184 SCHLAF Forschung & Lehre 3|14 Der Traum eines jeden Schülers und Studenten Lernen im Schlaf | S U S A N N E D I E K E L M A N N | Ist es möglich, im Schlaf neue Dinge zu lernen? Hilft der Schlaf, zuvor gelernte Inhalte zu festigen? Und kann man im Schlaf sogar neue Einsichten gewinnen? Über das Stabilisieren, Reaktivieren und Umorganisieren von Gedächtnisinhalten im Schlaf. S eit Generationen fragen sich nicht nur Schüler und Studenten, ob es möglich ist, unsere alltägliche Schlafenszeit sinnvoll zu nutzen und quasi mühelos Vokabeln, Fakten oder Klavierspielen im Schlaf zu lernen. Ein ganzer Forschungsstrang hat sich in den letzten Jahren mit dieser Frage beschäftigt und ist zu einer interessanten Antwort gekommen: ja und nein. Neue Dinge zu lernen – das heißt, neue Informationen aufzunehmen und Zunächst werden neue Inhalte aufgenommen (gelernt) und als schwache und labile Gedächtnisspuren angelegt, die anfällig für eine Vielzahl von Störeinflüssen sind und leicht wieder vergessen werden können. Um die Erinnerungen langfristig behalten zu können, müssen sie nach dem Lernen gefestigt und in das Langzeitgedächtnis übertragen werden. Dieser Prozess wird als Konsolidierung bezeichnet und kann mehrere Stunden bis hin zu Monaten andauern. Stabile »Wir können uns an neu gelernte Dinge Gedächtnisinhalte können schließlich besser erinnern, wenn wir nach dem aus dem Langzeitgedächtnis abgeruLernen schlafen.« fen, das heißt erinnert werden. Das zu enkodieren – scheint im Schlaf nicht Lernen und der Abruf von Gedächtnis möglich zu sein. Schlaf hilft jedoch, zufinden am effektivsten im Wachzustand vor gelernte Inhalte zu festigen und zu statt. Die Konsolidierung von neuen stabilisieren und sie in das LangzeitgeInhalten erfolgt jedoch optimal im dächtnis zu übertragen. Neben dieser Schlaf. Stabilisierung von neuen Erinnerungen hat Schlaf auch eine reorganisierende Reaktivierung von GedächtnisFunktion für das Gedächtnis. So hilft inhalten uns Schlaf, Gedächtnisinhalte zu strukZahlreiche Studien zeigen: Wir können turieren und umzuorganisieren, sodass uns an neu gelernte Dinge besser erinneues Wissen und kreative Einsichten nern, wenn wir nach dem Lernen schlain Problemstellungen entstehen könfen, als wenn wir ein vergleichbar lannen. ges Zeitintervall wach verbringen. ZuGanz allgemein bilden sich Erinnedem sind neu gelernte Inhalte später rungen in einem dreistufigen Prozess. weniger anfällig für Störeinflüsse, wie z.B. das Lernen von neuem, ähnlichem AUTORIN Material, wenn wir nach dem Lernen geschlafen haben. Ein möglicher MeDr. Susanne Diekelmann ist wischanismus, der diesem förderlichen Efsenschaftliche Mitarbeiterin am fekt von Schlaf auf das Gedächtnis zuInstitut für Medizinische Psychologrunde liegt, ist die sogenannte Reaktigie der Universität Tübingen. vierung. In Tierstudien zeigte sich, dass diejenigen Nervenzellverbände, die beim Lernen aktiv sind, im darauf folgenden Schlaf erneut aktiviert werden. Man spricht von einem ‚replay‘ der lernassoziierten Hirnaktivität. Solche Reaktivierungen treten vor allem in der Tiefschlafphase auf und wurden auch beim Menschen mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie der Kernspintomographie nachgewiesen. Durch wiederholte Reaktivierung im Schlaf werden neue Gedächtnisinhalte, die zunächst in einer bestimmten Hirnstruktur, dem Hippokampus, zwischengespeichert werden, langsam in den Neokortex (den Langzeitspeicher) transferiert und dort in bereits bestehende Wissensnetzwerke integriert. Mit Hilfe von bestimmten externen Reizen kann man diese Reaktivierung im Schlaf verstärken und damit das Gedächtnis verbessern. In einer Studie lernten dafür Probanden am Abend zunächst ein Memory Spiel, welches das Lernen von 15 Kartenpaaren mit dazugehörigen Positionen beinhaltete. Während des Lernens wurde den Probanden ein Rosenduft präsentiert, der sich so mit den gelernten Kartenpaaren verknüpfte. Anschließend durften die Probanden schlafen, und während der Tiefschlafphase wurde ihnen erneut der Geruch präsentiert, um die assoziierten Gedächtnisinhalte zu reaktivieren. Am nächsten Morgen erinnerten sich die Probanden besser an die gelernten Kartenpaare, wenn sie mit dem Duft geschlafen hatten, im Vergleich zu einer Kontrollbedingung ohne Geruch. In einer weiteren Studie mit Kernspintomographie führte die Präsentation des Rosendufts im Tiefschlaf zu einer Aktivierung des Hippokampus sowie kortikaler Bereiche. Der Geruch scheint also die neuen Erinnerungen zu reaktivieren und damit den Transfer der neu gelern- SCHLAF Forschung & Lehre 185 Foto: picture-alliance 3|14 ten Inhalte in den kortikalen Langzeitspeicher anzustoßen. Einsicht in diese Regelhaftigkeit gewannen – erlaubte, das Endergebnis schneller zu erlangen. Nachdem alle Probanden die Aufgabe das erste Mal bearbeitet hatten, ohne Einsicht in die Regelhaftigkeit zu gewinnen, durfte eine Hälfte der Probanden schlafen, während die andere Hälfte wach blieb. Als die Probanden die Aufgabe nach der Schlaf- bzw. Wachphase ein zweites Mal bearbeiteten, gewannen ca. 60 Prozent der Probanden, die geschlafen hat- Forschung in einem Schlaflabor Gedächtnisinhalte strukturieund Erwachsenen die Aufgabe einmal ren und umorganisieren bearbeitet hatten, durfte wiederum jeSchlaf stabilisiert neue Gedächtnisinweils die Hälfte schlafen, und die andehalte jedoch nicht nur in der gelernten re Hälfte blieb wach. Danach wurden Form, sondern kann diese auch umordie Probanden gefragt, ob ihnen die Seganisieren und damit neues Wissen gequenz der Tastenfolge aufgefallen war nerieren. Anekdotischen Berichten zuund ob sie diese explizit wiedergeben folge gewannen einige große Erfinder können. Es zeigte sich, dass sowohl die entscheidende Einsichten im Schlaf. So Erwachsenen als auch die Kinder mehr soll zum Beispiel Dmitri explizites Wissen über Mendelejew die Anorddie Sequenz besaßen, »In einer Studie konnte gezeigt werden, dass nung der Elemente im Pewenn sie nach dem Lerriodensystem im Schlaf nen geschlafen hatten. Schlaf tatsächlich die Entstehung von neuen erschienen sein. In einer Bei den Kindern war dieEinsichten fördert.« Studie konnte gezeigt ser Effekt sogar noch werden, dass Schlaf tatgrößer: fast alle Kinder sächlich die Entstehung von neuen Einten, Einsicht in die Regelhaftigkeit, konnten nach dem Schlaf die komplette sichten fördert. In dieser Studie bewährend dies nur ca. 23 Prozent der achtstellige Sequenz aufsagen. Dies schäftigten sich Probanden zunächst Wachprobanden gelang. hängt möglicherweise damit zusammen, mit einer Aufgabe, deren Ziel es war, eiÄhnliche Ergebnisse erbrachte eine dass Kinder länger schlafen und einen ne Reihe von Zahlen durch die AnwenStudie, in der acht- bis elfjährige sehr viel intensiveren Tiefschlaf haben. dung bestimmter Regeln in eine neue Kinder sowie Erwachsene wiederholt Bedenkt man, dass gerade Kinder jeden Reihe von Zahlen umzuwandeln, um eine bestimmte Tastenfolge aufleuchTag eine Menge neuer Dinge lernen, ein Endergebnis zu erhalten. Was die tender Knöpfe auf einem Pult drücken zeigen diese Befunde umso deutlicher, Probanden nicht wussten war, dass es sollten. Keiner der Teilnehmer wusste, welch wichtige Funktion Schlaf für uneine bestimmte Regelhaftigkeit in der dass die Tastenfolge einer festgelegten sere Lernfähigkeit und die Bildung von Aufgabe gab, die es ihnen – sobald sie Sequenz folgte. Nachdem die Kinder Gedächtnis hat.