Kapitel 1: Die Mathematik der Quantenmechanik

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Kapitel 1:
Die Mathematik der Quantenmechanik
Übersicht:
1.1 Die lineare Algebra der Quantenmechanik
1.2 Bracket-Notation
1.3 Matrixdarstellung von Operatoren
Literatur:
K. Nipp, D. Stoffer, Lineare Algebra, 5.
Auflage, vdf Verlag 2002
P. W. Atkins, Molecular Quantum Mechanics,
5. ed.: Kapitel 1, Mathematical Background 4
H. Primas, U. Müller-Herold, Elementare
Quantenchemie, Kapitel 3 und 7.1
© www.shutterstock.com
Voraussetzungen:
Mathematik für Naturwissenschaftler I,II bzw. Mathematische Methoden I, II
PC II und PC III
Warum soll man sich mit der Quantenmechanik beschäftigen ?
“Die Quantentheorie ist eine der grossen kulturellen Leistungen unseres
Jahrhunderts und ein Teil der allgemeinen Bildung für all jene, die über die
mathematischen Voraussetzungen zu ihrem Verständnis verfügen. Die
eindrücklichen Erfolge der molekularen Quantenmechanik und ihr immenser
praktischer Wert lassen es vor allem für den experimentell arbeitenden
Naturwissenschaftler wünschenswert erscheinen, die Grundlagen der
Quantenchemie auch in den Einzelheiten tiefer zu verstehen.”
aus dem Vorwort zu Primas, Müller-Herold, “Elementare Quantenchemie”
Die Bedeutung der Quantenmechanik für die Chemie
Moleküle sind Quantensysteme: Ihre Struktur und Eigenschaften lassen sich mit
der Quantenmechanik beschreiben und verstehen
Die Quantenmechanik ist die grundlegende physikalische Theorie der Chemie:
Jeder chemische Prozess folgt den quantenmechanischen Gesetzen
Ein vertieftes Verständnis der Quantenstruktur von Molekülen und chemischen
Reaktionen ermöglicht es, Molekül- und chemische Eigenschaften besser zu
kontrollieren
1.1 Die lineare Algebra der Quantenmechanik
1.1.1 Vektorräume
Ein Vektorraum V ist eine Menge von Objekten (genannt Vektoren) mit den
folgenden Eigenschaften:
•
•
Es ist eine Addition definiert, so dass a+b=c mit {a,b,c} Vektoren aus V
Es ist eine Multiplikation eines jeden Vektors a aus V mit einer Zahl α
definiert, so dass αa wieder ein Element von V ist. Ist α reell (komplex), so
spricht man von einem reellen (komplexen) Vektorraum.
Des Weiteren gelten folgende Rechenregeln (mit {a,b,c} ∈ V, {α,β} ∈ ℝ oder C) :
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
a + b = b + a (Kommutativität der Addition)
(a + b) + c = a + (b + c) (Assoziativität der Addition)
Es gibt einen Nullvektor 0, für den gilt: a + 0 = a
Zu jedem a existiert ein entgegengesetzter Vektor (-a), so dass gilt: a + (-a) = 0
α(βa) = (αβ)a (Assoziativität der Multiplikation)
(α + β) a = αa + βa und α (a + b) = αa + αb (Linearität)
1a=a
Beispiele: → Tafel
1.1.2 Basen
Linearkombination der Vektoren a(1), a(2), ..., a(k): Gilt für einen Vektor b ∈ V die
k
X
Darstellung
b=
xi a(i)
(1.1.1)
i=1
mit geeignet gewählten Zahlen x1, ..., xk, so spricht man von einer Linearkombination von b aus den Vektoren a(i). Der Vektor b ist von den Vektoren a(i) linear
abhängig. Lässt sich b nicht gemäss Gl. (1.1.1) durch die Vektoren a(i) darstellen,
nennt man b linear unabhängig von den a(i).
Kann jeder Vektor b eines Vektorraums V als Linearkombination der Vektoren
a(1), a(2), ..., a(k) dargestellt werden, so bilden die Vektoren a(1), a(2), ..., a(k) ein
Erzeugendensystem von V. Einen minimalen Satz untereinander linear
unabhängiger erzeugender Vektoren von V nennt man eine Basis.
Die Anzahl k der Basisvektoren definiert die Dimension des Vektorraums. Ein
Vektorraum heisst endlichdimensional, wenn die Anzahl der Basisvektoren
{a(1),...,a(k)} endlich ist (k<∞). Andernfalls heisst er unendlichdimensional (k=∞).
Grundsätzlich können verschiedene Basen für einen Vektorraum gewählt
werden. Verschiedene Basen für einen Vektorraum bestehen jedoch immer aus
gleich vielen Basisvektoren.
Beispiele: → Tafel
Anwendung in der Quantenmechanik:
•
Ein quantenmechanisches Problem ist definiert durch seinen
~2 d 2
Hamiltonoperator Ĥ
Ĥ =
+ V (x)
2
2m dx
Operator für die kinetische Energie T
Operator für die potentielle Energie V
und die dazugehörige Schrödingergleichung
Ĥ
Hamiltonoperator
•
•
•
(1.1.2)
=E
Wellenfunktion
(1.1.3)
Energie
Die Schrödingergleichung hat die mathematische Form einer
Eigenwertgleichung (siehe Abschnitt 1.3). Typischerweise existieren
mehrere Lösungen für die Wellenfunktion ψ=ψn mit Energien E=En. Mann
nennt die Lösungen ψn Eigenfunktionen von Ĥ.
Die Menge aller möglichen Funktionen, die die Differentialgleichung (1.1.3)
lösen, bilden einen Vektorraum. Dieser Lösungsraum ist ein Teil (ein
Unterraum) von C2[a,b], dem Raum der zweimal stetig differenzierbaren
Funktionen im Intervall [a,b] (beachte: im Hamiltonoperator Gl. (1.1.2)
kommt die zweite Ableitung vor !). Die Eigenfunktionen ψn bilden eine Basis
für diesen Lösungsraum.
Da jede Linearkombination von Vektoren wieder ein Element des
Vektorraums ist, ist insbesondere jede Linearkombination von Lösungen
wieder eine Lösung der Schrödingergleichung !
Bsp.: das Teilchen im Kasten: quantemechanische
Behandlung der Translationsbewegung (siehe PC I)
•
•
•
Ein Teilchen ist in einem eindimensionalen Kasten mit
unendlich hohen Potentialwänden bei x=0 und x=L
eingesperrt.
~2 d 2
(1.1.4)
+ V (x)
Hamiltonoperator Ĥ: Ĥ =
2
2m dx
mit V(x)=0 für 0<x<L und V(x)=∞ für x≤0 und X≥L.
Die Lösungen der betreffenden Schrödingergleichung

~2 d 2
Ĥ =
+ V (x)
=E
(1.1.5)
2
2m dx
sind die Funktionen
p
⌘ n = 2/L sin(n⇡x/L)
(1.1.6)
n=
ψ(6)
E(6)
ψ(5)
mit der Quantenzahl n=1,2,3,... und den Energien
En = n2 h2 /(8mL2 )
•
E(5)
(1.1.7)
Alle möglichen Lösungen ψ bilden einen Vektorraum
und die ψn eine Basis für denX
Raum der Lösungen:
k
Jede Linearkombination = n=1 cn n (cn eine Zahl) ist
wieder eine Lösung. Überprüfe durch Einsetzen in die
Schrödingergleichung !
ψ(4)
E(4)
ψ(3)
ψ(2)
ψ(1)
E(3)
E(2)
E(1)
1.1.3 Skalarprodukte und Normen
Eine Vorschrift, die jedem Paar von Vektoren a,b eines Vektorraums V eine Zahl
⟨a|b⟩ zuordnet, nennt man Skalarprodukt, falls gilt:
1. Linear im ersten Faktor:
(i) ha + b|ci = ha|ci + hb|ci für alle a,b ∈ V
(ii) h↵a|bi = ↵ha|bi für alle a,b ∈ V, α eine Zahl
(1.1.8)
2. Symmetrisch:
ha|bi = hb|ai für alle a,b ∈ V
3. Positiv definit:
(i) ha|ai > 0 für alle a ∈ V
(ii) aus ha|ai = 0 folgt a=0
Für komplexe Vektorräume kann das Skalarprodukt komplexe Werte annehmen
und ist antisymmetrisch: ha|bi = hb|ai⇤
(1.1.9)
Wobei * die komplexe Konjugationsoperation (d.h. i* = -i) bedeutet. Die
Bedingungen 1. und 3. aus (1.1.8) gelten unverändert.
Die Vorschrift, die jedem a ∈ V die Zahl
p
|a| := ha|ai
(1.1.10)
zuordnet, nennt man die vom Skalarprodukt induzierte Norm (Längenmessung)
von a. Die Norm ist für reelle und komplexe Vektorräume immer positiv definit.
Beispiele: → Tafel
Einen Vektorraum mit Skalarprodukt und induzierter Norm bezeichnet man als
Hilbertraum.
Zwei Vektoren a,b ∈ V sind orthogonal, falls gilt:
ha|bi = 0
(1.1.11)
Ein Vektor a ∈ V ist normiert, falls gilt:
p
(1.1.12)
|a| = ha|ai = 1
Sind zwei Vektoren ai, aj orthogonal und normiert nennt man sie orthonormiert:
hai |aj i =
ij
δij ist hier das Kronecker-Delta-Symbol:
i =j
ij = 1,
ij
= 0,
i 6= j
(1.1.13)
(1.1.14)
Gültige quantenmechanische Wellenfunktionen sind immer orthonormiert !
Eine komplexe Matrix A✝ nennt man die Adjungierte zu einer Matrix A, falls gilt:
hA† a|bi = ha|Abi
(1.1.15)
A†ij = A⇤ji
(1.1.16)
Die Matrixelemente A✝ij der Adjungierten A✝ erhält man aus:
d.h. durch Komplex-konjugieren und Transponieren der Matrix A.
Anwendung in der Quantenmechanik:
•
Die Lösungen der Schrödingergleichung (die Wellenfunktionen ψ) sind ein
Unterraum von C2[a,b], dem Raum der komplexwertigen, zweimal stetig
differenzierbaren Funktionen.
•
Auf diesem Vektorraum ist das Skalarprodukt
Z b
⇤
h i| ji =
j dx
i
(1.1.17)
a
definiert mit der induzierten Norm
s
Z b
| i| =
a
⇤
i
(1.1.18)
i dx
Das Intervall [a,b] ist dabei durch die Randbedingungen des jeweiligen Problems
bestimmt.
•
Bsp.: das Teilchen im Kasten. Die Wellenfunktionen sind reell (d.h. ψ*=ψ)
und das Intervall [a,b]=[0,L]. Das Skalarprodukt und die Norm sind somit:
s
Z L
Z L
2 dx
h i| ji =
(1.1.19)
| i| =
i j dx
i
0
0
1.2 Bracket-Notation
Der Zustand eines quantenmechanischen Systems wird durch seine
Wellenfunktion ψ definiert. Symbolisch bezeichnet man einen Zustand mit einem
Ket | i .
Ein Bra h | bezeichnet eine komplex-konjugierte Wellenfunktion ψ*.
Wird ein Ket von links mit einem Bra multipliziert, ergibt sich ein Bracket und
man versteht darunter die Bildung des Skalarprodukts:
Z b
h | i=
(x)⇤ (x)dx
(1.2.1)
a
1.3 Matrixdarstellung von Operatoren
1.3.1 Motivation: Lösen der Schrödingergleichung
Der direkteste Weg zur Lösung eines quantenmechanischen Problems ist, eine
mathematische Lösung zur betreffenden Schrödingergleichung zu suchen.
Die Schrödingergleichung

Ĥ (x) =
~2 d 2
+ V (x)
2
2m dx
(x) = E (x)
(1.3.1)
ist eine lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung in Form einer
Eigenwertgleichung. Sie ist jedoch nur für die einfachsten Probleme (Teilchen im
Kasten, harmonischer Oszillator, Wasserstoffatom, ...) analytisch lösbar.
Ist eine analytische Lösung der Schrödingergleichung nicht möglich, kann man
immer eine Matrixdarstellung H des Hamiltonoperators Ĥ finden und dessen
Eigenwerte und Eigenfunktionen durch Matrixdiagonalisierung bestimmen.
1.3.2 Diagonalisieren von Matrizen
Repetieren Sie hierzu die Berechnung von Eigenwerten und Eigenvektoren aus
Ihrer Mathematikvorlesung !
Eine reelle oder komplexe n×n Matrix H heisst diagonalisierbar, wenn sie sich
durch eine Ähnlichkeitstransformation mit einer n×n Transformationsmatrix T
auf Diagonalform bringen lässt:
T
•
1
HT = ⇤
Λ ist hier eine Diagonalmatrix von der Form
2
3
0
0 ...
1
60
0 ...7
2
6
7
⇤=4
0
0
...5
3
... ... ... ...
(1.3.2)
(1.3.3)
worin λ1, λ2, ... ,λn die n Eigenwerte von H bezeichnen.
•
Die Kolonnen der Transformationsmatrix T werden durch die normierten
Eigenvektoren e(1),..,e(n) von H aufgespannt:
⇥ (1)
⇤
(2)
(n)
T = e
e
... e
(1.3.4)
Eigenwerte und Eigenvektoren bestimmt man durch Lösen der MatrixEigenwertgleichung:
He (i) =
i In e
(i)
wobei In die n×n Einheitsmatrix bezeichnet:
2
3
1 0 0 ...
6 0 1 0 ...7
7
In = 6
4 0 0 1 ...5
... ... ... ...
(1.3.5)
(1.3.6)
Die Eigenwerte berechnen sich durch Bestimmen der Nullstellen des
charakteristischen Polynoms:
det H
In = 0
(1.3.7)
welches man durch Berechnen der Determinante der Matrix H-λIn erhält.
Die Eigenvektoren e(i) erhält man durch Lösen des Gleichungssystems
(1.3.8)
Beispiele entnehmen Sie Ihrer Mathematik-Vorlesung und Übung 1.
1.3.3 Vorgehen
1. Wähle eine geeignete Basis φ=φ1, φ2, φ3, ... von Funktionen zur Aufstellung der
Hamiltonmatrix H. Die Matrix wird umso einfacher, je mehr die φi den Lösungen
ψi der Schrödingergleichung entsprechen. Die Basisfunktionen müssen so
gewählt werden, dass sie die Randbedingungen des Problems erfüllen !
2. Formuliere die Hamiltonmatrix H in dieser Basis. Die Matrixelemente Hij sind
dabei gegeben durch die Skalarprodukte
Z b
def
Hij = h'i |Ĥ'j i = h'i |Ĥ|'j i =
'⇤i (x)Ĥ'j (x)dx
(1.3.9)
a
Die Matrix ist dabei von folgender Form:
|'1 i
|'2 i
|'3 i
h'1 |
h'2 |
h'3 |
...
h'1 |Ĥ|'1 i h'1 |Ĥ|'2 i h'1 |Ĥ|'3 i
h'2 |Ĥ|'1 i h'2 |Ĥ|'2 i h'2 |Ĥ|'3 i
h'3 |Ĥ|'1 i h'3 |Ĥ|'2 i h'3 |Ĥ|'3 i
...
...
...
...
...
...
Kets konstant in den
Kolonnen
(1.3.10)
...
...
Bras konstant in den Zeilen
In vielen Fällen ist der Lösungsraum unendlich-dimensional, es müssten also
unendlich viele Basisvektoren φi gewählt werden, was zu unendlich grossen
Matrizen führt. In der Praxis wählt man dann nur eine endliche, aber genügend
grosse Anzahl an Basisvektoren φi.
3. Diagonalisiere die Hamiltonmatrix H. Die Eigenwerte Ei von H sind die gesuchten
Energien der Zustände, die zugehörigen Eigenvektoren die Wellenfunktionen
ausgedrückt als Linearkombination der ursprünglichen Basisvektoren φi.
Beispiel: → Tafel
Die Hamiltonmatrix H ist selbstadjungiert (auch hermitesch genannt), d.h. es gilt:
H = H † d.h. Hij = Hji⇤
(s. Gl. (1.1.15) und Gl. (1.1.16)).
(1.3.11)
Hermitesche Matrizen besitzen folgende Eigenschaften:
•
•
•
Sie sind immer diagonalisierbar.
(1.3.12)
Alle Eigenwerte sind reell.
Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal.
Die Transformationsmatrix T der Eigenvektoren ist dann unitär, d.h. es gilt:
T† = T
1
(1.3.13)
Die Diagonalisierungsbedingung Gl. (1.3.2) für H vereinfacht sich dadurch zu:
T † HT = ⇤
(1.3.14)
Ist die Hamiltonmatrix H reell, dann ist sie symmetrisch. Für diesen Fall gelten
dann insbesonders:
•
H† = HT = H
(1.3.15)
wobei HT die transponierte Matrix von H ist. (Erklärung: Adjungieren bedeutet
Transponieren und Komplex-konjugieren einer Matrix. Ist die Matrix reell,
verändert Komplex-konjugieren die Matrix nicht und nur das Transponieren ist
relevant.)
•
•
Die Transformationsmatrix T ist in diesem Fall orthogonal, d.h. es gilt:
(1.3.16)
T 1 = T† = TT
Die Diagonalisierungsbedingung für H Gl. (1.3.2) vereinfacht sich dadurch zu:
T T HT = ⇤
(1.3.17)
Völlig analog zum für den Hamiltonoperator Ĥ besprochenen Vorgehen lässt sich
für jeden quantenmechanischen Operator Ô (Ort, Impuls, Drehimpuls, etc.) eine
Matrixdarstellung finden.
Die entsprechenden Matrizen sind immer hermitesch !
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