Zum Informationsbegriff der Physik

Werbung
LESERBRIEFE / INFORMATION
Zum Informationsbegriff
der Physik
1 Einleitung
Der Artikel von Peter Rechenberg über den „Informationsbegriff in der Informationstheorie“ [15]
kritisiert vollständig zu Recht die ungenaue Verwendung des Informationsbegriffes, kommt jedoch
am Ende zu einem falschen Schluss. Danach soll
Information – im Sinne der semantischen Information, der Bedeutung also – nicht messbar sein,
also sollte ihr keine Grundlageneigenschaft zukommen. Dieser Schluss ist deshalb falsch, weil er sich
weder aus der historischen Betrachtung noch aus
den Argumenten des Artikels ziehen lässt. Allenfalls
kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt präzise gesagt
werden, dass der semantische Informationsbegriff
offenbar unverstanden ist. Dem Artikel von Rechenberg kommt deshalb weitgehende Bedeutung zu,
denn er weist den Weg zu weiterer Forschung und
arbeitet das zu diskutierende Problem klar heraus.
Im vorliegenden Beitrag soll diese Konkretisierung weitergeführt werden, indem das Informationsproblem in der Physik vorgestellt und in Relation
zum Informationsproblem der Informatik gesetzt
wird. Dabei erweist sich, dass die beiden Probleme
äquivalent sind und demnach einer gemeinsamen
Lösung bedürfen.
2 Messung in der Quantenmechanik
Die „gewöhnliche“ nichtrelativistische Quantenmechanik entstand in den Jahren 1923 – 1927 im
Wesentlichen durch die Arbeit von de Broglie, Pauli,
Schrödinger, Heisenberg und Bohr. Nach der immer
noch von den meisten Physikern als gültig erachteten „Kopenhagener Deutung“ haben quantenmechanische Objekte – z.B. Photonen – einen dualen
Charakter. Mal müssen sie als Welle betrachtet wer-
}
Peter A. Henning
den, mal als Teilchen – und die Frage, was sie denn
nun eigentlich sind, macht keinen Sinn. Dieser
duale Charakter wird durch die Quantenmechanik
auch anderen Objekten zugeschrieben, die weniger
immateriell sind als Photonen. Nach der traditionellen Interpretation der Quantenmechanik haben
alle Materieteilchen gleichzeitig auch Wellencharakter.
Diese Idee wurde zuerst 1923 von dem französischen Prinzen Louis de Broglie vertreten – und sie
hat sich bisher, in tausenden von Experimenten,
nicht als falsch herausgestellt: Materieteilchen zeigen Interferenzeffekte, die sonst eigentlich nur bei
Wellen auftreten. Der Nachweis dieser Wellennatur
ist um so schwieriger, je größer die Teilchen sind.
Der „Weltrekord“ wird von Physikern der Universität
Wien gehalten, die große Kohlenstoffmoleküle, so
genannte Buckminsterfullerene oder Buckyballs
zur Interferenz brachten [1].
Quantenmechanisch wird ein beliebig großes
Ensemble von Teilchen durch eine komplexwertige
Wellenfunktion beschrieben. Das Betragsquadrat
dieser Wellenfunktion an einem Raum-Zeitpunkt
ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, bei einer
Messung in diesem Raum-Zeitpunkt ein Teilchen
zu finden. Die Entwicklung der Wellenfunktion
Ψ (x t) in Raum und Zeit wird durch die Schrödinger-Gleichung beschrieben:
DOI 10.1007/s00287-004-0363-3
© Springer-Verlag 2004
Prof.Dr.rer.nat.habil. Peter A.Henning
MediaLab, Fachhochschule Karlsruhe
Moltkestraße 30
76133 Karlsruhe
[email protected]
Informatik_Spektrum_23_April_2004
1
} LESERBRIEFE / INFORMATION
(1)
Darin wurde der Einfachheit halber das Problem
auf eine Raum- und eine Zeitdimension reduziert
und eine bestimmte Darstellung gewählt. Der Differentialoperator in eckigen Klammern auf der rechten Seite ist der Hamilton-Operator, V(x) ist das
Potential der auf die Teilchen des Ensembles wirkenden Kraft und ist das Plancksche Wirkungsquantum dividiert durch 2π. Die Wellenfunktion beschreibt den Zustand des Systems, in einer etwas
abstrakteren Formulierung wird sie als Vektor in
einem Hilbert-Raum aufgefasst. In dieser abstrakten Formulierung lautet die Schrödinger-Gleichung
dann
(2)
Zur weiteren Behandlung der Schrödinger-Gleichung sei auf die einschlägige Grundlagenliteratur
über Quantenmechanik verwiesen, wir wollen uns
nur auf die Frage der Messung konzentrieren. Mathematisch handelt es sich bei der Quantenmechanik
um eine von Neumann-Dirac Theorie: Zustände
sind Vektoren in einem Hilbert-Raum, messbare Eigenschaften sind Operatoren in diesem HilbertRaum und mögliche Messwerte sind die Eigenwerte
dieser Operatoren. In der Wellenfunktion stecken
deshalb alle möglichen Messwerte, die ein Experimentator an dem System feststellen könnte.
Als Beispiel betrachten wir ein Teilchen mit
halbzahligem Spin (vereinfacht gesagt:
Eigendrehimpuls). Die möglichen Messwerte für
diesen Teilchenspin bezogen auf eine bestimmte
Richtung sind die beiden Eigenwerte +1/2 und –1/2.
Das Messergebnis entspricht also einer Informationsmenge von einem Bit - wobei wir zunächst
offen lassen wollen, was für eine Art der Information damit gemeint ist. Betrachtet man nun zwei
solcher Teilchen, können sich deren Spins zum
Gesamtspin J=1 oder zum Gesamtspin J=0 addieren. Im ersten Fall sind die möglichen Messwerte
für den Spin bezogen auf eine bestimmte Richtung
die Eigenwerte M= +1, 0 oder –1, im zweiten Fall
kann nur M=0 gemessen werden. Der Systemzustand
kann also durch eine Informationsmenge von 2 Bit
beschrieben werden. Nach Shannon sind diese Bits
gleichwertig, die Frage der Bedeutung dieser zwei
Bits geht in die weitere Behandlung für Zwecke des
Transports und der Datenverarbeitung nicht ein.
2
Informatik_Spektrum_23_April_2004
Zusammenfassung
Der Informationsbegriff in der Physik wird dem
von Rechenberg diskutierten „Informationsbegriff der Informationstheorie“ gegenüber gestellt.
Es wird gezeigt, dass die Entstehung semantischer, Bedeutung tragender Information sehr eng
mit dem Vorgang der Messung verbunden ist.
Die Relevanz des Informationsbegriffes wird an
Hand einiger Beispiele aus der Kosmologie dargestellt. Der Informationsbegriff verbindet mikroskopische und makroskopische Physik und
bildet damit ein Fundament des modernen Weltbildes.
Für die Zwecke des Transports, aber auch der zeitlichen Weiterentwicklung durch die SchrödingerGleichung zählt alleine die syntaktische Information.
Allerdings macht es einen wesentlichen
Unterschied für die physikalische Realität aus, welche semantische Information in den Messwerten
steckt! Nach der quantenmechanischen Vorstellung
sorgt nämlich der Messprozess dafür, dass sich die
Wellenfunktion instantan und im gesamten Raum
in diejenige Wellenfunktion umwandelt, welche
dem gemessenen Eigenwert entspricht. Hat also
unser System aus zwei Teilchen vor der Messung
den Zustand
Ψ = α 11 1, 1 + α 10 1, 0 + α 1−1 1, − 1 + α00 0, 0 .
(3)
wobei der Zustandsvektor J, M ⟨ den Gesamtspin
und seine Komponente in Bezug auf die gemessene
Richtung bezeichnet, und messen wir den Wert M=1,
so hat das System nach der Messung den Zustand
(4)
Dieser so genannte „Kollaps der Wellenfunktion“
findet genau dadurch statt, dass beim Experimentator semantische Information entsteht. Semantische
Information hat also physikalische Realität und ist
somit messbar.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass die
„gewöhnliche“ Quantenmechanik ihre Probleme
hat. Ihre wesentliche Schwäche ist, dass sie die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit von physikalischen Wirkungen nicht berücksichtigt, ebensowenig die Identität von Masse und Energie. Anders
ausgedrückt: Die Quantenmechanik steht im
Widerspruch zur Relativitätstheorie, eigentlich soll-
ten alle obigen Überlegungen mit Hilfe quantenfeldtheoretischer Modelle gemacht werden. Darüber
hinaus ist natürlich die Trennung zwischen Beobachter und Experiment unbefriedigend, siehe Textkasten 1 und Schlussfolgerungen. Dennoch lassen
sich bereits mit der einfachen Quantenmechanik
Fragen ableiten, die wesentlich mit der Frage der
Realität von Information zusammenhängen.
3 Wieviel Information steckt
im Universum?
Als Beispiel für eine dieser Fragen soll die Hypothese
des Low Information Universe (LIU) diskutiert
werden, die zuerst von Tegmark aufgestellt wurde
[17]. Er befasste sich mit der Frage, wieviel Information man eigentlich benötigt, um den gegenwärtigen Zustand des Universums zu beschreiben. Auch
dabei soll zunächst offen bleiben, um welche Art
der Information es sich handelt. Diese Frage ist deshalb relevant, weil die Physik schon seit Anbeginn
der Zeiten auf der Suche nach der „Weltformel“ ist,
also nach der Theory of Everything oder TOE. Die
derzeit diskutierten Modelle für eine solche TOE
sind Superstringtheorien, welche alle Naturkräfte
(starke und schwache Kernkraft, Elektromagnetismus und Gravitation) unter einen Hut bringen und
in einem gemeinsamen mathematischen Rahmen
beschreiben. Obwohl sie noch nicht gefunden ist,
hat der aussichtsreichste Kandidat für eine TOE
schon den Namen M-Theory erhalten.
Eine solche TOE kann durchaus mathematisch
komplex sein – sie wird hoffentlich aber strukturell
einfach sein. Darunter ist die Einfachheit und Klarheit der Formulierung zu verstehen – ohne dass
dieser Begriff genauer formuliert werden muss.
Tatsächlich ist diese strukturelle Einfachheit bei
den „großen“ Theorien durchaus gegeben: Die
strukturelle Einfachheit (und intellektuelle Schönheit) der Maxwell-Gleichungen und der Einsteinschen Feldgleichungen ist schon sprichwörtlich.
Strukturelle Einfachheit ist aber kein Garant
für Benutzbarkeit – so etwa kann man mit einer
TOE, wenn sie denn irgendwann gefunden wird,
vermutlich nicht erklären, warum eine Katze wie
eine Katze aussieht. Dazu bedarf es nämlich noch
eines anderen Aspektes, nämlich der Symmetriebrechung. In jedem Moment der zeitlichen Entwicklung unseres Universums geschehen zufallsgesteuerte Vorgänge, die den weiteren Weg der Entwicklung
beeinflussen.
Abstract
The concept of information in physics ist compared to its equivalent in computer science as
discussed by Rechenberg. It is shown, that the
creation of semantic, meaningful information is
deeply connected to the measurement process.
The relevance of the concept of information is
demonstrated in a few examples from cosmology. The concept of information joins microscopic and macroscopic physics and therefore ist
fundamental for our understanding of the universe.
Als makroskopisches Beispiel mag die Katze
dienen: Katzen gäbe es sicher nicht, wenn zufallsbedingt vor etwa 65 Millionen Jahren der Asteroid
knapp an der Erde vorbeigeflogen wäre. Dinosaurier
hätten überlebt, und die Welt wäre eine andere.
Mikroskopisch wird der Begriff deutlicher, wenn
wir Gleichung (3) betrachten, die – je nach den
Werten der Koeffizienten – in mehr oder weniger
symmetrischer Weise alle denkbaren Ergebnisse
der Messung enthält. Die Messung aber zerstört die
Symmetrie vollständig, der Zustand aus (4) ist ein
Zustand gebrochener Symmetrie. In dieser stark
vereinfachten Erklärung des Begriffes kommen
natürlich wesentliche Aspekte der Symmetriebrechung zu kurz, auch hier sei auf die einschlägige
Literatur verwiesen.
Nach der LIU-Hypothese könnte das gesamte
Universum aus einem einfachen Anfangszustand
entstanden sein, sich nach einer einfachen TOE entwickeln – und dennoch die gesamte von uns gesehene Komplexität aufweisen. Dazu müssen wir den
gegenwärtigen Zustand des Universums nur auffassen als das Resultat eine ungeheuer großen Menge
von Messprozessen, von aneinandergereihten
Zusammenbrüchen der Wellenfunktion also. Dieser
Kollaps ist, wie wir oben gesehen haben, jedesmal
mit dem Entstehen semantischer Information verbunden [12].
Das Universum wäre also, folgen wir der LIUHypothese, durch sehr wenig Komplexität im Anfangszustand (daher „Low Information“) beschreibbar. Sein gegenwärtiger Zustand wiederum wäre
einer gewaltigen Ansammlung von semantischer
Information gleichzusetzen. Prinzipiell kann man
die Zeitentwicklung eines gegebenen Zustandes
Informatik_Spektrum_23_April_2004
3
} LESERBRIEFE / INFORMATION
durch eine Gleichung als den Transport von syntaktischer Information betrachten: Die Gleichung
beschreibt die zeitliche Entwicklung des Systems
für alle Systemzustände (= semantischen Informationsinhalte) gleich.
Über die Informationsmenge an semantischer
Information, die für eine Beschreibung des Universums nötig wäre, lassen sich derzeit nur vage Vermutungen anstellen, eine solche stammt von Lloyd
[14]. Nach dieser Abschätzung ergibt sich die Skala
für diese Informationsmenge durch das Verhältnis
zwischen dem Alter des Universums t und der
Planck-Zeit
(5)
Darin ist c die Lichtgeschwindigkeit und G die
Gravitationskonstante der Allgemeinen Relativitätstheorie. Loyd berechnete die Anzahl der Rechenoperationen, die ein das gesamte Universum umfassender Computer seit dem Urknall hätte durchführen können zu
2
Ops =  t  ≈ 10120.
 tP 
(6)
Die Anzahl der Bits, die dabei maximal gespeichert
werden können, ist durch die maximale Entropie
des Universums gegeben, die sich bei Umwandlung
der Gesamtenergie in Strahlung ergibt:
(7)
Interessant dabei ist, dass offenbar – zumindest in
dieser Abschätzung – nicht jeder Rechenschritt
zum Entstehen semantischer Information führen
kann.
4 Information in der Relativitätstheorie
Obwohl sie immer noch als „Theorien“ apostrophiert werden, ist an der Gültigkeit der Speziellen
und Allgemeinen Relativitätstheorie zumindest als
Grenzfall der oben erwähnten TOE nicht zu rütteln.
Das bedeutet insbesondere, dass die Struktur von
Raum und Zeit wesentlich komplizierter ist, als sich
dies unsere naive Anschauung erträumt. Eine der
frühesten Lösungen der Einsteinschen Feldgleichungen stammt von Schwarzschild und sagt vorher,
dass große Massen die Raumzeit so stark krümmen
können, dass dies zu einer Art Abschnürung führt.
Diese „Schwarzen Löcher“ sind durch einen Ereignishorizont vom Universum abgetrennt – jedes
4
Informatik_Spektrum_23_April_2004
Alternative Universen und Information
Die Quantenmechanik ist – bis auf den in
Abschnitt 1 beschriebenen Messprozess – zeitlich reversibel. Das bedeutet, dass eine Quantenmechanik des gesamten Universums nicht
formulierbar ist, denn sie würde den Beobachter mit einbeziehen und einen irreversiblen
Messprozess ausschließen. Bereits 1957 wurde
von Everett eine Möglichkeit vorgeschlagen,
dieses Problem zu vermeiden [8]. Nach dieser
so genannten Vielwelteninterpretation der
Quantenmechanik entstehen mit jedem quantenmechanischen Vorgang mehrere (viele) Tochteruniversen, die parallel existieren und über
quantenmechanische Interferenzeffekte miteinander wechselwirken. Im Gesamtsystem ist
die Zeitentwicklung unitär und symmetrisch,
die Wellenfunktion enthält also nur syntaktische Information [7, 12]. In jedem Tochteruniversum – und nur in genau einem davon leben
wir! – aber ist die Zeitentwicklung hochgradig
bedeutungstragend, entsteht mithin immer
mehr semantische Information – die in der
inneren Struktur des Tochteruniversums selbst
abgelegt ist.
Seit ihrer Entwicklung ist diese Vielwelteninterpretation immer wieder hervorgeholt worden, um sie dann als „zu kompliziert“ oder
„doch nicht überprüfbar“ wieder ad acta zu
legen. In jüngster Zeit gibt es jedoch Argumente, die für die Richtigkeit der Vielwelteninterpretation sprechen, sie stehen interessanterweise in engem Zusammenhang mit der Frage
nach der Realisierbarkeit großer Quantencomputer [11, 4]. Eine kurze Zusammenfassung der
Argumente für die Vielwelteninterpretation
findet man in [13].
Objekt, welches diesen Horizont durchtritt, kann
keine Rückwirkungen mehr auf das Universum
ausüben. Seit ihrer theoretischen Vorhersage waren
Schwarze Löcher eine Art Lieblingsspielzeug der
Physik, an dem sich Vieles über die Allgemeine Relativitätstheorie lernen lässt. Die schon länger existierenden indirekten Schlussfolgerungen über ihre
tatsächliche Existenz wurden in der jüngsten Vergangenheit – Oktober 2003 – durch direkte Beobachtungen im Zentrum unserer Galaxis ergänzt, so
dass an ihrem tatsächlichen Vorhandensein sogar
in unserer relativen Nähe kein ernsthafter Zweifel
mehr bestehen kann [9].
Klassische Schwarze Löcher haben nur sehr
wenige Eigenschaften – ihre Masse, ihre Ladung
und ihren Drehimpuls (Wheeler hat dies in dem
Satz zusammengefasst „A Black Hole has no Hair“).
Jede Art von syntaktischer Information, die dort
hineinläuft, kann den Rest des Universums nicht
mehr beeinflussen. Dies war lange Zeit akzeptabel –
die Information blieb sozusagen im Schwarzen
Loch gespeichert. 1975 jedoch postulierte Hawking
die Evaporation Schwarzer Löcher durch quantenfeldtheoretische Effekte in der Nähe des Ereignishorizontes [10]. Schwarze Löcher sind danach nicht
schwarz - sie strahlen, und zwar um so stärker, je
kleiner sie sind. Wenn sie ganz „verdampft“ sind, ist
der Teil der Wellenfunktion, welcher dort hineingelaufen sind, vollständig vernichtet worden. Dies
aber steht im Widerspruch zur SchrödingerGleichung (2), da diese eine unitäre Zeitentwicklung (=Erhaltung der Gesamtwahrscheinlichkeit)
beschreibt.
In der aktuellen Diskussion der Physik ist dies
als das „Informations-Paradoxon“ der Schwarzen
Löcher bekannt – seine Auflösung scheint jedoch in
Sicht zu sein. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist
nämlich die „Haarlosigkeit“ Schwarzer Löcher nur
richtig, wenn quantenfeldtheoretische Aspekte
nicht betrachtet werden. Bezieht man diese mit ein,
können sehr wohl weitere Informationen in einem
Schwarzen Loch gespeichert werden – und zwar als
Anregungen des Ereignishorizontes. Dass dessen
Ausdehnung und Struktur eng mit dem Informationsbegriff zusammenhängen, folgt aus der so
genannten Bekenstein-Hawking-Entropie [2, 10]
S=
Ac 3
.
4 ln(10)Gh
(8)
Darin ist A die Fläche des Ereignishorizontes, c die
Lichtgeschwindigkeit und G wiederum die Gravitationskonstante. Diese Entropie ist ein Maß für die
Anzahl der Mikrozustände eines Schwarzen Loches
[16] – und eben in diesen wird die Information gespeichert. Während der Evaporation eines schwarzen Loches durch Hawking-Strahlung wird diese Information in der Verteilung der Strahlung „codiert“
– es handelt sich also um Information, deren Abfluss den Zustand des Schwarzen Loches messbar
Holographisches Universum
In der aktuellen Diskussion der Physik spielt
derzeit das Holographische Prinzip eine große
Rolle [11, 4]. Zumindest für bestimmte Klassen
von Universen ist bewiesen worden, dass ihre
physikalischen Vorgänge vollständig durch eine
alternative Physik beschreibbar sind, die nur
auf der Begrenzung des Universums „abläuft“.
Die Ähnlichkeit zur platonischen Realitätsvorstellung ist frappant. Eine Folgerung aus dem
holographischen Prinzip wäre, dass die Oberfläche einer Raum-Zeit-Region den Informationsgehalt der Region begrenzt, in drei Dimensionen
auf den Wert von ca. 1069 Bit/m2 – weit jenseits
der durch die Bekenstein-Hawking Entropie (8)
gesetzten Grenze. Dies ist insofern überraschend,
als damit die maximal in einem bestimmten
Volumen gespeicherte Information nicht proportional zum Volumen wäre. Eine kurze Zusammenfassung der Argumente für das holographische Prinzip findet man in [3].
beeinflusst: Sie sorgt für die Erhaltung der Gesamtwahrscheinlichkeit.
Die Bekenstein-Hawking-Entropie ist ferner
ein Maß für die maximal in einer kugelförmigen
Masse abzuspeichernden (syntaktischen) Informationsmenge. Die Fläche des Ereignishorizontes vergrößert sich nämlich bei der Zufuhr einer Masse
in das Schwarze Loch. Die Entropiezunahme in
Gleichung (8) stellt die Obergrenze für die Informationsmenge dar, die auf der Masse vorhanden
gewesen sein kann. Derzeit wird in der Physik das
Holographische Prinzip diskutiert, welches eine
noch exotischere Begrenzung für die Informationsmenge in Raum-Zeit-Regionen liefert (siehe Textkasten 2).
5 Schlussfolgerungen
Auch in der Physik wird zwischen syntaktischer
Information und semantischer Information entschieden. Erstere wird – sozusagen blind – von
Gleichungen in der Zeit weiter transportiert, diese
Zeitentwicklung ist reversibel. Mikroskopische
Irreversibilität resultiert aus der Durchführung von
Messungen, also aus dem Entstehen semantischer,
Bedeutung tragender Information. Der physikalische Informationsbegriff ist also dem von RechenInformatik_Spektrum_23_April_2004
5
} LESERBRIEFE / INFORMATION
berg propagierten diametral entgegengesetzt –
wenigstens auf der mikroskopischen Ebene.
Dabei ist allerdings eine Inkonsequenz enthalten, denn in diesen Informationsbegriff geht eine
Trennung zwischen beobachteter mikroskopischer
Welt und externem Beobachter ein. Eine umfassende Bescheibung, die den Beobachtungsprozess mit
einschließt, haben wir bisher nicht – und damit
bleibt das gleiche Dilemma offen, welches Rechenberg in seinem Artikel aufzeigte: Was ist die semantische Information, die beim Beobachter entsteht?
Es gibt in der Physik lediglich ein – ziemlich exotisches – Modell, welches die Antwort auf diese Frage
liefern könnte (siehe Textkasten 1).
Die Antwort auf diese Frage spielt eine wichtige
Rolle für kosmologische Fragestellungen. Darüber
hinaus aber liefert sie auch den Zusammenhang
zwischen Mikrowelt und Makrowelt, sie ist deshalb
von fundamentaler Bedeutung für unser Weltbild.
6
Informatik_Spektrum_23_April_2004
References
1. Arndt, M., Nairz, O., Zeilinger, A. et. al.:Wave-particle duality of C60-molecules, Nature
401 (1999) 680
2. Bekenstein, J.D.: Black Holes and Entropy, Phys. Rev. D7 (1973) 2333
3. Bekenstein, J.D.: Das holografische Universum, Spektrum der Wissenschaft 11 (2003)
35
4. Bousso, R.:The holographic principle, Rev.Mod.Phys. 74 (2002) 825-874
5. Deutsch, D.: Quantum theory, the Church-Turing principle and the universal quantum
computer, Proc.R.Soc.Lond. 400 (1985) 97
6. Deutsch, D.:The Fabric of Reality (Penguin 1997)
7. DeWitt, B.S.: Quantum Mechanics and Reality, Physics Today 23 No. 9 (1970) 30
8. Everett, H.: Relative state formulation of quantum mechanics, Rev.Mod.Phys. 19
(1957) 454
9. Genzel, R., Schödel, R., Ott,T. et.al., Near-IR Flares from Accreting Gas around the
Supermassive Black Hole in the Galactic Centre, Nature 425 (2003) 934
10. Hawking, S.W.: Particle Creation by Black Holes, Commun. Math. Phys. 43 (1975) 199
11. t'Hooft, G.:The holographic principle, hep-th/0003004
12. Henning, P.A.: On the treatment of initial correlations in quantum field theory
of non-equilibrium states, Nucl.Phys. B 337 (1990) 547
13. Henning, P.A.:Vom Universum zum Multiversum - Parallelwelten, Zeitreisen und
Virtuelle Realität in: I.Hosp, P.Mulser und K.Schredelseker (Hrsg.): Entwicklung des
Universums und des Menschen. Entscheidung, Zufall oder Naturgesetz. Proceedings
des 13.Bozner Treffens - Incontro a Bolzano; GCA Verlag, Herdecke 2003, 39 - 58
14. Lloyd, S.: Computational capacity of the universe, Phys.Rev.Lett. 88 (2002) 237
15. Rechenberg, P.: Der Informationsbegriff in der Informationstheorie, Informatik
Spektrum 26 Nr. 5 (2003) 317
16. Strominger, A.,Vafa, C.: Microscopic Origin of the Bekenstein-Hawking Entropy,
Phys. Lett. B 379 (1996) 99
17. Tegmark, M.: Does the Universe in fact contain almost no information ?, Found. Phys.
Lett. 9 (1996) 25
Herunterladen