GERHARD ROTH WARUM ES SO SCHWIERIG IST, SICH UND

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GERHARD ROTH
WARUM ES SO SCHWIERIG IST, SICH UND
ANDERE ZU ÄNDERN?
Motivationsrelevante Erkenntnisse der Hirnforschung
INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG
UNIVERSITÄT BREMEN
 G. Roth, 2016
AUSGANGSPROBLEM
Die meisten Bundesbürger befürworten ganz generell einen
sorgfältigeren Umgang mit den Energieressourcen, die Ziele des
Klimaschutzes und auch die Energiewende.
Viel weniger Menschen ziehen daraus Folgerungen für ihr eigenes
Verhalten.
Noch weniger Menschen verändern entsprechend ihr Verhalten
nachhaltig und langfristig.
„Je mehr die Leute über die Energiewende sprechen, desto
weniger tun sie etwas“ (de Haan, 2013)
Warum ist dies so?
PROBLEME DER AKZEPTANZ VON
APPELLEN ZUR ENERGIEWENDE
Appelle werden befolgt,
• wenn die Inhalte der Botschaft klar und widerspruchsfrei und die
Verkünder der Botschaft glaubwürdig sind. Unglaubwürdig sind
diese dann, wenn sie schnelle Kehrtwendungen in ihren
Botschaften machen bzw. sich nicht an die eigenen Appelle halten.
• wenn die verlangten Veränderungen des Verhaltens mit den bisherigen Lebenserfahrungen übereinstimmen, also einleuchtend
sind (z.B. „Erhaltung der Umwelt und sorgfältiger Umgang mit
Ressourcen sind wichtig“, aber auch „Sparen lohnt sich für mich“).
• Wenn den Angesprochenen Zeit gegeben wird, die komplexen
Motive sich gegenseitig abarbeiten und Überzeugungen reifen zu
lassen.
GEHIRN, BEWUSSTSEINSWANDEL UND
VERHALTENSÄNDERUNG
Der Blick ins Gehirn zeigt uns, warum Information nicht automatisch zu Einsicht und Einsicht nicht automatisch zum Handeln
führt.
Kognitive Informationsverarbeitung findet auf „Ebenen“ des Gehirns
statt, die nicht direkt etwas mit Gefühlen und Absichten zu tun
haben.
Gefühle und Absichten werden nur in Handeln umgesetzt, wenn
zwischen bewussten Motiven auch unbewusste Motive und
tiefgreifende Persönlichkeitseigenschaften angesprochen werden.
Dies geschieht auf verschiedenen „Ebenen“ des limbischen
Systems.
Seitenansicht des menschlichen Gehirns
Großhirnrinde
Kleinhirn
Innenansicht
des menschlichen Gehirns
Das limbische
System ist Sitz der
bewussten und
unbewussten
Gefühle und
Motive und damit
unserer Persönlichkeit
Hypothalamus
(nach Spektrum der
Wissenschaft,
verändert)
Limbisches
System
Untere limbische Ebene
Ebene unbewusst wirkender angeborener Reaktionen und Antriebe:
Schlafen-Wachen, Nahrungsaufnahme, Sexualität, Aggression –
Verteidigung – Flucht, Dominanz, Wut usw.
Diese Ebene ist überwiegend genetisch oder durch vorgeburtliche
Einflüsse bedingt und macht unser Temperament aus. Sie ist durch
Erfahrung und Erziehung kaum zu beeinflussen.
Hierzu gehören grundlegende Persönlichkeitsmerkmale wie
Offenheit-Verschlossenheit, Selbstvertrauen, Kreativität, VertrauenMisstrauen, Umgang mit Risiken, Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit,
Verantwortungsbewusstsein.
Mittlere limbische Ebene
Ebene der unbewussten emotionalen Konditionierung: Anbindung elementarer Emotionen (Furcht, Freude, Glück, Verachtung,
Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung) an individuelle Lebensumstände.
Die Amygdala ist auch der Ort unbewusster Wahrnehmung
emotionaler kommunikativer Signale (Blick, Mimik, Gestik,
Körperhaltung, Pheromone).
Diese Ebene macht zusammen mit der ersten Ebene (Temperament)
den Kern unserer Persönlichkeit aus. Dieser Kern entwickelt sich
in den ersten Lebensjahren und ist im Jugend- und Erwachsenenalter nur über starke emotionale oder lang anhaltende Einwirkungen
veränderbar.
Obere limbische Ebene
Ebene des bewussten emotional-sozialen Lernens: Gewinn- und
Erfolgsstreben, Anerkennung–Ruhm, Freundschaft, Liebe, soziale
Nähe, Hilfsbereitschaft, Moral, Ethik.
Sie entwickelt sich in später Kindheit und Jugend. Sie wird wesentlich
durch sozial-emotionale Erfahrungen beeinflusst. Sie ist entsprechend
nur sozial-emotional veränderbar.
Hier wird zusammen mit den unteren Ebenen die soziale Relevanz
grundlegender sozial relevante Persönlichkeitsmerkmale festgelegt
wie Machtstreben, Dominanz, Empathie, Verfolgung von Zielen und
Kommunikationsbereitschaft .
Kognitiv-sprachliche Ebene
Gehirn: Linke Großhirnrinde, bes. Sprachzentren und präfrontaler
Cortex.
Ebene der bewussten sprachlich-rationalen Kommunikation:
Bewusste Handlungsplanung, Erklärung der Welt, Rechtfertigung
des eigenen Verhaltens vor sich selbst und anderen.
Sie entsteht relativ spät und verändert sich ein Leben lang. Sie
verändert sich im Wesentlichen aufgrund sprachlicher Interaktion.
Hier lernen wir, wie wir uns darstellen sollen, um voran zu
kommen. Abweichungen zwischen dieser Ebene und den anderen
Ebenen führen zur Diplomatie, zum Opportunismus, zur
Ausrede oder zur Verstellung.
Funktionale Gliederung der Großhirnrinde
BEWEGUNGSVORSTELLUNGEN
MOTORIK
ANALYSE
PLANUNG
ENTSCHEIDUNG
SOMATOSENSORIK
KÖRPER
RAUM
SYMBOLE
SEHEN
SPRACHE
BEWERTUNG
AUTOBIOGRAPHIE
OBJEKTE
HÖREN GESICHTER
SPRACHE SZENEN
Veränderbarkeit und Verhaltensrelevanz der vier Ebenen
Die untere limbische Ebene (Temperament) hat den stärksten
Einfluss auf unser Verhalten, ist aber am wenigsten veränderbar.
Die mittlere limbische Ebene hat einen ebenfalls großen Einfluss
auf unser Verhalten. Veränderungen auf dieser Ebene sind jedoch
nur schwer zu erreichen, und zwar durch das Ansprechen individuell-emotionaler Motive und langes Einüben.
Die obere limbische, d.h. sozial-emotionale Ebene hat einen
geringeren Verhaltenseinfluss. Sie ist im wesentlichen durch
soziale Interaktion und Kommunikation veränderbar.
Die kognitiv-sprachlich-rationale Ebene hat von sich aus keinen
Einfluss auf unser Verhalten, sondern immer nur in Verbindung mit
den anderen Ebenen.
MASSNAHMEN ZUR VERÄNDERUNG DES
VERHALTENS VON MITMENSCHEN
1. ANORDNUNG UND BEFEHL
„Ab Anfang kommenden Monats treten folgende Änderungen in
Kraft… Wir erwarten, dass sich jeder an diese Anordnung hält,
sonst…“.
Vorteil: Sofortige Wirkung, keinerlei Vorbereitungen nötig.
Nachteil: Einschüchterung aufgrund einer Machtposition, die
immer einschränkend wirkt, nicht kreativ. Veränderungen wirken
nur so lange, wie Drohungen real sind, dann werden sie sofort
wieder eingestellt. Drohungen und Macht wecken bei den meisten
Menschen das Bedürfnis nach Vergeltung.
2. DER APPELL AN VERSTAND UND EINSICHT
„Die Situation erfordert die und die „alternativlosen“ Maßnahmen.
Das wird jeder einsehen, der sich unvoreingenommen mit der
Lage beschäftigt“.
Vorteil: Tatsächliche oder vorgebliche Unausweichlichkeit der
Maßnahmen. Kritiker können als uninformiert oder geistig
beschränkt dargestellt werden.
Nachteil: Der Appell an Verstand, Vernunft und Einsicht allein hat
keinerlei Einfluss auf das Verhalten – es gibt im Gehirn keine
direkten Verbindungen zwischen dem „Sitz“ von Verstand und
Intelligenz und den verhaltenssteuernden Zentren.
3. DER APPELL AN DIE SOLIDARITÄT
(„Druck auf die Tränendrüse“)
„Wir sitzen alle in einem Boot. Veränderungen sind dringend nötig,
jeder muss das Seine dazu beitragen!“
Vorteil: Momentane Emotionalisierung, Solidarisierung, Begeisterung.
Nachteil: Der Effekt ist meist nur vorübergehend und abhängig
von der Solidarität der Anderen und der Glaubwürdigkeit der
Appellanten. Der Addressat fragt sich bewusst oder unbewusst:
Was habe ICH letztlich davon?
Paradox: Solidarität hat nur dann eine lang anhaltende Wirkung,
wenn sie individuelle Vorteile bietet, sonst lässt sie schnell nach.
4. DAS ANSPRECHEN INDIVIDUELLER
EINSTELLUNGEN UND BEDÜRFNISSE
Menschen ändern sich in ihren Einstellungen und ihrem Handeln
nur dann, wenn sie damit bewusst oder unbewusst einen Vorteil
bzw. eine Belohnung verbinden.
Belohnungen könnten materieller Art (Ersparnisse, Prämien,
Vergünstigungen), sozialer Art (Erfolg, Ansehen, Macht) und
intrinsischer Art (Freude am Gelingen, Handeln aus Überzeugung) sein.
Dabei wirkt eine materielle Belohnung am schnellsten, verliert ihre
Wirkung aber auch am schnellsten. Bei der sozialen Belohnung
geht dies etwas langsamer. Nur die intrinsische Belohnung erschöpft sich nicht in ihrer Wirkung.
ZEITLICHE DISKONTIERUNG DER BELOHNUNGSERWARTUNG
Höhere Attraktivität früherer, aber kleiner Belohnung gegenüber späterer,
aber großer Belohnung. Der Verlauf der Diskontierung ist stark persönlichkeitsabhängig, d.h. bei risiko-aversiven Personen fällt sie stärker aus, bei
risiko-freudigen schwächer.
BEHARRUNGSVERMÖGEN
Das größte Hemmnis gegen einen Bewusstseinswandel und eine
Verhaltensänderung bei der Energiewende ist die tief in uns verwurzelte Tendenz zum „Weitermachen wie bisher“.
Das Festhalten an Gewohnheiten wird vom Gehirn durch das
Ausschütten von „Belohnungsstoffen“ verstärkt („liebe Gewohnheiten“). Dies dämpft Änderungs- und Zukunfts-ängste, die gerade
in Deutschland stark verbreitet sind.
Jeder Aufruf zur Verhaltensänderung muss eine Belohnung in
Aussicht stellen, die größer ist, als die Belohnung, die wir durch
das „Weitermachen wie bisher“ erhalten.
Striato-Pallidum
als Zentrum von
Gewohnheiten
Striato-Pallidum
WAS BEDEUTET DAS ALLES FÜR DEN
BEWUSSTSEINS- UND VERHALTENSWANDEL IM
RAHMEN DER ENERGIEWENDE?
BESSERE INFORMATIONSPOLITIK
• Die öffentlichen Informationen, Botschaften und Appelle zum
Klimawandel und zur Energiewende müssen einfach, klar und
widerspruchsfrei sein. Es ist für den Bürger völlig demotivierend,
wenn sich die Hauptakteure, vor allem Regierung und Wirtschaft,
widersprechen..
• Besonders wichtig ist dabei die Glaubwürdigkeit der Akteure,
d.h. es muss der Eindruck vermieden werden, die Appelle dienten
nur dem politischen Tagesgeschäft und die vorgeschlagenen
Maßnahmen nur der Erhöhung des eigenen Profits.
BEZUG AUF DEN ALLTAG UND DIE
DENKWEISEN DER BÜRGER
• Informationen und Appelle müssen so formuliert sein, dass ein
durchschnittlicher Bundesbürger damit etwas anfangen kann, d.h.
nicht zu nebulös, nicht zu moralisierend, nicht zu technizistisch,
nicht zu ökonomistisch.
• Der Bürger muss sofort erkennen können: Es geht um mich und
meine Probleme! Von mir wird Umdenken und Anders-Handeln
verlangt, nicht von „den Anderen!“ Kein „man müsste mal…“
• Realismus beim Propagieren materieller Belohnungen. Wenn
materielle Anreize im Vordergrund stehen, folgt unausweichlich die
Enttäuschung (Solarenergie!).
KONKRETE ANLEITUNG ZUM HANDELN
• Vorgehen in kleinen Schritten, denn dies unterläuft die in
Deutschland verbreitete Veränderungsangst. Zwischen
Nahzielen und Fernzielen unterscheiden.
• Vorbilder nennen! „Was der kann, kann ich auch!“ Vorbilder
reduzieren ebenfalls stark die Veränderungsangst.
• Übergang von materiellen Anreizen über soziale Anreize
(öffentliche Anerkennung, Auszeichnungen usw.) zur intrinsischen Belohnung („ich tue das, weil ich verantwortungsvoll
handeln will!“).
• Positive und negative Rückmeldungen in glaubhafter Weise
vermitteln.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart
10. Aufl. 2015
VIELEN DANK FÜR IHRE
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Die Leitveranstaltung der Energiewende in Deutschland fand in 2016 vom 11. bis zum 13. April
im Ludwig Erhard Haus in Berlin statt.
Weitere Informationen und viele Vortragsunterlagen zu über 300 Vorträgen aus 54
Veranstaltungen im Rahmen der Berliner ENERGIETAGE 2016 finden Sie unter
www.energietage.de
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