Praxis: Rothenbaumchaussee 7, 20148 Hamburg 6. Internationales Symposium Forensische Psychiatrie Zürich, 4.-6.6.2014 Behandlung von Patienten mit Paraphilien Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Hill Prävalenz von Paraphilien • • • • Seltene Störungen Beginn häufig peri-/postpubertär Wesentlich häufiger bei Männern (> 80 %) Schätzungen: zwischen 1-7 % einer männlichen Normalpopulation (Abel et al., 1997) Paraphilie (DSM-V) • Wiederkehrende, intensive sexuelle Erregung manifestiert in Phantasien, dranghaften Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, bezogen auf – Nicht-lebendige Objekte oder nicht-genitale Körperteile – das Leiden oder die Demütigung von sich selbst oder eines Partners – Kinder oder andere nicht-einwilligende bzw. nichteinwilligungsfähige Personen • Klinische signifikantes Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen • Dauer: mindestens sechs Monate DSM-V: Paraphilie vs. Paraphile Störung • Paraphilie: irgendein intensives und überdauerndes sexuelles Interesse außer dem an genitaler Stimulation oder Vorspiel mit phänotypisch normalen, einwilligenden erwachsenen menschlichen Partnern • Paraphile Störung: eine Paraphilie, die zu Leidendruck oder sozialer Beeinträchtigung des Individuums oder zu Schaden bei anderen führt Struktur • Kriterium A: – Beschreibt die paraphilen Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen – stellt die Paraphilie fest • Kriterium B: – Beschreibt die negativen Konsequenzen für das Individuum oder Andere – diagnostiziert eine paraphile Störung Verlaufsspezifizierung • In beschützter Umgebung • In Remission (kein Leidensdruck, Beeinträchtigung, der wiederkehrende Verhaltensweisen in nicht-beschützter oder unkontrollierter Umgebung) Klassifikation DSM-V • • • • • • • • • Voyeuristische Störung Exhibitionistische Störung Frotteuristische Störung Sexuell masochistische Störung Sexuell sadistische Störung Pädophile Störung Fetischistische Störung Transvestitische Störung Andere spezifische paraphile Störung (z.B. Zoophilie, Scatologie, Nekrophilie, Urophilie, Koprophilie, Klismaphilie) • Unspezifizierte paraphile Störung Häufig liegen mehrere Paraphilien vor! (Abel et al. 1988) Verdacht auf sadistische Tatmotivation (Knight & Prentky 1990, Kraus & Berner 2000) Kriterium A: Kriterium B: • Fantasien mit gleichzeitig aggressivem u. sexuellem Inhalt • Steigerung der sex. Erregung durch Furcht od. Schmerz des Opfers • Symbolisch-sadistische Handlungen in Delikten oder Beziehungen • Drehbuchartig ritualisierte Gewalt in den Delikten • Sexueller Verkehr mit totem Opfer • Verstümmelung erogener Zonen nach Tod des Opfers • Gewalt gegen erogene Zonen • Zufügung von Verbrennungen • Sexueller Verkehr mit bewusstlosem Opfer • Schmerzhaftes Einführen von Gegenständen in Vagina od. Anus des Opfers • Verwendung von Fäzes od. Urin zur Erniedrigung des Opfers Mindestens 1 A-Kriterium oder 2 B-Kriterien zur Verdachtsdiagnose sexuell-sadistische Tatmotivation notwendig! Severe Sexual Sadsim Scale Nitschke et al., 2009; Marshall & Hucker, 2006) - Cut off: 7 1. Ausüben exzessiver Gewalt 2. Ausüben von Macht/Kontrolle/Dominanz - Reliabilität: gut - Kriterien-Validität: 3. Erniedrigung des Opfers gut 4. Sexuelle Erregung durch Tathandlungen - Sensitivität: 56 % - Spezifität: 90 % 5. Quälen des Opfers 6. Ritualisiertes Verhalten während der Tat 7. Entführen oder Einsperren des Opfers 8. Einführen von Objekt(en) in Körperöffnungen 9. Verstümmeln der Genitalien des Opfers 10. Verstümmeln anderweitiger Körperteile 11. Behalten von Trophäen Progredienz: Hypersexuelle Störung (Vorschlag für DSM V, Kafka 2010) A. Über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende und intensive sexuelle Fantasien, sexuelle Bedürfnisse oder Verhaltensweisen in Verbindung mit ≥ 4 der folgenden Kriterien: 1. 2. 3. 4. 5. Starke zeitliche Beanspruchung durch sexuelle Fantasien, Bedürfnisse und Verhaltensweisen; wiederholte Beeinträchtigung von anderen wichtigen Zielen, Aktivitäten und Verpflichtungen ... als Reaktion auf dysphorische Stimmungszustände (Angst, Depression, Langeweile, Reizbarkeit) ... als Reaktion auf belastende Lebensereignisse Wiederholte erfolglose Bemühungen, die sexuellen Fantasien, Bedürfnisse, Verhaltensweisen zu kontrollieren oder reduzieren Wiederholtes sexuelles Verhalten trotz Risiko von körperlicher und psychischer Schädigung für sich selbst oder andere Hypersexuelle Störung (Vorschlag für DSM V, Kafka 2010) B. Klinisch bedeutsames persönliches Leiden und eine Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Funktionsbereichen C. Die Symptomatik ist nicht auf eine direkte physiologische Wirkung exogener Substanze (z.B. Drogen, Medikamente) zurückzuführen. Spezifisches Verhalten: Masturbation, Pornografie, direkte sexuelle Kontakte (Prostituierte, Escortservice, „One-night-stands“, Anonyme sexuelle Begegnungen, Affären), Cybersex, Telefonsex, Strip Clubs etc. Ursachen Biologie: Gene, Hirnschädigung, Hormone, Neurotransmitter, „Konstitution“ Sexuelle Devianz u./o. Gewalt Proximale Ursachen: Lebenskrisen (Arbeit, Partnerschaft); Stimulation bzw. Enthemmung, z.B. Alkohol o. Drogen, Pornographie Distale Ursachen: Frühsozialisation, Bindung, Traumata u. Identifizierungen / Lernen am Modell (Pornographie?) Biologische Faktoren Familiäre Belastung Genetische Ursachen? • Kaum Studien: • Erhöhtes Risiko für Paraphilien bei Angehörigen 1. Grades von Patienten mit Pädophilie und anderen Paraphilien im Vgl. zu depressiven Pat. (Gaffney et al. 1984) • Erhöhtes Risiko für Sexualdelikte bei männlichen Verwandten 1. Grades von Sexualstraftätern (Kindesmissbraucher > Vergewaltiger, OR 2.0-15.0, Langström et al. 2008) • Bei Männern mit XYY-Syndrom i.Vgl. zu Männern mit XXY (Klinefelter-Syndrom) und einer Normalgruppe häufiger unkonventionelle sexuelle Aktivitäten und Phantasien (Krueger u. Kaplan 2001); bei sexuellen Tötungen in 3/166 Fällen (Briken et al. 2006) Neurotraumatologische Befunde bei sexueller Devianz • Unfälle in der Kindheit mit Bewusstlosigkeit (vor 6 Lj.) sind mit niedrigem Intelligenzniveau, schlechterem Bildungsstand u. Pädophilie assoziiert (Blanchard et al. 2002). • Erklärungsmöglichkeiten: – Traumatische zentralnervöse Beeinträchtigungen in der Kindheit führen zum Auftreten einer Pädophilie – Eine vorbestehende Entwicklungsstörung begünstigt sowohl die Neigung zu Unfällen als auch zur Pädophilie – ADHD als mögliches Bindeglied zwischen Entwicklungsstörung, Unfallneigung und Pädophilie → ADHD gehäuft bei pädophilen Pat. (Kafka u. Hennen 2002) u. Sexualstraftätern (Blocher et al. 2001, VaihKoch et al. 2001) Cerebrale Bildgebung Neurobiologische Erklärungsmodelle für Pädophilie bzw. pädosexuelle Handlungen: 1. Störungen der Exekutivfunktionen des Frontalhirns (Disinhibition) 2. Störungen des temporolimbischen Systems (z.B. gesteigertes sexuelles Verlangen und verminderte Hemmung durch Amygdala) 3. Duale Dysfunktion des Frontalhirns und des Temporolimbischen Systems 4. Störungen der Verbindungen zwischen Hirnbereichen, die für die Motivationsbildung, emotionale Verarbeitung und Kontrolle über sexuelle Impulse wichtig sind (Cantor et al. 2008, Briken et al. 2010) Psychosoziale Faktoren Kognitiv-behaviorale Erklärungsmodelle • Klassische Konditionierung: Paarung von sexueller Stimuliertheit (=unbedingter Reflex) mit ungewöhnlichen Reizen (=bedingter Reflex) → empirisch nur selten nachweisbar • Positive Verstärkung durch Lustgefühl • Störung der Bindung (und damit von Intimität und Empathie) • Sexualität als Copingmechanismus (Selbsttröstung) • Kognitive Verzerrungen (Selbsttäuschungen) tragen zur Aufrechterhaltung bei (insbes. bei Sexualstraftätern) Psychoanalytische Theorien Integrierende, praxisnahe Übersicht bei Berner 2011: Perversion nach Stoller (1978) • Perversion ist die erotische Form der Feindseligkeit. • In der Perversion wird ein traumatisches Kindheitserlebnis in einen lustvollen Triumph umgewandelt. • Das Risiko dient zur Steigerung der Erregung (Angstlust). Kernkomplex (Glasser 1979, 1986) Unerträglicher Konflikt zwischen 1. tiefen Verschmelzungswünsche mit der Mutter, die Auflösung des Selbst (Identitätsverlust) bedeuten und 2. Getrenntheit von Mutter, was unerträgliche Einsamkeit und Angst bedeutet Ausweg aus diesem „Mutterkomplex“: èSexualisierung der gegen die Mutter gerichteten Aggression Integrierte psychoanalytische Perversionstheorie (Berner 2011) Definitionselemente Verlaufsmerkmale Strukturmerkmale Fetischbildung Perversion als Plombe Neurotische Struktur Sadomasochistischer Beziehungsmodus Perversion als Impulsdurchbruch Borderline-Struktur PartialtriebLustelemente Perversion als Sucht oder Zwang Psychotische Struktur (Realitätskontrolle, Identitätsgefühl, Abwehrmechanismen) Störung der Motive: 1. Traumatisierungen; z.B. selbst erlebter sexueller Missbrauch • Eigene sexuelle Missbrauchserfahrung erhöht das Risiko später selbst Kinder zu missbrauchen • Aber: keineswegs zwingender Zusammenhang oder notwendige Ursache • Prospektive Studie: von 224 missbrauchten Jungen wurden 12% selbst zu Missbrauchstätern → im Vgl. zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Risiko (Salter et al. 2003) Weitere Risikofaktoren waren: – Materielle Vernachlässigung und Mangel an Beaufsichtigung – Eigener Missbrauch durch eine weibliche Person – Zeuge heftiger innerfamiliärer Gewalt – Grausamkeit gegenüber Tieren • Andere Studien: 40-100% CSA (Freund 1998, Marshall 1996, Cohen et al. 2002) Tony Wards „Pathway Model“ • Multiple Dysfunktionen • Antisoziales Verhalten/ Gedanken • Deviante „Sexual Scripts“ • Gestörtes Bindungsverhalten Emotionale Dysregulation Soziale Isolation Kognitive Defizite Deviantes sexuelles Verhalten • Soziale Defizite Vulnerabilität • Emotionale Dysregulation (Familienumfeld, Entwicklung, Lernprozesse, biologische/ kulturelle Faktoren) Wann kann die paraphile Symptomatik dekompensieren? (proximale Ursachen) • Bei Reaktualisierung früherer, traumatischer Erlebnisse (Ohnmacht, Entwertung, Zurückweisung, z.B. Verlust von Arbeit, Partnerschaftskrisen, Geburt eigener Kinder: Pat. wird an eigene Entbehrungen als Kind erinnert und gleichzeitig wendet sich die Partnerin vermehrt dem Kind zu → Neid) • Einsamkeit, Langeweile • Selbsttröstende Phantasien mit Aspekten von Rache und Dominanz (Narzisstischer Triumph) • Phantasie reicht nicht mehr aus. Elemente davon „müssen“ realisiert werden. • Enthemmung durch Alkohol und Drogen, Pornographie Fallbeispiel Herr S. Herr S. • 60j., verheirateter, kinderloser Flamencolehrer aus Südamerika • Kam wegen Zunahme masochistischer und fetischistischer Sexualität mit gehäuften Prostituiertenbesuchen → Schulden → Ehekrise, er gibt Checkkarten an Ehefrau ab • wuchs in von aggressiven Frauen dominiertem Haushalt auf, Vater unbekannt, mütterlicherseits manisch-depressive Verwandte Herr S. • Mutter trug Waffe, in Wutausbrüchen schlug sie ihn oft mit einem Kabel • Er flüchtete sich unter ein Bett, beobachtete wie sie barfuß oder mit Schuhe mit hohem Absatz vor Wut rasend um das Bett ging. • Dabei Gefühl von Erregung, bald auch sexuell • Schon früh in sexuellen Fantasien immer Reinszenierung, wichtig: Fußrücken und Fußfessel (Knöchel) • Später entsprechende masochistische Inszenierungen mit Prostituierten (er bestimmt die Regeln im voraus!) Herr S. • Mit Ehefrau (ebenfalls traumatisiert) eher geschwisterliche Beziehung, wenig Sexualität • Dekompensation der sadomasochistischen und fetischistischen Sexualität (erst dann Paraphilie i.e.S.), als er sich für eine politische Partei engagiert und im Wahlkampf zunehmend unter Druck gerät. • deutliche Reduzierung der zwanghaft dekompensierten Paraphilen Symptomatik unter SSRI und supportiver Einzel- und Paartherapie Kasuistik: Hypersexuelle Störung - Video - Diagnostik Diagnostik: Sexual- und Beziehungs-Anamnese • Umgang mit Sexualität in der Familie (u.a. Beziehung der Eltern) • Frühe Erfahrungen (Doktorspiele) • Körperliche Entwicklung (bes. Pubertät) • Entwicklung von Geschlechtsidentität u. sexueller Orientierung • Sexuelle Praktiken, Wünsche u. Fantasien (inkl. Masturbation) • Partnerschaftliche Kontakte u. Beziehungen • Pornographiekonsum, Prostituiertenbesuche • Sexuelle Funktionsstörungen; Erkrankungen/OPs im Urogenitalbereich • Eigene traumatische Erlebnisse • Konsum von sexuellen Stimulantien, Alkohol, Drogen • Ggf. Sexuelle Übergriffe / Straftaten • Allgemeine biographische u. psychiatrisch-somatische Anamnese, dissoziale Entwicklung? (Komorbidität!) (Hill et al. 2005) Weitere Diagnostik • Ggf. Fremdanamnese (Partner, Eltern) • Ggf. Akteninformationen (bei Sexualstraftätern, z.B. Bundeszentralregister-Auszug) • Testpsychologische Untersuchungen: z.B. Multiphasic Sex Inventory (MSI), Intelligenz- und Persönlichkeitstests, Psychopathy Checklist (PCL-R), evtl. projektive Tests (Rorschach, Picture-Frustration-Test) • Prognose-Instrumente zur Risikoabschätzung (z.B. SVR-20, Static-99, HCR-20) • Penisplethysmographie zur Objektivierung sexueller Devianz (umstritten) • Somatische Abklärung (körperliche Untersuchung, ggf. Hormone, CCT/MRT, EEG, Chromosomen u.a.) Diagnostik Neuro-physiologische and neuro-psychologische Tests: • Penisplethysmographie • Visuelle Reaktionszeit (Visuelle Fixationszeit) • Stroop Test • Impliziter Associations-Test • ... • Zukunftig: functionelles MRI ?? Fragebogen: • Card Sort Test, Sexual Interest Card Sort Questionnaire • Clarke Sexual History Questionnaire • Multiphasic Sex Inventory Rollenspiel: Sexualanamnese Psychotherapie bei sexueller Delinquenz Wirksamkeit kognitiv-behavioral (35) 1.45 rein behavioral (7) 2.17 einsichtsorientiert (5) 0.98 therap. Gemeinschaft (8) 0.85 andere (5) 0.93 hormonal (6) 3.13 chirurg. Kastration (8) 0.1 14.29 1 10 100 Odds Ratio Metaanalyse (n=22.181, Lösel und Schmucker, 2005) Schmuckers Metaanalyse: Behandlungseffekte insgesamt % 50,0 Behandlungsgruppen Kontrollgruppen 40,0 32,5 30,0 22,4 17,5 20,0 11,8 11,1 6,6 10,0 0,0 sexuell (74) Gewalt (20) jede Straftat (49) Rückfallbereich (Anzahl der Vergleiche) Schmucker 2007, Lösel und Schmucker 2005) Prinzipien der effektiven StraftäterBehandlung (Andrews & Bonta 2006) • Risk Behandle nur Straftäter mit einem (mittleren bis hohen) Risiko für erneute Delikte! • Need Fokussiere auf kriminogene Bedürfnisse / Faktoren! • Responsivity Passe die Behandlung zu den Lernstilen/möglichkeiten und der Kultur des Täters an! Effektstärken bei Adhärenz zu R/N/R Prinzipien R/N/RPrinzipien Odds ratio N (k) 0 1.10 1.067 (3) 1 0.64 1.226 (7) 2 0.74 4.283 (9) 3 0.22 170 (3) (Hanson, 2010) Relevante „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Sexuelle Devianz .31 Sexuelle Überbeschäftigung .39 Dissoziale Persönlichkeitsstörung .21 Psychopathy (PCL-R) .29 Probleme mit der Selbstkontrolle .37 Instabile Beschäftigungsverhältnisse .22 Feindseligkeit .17 21.01.2010 Bewährungshilfe 42/43 Mögliche „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Zwang / körperliche Gewalt bei dem Delikt .09 Opfer von Kindesmisshandlung .10 Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch .09 Einsamkeit, Isolation .03 Niedriges Selbstwertgefühl .04 21.01.2010 Bewährungshilfe 43/43 Fragliche „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Fehlende Opferempathie -.08 Leugnung des Sexualdelikts .02 Geringe Motivation bei Therapiebeginn -.08 Langsamer Therapiefortschritt .14 21.01.2010 Bewährungshilfe 44/43 Entwicklung • 1960: Modifikation sexueller Interessen • 1970/80: Kognitive Verzerrungen, Empathie, soziale Fertigkeiten à kognitiv-behaviorale Programme • 1982: Rückfallvermeidungsprogramm (J. Marques): Fokus auf Vermeidungszielen • 1985: Hamburger Projekt (E. Schorsch et al.): Focus auf Psychodynamik à strukturelle Veränderungen • 1990-2014: SOTP von R. Mann, Integrated Approach von B. Marshall, Good Lifes Model von T. Ward: Integrative Ansätze: Annäherungsziele, Risikomeidung, Fertigkeiten (GLM orientiert) Wer kann es machen? TherapeutInnenmerkmale (Marshall et al. 2011) • • • • • • • Empathie Wärme Echtheit Respekt Unterstützung Vertrauen Emotionale Ansprechbarkeit • Selbst-Offenbarung • Offene Frageform • Direktiver Stil • Flexibilität • Ermunterung zu aktiver Teilnahme • Verstärkend • Humorvoll • Unterstützend anspruchsvoll • Ernsthaftigkeit • Aufrichtigkeit • Interesse Zentrale Behandlungsmethoden • Motivation • Kognitive Umstrukturierung • Modelling • Positive Verstärkung • Stärkung sozialer Kompetenzen • Medikamentöse Therapie Wirksamkeit des Sex Offender Treatment Program (SOTP) • SOTP: seit 1990 in England & Wales in 25 Gefängnissen • Vergleich 647 Behandelte vs. 1910 Unbehandelte (aus früheren Jahren), Time at risk 2 J. (Friendship et al. 2003) Rückfälle bei Behandelten % Rückfälle bei Unbehandelten % Niedrig 1,9 2,6 Mittel niedrig 2,7 12,7 Mittel hoch 5,5 13,5 Hoch 26,0 28,1 Risikolevel Positive Verstärkung Positive Verstärkung = Belohnung (verbal oder nonverbal) für antikriminelle Einstellungen oder Verhaltenweisen. Für effektive therapeutische Verstärkung sind drei Gesichtspunkte zu beachten: • Unmittelbare Verstärkung des Beitrags, verbal oder nonverbal (durch Lächeln oder Augenkontakt) • Erklärung, warum der Beitrag des Klienten verstärkt wurde • Intensität der Verstärkung ist hinreichend deutlich, um sich von der normalen positiven Zugewandtheit im therapeutischen Setting zu unterscheiden Positive Verstärkung Beispiele: • Das war hervorragend, dass Sie Verantwortung für ihr Verhalten übernommen haben ohne jemand anderem die Schuld zu geben. • Sie sind damit sehr effektiv umgegangen und haben dabei die Rechte anderer respektiert. • Was mir wirklich gut gefallen hat an dem, was Sie gerade gesagt haben, ist, dass Sie die Zusammenhänge zwischen ihren Gedanken und ihrem Verhalten sehr deutlich gemacht haben. Positive Verstärkung Ineffektive oder unangemessene Beispiele positiver Verstärkung: • Während der gesamten Gruppensitzung wird kein einziges Lob verteilt und am Ende sagt man der Gruppe, dass sie hervorragend mitgearbeitet hat. • Einem Gruppenmitglied rückmelden, dass seine Beiträge hervorragend sind, wenn dies nicht stimmt. • Einem Gruppenmitglied immer nur rückmelden, was falsch ist an seinen Beiträgen, ohne die positiven Aspekte hervorzuheben. Modelling • Angemessen mit Kritik umgehen, nicht vom Thema ablenken oder unterbrechen • Nicht vor unangenehmen Aufgaben zurückschrecken • Fehler zugeben • Angemessenes Lob akzeptieren • Andere angemessen loben • Nicht über das eigene Leben, die Gesellschaft im allgemeinen oder den Job lamentieren. Stattdessen deutlich machen, dass man selbst für das eigene Leben verantwortlich ist. • Versprechungen sind einzulösen Kognitive Umstrukturierung Wichtig: • Angemessene Form der Fragenformulierung • Ein ermutigender und unterstützender Behandlungsstil Kognitive Umstrukturierung Das sokratische Fragen ist nicht feindlich und unterstützt das „Selberdenken“. Zu vermeiden sind: – Geschlossene Fragen – Fragen, die Annahmen beinhalten – Suggestivfragen – Konfrontationen – Kognitive Umstrukturierung Beispiele für Sokratisches Fragen: • Welche Verbindungen können Sie herstellen zwischen Ihren Taten und dem, was Ihnen vorher durch den Kopf gegangen ist? • Was für andere Gründe könnte es dafür geben, dass das passiert ist? • Wenn Sie andere Leute sagen hören, dass die Dinge „einfach so passiert“ sind, was denken Sie darüber, warum so etwas gesagt wird? Umgang mit Verleugnung Es wurden insgesamt fünf Faktoren identifiziert, die das Aufgeben von Verleugnungen erleichtern: 1. Ein vertrauensvolles Klima 2. Ex-Verleugner als Rollenmodelle 3. Beseitigung der Angst von Negativkonsequenzen, wenn die Straftat eingestanden wird 4. Herausarbeiten der positiven Konsequenzen, wenn das Delikt eingestanden wird 5. Ermutigung, das Delikt einzugestehen Kognitive Verzerrung Beispiel: Geschwindigkeitsübertretung Ich fahre mit einem neuen, schnellen Auto auf einer wenig befahrenen, gut ausgebauten Straße. Die Sicht ist hervorragend. Ich überschreite die Geschwindigkeitsbegrenzung erheblich. Definition: Ich lege mir die Dinge so zurecht, dass sie für mich passen, damit ich mein Verhalten rechtfertigen kann und es nicht ändern muss. Beispiele kognitiver Verzerrungen Kindesmissbrauch Ich hätte aufgehört, wenn sie „nein“ gesagt hätte. Sie war sexuell sehr erfahren. (über ein 13-jähriges Mädchen) Ich bin selbst als Kind durch meinen Onkel sexuell missbraucht worden. Es hat mir nicht geschadet. Vergewaltigung Im Gerichtssaal war sie völlig ruhig und gelassen. Wenn sie die Tat wirklich belasten würde, dann wäre sie mehr durcheinander gewesen. Ich hab´ viele Sachen gemacht, mit denen die Frauen anfangs nicht einverstanden waren. Später haben sie es dann alle genossen. Nur diese beiden Frauen haben das falsch verstanden. Wo ist das Problem mit meinem Verhalten, wenn es den meisten Frauen gefällt? Sie war immer sehr aufreizend gekleidet und hatte zahllose Bekanntschaften. Normalerweise war sie nicht so zimperlich. Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Ziele: • Dem Täter Erklärungen für kognitive Verzerrungen bei Sexualdelikten liefern (allgemeine Beispiele, z.B. Geschwindigkeitsübertretungen) • Den Täter über die Auswirkungen von Sexualdelikten auf die Opfer informieren (auf neutrale, nicht verurteilende Art und Weise) • Den Täter beim Erkennen eigener kognitiver Verzerrungen unterstützen • Übungen, die den Täter beim Erkennen und Beseitigen kognitiver Verzerrungen unterstützen Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Wie werden kognitive Verzerrungen bearbeitet? • Alternativen darstellen / modellieren • Alternative / realitätsgerechtere Aussagen des Täters verstärken • Im Rollenspiel die Argumente der Gegenseite vertreten • Selbstwert steigern • Selektive Reflektion nutzen • Unterstützung der Gruppe nutzen Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Wie kann die Gruppe zur Bearbeitung kognitiver Verzerrungen genutzt werden? • Modellieren, wie Fragen gestellt werden • Das Fragen von Gruppenteilnehmern verstärken • Diejenigen Gruppenteilnehmer loben, die sich aufrichtig mit ihren kognitiven Verzerrungen auseinandersetzen • Falls keine Beiträge von der Gruppe kommen, kognitive Verzerrungen direkt bearbeiten Die Bearbeitung von kognitiven Verzerrungen funktioniert am besten nach der sokratischen Methode: Wir sind eher bereit, Erkenntnisse zu akzeptieren und zu integrieren, die durch eigenes logisches Denken erworben wurden. Das heißt: Belehren und Streiten funktioniert eher schlecht. Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Ich hab´ es nicht getan. Gehen Sie im Detail mit dem Täter durch, was er bereit ist zuzugeben. Wieweit war er tatsächlich involviert? Konfrontation mit der Aktenlage (ohne dass der Täter das Gesicht verliert). Warum ist der Tatablauf im Urteil anders dargestellt? Warum hat das Opfer andere Angaben gemacht? Es ist wichtig, so viel Informationen wie möglich über die Tat zu haben. Es kann auch hilfreich sein zu explorieren, was genau hinter der Aufrechterhaltung der Verleugnung steht, z.B. die Angst, die Partnerin zu verlieren. Das Kind hat mich darum gebeten, es zu tun. Fragen Sie den Täter, ob er einem Kind eine Flasche Schnaps oder eine geladene Pistole geben würde, wenn es ihn darum bäte. Fragen Sie ihn, warum er so etwas nicht machen würde. Lassen Sie ihn Parallelen zum sexuellen Missbrauch ziehen. Aktive Deliktdarstellung • Erklärung des Entscheidungsketten–Modells • Wichtig: Gruppenmitglieder sollen richtige Zusammenhänge zwischen Situationen, Gedanken sowie Gefühlen und Verhaltensweisen erkennen: Gedanken steuern Gefühle und Verhaltensweisen, nicht Situationen. • Die Straftaten werden anhand dieses Modells exploriert, die Teamer erstellen am Flipchart die Entscheidungskette. Passive versus aktive Deliktdarstellung: Vergewaltigung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Meine Frau hat wieder mal Zoff angefangen, und da bin ich in die Kneipe gegangen... Meine Kumpels waren am Feiern und haben sich ganz schön was eingeschenkt. Es waren auch einige Mädels da, die offensichtlich Spaß haben wollten. Als die Kneipe zugemacht hat, wollte ich noch was essen gehen, eins der Mädels ging in dieselbe Richtung. Ich sprach sie an, sie war sehr freundlich. Sie hat es wirklich nötig gehabt, und so landeten wir hinter dem nächsten Gebüsch. Ich zog sie aus. Sie hat nichts dagegen gesagt. Ich hatte Sex mit ihr. Sie hat es genossen. Sie wollte mich wieder treffen. Als ich sie das nächst mal in der Kneipe sah, hat sie die Polizei gerufen und mich der Vergewaltigung bezichtigt. Es war unfassbar. Passive versus aktive Deliktdarstellung:Vergewaltigung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Meine Frau wollte nicht, dass ich in die Kneipe gehe. Wir hatten Streit deswegen und ich bin aus dem Haus gestürmt. Ich wusste, dass ich auf diesem Wege so oder so in die Kneipe komme. Ich habe stark getrunken. Ich dachte, ich würde es meiner Frau schon zeigen. Als die Kneipe schloss, beschloss ich, einer der Studentinnen zu folgen. Ich wählte die, die stadtauswärts ging. Ich fragte sie nach der Uhrzeit, doch sie war sehr abweisend, was mich verärgert hat. An der nächsten einsamen Ecke hab ich ihr an die Kehle gefasst und ihr eine reingehauen, sie wurde ganz benommen, ich begann sie auszuziehen. Dann hatte ich Sex mit ihr. Sie bat mich, sie nicht zu verletzen. Ich fühlte mich gut. Ich ließ sie gehen, als sie mir bestätigte, dass ich ihr nicht weh getan hatte. Als ich das nächste Mal in der Kneipe war, erzählte ich, wie leicht es war, die Kleine rumzukriegen. Als die Polizei erschien dachte ich, ihre Aussage steht gegen meine, ich brauche die Vergewaltigung nur zu leugnen. “Altes Ich” versus “Zukünftiges Ich” Altes Ich Zukünftiges Ich • Herausarbeiten devianter sexueller Interessen / Erregungsmuster • Vertieftes Verständnis über Defizite und unrealistische Erwartungen in Beziehungen • Vertieftes Verständnis über einen problematischen impulsiven Lebensstil • Herausarbeiten selbstrechtfertigender und deliktrechtfertigender kognitiver Verzerrungen und Ersetzen durch prosoziale Ansichten • Verstärken der Motivation, nichtdeviante sexuelle Interessen zu entwickeln. • Unterstützung bei der Bewertung der Entwickeln realitätsgerechter BeziehungsErwartungen • Erarbeitung neuer, funktionaler Denkmuster • Gelegenheit geben zur Neubewertung und Neuformulierung von Lebenszielen Paradigmenwechsel in der Sexualstraftäterbehandlung? Rockwood Psychological Services Program (Marshall et al. 2011): • positive therapeutische Haltung: Therapeuten zeigen Wärme, Empathie und Unterstützung für die Pat./Straftäter • Unterstützung für gesunde, prosoziale Lebensführung: Förderung von Selbstwertgefühl, Reduzierung von Scham, Aufbau persönlicher Stärken und Resilienz (Good Life Model, positive Psychologie, Ressourcenorientierung) • Abkehr von Fokussierung auf Deliktbearbeitung und Rückfallvermeidungsplänen • Kritik an zu starker kognitiver Ausrichtung von CBT • Ziele: nicht nur Reduzierung von Kriminalität, sondern Förderung von Wohlbefinden Good Lifes Model 1. 2. 3. 4. Gesundheit - Ernährung und Bewegung „Meisterhaftigkeit“ (Beherrschung) – in Arbeit & Spiel Autonomie – Selbstbestimmung Beziehungen – Intimbeziehung, Familie, Freunde, Verwandtschaft, Gemeinde 5. Innerer Friede – Freiheit von Unruhe, Stress; Gefühl von zweck- und sinnvollem Leben 6. Wissen und Kreativität – Befriedigung durch Lernen und Erschaffen von Dingen (Arbeit, Hobbies, Musik, Schreiben ...) (Marshall et al. 2011, Ward & Mann 2004) RPS Primary Program Phase 1: „Engagement“ • Überblick über Behandlung • Schweigepflicht • Hintergrundfaktoren • Förderung von Selbstwertgefühle, Reduzierung von Scham • Verbesserung von Coping und „Stimmungsmanagement“ (Emotionsregulation) • Erweiterung von Empathie Phase 2: Modifizierung kriminogener Faktoren I 1. Einstellungen/Kognitionen • Deliktfördernde Einstellungen (Männer sollen Frauen dominieren, feindselige Einstellungen gegenüber Frauen; Kinder als selbstbestimmte sexuelle Personen) • • • • Emotionale Identifikation mit Kindern Antisoziale Einstellungen Selbsteinschätzung als nicht-rückfallgefährdet Anspruchshaltung 2. Selbst-Regulation • defizitäre Verhaltensregulation • defizitäres Coping / Problemlösung • Emotionale Dysregulation Phase 2: Modifizierung kriminogener Faktoren II 3. Beziehungsprobleme • Intimitätsdefizite • Fehlende BeziehungsFähigkeiten • Maladaptive Bindungsstile • Emotionale Einsamkeit 4. Sexuelle Faktoren • Mangelndes sexuelles Wissen • Deviantes / paraphiles sexuelles Interesse • Sexuelle Anspruchshaltung • Sexuelle Preokkupation RPS Primary Program Phase 3: Lebensförderung & Selbstmanagement • Good Life Model • Vermeidungsstrategien (eingeschränktes Repertoire) • Aufbau von Unterstützungsgruppen • Entlassungsplan Wirksamkeit des Rockwood Psychological Services ( RPS) Primary Programs Follow-Up (time at risk): 8,4 J. (n=535) Rückfälle bei Behandelten % Erwartete Rückfälle % (Static-99, RRASOR) Sexualdelikte 5,6 23,8 Andere Gewaltdelikte 8,4 34,8 (Marshall et al. 2011) Verhaltenstherapeutische Techniken zur Modifikation sexueller Präferenzen (Marshall et al. 2012) 1. Aversions-Techniken – Olfaktorische Reize – Ammoniak – “Covert sensitization” (verdeckte Sensitivierung) 2. Masturbatorische Rekonditionierung – Thematische Verschiebung / gerichtete Masturbation – “Satiation” (Sättigung) Urges 50 Exposures 40 30 20 10 0 1 2 3 4 weeks BASELINE 5 6 7 8 9 10 11 12 weeks 13 14 AMMONIA AVERSION 15 16 3 6 12 months FOLLOW-UP (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) 100 Responses to prepubescent girl s Responses to adult females 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1 2 3 weeks BASELINE 4 5 6 weeks OLFACTORY AVERSION 7 8 9 10 weeks DIRECT ED MASTURBATION 1 3 6 2 mth. mths. mths. yrs. FOLLOW-UP (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) 26 Deviant Urges/Fantasies 24 Appropriate Urges/Fantasies 22 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 weeks weeks weeks BASELINE OLFACTORY AVERSION DIRECTED MASTURBATION 1 3 6 2 mth. mths. mths. yr. FOLLOW-UP (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) Covert Sensitization / Association (Marshall et al. 2012) “Covert sensitization”: Imaginiere deviantes Verhalten → Wechsel auf Imagination von Erbrechen o.ä. “Covert association”: 1. Erstelle verschiedene Deliktfantasie-Ketten die weit vor der explizit sexuellen Aktivität beginnen und breche diese auf verschiedene Einzelschritte/stufen herunter. 2. Erstelle subjektiv relevante unangenehme Folgen / Konsequenzen der Deliktfantasie bzw. des Delikts. 3. Schreibe Deliktkette auf der einen Seite und negative Konsequenzen auf der anderen Seite einer hosentaschengroßen Karte, die der Pat. immer bei sich trägt. 4. Zähle die Deliktketten mit den Konsequenzen mindestens zweimal pro Tag auf. Anfangs sollten die Konsequenzen am Ende der Kette aufgezählt werden, später bei immer früheren Stufen der Deliktkette. Diese Übungen sollten sowohl in Zuständen guter, als auch schlechter Stimmung ausgeführt werden. Covert Sensitization / Association (Marshall et al. 2012) Theorie zum Wirkmechanismus: Die Assoziation von detaillierten, konkreten Stufen einer Deliktfantasie-Kette mit relevanten negativen Konsequenzen sollte zu einer automatischen Reaktion auf frühe Stufen der Kette in Form von Gedanken an die Konsequenzen führen. Zwar können die Assoziation der Deliktstufen mit unangenehmen Konsequenzen als „Bestrafung“ dienen, allerdings ist eine schnelle Abschwächung dieser Assoziation zu erwarten (d.h. die Konsequenzen werden mit den Wiederholungen weniger „bestrafend“). Das entscheidende hingegen ist die gepaarte Assoziation. 12 to 14 yrs. boys 8 Adult males Adult females Weekly Urges/Fantasies 7 6 5 4 3 2 1 0 1 2 3 weeks BASELINE 4 5 6 7 8 9 10 weeks COVERT ASSOCIATION 11 1 3 6 2 mth. mths. mths. yrs. FOLLOW-UP (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) 100 Responses to 12-14 yrs. boys Responses to adult males 90 Responses to adult females 80 Percent full erection 70 60 50 40 30 20 10 0 1 2 3 weeks BASELINE 4 5 6 7 8 9 10 weeks COVERT ASSOCIATION 11 1 3 6 2 mth. mths. mths. yrs. FOL LOW-UP (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) Masturbatorische Rekonditionierung (Marshall et al. 2012) Technik: 1. Definiere mit dem Pat. ein Set von geeigneten (nichtdevianten) sexuellen Fantasien. 2. Der Pat. soll sich zu Beginn der Masturbation mit Hilfe devianter Fantasien sexuelle erregen. 3. Dann wechselt (switcht) er zu nicht-devianten Fantasien. 4. Wenn die Erregung nachlässt, soll der Pat. zu devianten Fantasien zurückkehren, bis er wieder erregt ist, und dann wieder zu nicht-devianten Fantasien zu wechseln, während der masturbiert, so lange, bis er ejakuliert. Theorie zum Wirkmechanismus: Die wiederholte Assoziation von nicht-devianten Fantasien mit masturbationsinduzierter Erregung führt zu einer appetitiven klassischen Konditionierung, d.h. Koppelung von nicht-devianten Fantasien mit einer positiven Bewertung. Masturbatorische Sättigung (satiation) (Marshall et al. 2012) Technik: Nach – jeder – Masturbation bis zur Ejakulation soll der Pat. alle denkbaren Variationen seiner devianten sexuellen Handlungen oder Fantasien (laut oder in Gedanken) über 10 Min. beschreiben. Theorie zum Wirkmechanismus: 1. Die Koppelung devianter Fantasien mit der Refraktärzeit (Zustand von niedriger oder fehlender Erregung) führt zur Löschung der sexuell stimulierenden Kraft der Fantasien. 2. Die Sättigung führt außerdem zu einem aversiven Zustand (Langeweile, Müdigkeit), was in Assoziation mit devianten Fantasien die Bedingungen für eine aversive klassische Konditionierung erfüllt. Reducing Deviant Sexual Arousal (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) Wirksamkeit von Masturbatorischer Rekonditionierung (Marshall & Marshall 2012) Pretreatment Posttreatment Nicht-deviante Erregung 53.4 % 32.6 % p = .03 Deviante Erregung 60.7 % 17.3 % p = .001 1.14 0.53 Devianz-Index (mit freundlicher Überlassung von Marshall & Marshall 2012) Video (alternativ): 1. Gruppentherapie mit pädosexuellen Patienten 2. Patient mit hypersexueller Störung Therapie: „Sexsucht“ Therapieziele 1. Ordnung • Psychiatrisch-psychologische Diagnostik und Behandlung anderer psychischer Störungen (Komorbidität) • Förderung des Problembewusstseins (z.B. Motivational Interviewing) • Reduzierung der Verfügbarkeit (Stimuluskontrolle), Kontrollmöglichkeiten bessern (z.B. Internetzugang sperren, Filtersoftware, meiden auslösender Situationen) • Klärung von auslösenden Gedanken, Affekten, Stressoren und Entwicklung von möglichen Handlungsalternativen • Psychoeduktion inkl. Information über Komorbidität und Behandlungsmöglichkeiten (modifiziert nach Delmonico et al. 2002, Briken et al. 2005) Therapie: “Sexsucht“ Therapieziele 2. Ordnung • Rückfallvermeidung und Bearbeitung assoziierter Probleme: z.B. Trauerprozesse, Stress- und WutManagement, Schuld und Scham, Kindheitstraumata, kognitive Verzerrungen, ggf. Opfer-Empathie • Abbau der sozialen Isolation • Förderung einer integrativeren und beziehungsreicheren Sexualität • Einbeziehung von Partnern (evtl. Paartherapie), Kindern, Angehörigen, Freunden oder Arbeitskollegen • Evtl. Selbsthilfegruppe (AS, SLAA, S-Anon) • Pharmakotherapie inkl. Komorbidität (z.B. SSRI) (modifiziert nach Delmonico et al. 2002, Briken et al. 2005) The Sex Addiction Workbook (Sbraga & O‘Donohue 2003) Kognitiv-Behaviorales Selbsthilfemanual (englisch) • Analyse des Problems (Verhaltensanalyse, costs & benefits) • Lang- und kurzfristige Ziele (bzgl. Symptomatik und allgemeine Lebensziele) • Vor- und Nachteile von Behandlung • Analyse und Bearbeitung kognitiver Verzerrungen • Analyse von Verhaltensketten, alternative Handlungsmöglichkeiten • Analyse und Übungen zu Emotionsregulation, insbes. Selbstwertprobleme • Empathie in Folgen für andere • Rückfallvermeidung, Analyse & adäquate Bewältigung von Risikosituationen • Soziale Kompetenz • „sichere und befriedigende Sexualität“ & Intimität Pharmakotherapie Wirksamkeit von Therapie kognitiv-behavioral (35) 1.45 rein behavioral (7) 2.17 einsichtsorientiert (5) 0.98 therap. Gemeinschaft (8) 0.85 andere (5) 0.93 hormonal (6) 3.13 chirurg. Kastration (8) 0.1 14.29 1 10 100 Odds Ratio Meta analysis (n=22.181, Lösel und Schmucker, 2005) Ideale Pharmakotherapie für Sexualstraftäter • Behandlung der zugrunde liegenden Störungen (z.B. Paraphilien, Angst- und depressive Störungen, Persönlichkeitsstörungen) • Selektive Unterdrückung von paraphilen Fantasien, Impulsen und Verhaltensweisen • Keine Beeinträchtigung der nicht-paraphilen Sexualität • Keine unerwünschten Nebenwirkungen Überblick Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) Naltrexon Cyproteronacetat (CPA) LHRH-Agonisten Was, wann, für wen? SSRI Sexualdelinquenz • Paraphilien • Angststörungen • Depressionen Serotonerges • emotional instabile Defizit? Persönlichkeitsst. • Impulskontrollstörungen Selektive SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI) SSRIs bei Paraphilien Wirksamkeit • keine doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien bei Sexualstraftätern • eine kontrollierte Untersuchung zu „Compulsive Sexual Behavior“ (‚Sexsucht‘) • keine längeren Katamnesen • keine Unterschiede zwischen verschiedenen SSRIs (Greenberg et al. 1996) • Wirkung nach 2-4 Wo. (Maximum nach 2-3 Mo.) SSRIs bei Paraphilien Häufigkeit von Masturbation mit paraphilen Fantasien (n = 16) Depressivität und Selbstwert (n = 16) Kraus et al. , Fortschr Neurol Psych 2007 Sexuelle Funktionsstörungen, Behandlungszufriedenheit Sexuelle Funktionsstörungen • gesamt: 12 (75 %) • Lustlosigkeit: 11 • Erektionsstörung: 6 • Verzögerte Ejakulation bzw. Orgasmus: 6 Kraus et al. , Fortschr Neurol Psych 2007 SSRI bei ‚Sexsucht‘ Doppelblinde, placebo-kontrollierte Studie (n=28 „men who have sex with men“, Wainberg et al. 2006): • 12 Wo., 20-60 mg Citalopram (SSRI) • Signifikant stärkere Reduktion in der Citalopram-Gruppe bzgl.: – Verlangen und Drang nach Sex – Masturbationshäufigkeit – Pornographie-Konsum (7,1 è 2,3 Std. pro Wo. in Citalopram-Gruppe versus 6,4 è 5,9 Std. pro Wo. in Placebogruppe) Naltrexon • Bestimmter endogener Opioidspiegel notwendig für sexuelle Erregbarkeit • Aber: hohe Dosen von Opioiden hemmen die Dopaminausschüttung! • Naltrexon: langwirksames Opioid • Anwendung v.a. bei Alkohol-/ Drogenabhängigkeit • Vermutung: Therapieeffekt bei Paraphilien bzw. sexueller Devianz durch Anhäufung von Opioiden Naltrexon (Ryback 2004) • Offene, prospektive, unkontrollierte Studie mit 21 jugendlichen Sexualstraftätern mit Hypersexualität • Naltrexon: Ø 170 mg/d (100-200 mg) • Verschiedene zusätzliche Medikamente • Erfolg (Definition: 30% Reduktion sex. Fantasien u. Masturbation über mindestens 4 Monate) bei 15/21 Patienten (71%) – ↓ Masturbation von 2 x pro Tag auf 2 x pro Woche – ↓ sex. Fantasien von 5 x pro Tag auf 1 x pro Tag – ↓ sex. Erregbarkeit, ↓ morgendliche Erektionen – ↑ Selbstwertgefühl und ↑ Gefühl der Selbstkontrolle Naltrexon (Ryback 2004) • Bei 9 Pat. kurze Therapieunterbrechung (11-26 T.) bzgl. Naltrexon aus rechtlichen Gründen (Erweiterung der Einverständniserklärung) • Bei all diesen Pat. kehrte die sexuelle Symptomatik zur Ausgangssituation zurück! • Keine Veränderungen der Laborwerte • Am ehesten für Patienten mit komorbider Suchterkrankung? Hormonelle Regulation • Androgene (Testosteron und Dihydrotestosteron) sind notwendig für sexuelles Verlangen und Erregbarkeit (v.a. bei Männern) • Testosteron – erhöht die Sensitivität dopaminerger Rezeptoren – reduziert die Sensitivität serotonerger Rezeptoren – steigert die Erregbarkeit der HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinde-Achse (HPAAchse, Stresshormone: Adrenalin/Noradrenalin) Hormonelle Regulation • Erhöhtes Testosteron mit Aggressivität, Dominanz, Antisozialität korreliert • bei Sexualstraftätern oder Paraphilien i.d.R. keine erhöhten Testosteronwerte – Aber: Korrelation mit Antisozialität, Aggressivität, Impulsivität, Ansprechen auf Therapie und mglw. Rückfälligkeit (z.B. Studer et al. 2005, Giotakis et al. 2003) Androgen-Regulation Cyproteronacetat (Androcur®) Wirkmechanismus 1. blockiert Androgen-Rezeptoren an Zielorganen (kompetitiver Inhibitor von Testosteron u. DHT) 2. reduziert die Sekretion von LHRH, dadurch: ⇓ Reduktion des Plasma-Testosterons ⇓ Reduktion von Sexualität (Fantasien, Verlangen, Erregbarkeit, Erektionen, Ejakulation, Masturbation und Koitus) und Spermaproduktion Wirksamkeit von Cyproteronacetat • Reduktion von sexuellem Interesse, Aktivität und Erregbarkeit (auch in Penisplethysmographie) in kontrollierten Studien (z.B. Bradford u. Pawlak 1993), aber: keine längeren Katamnesen • keine spezifische Reduktion der paraphilen Sexualität • Angeblich Reduktion der Rezidivrate bzgl. Sexualstraftaten (z.T. auch nach Absetzen); aber: bisher nur unkontrollierte Studien CPA - Applikation • Dosierung – oral: 50-200 mg/d – i.m.: 300-600 mg alle 10-14 Tage • Wirklatenz – Beginn nach 1 Wo. bis 4 Mo. • Therapiedauer – Keine klaren Richtlinien – 2-5 Jahre, evtl. Dauertherapie? Gonadotropin (=LHRH)Analoga • Substanzen – Leuprorelin (Trenantone®, Enantone®, Eligard®, Salvacyl®) – Triptorelin (Decapeptyl®) – Goserelin u.a. • Durch kontinuierliche (statt physiologischer pulsatiler) LHRH-Wirkung è Down-Regulation der LHRH-Rezeptoren è Senkung der LH- und Testosteron-Spiegel • Cave: Flare-up Effekt (in ersten 4 Wochen:Anstieg von Testosteron) • Applikation und Dosierung je nach Präparat: Alle 4 bis 12 Wochen i.m. oder s.c. Pharmakotherapie LHRH Studie I LHRH Agonisten erstmalig als pharmakotherapeutische Alternative zu Androcur (CPA) im deutschsprachigen Raum. Rückfallraten • CPA: keine kontrollierten Untersuchungen, Rezidive 0-33% (MW 6%); 10 Studien (N=127) (Meyer & Cole 1997) • MPA (Medroxyprogesteronacetat): z.B. Maletzky et al. 2006 – Mit Medikation 0% (0/79) – Abbrecher/Verweigerer 18% (10/55) – Kein Angebot 15% (21/141) • LHRH: ≈1%; N=119 (Briken et al. 2003, 2004), 1 kontrollierte Untersuchung (Schober et al. 2006), aber nicht bezogen auf Rezidivrate • Cave: Heterogene Gruppen (Diagnose, Setting, Behandlung, Komorbidität, Follow-up Dauer) Wirksamkeit von Therapie kognitiv-behavioral (35) 1.45 rein behavioral (7) 2.17 einsichtsorientiert (5) 0.98 therap. Gemeinschaft (8) 0.85 andere (5) 0.93 hormonal (6) 3.13 chirurg. Kastration (8) 0.1 14.29 1 10 100 Odds Ratio Meta analysis (n=22.181, Lösel und Schmucker, 2005) Nebenwirkungen • Osteoporose • Gewichtszunahme • Damit verbunden erhöhtes Risiko für metabolisches Syndrom • Infertilität In Abhängigkeit von der Behandlungsdauer Risikofaktoren für Osteoporose • • • • • • Alter Rauchen Alkoholkonsum Schlechte Ernährung (wenig Calcium und Vit.D) Geringe körperliche Aktivität Antiepileptika, z.B. Carbamazepin, Valproat • Wichtig: rechtzeitige Prävention & ggf. Behandlung: Biphosphonate, Vit-D, Calcium Psychische Nebenwirkungen • Depressive Verstimmung • Narzisstische Krisen (Kränkung) durch Verlust der Sexualität bzw. Wegfall der ‚Plomben‘Funktion der sexuellen Devianz • Wichtig: rechtzeitiger Beginn einer Medikation unter gesicherten Bedingungen (mindestens 12 Mo.) Medikamentöse Behandlung von Sexualstraftätern im deutschen Maßregelvollzug n=611, davon 18% ambulant (Turner, Basdekis-Josza & Briken, 2012) Wirksamkeit antiandrogener Medikation: CPA vs. GnRH-Agonisten Wirksamkeit: Reduktion von CPA % (N = 25) GnRH Agonist % (N = 57) 60 75 52 67 Masturbationsfrequenz 40 44 Konsum pornografischen Materials 28 26 Non-Responder (6 Mo.) 9 6 Häufigkeit sexueller Gedanken Intensität sexueller Gedanken Durchschnittliche Behandlungsdauer: CPA 11,8 Mo., GnRH-Agonisten: 13,4 Mo. (Turner, Basdekis-Josza & Briken, 2012) Wirksamkeit antiandrogener Medikation: CPA vs. GnRH-Agonisten CPA % (N = 25) GnRH Agonist % (N = 57) Gewichtszunahme 48 19 Gynäkomastie 36 12 Hitzewallungen 56 47 Thromboembolie 4 - Reduzierte Körperbehaarung 40 30 Depression 8 - Nieren/Leber-Funktionsstörung 4 - Hypogonadismus 8 4 - (?) 14 48 33 Nebenwirkungen Verminderte Knochendichte Schmerzen an der Injektionsstelle (Turner, Basdekis-Josza & Briken, 2012) WFSBP Richtlinien für Paraphilien (Thibaut et al. 2010) Stufe 1 • Ziel: Kontrolle von paraphilen Fantasien, Impulsen und Verhaltensweisen ohne Beeinträchtigung von konventionellem sexuellem Verlangen und Aktivität • Psychotherapie (bevorzugt kognitivbehavioral, wegen Evidenz Level C) Stufe 2 • Ziel: s.o. • evtl. in milden Fällen (‘Hands-off’Paraphilien mit niedrigem Risiko für sexuelle Gewalt, z.B. Exhibitionismus ohne Risiko für Vergewaltigung oder für Pädophilie) • keine befriedigende Wirkung bei Stufe 1 • SSRI: Dosis wie bei Zwangsstörungen (z.B. Fluoxetin 40 to 60 mg/d oder Paroxetin 40 mg/d) (Level C) Stufe 3 WFSBP • • • • Ziel: s.o. ‘Hands-on’-Paraphilien mit sexuellen Berührungen, aber ohne Penetration Paraphile sexuelle Fantasien ohne sexuellen Sadismus keine befriedigende Wirkung bei Stufe 2 nach 4-6 Wo. mit SSRIs in hoher Dosierung Guidelines (Thibaut et al. 2010) • Zusätzlich zu SSRI: niedrig dosiert Antiandrogen (z.B. CPA 50-100 mg/d) (Level D) Stufe 4 • • Ziel: Kontrolle der paraphilen Symptomatik mit einer substanziellen Reduktion von sexuellem Verlangen und Aktivität • Mittelgradiges bis hohes Risiko für sexuelle Gewalt (schwere Paraphilien mit intrusiveren sexuellen Kontakten und begrenzter Zahl von Opfern) 1. Wahl: CPA volle Dosis: oral 200-300 mg/d oder i.m. 200-400 mg alle 1-2 Wo.; oder MPA: 50-300 mg/d (falls kein CPA verfügbar, z.B. in USA) (Level C) • Bei Komorbidität mit Angst-, depressiven oder Zwangs-Symptomen: evtl. Kombination mit SSRI • Keine sexuell sadistischen Fantasien oder Verhaltensweisen • Gute Compliance, falls nicht: i.m. oder Stufe 5 WFSBP Stufe 5 Guidelines (Thibaut et al. 2010) Ziel: Kontrolle der paraphilen Symptomatik mit fast vollständiger Unterdrückung von sexuellem Verlangen und Aktivität • • Hohes Risiko für sexuelle Gewalt und schwere Paraphilien LHRH-Agonist, z.B. Triptorelin- or Leuprolin-Acetat 3 mg/Mo. or 11,25 mg alle 3 Mo. i.m. (Level C) • • Sexuell sadistische Fantasien oder Verhaltensweisen oder körperliche Gewalt Testosteron-Messungen, falls Überwachung notwendig • • Keine Compliance oder keine befriedigende Wirkung bei Stufe 4 evtl. Kombination mit CPA (1 Wo. vor bis 4 Wo. nach Beginn mit LHRH-Agonisten) um Risiko durch ‚flare-up‘ Effekt zu reduzieren • Stufe 6 • Ziel: Kontrolle der paraphilen Symptomatik mit vollständiger Unterdrückung von sexuellem Verlangen und Aktivität • Schwerste Paraphilien („katastrophale Fälle“) • Keine befriedigende Wirkung bei Stufe 5 • zusätzlich zu LHRH-Agonisten: CPA (50-200 mg/d oral or 200-400 mg alle 1-2 Wo. i.m.) oder MPA (50-300 mg/d) (Level D) • evtl. zusätzliche SSRIs (kein EvidenzLevel) Kasuistik Herr B. Herr B. - Der Behinderte • Bei Therapiebeginn 26j. arbeitslos, ledig und kinderlos, in Ausbildung zu Bürokaufmann, lebt in Internat (BFW) • Anlass: er konsumierte am Ausbildungsplatz Kinderpornographie im Internet • 3/3 Kindern, 2 ältere Schwestern • Im 8. Lj. Unfall (Sturz aus einigen Metern Höhe): schweres Schädelhirntrauma • Danach Persönlichkeitsveränderung mit Impulsivität, Aggressivität, Verwahrlosungstendenzen (→ Organische Persönlichkeitsstörung) • Keine Erinnerung an Kindheit vor dem Unfall. Schon vor dem Unfall schwierige Beziehung zu Eltern (fühlt sich zurückgesetzt gegenüber den Schwestern), Schläge Herr B. - Allgemeine Biographie • Seit etwa 9/10. Lj. vorwiegend in Heimen gelebt, z.T. am Wochenende bei Eltern • Schul- und Berufsprobleme, trotz leicht überdurchschnittlicher Intelligenz • Ab etwa 18. Lj. lebt er an wechselnden Orten in Deutschland. Seit Jahren kein Kontakt zur Herkunftsfamilie. • Zeitweise Alkoholabhängigkeit, seit einigen Jahren abstinent • Beginnt schließlich Ausbildung zum Bürokaufmann am Berufsförderungswerk in Hamburg (mit internatsartiger Unterbringung) Herr B. - Sexuelle Entwicklung • Angeblich im 12. Lj. sexueller Missbrauch durch einen unbekannten, älteren Mann (Bahnhofsmilieu): über einige Tage in dessen Wohnung festgehalten, sadistische Übergriffe inkl. gewaltsamem Analverkehr • Fraglich manchmal Flashbacks / Alpträume • Seit Pubertät durchgängig sexuelle Fantasien (u. Impulse) bezogen auf – jüngere, prä- bis frühpubertäre Mädchen (→ Pädophilie) – mit Gewaltfantasien (schlagen, fesseln, vergewaltigen → sexueller Sadismus) – Nachts i.d.R. Anziehen von weiblicher Kinderunterwäsche, zum Schlafen, aber auch zur Masturbation (→ transvestitischer Fetischismus) Herr B. - Sexuelle Entwicklung • Häufig Selbstbefriedigung, z.T. mehrmals täglich, starke Beschäftigung mit devianten Fantasien, auch tagsüber, dadurch auch Beeinträchtigung der Konzentration • Schreibt z.T. deviante Fantasie-Geschichten (die einmal einem Betreuer aufgefallen waren) • Nie Hands-on-Delikte bekannt geworden • Nie reale sexuellen Beziehungen Herr B. - Behandlung • Seit 14 J. psychiatrische und supportivpsychotherapeutische Behandlung; alle 2, später alle 3-4 Wochen. Therapeut als Vaterfigur. • Parallel sozialpsychiatrische Maßnahmen: – betreute Wohneinrichtung, enge Kooperation – beschützter Arbeitsplatz in Behinderteneinrichtung – später juristische Betreuung wegen Geldproblemen Herr B. - Behandlung • Zunächst medikamentöse Behandlung mit einem SSRI: darunter bessere Kontrolle über pädosexuellsadistische Impulse • wegen weiterhin ausgeprägter Fantasietätigkeit nach einem Jahr Umstellung auf antihormonelle Behandlung (LHRH-Analogon): → starke Abnahme sexueller Aktivität (Selbstbefriedigung) und Fantasien, insgesamt stabiler, konzentrationsfähiger • Aber: zeitweise Compliance-Probleme wegen Trauer über verlorene Sexualität • Noch vorhandene Fantasien werden zunehmend weniger deviant: v.a. weniger gewalttätig, fantasierte Partnerinnen (angeblich): jugendliche → junge erwachsene Frauen Herr B. - Behandlung • Zeitweise Neuauftreten bzw. Verstärkung einer Spielsucht (Ersatz für reduzierte Sexualität?) • Seit 9 J. Beziehung zu einer ca. 10 J. älteren, psychisch behinderten Frau (mit sexuellen Traumatisierungen): – Regelmäßig sexueller Kontakt mit Küssen, Streicheln, Petting, aber kein Vaginalverkehr (was ihr recht ist) – (verzögerte) Erektion und Orgasmus (aber nur wenig Ejakulation) möglich – Zeitweise Wunsch nach stärkerer Sexualität • (nach seinen Angaben) keine devianten Fantasien und Impulse mehr • Pat. vermeidet Versuche, Medikament abzusetzen. Gründliche Diagnostik Integration verschiedener therapeutischer Möglichkeiten Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! [email protected] [email protected]