MEDIZIN Nervenschmerz chirurgisch kurieren SCHMERZ HAT VIELE GESICHTER. In Österreich sind über 1,5 Millionen Menschen tagtäglich mit einer chronischen Form dieser subjektiven Sinneswahrnehmung konfrontiert. Der Nervenschmerz gilt diesbezüglich als Besonderheit und ist kein Zustand, mit dem man sich abfinden muss. OBWOHL die Aufmerksamkeit für Schmerzzustände stetig steigt und Betroffene sich an zahlreiche, auf Schmerz spezialisierte Institute wenden können, stellen chronische Schmerzsyndrome, zu denen Nervenschmerzen zählen, noch immer eine Herausforderung dar. Nicht selten suchen Patienten in ihrer Not unzählige Experten auf, um am Ende einer regelrechten Odyssee bedauerlicherweise doch keine Hilfe zu finden. Umso wichtiger sind die Sensibilisierung aller medizinischen Fachrichtungen sowie ein interdisziplinärer Ansatz in Bezug auf Diagnostik und Behandlung. VIELE FACETTEN, ERSCHWERTE DIAGNOSTIK © Veith Moser Schädigungen oder Erkrankungen des peripheren Nervensystems können unerträgliche Beschwerden und Funktionsstörungen hervorrufen, die von jedem Patienten höchst individuell empfunden und beschrieben werden. Zu den typischen Symptomen zählen Schmerzen, Gefühlsstörungen wie Par-, Dys-, Hypästhesien, Muskelschwäche und Muskellähmungen. Sie alle deuten darauf hin, dass ein Nerv verletzt, eingeengt oder irritiert ist. Die Diagnostik auf „moderner Ebene“ gestaltet sich oftmals schwierig, da derartige Problematiken mittels Bildgebung wie Röntgen oder CT nur bedingt sichtbar gemacht werden können. Untersuchungen mit hochauflösendem Ultraschall geben in manchen Fällen Aufschluss über den Zustand eines Nervs, weshalb dieser diagnostisch eine immer wichtigere Rolle spielt. Für eine exakte Diagnosestellung sind Anamnese, Klinik und die elektrophysiologische Abklärung unabdingbar. Diese „klassischen“ Untersuchungsmethoden beinhalten auch den Hoffmann-Tinel-Test, durch den elektrisierende Schmerzen im sensiblen Innervationsbereich distal der Einengung mittels Beklopfen ausgelöst werden können. Wenngleich die elektrophysiologische Untersuchung (NLG) bei manchen Patienten normal ist, obwohl eine Nerveneinengung vorliegt, nimmt sie einen wichtigen Stellenwert in der Diagnostik von Nervenkompressionssyndromen ein. Die enge Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Neurologie ist diesbezüglich von enormer diagnostischer Wartenberg-Syndrom; Nerv freigelegt: Gezeigt wird ein freigelegter Nervus radialis, der vermutlich aufgrund einer Jahre zurückliegenden Tendovaginitis von Gewebe eingeengt wurde 68 ÄRZTE KRONE 24/15 Wichtigkeit. Des Weiteren gilt, vor einem operativen Eingriff sämtliche Schmerzauslöser wie Fehlstellungen, Risse von Bändern und Sehnen, Gelenkabnutzungen und Entzündungen auszuschließen. Hierfür ist eine Abklärung derselben gemeinsam mit Experten aus dem Bereich Unfallchirurgie besonders hilfreich. UNTERSCHIEDLICHSTE SYNDROME MIT EINER GEMEINSAMKEIT Nervenkompressionssyndrome sind kein Phänomen unserer Zeit. Sie stellen seit Langem einen Teilbereich der plastischen Chirurgie dar und wurden bereits im 19. Jahrhundert beschrieben. Nerveneinengungen können den Kopf, die Hände, die Ellbogen, die Knie, die Füße, die Leiste sowie die Gelenke betreffen und sich außerdem nach Amputationen entwickeln. Das Patientengut setzt sich aus Diabetikern, Sportlern, Migränikern, Unfallopfern, Trägern künstlicher Gelenke sowie Krebspatienten zusammen, deren verschiedene Syndrome ein gemeinsames Phänomen vereint: unerträglicher Schmerz. Es gilt, für diese Betroffenen eine adäquate Lö- Tarsaltunnelsyndrom; Nervus tibialis eingeengt: Darstellung des komprimierten Nervus tibialis eines vom Tarsaltunnelsyndrom betroffenen Patienten sung zu finden, die die Schmerzzustände beendet oder lindert. Ein operativer Eingriff ist dann angezeigt, wenn der Patient auf eine Testblockade, die aus einem Lokalanästhetikum besteht und in den betroffenen Nerv zur Schmerzausschaltung eingebracht wird, entsprechend positiv reagiert. Ist nach der Injektion keine Verbesserung auszumachen, deutet das darauf hin, dass keine Indikation für eine Operation besteht. Wichtig ist grundsätzlich der Benefit des Patienten, weshalb die Diagnosestellung nur in Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen erfolgen sollte. EINGRIFFE AN HAND UND FUSS Das bekannteste Nervenkompressionsphänomen ist das Karpaltunnelsyndrom (CTS bzw. KTS), bei dem es sich um eine Einengung des Nervus medianus handelt. Es kann in der Schwangerschaft auftreten, kommt bei Frauen häufiger vor und betrifft 10% der Gesamtbevölkerung. Das Wartenberg-Syndrom ist sozusagen das „Karpaltunnelsyndrom des Nervus radialis“. Es wurde erstmals in den 30erJahren des 20. Jahrhunderts von Robert Wartenberg beschrieben und ist auch unter dem Namen Cheiralgia paraesthetica bekannt. Hierbei kommt es zu einer Einengung des Ramus superficialis des Nervus radialis, der sechs bis zehn Zentimeter proximal des Handgelenks radiodorsal am Unterarm durch die Faszie in das Subkutangewebe tritt und dort eingeengt wird. Die Folge sind Hyp-, Par- und Dysästhesien radial am Handrücken sowie Schmerzen und Missempfindungen im Daumen, Zeige- und Mittelfinger dorsal. Ein positiver Hoffmann-Tinel-Test am Kompressionsort ist äußerst wahrscheinlich, der Finkelstein-Test wiederum kann negativ ausfallen. Ursächlich für das WartenbergSyndrom sind in den meisten Fällen zu enge Uhr- oder Armbänder, Gipsverbände oder Handschellen, die für eine Druckschädigung verantwortlich zeichnen. Sprunggelenk-Denervation: Denervation des linken Sprunggelenks zur Schmerzausschaltung Doch auch Sehnenscheidenentzündungen, Diabetes mellitus sowie eine Zunahme des Muskelvolumens können das Syndrom auslösen. Das Tarsaltunnelsyndrom wiederum gilt als Pendant zum Karpaltunnelsyndrom und betrifft den Fuß. Der unterhalb des Innenknöchels verlaufende Nervus tibials wird massiv eingeengt und bereitet den Betroffenen erhebliche Probleme. Da der Platz im Tarsalkanal äußerst begrenzt ist, führt eine Zunahme des Volumens automatisch zu einer Nervenirritation, nicht zuletzt deshalb, da sich der Nerv den Kanal mit Schlagader und Sehnen teilen muss. Eine Spaltung des Retinaculums sowie eine Freilegung des Nervs sorgen in den meisten Fällen für eine Linderung. Konservative Maßnahmen helfen kaum bis gar nicht. GELENKDENERVATION: SCHONEND UND ÄUSSERST EFFEKTIV rantiert eine verbesserte Gelenkfunktion und kann auch bei schmerzhafter Arthrose zur Anwendung kommen. Dieser wenig invasive und kostengünstige Eingriff ist für das Handgelenk, die Handwurzel, die Fingergelenke, das Daumensattelgelenk, die Zehengrundgelenke, das Kniegelenk, das Ellbogengelenk, das Schultergelenk und das Sprunggelenk geeignet. Es handelt sich mitnichten um ein konkurrierendes Verfahren zur unfallchirurgischen oder orthopädischen Therapie, sondern kann bei ausbleibender Schmerzfreiheit als ergänzende Therapieoption in Betracht gezogen werden. Die Nachbehandlung erfolgt frühfunktionell und macht keine lange Rehabilitationsphase nötig. ZUSAMMENFASSUNG Nervenschmerzen beeinträchtigen das Leben der Betroffenen massiv und bedürfen einer adäquaten Therapie. Wichtig ist, jene Patienten herauszufiltern, die tatsächlich von einem operativen Eingriff profitieren können. Schmerzlinderung sowie eine Beendigung des Schmerzzustandes sind klare Ziele der Nervenchirurgie. Nicht zuletzt deshalb, weil viele Patienten andernfalls ihr Leben lang Schmerzen zu erleiden hätten oder von Schmerzmitteln abhängig wären. Eine frühzeitige Diagnostik und ein auf periphere Nerven spezialisierter Chirurg sind für einen Behandlungserfolg von enormer Wichtigkeit. Die periphere Nervenchirurgie befasst sich nicht nur mit durch Narben- oder Bindegewebe eingeengten oder aufgrund von Traumata verletzten Nerven, sondern hält auch Lösungen für jene Nervenfasern bereit, die aufgrund des Einbaus künstlicher Gelenke irritiert sind. Im Rahmen der Gelenkdenervation werden afferente Nervenfasern gezielt mikrochirurgisch durchtrennt, wobei die Oberflächensensibilität oder die motorische Innervation keinesfalls beeinflusst werden. Das Gelenk wird dabei nicht eröffnet, behält seine Funktion, ist danach aber Dr. VEITH MOSER schmerzfrei. Bis zu 20% jener 1. Wiener Nervenschmerzzentrum – Patienten, denen ein Gelenk Mag. Dr. Pia Hollosi, implantiert wurde, sind von Dr. Veith Moser, Dr. Arthur Schulz therapieresistenten Schmerzen www.nervenschmerz.com betroffen, was nicht zwangslä[email protected] fig an einer fehlerhaft durchgeführten Operation liegt. Oftmals werden Nervenfasern durch Mag. SONJA STREIT den Eingriff irritiert und senMedizinjournalistin den permanent Schmerzsignale, weshalb sie durchtrennt oder verlegt werden müssen. Das ga- © Roland Faistenberger Sulcus Nervi ulnaris – Einengung des Ellennervs am Ellbogen: massiv eingeengter ellenseitiger Ulnarisnerv) ÄRZTE KRONE 24/15 69