Die Angst hat viele Gesichter Referentin: Dipl.-Psychologin Naima Bertal Sozialpsychiatrische Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie Dr. med. Nawid Peseschkian Langgasse 36, 65183 Wiesbaden www.peseschkian.org Seite: 1 1 Angst – eine Überlebenstechnik Warnung vor Gefahren Körperliche Reaktionen Richtige Maßnahmen ergreifen bzw. Entscheidung treffen 2 3 Entwicklungspsychologisch typischen Ängste Altersbereich Häufige Ängste 1-2 Jahre Trennungsängsten, Angst vor fremden Menschen, fremden Gegenständen, lauten Geräuschen und Höhe 2-4 Jahre Angst vor Tieren, der Dunkelheit und dem Alleinsein 4-6 Jahre Angst vor Fantasiegestalten (Gespenster, Monster) und vor Naturereignissen (z.B. Gewittern) 7-10 Jahre Schulische Ängste (Angst vor Versagen, schlechten Noten und der Bewertung durch andere), Angst vor dem Tod, vor Ärzten und Spritzen) gleichzeitig Abnahme der früheren Ängste 4 Wann geht die Angst über Entwicklungsaufgaben hinaus? sie unangemessen stark ist – Leidensdruck hoch sie zu häufig und zu lange auftritt man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren man Angstsituationen häufig vermeidet (Angst vor der Angst) Erhebliche Einschränkungen im Alltag Folgeprobleme Starker Leidensdruck des Kindes Körperliche Beschwerden Selbstbewusstsein usw. Verunsicherung der Eltern im Umgang 5 Störungsbilder 6 Angststörungen • Phobische Störungen • Agoraphobie • Panikstörung • Soziale Phobie • Isolierte Phobien • Schulphobie • Schul- und Leistungsängste (Prüfungsängstlichkeit) • Soziale Ängste und Unsicherheiten • Generalisierte Angststörung (Überängstlichkeit) 7 Epidemiologie Starke Trennungsängst 1-4% Phobien 2,4-5,8% Verhältnis: 3:2 (Mädchen:Jungen) (Remschmidt, 2000, S.207) Bei Phobien > Mädchen stärker betroffen Mädchen 3,8%, Jungs 3,7% (4-10 Lj.) betroffen von Ängsten in Schulen > deutschsprachigen Raum, bundesweit, (PAKKID-Studie; Döpfner et. Al. 1997) 8 Schulphobie Ist – entgegen der Bedeutung des Begriffes – keine auf die Schule gerichtete Angst, sondern im Kern eine Trennungsangst. Das Kind weigert sich (meist längerfristig) in einer übermäßig engen Bindung an die primäre Bezugsperson – meist die Mutter – die Schule aufzusuchen. 9 Schul- und Leistungsängste Körperliche Beschwerden Oder scheinbar unerklärlicher Leistungsabfall Kind kann (will) seine Angst nicht benennen Angst als Reaktion auf Überforderung Prüfungsängstlichkeit 10 Angst als Reaktion auf Überforderung Externalisierte oder internalisierte Verhaltensweisen – Aggression, Rückzug, usw Intellektuelle Überforderung: V. a. falsche Beschulung > IQ-Test indiziiert Überforderung wg. unentdeckter Defizite: LRS, RS, ADS, ADHS Familiäre Überforderung: Konflikte, Tod/Erkrankung, keine förderliche Strukturen Soziale Überforderung: Angst vor Mitschüler etc. 11 Prüfungsängstlichkeit Angst zu versagen und Sorgen Körperliche Anspannung, Herzklopfen, unruhig, nervös Denkt an mögl. Misserfolge und Konsequenzen („werde es nie schaffen“, „Meine Eltern werden schimpfen, usw.) Beginnt Tage vor Prüfung Einschlafprobleme Klagen über Bauchweh/Übelkeit Schlechte Leistung (können nicht umsetzen, BlackOuts) Hohe Ansprüche 12 Vertiefend … Schulphobie, bzw. Trennungsangst Schul- und Leistungsängste 13 Trennungsangst Fallbeispiel: Lars (2. Schuljahr) immer stärkere Ängste sich von Mutter zu trennen (Situationen: Schule, kurz einkaufen) zunächst Einschlafprobleme, später wollte Lars nur noch im Ehebett schlafen Lars macht sich Sorgen, dass der Mutter etwas zustoßen könnte Folglich: Weigerung bei Trennungssituationen, auch Wutanfälle, unglücklich, körperliche Beschwerden, Alpträume 14 Differentialdiagnose der Schulverweigerung Schulphobie Schulangst Schulschwänzen Angst in der Schulsituation Stark ausgeprägt Vorhanden, wechselnde Intensität Fehlt Somatisierung Stark Wechselnd Fehlt Persönlichkeit Ängstlich, sensitiv Ängstlich, sensitiv Aggressiv, dissozial Intelligenz Durchschnittlich bis hoch Durchschnittlich, heterogenes Profil Durchschnittlich bis niedrig Lernstörung Fehlen Häufig vorhanden Kann vorhanden sein oder Fehlen Lernmotivation Hoch Gestört Niedrig Elternverhalten überprotektiv, bindend Unspezifisch Vernachlässigt Schulbesuch Mit Wissen der Eltern chronisch unterbrochen Mit Wissen der Eltern sporadisch unterbrochen Ohne Wissen der Eltern sporadisch /chronisch unterbrochen 15 Die Behandlung der Schulphobie 16 Das Ziel jeder Angstbehandlung ist ... den Patienten einen verbesserten Umgang mit der Angst zu ermöglichen: Erwartungsangst zu reduzieren in der Angstsituation zu verbleiben neue Erfahrungen zu machen Angstreduktion zu erleben Und mehr … 17 Methoden: Verhaltenstherapeutische Interventionen Systemische Interventionen Tiefenpsychologische Ansätze Beratung 18 Erste Interventionsschritte … Verhaltenstherapeutische Maßnahmen in Zusammenarbeit mit Kind Eltern Schule (hier Lehrer, Schulpsychologen, Sozialpädagogen) 19 ... bezogen … auf das Kind: Verringerung der Angstsymptomatik und der Beeinträchtigungen Wie erreichen wir das? 20 Verringerung der Angstsymptomatik Die Bausteine der Verhaltenstherapie sind Verhaltensanalyse Kognitive Techniken Training von speziellen Fertigkeiten Entspannungsverfahren Expositionstherapie 21 Angst hat immer vier Anteile 22 ... bezogen … Auf die Familie bezogene Interventionen: -Psychoedukation -Kooperation, Erziehungsberatung -Unterstützung der Expositionsdurchführung der Eltern 23 ... bezogen … Auf die Familie bezogene Interventionen: -Helferkonferenzen mit Schule begleiten -Notfallprogramm -Abbau familiärer Dysfunktionen (Erziehung, Partnerschaft, Bindungsmuster) 24 Behandlungsregeln bei Trennungsangst Phobisch besetzt ist die Trennung; das muss immer wieder verdeutlicht werden. Manche Eltern, die in symbiotischer Beziehung mit ihren Kindern leben, bedürfen einer individuellen Behandlung, die mit der Behandlung des Kindes nicht vermischt werden sollte. Kindern Trennungen zumuten, stärkt ihre Autonomie, heißt ihnen etwas zutrauen. 25 Behandlungsentscheidung bei Trennungsstörung Altersgerechte Trennungsangst ja nein Beratung ja Sozial relevante Trennungsangst? nein Alltagsfunktion beeinträchtigt? ja Probleme bei Bezugspersonen? ja Autonomie des Kindes stärken? nein Trennung einüben nein Separate Behandlung d. Eltern? ja Symbiotische Eltern-KindBeziehung? nein Behandlung von Kind und Eltern Kindzentrierte Behandlung 26 Diagnostik Kind/Jugendlicher – Störung & Ressourcen Familiäres Umfeld Schulisches Umfeld Einbindung aller Hauptbetroffenen Kind, Eltern und Lehrpersonen gemeinsamen Gespräch in der psychotherapeutischen Praxis oder der Beratungsstelle. 27 Familiendiagnostik Erziehungsstil, Familienklima, die Erwartungen der Eltern, und evtl. vorhandene Geschwisterrivalität einschränkendes mit häufigen Zurechtweisungen, überbehütende Haltung korrelieren mit höherer Ängstlichkeit des Kindes (Rapee, 1997; Zeidner, 1998). Die Familie in Tieren (Brem-Gräser, 1995) Satzergänzungstest 28 Kindzentrierte Exploration und strukt. Interviews Erarbeiten einer Bedingungsanalyse des Problemverhaltens mit dem Kind: relevanten Hinweisreize führen zum Angstanstieg Empfinden Kognitionen Wahrnehmung des Verhaltens der Lehrperson, Mitschüler wahrgenommen Erwartete Konsequenzen 29 Kindzentrierte Exploration und strukt. Interviews Schulische Anamnese: Reaktion auf Eintritt in den Kindergarten Schuleintritt Klassenwechsel Erste schulische Misserfolge, Erfolge und Lob durch die Lehrperson? 30 Beteiligt können sein: Leistungsdefizite des Kindes zu hohe Erwartungen der Eltern oder Lehrpersonen (Tanzer et al., 1993) Traumatisierend gestaltete Prüfungssituationen 31 Speziell bei der Prüfungsangst Kognitiver Dreierschritt einer inadäquaten Einschätzung (Jacobs, 1981): 1. der tatsächlichen Bedrohung 2. der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten 3. der Konsequenz des Versagens 32 Kognitive Merkmale der Prüfungsangst Im Vorfeld und in der Prüfungssituation: Katastrophisierende Annahmen beziehen sich auf: Prüfungssituation sich selbst Folgen eines Versagens aufgabenrelevanten Denkprozesse werden durch sorgenvolle Gedanken unterbrochen Gedächtnisinhalte sind blockiert. Nach einer Prüfung: Prüfungsergebnisse Bei Misserfolg als logische Folge eigener Mängel – intern/stabil Bei Erfolg als glücklicher Zufall attribuiert. – extern/variabe 33 Emotionale Merkmale der Prüfungsangst Im Vorfeld einer Prüfung: Unruhe, ängstlich, bedrückt, uww. In der Prüfungssituation selbst: Inneren Unruhe, bedrückte oder besorgte Stimmung, die sich in der Prüfungssituation zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung oder tiefen Depression steigern kann. 34 Physiologische Merkmale der Prüfungsangst Im Vorfeld einer Prüfung: Muskelverspannungen, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen auf. In der Prüfungssituation selbst: Herzklopfen, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Zittern, Harndrang oder Durchfallneigung häufige Körpersymptome. 35 Behaviorale Merkmale der Prüfungsangst Im Vorfeld einer Prüfung: Lernschwierigkeiten in Form von Konzentrationsstörungen Einsatz ungeeigneter Lernstrategien Vermeidung des Lernens. In der Prüfungssituation selbst: Situation wird als Kontrollverlust wahrgenommen. Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsfehlern. Konzentrationsstörungen bis hin zu einem Blackout Verspannung kann Stottern Sprechhemmungen zur Folge haben Insgesamt: Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. 36 angstfördernd Zuversicht in einer nächsten Prüfung verringert sich Beeinträchtigung des Selbstwerts Übersteigertes Angstempfinden Teufelskreis negativen Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen vermindert die Leistungsfähigkeit des Schülers negative Rückmeldung/ negativen Konsequenzen des schwachen Prüfungsresultats 37 Entstehung pathologischer Angst Klassische Konditionierung Operantes Konditionieren Zwei-Faktoren-Modell der Angst von Mowrer Modelllernen 38 Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer Initiale klassische Konditionierung CS (konditionaler Stimulus-Licht) UCS (unkonditionaler Stimulus-Schreckreiz) UCR (unkond. Angstreaktion) CR (konditionierte Reaktion) Operante Konditionierung Die UCR und CR sind unangenehm Antizipation des CS R (Vermeidung) C+ (Ausbleiben der CR-) Je variabler und unregelmäßiger dies erfolgt, umso stabiler wird das vermeiden konditioniert! 39 Angstkurven 40 „Yerks-Dodson-Gesetz“ Yerkes & Dodson (1908) beschrieben, dass eine optimale Leistung bei mittlerer Angst erzielt werden und sowohl zu wenig als auch zu viel Angst die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. 41 Behandlung I Aufmerksamkeitsverlagerung von prüfungsirrelevante Informationen (intrapsychische Zirkel) Negative Rückkoppelung mit Eltern und Lehrpersonen unterbrechen (Störmodell erklären) Anpassung der Anforderungen an die Leistungsfähigkeit Techniken der Selbstverbalisation Rollenspiele 42 Behandlung II Ankern von Kompetenzen Gedankenstopp Bearbeitung der kognitiven Verzerrungen Entspannungstraining zielt auf Aufgeregtheitskomponente Training aufgabenbezogener Aufmerksamkeit reduziert die Interferenz 43