Wo ist sie hin, die Lust am Lernen? – Ein Bericht

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Katrin Gossner,
Kinder- und Jugendpsychologin FSP, Mitglied der Mediengruppe VSKZ
Wo ist sie hin, die Lust am Lernen? – Ein Bericht aus dem Kindergarten
Motivation oder vielmehr fehlende Lernmotivation ist eine häufige Fragestellung in der
Schulpsychologie und ein komplexes Feld in der Forschung. Woher nimmt der Schüler oder
die Schülerin die Motivation zum Lernen? Ist es Eigenmotivation, Erfolg, Belohnung oder
Druck? Warum lernen einige Kinder eigenmotiviert und andere nicht?
Kürzlich besuchte ich einen Kindergarten, um ein verhaltensauffälliges Kind zu beobachten.
Dabei kam mir eine Untersuchung aus meiner Studienzeit zur intrinsischen Motivation in den
Sinn. Es ging um die Überbelohnung bzw. den Korrumpierungseffekt. Marc Lepper et al.
(1973) gaben Vorschulkindern farbige Stifte zum Malen. Die Zeit, welche die Kinder
daraufhin mit Malen verbrachten, wurde als Motivationsgrad gemessen. Zu einem zweiten
Zeitpunkt wurden die Kinder in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe wurde einfach
aufgefordert, ein Bild zu malen. Den Kindern der zweiten Gruppe wurde eine Belohnung
versprochen. Gegenüber der dritten Gruppe wurde die Belohnung nicht erwähnt, aber die
Kinder erhielten eine unerwartet. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden den Kindern die Stifte
einfach hingelegt. Die Kinder, denen man beim letzten Mal eine Belohnung angekündigt
hatte, malten ohne angekündigte Belohnung kaum. Die Kinder aus den anderen beiden
Gruppen (unerwartete Belohnung und keine Belohnung) malten weiterhin begeistert. Diese
Studie zeigt, dass eine ausbleibende erwartete Belohnung die intrinsische Motivation
verringern kann.
Warum kam mir diese Studie bei meinem Kindergartenbesuch in den Sinn?
Die Kinder wurden angeleitet, verschiedene Posten, z.B. Malen, Basteln, Spielen und
Puzzeln, zu erledigen. Wenn sie die einzelnen Anforderungen erfüllt hatten, bekamen sie auf
einen Blatt Punkte dafür. Ziel war es, eine bestimmte Punktzahl zu erreichen. Dann galten
die "Arbeiten" als erledigt. Somit wurde bei vielen Kindern das Blatt mit den Punkten zum
positiven Ziel, aber nicht die Tätigkeit an sich. Die Kinder erledigten die einzelnen Posten
nicht mehr aus Selbstzweck, sondern es ging nur noch darum, möglichst viele Punkte zu
sammeln. Die intrinsische Motivation wurde hier durch eine unpassende Belohnung
korrumpiert. Dies war nicht nur bei dem von mir beobachteten Kind der Fall, sondern auch
bei einigen anderen Kindern.
Was bedeutet das für den pädagogischen Alltag?
Kindern kann durch Belohnung im falschen Moment die Eigenmotivation genommen werden,
so dass sie in der Folge Lern- bzw. Spielerfahrungen nur noch in Erwartung einer Belohnung
machen. Ich würde mir wünschen, dass Kindern hier mehr Zeit gelassen wird, aus eigenem
Antrieb eine Tätigkeit zu beginnen und dass Erwachsene, insbesondere bei kleinen Kindern,
wirklich erst dann eingreifen oder lenken, wenn es wirklich notwendig wird. Dieses
Abwartenkönnen, ob ein Kind das Puzzle vielleicht ganz aus eigenem Antrieb
zusammensetzen will und vielleicht zehn Wiederholungen dafür benötigt, ist nicht immer
einfach und mag auf Aussenstehende passiv wirken. Aber die Geduld, welche die
Lehrperson hier aufbringt, ist für ein Kind ein Geschenk. Geduld setzt Vertrauen voraus,
dass das Kind selbst die richtige Lösung für sich findet. Dieses Vertrauen stärkt das Kind in
seinem Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit und steigert somit den Lerneffekt.
Für das Kind, das zu beobachten ich mir vorgenommen hatte, war genau diese Gelassenheit
der Lehrperson der Schlüssel zum Erfolg. Nur so konnte es selbst zur Ruhe kommen, um
sich aus eigenem Antrieb und ohne Punktezwang mit Gegenständen auseinanderzusetzen
Katrin Gossner,
Kinder- und Jugendpsychologin FSP, Mitglied der Mediengruppe VSKZ
oder Tätigkeiten auszuprobieren. Selbstverständlich waren damit nicht alle
Verhaltensschwierigkeiten beseitigt, aber es hat zu einer Beruhigung der gesamten Situation
geführt. Das Kind stand nicht mehr so stark unter Druck, und die Kindergärtnerin konnte sich
nun auch anderen Kindern widmen.
In welchen Situationen sind Belohnungen hilfreich, in welchen eher nachteilig für die
kindliche Motivation?
Belohnungen für Verhaltensweisen, die das Kind von sich aus gern macht, sind unnötig und
können die intrinsische Motivation verringern. Für Tätigkeiten dagegen, die das Kind ungern
ausführt, kann eine gezielte, zeitbegrenzte passende Belohnung, zum Beispiel ein
Punktesystem, durchaus sinnvoll sein. Was immer als unterstützend erlebt wird, ist ein Lob.
Dies sollte kein generelles sein, wie "Du hast dies aber schön gemalt!", sondern ein ganz
konkretes auf das Bild bezogenes Lob, zum Beispiel "Du hast das Bild so lebendig gemalt,
dass ich mir genau vorstellen kann, wie das Flugzeug abhebt!". Damit wird die Kompetenz
des Kindes in den Vordergrund gestellt. Dies erhöht wiederum die Motivation, positiv erlebtes
Verhalten zu wiederholen.
Literatur:
Lepper et al. (1973). Undermining children's intrinsic interest with extrinsic reward: A test of the
"overjustification" hypothesis. Journal of Personality and Social Psychology, 28(1), 129-137.
Die Autorin
Katrin Gossner ist Fachpsychologin für Kinder und Jugendliche und Regionalstellenleiterin des
Schulpsychologischen Dienstes in Baden. Seit 2010 ist sie ausserdem selbstständig als Coach und
Psychotherapeutin in Zürich tätig.
Katrin Gossner,
Kinder- und Jugendpsychologin FSP, Mitglied der Mediengruppe VSKZ
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