Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich von Malou Eberspächer Musik und Maske sind Bereiche, deren Wurzeln schon sehr alt sind. Musik Zunächst will ich beschreiben, wie mein persönlicher Weg mit Musik war und ist. Schon während meiner Kindheit bin ich mit Musik aufgewachsen, habe das Flöten- und Querflötenspielen erlernt, wurde mit Musik vertraut. Was mich allerdings am meisten bewegt hat, geschah vor etwa 20 Jahren, während meines Studiums der Diplom-Sozialpädagogik: Ich entdeckte ganz neue Ebenen von Musik. Im Fachbereich „Ästhetik und Kommunikation“ lernte ich die musikalische Gruppenimprovisation kennen. Mittels der Me238 thode TZI (themenzentrierte Interaktion) übertrugen wir das musikalische Geschehen in die verbale Sprache. Dadurch veränderte sich mein Musikverständnis völlig und ein neuer, weiter Bereich eröffnete sich mir. Im Nachhinein merke ich, dass ich schon vor dieser Zeit Glück gehabt hatte: Ich bin immer wieder auf LehrerInnen gestoßen, die mir Freude an der Musik vermittelt hatten. In der Schule hatte ich Musik als Fach abgewählt, weil es mich nicht angesprochen hatte. Im Schulorchester, das von einem ungewöhnlichen Lehrer geleitet wurde, war ich jedoch mit Begeisterung dabei. Wir sind als Orchester-Gruppe viel gereist und haben ungewöhnliche Stücke ausprobiert. Musik hatte für mich schon damals etwas mit Gemeinschaftserleben zu tun. Die neue Herangehensweise an Musik durch Improvisation, die mich im Studium faszinierte, warf mich zunächst völlig aus meinem gewohnten Denken und dem Verständnis, „was Musik ist“. Die Basis für das neue Verständnis bildete sich: Musik ist nicht nur etwas, was manche Professionelle spielen. Musik ist etwas, was jeder in sich hat, ist ein Lebensausdruck von jedem. Musik gehört zum Leben. Und Musik hat, so verstanden, nichts mit Leistung zu tun, sondern will Freude vermitteln. Wir haben damals auf Instrumenten gespielt, die keiner vorher kannte und haben sie einfach für uns entdeckt. Wir haben miteinander gespielt und anschließend darüber gesprochen, was jeder dabei gespürt und empfunden hat. Zunächst wirkt diese Art des Musizierens „chaotisch“, aber es macht Spaß und man entdeckt dennoch Strukturen. Der Weg führte und führt für mich heute noch von den Phänomenen zu den Strukturen. Dies hat bei mir bewirkt, dass sich mein Verständnis von Musik sehr verändert und geöffnet hat. Jazzmusik, zu der ich keinen Zugang hatte, fand ich von da an viel schöner als früher. Ich habe mein Herz zum Musikimprovisieren entdeckt: Musik entstehen zu lassen, sie zu schöpfen, nicht nur nach Noten zu spielen, die ein anderer komponiert hat. Ich will komponierte Musik nicht herabsetzen; auch solche Musik finde ich schön. Mein Weg ist jedoch durch den Grundsatz gekennzeichnet: Musik gehört zu jedem Menschen. 239 Malou Eberspächer Diesen Bereich, Musik mit meiner Arbeit mit Menschen zu verbinden, habe ich ein paar Jahre später mit einer Ausbildung in Musiktherapie vertieft. Diese Vertiefung gab mir ein psychotherapeutisches Arbeitsfundament mit gestalttherapeutischen Methoden. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist, dass Musik wieder Einzug ins Leben hält und den Menschen Spaß macht. Dies führt weg vom Leistungsansatz, der in unserer Kultur üblicherweise mit Musik verbunden ist. Eine Frage, die immer wieder auftaucht, ist: „Um Musik entstehen zu lassen, muss man da nicht in irgendeiner Weise musikalisch besonders begabt sein, damit nicht nur Geräusch, sondern Musik herauskommt?“ – Die Antwort lautet: „Nein.“ Im Gegenteil, diese Arbeit lockt im Menschen wunderbare schöpferische Begabungen hervor. Anfängliche Geräusche entfalten sich oft zu schöner Musik. Bei dieser Arbeit sind Instrumente förderlich, die leicht zugänglich sind. Vor allem am Anfang ist es gut, nicht solche Instrumente einzusetzen, die in unserer Kultur verbreitet sind, wie Klavier, Geige, Blockflöte; denn diese Instrumente erschweren einen unbedarften Zugang. Später kann es sehr bereichernd sein, sie mit einzubeziehen. Mit leicht zugänglichen Instrumenten meine ich Instrumente, die einen anlocken, sie auszuprobieren, und nicht so hohe Berührungsängste bzw. Leistungsgedanken hervorrufen. Als Bespiel nenne ich die Schlitztrommel: Ich kann einen Schlegel nehmen und auf einer Schlitztrom240 Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich mel spielen. Das ist eine Trommel aus Holz, die Schlitze und dadurch zwei oder auch vier bis acht Zungen hat, die unterschiedlich klingen. Mit Schlegeln oder mit den Händen kann ich zwei, drei oder mehr Töne, die nicht einer unserer üblichen Tonleitern folgen, spielerisch entdecken. Es gibt noch viele Instrumente dieser Art, aus allen Bereichen: Atem, Saiten, Klang. Am liebsten arbeite ich mit solchen, die nicht die folgende Reaktion auslösen: „Ach das ist eine Geige, das kann ich nicht!“ Viele dieser Instrumente kommen aus anderen Kulturen. Sie sind auch für das Auge attraktiv und laden dazu ein, ausprobiert zu werden. In den letzten Jahren haben Instrumentenbauer inte­ressante neue Instrumente entwickelt, die einfachen musikalischen Grundprinzipien folgen. Ein weiteres Beispiel ist die Obertonflöte, bei der ich durch stärkeren oder geringeren Atemdruck die natürlichen Obertöne erklingen lassen kann. An diesen Beispielen wird deutlich, dass es mit dieser Arbeit spielerisch möglich ist, verschiedene Bereiche des Lebens einzubeziehen: Atem, Körper, Rhythmus, Klang …. Jeden einzelnen Bereich könnte ich an dieser Stelle noch weiter ausführen. Ich habe schon viele Menschen erlebt, die über diese Arbeit wieder einen Zugang zur Musik gefunden haben. Manche entdecken frühere Instrumente wieder, die inzwischen auf dem Dachboden verstaubt sind; so kommt ein altes Akkordeon zum Beispiel wieder zum Zuge. Andere fangen an, sich für neue Instrumente zu begeistern und beginnen vielleicht zu trommeln. Weitere Qualitäten dieser Arbeit mit Musik sind: Jemand kann zum Ausdruck bringen, was ist, oft ohne vorher genau zu wissen, wie es ihm geht. Allein durch den Ausdruck kann sich etwas lösen. Jemand ist unzufrieden und weiß vielleicht gar nicht genau, warum, oder ein aufgestauter Ärger blo­ckiert ihn. Durch die gespielte Musik können die bisher nicht wahrgenommenen Gefühle zum Ausdruck kommen. Der erste Effekt ist, dass sich etwas lösen kann. Es steckt dann nicht mehr in einem drin, es wird von innen nach außen transportiert. Ein weiterer Effekt ist, dass man es ein bisschen besser verstehen kann. Oft bekommt man dadurch einen Zugang zu seinen Gefühlen, und man kann es sich auch noch einmal anhören. Eine Methode ist, eine Kassettenaufnahme zu machen oder ein Bild zu malen, um es auf eine andere Ebene zu bringen. Das ermöglicht einen sehr direkten Zugang zu den eigenen Gefühlen. Musik spricht Gefühle an. Dies können wir auch in unserer Musik-Hör-Kultur sehr gut nachvollziehen. Gefühle sind da und dürfen zum Ausdruck kommen. Emotion heißt Bewegung. Man zwingt niemandem Gefühle auf, denn die sind sowieso da. Sie dürfen einfach fließen. Es kann wieder mehr in Fluss kommen. Die Musik weckt das schöpferische Potenzial. Indem ich spiele, schaffe ich etwas, schöpfe und komme an meine kreative Quelle. Ein sehr heilsamer Aspekt ist, dass Menschen schon nach kurzer Zeit, wenn sie die Instrumente sehen oder sie in die Hand nehmen und darauf spielen, leuchtende Augen bekommen und Freude empfinden. Es entsteht mehr Lebendigkeit, Lebenslust und Freude. Musik hat viel mit Kommunikation zu tun. In unserer verbalen Kommunikation haben wir einen Inhalt, aber auch den Klang der Worte. Die Kommunikationsforschung hat in den letzten Jahrzehnten herausgefunden, dass der Klang mehr wirkt als der Inhalt. Das „Wie“ berührt, es löst letztendlich die Reaktion aus. Wenn ich in einem brummeligen Ton sage: „Ich mag dich.“, wenn also der Inhalt nicht mit dem Ton übereinstimmt, dann wirkt letztendlich der Ton, der Missverständnisse hervorbringt. Diese Phänomene werden beim Musikspielen sehr deutlich. Es ist zum einen spielerisch lernbar, sich wahrzunehmen, und zum anderen, die Möglichkeiten zu spüren, wie etwas veränderbar ist. Allein durch das Tun wird der Ausdruck klarer. 241 Malou Eberspächer Große Bedeutung hat auch das Hören, wieder wahrzunehmen, wie ich höre und was ich höre. Das, was ich verstehe als Gegenüber, wie ich etwas verstehe, ist mein ganz Eigenes, ist meine ganz eigene Wahrnehmung. Missverständnisse im Alltag kommen meist daher, dass jemand etwas meint und der Gesprächspartner etwas ganz anderes interpretiert, weil er es ganz anders versteht. Diesem Phänomen kommt man über die Musik sehr klar auf die Spur. Sie schult die Wahrnehmung und damit auch den Ausdruck. Mit Musik lassen sich auch Menschen erreichen, die verbal nur schwer erreichbar sind, wie Menschen im Koma, weil Musik auch über andere Kanäle wirkt, über Schwingungen, die aufgenommen werden. In den letzten Jahren forsche ich immer mehr in diesem Bereich und merke, dass Musik viel mit Heilung in dem Sinne zu tun hat, dass Selbstheilungskräfte in Gang gesetzt werden. Die Musik führt den Menschen zu sich selber, zu seiner Quelle und seinen eigenen Potenzialen. Der Mensch wird als ganzer erfasst. Leben kommt „in Fluss“, aufgestaute Energie kann wieder frei fließen, eigene schöpferische Kräfte werden frei gesetzt. Ein „Instrument“, das jeder hat, ist die Stimme. Vielen ist der Zugang zur Musik gerade über die Stimme verdorben worden, weil es hieß: „Du bist unmusikalisch.“ – „Du kannst nicht singen.“ oder „Du singst ja so schräg.“ Im Prinzip geht es nicht um eine „Unmusikalität“, sondern darum, dass 242 Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich Menschen verurteilt wurden, das nicht können zu dürfen. Es ist interessant, beim Telefonieren nur die Stimme zu hören. Man macht sich ein Bild und stellt sich die Frage: Wie mag der oder die andere aussehen? Ist er oder sie mir sympathisch, angenehm oder unangenehm? Dabei hat man nicht das Auge, sondern nur das Ohr als Wahrnehmungskanal. Die Stimme wirkt oft sehr unbewusst auf uns und beeinflusst unsere Reaktion als Hörende. Wir sagen ja auch: „Der hat nicht meine Wellenlänge.“ oder: „Ich bin in einer anderen Stimmung.“ Durch diese Redensarten wird ausgedrückt, woher das kommt: nämlich aus dem Bereich der Musik, aus dem Bereich der Schwingung. Über die Stimme macht sich sehr wohl bemerkbar, ob jemand im Stress, genervt oder zufrieden mit sich ist, und das nimmt man als Gegenüber oft auch unbewusst wahr und reagiert darauf. Musik hat viel auch mit Atmosphäre zu tun. Dies merke ich vor allem in Einzelarbeiten. Ich spiele manchmal für meine Klienten, als Einstieg in eine Imaginationsreise in innere Welten, Musik. Man kommt auf diese Weise schnell an die Atmosphäre früherer Situationen, die bei den Themen, um die es gerade geht, eine Rolle spielen. Musik regt auch die Welt der Bilder an. Wenn nur über das Hören wahrgenommen wird, entsteht überhaupt wieder Raum für die eigenen Phantasien, die eigenen Bilder. Dies wirkt sich auf das Potenzial aus, wieder eigene Ideen zu entwickeln und eigene Gestaltungsformen zu kreieren. Dieses Geschehen spielt sich auf der Ebene der Schwingung ab. Das ist etwas, was wir mit der Realität, die wir meist mit dem Auge erfassen, nicht fassen können. Es spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ein Effekt davon ist auch die Möglichkeit, „abschalten“ zu können, d.h. in eine andere Bewusstseinsebene zu gehen. Andererseits hat Musik auch viel mit dem Alltag zu tun. Dabei geht es darum, wahrzunehmen, wie wir eigentlich durch Geräusche beeinflusst werden. Die Augen machen wir zu, die Ohren nicht und trotzdem selektieren wir: Wie ist das eigentlich, wenn ich in einer Wohnung direkt an einer Hauptverkehrstraße lebe, oder in einer Arbeitssituation bin, bei der es sehr laut ist? Wie wirkt sich das aus? Um noch einen Einblick zu gewähren, wie eine Kli- entin diese Arbeit mit Musik erlebt, füge ich hier Auszüge aus einem Aufsatz einer Einzelklientin ein: „Während der Teilnahme an einem Kurs, bei dem es um Bewegung und Musik ging, kam ich mit diesem Medium in Kontakt. Aufgrund einer spastischen Lähmung, dem Verlust mehrerer mir nahestehender Menschen im Berufsleben und privat geriet ich schon des öfteren in Lebenskrisen, die psychotherapeutisch behandelt werden mussten. Malou fragte mich in der ersten Stunde: „Was verstehst du eigentlich unter Therapie?“ Ich antwortete ihr: „Da bringt mir der Therapeut bei, was ich 243 Malou Eberspächer nicht kann.“ Malou erklärte mir, dass sie Therapie als Begleitung ansehe und fragte mich, was ich von dieser Vorstellung halte. Ich war gleich angetan davon – Musiktherapie würde also nicht etwas sein, wo mir der Therapeut beibringt, wie ich etwas zu machen habe. … Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, etwas über die Unterschiedlichkeit der Vorgehensweise zu erzählen. Ich suche mir ein oder mehrere Instrumente aus, sie sind alle ohne Vorkenntnisse für jeden spielbar, und spiele alleine ohne irgendwelche Vorgabe meine Musik. Anschließend fragt mich Malou, was mir zu der Musik einfällt oder ob ich ihr einen Titel geben will. Oft entsteht dann ein Gespräch, manchmal auch eine neue Musik zu zweit. So bringe ich Dinge, die über die Musik unbewusst ins Bewusstsein kommen noch weiter an die Oberfläche. Für mich ist dies eine Möglichkeit, schwierige Themen ausdrucksfähig zu machen. Ich spiele eine Musik, deren Thema vorher festge- 244 Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich legt wurde. Hier habe ich im Vorfeld mit Malou über ein mehr oder weniger aktuelles Thema gesprochen, das dann von mir vertont wird. Wir reden über ein Thema und ich finde plötzlich keine Worte mehr oder drehe mich im Kreis und komme einfach nicht weiter. In einer solchen Situation bittet mich Malou, mich bequem hinzulegen. Sie spielt dann eine Musik für mich; auch hierbei kann ich sagen, welches Instrument mir sinnvoll erscheint. Nach einer Weile trägt mich die Musik, und Gefühle finden Ausdruck in Bewegung, im Atemrhythmus, in der Stimme. Nach einer solchen Musik sind schon unzählige Bilder entstanden, die ebenfalls dazu dienen, die Lebenskraft in mir selbst wiederherzustellen. Musiktherapie ist eine ganzheitliche Therapie. Sie spricht den Menschen in seiner Gesamtheit an. Körper, Geist und Psyche werden gleichzeitig in Schwingung versetzt. Es gibt nur eine Möglichkeit, darauf zu reagieren, nämlich als Einheit. Menschen, die ein Problem oder auch eine Behinderung haben, erleben sich oft nicht mehr als ganzes Wesen. Ich persönlich kann sagen, dass ich zur Zeit die Früchte der Arbeit an mir ernte. Meine Lebensqualität und mein Durchsetzungsvermögen, was für das Berufsleben besonders wichtig ist, sind besser geworden.“ Dieser musiktherapeutisch Aspekt ist nur ein Teilaspekt. Es ist durchaus möglich, viel stärker auf der kreativen und pädagogischen Ebene zu bleiben. In einer Gruppe steht das „Miteinander-Spielen“ im Zentrum, das Thema „Kommunikation“ und das „Füreinander-Spielen“ – die einen spielen, die anderen hören zu. 245 Malou Eberspächer Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich Maske Ein wichtiger Zusammenhang von Maske und Musik liegt in meiner persönlichen Geschichte. Es war in der gleichen Lebensphase, als sich mein Verständnis von Musik völlig veränderte und als ich zum ersten Mal die Arbeit mit Masken kennen lernte. Beides war während meines Studiums (1980) und bewegte mich sehr. Seit damals wandle ich auf den Spuren von Musik und Maske, und sie wandeln mich. Genau wie die Musik zogen mich die Masken magisch an. Musik spielt bei der Mas­ kenarbeit eine zentrale Rolle, weil diese Art von Masken die Sprache der Musik haben, die für sie gespielt wird. Diese Art von Masken sind Vollmasken, d.h. es ist nichts mehr vom Spieler sichtbar. Es sind Masken, die von jedem selbst geformt werden, erst in Ton und dann mit Papier bedeckt. Die Papierhaut wird später abgehoben. Diese Masken haben ganz eigene Formen, ganz eigene Gesichter. Es ist nicht ein spezielles Gesicht, was ich forme, es sind eher innere Bilder, die über die Hände in den Ton fließen. Jetzt kann ich sagen: Musik ist Bewegung, die hörbar ist, und Masken sind Bewegung, die in Form gehen. Wenn Masken und Musik zusammengehen, ist es oft so, dass das, was sich auf der Maskenbühne sichtbar abspielt, auf der Musikebene hörbar wird. 246 Masken sind genauso alt wie Musik. In vielen Kulturen haben sie sehr frühe Wurzeln. In heutiger Zeit ist das noch deutlich auf der Fasnacht. Die Fasnachtszeit spricht ein zentrales Thema von Mas­ken an. Es geht um „sich zu verwandeln“, „etwas ganz anderes zu sein, als was man sonst im Alltag ist“. Eine Maske ist die Form einer Bewegung, die aus inneren Zusammenhängen nach außen tritt. Als Spieler gehe ich, wenn ich sie gebaut und fertiggestellt habe, in diese Maske hinein, d.h. ich gehe wieder in diese Bewegung und werde zu dieser Bewegung. Sie findet einen Ausdruck, ich kann sie sein und ich kann ihr gegenübertreten, kann sie anschauen. Allein durch das Formen und das selbst Hineingehen wirkt sie, weil ich etwas in die Realität gebracht, nach außen gebracht habe. Es sind zwei wichtige Blickwinkel dabei: Zum einen gehe ich in diese Bewegung hinein, werde zu ihr, zum anderen habe ich sie nach außen gebracht und kann sie aus der Distanz betrachten. Dies bedeutet, dass ich sie durch das Verkörpern für mich annehmen und durch die Distanz auch kritisch betrachten kann. Ich bin nicht mehr so involviert. was Schlimmes, eine Krankheit und schrecklich ist. Letztendlich beinhaltet eine Krisenzeit eine große Chance für einen Schritt auf eine neue Ebene im Leben. Die Maske trägt das Bild einer neuen Vision (Idee) in sich und welche Herausforderung damit verbunden ist. Manchmal liegt der Schwerpunkt mehr auf dem ersten manchmal mehr auf dem letzteren Teil. Diese Arbeit mit Masken beinhaltet viele spielerische Momente. Sie knüpft an das Ur-Bedürfnis des Menschen an, sich zu verwandeln, sich zu verkleiden, zu spielen oder etwas auszuprobieren. Leben hat mit Wandlung zu tun. Wir Menschen sind in Bewegung und es gibt Phasen, wo sich einfach mehr wandelt. Ich finde heute andere Worte, oder ich bin ein bisschen anders, als vor 10 Jahren. Damals habe ich noch andere Gedanken gehabt, andere Meinungen geäußert. Und es gibt Lebensphasen, in denen stärkere Bewegung stattfindet. Sie werden öfters als Krisen bezeichnet. Leider wird dies oft einem Zustand zugeordnet, der et247 Malou Eberspächer Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich ihrer heilsamen Wirkung gegenseitig. Es gibt Übereinstimmungen und Unterschiede. Musik hat etwas sich Verflüchtigendes. Musik geht mehr über das Gehör und über den kinästhetischen Sinn. Eine Maske nehme ich mit nach Hause, in den Raum, wo ich mich aufhalte. Ich habe sozusagen einen Begleiter, der mich weiterhin begleitet, den ich anschauen kann als Bild in drei Dimensionen und ich kann in dieses Bild wieder hineingehen. Die Wahrnehmung geht über die Augen, die Imagination und den kinästhetischen Sinn. Das spielt auch bei der Entstehung der Maske eine große Rolle: Es ist ein Formen in Ton, nicht wie beim Töpfern, wo ich oft einen bestimmten Zweck erfüllen will. Es ist ein Formen und es entsteht ein Produkt, ohne dass ich vorher einen Zweck formulieren muss. Und es ist auch nicht zwecklos; denn es hat einen Sinn, der oft erst im Nachhinein zum Vorschein kommt. Ich nehme das Medium Ton. Dabei ist der Tastsinn beteiligt. In den Ton gehe ich mit Bewegung; Vertiefungen und Erhebungen entstehen, wie bei einer Landschaft. Die Bewegung der Hände lässt eine Form entstehen, die in dem Moment gerade stimmt. Musik und Maske Noch einmal Näheres zur Entstehung einer Maske: Masken und Musik haben viel mit Sinneswahrnehmungen zu tun, d.h. in meiner Arbeit mit beiden Medien werden sämtliche Sinne sensibilisiert, geübt und geschult. Es macht Spaß und es darf die Ordnung kommen, die Struktur sich bilden, die in jedem liegt. Masken und Musik ergänzen sich in Es gibt eine Grundidee, wie z.B. einen Stein. Über diesen Stein forme ich Ton und nehme das als Ausgangspunkt für ein Thema. Sehr gerne nehme ich auch als Ausgangspunkt eine Musik. Jeder sucht sich ein Instrument, spielt Musik und lässt sich von dieser Musik inspirieren. Das innere Bild oder der 248 innere Bezug zu dieser Musik fließt über die Hände in den Ton. Hörbare Bewegung geht über in sichtbare Bewegung. Es ist dabei wichtig, das Vertrauen in den Prozess, dass die Hände schon wissen, was sie formen, mit begleitenden Worten zu unterstützen. Oft ist es förderlich, blind zu formen. Die Sicherheit, was zu tun ist, kommt über den Ton, die Struktur. Die Freiheit kommt über das freie Formen. Es ist ein Wechselspiel von Ordnung und Freiheit. Das Vertrauen in eine innere Ordnung, bzw. in eine Ordnung wird gefördert, die oft erst unsichtbar ist und sich im Entstehen zeigt. Die Hände spüren, wann der Prozess zu Ende ist. Es ist ein momentanes Ende, denn in der nächsten Form geht es weiter, das Leben geht weiter. So entsteht ein Phantasiewesen. Über diese Form kommt Haushaltsfolie als Isolierschicht, so dass die Form direkt nachempfunden wird. Darüber kommt Kaschierpapier aus Packpapier in Kleister eingeweicht, wobei das Papier in seiner glatten Form bleibt. Nach dem Trocknen wird die Maske von der Grundform abgehoben. Es ist wie eine Geburt. Jetzt haben wir diese Maske, die dann vor dem Gesicht getragen wird. Die Tonform wird wieder zerstampft: „Wenn etwas Neues entsteht, wird etwas Altes losgelassen“. Der Ton kann wieder verwendet werden. Wenn die Maske spielbereit ist, geht es darum, sich ganz zu verwandeln, nicht als Mensch sichtbar zu sein, sondern die Maske als eigene Gestalt zu nehmen (eigenes Wesen). Man kann von ihr lernen, sie hat mit einem zu tun. Nun kann ich mir ein Instrument für meine Maske aussuchen und für sie Musik spielen. Es ist so, als ob die Maske ein bisschen von sich erzählt, über ihren Hintergrund, in welcher Landschaft sie lebt und anderes. Wenn die Maske von ihrem „Schöpfer“ gespielt wird, spielt eine andere Person dazu Musik. Musik ersetzt bei den Masken die eigene Sprache, wird zur Ausdrucksform, zur Bewegung. Anschließend wird gemeinsam besprochen, was 249 Malou Eberspächer das Maskenspiel in einem bewegt hat, „in Gang“ gesetzt hat. Es gibt dabei zwei Blickwinkel: zum einen den des Maskenspielers, zum anderen den der Zuschauer, wobei die Blickwinkel der Zuschauer oft unterschiedlich sind. So wird eine Geschichte wie ein Puzzle zusammengetragen, wobei alles gelten darf, kein Blickwinkel stimmt mehr als ein anderer. Die Sichtweisen ergänzen sich. Es ist wie beim Musik-Spielen: Jemand, der spielt, meint oft etwas ganz anderes, als der Zuhörer zu verstehen meint. Dies ist auch eine große Chance, Eigenbild und Fremdbild sich annähern zu lassen. Ich nehme wahr, was ich sehe und spüre, aber ich nehme auch wahr, dass die Zuschauer etwas anderes sehen. Das erweitert den Horizont. Eine Erweiterung ist Bühnenarbeit. Dabei gibt es einen klar abgesteckten Bühnenraum, den nur Maskenspieler betreten dürfen. Eine Maske fängt an, dann kommt eine zweite dazu, manchmal auch eine dritte. Es ist sehr spannend, was dann geschieht, Begegnungen finden statt, Widersprüche dürfen sich entfalten, Auseinandersetzungen dürfen sein, alle möglichen Geschichten aus dem Leben entwickeln sich. Und durch das Spielen wird es erleichtert, sich zu zeigen; denn die Maske hat ein Geheimnis: „Du versteckst dich hinter der Maske und gleichzeitig zeigst du etwas von dir“. Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich denke ich, dass die Musik es auch ermöglicht, für das, was da geschieht, wieder Worte zu finden. In dem Sinne ist die Musik eine Brücke aus dem „sprachlosen“ Raum in den Raum, der wieder Worte zulässt. Manches, was da gezeigt wird, kommt aus einem sprachlosen Bereich und könnte einen Zuschauer sprachlos machen. Die Musik lässt es erklingen und bricht dadurch das Tabu „Über so etwas spricht man nicht“. Sie bringt es in den Raum des Klangs und ermöglicht, Worte dafür zu finden. Das ist ein wichtiger Schritt, um das Erleben annehmen zu können. Ja, das ist ein schönes Bild zum Abschluss: Die Musik ist eine Brücke. Summary Movement in Sound and Movement in Form – Encounter between Music and Masks 25 years ago a totally new world of music opened to the author and at the same time the masks were coming into her life. This kind of music is played on instruments which can be played by everbody. Music is movement which can be heard, and masks are movement as well which have found a form. The mask player is moving himself in and with the mask, and the music is his partner. Music is the language of the mask and expresses the inner movement. Masks are meeting on stage and the music which is played at the same time intones the happening. Some themes of the mask games are coming from a speechless area. The music is disclosing the inner movement of the mask and is breaking the taboo: you don’t talk about that. Music is building bridges. Außerhalb des Bühnenrands wird Musik für die Masken gemacht. Oft ist es so, als ob das, was auf der Bühne sichtbar ist, in der Musik hörbar wird. Die Musik vermittelt das Geschehen. Manchmal 250 251