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SUCHT: - Die theoretischen Grundlagen für die Soziale Arbeit
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von A. Knoll
Andere Persönlichkeitstheorien
Der Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe hat Anfang der siebziger Jahre zwei suchttherapeutische
Ausbildungsrichtungen entwickelt. Gleichzeitig mit dem psychoanalytischen Kurs wurde noch eine
verhaltenstherapeutische Ausbildung verwirklicht. Damit lehnte sich der Gesamtverband an den gesetzlichen
Rahmen an, der Ende der neunziger Jahre zum Psychotherapeutengesetz führen sollte. Psychoanalyse und
Verhaltenstherapie gelten als Standardverfahren der Psychotherapie, die von den Krankenkassen anerkannt
werden.
In der Tradition der Suchtkrankenbehandlung entwickelte sich allerdings seit Beginn der siebziger Jahre
noch eine neue Richtung, die lange um ihre Anerkennung kämpfen mußte, obwohl sie sehr schnell die größte
Verbreitung fand. Dabei handelt es sich um die sogenannten „humanistischen Verfahren“, die unter anderem
als Gestalttherapie, Psychodrama und Gesprächspsychotherapie bekannt geworden sind. Diese Verfahren
werden von den Kostenträgern nur teilweise anerkannt.
Schließlich haben sich seit Mitte der achtziger Jahre die Systemischen Therapien verbreitet. Hierzu gehört
besonders die Familientherapie, der wir viel für das Verständnis der Co-Abhängigkeit von Partnern und
Familienangehörigen zu verdanken haben.
Die Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie basiert auf den Forschungen der Lerntheorie. Diese sucht im Gegensatz zur
Psychoanalyse nicht nach einer einheitlichen Alkoholikerpersönlichkeit mit unbewußten Störungen. Die
Lernpsychologie stellt die Frage nach meßbarem und sichtbarem Verhalten sowie nach der Funktion, die der
Alkohol- und Drogenmißbrauch erfüllen soll. Allen lerntheoretischen Modellen liegt eine gemeinsame
Annahme zugrunde. Der zufolge ist exzessiver Alkoholkonsum ein gelerntes Verhalten, welches durch
neuerliches Lernen wieder beseitigt oder verändert werden kann. Der Alkoholiker kann also das
Alkoholtrinken auch wieder verlernen.
Am Fall Stefan soll das verdeutlicht werden:
Wir haben ja erfahren, daß Stefan im Alter von 12 Jahren in einem Spielmannszug angemeldet wurde,
weil der Vater der Meinung war, er müsse mal raus aus der Familie und sich mit Seinesgleichen
auseinandersetzen. Da Stefan dies, wegen der Überbehütung durch seine Mutter, nicht gelernt hatte,
beängstige und überforderte ihn aber diese Situation. Zufällig geriet er nun an die durch den Alkohol
ausgelösten Empfindungen. Nachdem er mit anderen Kindern die Reste aus den Bier- und
Schnapsgläsern der Erwachsenen ausgetrunken hatte fühlte er sich stärker und sicherer, so daß er auch
gut mit den anderen Kameraden in Kontakt kam. Stefan hatte also gelernt, daß er mit Hilfe des Alkohols
den Anforderungen der sozialen Welt im Spielmannszug besser gewachsen war. Außerdem sah er, daß die
Erwachsenen ebenfalls tranken. Diese Menschen hatten für ihn einen Vorbildcharakter. Folglich waren
sie ein Modell für ihn, dessen Verhalten er ebenfalls erlernte. Gleichzeitig erhielt er positive
Rückmeldungen zu seinem Trinkverhalten, denn die Erwachsenen akzeptierten ihn und nahmen seine
Beteiligung an ihren Gesprächen ernst. Und schließlich wirkte die Reaktion der Mädchen, auf seinen
alkoholbedingten Charme, als weiterer mächtiger Verstärker. Stefan hatte nun gelernt, daß er mit der
Hilfe von Alkohol seine sozialen Kontakte erfolgreich bewältigen kann.
Es gibt zwei klassische lerntheoretische Schulrichtungen.
Die Stimulus-Organismus-Reaktions-Theorie beruht auf Lernversuchen mit Tieren und Menschen aus
den vierziger Jahren. Ein Stimulus ist irgendein Reiz, der auf einen Organismus triff und der beobachtet
werden kann. Was dann im Organismus geschieht kann man nicht sehen. Vom Organismus allerdings geht
nun wieder eine beobachtbare Reaktion (Response) aus.
Zum Beispiel: Beobachtbarer Stimulus = Kälte – Nicht beobachtbare Reaktion des Organismus = Frieren
– Beobachtbare Reaktion = Pullover anziehen.
Im Falle von Stefan bestand der erste Stimulus, der beobachtet werden konnte im Gemeinschaftsleben des
Spielmannszuges. Dies konnte von einem Außenstehenden beobachtet werden. Seine innerpsychische
Empfindung darauf, also seine Ängste, konnten nicht gesehen werden. Aber seine Reaktionen, wie z.B.
erröten, stottern und sich zurückziehen waren wieder von außen sichtbar.
Nach dieser lernpsychologischen Theorie werden von den Menschen diejenigen Verhaltensweisen erlernt,
die zur Verminderung von Spannungszuständen im Organismus führen. Die Herabsetzung der Spannung, die
durch Hunger erzeugt wird, kann man durch Essen bewirken. Die Herabsetzung der Spannung, die durch
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soziale Kontakte erzeugt wurde, konnte Stefan mit Alkoholtrinken erreichen. Die Spannungsminderung
selbst wirkt nun wie eine Belohnung, weil die Reaktion auf den Ursprungsreiz als erfolgreich erlebt wurde.
Nachdem Stefan gelernt hatte, seine Spannungsgefühle im Spielmannszug mit Alkohol zu bewältigen, freute
er sich nun immer auf seine Belohnung, den Alkohol. Den Teufelskreis zwischen Spannung und Belohnung
bei Stefan haben wir ja bereits kennengelernt. Er ist charakteristisch für viele Trinkerkarrieren.
Das Transaktionale Modell stellt die gegenseitige Beziehung zwischen Individuum und Umwelt in den
Mittelpunkt. Demnach ist alles Verhalten durch seine Konsequenzen bestimmt. Die Umwelt verteilt positive
und negative Verstärker und lenkt somit das Verhalten. Im Falle von Stefan haben die Erwachsenen und die
Mädchen positiv auf sein, durch den Alkohol verändertes Verhalten reagiert und es somit bestätigt, also sein
Verhalten verstärkt.
Man unterscheidet bei diesem Modell zwei Arten des Verhaltens. Da ist zum einem das Verhalten,
welches als Reaktion auf einen ganz bestimmten Reiz erfolgt. Es wird „Respondece“ genannt. Z.B. Stefan
wurde einmal von seinen Kameraden im Spielmannszug ausgelacht, weil ihn seine Mutter zur Probe
gebracht hat und ihm beim Abschied noch einige ermahnende Worte mit auf den Weg gab. Als die
Kameraden dies mitbekamen verspottenten sie ihn als Muttersöhnchen. Stefan reagierte darauf indem er
sofort an die Theke des Übungslokales ging und dort einen doppelten Korn bestellte. An diesem Abend kam
Stefan zum ersten mal betrunken nach Hause.
Trinker kennen dieses Verhalten zur genüge: Ein Streit mit der Ehefrau hat ein Besäufnis zur Folge, der
Ärger mit Kollegen muß mit einem doppelten Aßbach runtergespült werden, Sieg oder Niederlage der
Fußballmannschaft wird begossen. In der Lerntheorie nennt man dieses Verhalten „klassisches
konditionieren“. Es ist aus vielen Tierversuchen gut bekannt.
In Ergänzung dazu steht das „operante Verhalten“. Es wird nicht durch einen bestimmten Auslöser
erzeugt, sondern in Erwartung einer Belohnung. Stefan freute sich stets wenn er zum Spielmannszug gehen
konnte, weil er erwartete, daß es nach den Umzügen Alkohol zur Belohnung gab. Oder: er trank Alkohol, um
anschließend von den Erwachsenen bestätigt und akzeptiert zu werden. Viele Menschen, nicht nur Trinker,
kennen das, wenn sie ein Schnäpschen oder ein Glas Sekt trinken, um anschließend „gut drauf zu kommen“.
Die Belohnung kann auf zweierlei weisen erfolgen. Erstes durch positive Verstärkung und zweitens
durch den Wegfall negativer Verstärker. Z.B.: Stefan du bist klasse weil du schon so männlich und
erwachsen mit uns reden kannst; und: Stefan du bist kein Muttersöhnchen.
In den allermeisten Fällen hängen operantes Lernen und klassisches Konditionieren eng zusammen. Bei
Stefan kann man gut sehen, wie er einerseits den Alkohol gebraucht weil er einen unangenehmen Reiz
verarbeiten muß und zum anderen weil er eine Belohnung wünscht.
Grundsätzlich muß man zur Verhaltenstherapie sagen, daß sie uns sehr gute Einblicke in das sichtbare
und messbare Verhalten suchtkranker Menschen gibt. Sie macht jedoch keine Aussagen über die innere
Verfassung dieser Menschen.
In vielen modernen Behandlungskonzepten werden heute allerdings Verhaltenstherapeutische Methoden
mit psychodynamischen Theorien und Konzepten kombiniert.
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