Allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie

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Allgemeine Wirkfaktoren
der Psychotherapie
Dr. phil. Mario Pfammatter
Abteilung für Psychotherapie (APT)
Universitäts- und Poliklinik für Psychiatrie
Universität Bern
&
Psychiatrische Dienste
Spital Region Oberaargau (SRO)
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Entwicklung der Psychotherapieforschung:
n Klassische
Phase (1895 bis 1952):
Fallstudien mit intraindividuellen Vorher-Nachher-Vergleichen
n
Rechtfertigungsphase initiiert durch Eysenck (1952):
"Psychotherapie nicht wirksamer als Spontanremission"
Beginn der systematischen Wirksamkeitsforschung
n
Phase der vergleichenden Psychotherapieforschung
Sind verschiedene Psychotherapiemethoden
unterschiedlich wirksam?
n
Phase der differenziellen Psychotherapieforschung
Was wirkt bei wem wann wie?
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Wirkt Psychotherapie?
F Psychologe Hans Eysenck (1952):
Vorher-Nachher-Vergleich täuscht, da er von
Spontanremission profitiert
Nach 2 Jahre 65% der Neurosen spontan geheilt,
nach 5 Jahren 90%
Psychodynamische Psychotherapie damit nicht
wirksamer als natürlicher Heilungsprozess
Kontroverse über die Wirksamkeit von Psychotherapie
Beginn der systematischen Wirksamkeitsforschung
mit Kontrollgruppenvergleichen
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Wirkt Psychotherapie?
F Smith, Glass und Miller (1980): 1. Metaanalyse der
Wirksamkeit von Psychotherapie
Befunde aus 475 Wirksamkeitsstudien
Mittlere Effektstärke für Psychotherapie: 0.85
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Wirkt Psychotherapie?
F Seit Metaanalyse von Smith et al. (1980)
über 500 Metaanalysen:
n Psychotherapie ist bei den meisten Formen von
psychischen Störungen deutlich wirksamer als
unbehandelte oder Placebo-Kontrollgruppen
(Herpertz et al. 2008)
n Je nach Störungsbild werden mittlere bis sehr hohe
Wirkungen erzielt (Lambert & Ogles 2004)
n Bei 30-60% der Patienten ist Wirkung nachhaltig
(Bohus 2011)
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Wirkt Psychotherapie?
F Konsens: Psychotherapie wirkt!
Wirksamkeitsvergleiche
Effektstärken
n Psychotherapie versus Leerkontrollgruppe
0.7 – 1.1
n Psychotherapie versus Placebo-Bedingung
0.4 – 0.6
n Psychotherapie versus Psychotherapie
(Lambert & Ogles 2004)
0.2
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Sind verschiedene Psychotherapiemethoden
unterschiedlich wirksam?
F Nur geringe Unterschiede in der allgemeinen Wirkung
 
 
verschiedener Psychotherapiemethoden:
 
Umfassende Metaanalysen:
Effektstärken
n Grissom (1996):
0.23
n Wampold et al. (1997, 2001):
0.18
n Luborsky et al. (2002):
0.20
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Sind verschiedene Psychotherapiemethoden
unterschiedlich wirksam?
F Verschiedene Psychotherapiemethoden sind
 
 
 
bei Depressionen gleich wirksam
(Metaanalysen von Wampold et al. 2002; Cuijpers et al. 2011)
n Kognitive
Therapie nach Beck
n Aktivierungstherapie
n Interpersonelle
n
nach Lewinsohn
Therapie nach Klermann und Weissman
Psychodynamische Kurzzeittherapie
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
n Sind verschiedene Psychotherapiemethoden
unterschiedlich wirksam?
F Überlegenheit bestimmter Psychotherapiemethoden
bei einzelnen psychischen Störungen
n Exposition mit Reaktionsverhinderung bei Agoraphobie,
spezifischen Phobien und Zwangsstörungen
n Kognitive Therapie bei Panikstörungen
n Training sozialer Fertigkeiten in Gruppen bei Sozialphobie
n Kognitive Verhaltenstherapie und Interpersonelle Therapie
bei Essstörungen
(DeRubeis et al. 2005)
Hintergrund
Phasen, Fragen, Kontroversen der Psychotherapieforschung
Widersprüchliche Befunde der vergleichenden
Psychotherapieforschung
Frage: Was wirkt in einer Psychotherapie? Welche
Faktoren sind für die Wirkung verantwortlich?
Weitgehend unklar: Wie wirkt Psychotherapie?
Spezifische Techniken versus allgemeine
Wirkfaktoren der Psychotherapie
n Welche Faktoren sind für Wirkung von Psychotherapie
verantwortlich?
F Widersprüchliche Befundlage der vergleichenden
Psychotherapieforschung hat zur Entstehung von
2 Parallelwelten in Bezug auf Wirkannahmen geführt:
 
 
 
 
n Spezifisches Wirkmodell
(zur Begründung von Wirksamkeitsunterschieden)
versus
n Modell allgemeiner Wirkfaktoren ("common-factor model")
(als Erklärung geringer Wirksamkeitsunterschiede)
Spezifische Techniken versus allgemeine
Wirkfaktoren der Psychotherapie
n Spezifisches Wirkmodell
  n
 
 
 
Annahme einer (störungsspezifisch) unterschiedlichen
Wirksamkeit verschiedener Psychotherapiemethoden
n
Grundlage für Forderung nach empirisch fundierten
Psychotherapien
n
im Sinne einer evidenzbasierten Behandlungspraxis
n
mit Ableitung störungsbezogener Therapierichtlinien
und entsprechender Therapiemanuale
Spezifische Techniken versus allgemeine
Wirkfaktoren der Psychotherapie
n Spezifisches Wirkmodell
  n
schreibt therapeutische Veränderungen Techniken zu, die
 
n
für bestimmte Psychotherapiemethoden spezifisch
n
bei bestimmten psychischen Störungen spezifisch wirksam
sind
Therapeutisch bedeutsame Faktoren:
Methoden- / störungsspezifische
Psychotherapietechniken
Spezifische Techniken versus allgemeine
Wirkfaktoren der Psychotherapie
Beispiele methoden- bzw. störungsspezifischer Techniken
n Methodenspezifische Techniken
n
n
n
n
n
n
n
n
n
Positive Verstärkung
Training von Fertigkeiten
Sokratischer Dialog
Freie Assoziation
Übertragungsdeutungen
Fokussieren
Leer-Stuhl-/Zwei-Stühle-Technik
Zirkuläres Fragen
Skulpturarbeit
n Störungsspezifische Techniken
n
n
n
n
n
Planung angenehmer Aktivitäten
Vermittlung des Zwei-Faktoren-Modells
Exposition mit Reaktionsverhinderung
Esstagebuch
Kognitive Remediation
Kognitive Verhaltenstherapie
Tiefenpsychologische Therapieansätze
Gesprächspsychotherapie
Gestaltpsychotherapie
Systemtherapie
Depressionen
Phobien und Panikstörungen
Zwangsstörungen
Essstörungen
Schizophrene Psychosen
Spezifische Techniken versus allgemeine
Wirkfaktoren der Psychotherapie
n Modell allgemeiner Wirkfaktoren
 
n
attribuiert Wirkung von Psychotherapie auf implizite
psychotherapeutische Faktoren und Prozesse, die
allen Psychotherapieverfahren gemeinsam sind
n
repräsentiert, neben
 
 
 
 
n
theoretischen Integrationsbemühungen
 
n
technischem Eklektizismus
 
 
n
Assimilation ergänzender Perspektiven u. Methoden an
bestehende Psychotherapiemodelle
(Assimilative Integration, z.B. "third wave" der kognitiven Verhaltenstherapie)
 
 
einen Hauptansatz integrativer Psychotherapie
Allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie
n Allgemeine (unspezifische, kommunale, universelle)
Wirkfaktoren sind
 
 
 
n
Faktoren, die therapeutische Veränderungen bewirken
n
nicht explizit in einem Psychotherapiemodell verankert
n
nicht spezifisch für eine bestimmte Form von
Psychotherapie
n
nicht spezifisch wirksam bei einer bestimmten Form
von psychischer Störung
 
 
Allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie
F Konzept allgemeiner Wirkfaktoren geht auf
Saul Rosenzweig (1936) zurück:
„(...) some implicit common factors in diverse methods of
psychotherapy“ (p. 412):
n
Person des Therapeuten
n Konsistentes
Therapiemodell und darauf basierende
Formulierung einer neuen, konstruktiven Problemsicht
n
Interdependente Persönlichkeitsstruktur, die zu
„Dominoeffekt“ therapeutischer Veränderungen führt
Allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie
F Weiterentwicklung durch Jerome D. Frank (1971) zum
"Common Component Model":
n
Institutionalisierter, sozial legitimierter Rahmen baut beim
Patienten Erwartung auf, qualifizierte Hilfe zu bekommen
n
Emotional unterstützende Beziehung zwischen Patient
und Therapeut fördert Vertrauen des Patienten
n Plausibles
Erklärungsschema („Mythos“) für Problematik
und nachvollziehbares Therapierationale zeigen Patienten
Lösungswege auf
n
Daraus abgeleitete Vorgehensweisen („Rituale“) fördern
Auseinandersetzung mit Problemen; dies führt zu neuen
Einsichten, Einstellungs- und Verhaltensänderungen
Aktiviert zentralen Wirkmechanismus der Remoralisierung
Allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie
Allgemeine Wirkfaktoren
Author
Karasu
(1986)
n Affektives Erleben: Erleben von mit Problemen verbundenen Gefühlen
n Kognitive Bewältigung: Aufbau funktionaler Denkweisen
n Verhaltensregulation: Aufbau von Verhaltenskompetenzen
Weinberger n Therapieallianz: Kooperative Vertrauensbeziehung zwischen Therapeut und Patient
n Aufbau von Besserungserwartungen
(1995)
n Problemkonfrontation
n Korrektive emotionale Erfahrung: Nichteintreten befürchteter Konsequenzen
n Aufbau von Selbstwirksamkeitserwartungen: Patient entwickelt
Überzeugung, Problemsituationen beeinflussen und kontrollieren zu können
Grawe
(1995)
Jorgensen
(2004)
n Ressourcenaktivierung: Betonung und Berücksichtigung der Stärken, Fähigkeiten
und Möglichkeiten von Patienten
n Problemaktualisierung: Erleben problematischer Situationen im Therapiesetting
n Klärung: Erarbeitung von Klarheit über Problemzusammenhänge
n Bewältigung: Vermittlung von Problembewältigungsstrategien
n
n
n
n
Katharsis: Freisetzung unterdrückter Emotionen
Desensibilisierung: Abschwächen emotionaler Reaktionen durch Konfrontation
Emotionsregulation: Vermittlung der Fähigkeit, Emotionen gezielt zu beeinflussen
Neues Selbstnarrativ: Patient entwickelt neues Selbstverständnis
Allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie
Kategorien allgemeiner Wirkfaktoren
Kategorien
Beispiele allgemeiner Wirkfaktoren
n Vertrauensvolle Therapiebeziehung
Faktoren der
Therapiebeziehung
n Kooperative Arbeitsallianz
n Zielübereinstimmung ("Goal consensus")
n Wertschätzung des Therapeuten
n Empathisches Verstehen des Therapeuten
Motivationale
Faktoren
n Veränderungsbereitschaft des Patienten
n Aktive Teilnahme des Patienten
n Ressourcenaktivierung
n Problemaktualisierung
Wirkprinzipien
n Korrektive Erfahrungen
n Klärung
n Aufbau von Selbstwirksamkeitserwartungen
n Problembewältigung
n Verbesserung der Verhaltenskompetenzen
Allgemeine Wirkfaktoren und ihr Zusammenhang mit spezifischen Techniken
F Techniken und allgemeine Wirkfaktoren
n beziehen sich auf unterschiedliche Ebenen des
Psychotherapieprozesses
n hängen mit positivem Therapieergebnis zusammen
Interaktion statt Dichotomie!
n Allgemeine Wirkfaktoren werden durch Techniken realisiert
(Karasu 1986, Beutler et al. 2006)
n Anwendung von Therapietechniken erfolgt immer
im Kontext der Therapiebeziehung (allgemeiner Wirkfaktor)
Wirkung einer Technik wird immer durch die Bedeutung vermittelt,
die sie im Kontext der Therapiebeziehung für Patienten gewinnt
Umsetzung allgemeiner Wirkfaktoren am Beispiel
der Psychotherapie schizophren Erkrankter
Strategische Umsetzung folgender allgemeiner Wirkfaktoren
Verbesserung der
- Compliance mit Medikation
- Früherkennung
- Kompetenzen zur Bewältigung von
Stress und Krankheit
- Veränderung der Denk- und
Attributionsfehler
- sozialen Kompetenzen
beim Patienten
Aufbau einer guten Therapieallianz
Vermittlung eines Erklärungssystems
Ressourcenaktivierung
Kognitive Umstrukturierung
Verbesserung der
- Kompetenzen zur Unterstützung
Vermittlung von Bewältigungskompetenzen
bei der Krankheitsbewältigung
- Verbesserung der kommunikativen Fertigkeiten
bei den Angehörigen
Vermittlung von Verhaltenskompetenzen
Umsetzung allgemeiner Wirkfaktoren am Beispiel
der Psychotherapie schizophren Erkrankter
Evidenzbasierte Psychotherapietechniken zur Umsetzung
der strategisch verfolgten allgemeinen Wirkfaktoren
n Komplementäre (bedüfnisorientierte)
Beziehungsgestaltung
- Wertschätzung
- empathisches Verstehen
- gemeinsame Therapieziele
n Psychoedukation von Patienten
Angehörigen
n Kognitive Techniken
(z.B. Realitätstests)
n Training von Bewältigungs- und
Problemlösekompetenzen
n Training sozialer Fertigkeiten
Aufbau einer guten Therapieallianz
Vermittlung eines Erklärungssystems
Ressourcenaktivierung
Kognitive Umstrukturierung
Vermittlung von Bewältigungskompetenzen
Vermittlung von Verhaltenskompetenzen
Vorteile und Grenzen der Orientierung
an allgemeinen Wirkfaktoren
n Vorteile
F Strategische Ausrichtung des psychotherapeutischen
Vorgehens an allgemeinen Wirkfaktoren erlaubt
n gezielte Integration von Techniken verschiedener
Psychotherapieschulen
n Flexibilität bei Co-Morbidität (Manualisierung hat Grenzen!)
n Abstimmung mit nicht störungsbezogenen
Patientenmerkmalen
n Nachteile
F Noch fehlt empirisch fundierte Anbindung an evidenz-
basierte Störungs- und Therapiekonzept
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