P1 a Protokoll 1/Arbeitsblatt „Grundinformationen” Hörschädigungen: Einsichten und Grundverständnis Der Begriff „Hörschädigung” umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Hörbeeinträchtigungen Zur Gruppe der hörgeschädigten Menschen zählen früh- und spätertaubte sowie schwerhörige Menschen. Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit Die Übergänge zwischen Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit sind fließend. Während Schwerhörigkeit in verschiedene Grade eingeteilt wird (leicht, mittel, schwer), sind die Kategorien „taub”, „resthörig” und „gehörlos” unscharf. Gehörlosigkeit liegt vor, wenn Taubheit vor dem Spracherwerb eingetreten ist und Sprachinformationen auch mit bestem Hörgerät nicht mehr verwertet werden können. Tinnitus, Morbus Menière, Hörsturz Auch Menschen mit Tinnitus, Hörsturz, Morbus Menière oder chronischer Mittelohrentzündung sind hörbeeinträchtigt. Frühertaubte Menschen Bei Gehörlosigkeit ist der Zeitpunkt der Ertaubung wesentlich. Gehörlose Menschen durchlaufen eine grundsätzliche andere sprachliche Sozialisation Der Begriff „taubstumm” ist veraltet und unzutreffend; gehörlose Menschen sind nicht sprachlos. Frühertaubte Menschen mit Verlust ihres Hörvermögens vor oder während der Sprachentwicklung (prä- oder perilingual ertaubt) haben keine lautsprachliche Sprachentwicklung durchlaufen. Lautsprach- und Sprechkompetenzen können daher nicht oder vollkommen unzureichend entwickelt werden. Die „natürliche” Sprache gehörloser Menschen ist die Gebärdensprache - die „Deutsche Gebärdensprache” (DGS) - , die eine ausdifferenzierte eigene Grammatik und Syntax besitzt. Verhaltensanpassung durch Erkennen von Geräuschen Ertaubte Personen mit geringen Hörresten können markante Geräusche erkennen, allerdings benötigen sie hierfür ein Hörgerät. Spätertaubte Menschen sozialisieren sich in die lautsprachliche Welt Mit dem Begriff „spätertaubte Menschen” sind Menschen gemeint, die nach dem Spracherwerb (postlingual) das Gehör verlieren. Sie orientieren sich an der Laut- und Schriftsprache, können Sprechkompetenz entwickeln oder ihre Sprechfähigkeiten erhalten. Schwerhörige Menschen Unabhängig vom Grad des Hörverlustes äußert sich Schwerhörigkeit in verschiedenen Ausprägungsformen. Schallleitungsschwerhörigkeit Auswirkung: Lautes wird besonders unangenehm empfunden, Nebengeräusche stören die Sprachrezeption, die starke Belastung des Gehörs führt zur Ermüdung. Schallempfindungsschwerhörigkeit Ausfall oder Schädigung der schallverarbeitenden Rezeptoren (Cortisches Organ). Die Zuleitung des Schalls über Luft zum Innenohr ist gestört. Medizinische Behandlung bzw. Ausgleich durch Hörgeräte ist möglich. Auswirkungen: Herabgesetzte Hörweite und eingeschränkte Sprachwahrnehmung. Kombinierte Hörstörungen Auswirkung je nach Kombinationsform Operative Behandlung von Hörverlusten Das Cochlear Implant ist eine elektronische Hörprothese, die die Funktion des ausfallenden Innenohres übernimmt und die intakt gebliebenen Hörnervenfasern direkt elektronisch reizt. Bei gehörlosen oder hochgradig schwerhörigen Kleinkinder (Operation vor der Sprachentwicklung), spätertaubten Erwachsenen (Erinnerung an Lautsprache vorhanden) und hochgradig schwerhörigen Erwachsenen (apparative Versorgung mit einem Hörgerät nicht mehr möglich) wird das CI bevorzugt eingesetzt. Nach entsprechendem Hörtraining können Hörempfindungen als Sprache oder Töne „decodiert” werden. Das Cochlear Implant (CI) Menschen mit Hörschädigung im Arbeitsleben - © Integrationsamt Mittelfranken 2003 (Begleitunterlagen dürfen kopiert werden) P1 b Das zentrale Problem hörgeschädigter Menschen ist die Kommunikation mit Hörenden. Hörschädigungen führen zu Verstehens- und Verständigungsschwierigkeiten mit der hörenden Umwelt. Die Leistungsfähigkeit von Hörgeräten ist nicht nur eine Frage der Technik. Schwerhörige Menschen können mithilfe individuell angepasster Hörgeräte ihre Hördefizite kompensieren oder verringern. Das „technische Hören” muss allerdings erlernt werden; bei hochgradig schwerhörigen Menschen ist das qualitativ andere Hören aber oft nicht ausreichend, um den Gesprächspartner zu verstehen. Die Rezeption gesprochener Sprache kann durch Absehen, Kombinieren und Nutzung rudimentärer Höreindrücke erlernt werden. Eine Hilfe, das fehlenden Hörvermögen zu verringern, ist das Absehen von den Lippen, was aber nur begrenzt gelingt, weil die Mundbilder nicht eindeutig sind. Nur 30 Prozent der Lautsprache kann erfasst werden. Zusätzlich müssen Sinneszusammenhänge erschlossen werden. Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) Deutsche Gebärdensprache (DGS) Lautsprache kann durch wortgleiche Gebärden - lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) – unterstützt werden. Demgegenüber ist die „Deutsche Gebärdensprache” (DGS) eine weitgehend eigenständige visuelle Sprache mit eigener Grammatik und Syntax. Der Umgang mit der Schriftsprache ist für Gehörlose schwierig, weil die „Deutsche Gebärdensprache” nicht auf den Regeln der Lautsprache aufbaut, die wiederum für die Schriftsprache verbindlich sind. Bei der Verständigung mit hörenden Menschen sind Gebärdensprachdolmetscher notwendig. Das Fingeralphabet Das Fingeralphabet, das Schriftzeichen der Sprache (Buchstaben) in entsprechenden Hand- und Fingerformen wiedergibt, dient vorwiegend dazu, das Mundbild bei Begriffen oder Namen, für die es auch keine Gebärden gibt, zu unterstützen. Hörgeschädigte Menschen arbeiten mit Erfolg in unterschiedlichen Berufen. Wenn Bildungsvoraussetzungen und individuelle Eignung vorhanden sind, stehen viele Berufswege offen. Kommunikationsschwierigkeiten am Arbeitsplatz können durch technische oder persönliche Hilfen ausgeglichen oder zumindest gemildert werden. Auf die Akzeptanz und Integrationsbereitschaft der Personalverantwortlichen, Vorgesetzten und Kollegen kommt es ebenfalls an. Die berufliche Eingliederung hörgeschädigter Menschen ist auch eine soziale Integrationsleistung der Personalverantwortlichen, Vorgesetzten und Kollegen. Kommunikationsund Kollegenseminare im Betrieb sowie berufsbegleitende Beratung durch Fachdienste und finanzielle Hilfen unterstützen hörgeschädigte Mitarbeiter und ihre Arbeitgeber, wenn diese es wünschen. Hörschädigung und Behinderung Der Ausdruck „Hörbehinderung” ist ungenau und schließt die Wechselbeziehung zu Hörenden aus. „Hörbehindert” ist kein Personenmerkmal. Hörschädigungen werden unter sozial- und versorgungsrechtlichen Gesichtspunkten als Behinderungen klassifiziert (vgl. SGB IX). In den Bundes- und Landesgleichstellungsgesetzen für Menschen mit Behinderung (z. B. BayBGG vom 1.8.03) ist die Gebärdensprache inzwischen als eigene Sprache im Umgang mit Behörden anerkannt. Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit werden erst in der Welt der Hörenden zu Behinderungen. Nicht die Schädigung selbst, sondern die Auswirkung des Hörverlustes in der hörenden Welt führt zu sozialen Beeinträchtigungen, die den Status einer Behinderung annehmen und sozialrechtlich als solche beurteilt werden. Hochgradig schwerhörige und gehörlose Menschen werden als „schwerbehinderte Menschen” amtlich anerkannt (Grad der Behinderung über 50, zusätzliches Merkzeichen „Gl” bei Gehörlosigkeit). Gehörlose Menschen verstehen sich einer besonderen Sprach- und Kulturgemeinschaft zugehörig, in der sie mit ihrer Sprache, der „Deutschen Gebärdensprache” (DGS), ungehindert und entspannt kommunizieren können. Menschen mit Hörschädigung im Arbeitsleben - © Integrationsamt Mittelfranken 2003 (Begleitunterlagen dürfen kopiert werden)