hab ich ihn beleidigt, (.) dann is er ausgerastet und is aufge-standen, wollt die Stühle auf mich schmeißen und alles, (3) dann hat er sich wieder ein biss-chen beruhigt; dann nach der Schule kam er zu mir, er hat mich (2) geschlagen, (ich guck) so ich mach so oh: ich blute. da bin ich gegangen; nächsten Tag mussten wir hierher kommen; da haben wir uns gar nicht gestritten. (2) danach haben wir das in das Buch eingetragen, und danach haben wir uns wieder vertragen und sind jetzt Freunde geworden.“ Es gelang bei alltäglichen Konflikten mit der Mediation einen Rahmen bereitzustellen, in dem es nicht um individuelle Durchsetzungsfähigkeit, sondern um die Suche nach Kompromissen, nach tragfähigen, pragmatischen Einigungen, die beiden Streitparteien ermöglichen, ihr Gesicht zu wahren. Auf diese Weise wurde – so unsere Einschätzung – eine realistische Alternative zu ‚eingespielten’, zum Teil gewaltförmigen Eskalationsmechanismen eingeübt. Ich möchte nun noch einmal zusammenfassen, inwiefern in diesem Projekt die Qualitätskriterien für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, wie sie vom Deutschen Kinderhilfswerk (2004) entwickelt wurden, erfüllt wurden bzw. inwiefern die Partizipationskultur, und hier geht es primär um die Schulen, verbessert werden könnte. Zwangsangeordnete Mediationen wurden lediglich als verlängerter Arm der Institution Schule empfunden und die Frage, was eine Mediation hier noch bewirken sollte, blieb ungeklärt. Ein derartiges Vorgehen schadete der Etablierung von Peer-Mediation in der Schule, die fundamental auf die Akzeptanz der Mediator/innen durch die Schüler/ innen angewiesen ist. Im Sinne einer Kultur der Partizipation müsste den Mediatoren noch deutlicher gemacht werden, dass nicht sie die Verantwortung für die Lösung der Probleme der Schüler/innen tragen, sondern diese lediglich im Rahmen eines moderierenden Prozesses dabei unterstützen sollen, selbst Lösungen zu finden. Die Mediator/innen neigten zuweilen dazu, Konflikte der Peers autoritär und schnell lösen zu wollen, sich als Besserwissende und kompetente Konfliktlöser zu verstehen, und damit aber denjenigen, die die Mediation in Anspruch nahmen, nur wenig eigenen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zubilligten. Letztlich erscheint es banal, aber es ist der Entwicklung einer Partizipationskultur nicht zuträglich, wenn Kinder und Jugendliche einerseits immer wieder erfahren, dass Erwachsene Konflikte überwiegend autoritär und nicht diskursiv lösen, von ihnen aber andererseits erwartet wird, Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 13 Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann dass sie eine moderierende Rolle einnehmen und bei eigenen Konflikten die Fähigkeit zum respektvollen und diskursiven Umgang miteinander beweisen. Ein Qualitätskriterium der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist, dass es tatsächlich Handlungsspielräume gibt, das heißt einen realistischen und realen Entscheidungsrahmen. Wenn allerdings Jugendlichen die Verantwortung für die Lösung von Konflikten übertragen wird, denen die Erwachsenen bereits hilflos gegenüberstehen bzw. die Einbeziehung und Beteiligung von Jugendlichen zum verlängerten Arm der Durchsetzung von institutionellen Sanktionierungsmechanismen degradiert wird, dann läuft das dem Partizipationsgedanken zuwider. Ein weiteres Qualitätskriterium für Beteiligung ist nämlich der Ernstcharakter: Nur ernst gemeinte Beteiligungsangebote zählen, nur wenn Mitverantwortung und Mitbestimmung tatsächlich bei den Jugendlichen liegt, können wir von einem partizipativen Ansatz reden. Ein solches Projekt muss auf jeden Fall in den Schulentwicklungsprozess integriert werden und zwar wesentlich stärker, als wir dies in den beiden Schulen vorfanden, wenn seine Potentiale im Hinblick auf die Stärkung einer konstruktiven schulischen Konfliktkultur ausgeschöpft und darüber hinaus nachhaltige Wirkungen erreicht werden sollen. Nur ein in diesem Sinne unterstützender gesamtschulischer Rahmen vermag zu vermitteln, dass die Mediation als Projekt der Schule und aller Lehrer ernst genommen und anerkannt wird. Die Mit-Verantwortung von Schüler/ innen für die Regelung von Konflikten erfordert dabei auch eine kritische Reflexion über organisatorische Strukturen und das professionelle Selbstverständnis der Lehrer/innen, die zu demokratischer Beteiligung von Jugendlichen nicht nur theoretisch, sondern auch und vor allem praktisch bereit sein müssen. Die PowerPoint-Präsentation von Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann findet sich im Anhang. 14 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Literatur Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris (2006): Dokumentarische Evaluationsforschung und Gruppendiskussionsverfahren. Am Beispiel einer Evaluationsstudie zu Peer-Mediation an Schulen. In: Bohnsack, Ralf; Przyborski, Aglaja; Schäffer, Burkhard (Hg.): Das Gruppendiskussionsverfahren in der Forschungspraxis. Opladen 2006, S. 267-283. Deutsches Kinderhilfswerk e.V. und Infostelle Kinderpolitik (2004) (Hrsg.): Nachschlagewerk Kinderpolitik. Berlin. Jugendbildungsstätte Kaubstr. e.V. (1999): „mach bloß keinen Stress ...“. Jugendliche aus Haupt- und Realschulen moderieren Konflikte. Nentwig-Gesemann, Iris; Bohnsack, Ralf (2005): PeerMediation in der Schule. Eine qualitative Evaluationsstudie zu einem Mediationsprojekt am Beispiel einer Berliner Oberschule. In: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (Hg.): Jung. Talentiert. Chancenreich? Beschäftigungsfähigkeit von Jugendlichen fördern. Opladen 2005: B. Budrich, S. 143-175. Nentwig-Gesemann, Iris; Bohnsack, Ralf; Streblow, Claudia (2005): Programmübergreifende Schlüsselerlebnisse und Lernprozesse Jugendlicher in zukunftsqualifizierender Projektarbeit. In: Deutsche Kinder- und Jugend-stiftung (Hg.): Jung. Talentiert. Chancenreich? Beschäftigungsfähigkeit von Jugendlichen fördern. Opladen 2005: B. Budrich, S.47-90. Nentwig-Gesemann, Iris (2006): Dokumentarische Evaluationsforschung. In: Flick, Uwe (Hg.): Qualitative Evaluationsforschung – Konzepte, Methoden, Umsetzungen. Reinbek bei Hamburg 2006: Rowohlt, S. 159-182. Nentwig-Gesemann, Iris; Bohnsack, Ralf; Fritzsche, Bettina (2007): Konflikte friedlich lösen. Dokumentarische Evaluationsforschung am Beispiel von zwei Peer-Mediationsprojekten. In: Schröder, Ute; Streblow, Claudia (Hg.): Evaluation konkret. Fremd- und Selbstevaluationsansätze anhand von Beispielen aus Jugendarbeit und Schule. Opladen 2007, S. 65-105. Projekte der Jugendbildungsstätten Ansätze und Projekte der Jugendbildungsstätten zum Thema Demokratiebildung Arbeitsgruppe 1:“Ich bin wichtig“ - Projekte mit Auszubildenden zu Recht & Gerechtigkeit und zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements Jugendbildungsstätte Haus Kreisau für Berliner Auszubildende Referentin: Maria von Fransecky Ich bin wichtig! – Demokratie lernen durch Bürgerbeteiligung! „Ich bin wichtig! Selbstbewusst durch freiwilliges Engagement in der Zivilgesellschaft“ – dieses neue Bildungsangebot der JBS Haus Kreisau verbindet die probeweise Teilhabe an ehrenamtlichem Engagement in Berlin mit der Entdeckung eigener Kompetenzen und verborgener Talente. Wo Bürgerbeteiligung, Persönlichkeitsentwicklung und Verantwortung für andere gefragt sind, da ergeben sich praktische Erlebnisräume für unsere Projektteilnehmer. Sie werden dabei nicht zu Lückenbüßern für einen sich zurückziehenden Sozialstaat, sondern erleben Chancen der Entwicklung einer Zivilgesellschaft mit menschlichem Gesicht. Die Internatsform unseres Seminars ermöglicht eine intensive Arbeitsatmosphäre, in der neue Erfahrungen gewagt, gemeinsam reflektiert und diskutiert werden können. finden sich aktiv in den Strukturen des Ehrenamts ein. Sie bringen sich selbst und ihre vorhandenen Kompetenzen mit ins Spiel und erleben dabei ihr Gebrauchtsein. Die neu gewonnenen Erfahrungen, Fragen und kritischen Beobachtungen werden gemeinsam besprochen und ausgewertet. Für die meisten Jugendlichen ist unser Angebot der erste Kontakt zu ehrenamtlich tätigen Menschen und ihren Organisationen in Berlin. Ihr Verhalten wirkt beispielgebend und fordert zu eigener Positionierung heraus. Viele Projektteilnehmer können sich vorstellen, selbst aktiv zu werden. Ein junger Betonbauer sagte abschließend: „Über mich selbst habe ich gelernt, dass ich eventuell zur ehrenamtlichen Arbeit fähig bin, jedenfalls in bestimmten Bereichen. Überhaupt habe ich neue Einblicke in die Gesellschaft gewonnen.“ Und ein angehender Schlosser meinte: „Was ich gelernt habe? Es gibt Menschen, die nicht nur auf`s Geld achten, sondern auch freiwillig anderen Leuten helfen.“ Die Projektzeitung der Jugendbildungsstätte Haus Kreisau „Ich bin wichtig! Selbstbewusst durch freiwilliges Engagement in der Zivilgesellschaft“, die weitere Informationen zu dem vorgestellten Projekt enthält, steht unter www.hauskreisau.de zum Download zur Verfügung. Angeleitet durch professionelle Pädagogen gewinnen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Einsicht in die Entwicklung einer modernen Bürgergesellschaft, erkennen Problemfelder im Sozialstaat, lernen Traditionen ehrenamtlichen Handelns kennen und entscheiden sich für ein erstes exemplarisches Mittun bei einem Verein, einer Initiative oder Non-Profit-Organisation. Sie organisieren sich ihren Einsatz selbst, führen erste Kontaktgespräche und Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 15 DGB-Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin Referent/innen: Martina Panke, Ulrich Schnauder Das Seminarkonzept „Recht und Gerechtigkeit“ Ulrich Schnauder (Bildungsreferent) und Martina Panke (Leiterin) der Bildungsstätte stellten ihren Ansatz einer „arbeitsorientierten politischen Bildung“ vor. Dieses Angebot für Auszubildende knüpft an die Arbeits- und Lebenserfahrungen junger Berufstätiger an. Gerechtigkeitsurteile und Gerechtigkeitskonzepte formen sich auch im Alltag der Betriebe, im Arbeitsethos der Berufe und der sozialen Erfahrung der verschiedenen Statusgruppen. Das Seminar „Recht und Gerechtigkeit“ stellt die Kriterien von Gerechtigkeitsurteilen zur Debatte. Wie lässt sich entscheiden, was gerecht ist? In welchem Verhältnis stehen Gerechtigkeit und Rechtsstaat? Wie gerecht ist die Verteilungsordnung dieser Gesellschaft? Werden härtere Strafen gebraucht? In Gerichtsbesuchen und Gesprächen mit Richtern, Schöffen, Bewährungshelfern und Arbeitsrichtern wird die Funktions- und Verfahrensweise des Rechtsstaats diskutiert. Ziel des Seminars ist es auch, zur Entwicklung der moralisch-kognitiven Reflexionskompetenzen und zur Überwindung des Gegensatzes zwischen der Verfahrenslegitimität des Rechtsstaates und lebensweltlichen Gerechtigkeitsprinzipien beizutragen. Vorgestellt wurde der didaktische Schritt der Arbeit mit einer „Wertepyramide“, einer Arbeitsform, welche die Reflexion der unterschiedlichen, durchaus auch gegensätzlichen, Werteorientierungen und ihr Verhältnis zueinander thematisiert. 16 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Arbeitsgruppe 2:“Mitbestimmung und Demokratie in der Schule” Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein e.V. Referent: Hendrik Giese Projekt „Mitmischen possible – Schule , wie wir sie uns vorstellen!“ Ziel des hier beschriebenen Projekts ist es, die Lebenswelt Schule als ein zentrales Lernfeld für Partizipation und Demokratie erfahrbar zu machen. Schüler/innen werden motiviert, demokratische Strukturen zu schätzen, zu stützen und auszubauen, sich ehrenamtlich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Zielgruppe des Projektes sind Schüler/innen- und Schülervertreter/innen der 7.-12. Jahrgangsstufe. Das Projekt richtet sich an alle interessierten Schüler/innen, die bereit sind, sich im Schulalltag ehrenamtlich und aktiv einzubringen. Indem auch interessierte Begleitlehrer/innen in den Prozess mit einbezogen werden, können diese Schüler/ innen im weiteren Verlauf, z.B. bei der Umsetzung ihrer Vorhaben, besser unterstützen. Im Mittelpunkt steht ein fünftägiges Seminar mit dem Titel „Mitmischen possible – Schule wie wir sie uns vorstellen!“. Die in diesem Rahmen ausgebildeten „Peer-Leader“ sollen über das Engagement in der Schülerselbstverwaltung hinaus einen Kreis ehrenamtlicher, aktiver Schüler/innen bilden, der sich für die Interessen anderer engagiert. Dazu gehört zum Beispiel die Unterstützung von Mitschüler/innen bei der Organisation von Projekten zum Thema „Partizipation und Demokratie“ sowie die Moderation und Bewältigung von Konflikten. Im Verlauf des Projekts entwickeln Schüler/innen Ideen für Projektvorhaben und Strukturveränderungen in der Schule und deren unmittelbarem Umfeld. Sie formulieren Zukunftsvisionen, Forderungen und konkrete Umsetzungsvorschläge. Gleichzeitig erwerben sie Kenntnisse und Kompetenzen in den Bereichen Kommunikation, Moderation, Projektplanung und Gruppenleitung und üben, diese in ihrem Alltag einzusetzen. Das Thema „Demokratie an der Schule“ wird anhand konkreter Mitbestimmungsformen anschaulich gemacht und mit Hilfe von Alltagsbeispielen weiterentwickelt. Demokratie wird dabei nicht als abstrakte Theorie behandelt, sondern als ein lebendiger Prozess verstanden, der überall dort in Gang kommt, wo Menschen ihre Interessen aushandeln. Um Jugendliche gegen antidemokratische und autoritäre Ideologien zu wappnen, muss Demokratie in der Schule gelebt und gelernt werden. So können positive Erfahrungen mit ehrenamtlichem Engagement im „Demokratie-Übungsfeld“ Schule ein Anstoß für Jugendliche sein, auch außerhalb der Schulzeit sozial aktiv zu werden. Wichtig dabei ist die freiwillige Teilnahme am Projekt sowie ein Teilnehmer/innen-orientierter Ansatz. Zentrales Ziel ist es, Kenntnisse und Kompetenzen für langfristiges innerschulisches Engagement zu vermitteln. Die Schüler/innen sollen befähigt werden, Mitschüler/innen bei Konflikten und bei der Planung von Projekten zu unterstützen. Dazu erwerben sie Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Konfliktbearbeitung. Präsentationstechniken und Projektplanung sollen den Teilnehmer/innen Sicherheit bei der Betreuung von Projekten geben. Den Projektauftakt bildet ein erstes Vorbereitungstreffen mit interessierten Schüler/innen und Lehrer/innen in der Schule, bei dem die Schüler/innen ihre Ziele und Erwartungen in die Seminarplanung einbringen können. Nach biographischen Spielen zum gegenseitigen Kennenlernen wird das Seminarprogramm für die Woche vorgestellt. Hier haben die Schüler/innen noch einmal Gelegenheit, Änderungswünsche und Anregungen einfließen zu lassen. Die Schüler/innen teilen sich eigenständig in jahrgangsübergreifende Kleingruppen auf. So lernen sich bei der Gruppenarbeit Schüler/innen unterschiedlichen Alters näher kennen und bilden neue Netzwerke, die auch längerfristig Bestand haben können. Auf diesem Wege sollen dauerhafte Strukturen im Schulalltag entstehen, die es möglich machen, einen großen Teil der Schülerschaft Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 17 einzubinden. Eine Vielzahl von Interessen fließt so in die erarbeiteten Projekte ein. Die Zukunftswerkstatt „Mitbestimmung in der Schule“ lädt Schüler/innen dazu ein, sich mit ihren Utopien, ihrer Kritik und ihren Forderungen zu dem Thema auseinanderzusetzen. Angestrebt wird, dass sich möglichst viele Schüler/ innen aller Jahrgangsstufen an der Zukunftswerkstatt beteiligen. Da für diese Methode keinerlei Vorkenntnisse erforderlich sind, sinkt die Hemmschwelle auch bei jüngeren Schüler/innen, sich mit den eigenen Standpunkten einzubringen. Zunächst dient die Zukunftswerkstatt als Bedarfsanalyse für Veränderungen im Schulalltag. Sie setzt an den Interessen der Beteiligten an, macht dabei Aushandlungsprozesse exemplarisch erfahrbar und ermöglicht die Entwicklung von konkreten Handlungsstrategien in Form von Forderungen und konkreten Projekten. Die Ergebnisse der Kleingruppen werden der Gesamtgruppe vorgestellt und in Verantwortlichkeiten sowie Zeitpläne zur Umsetzungen überführt Durch die Formulierung eigener Interessen und Standpunkte werden die Schüler/innen zur politischen Partizipation motiviert. So kann den Jugendlichen vermittelt werden, dass es sich lohnt, Position zu beziehen und sich couragiert für die eigenen Interessen sowie gesellschaftliche Belange zu engagieren. 18 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Bildungsstätte der Sportjugend Berlin Referent: Peter Holtgrave „Mehr Demokratie in der Schule“ Das Programmangebot der Bildungsstätte der Sportjugend Berlin wurde über die Jahre aus den praktischen Anforderungen der SV-Arbeit heraus entwickelt und geht auf den Wunsch der Schüler/innen nach Unterstützung und Fortbildung für Ihre SV-Arbeit ein. Es berücksichtigt zwei wesentliche Elemente: Zum einen die Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation der SV-Vertreter/innen, zum anderen deren Bedürfnis nach Förderung ihrer Tätigkeit im Schulalltag. Daraus ergaben sich folgende inhaltliche Schwerpunkte für das Programmangebot der Bildungsstätte der Sportjugend Berlin: • • • • • • Selbstverständnis, Demokratieverständnis, Mitwirkung im Schulalltag Rechtliche Grundlagen der SV-Arbeit Kommunikation, Kooperation, Vertrauen Konfliktfähigkeit, Problemlösungsstrategien, diplomatische Intervention Präsentationstechniken, Öffentlichkeitsarbeit Organisation, Veranstaltungs- und Projektplanung Im Rahmen der Fachtags-Arbeitsgruppe wurden in einer Powerpoint-Präsentation exemplarisch ausgesuchte methodisch-didaktische Verfahren vorgestellt, die in der Arbeit mit den SV-Vertreter/innen eingesetzt werden, um die Selbstreflexion und das Selbstbewusstsein der Schüler/ innen zu stärken und ihnen Fertigkeiten zu vermitteln, die in ihrer konkreten SV-Arbeit nützlich sind. In der Diskussion wurden zunächst inhaltliche Fragen geklärt und die Höhe der Nachfrage nach solchen Seminaren angesprochen. Einige Teilnehmende zeigten sich positiv überrascht, dass es derartige Seminarangebote von Jugendbildungsstätten gibt. Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 19 Arbeitsgruppe 3:“Demokratietraining - oder: Wie gehen wir eigentlich miteinander um?” ver.di JugendBildungsstätte Referent: Guido Monreal Betzavta – Training für Demokratie und Toleranz In der „Fadenübung“ finden sich die Teilnehmenden zu Kleingruppen von circa fünf Personen zusammen. Sie werden in ein spezielles Setting gebracht, das hier nicht näher ausgeführt werden braucht, und agieren in dieser Situation etwa zehn Minuten lang. Anschließend wird der Handlungsverlauf in den Kleingruppen rekapituliert, wobei auch die individuellen Wahrnehmungen Berücksichtigung finden. Dabei werden zentrale Begriffe wie „Freiheit“, „Kompromiss“ und „Bedürfnis“ sowie „stillschweigende Annahmen“ reflektiert. In diesem Workshop wurden (mindestens) zwei Dinge deutlich: a) Schon mit einem sehr simplen Übungseinstieg lässt sich die gesamte Komplexität zwischenmenschlicher Beziehung vergegenwärtigen. b) Unsere Wahrnehmung und unser Handeln werden vielfach durch nicht hinterfragte Annahmen beeinflusst. Nur ein ehrliches, intensives und wertschätzendes Interesse aneinander sowie die Auseinandersetzung miteinander führt zu Lösungen, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind. Die so genannte „Fadenübung“ aus dem Programm Betzavta verdeutlicht die zentrale Rolle einer demokratischen Alltagskultur. Demnach sind eine demokratische Verfassung sowie eine aktive Zivilgesellschaft für das Gelingen von Demokratie notwendige, aber noch nicht hinreichende Voraussetzungen. Erst wenn demokratische Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit verinnerlicht und gelebt werden, kann von einer demokratischen Alltagskultur die Rede sein. Hier liegt der Fokus des Betzavtas-Programms zur Demokratieerziehung. Der demokratische Charakter einer Gesellschaft zeigt sich vor allem im Konfliktverhalten ihrer Mitglieder. Die entscheidende Frage ist, ob Meinungsverschiedenheiten und Interessensgegensätze auf der Basis gleichen Rechts auf freie Entfaltung ausgehandelt werden oder nicht. In Übungen werden Konflikte durchgespielt, zu denen sich die Teilnehmenden verhalten müssen. In der anschließenden Reflexionsrunde werden der Verlauf des oftmals spielerischen Einstiegs, die erkennbaren Konfliktlinien und das Verhalten der Teilnehmenden gemeinsam besprochen. Ziel ist es, Hintergründe für das Verhalten der Einzelnen zu analysieren, auf diesem Weg Empathie für einander zu entwickeln und gemeinsam nach guten Lösungen für das jeweilige Problem zu suchen. Es erfolgt also eine Sensibilisierung für die Bedeutung einer gemeinsamen Konfliktlösung, die möglichst alle zufrieden stellen soll. Im Transfer wird dann geprüft, was aus dieser Betrachtung für die Lösung realer Konflikte im Leben der Teilnehmenden sowie politisch-gesellschaftlicher Fragen geschlossen werden kann. 20 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Anhang PowerPoint-Präsentation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 21 PowerPoint-Präsentation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann 22 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Anhang Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 23 PowerPoint-Präsentation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann 24 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Anhang Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 25 PowerPoint-Präsentation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann 26 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Anhang Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 27 PowerPoint-Präsentation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann 28 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Anhang Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 29 PowerPoint-Präsentation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann 30 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Anhang Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 31 PowerPoint-Präsentation Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann 32 | Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 Anhang Fachtagung „Demokratie - lernen & erfahren“ 11. Dezember 2008 | 33