20.10.2011 Multimodale Behandlung von Kindern mit Trennungsängsten Dr. Kristina Wulf, Dipl.-Psych. Praxis Adrian & Wulf, Köln Diagnosekriterien Trennungsangst Angst vor Verlust der Hauptbezugsperson Angst vor Trennung von Hauptbezugsperson Verweigerung, die Schule zu besuchen Verweigerung, alleine zu Hause/ auswärts zu schlafen Angst, alleine/ ohne die HBP zu Hause zu sein Albträume zum Thema Trennungen Auftreten somatischer Symptome (Übelkeit, Bauch-, Kopfschmerzen) Extremes Leiden vor, während oder nach der Trennung Definition Trennungsangst Definition: emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters (ICD 10: F 93.0) Entwicklungsvoraussetzungen Spätes Säuglingsalter (6- 12 Monate): Bewusstsein des Unterschiedes zwischen Selbst und anderen Angst vor fremden Personen, vor Trennung Kleinkindalter (2- 4 Jahre): nicht zwischen Phantasie und Realität unterscheiden können Angst vor Phantasiegestalten, Dunkelheit, Trennungsangst, Spezifische Phobien 1 20.10.2011 Diagnostik Spezifische Diagnostik Trennungsängste keine Fragebögen zu Trennungsängsten CASI (Fragebogen zu Angstsensitivität) (Silverman et al., 1991) Fragebögen mit Items zu Trennungsängsten FBB-ANG (DISYPS) (Döpfner & Lehmkuhl, 2005) SCAS (Veröffentlichung in Artikeln, z. T. dt. normiert und validiert) (Spence, 1997) SCARED (Veröffentlichung in Artikeln, z. T. dt. normiert und validiert) (Birmaher et al., 1997) Anamnese!, u. U. Verhaltensbeobachtung Anlage Wichtige Forschungsergebnisse: • Temperament (behaviorale Hemmung, Angstsensitivität) • Wahrnehmung (Wahrnehmungs- und Interpretationsbias in gefährlichen Situationen) • Kognition (vermeidender Copingstil) Umwelt Trennungsangst Emotionen Verhalten Kognitionen Wichtige Forschungsergebnisse: • Bindung (Bindungstyp, mütterliche Sensitivität) • Trennungserfahrungen (frühe außerhäusliche Betreuung (z. B. Kiga)) nicht: andere Trennungserfahrungen • Elterlicher Erziehungsstil Mittelfristige Probleme Rückzugsverhalten Vermeidungsverhalten Aggressives Verhalten Langfristige Probleme Schulprobleme Freizeitverhalten Soziale Probleme Allgemeines Konzept der TA Arbeitshypothesen: Trennungsängste als Folge von Traumatisierung (seltener, oft eher initialer Auslöser) Trennungsängste als Folge von chronischer / aktueller Überforderung (häufiger) Verweigerung der Trennung als Ausdruck von völligem Rückzug auf sicheres Terrain Differentialdiagnostik: Klärung, dass Angstfokus nicht woanders liegt Hat das Kind zu Hause eine Aufgabe? Liegt ein traumatisierendes Trennungsereignis vor? Liegt eine aktuelle/chronische Überforderungssituation vor? 2 20.10.2011 Modell der Aufrechterhaltung Angst, dass dem Kind etwas passiert Traumatische Trennungen Vermeidung d. Bestrafung Zuwendung, Nähe Sit. nach Sit. ↓ Angst ↓ Angst → Angst Angst des Kindes größere Nähe Bestätigung „es Ärger in der vor Trennung Verlängerung der könnte etwas dran Familie Situation sein“ Erfolgsdruck für ↑ Angst v. Trennung ↑ Angst v. Trennung Kind ↑ Angst v. Trennung Interventionsmodule Psychoedukation Information/ Störungskonzept Kompetenzen Aufbau von Selbständigkeit Kognitionen Selbstbild Mut/ Ängste Eltern Situationsbedingungen Situationsstruktur/ Belohnung Vermeidungsverhalten Vermittlung Therapiekonzept/ Graduierte Konfrontation Psychoedukation Rückfallprophylaxe Beginn der Therapie Was passiert vor der Intervention? 3 20.10.2011 Psychoedukation Eltern Kind Lehrer/ Erzieher • Anamnese • Zielklärung • Allgemeine Information über Angst • Information über Trennungsangst • Entwicklung Störungsmodell Wichtig! Am Alter ausgerichtet ist häufig eine Vermittlung komplexer Inhalte im Vorfeld an die Kinder nicht sinnvoll. Die Reflexionsfähigkeit, v. a. über die eigenen Kognitionen aber auch über das eigene Handeln, ist begrenzt. Angstskalierung im Vorfeld häufig zu differenziert. Kinder entlasten: Andere Kinder haben auch Dein Problem. Ich kann Dir helfen, das Problem zu lösen. Zielklärung Ziel 1 Peter geht wieder normal zur Schule Ziel 2 Peter geht zum Gitarrenunterricht Ziel 3 Peter trifft sich mit seinem Freund (bei seinem Freund) Ziele individuell, lebensnah und konkret formulieren! Hat ordnenden Charakter Ist bereits Intervention! Information über TA (Eltern / Lehrer) Als Informationsblatt mitgeben Vorher oder anschließend besprechen Angst als normale Reaktion Was ist Trennungsangst? Erscheinungsbild Ursachen und Auslöser 4 20.10.2011 Kognitionen Kind Eltern • Selbstbild „Mut“ installieren • Modifikation eigener Ängste • Modifikation anderer Fehlvorstellungen „Kind macht das extra“ Parallel zu Psychoedukation vor allem mit dem Kind kognitive Interventionen beginnen Vorsicht vor falschen Schuldzuschreibungen bei den Eltern – Stichwort Überbehütung Mutblatt Bei jüngeren Kindern malen, bei älteren schreiben (evtl. auch über eine Liste). Weg zum Ziel _____________s Weg zum Ziel Trage alle Mut-Sterne am Wegrand ein! 5 20.10.2011 Exposition Familie ggf. Lehrer/ Erzieher • Vermittlung Therapiekonzeptes • Expositionsübungen mit graduierter Konfrontation Expositionskonzept: Situationen müssen geübt werden Beruhigung: Niemand wird überfordert. Kleinschrittig, wenn nötig Eltern helfen, geduldig zu sein Konzept anhand der ersten konkreten Planung deutlich machen. Jüngere Kinder lernen v.a. durch Sehen und Tun > Expositionsstufen im Prozess erarbeiten. Ritualisierung der Stunde > Sicherheit und Berechenbarkeit Therapievertrag Ich lasse mir die Zähne wie beim letzten Mal polieren und die Spucke mit einem kleinen Sauer absaugen. Mama muss vorher alles genau dem Zahnarzt erklären. Ich nehme mein Stofftier mit. Eine Schleichfigur. Ziele Ziele malen oder aufschreiben Ziele GENAU definieren: Verhalten für Kind UND Mutter/Vater planen Alle weiteren planbaren Umweltfaktoren mit planen Unbeeinflussbare Umweltfaktoren ansprechen und Handlungsmöglichkeiten überlegen Notausgang einplanen bzw. Abbruchregel definieren!!! Das Kind muss genau wissen, worauf es sich einlässt und abschätzen, ob es das schaffen kann. Eltern und Kind müssen genau wissen, was sie zu tun haben. 6 20.10.2011 Ausrüstung und Belohnung Ausrüstung Übergangsobjekte (z. B. Schlaftuch) Hilfsmittel zur Durchführung der Übungen (z. B. Handy für „Notrufe“) Belohnung Aushandlungssache zwischen Kind und Eltern Klein Gut in den Alltag integrierbar Zeitnah (möglichst am selben Tag) z. B. Spielzeit, Vorlesezeit, Legoeinzelteile o. ä. Merkzettel Übungen Eltern Sprechen Sie die Übungssituation vorher mit dem Kind genau ab. Kein Thema mehr. Führen Sie die Trennung auf jeden Fall durch. Beruhigen Sie Ihr Kind, aber versuchen Sie nicht, ihm die Angst auszureden. Vermitteln Sie Ihrem Kind Sicherheit. Trennen Sie sich möglichst schnell. Halten Sie in der Trennungssituation körperliche Nähe möglichst gering. Ihr Kind und Sie bilden ein Übungsteam. Merkzettel Therapeut Ziel auch bei Stagnation verfolgen (ggf. mit Modifikation). Keine neuen Ziele planen, bis die alten nicht geschafft sind. Misserfolge als Lernerfahrung interpretieren (für Therapeut, Kind, Eltern). Gelerntes für nächste Übungsplanung nutzen. Fortschritte und Erfolge sichtbar machen (Kindern: Bilder, Punkteschlangen etc. Jugendliche: Aufschreiben, evtl. Videoaufnahmen) In der Therapie jede Form der angemessenen Belohnung nutzen (Kinder sehen Fortschritte oft als selbstverständlich an, Eltern sehen sie als Behebung eines Missstandes). 7 20.10.2011 Kompetenzen Familie • Aufbau von Selbständigkeit Wenn Kompetenzdefizit die Exposition hemmt. Ansonsten durch Behandlung meist automatisch Autonomiegewinn. Altersentsprechend Selbständigkeit erfragen und verbessern: jüngere Kinder: Anziehen, Ausziehen, Teller auf-, wegräumen ältere Kinder: Aufgaben im Haushalt übernehmen Psychoedukation - Prophylaxe Familie • Zusammenfassung zentraler Therapieinhalte (v. a. Exposition und Selbstbild) • Rückfälle besprechen • Verabschiedung Merkzettel für Übungen mitgeben, Blanko-Vertrag mitgeben Angst vor wieder auftretender Symptomatik nehmen! Kinder: vermitteln, dass sie jetzt keine Hilfe mehr benötigen (z. B. Urkunde als abschließender Verstärker und Symbol erfolgreicher Bewältigung) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 8