11 9. April 2009 Hintergrund Nicht allen fällt es leicht, Hilfe und Beratung anzunehmen. Diese Haltung kann jedoch längerfristig zur Isolation der Betreffenden führen Wenn das Gehörte von den Lippen abgelesen wird von Marlies Knus Engeler N Gebärdensprache oder Hörhilfen? Im Tessin leben rund 300 gehörlose Personen. Erbkrankheiten, Krankheiten während der Schwangerschaft oder eine durchgemachte Meningitis können dazu führen. Medizinische Hilfe in Form eines Cochlea Implantates (Hörprothese, geeignet für gehörlose Kinder und Gehörlose, deren Hörnerv noch funktioniert) ja oder nein, führt in diesen Fällen oft zu hitzigen Diskussionen. Die FSS als Selbsthilfegruppe rät zur Erlernung der Gebärdensprache. Ihre Warnung vor den Implantationen begründet sie auf ihrer Webseite damit, dass Risiko und mögliche Auswirkungen auf den Spracherlernprozess und die psychosoziale Entwicklung des Kindes langfristig nicht klar beurteilt werden können. Richtig ist, dass die Gebärdensprache im Umgang der gehörlosen Personen untereinander hilfreich ist. Susanna Lancini vom Centro per persone audiolese gibt aber zu bedenken: “Soll der Betroffene ein möglichst normales Leben führen können, sind Implantate in Betracht zu ziehen. Wir informieren in jedem Fall individuell, es soll die beste Lösung für die Betroffenen gefunden werden. Einmal kann das ausschliesslich ein medizinischer Eingriff, einmal eine Kombination mit der Gebärdensprache sein.” Familie Strohmeier hat für ihren gehörlosen Sohn Alessandro den medizinischen Weg gewählt. Mit drei Jahren wurde ihm ein Cochlea Implantat einoperiert. “Alessandro besuchte immer die normalen Schulen und heute das Liceo, hat eine Freundin und ist ein ganz normaler Flegel”, erzählt seine Mutter Petra nicht ohne Stolz. “Aber es hat viel Integrationsarbeit, auch von der Elternseite her, verlangt und verlangt es noch heute.” Ti-Press icht sehen trennt von den Dingen – nicht hören trennt von den Menschen.“ Diese Aussage stammt von der taubblinden amerikanischen Schriftstellerin Helen Keller (1880 – 1968). Trennung von den Menschen ist einschneidender und bedeutet oft soziale Isolation. Soweit muss es nicht kommen. Hilfe können Personen mit Gehörschwierigkeiten im Tessin bei Selbsthilfe- und Fachstellen holen: der FFS (Federazione Svizzera dei Sordi), der ATiDU (Associazione Ticinese Deboli d’Udito) und dem Centro per persone audiolese. Höre mit den Augen: Eine Kampagne der Tessiner Vereinigung der Hörbehinderten Ein Zehntel Schwerhörige Weitaus verbreiteter als Gehörlosigkeit ist die Schwerhörigkeit: Rund zehn Prozent der Tessiner Bevölkerung leiden darunter. Sie hat zwei Ursachen: Alter und zu starke Lärmeinwirkung. Jeder Ton wird über das Trommelfell zur Hörschnecke, welche zuhinterst im Ohr eingebettet ist, weiterge- leitet. Die Schwingungen lösen bei den Haarzellen, die sich in der Hörschnecke befinden, elektrische Impulse aus. Der Hörnerv leitet diese Impulse ins Gehirn weiter, wo der Impuls als Geräusch wahrgenommen wird. Sterben die Haarzellen ab, leiten sie die Impulse nicht mehr weiter, das Gehirn nimmt keine Geräusche mehr wahr. Bei zu lau- Anlaufstellen bei Gehör-Problemen * ATiDU – Associazione Ticinese Deboli d’Udito, In Busciurina 17c, 6528 Camorino (Tel. 091 857 52 55, [email protected]), führt auch eine Audiothek mit zahlreichen Hilfsmitteln zum Ausprobieren (Hörhilfe für TV und Telefon etc.) * SGB-FSS – Federazione Svizzera dei Sordi, Via Besso 5, 6900 Lugano Tel. 091 950 05 48, [email protected]) * Centro per persone audiolese, Via dei Sindacatori 1, 6900 Massagno (Tel. 091 966 34 15, [email protected]) * Pro audito Schweiz, Feldeggstrasse 69, 8032 Zürich (Tel. 044 363 12 00, [email protected]), Bezugsquelle für Kursprogramm für Verständigungskurse und Kommunikationskurse für Menschen mit Hörproblemen * Für Implantate: www.cochlea-implantat.ch * Für Gehörtests: Amplifon SA in Bellinzona, Locarno, Lugano und Mendrisio Otoacustica Paganini SA in Bellinzona, Locarno und Lugano ter Lärmeinwirkung kann es zu einem vorzeitigen Absterben der Haarzellen kommen. Hilfe oder Isolation Lärm schadet dem Gehör. Diese Tatsache liess den Bundes-Gesetzgeber schon vor mehr als zwanzig Jahren Grenzwerte erstellen. Darnach sind die Lärmimmissionen in Wohngebieten tagsüber auf 60 Dezibel (zum Beispiel Lautstärke eines normalen Gespräches), nachts auf 50 Dezibel (leise Radiomusik) beschränkt. Die Kantone und Gemeinden haben zu überwachen, dass die Vorschriften eingehalten werden. Kein Schutz oder Einschränkungen gibt es jedoch, wenn sich ein Mensch selbst übermässigem Lärm aussetzt, ohne dass lästige Immissionen nach aussen dringen. Es reichen 85 Dezibel bei längerer Einwirkung – zum Beispiel ein normal eingestellter iPod – das Gehör für immer schädigen. Wie gut das Gehör noch funktioniert, kann kostenlos bei einem der zahlreichen “Centri Acustici” in den grösseren Städten des Tessins überprüft werden. Schwerhörigkeit ist nicht heilbar. Weg ist weg. Das geschieht aber nicht von einem Tag auf den anderen. Um besser mit dem langsamen Hörverlust umgehen zu können, stehen zahlreiche Hilfen zur Verfügung. Neben den traditionellen sind heute auch implantierbare Hörgeräte im Handel. In Angebot sind auch zahlreiche Verständigungs- und Aufklärungskurse. Besonders erwähnenswert – weil in deutscher Sprache – sind jene von der “pro audito schweiz”. In einem rund einwöchigen Kurs können die Betroffenen lernen, wie die bereits bestehenden Verständigungsschwierigkeiten auf ein Minimum reduziert werden: zum Beispiel beim Training des Wahrnehmungsbereichs (Ablesen von Sprechbewegungen), des Kombinierens, Ergänzens und Reagierens, der Sprachpflege, Merkfähigkeit und des Gedächtnisses. Diese sind vom Bund subventioniert und kostenmässig erschwinglich (zwischen 430 und 630 Franken). “Für die Betroffenen ist es sehr schwierig, sich das Leiden einzugestehen. Sie gehen deshalb oft in die Defensive”, weiss Susanna Lancini vom Centro per persone audiolese. Das Abwägen “Soziale Isolation gegen Akzeptieren von Hilfe“ soll aber das Pendel zugunsten der Inanspruchnahme von Hilfe ausschlagen lassen. Die taubblinde Helen Keller jedenfalls wäre über die heutigen Möglichkeiten mehr als froh gewesen. Anzeige arcobaleno...sparend Reisen! Testen Sie Arcobaleno! 7 Tage ab CHF 14.-