Trennungsangst in der Kindheit Wegbereiter emotionaler Störungen

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Trennungsangst in der Kindheit
Wegbereiter emotionaler Störungen im
Erwachsenenalter
Prof. Dr. Silvia Schneider
Klinische Kinder- und Jugendpsychologie
Ruhr-Universität Bochum
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 1
Bedeutung der ersten Lebensjahre Schnee von gestern?
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 2
Risikoperiode Angststörungen
Beginn Angststörungen: 50% ≤ 11 Jahre 75% ≤ 21 Jahre • Vorschule
0
10
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 3
20
• Schule
• Frühe
• Jugend
40
Alter in Jahren
• Späte
• Jugend
60
80
Kessler et al., Arch. Gen. Psychiatry, 2005, 62, 593-­‐602 Risikofaktor:
Trennungsangst des Kindesalters
Erwachsenenalter
Kindheit
Risikostichprobe (N=113)
Trennungsangst
OR 8.4
Panikstörung
Repräsentative Stichprobe (N=1‘090)
Trennungsangst
Trennungsangst
OR 51.2
Panikstörung
OR 3.3
Angststörung
Schneider & Nündel, European Neuropsychopharmacology, 2002
Brückl, Wittchen, Höfler, Pfister, Schneider & Lieb, Psychotherapy and Psychosomatics , 2007
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 4
Stiefkind Trennungsangst
•  Trotz der Bedeutung von Trennungsangst kaum
Forschung zu Ätiologie und Behandlung
–  Lebenszeitprävalenz: 3-4 %
•  Bisher keine spezifische Therapiestudie zu
Trennungsangst
•  Therapieforschung mit Vorschul-/
Primarschulkindern so gut wie nicht existent
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 5
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 6
Integratives Modell zur
Angstentwicklung (Rapee, 2001)
Vererbung
Elterliche Angst
Angstbereitschaft
Erregung und Emotionalität
Vermeidung
Verzerrung der
Informationsverarbeitung
Umweltereignisse
Angststörung
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Unterstützung
von Vermeidung
Auswirkung der
Sozialen Umwelt
Ätiologie- und Therapiestudie
•  Umfassende Deskription
•  Familiäre Faktoren / Eltern-Kind-Interaktionen
•  Informationsverarbeitungsprozesse Kind/Eltern
•  Psychophysiologische Merkmale des Kindes
•  Familienbasierte Psychotherapie
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Stichprobe
Trennungsangst
Gruppe
N= 96
Klinische
Kontrollgruppe
N=49
Gesunde
Kontrollgruppe
N= 43
Alter Kind
8.8 (2.4)
(Range 4-15 J.)
9.5 (2.3)
(Range 5-14 J.)
9.8 (2.3)
(Range 5-14 J.)
Geschlecht
53% Mädchen
57% Mädchen
47% Mädchen
Diagnose /
100% TA /
Komorbidität 69% komorbid
51% SoPH, 27%
SpPH, 14% Andere
Angststörung /
59% komorbid
Keine
Alter Mutter
40.3 (4.8)
41.5 (4.9 J.)
40.4 (5.2)
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Störung mit Trennungsangst
•  Anhaltende, unangemessene
und starke Angst bei Trennung
von Bezugspersonen
•  Tritt ab dem Alter von 4-5
Jahren auf
•  Nicht zu verwechseln mit
Fremdeln/Tennungsängstlichkeit
im Kleinkindalter
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 10
Tanja, 10 Jahre alt, schläft im Zimmer ihrer Eltern. In
letzter Zeit kommt es regelmäßig zu Streit in der Familie.
Der Vater möchte nicht dulden, dass Tanja im elterlichen
Schlafzimmer übernachtet. Tanja entwickelt dann
ausgeprägte Wutanfälle, schlägt um sich, beschädigt
manchmal sogar Kleidungsstücke/Gegenstände. Sie schläft
unter Weinen ein, während die Mutter am Bettrand sitzt.
Nachts schleicht sie in das Bett der Mutter, ohne dass es der
Vater merkt. Sie leidet am Morgen unter starken
Bauchschmerzen, Übelkeit und dem Drang zu Erbrechen, so
dass sie seit Wochen die Schule nicht besuchen kann. Die
Eltern suchten mit ihr zahlreiche Ärzte auf, aber die
medizinischen Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf
eine organische Verursachung der Symptome. Erst nach
einer Operation, bei der prophylaktisch Tanjas Blinddarm
entfernt wurde, gingen die Bauchschmerzen für eine kurze
Zeit zurück. Nach Beginn des neuen Schuljahres traten die
Bauchschmerzen aber wieder in der alten Stärke auf und
Tanja begann erneut, die Schule zu vermeiden.
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 11
DSM-IV Trennungsangstsymptome
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 12
Allen, Lavallee, Herren, Ruhe & Schneider (2010) J Anx. Disord. 24, 946-952
Trennungsangsttagebuch: Häufigkeit von Trennungen
(MW), Angst während ängstlicher Trennung (MW, SD)
.63
(.70)
1.41
(.67)
.19
(.29)
©
.89
(.77)
.14
(.22)
Allen, Blatter-Meunier, Ursprung, Schneider (2010). J. of Clin. Child & Adolesc. Psych., 39, 252-259
Allen, Blatter-Meunier, Ursprung, Schneider (2010) Child Psychiatry Hum Dev, 41, 649-662
Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 13
Verhaltensbeobachtung in standardisierter
Trennungssituation mit Kind, Mutter & Vater
Signifikanter Angstanstieg:
•  Kind & Mütter TA-Gruppe >
Kind & Mütter KG
•  Mütter der KK > Mütter KG
•  Väter der TA-Gruppe zeigen
gleiche Tendenz
Emotionales Coaching
(Häufigkeit, MW)
**
**
Dauer bis zur Trennung:
•  TA-Gruppe>KK>KG
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 14
**
**
***d=1.7
***d=1.36
Elternmerkmale
(TA=51, KKG=17, KG=26)
•  Erhöhte elterliche dysfunktionale
Gedanken
–  Parental Beliefs Questionnaire
–  Nichts wird meinem Kind helfen, seine Angst
zu überwinden
Mother
Separation anxiety group
- *d=.97
Father
Clinical controls
- d=.70
-  Erhöhte Elterliche Trennungsangst
-  Parental Separation Anxiety Scale
-  Es ist für mein Kind zu schwierig, sich an
eine andere Betreuungsperson zu
gewöhnen
-  Geringe Elternkompetenzüberzeugung und -zufriedenheit
- *d=.94
Mother
Separation anxiety group
- *d=.89
Father
Clinical controls
- d=.55
-  Parenting Sense of Competence Scale
-  Mutter/Vater zu sein beängstigt/ belastet
mich
- *d=.83
Mother
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 15
Separation anxiety group
Father
Clinical controls
Vigilanz-Vermeidungsmuster schon bei Kindern?
Ergebnisse einer Eyetracker Studie (Bias Score)
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 16
In-Albon, Kossowsky, Schneider (2010), Journal of Abnormal Child Psychology, 38, 225-235
Zwischenfazit
•  Auch Eltern (insbesondere Mütter) von
trennungsängstlichen Kindern weisen erhöhte
Angstwerte und dysfunktionale Kognitionen auf
•  Kinder mit Trennungsangst zeigen ähnliche
Aufmerksamkeitsprozesse und
psychophysiologische Reaktionen wie
Erwachsene mit Angststörungen
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 17
Evidenzbasierte Behandlung von
Angststörungen im Kindesalter
–  KVT effektiv für die Behandlung von
Angststörungen im Kindesalter
Einschränkungen:
•  KVT nicht evaluiert für spezifische Angststörungen
(Ausnahme Sozialphobie)
•  Die meisten RCTs focussieren auf ältere Kinder
(>7 Jahre)
•  Inkonsistente Daten über den Einbezug der Eltern
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 18
In-Albon & Schneider (2007). Psychotherapy and Psychosomatics, 76, 15-24
Warum familienbasierter Ansatz?
•  Hinweise auf Zusammenhang von
Erziehungsstil / Bindung und klinisch relevanter
Angst im Kindesalter
•  Familiäre Häufung von Angststörungen
–  Familiäre Transmission kognitiver Stile und
Bewältigungsstrategien
–  „Emotionale Ansteckung“/Soziale Rückversicherung
–  ...
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 19
Schneider (2004). Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen. Berlin: Springer
Visuelle Klippe: Learning from mother’s
emotions?
Stimmungsinduktion
(Neutral)
Visuelle Klippe
Stimmungsinduktion
(Angst)
Visuelle Klippe
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 20
Video
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 21
Ergebnisse
Kein
Überqueren
“Crossing
time” (Sek.)
Ängstliche
Stimmungsinduktion
(N=31)
42 %
60.08 (48.45)
Neutrale Stimmungsinduktion (N=32)
11 %
34.34 (28.56)
d =.67
Moderatoren: Kein Einfluss von Temperament, mütterlicher habitueller
Angst/Depression
Mediatoren: Anzahl & Dauer Blickzuwendung Baby à Mutter,
Dauer kindliches Explorationsverhalten
Laufende Analysen: Stimmfrequenzanalyse
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 22
Bolten & Schneider (2010). Kindheit und Entwicklung, 19, 1-8
Schneider, Bolten, Meyer (submitted)
TAFF
Spezifische familienbasierte KVT
•  Fokus auf Eltern/Familie: 4 + 6 Sitzungen
•  Kind allein: 4 Sitzungen
•  Themen:
–  Psychoeduktion Angst
–  Bewältigung von Trennungssituationen als
Entwicklungsaufgabe
–  Dysfunktionale Gedanken der Eltern bzgl.
Trennungssituationen, Erziehung und Selbstkonzept
–  Verbesserung von Erziehungsfertigkeiten
–  Intensive Konfrontation in vivo
•  Kindgerechter Zugang und kindgerechte Materialien!
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 23
Wie fühlt sich Angst an?
Herzklopfen
Bauchweh
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 24
komisches Gefühl
im Bauch
Zittern
Schwindel
Kälteschauer
TAFF-Programm
Angst hilft beim schnellen Handeln
1. Flucht
2. Kampf
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 25
TAFF-Programm
Kind/Eltern: Psychoedukation
Wie viele von 100
Kindern haben eine
Angst-Krankheit
???
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 26
Verhalten
(an Bezugsperson
klammern, weinen)
Lerngeschichte:
• Zuwendung bei Angst
• Keine Zuwendung bei
mutigem Verhalten
• Traumatische
• Trennungserfahrung
• Ängstliche Modelle
(Freunde, Verwandte) KIND
ELTERN
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 27
Temperament
Gedanke
Körperliche Reaktion
Erziehungsstil
(besorgt/behütend)
Gefühl
Elternmerkmale:
•  Dysfunktionale Gedanken
•  Psychische Befindlichkeit
Elternsitzungen
•  Bearbeiten von dysfunktionalen Gedanken der
Eltern
–  „Mein Kind wird für immer Schaden nehmen, wenn ich
es mit seiner Angst allein lasse/die Angst zu stark wird“
–  „Ich bin eine schlechte Mutter, wenn ich mein Kind mit
seiner Angst allein lasse“
•  Konkretes Einüben des elterlichen Verhaltens bei
starken Angstreaktionen des Kindes
•  Einüben operanter Interventionen (Löschung,
Verstärkung)
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 28
Schneider (2003). TrennungsAngstprogramm Für Familien. Unpubliziertes Therapiemanual.
Exposition in vivo
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 29
Therapiestudien
Zwei randomisierte kontrollierte Therapiestudien
• 
• 
• 
1.  TAFFvs. Warteliste (8 Wochen): 5-7 Jahre alt
2.  TAFF vs. Coping Cat: 8-13 Jahre alt
Strukturierte Interviews (Eltern & Kind), “blinde” Interviewer
Verhaltensbeobachtung in Trennungssituation
Fragebogen (Eltern & Kind)
Therapeutinnen
• 
• 
• 
7 Psychologinnen mit KVT Training
Training in beiden Therapiemanualen,
mindestens 2 Therapien pro Bedingung durch
Wöchentliche Supervision
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 30
Therapiestudie 1
•  Effektivität familienbasierter KVT bei
Vorschulkindern mit Trennungsangst
Stichprobe:
N
TAFF
Warteliste
21
22
Alter in Jahren (m) 6.3 (5-7)
6.2 (4-7)
Geschlecht
(weiblich)
13 (59%)
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 31
12 (57%)
Schneider et al. (2011). Psychotherapy and Psychosomatics, 80, 206-215.
Prozent der Kinder mit TA nach
Warteliste bzw. Follow-Up (4 Wochen)
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 32
Schneider et al. (2011). Psychotherapy and Psychosomatics, 80, 206-215.
Trennungsangstinventar (TAI) –
Mutter- und Vaterangaben (Mittelwerte)
Mutter
Vater
• **d=1.4
d=1.1
*** d=1.6
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 33
n.s.d=0.3
** d=1.6
* *d=1.1
• ** d=1.1
Vermeidung: 0=„Nie“ 4=„Immer“
n.s.d=0.0
Cognitive-Behavioral Treatment for Separation
Anxiety Disorder
•  Resultate
–  TA Diagnose
•  Warteliste 81.8%,
Behandlungsgruppe 9.5%
•  FU1 9.3%
–  Global Success Rating
•  1=viel schlechter, 7=viel
besser
•  Durchschnitt alle Rater zu
beiden Messezeitpunkten:
6.2 – 6.7
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 34
Schneider et al. (2011). Psychotherapy and Psychosomatics, 80, 206-215.
Therapie Studie 2: Fragestellung
–  Benötigt erfolgreiche Behandlung der Trennungsangst
Einbezug der Eltern?
–  Ist störungsspezifische familienbasierte KVT erfolgreicher
als globales kognitiv-verhaltenstherapeutisches
Angstbehandlungsprogramm?
Stichprobe:
N
TAFF
Coping Cat
31
33
Alter in Jahren (m) 10.4 (1.5)
10.4 (1.5)
Geschlecht
(weiblich)
17
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 35
16
Schneider et al. (submitted)
Globale kindbasierte KVT:
Kurzcharakterisierung
Coping Cat Program
•  Globales KVT-Programm für
Spezifische/Soziale Phobie,
Generalisierte Angststörung,
Trennungsangst
•  Ausschließliche Behandlung des
Kindes
•  16 Sitzungen mit Kind
•  1 Sitzung mit Eltern
Kein Elterntraining
Kendall, P. C. (2000). Cognitive-Behavioral Therapy For Anxious Children:
Therapist Manual. Ardmore, PA (USA): Workbook Publishing.
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 36
Prozent der Kinder mit TA-Diagnose vor
und nach Therapie
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 37
Ergebnisse: Trennungsangstsymptomatik
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 38
Dysfunktionale elterliche Kognitionen
Mutter
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 39
Vater
Schlussfolgerungen und Ausblick
•  Angststörungen beginnen im Kindesalter
•  Störung mit Trennungsangst ist bedeutsamer Risikofaktor für
psychische Störungen des Erwachsenenalters
•  Eltern und Kind weisen kognitive und verhaltensbezogene
Auffälligkeiten auf
•  Erfolgreiche Behandlung mit familienbasierter KVT und kindbasierter
KVT möglich
•  Einbezug der Eltern scheint nicht zwingend zu sein
•  Kindertherapie = Prävention für das Erwachsenenalter?
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 40
Das Team, das dahinter steht...
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 41
Trennungsangst in der Kindheit
Wegbereiter emotionaler Störungen im
Erwachsenenalter
Prof. Dr. Silvia Schneider
Klinische Kinder- und Jugendpsychologie
Ruhr-Universität Bochum
© Prof. S. Schneider, WS 2010/11, Folie 42
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