GERHARD ROTH ENERGIEWENDE ERFORDERT BEWUSSTSEINSWANDEL Anmerkungen aus Sicht der Hirnforschung Teil 1: Einführung Symposium „Klimawandel im Kopf“ Ausgangssituation Die generelle Bereitschaft zum sorgsamen Umgang mit den Energieressourcen ist in der Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit weit verbreitet. Dennoch bleiben Energiesparmaßnahmen in der Wirtschaft wie auch im Privathaushalt weit hinter den Erwartungen und Erfordernissen zurück. Es herrschen Verwirrung, Skepsis, Misstrauen, Abwarten und die Tendenz zum „Weitermachen wie bisher“. Dasselbe gilt für den Ausbau alternativer Energien. Auch hier ist die allgemeine Zustimmung zu einer „Energiewende“ hoch, notwendige Realisierungsmaßnahmen (neue Stromtrassen, Mega-WindkraftAnlagen usw.) werden aber oft von betroffenen Bevölkerungsgruppen abgelehnt und von Betreibern halbherzig angegangen. Wie lässt sich diese Diskrepanz von allgemeiner Bereitschaft und mangelnder Umsetzung erklären? Warum ist ein Bewusstseinswandel so schwierig? Alltagserfahrungen Wir gehen im Privatleben ebenso wie im Berufsleben davon aus, dass Menschen sich in ihren Einstellungen und ihrem Handeln ändern, wenn wir ihnen nur triftige Argumente dafür nennen. Wir stellen aber oft fest, dass Menschen entweder (1) unsere Argumente nicht begreifen oder akzeptieren, oder (2) unsere zwar Argumente akzeptieren, auch Einsicht zeigen und versprechen, sich zu ändern, dies aber nicht tun, oder (3) sich nur vorübergehend ändern, dann aber wieder zum früheren Verhalten zurück kehren. Woran liegt das? Die meisten Menschen sind eher veränderungsscheu! Headey/SOEP (2006): Die meisten Menschen sind in ihrer positiven oder negativen Lebenshaltung sehr stabil, nur eine Minderheit (ca. ein Viertel) zeigt starke Schwankungen. Typen: (1) „Ausgeglichener Typ“ (2) „Ständiger Optimist“ (3) „Ständiger Pessimist“ (4) „Neutraler Typ mit stärkeren Ausschlägen nach oben und unten“ (lebhaft, emotional) (5) „Neutraler Typ mit schwachen Ausschlägen nach oben und unten “ (gefühlsarm) (6) „Jumper“ nach oben oder nach unten aufgrund positiver bzw. negativer Lebensumstände SOEP=Sozioökonomischer Panel des DWI Berlin Information – Einsicht – Handeln Informationen, auch wenn sie scheinbar klar sind, führen nur dann zu Einsicht, wenn sie sowohl kognitiv, als auch emotional zu den bisherigen individuellen und sozialen Lebenserfahrungen eines Menschen passen. Einsicht führt nur dann zu verändertem Handeln, wenn sie mit der bewussten, intuitiven und unbewussten Persönlichkeit und den dazu gehörenden Motiven und Zielen eines Menschen passen. Der bloße Appell an die Einsicht hat noch niemanden geändert! Seitenansicht des menschlichen Gehirns Großhirnrinde Kleinhirn Längsschnitt durch das menschliche Gehirn Das limbische System ist Ursprung unserer unbewussten und bewussten Emotionen und Motive Hypothalamus (nach Spektrum der Wissenschaft, verändert) Limbisches System Querschnitt durch das menschliche Gehirn auf Höhe des Hypothalamus Großhirnrinde Hypothalamus Untere limbische Ebene Ebene unbewusst wirkender angeborener Reaktionen und Antriebe: Schlafen-Wachen, Nahrungsaufnahme, Sexualität, Aggression – Verteidigung – Flucht, Dominanz, Wut usw. Diese Ebene ist überwiegend genetisch oder durch vorgeburtliche Einflüsse bedingt und macht unser Temperament aus. Sie ist durch Erfahrung und Erziehung kaum zu beeinflussen. Hierzu gehören grundlegende Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit-Verschlossenheit, Selbstvertrauen, Kreativität, Vertrauen, Umgang mit Risiken, Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und generelle Veränderungsbereitschaft. Mittlere limbische Ebene Ebene der unbewussten emotionalen Konditionierung: Anbindung elementarer Emotionen (Furcht, Freude, Glück, Verachtung, Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung) an individuelle Lebensumstände. Hier entstehen auch Belohnungserwartungen im Zusammenhang von Verhaltensänderungen. Die Amygdala ist auch der Ort unbewusster Wahrnehmung emotionaler kommunikativer Signale (Blick, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Pheromone). Diese Ebene macht zusammen mit der ersten Ebene (Temperament) den Kern unserer Persönlichkeit aus. Dieser Kern entwickelt sich in den ersten Lebensjahren und ist im Jugend- und Erwachsenenalter nur über starke emotionale oder lang anhaltende Einwirkungen veränderbar. Mesolimbisches System (Substantia nigra, ventrales tegmentales Areal, Nucleus accumbens) : Nucleus accumbens Reaktion auf positive, neuartige bzw. überraschende Reize Antrieb durch Versprechen von Belohnung (Dopamin) Belohnungssystem (hirneigene Opioide u.a aus Hypothalamus) Ventrales Tegmentales Areal Motivation und Belohnungserwartung Belohnungserwartungen sind die Grundlage von Motivation. Menschen ändern ihr Verhalten nur dann, wenn dies mit einer konkreten Belohnungserwartung verbunden ist. Alle Belohnungen haben als „letzte Endstrecke“ die Ausschüttung von „Belohnungsstoffen“ (hirneigenen Opioiden). Bereits die Erwartung von Belohnung führt ebenfalls zur Ausschüttung von „Belohnungsstoffen“. Dies empfinden wir als „Vorfreude“. Aktivierung des mesolimbischen Systems (VTA-Nucleus accumbens) bei GewinnErwartung Knutson B. et al. (2003) Neuroimage, 18:263-272. Obere limbische Ebene Ebene des bewussten emotional-sozialen Lernens: Gewinn- und Erfolgsstreben, Anerkennung–Ruhm, Freundschaft, Liebe, soziale Nähe, Hilfsbereitschaft, Moral, Ethik. Sie entwickelt sich in später Kindheit und Jugend. Sie wird wesentlich durch sozial-emotionale Erfahrungen beeinflusst. Sie ist entsprechend nur sozial-emotional veränderbar. Hier wird d zusammen mit den unteren Ebenen die Ausprägung sozial relevanter Persönlichkeitsmerkmale festgelegt wie Machtstreben, Dominanz, Empathie, Verfolgung von Zielen und Kommunikationsbereitschaft. Diese Ebene bestimmt auch unser soziales Verantwortungsgefühl. Funktionale Gliederung der Großhirnrinde BEWEGUNGSVORSTELLUNGEN MOTORIK ANALYSE PLANUNG ENTSCHEIDUNG SOMATOSENSORIK KÖRPER RAUM SYMBOLE SEHEN SPRACHE BEWERTUNG AUTOBIOGRAPHIE OBJEKTE GESICHTER HÖREN SPRACHE SZENEN Empathie und soziales Gewissen Selbst empfundener Schmerz und empathischer Schmerz Empathie ist die Grundlage sozialer Motivation! Kognitiv-sprachliche Ebene Gehirn: Linke Großhirnrinde, bes. Sprachzentren und präfrontaler Cortex. Ebene der bewussten sprachlich-rationalen Kommunikation: Bewusste Handlungsplanung, Erklärung der Welt, Rechtfertigung des eigenen Verhaltens vor sich selbst und anderen. Sie entsteht relativ spät und verändert sich ein Leben lang. Sie verändert sich im Wesentlichen aufgrund sprachlicher Interaktion. Hier lernen wir, wie wir uns darstellen sollen, um voran zu kommen. Abweichungen zwischen dieser Ebene und den anderen Ebenen führen zur Diplomatie, zum Opportunismus oder zur Verstellung. Funktionale Gliederung der Großhirnrinde BEWEGUNGSVORSTELLUNGEN MOTORIK SOMATOSENSORIK KÖRPER RAUM SYMBOLE ANALYSE PLANUNG ENTSCHEIDUNG SPRACHE SEHEN BEWERTUNG AUTOBIOGRAPHIE HÖREN HÖREN SPRACHE SPRACHE OBJEKTE GESICHTER SZENEN Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit Veränderbarkeit und Verhaltensrelevanz der vier Ebenen Die untere limbische Ebene (Temperament) hat den stärksten Einfluss auf unser Verhalten, ist aber am wenigsten veränderbar. Die mittlere limbische Ebene hat einen ebenfalls großen Einfluss auf unser Verhalten. Veränderungen auf dieser Ebene sind jedoch nur schwer zu erreichen, und zwar durch das Ansprechen individuell-emotionaler Motive und langes Einüben. Die obere limbische, d.h. sozial-emotionale Ebene hat einen geringeren Verhaltenseinfluss. Sie ist im wesentlichen durch soziale Interaktion und Kommunikation veränderbar. Die kognitiv-sprachlich-rationale Ebene hat von sich aus keinen Einfluss auf unser Verhalten, sondern immer nur in Verbindung mit den anderen Ebenen. Ohne Emotionen keine Veränderung! ICH DANKE IHNEN FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT